Zu den Keilschwanzsittichen gehört der einzige Papagei, welcher in Nordamerika vorkommt und deswegen nach einem Theile seiner Heimat Karolinasittich genannt wurde (Conurus carolinensis und ludovicianus, Psittacus carolinensis, ludovicianus, luteocapillus und thalassinus, Aratinga carolinensis und ludoviciana, Arara und Centurus carolinensis, Sittace ludoviciana). Seine Länge beträgt zweiunddreißig, die Breite fünfundfunfzig, die Fittiglänge achtzehn, die Schwanzlänge funfzehn Centimeter. Hauptfärbung ist ein angenehmes dunkles Grasgrün, welches wie gewöhnlich auf dem Rücken dunkler, auf der Unterseite gelblicher ist; Stirn und Wangen sind röthlichorange, und dieselbe Farbe zeigt sich auch auf dem Hinterkopfe, den Schultern und Schwingen, wogegen der Nacken rein goldgelb ist. Die großen Flügeldeckfedern sind olivengrün mit gelblicher Spitze, die Schwingen dunkel grasgrün, innen tief purpurschwarz, die letzen Armschwingen und die Schulterfedern in der Endhälfte olivenbräunlichgrün, die Schwanzfedern dunkelgrün, in der Nähe des Schaftes blau, innen schwärzlich graugelb gesäumt, unterseits dunkel graugelb, außen schwärzlich. Der Augenstern ist graubraun, der Schnabel hornweißlich fahl, der Fuß gelblich fleischfarben. Der weibliche Vogel ist blasser gefärbt, und der junge bis auf den orangenen Vorderkopf einfarbig grün.
Der Karolinasittich kam vormals in Nordamerika bis zum zweiundvierzigsten Grade nördlicher Breite vor und schien das dort oft recht rauhe Wetter wohl zu vertragen. Wilson versichert, höchlich überrascht gewesen zu sein, während eines Schneesturmes des Februar einen Flug dieser Vögel laut schreiend längs der Ufer des Ohio dahinfliegen zu sehen. Dann und wann begegnet man einzelnen auch noch nördlicher, selbst in der Nähe Albanys. Diese Verhältnisse haben sich inzwischen sehr geändert. Schon Audubon bemerkt in seinem trefflichen Werke, welches im Jahre 1831 erschien, daß der Karolinasittich ungemein rasch abnehme und in einigen Gegenden, welche er fünfundzwanzig Jahre früher massenhaft bewohnte, kaum noch gefunden werde, ja daß man längs des Mississippi zur angegebenen Zeit kaum noch die Hälfte von denen beobachte, welche funfzehn Jahre früher dort gelebt hätten. Die Verminderung ist stetig weitergeschritten. »Hunderte dieser Prachtvögel«, klagt Allen, »werden in jedem Winter am oberen St. Johnsflusse von handwerksmäßigen Vogelstellern gefangen und nach den nördlichen Städten gesandt, tausende von anderen unnützer Weise von Jägern getödtet.« In Anbetracht dieser unnützen Schlächtereien fürchtet Boardman mit Recht, daß der Karolinasittich in kurzer Zeit gänzlich ausgerottet werden möge. Manche Jäger erlegen vierzig bis funfzig Stück mit wenigen Schüssen, einzig und allein zu ihrem Vergnügen, indem sie die treue Anhänglichkeit der Vögel mit ihrem Tode lohnen und einen nach dem anderen, von denen welche zu den gefallenen herbeifliegen, herabschießen, bis der ganze Flug vernichtet ist. Ihre räuberischen Einfälle in den Feldern ziehen ihnen außerdem die Verfolgung der Landwirte zu. So kann es niemand Wunder nehmen, daß der Karolinasittich aus weiten Strecken der Vereinigten Staaten verschwunden ist. Im Gegentheile, diese Thatsachen deuten nur zu verständlich auf das zukünftige Schicksal des Vogels, welches kein anderes sein wird als seine gänzliche Vernichtung. Glücklicherweise gibt es jedoch innerhalb des ausgedehnten Heimatgebietes unseres Sittichs immer noch Oertlichkeiten, wo er sich eines verhältnismäßig wenig angefochtenen Daseins erfreut. Noch lebt er in Florida, Illinois, Arkansas, Kansas, Nebraska, Michigan und Missouri, und noch kommt er, wie die Forschungen Haydens ergeben haben, in den dichtbewaldeten Thälern des Missourigebietes, nach Norden hin bis zum Fort Leavenworth, möglicherweise bis zur Mündung des Platte unter dem einundvierzigsten Grade im Norden vor. In den Waldungen um die großen Ströme Indianas und des östlichen Texas begegnet man ihm noch häufig; im östlichen Kansas aber ist er neuerdings nicht mehr beobachtet worden. Bevorzugte Wohnplätze von ihm sind alle Gegenden, deren reicher Boden mit einem Unkraute, Runzelklette genannt, bewachsen ist, weil dessen Kapseln ihm ungeachtet der dichten Bewaffnung mit langen Stacheln nicht unangreifbar sind und eine gesuchte Nahrung liefern.
