17.11.2025, Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
Pinocchio-Chamäleon führt Forschende an der Nase herum – altbekannte, aber neue Arten von Nasenchamäleons entdeckt
Genetische und morphologische Untersuchungen bringen zwei neue Chamäleon-Arten ans Licht. So erhält ein kleines Chamäleon mit einer sehr langen Nase schließlich den wissenschaftlichen Namen, der zu ihm passt – Calumma pinocchio. Ein internationales Forscherteam um SNSB-Zoologen Frank Glaw veröffentlichte nun seine Ergebnisse im zoologischen Fachjournal Salamandra – German Journal of Herpetology.
Madagaskar ist das Land der Chamäleons. Mehr als 40% aller bekannten Chamäleonarten leben auf der Insel vor der ostafrikanischen Küste, darunter auch das kleine, bereits seit fast 150 Jahren bekannte Pinocchio-Chamäleon. Es gehört zum Artenkomplex Calumma gallus, deren Männchen lange charakteristische Nasenfortsätze tragen. Wer dazu gehört, zeigte bisher vor allem die Form dieser verlängerten Schnauze.
Genetische und morphologische Analysen belegen nun, dass das als Pinocchio-Chamäleon bekannte Tier tatsächlich zu einer ganz eigenen, neuen Art gehört. Die Autoren der neuen Studie gaben ihm den wissenschaftlichen Namen Calumma pinocchio, so dass sein deutscher Name und sein wissenschaftlicher Name nun übereinstimmen.
Weitere neue Verwandtschaftsverhältnisse bei den Nasenchamäleons konnten die Forschenden durch den Blick in die Gene ihrer Sammlungsexemplare aufdecken: Sie identifizierten eine zweite neue Art: Calumma hofreiteri, die aufgrund der Form ihres Nasenfortsatzes und anderer Merkmale bisher der Art Calumma nasutum zugeordnet wurde.
„Die Genanalysen sind eindeutig: Die Nasenfortsätze dieser Chamäleons haben die bisherige Forschung quasi an der Nase herumgeführt“, sagt Erstautor Dr. Frank Glaw von der zu den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns gehörenden Zoologischen Staatssammlung. „Unsere Untersuchungen ergaben außerdem, dass sich die Nasenfortsätze in ihrer Länge, Form und Farbe vergleichsweise schnell verändern können. Sie unterliegen offenbar einer schnellen Evolution, eventuell angetrieben von den jeweiligen Vorlieben der Weibchen bei der Partnerwahl.“
Für die Neuzuordnung der Nasenchamäleons nutzte das internationale Forschungsteam neben klassischen Bestimmungsmethoden den sogenannten Museomics-Ansatz: also die Anwendung moderner, genetischer Methoden, mit denen man DNA-Sequenzen aus jahrhundertealten Museumsexemplaren gewinnen kann. Das älteste untersuchte Exemplar in dieser Studie war ein Chamäleon, das im Jahr 1836 gesammelt wurde. „Die Arbeit zeigt das große Potenzial der neuen Museomics-Methoden, um historische Museumsexemplare korrekt zuzuordnen“, ergänzt Prof. Miguel Vences von der Technischen Universität Braunschweig.
Mit den beiden Neubeschreibungen sind nun genau 100 Chamäleonarten aus Madagaskar bekannt, insgesamt gibt es derzeit 236 Arten dieser einzigartigen Echsengruppe.
Originalpublikation:
Glaw, F., S. Agne, D. Prötzel, P.-S. Gehring, J. Köhler, M. Preick, F. M. Ratsoavina, N. Straube, K. Wollenberg-Valero, A. Crottini & M. Vences (2025): Towards a revision of the Malagasy chameleons of the Calumma gallus complex: Redefinition of Calumma nasutum based on a museomics approach, and descriptions of two new species. – Salamandra 61 (4): 442-466.
