Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

11.08.2025, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
Tropische Vogelpopulationen seit 1980 um ein Drittel reduziert, im Vergleich zu einer Welt ohne Klimawandel
Die Bestände tropischer Vögel haben sich seit 1980 im Vergleich zu einer Welt ohne Klimawandel um rund ein Drittel (25-38 Prozent) verringert. Grund dafür sind immer intensivere Hitzeextreme. Einzelne Arten haben sogar mehr als 50 Prozent ihres Bestands eingebüßt, konstatiert eine in Nature Ecology and Evolution veröffentlichten Studie unter Mitwirkung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), der University of Queensland und es Barcelona Supercomputing Center (BSC).
„Der Rückgang ist erschütternd“, kommentiert Hauptautor Maximilian Kotz, Gastwissenschaftler am PIK und Forscher am BSC, die Ergebnisse. „Vögel reagieren besonders empfindlich auf Dehydrierung und Hitzestress. Extreme Hitze führt zu erhöhter Sterblichkeit, geringerer Fruchtbarkeit, verändertem Brutverhalten und einer schlechteren Überlebenschance der Jungvögel.“ (Kurzvideo mit Leitautor Maximilian Kotz siehe hier: https://www.youtube.com/shorts/Gfx-UQU94jk).
Der Studie zufolge sind tropische Vögel heute zehnmal so viel extremer Hitze ausgesetzt wie noch vor vierzig Jahren: von durchschnittlich drei Tagen extremer Hitze pro Jahr auf dreißig Tage. Die Untersuchung verknüpft Beobachtungsdaten mit Modellen, um die Auswirkungen des Klimawandels auf Vogelpopulationen weltweit nachzuzeichnen – mit Schwerpunkt auf Hitze und Niederschlag.
Die stärksten Rückgänge fanden sich in den Tropen, doch nahezu jede Region verzeichnete Verluste. Dabei hatte die Zunahme extremer Hitze den größten Einfluss auf die Bestandsrückgänge. „Die steigenden Temperaturen drängen Arten in sehr kurzer Zeit aus den Lebensräumen, für die sie natürlich angepasst sind“, fügt Kotz hinzu.
Klimawandel ist wachsende Bedrohung für Artenvielfalt
Bislang war es schwierig, die Auswirkungen des Klimawandels auf die biologische Vielfalt von den Verlusten zu unterscheiden, die auf direktere menschliche Einflüsse wie die Abholzung zurückzuführen sind. Die vom Forschungsteam angewandten Methoden schafften es, dies zu leisten. Es zeigt sich, dass in den tropischen Regionen der niedrigeren Breitengrade die zunehmenden Hitzeextreme bereits einen größeren Einfluss auf den Verlust von Vogelpopulationen haben als die Abholzung und die Zerstörung von Lebensräumen.
Dies erklärt möglicherweise die jüngsten Beobachtungen in unberührten Regenwäldern im Amazonas und in Panama, wo ohne offensichtlichen Grund große Verluste bei Vogelarten dokumentiert wurden.
Was das für den Naturschutz bedeutet, erklärt Co-Autorin Tatsuya Amano von der University of Queensland: „Zusätzlich zu Schutzgebieten und einem Stopp der Abholzung müssen wir dringend Strategien angehen, um besonders hitzeanfälligen Arten Anpassungschancen zu bieten. Das kann auch Ex-situ-Maßnahmen umfassen – also das Betreuen von Populationen an anderen Standorten.“
PIK-Forscher Kotz abschließend: „Letztlich sind unsere Emissionen der Kern des Problems. Wir müssen sie so schnell wie möglich senken.“
Originalpublikation:
Kotz, M., Amano, T. & Watson, J. E. M. (2025): Large reductions in tropical bird abundance attributable to heat extreme intensification. Nature Ecology and Evolution. [DOI: 10.1038/s41559-025-02811-7]
https://www.nature.com/articles/s41559-025-02811-7

11.08.2025, Universität Bielefeld
Schädliche Gene mindern den Paarungserfolg bei Birkhühnern
Ein Forschungsteam unter der Leitung der Biologin Rebecca Chen von der Universität Bielefeld hat untersucht, wie bestimmte genetische Veränderungen den Fortpflanzungserfolg männlicher Birkhühner beeinflussen. Das zentrale Ergebnis: Nicht äußerlich sichtbare Merkmale wie ein farbenfrohes Gefieder bestimmen den Paarungserfolg, sondern das Verhalten. Männchen mit einer hohen Anzahl schädlicher Mutationen waren seltener an Balzplätzen (Leks) anzutreffen und verpassten dadurch entscheidende Chancen zur Fortpflanzung. Die Studie wurde nun im Fachjournal Nature Ecology & Evolution veröffentlicht.