Nebenbei fällt er freilich auch massenhaft in die Pflanzungen ein und thut hier oft großen Schaden, weil er weit mehr verwüstet, als er frißt. Ueber Lebensweise und Betragen unserer Vögel haben wir durch Wilson, Audubon und Prinz von Wied ausführliche Berichte erhalten.
»Der Karolinasittich«, sagt Audubon, »begnügt sich keineswegs mit Runzelkletten, sondern frißt oder zerstört die verschiedensten Arten von Früchten und ist deswegen der unwillkommenste Besucher für den Pflanzer, den Bauer oder den Gärtner. Die Getreidefeimen in den Feldern werden oft von Flügen dieser Vögel besucht, welche dieselben so vollständig bedecken, daß die Haufen den gleichen Anblick gewähren, als wenn sie mit einem glänzend gefärbten Teppiche überdeckt wären. Sie hängen sich rund herum am Feimen auf, ziehen das Stroh heraus und zerstören zweimal so viel von den Körnern, als zur Stillung ihres Hungers genügen würden. Sie überfallen Birnen- und Apfelbäume, wenn die Frucht noch sehr klein und unreif ist, und zwar hauptsächlich der Samenkerne wegen. Ebenso, wie im Kornfelde, fallen sie haufenweise auf den Obstbäumen im Garten ein, pflücken eine Frucht, öffnen sie an einer Stelle, nehmen die weichen und milchigen Kerne heraus, werfen sie zu Boden, pflücken eine andere und gehen so von Zweig zu Zweig, bis der Baum, welcher vorher so versprechend aussah, seiner Früchte völlig ledig ist. Den meisten übrigen Früchten bringen sie eben solchen Schaden; nur der Mais zieht niemals ihre Aufmerksamkeit auf sich. Es versteht sich von selbst, daß diese Uebergriffe in die Gerechtsame des Pflanzers von diesem gerächt und den Papageien förmliche Schlachten geliefert werden. Oft fällt ein einziger Schuß ihrer zehn oder zwanzig; aber die überlebenden kehren doch immer und immer wieder zu demselben Orte zurück: so habe ich erfahren, daß mehrere hunderte dieser Vögel in wenig Stunden erlegt wurden.«
»Der Karolinapapagei«, erzählt Wilson, »ist ein sehr geselliger Vogel, welcher seinesgleichen die treueste Anhänglichkeit in Freud und Leid beweist. Wenn man unter einen Flug von ihnen schießt und einen verwundet, kehrt die Gesellschaft augenblicklich zu diesem zurück, umschwärmt ihn unter lautem, ängstlichem Geschrei, in der Absicht, ihm Hülfe zu leisten, und läßt sich auch wohl auf dem nächsten Baume davon nieder. Auch die nachfolgenden Schüsse verändern dann ihr Betragen nicht; sie scheinen vielmehr die Aufopferung der anderen zu erhöhen, welche immer näher und rücksichtsloser die gefallenen klagend umfliegen. Ihre Geselligkeit und gegenseitige Freundschaft zeigt sich auch oft wie bei den Unzertrennlichen: der eine putzt und kratzt den anderen, und dieser erwidert dieselben Liebkosungen; das Pärchen sitzt immer dicht nebeneinander usw.
Schwerlich kann es einen auffallenderen Gegensatz geben, als den raschen Flug der Karolinapapageien, verglichen mit ihrem lahmen, unbehülflichen Gange zwischen den Zweigen und noch mehr auf dem Boden. Im Fluge ähneln sie sehr den Tauben. Sie halten sich in geschlossenen Schwärmen und stürmen mit großer Schnelligkeit unter lautem und weitschallendem, spechtartigem Geschrei dahin, gewöhnlich in einer geraden Linie, gelegentlich aber auch in sehr anmuthig gewundenen Schlangenlinien, welche sie, wie es scheint, zu ihrem Vergnügen plötzlich und wiederholt verändern.