19.11.2025 – 06:55
Deutsche Wildtier Stiftung
Majestätischer Wanderer: Der Rothirsch ist Tier des Jahres 2026
Hamburg (ots)
Prächtiger Geweihträger, geselliges Rudeltier, röhrender Kämpfer: Der Rothirsch (Cervus elaphus) ist Deutschlands Tier des Jahres 2026. Bei der Abstimmung, die jedes Jahr von der Deutschen Wildtier Stiftung initiiert wird, setzte sich der König des Offenlandes gegen die Mitbewerber Hermelin und Goldschakal durch. Der Rothirsch ist das größte Landsäugetier, das regelmäßig bei uns in Deutschland lebt. Der Artname schließt männliche und weibliche Tiere ein. Hirschkühe, Kälber und Jungtiere leben in Rudeln zusammen, auch die Hirsche bilden außerhalb der Brunftzeit Rudel. In Deutschland leben etwa 220.000 Rothirsche, verteilt auf rund ein Viertel der Landesfläche.
„Mit der Ernennung des Rothirschs zum Tier des Jahres 2026 möchten wir auf eine Art aufmerksam machen, die in Deutschland zwar zahlreich vorkommt und sogar Konflikte mit der Land- und Forstwirtschafft hervorruft, gleichzeitig aber vor großen Herausforderungen steht“, sagt Dr. Andreas Kinser, Leiter Natur- und Artenschutz bei der Deutschen Wildtier Stiftung.
Rothirsche sind Tiere der halboffenen Landschaft, fühlen sich also auf Wiesen und Feldern mit einzelnen Baumgruppen und Gehölzen am wohlsten. Doch weil sie dort von Menschen zunehmend bedrängt und bejagt werden, ziehen sie sich meist in den Wald zurück. Dort fressen sie täglich bis zu 20 Kilogramm Pflanzen und gestalten damit ihren unfreiwillig besiedelten Lebensraum um. Was Konflikte mit der Forstwirtschaft verursachen könnte, hat aber auch positive Effekte: Rothirsche schaffen kleine Lichtungen, auf denen sonnenliebende Kräuter und Gräser wachsen können und Schmetterlinge, Wildbienen und Waldameisen ideale Lebensbedingungen finden. Das Geweih der männlichen Rothirsche, das jedes Jahr abfällt und neu aufgebaut wird, bietet mineralstoffreiche Nahrung für Eichhörnchen und andere Nagetiere. Außerdem verbreiten Rothirsche Pflanzensamen: Vor allem junge Hirsche unternehmen weite Wanderungen, um neue Lebensräume zu besiedeln. Dabei tragen sie Samen verschiedenster Pflanzen über viele Kilometer im Fell mit sich oder scheiden sie mit ihrem Kot aus.
Die Wanderungen sorgen auch für den genetischen Austausch zwischen einzelnen Rothirsch-Populationen. Doch sie enden heute häufig an Autobahnen, Bahntrassen, Kanälen – oder behördlich vorgeschriebenen Grenzen der Artverbreitung. In Baden-Württemberg dürfen Rothirsche zum Beispiel nur 4 Prozent der Landesfläche besiedeln. Auf den übrigen 96 Prozent der Fläche dieses Bundeslandes sind Jäger gesetzlich verpflichtet, bis auf wenige Ausnahmen jeden Rothirsch zu erlegen. Durch die Verinselung der Rothirsch-Vorkommen verliert die Art mehr und mehr genetische Vielfalt. Populationsgenetiker sprechen bereits vom Beginn eines Aussterbeprozesses.
„Um dem Rothirsch zu helfen, müssen seine Lebensräume wieder besser miteinander vernetzt werden. Das schaffen wir unter anderem, indem mehr Grünbrücken über Autobahnen gebaut werden und wandernde Tiere grundsätzlich nicht gejagt werden dürfen“, sagt Kinser. Eine wichtige Rolle spielen auch neue Lebensräume: „Zwischen weit auseinanderliegenden Vorkommen müssen sich kleine Populationen etablieren dürfen, die als Trittsteine zur Vernetzung dienen. Nur wenn wir dem Rothirsch wieder mehr Raum geben, kann es gelingen, diese faszinierende Tierart langfristig in Deutschland zu erhalten“, so der Artenschützer.
