21.10.2024, Universität Bielefeld
Pflanzenstoffe beeinflussen das Sozialleben von Tieren
Eine im „Journal of Animal Ecology“ veröffentlichte Studie von Forschenden der Universität Bielefeld zeigt, dass bestimmte Pflanzenstoffe, die nicht der Ernährung dienen, das Sozialverhalten und die Lebensdauer der Rüpsen-Blattwespe (Athalia rosae) beeinflussen. Unter der Leitung von Dr. Pragya Singh, Postdoktorandin im Sonderforschungsbereich Transregio 212 in der AG chemische Ökologie, untersuchte das Team, wie der Verzehr von spezifischen Pflanzenstoffen, sogenannten Clerodanoiden, soziale Netzwerke innerhalb von Blattwespenpopulationen verändert und gleichzeitig die Lebensdauer der Tiere verkürzt.
Pflanzen bieten Tieren mehr als nur Nahrung. In der Studie zeigten die Forschenden, dass die Wespen Clerodanoide von Pflanzen wie Ajuga reptans gezielt aufnehmen, um Vorteile jenseits von Ernährung zu erhalten. Diese Chemikalien bieten den Wespen Schutz vor Fressfeinden und verbessern ihre Fortpflanzungschancen. „Interessanterweise erhalten die Blattwespen diese Stoffe nicht nur direkt von den Pflanzen, sondern auch durch soziale Interaktionen mit anderen Blattwespen, die Zugang zu diesen Pflanzen hatten. Solche Begegnungen sind oft konfliktreich, da die Blattwespen versuchen, sich gegenseitig kleine Mengen der wertvollen Chemikalien ‚abzuknabbern‘“, erklärt Dr. Pragya Singh, Erstautorin der Studie.
In ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler*innen Wildpopulationen von Rübsen-Blattwespen und fanden heraus, dass einige Individuen Clerodanoide in großen Mengen besaßen, während andere keine Spuren der Stoffe aufwiesen. Diese Ungleichheit wirkte sich direkt auf das Sozialverhalten der Blattwespen im Labor aus. Blattwespen ohne Zugang zu Clerodanoiden waren häufiger in agonistische, also konfliktreiche Interaktionen verwickelt, um die wertvollen Stoffe von anderen Blattwespen zu erlangen.
Durch eine detaillierte soziale Netzwerk-Analyse zeigten die Forscher*innen, dass Blattwespen mit Zugang zu Clerodanoiden deutlich mehr soziale Interaktionen hatten, besonders in Gruppen, in denen manche Individuen Clerodanoide besaßen und andere nicht. Obwohl diese Stoffe Vorteile in der Verteidigung und Fortpflanzung bieten, verkürzten sie jedoch die Lebensdauer der Blattwespen, da die vielen Sozialkontakte und aggressive Versuche von anderen Blattwespen, die Chemikalien zu erlangen, möglicherweise die Träger erschöpften, selbst ohne sichtbare Verletzungen. „Es war überraschend zu sehen, wie stark die aggressiven sozialen Interaktionen die Lebensdauer der Blattwespen verkürzten, ohne dass äußere Verletzungen erkennbar waren“, erklärt Dr. Pragya Singh. „Die sozialen Kosten dieser Konflikte könnten auf einem erhöhten metabolischen Stress beruhen, trotz des Fehlens von offensichtlichem physischem Schaden.“
Neue Perspektiven für die Erforschung sozialer Netzwerke
Die Studie liefert nicht nur neue Erkenntnisse darüber, wie Pflanzenstoffe das Verhalten von Tieren beeinflussen, sondern eröffnet auch neue Perspektiven für die Erforschung von sozialen Netzwerken in ökologischen Systemen. „Unsere Ergebnisse werfen wichtige Fragen über die langfristigen Auswirkungen von nahrungsunabhängigen Pflanze-Tier-Interaktionen auf die Struktur von Populationen auf“, so Singh weiter. „Welche Rolle spielen diese Chemikalien in größeren ökologischen Netzwerken, etwa in Räuber-Beute- oder Parasit-Wirt-Beziehungen?“
Die Ergebnisse dieser Forschung fügen sich in die übergeordneten Ziele des Sonderforschungsbereichs (SFB) 212 ein, der untersucht, wie individuelle Merkmale ökologische Nischen gestalten und soziale Verhaltensweisen beeinflussen. Die Studie zeigt deutlich, wie die individuelle Variation bei der Aufnahme von Clerodanoiden zu unterschiedlichen sozialen Verhaltensweisen führt und wie solche individuellen Unterschiede die Struktur sozialer Netzwerke formen können.
Originalpublikation:
Pragya Singh, Leon Brueggemann, Steven Janz, Yasmina Saidi, Gaurav Baruah, Caroline Müller: Plant metabolites modulate social networks and lifespan in a sawfly. Journal of Animal Ecology. https://doi.org/10.1111/1365-2656.14189, veröffentlicht am 22. September 2024. Weiterlesen →