Ihre Lieblingsbäume sind die großen Sykomoren und Platanen, in deren Höhlungen sie Herberge finden. Ihrer dreißig und vierzig und zuweilen, namentlich bei strenger Kälte, noch mehr, schlüpfen oft in dieselbe Höhle. Hier hängen sie sich an den Seitenwänden wie die Spechte an, indem sie sich mit den Klauen und dem Schnabel anklammern. Es scheint, daß sie viel schlafen; wenigstens ziehen sie sich oft bei Tage in ihre Höhlen zurück, um einen kurzen Mittagsschlummer zu halten.
Eigenthümlich ist, daß sie gern Salz fressen. In der Nähe von Salinen sieht man sie immer in großer Anzahl, und hier bedecken sie ebensowohl den ganzen Grund als die benachbarten Bäume, manchmal in solcher Menge, daß man nichts anderes sieht als ihr glänzendes und schimmerndes Gefieder.«
In Anbetracht des regen Forschungseifers, welchen die nordamerikanischen Vogelkundigen bethätigen, erscheint es verwunderlich, daß wir über die Fortpflanzung des Karolinasittichs noch keineswegs genügend unterrichtet sind. Ridgway verweist in dieser Beziehung auf die Angaben Wilsons und Audubons und bemerkt ausdrücklich, daß kein anderer amerikanischer Schriftsteller besser unterrichtet sei als die beiden genannten. Nach Wilsons Erkundigungen brütet der Vogel, wie andere seinesgleichen, in Baumhöhlungen und zwar, wie unter Papageien üblich, ohne hier ein Nest zu errichten. Einige der Gewährsleute Wilsons bezeichneten die Eier als weiß, andere als getüpfelt. Ein Mann versicherte unserem Forscher, daß er in der Höhle eines gefällten Baumes Ueberbleibsel von mehr als zwanzig Papageieneiern und zwar in einem aus Zweigen hergestellten Neste gefunden habe. Aus allen diesen widersprechenden Angaben glaubte Wilson nur das eine feststellen zu können, daß mehrere Papageien gemeinschaftlich in einem Neste brüten. Diese offenbar falsche Ansicht wird von Audubon festgehalten. Seinen Forschungen zufolge benutzt der Karolinasittich dieselben Höhlungen, welche ihm als Schlafplätze dienen und legt seine zwei Eier einfach auf den Boden der Nisthöhle ab. Audubon glaubt ebenfalls an das gemeinschaftliche Legen mehrerer Papageienweibchen und klärt somit das Dunkel, welches über der Fortpflanzungsgeschichte des Vogels schwebt, noch keineswegs auf. Wie schwierig es für den nordamerikanischen Naturforscher sein muß, Eier des Karolinasittichs zu erhalten, geht wohl am besten daraus hervor, daß Nehrkorn von einem der bekanntesten Eierkundigen der Vereinigten Staaten befragt wurde, ob es nicht möglich sei, aus Deutschland in der Gefangenschaft gelegte Eier des Vogels zu verschaffen. Der Thiergarten in Hannover erwies sich als ergiebige Bezugsquelle und konnte die Wünsche des Amerikaners erfüllen. Aus den über das Brutgeschäft unseres Vogels in besagtem Thiergarten veröffentlichten Mittheilungen geht hervor, daß der Karolinasittich in einem passenden Nistkasten auf einer Unterlage von abgeklaubten Holzspänen im Juni zwei Eier legte. Der größte Durchmesser derselben beträgt zweiunddreißig, der kleinste dreißig Millimeter. Sie sind demgemäß fast kugelig, schneeweiß und ungemein stark glänzend, nach Versicherung kundiger Sammler wesentlich von denen anderer Papageien abweichend.