Die Deutsche Wildtier Stiftung setzt sich mit politischem Engagement und Öffentlichkeitsarbeit für den Rothirsch ein. Mehr Infos gibt es unter www.DeutscheWildtierStiftung.de/Wildtiere/Rothirsch sowie www.Rothirsch.org.
Mit der Wahl des „Tier des Jahres“ setzt die Deutsche Wildtier Stiftung die langjährige Arbeit der Schutzgemeinschaft Deutsches Wild fort. Seit 2017 wählen die Spenderinnen und Spender der Stiftung ein Tier des Jahres, auf das in der Öffentlichkeit aufmerksam gemacht werden soll. Sei es aufgrund seiner Gefährdung, der Bedrohung seines Lebensraums oder weil es einen Mensch-Wildtier-Konflikt hervorruft. Bei der Wahl zum Tier des Jahres 2026 konnten neben den Spenderinnen und Spendern zum ersten Mal alle Naturinteressierten im Rahmen einer Online-Wahl ihre Stimme abgeben. Mehr Infos zum Tier des Jahres: www.DeutscheWildtierStiftung.de/Naturschutz/Tier-des-Jahres
19.11.2025, Veterinärmedizinische Universität Wien
Eine Frage der Persönlichkeit: Neue Methode offenbart Charakter von Hunden
Die Forschung zur Persönlichkeit von Tieren hat in den letzten Jahren stark zugenommen, doch es ist unklar, inwieweit Ergebnisse von speziellen Testsituationen Persönlichkeit widerspiegeln, da diese nur einen kurzen Ausschnitt des Verhaltens zeigen. Eine aktuelle Studie des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni hat untersucht, inwieweit Persönlichkeitstests das natürlich Verhalten von freilaufenden Hunden erfassen und gezeigt, dass die speziellen Tests durchaus die Persönlichkeit von freilebenden Hunden messen und ihr Verhalten in Alltagssituationen vorhersagen.
Während es für die Untersuchung von Haushunden mehrere etablierte Instrumente gibt, sind ihre freilebenden Artgenossen trotz ihres Anteils von rund 80 % an der weltweiten Hundepopulation noch weitgehend unerforscht. Da die Sozialisierung und Ausbildung durch den Menschen wahrscheinlich die Entwicklung von Haushunden beeinflusst, könnte dies möglicherweise das natürliche Persönlichkeitsspektrum der Spezies verzerren.
In ihrer nun in iScience veröffentlichten Studie haben die an der Vetmeduni tätigen Forscherinnen zwei sich ergänzende Methoden zur Bewertung von drei Persönlichkeitsmerkmalen genutzt und validiert: menschenbezogene Geselligkeit, artbezogene Geselligkeit und Erkundungsverhalten. 201 freilebende Hunde aus der marokkanischen Region Souss-Massa wurden mit den beiden Methoden bewertet. Dazu Studien-Erstautorin Urša Blenkuš vom KLIVV: „Die erste Methode basierte auf der Beobachtung der Hunde in ihrer alltäglichen Umgebung, während die zweite einen strukturierten Verhaltenstest umfasste. In diesem Test wurde jedem Hund nacheinander ein unbekannter Mensch, ein Hundemodell und ein neuartiges Objekt präsentiert, um seine Reaktionen in verschiedenen sozialen und explorativen Kontexten zu bewerten.“
Neu entwickelte Messmethoden liefern stabile und konsistente Ergebnisse
Beide Methoden zeigten, dass selbst nach mehreren Wochen Abstand, dieselben Verhaltensweisen gemessen wurden – also eine hohe zeitliche Stabilität. Das deutet laut den Wissenschafterinnen darauf hin, dass die Messinstrumentarien konsistente Aspekte der individuellen Persönlichkeit über einen längeren Zeitraum hinweg erfassten. Die Forscherinnen fanden heraus, dass die Ergebnisse beider Methoden sich stark ähneln, unabhängig vom Kontext. Das zeigt, dass die Persönlichkeit von freilaufenden Hunden zuverlässig gemessen werden kann.
