Erna Pinner: Curious Creatures (Rezension)

Es geht um seltsame Geschöpfe der Tierwelt, Merkwürdigkeiten der Natur. Vierfüßler, die fliegen, Camouflage, Insekten mit sonderbaren Körperformen und Lebensgewohnheiten: »Väterliche Brutpflege«, »Wassertiere, die Luft atmen«, »Was nicht alles aus einem Ei schlüpft« heißen die Kapitel, in denen Erna Pinner leichtfüßig und elegant Wissen vermittelt. Vollkommen unangestrengt, wie in einem TV-Tierfilm, bevor es solche gab, plaudert sie höchst lehrreich etwa über den lustig anzusehenden Schlammspringer, eigentlich ein Fisch, der in den Mangrovensümpfen des tropischen Afrika seine Zeit zwischen Wasser und Land gleichmäßig aufteilt. Oder die Dosenschildkröte, auch eine Grenzgängerin zwischen Land und Meer. Wir erfahren, daß der Gorilla trotz seiner Stärke kein Raubtier ist und Pflanzen und Früchte als Nahrung bevorzugt. Vor allem aber können wir auch ihre wunderbar zwischen Natur und Kunst balancierende Zeichnung eines Gorillas und viele andere Tierzeichnungen betrachten. Anatomische Genauigkeit mischt die Künstlerin mit einem System aus Schraffuren und Punkten, das einzigartig ist.
Erna Pinner (eigentlich: Wilhelmine Pinner; geboren 27. Januar 1890 in Frankfurt am Main; gestorben 5. März 1987 in Hampstead (London)) war eine deutsche Zeichnerin, Puppenkünstlerin, Schriftstellerin und Naturwissenschaftlerin.
Erna Pinner entstammte dem jüdischen Großbürgertum Frankfurts. Als Sechzehnjährige begann sie ihre künstlerische Ausbildung am Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt, danach studierte sie in Berlin bei Lovis Corinth und in Paris bei Félix Vallotton, Maurice Denis und Paul Sérusier. Nach Deutschland zurückgekehrt, lernte sie 1916 oder 1917 Kasimir Edschmid kennen; die private Partnerschaft führte auch zu künstlerischer Zusammenarbeit. Erna Pinner illustrierte die Werke des Expressionisten und entwarf Kostüme für seine Stücke. Ab 1919 gehörte sie der Darmstädter Sezession an; ihre Werke wurden im Verlag Die Dachstube veröffentlicht. U. a. illustrierte sie Klabunds Blumenschiff. Sie reiste mit Edschmid durch Europa, schrieb selbst Feuilletons und illustrierte weiterhin die Werke ihres Partners.
1935 wurde sie aus der Reichskammer der Bildenden Künste ausgeschlossen und emigrierte zusammen mit ihrer Mutter nach England, wohingegen Edschmid in Deutschland blieb. Der Kontakt mit Edschmid, der 1941 die Musikerin Elisabeth von Harnier heiratete, brach drei Jahre später ab und wurde erst 1946 wieder aufgenommen. Erna Pinner blieb in Großbritannien. Dort gelang ihr die Wiederaufnahme ihrer Karriere, diesmal als beschreibende Naturwissenschaftlerin (im Bereich der Zoologie, Paläontologie und Anthropologie) und als Illustratorin populärwissenschaftlicher Werke.
Die Jugendarbeiten fielen weitgehend dem Bombardement ihres Elternhauses im Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Von den nahezu lebensgroßen, einst weithin bekannten Pinner-Puppen, die sie ab 1914 anfertigte und die Tänzerinnen wie Niddy Impekoven inspirierten, ist wohl kein Original erhalten geblieben. Neben diesen grotesken Menschengestalten standen lebenslang die Tiere im Vordergrund ihres Interesses und Schaffens. Schon in ihrer Jugend hatte sie Studien im Frankfurter Zoo gemacht, für den sie später auch Plakate entwarf. Bekannt war vor allem ihr Schweinebuch, das allerdings ungeahnte Auswirkungen auf ihre Biographie haben sollte: Eine Polioinfektion, die sie sich vermutlich beim Skizzieren im Schweinestall zugezogen hatte, führte später dazu, dass sich Erna Pinner hauptsächlich aufs Zeichnen verlegen musste.
Curious Creatures erschien 1951 mit 152 Illustrationen in England. 1955 wurde das Buch unter dem Titel WUNDER DER WIRKLICHKEIT in Deutschland, allerdings nur mit 61 Zeichnungen aus der Originalausgabe.
Die im Weidle-Verlag 2022 erschienene Ausgabe vereint wieder alle 152 Zeichnungen.
Das Buch ist für jeden Tierfreund lesens- und sehenswert, allerdings darf man nicht vergessen, dass Erna Pinner das Buch bereits 1951 geschrieben hat und demnach auch ihr Wissen aus dieser Zeit stammt. Viele ihrer Erkenntnisse sind inzwischen überholt und widerlegt worden, die Zeichnungen sind jedoch sehr detailgetreu und liebevoll gestaltet. Wer sich also auf diese kleine Zeitreise einlässt wird seine große Freude an diesem Buch haben.
Ergänzt wird das Buch durch eine kurze Biografie der Künstlerin, verfasst von Barbara Weidle.

(Rezensionsexemplar)

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