„Die Studie kombiniert moderne genomische Analysen mit einem einzigartigen Langzeitdatensatz über das Leben wildlebender Birkhähne“, erklärt die Erstautorin Rebecca Chen, Doktorandin an der Universität Bielefeld. Die Forschenden analysierten das vollständige Erbgut von 190 Männchen und verglichen es mit langjährigen Beobachtungen zu deren Verhalten, Aussehen und Fortpflanzungserfolg.
Dabei fanden sie klare Hinweise darauf, dass bestimmte genetische Veränderungen, sogenannte deleteriöse Mutationen oder schädliche Veränderungen im Erbgut, den Fortpflanzungserfolg deutlich mindern. Eine der überraschenden Erkenntnisse: Nicht nur Mutationen, die von beiden Elternteilen vererbt wurden (homozygot), sondern auch solche, die nur von einem Elternteil stammen (heterozygot), hatten negative Auswirkungen. Das widerspricht früheren Annahmen, wonach viele dieser „halb vererbten“ Mutationen kaum eine Rolle spielen.
Mutationen in regulatorischen DNA-Abschnitten besonders schädlich
Besonders gravierend wirkten sich Mutationen in DNA-Abschnitten aus, die die Aktivität von Genen steuern, sogenannte regulatorische Regionen, insbesondere Promotoren. Diese Bereiche sind entscheidend dafür, dass Gene je nach Situation ein- oder ausgeschaltet werden. Wenn sie beeinträchtigt sind, fällt es den Tieren offenbar schwer, ihr Verhalten entsprechend anzupassen, zum Beispiel zu entscheiden, wann und wie häufig sie sich an einem Balzplatz zeigen, um um Weibchen zu konkurrieren.
„Diese Mutationen scheinen die Feinabstimmung von Verhaltensreaktionen zu stören“, sagt Chen. Und genau dieses Verhalten wird von den Weibchen beobachtet, um eine Entscheidung für einen Paarungspartner zu treffen, nicht unbedingt das Aussehen des Männchens. Die Ergebnisse liefern somit neue Einblicke darin, wie Tiere möglicherweise unbewusst die genetische Qualität potenzieller Partner einschätzen.
Neue Erkenntnisse durch interdisziplinäre Zusammenarbeit
Die Studie wurde im Rahmen des Joint Institute for Individualisation in a Changing Environment (JICE) durchgeführt, einer gemeinsamen Forschungsinitiative der Universität Bielefeld und der Universität Münster. „Unsere Arbeit zeigt, wie moderne genetische Analysen in Kombination mit langfristigen Felddaten neue Einsichten in die Evolution liefern können“, sagt der Letztautor Professor Dr. Joseph Hoffman.
Das 2021 gegründete JICE vereint Forschende aus Biologie, Philosophie, Sozial- und Umweltwissenschaften. Ziel ist es, individuelle Unterschiede bei Tieren und Menschen im Umgang mit sich verändernden Umweltbedingungen besser zu verstehen. Die aktuelle Studie spiegelt diesen Ansatz wider: Durch die Verknüpfung detaillierter genetischer Daten mit Verhaltens- und Umweltfaktoren trägt sie dazu bei, zu verstehen, warum manche Individuen in freier Wild-bahn erfolgreicher sind als andere.
Originalpublikation:
Rebecca Chen, Carl Soulsbury, Kosmas Hench, Kees van Oers, Joseph Hoffman: Predicted del-eterious mutations reveal the genomic mechanisms underlying fitness variation in a lekking bird. Nature Ecology & Evolution, https://doi.org/10.1038/s41559-025-02802-8.

11.08.2025, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Angola: Wildtierhandel bedroht Artenvielfalt und Gesundheit
Angola beheimatet eine beeindruckende Artenvielfalt – die Biodiversität des Landes ist jedoch stark durch illegale Jagd, den Verlust von Lebensräumen und den Konsum von Wildtierfleisch bedroht. Ein Forschungsteam, darunter Senckenberg-Wissenschaftler PD Dr. Raffael Ernst, hat den Wildtierhandel in der Provinz Uíge untersucht. Die Forschenden zeigen in ihrer im Fachjournal „Oryx“ veröffentlichten Studie, dass Wildtierfleisch ein wichtiger Bestandteil der lokalen Ernährung ist, jedoch auch eine erhebliche Bedrohung für gefährdete Arten und die menschliche Gesundheit darstellt. Bildungsmaßnahmen und die konsequente Durchsetzung bestehender Gesetze könnten den Konsum begrenzen.
Von stattlichen Afrikanischen Elefanten, die durch die Mosaikwälder des Landes ziehen, über bedrohte Spitzmaulnashörner bis hin zu anmutigen Leoparden – Angola bietet Lebensraum für eine bemerkenswerte Vielfalt an Wildtieren. Die Riesen-Rappenantilope (Hippotragus niger variani) findet man sogar ausschließlich in dem an der südwestafrikanischen Atlantikküste liegenden Land – die endemische Art gilt als nationales Symbol.