Richtungsweisend für künftige Persönlichkeitsforschung an wildlebenden Tieren
„Unsere Ergebnisse belegen, dass Persönlichkeitsmerkmale bei freilaufenden Hunden zuverlässig gemessen werden können“, betont Urša Blenkuš. Zudem konnte die Studie nachweisen, dass lange und komplexe experimentelle Tests auch in störungsanfälligen Umgebungen durchführbar sind – und somit nicht auf experimentelle Settings beschränkt sind. „Die Erkenntnisse unserer Studie sind ein wichtiger Schritt in der Erforschung der Persönlichkeit von wildlebenden Tieren. Unsere Forschungsarbeit ebnet den Weg für die Einbeziehung freilaufender Populationen in umfassendere Studien zur Persönlichkeit und fördert unser Verständnis der Verhaltensökologie solcher Tierarten“, so Urša Blenkuš.
Originalpublikation:
Der Artikel „Personality Traits in Free-Ranging Dogs: Do Experimental Tests Mirror Natural Behaviour?“ von Urša Blenkuš, Friederike Range, Debora Prince, Corisande Abiven, Giulia Cimarelli und Sarah Marshall-Pescini wurde in „iScience“ veröffentlicht.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2589004225021170?via%3Dihub
20.11.2025, Universität Wien
Bisherige Annahmen widerlegt: Artenrückgang statt Artenzunahme bei Haien und Rochen
Überraschender Langzeit-Rückgang enthüllt dringende Schutzprioritäten, etwa Erhalt und die Wiederherstellung vielfältiger Küstenlebensräume
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Wien hat die Entwicklung der Artenvielfalt von Haien und Rochen über die vergangenen 100 Millionen Jahre untersucht. Die überraschenden Ergebnisse zeigen einen kontinuierlichen Rückgang der Vielfalt seit dem Eozän vor 45 Millionen Jahren – entgegen der bisherigen Annahme einer stabilen oder sogar zunehmenden Artenvielfalt. Die Studie, die aktuell im renommierten Fachjournal Scientific Reports erschien, liefert wichtige Erkenntnisse für den modernen Meeresschutz.
Was können uns fossile Haie und Rochen über die heutige Biodiversitätskrise verraten? Diese Frage stellte sich das Forschungsteam um Manuel A. Staggl vom Institut für Paläontologie der Universität Wien. „Knorpelfische, zu denen auch die heute lebenden Haie und Rochen gehören, gibt es seit über 400 Millionen Jahren auf unserem Planeten. Sie haben in dieser Zeit mehrere Massenaussterbeereignisse überlebt, doch heute ist über ein Drittel der Neoselachier (Gruppe der modernen Haie und Rochen) vom Aussterben bedroht“, erklärt Manuel Staggl. „Um wirksame Schutzmaßnahmen zu entwickeln, müssen wir verstehen, welche Umweltfaktoren ihre Vielfalt in der Vergangenheit beeinflusst haben.“
Blick in die Vergangenheit zeigt aktuelle Bedrohungen
Die Forschenden analysierten dazu umfangreiche Fossiliendaten und verglichen diese mit historischen Umweltbedingungen wie Temperatur, CO₂-Gehalt und Verfügbarkeit von Lebensräumen. Die überraschenden Ergebnisse werfen ein völlig neues Licht auf die Evolutionsgeschichte dieser erfolgreichen Meeresräuber.