Ueber das Gefangenleben theilt Wilson folgendes mit: »Neugierig, zu erfahren, ob der Papagei sich leicht zähmen lasse oder nicht, beschloß ich, einen am Flügel leicht verwundeten in meine Pflege zu nehmen. Ich bereitete ihm eine Art von Bauer am Sterne meines Bootes und warf ihm hier Kletten vor, welche er sofort nach seiner Ankunft an Bord annahm. Während der ersten Tage theilte er seine Zeit ziemlich regelmäßig ein in Schlafen und Fressen. Dazwischen benagte er die Stäbe seines Käfigs. Als ich den Strom verließ und über Land reiste, führte ich ihn in einem seidenen Schnupftuche mit mir, ungeachtet aller Beschwerde, welche ein derartiges Beginnen nothwendigerweiße mit sich brachte. Die Wege waren damals unter aller Beschreibung schlecht: es gab gefährliche Bäche und Flüsse zu durchschwimmen, ganze Meilen im Moraste oder im Dickichte zurückzulegen und andere Hindernisse zu besiegen. Sehr häufig entkam der Papagei aus meiner Tasche, zwang mich, vom Pferde abzusteigen und ihn in dem Dickichte oder Moraste wieder aufzusuchen. Bei solchen Gelegenheiten dachte ich oft daran, ihn im Stiche zu lassen; doch führte ich meinen Vorsatz niemals aus. Wenn wir nachts zusammen in den Wäldern lagerten, setzte ich ihn auf mein weniges Gepäck neben mich; am anderen Morgen nahm ich ihn wieder auf. Auf diese Weise habe ich ihn mehr als tausend Meilen mit mir geführt. Als ich in die Jagdgründe der Indianer kam, wurde ich regelmäßig von diesen Leuten umringt, von Männern, Frauen und Kindern, welche unter lautem Lachen und anscheinend verwundert meinen neuen Gefährten betrachteten. Die Chickasaws nannten ihn in ihrer Sprache ›Kelinky‹, änderten diesen Namen aber sofort um, als sie hörten, daß ich den Papagei ›Polly‹ benamset hatte. Ja, Polly wurde später immer das Mittel zur Befreundung zwischen mir und diesem Volke. Nachdem ich bei meinem Freunde Dunbar angekommen war, verschaffte ich mir einen Käfig und letzte diesen unter den Vorbau des Hauses. Hier rief mein Gefangener sehr bald die vorübereilenden Flüge herbei, und tagtäglich sahen wir nunmehr zahlreiche Scharen um unser Haus herum, welche die lebhafteste Unterhaltung mit Polly begannen. Einen von ihnen, welcher ebenfalls leicht am Flügel verwundet worden war, steckte ich in Pollys Käfig, zum größten Vergnügen der bisher vereinsamten. Sie näherte sich ihm augenblicklich, flüsterte ihm ihre Theilnahme an seinem Unglücke zu, streichelte ihm mit dem Schnabel Haupt und Nacken und schloß sich ihm überhaupt aufs innigste an. Der Neuling starb, und Polly war mehrere Tage lang ruhelos und untröstlich. Ich brachte nun einen Spiegel neben den Platz, wo sie gewöhnlich saß; sie erschaute ihr Bild, und ihre frühere Glückseligkeit schien zurückzukehren: sie war wenigstens eine zeitlang außer sich vor Freude. Rührend war es, zu sehen, wie sie, wenn der Abend sich nahete, ihr Haupt hart an das Bild im Spiegel legte und dann ihre Befriedigung durch flüsternde Rufe ausdrückte. Nach kurzer Zeit kannte sie den ihr beigelegten Namen und antwortete, wenn sie angerufen wurde. Sie kletterte auch auf mir herum, setzte sich auf meine Schulter und nahm mir den Bissen aus dem Munde. Zweifellos würde ich ihre Erziehung ganz vollendet haben, hätte nicht ein unglücklicher Zufall sie um das Leben gebracht. Die arme Polly verließ eines Morgens, während ich noch schlief, ihren Käfig, flog über Bord und ertrank im Golfe von Mejiko.«
Der Prinz bestätigt im wesentlichen vorstehende Schilderung. Er fand die Vögel am Mississippi während der Frühjahrsmonate oft in ungeheueren Scharen, obwohl sie von ihren erbittertsten Feinden, den Pflanzern, arge Verfolgung erlitten. Am unteren Missouri wurden sie noch bemerkt, am oberen kamen sie nicht mehr vor. Indianer in der Nähe des Fort Union trugen Felle dieser Vögel als Zierath am Kopfe. Die Gefangenen, welche der Prinz hielt, nahmen sogleich Nahrung an und wurden auch bald zahm. Anfangs bissen sie allerdings denjenigen, welcher sie angriff; bald aber gewöhnten sie sich an den Menschen. Ein Gefangener des Prinzen endete ebenfalls auf traurige Weise. Er war in der kalten Jahreszeit gefangen worden und suchte im Zimmer sehnsüchtig die Wärme, anfänglich die Sonnenstrahlen, später die Nähe des Kamins. Aber das Feuer wurde ihm verderblich; denn die Hitze bewirkte eine Gehirnentzündung, an welcher er zu Grunde ging.