Dinosaurier-Aussterben war für Haie und Rochen weniger dramatisch als gedacht
Die Widerstandsfähigkeit von Haien und Rochen zeigt sich besonders deutlich bei vergangenen Katastrophen. Eines der verblüffendsten Erkenntnisse: Das berühmte Massenaussterben nach dem Asteroideneinschlag vor 66 Millionen Jahren, welches die großen Dinosaurier und viele andere Arten auslöschte, hatte auf Haie und Rochen nur geringe Auswirkungen. „Diese Tiere erwiesen sich als erstaunlich widerstandsfähig und erholten sich schnell von der Katastrophe“, so Nachwuchswissenschafter Staggl. Die Artenvielfalt von Haien und Rochen erreichte ihren absoluten Höhepunkt erst später im Eozän, vor etwa 45 Millionen Jahren, als es deutlicher wärmer war als heute. Seitdem ging die Artenvielfalt der Haie und Rochen zurück, wobei in der Studie mehrere Ursachen dafür ausgemacht werden konnten.
Flache Küstengebiete sind Hotspots der Artenvielfalt
Als entscheidender Faktor für die Entwicklung neuer Hai- und Rochenarten in den vergangenen 66 Millionen Jahren erwies sich die Verfügbarkeit von Lebensräumen. Besonders wichtig dabei seien flache, artenreiche Küstenlebensräume. „Je mehr unterschiedliche flache Meeresgebiete verfügbar waren, desto mehr Arten entwickelten sich“, erklärt Jürgen Kriwet, Leiter der Evolutionary Morphology Research Group am Institut für Paläontologie. „Das ist allerdings gleichzeitig besonders besorgniserregend, da genau diese Lebensräume heute durch Küstenverbauung, Klimaerwärmung, Verschmutzung und nicht nachhaltige Fischerei bedroht sind“, so der Paläontologe.
Die Rolle des Kohlendioxids (CO₂) erwies sich komplexer als bisher angenommen. So ergaben die Analysen durchaus überraschend, dass moderate CO₂-Werte in der Atmosphäre sich tendenziell positiv auf die Artenvielfalt von Haien und Rochen auswirkten: „Vereinfacht gesagt sorgt CO₂ für mehr Photosynthese der Algen und Seegraswiesen. Das wirkt sich auf die restliche Nahrungskette und schlussendlich auf Haie und Rochen positiv aus“, erklärt Kriwet. Stiegen die CO₂-Werte jedoch zu hoch, wurden die marinen Ökosysteme insgesamt geschädigt, wie Staggl und sein Team bereits in einer vorangegangenen Studie zeigen konnten. „Kurz zusammengefasst: Moderate CO₂-Werte waren in der Vergangenheit positiv für die Biodiversität von Haien und Rochen, zu hohe Werte jedoch schädlich. Dies unterstreicht die Gefahr der aktuellen Ozeanversauerung durch den menschengemachten Klimawandel“, so Staggl.
Aktueller Wandel lässt den Arten keine Zeit für Anpassung
Die gegenwärtige Biodiversitätskrise – durch die Kombination aus Überfischung, Lebensraumzerstörung und rapidem Klimawandel – unterscheidet sich fundamental von allen früheren Bedrohungen: „Während Haie und Rochen in der Vergangenheit Zeit hatten, sich an Veränderungen anzupassen oder in andere Gebiete auszuweichen, geschieht der aktuelle Wandel viel zu schnell – insofern ist die heutige Situation beispiellos“, so Staggl. Besonders sehr spezialisierte Arten, wie Tiefseehaie, die an stabile, kalte Umgebungen angepasst sind, können mit den schnellen Veränderungen nicht Schritt halten und sind daher durch die rasche Erwärmung besonders gefährdet, zeigten Staggl und sein Team.
Die Erkenntnisse liefern insgesamt somit wichtige Anhaltspunkte für effektive Schutzstrategien: Oberste Priorität müsse der Erhalt und die Wiederherstellung vielfältiger Küstenlebensräume haben. Gleichzeitig sei es zwingend notwendig, die CO₂-Emissionen drastisch zu reduzieren, um die Ozeanversauerung zu begrenzen. „Unsere Studie zeigt, dass Meeresschutz nicht nur Fischfangquoten bedeutet – wir müssen die gesamten Lebensräume und das Klimasystem im Blick haben“, resümiert der Paläobiologe Staggl.
Originalpublikation:
Global environmental drivers shape cenozoic neoselachian diversity and identify modern conservation priorities: Manuel Andreas Staggl, Eduardo Villalobos Segura, Michael J. Benton & Jürgen Kriwet. In Scientific Reports.
DOI: 10.1038/s41598-025-25653-6
https://www.nature.com/articles/s41598-025-25653-6
21.11.2025, Ludwig-Maximilians-Universität München
Magnetsinn: Tauben nehmen Magnetfelder über ihr Innenohr wahr
Obwohl sich viele Tiere zur Orientierung auf das Magnetfeld der Erde verlassen, ist bislang unbekannt, wie sie magnetische Reize wahrnehmen und erkennen.
Mithilfe hochmoderner Mikroskopie-Verfahren haben Neurobiologen der LMU einen speziellen neuronalen Signalweg identifiziert, der für die Verarbeitung magnetischer Informationen aus dem Innenohr zuständig ist.
Die Experimente bestätigen einen induktiven Mechanismus, der bereits vor über 100 Jahren erstmals postuliert wurde, dann aber in Vergessenheit geriet.
Im Jahr 1882 gehörte der französische Naturforscher Camille Viguier zu den Ersten, die die Existenz eines magnetischen Sinnes vermuteten. Seine Vermutung erwies sich als richtig: Viele Tiere – von Fledermäusen über Zugvögel bis hin zu Meeresschildkröten – nutzen das Magnetfeld der Erde zur Orientierung. Doch trotz jahrzehntelanger Forschung wissen Wissenschaftler noch immer erstaunlich wenig über den Magnetsinn. Wie nehmen Tiere Magnetfelder wahr? Welche Schaltkreise im Gehirn verarbeiten diese Informationen? Und wo im Körper befindet sich dieses sensorische System?
Viguier stellte die gewagte These auf, dass die magnetische Wahrnehmung im Innenohr auf der Erzeugung kleiner elektrischer Ströme beruhen könnte. Die Idee wurde ignoriert und geriet in Vergessenheit – eine historische Überlegung, die im Laufe der Zeit verloren ging. Heute, mehr als ein Jahrhundert später, wurde sie von Neurowissenschaftlern der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) in einem im Fachmagazin Science veröffentlichten Artikel wieder aufgegriffen. Ein Team unter der Leitung von Professor David Keays untersuchte die Gehirne von Tauben, die Magnetfeldern ausgesetzt waren, mit einem unvoreingenommenen Ansatz.
„Dank modernster Mikroskopie konnten wir spezielle Schaltkreise identifizieren, die magnetische Informationen verarbeiten. Darüber hinaus lieferte sie einen entscheidenden Hinweis auf die Lage der primären Magnetsensoren.“ Die Doktoranden Grégory Nordmann und Spencer Balay beobachteten eine starke Aktivierung in einer Hirnregion namens Vestibularkern, die mit dem Innenohr verbunden ist. Die genetische Analyse des Innenohrgewebes ergab Zellen mit hochempfindlichen elektrischen Sensoren, wie sie auch Haie zur Ortung ihrer Beute verwenden.
„Die von uns beschriebenen Zellen sind ideal dafür geeignet, Magnetfelder mithilfe elektromagnetischer Induktion zu erkennen – so finden Tauben ihren Weg nach Hause nach dem gleichen physikalischen Prinzip, das auch das kabellose Laden von Mobiltelefonen ermöglicht.“ In beiden Fällen wird ein Magnetimpuls in ein elektrisches Signal umgewandelt. Bei Tauben ermöglicht dies die Nutzung ihres natürlichen GPS.