In den letzten Jahren wurden so viele Karolinasittiche lebend auf unseren Thiermarkt gebracht, daß ihr Preis in kurzer Zeit bis auf wenige Mark unseres Geldes herabsank. Seitdem sieht man gefangene Vögel dieser Art in allen Thiergärten und in den Käfigen vieler Liebhaber. Einer von diesen, welcher sehr viel, aber gehaltlos schreibt, bezeichnet den Karolinasittich als »unverbesserlich dummscheu« und beweist damit nur das eine, daß ihm jede Fähigkeit zum Beobachten abgeht. Rey sieht sich veranlaßt, einiges zur Ehrenrettung des Vogels mitzutheilen. »Schon seit längeren Jahren«, sagt er, »halte ich neben anderen Papageien auch Karolinasittiche, welche sich trotz ihres allerdings nicht gerade angenehmen Geschreies und trotz ihres unersättlichen Appetits auf Fensterkreuze meine Zuneigung durch andere, höchst liebenswürdige Eigenschaften in dem Grade erworben haben, daß ich mich niemals entschließen konnte, sie abzuschaffen. Schon nach kurzer Zeit hatten sich diese Vögel so an mich gewöhnt, daß sie mir beispielsweise ohne weiteres auf die Hand oder den Kopf flogen, wenn ich ihnen eine Wallnuß, welche sie besonders gern fressen, vorhielt. Nahm ich dabei die Nuß so, daß sie von der Land völlig bedeckt wurde, so blieben die Vögel ruhig auf ihrem Beobachtungsposten. Zerbrach ich aber die Nuß in der Hand, ohne sie dabei sehen zu lassen, so rief sie das dadurch entstandene Knacken sofort herbei. Später als ich diese Papageien in ein Gebauer brachte, gaben sie mir noch mehr Gelegenheit, ihre hohe geistige Begabung näher kennen zu lernen. Eine ihrer gewöhnlichsten Untugenden bestand darin, das Wassergefäß, nachdem ihr Durst gestillt war, sofort um- oder zur Thüre des Bauers hinaus auf die Erde zu werfen, wobei sie auf die unzweideutigste Weise ihre Freude an den Tag legten, wenn ihre Schelmerei den gewünschten Erfolg hatte, d.h. wenn das Wassergefäß dabei zerbrach. Alle Versuche, letzteres zu befestigen oder die Thüre des Käfigs zuzuhalten, scheiterten an dem Scharfsinne der Vögel, so daß jede darauf bezügliche Vorrichtung sehr kurze Zeit ihrem Zwecke entsprach, weil die Papageien nur zu bald begriffen, wie der Widerstand zu beseitigen sei und so, Dank der unverdrossenen Bemühung, immer sehr schnell im Stande waren, ihr Vorhaben auszuführen. Da ich auf diese Weise nichts erreichte, schlug ich einen anderen Weg ein, indem ich die Vögel jedesmal, wenn ich sie bei solcher Ungezogenheit erwischte, mit Wasser bespritzte. Es gewährte einen unbeschreiblich komischen Anblick, wenn sie sich verstohlener Weise über die vorzunehmende Unthat zu verständigen suchten und gemeinschaftlich vorsichtig die Schiebethüre des Käfigs öffneten, indem der eine unten den Schnabel als Hebebaum einsetzt und der andere an der Decke des Käfigs hängt und die Thüre mit aller Anstrengung festhält, bis sein Gefährte dieselbe von unten wiederum ein neues Stück gehoben hat. Ist dann nach kurzer Zeit die entstandene Oeffnung groß genug, um den unten beschäftigten herauszulassen, so lugt er erst mit weit vorgestrecktem Halse hervor, bis er mich an meinem Schreibtische sitzen sieht. Hat er sich nun überzeugt, daß ich nichts bemerkte, so holt er ganz vorsichtig den Wassernapf herbei und dieser geht dann, wenn ich nicht schnell einschreite, demselben Schicksale entgegen wie so mancher seiner Vorgänger. Habe ich sie ruhig gewähren lassen, oder war ich während der Ausführung nicht zugegen, so bekunden sie durch ihr ganzes Wesen das deutliche Bewußtsein ihres begangenen Unrechtes, sobald ich mich zeige.