Die Forscher betonen, dass dies wahrscheinlich nicht die einzige Strategie zur Magnetfeldwahrnehmung in der Natur ist. „Unsere Daten deuten darauf hin, dass es im Innenohr einen sogenannten ‚dunklen Kompass‘ gibt, während andere Studien auf einen lichtabhängigen Kompass im visuellen System hinweisen“, erklärt Keays. „Aller Wahrscheinlichkeit nach hat sich die Wahrnehmung von Magnetfeldern in verschiedenen Organismen konvergent entwickelt. Es gibt also noch viel zu entdecken!“
Publikation
Gregory C. Nordmann, Spencer D. Balay et al.: A global screen for magnetically induced neuronal activity in the pigeon brain. Science 2025
https://www.science.org/doi/10.1126/science.aea6425
21.11.2025, Deutsche Wildtier Stiftung
Klimawandel, Fressfeinde und Menschen: Bedrohlicher Dreiklang für den Alpenschneehasen
Von braun auf weiß: So wandelt der Alpenschneehase in den Herbstmonaten seine Fellfarbe – ein Überlebensvorteil in verschneiter Landschaft. Bis Mitte November haben die meisten Alpenschneehasen diesen Wechsel von Sommer- auf Winterfell abgeschlossen. In ihrem Lebensraum in Höhen ab etwa 1.300 Metern müsste es ab dann eigentlich flächendeckend schneien – daran haben sich die Tiere im Laufe zehntausender Jahre angepasst.
Seit vielen Jahren aber sinken die Zahl der Schneetage sowie die Schneehöhe in den Alpen aufgrund des Klimawandels. In den Schweizer Alpen haben Wissenschaftler laut einer kürzlich veröffentlichten Studie in den letzten 70 Jahren einen Rückgang der Schneehöhe von acht Zentimetern pro Jahrzehnt gemessen. Und so kommt es immer häufiger vor, dass der Hase als leuchtend weißer Farbtupfer in der braunen Berglandschaft sitzt. „Er selbst ist sich offensichtlich nicht bewusst, wie es um seine Fellfarbe bestellt ist und dass er so auffällt“, sagt Prof. Klaus Hackländer, Wildtierbiologe und Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung. Unwissenheit, die das Tier des Jahres 2025 manchmal mit dem Tod bezahlt: Am Tag und auch in mondhellen Nächten sind Schneehasen für Fressfeinde wie Füchse und Greifvögel gut sichtbare Beute.
Zwar können sich Wildtierarten an sich verändernde Umweltbedingungen anpassen. Der irische Schneehase beispielweise hat sein einst weißes Winterfell im Laufe der Zeit dauerhaft gegen ein braunes getauscht – eine perfekte Tarnung in Irlands Landschaft. „Aber solche evolutionären Anpassungen dauern ihre Zeit und sind für den Alpenschneehasen angesichts des rasanten Klimawandels vermutlich nicht erreichbar“, sagt Hackländer.
Neben den Folgen des Klimawandels und der Gefahr durch natürliche Feinde setzen dem Alpenbewohner auch menschliche Störungen zu. Wintersportler dringen immer weiter in die Rückzugsräume der Tiere vor. Schneeschuhwanderer und Skitourengeher sind dort unterwegs, wo die Hasen im Winter Ruhe suchen sowie Nahrung wie Fichtennadeln, Gräser, Moose und Rinde von Sträuchern finden. Studien zeigen, dass wiederholte Störungen durch Menschen die Stresshormonwerte im Blut der Schneehasen deutlich erhöhen können. Langfristig schwächt das ihr Immunsystem und kann sich sogar negativ auf das Überleben und die Fortpflanzung auswirken.
Anders als die Auswirkungen des Klimawandels, kann diese Bedrohung des Alpenschneehasen kurzfristig eingedämmt werden. „Schutzgebiete, in denen der Hase ungestört bleibt, senken den Stress und können die Anzahl der Nachkommen von vielleicht zwei auf drei Würfe im Jahr erhöhen. Solche Flächen können damit für sein Überleben entscheidend sein“, sagt Wildtierbiologe Hackländer. Die Deutsche Wildtier Stiftung plädiert daher für mehr Rückzugsräume und Ruhephasen für den Alpenschneehasen – und andere Wildtiere in den Alpen.