Was mir jedoch vor allem anderen diese Papageien lieb und werth macht, ist der Umstand daß es mir geglückt ist, sie ohne Schwierigkeit an Aus- und Einfliegen zu gewöhnen. Sie treiben sich manchmal von morgens neun Uhr bis gegen Abend, wenn es anfängt zu dunkeln, im Freien umher und kommen nur dann und wann, um auszuruhen oder um Nahrung zu sich zu nehmen, in ein Fenster meines Arbeitszimmers, in welchem ich ihnen eine Sitzstange angebracht habe. An einzelnen Tagen fliegen sie wenig und halten besonders um die Mittagszeit einige Stunden Ruhe. Früh morgens unternehmen sie die weitesten Ausflüge, und des Abends, wenn sie schlafen wollen, kommen sie an ein anderes Fenster am entgegengesetzten Ende meiner Wohnung, in dessen Nähe ihr Käfig seit längerer Zeit steht. Finden sie dieses Fenster verschlossen, so erheben sie ein wahrhaft fürchterliches Geschrei oder suchen sich durch Klopfen an die Scheiben Einlaß zu verschaffen. Ist jedoch zufällig niemand in jenem Zimmer anwesend, so nehmen sie auch wohl ihren Weg durch das ersterwähnte Zimmer und durch mehrere andere, um an ihren Schlafplatz zu gelangen.
Der Flug selbst ist leicht und schön. Oft stürzen sie sich fast senkrecht von ihrem Sitze im Fenster auf die Straße hinab und fliegen dicht über dem Fenster einher, oder sie erheben sich auch wohl über die höchsten Häuser, weite Kreise beschreibend. Fliegen sie nur kurze Strecken, so ist der Flug meist flatternd, bei größeren Ausflügen, welche oft zwanzig bis fünfundzwanzig Minuten dauern, mehr schwebend und pfeilschnell. Wenn sie so mit rasender Schnelligkeit am Fenster vorbeifahren und blitzschnell hart um eine Hausecke biegen oder senkrecht an einer Wand herauf- und herabfliegen, wird man sehr deutlich an den Flug unserer Edelfalken erinnert. Werden sie von anderen Vögeln verfolgt, so wissen sie diese gewöhnlich durch raubvogelartige Stöße zu verscheuchen. Besonders mit den Thurmseglern waren sie fast immer in Neckereien verwickelt. Ein Sperling war einmal so verblüfft über die bunten Fremdlinge, daß er längere Zeit wie gebannt den einen Papagei verfolgte, sich neben ihn setzte und die seltene Erscheinung anstarrte, als dieser zum Fenster zurückgekehrt war, auch solches Spiel mehrmals wiederholte, ohne mich zu bemerken, der ich noch mit einem anderen Herrn am geöffneten Fenster stand.
Selbstverständlich erregt jedoch das Umherfliegen von Papageien nicht nur die gerechte Verwunderung unserer Vögel, sondern lenkt auch die Aufmerksamkeit der menschlichen Bevölkerung auf sich. Obgleich, besonders in der ersten Zeit, die liebe Jugend die Straße vor meinem Hause förmlich belagerte, und es dabei natürlich nicht an dem üblichen Lärm fehlte, so ließen sich doch meine Vögel durchaus nicht stören, sondern setzten ihre Flugübungen fort, ohne sich um die tobende Menge zu bekümmern.
Unter allen langschwänzigen Papageien, welche ich selbst gefangen hielt oder anderweitig in der Gefangenschaft beobachten konnte, stelle ich den Karolinasittich hinsichtlich seiner geistigen Fähigkeit obenan. Meiner Ansicht nach übertrifft er hierhin sogar viele der sonst hochbegabten Kurzschwänze. Zutraulich in der Weise wie die anderen Papageien, die Loris und Kakadus, wird er allerdings nie. Denn er bleibt immer ein mißtrauischer und vor allen Dingen ein sehr vorsichtiger Vogel. Die Bezeichnung ›dummscheu‹ aber will nun einmal für ihn unbedingt nicht passen.« Ichstimme hinsichtlich der Würdigung der geistigen Anlagen des Karolinasittichs mit Rey ziemlich überein. Ueber Vögel, welche, wie beschrieben, aus- und einflogen, vermag ich allerdings aus eigener Anschauung nicht zu urtheilen; in weiteren oder engeren Käfigen aber habe ich Karolinasittiche oft und viel beobachtet und immer gefunden, daß sie den klügsten und listigsten Papageien an die Seite gestellt werden dürfen. Daß solche Vögel mit der Zeit ebenso zahm werden wie andere ihrer Ordnung, kann für mich keinem Zweifel unterliegen. Es kommt solchem Falle immer auf die rechte Behandlung an.
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