„Derzeit sind 940 Vogel-, 291 Säugetier-, 278 Reptilien-, 111 Amphibien- und etwa 6850 Pflanzenarten aus Angola bekannt. Gleichzeitig ist der Druck auf die Biodiversität und die Wildtierpopulationen in dem afrikanischen Land hoch – illegale Jagd und der Verlust von Lebensräumen sorgen für einen Rückgang der biologischen Vielfalt, welcher sich durch das prognostizierte Bevölkerungswachstum wohl noch weiter verschärfen wird“, erklärt PD Dr. Raffael Ernst von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden und fährt fort: „Auch der Handel und der Verzehr von Fleisch von Wildtieren stellen eine erhebliche Bedrohung für die Tierwelt Angolas dar.“
Gemeinsam mit Forschenden der Universität Kimpa Vita in Angola, der Technischen Universität Dresden und der Universität Hamburg hat der Senckenberg-Wissenschaftler daher erstmalig den regionalen Handel mit Wildtierfleisch in der angolanischen Provinz Uíge untersucht. Erstautor der Studie Lunis Bolognino de Orth besuchte hierfür den dortigen zentralen Lebensmittelmarkt „Praça Grande“ an 38 Tagen, sprach mit Händler*innen und führte eine quantitative Umfrage unter 204 Bürger*innen von Uíge durch.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Wildtierfleisch in der Provinz Uíge weit verbreitet und ein wichtiger Bestandteil der lokalen Ernährung sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten ist. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung konsumieren mindestens einmal pro Woche Wildtierfleisch, und 23 Prozent gehen regelmäßig auf die Jagd. Im Untersuchungszeitraum wurde auf dem Markt in Uíge Fleisch von insgesamt 1.524 Wildtieren 16 verschiedener Arten verkauft – das entspricht einem täglichen Durchschnitt von 40 Tieren“, erläutert Bolognino de Orth. Überwiegend wurden Blauducker, Rotschwanzmeerkatzen, Afrikanische Quastenstachler und Kronenducker zum Verkauf angeboten. Aber auch Nilflughunde, Kaffernbüffel und Nördliche Felsenpythons waren an den Marktständen zu finden. Von den 16 Arten, die auf dem zentralen Markt von Uíge registriert wurden, fallen sechs in eine mittlere bis hohe Gefährdungskategorie nach den Kriterien der Roten Liste der IUCN. „Die Jagd wird in Uíge weitgehend als Tradition angesehen, und der Verzehr von Wildtierfleisch zählt zur lokalen Kultur. Dies steht allerdings im krassen Gegensatz zu dem wachsenden Interesse an der Erforschung und dem Schutz der biologischen Vielfalt Angolas in den letzten Jahren“, fügt Dr. Thea Lautenschläger von der Universität Hamburg hinzu, die die gemeinsamen Forschungsaktivitäten in der nordangolanischen Provinz bereits seit 2013 koordiniert.
Neben dem Verlust der Biodiversität, birgt der Verzehr von Fleisch von Wildtiermärkten auch eine erhebliche Gefahr für die in Angola lebenden Menschen. Insbesondere der Konsum von Primaten- und Fledermausfleisch steht im direkten Zusammenhang mit dem Auftreten von zoonotischen Krankheiten in Afrika – insbesondere in ländlichen Gebieten, die medizinisch oft stark unterversorgt sind. In den Jahren 2004 und 2005 war die Provinz Uíge beispielsweise das Epizentrum des weltweit größten und tödlichsten Ausbruchs des Marburgfiebers, einer viralen Infektionskrankheit. Mehr als 270 Menschen infizierten sich und über 200 Todesfälle mussten beklagt werden. „Eine strengere Durchsetzung des Umweltrechts und eine klare Zuweisung von Verantwortlichkeiten würden daher auch direkt zur Verbesserung der nationalen Gesundheitsversorgung beitragen“, meint Ernst.
Zusätzlich zu einer konsequenten Durchsetzung bestehender Umweltgesetze sei es enorm wichtig alternative Lebensgrundlagen für Menschen zu schaffen, die ihren Lebensunterhalt mit dem Wildtierhandel bestreiten oder auf die Jagd zur Nahrungsbeschaffung angewiesen sind, so das Forschungsteam. Hoffnung macht den Wissenschaftler*innen, dass ihre sozioökonomischen Analysen einen eindeutigen Trend zu einem rückläufigen oder reflektierten Konsum unter der städtischen Bevölkerung und insbesondere unter jungen Studierenden aufzeigen. Um sicherzustellen, dass ein nachhaltiges Umdenken stattfinden kann, sei es unerlässlich, erheblich in den Bildungssektor zu investieren und ein Bewusstsein für die Gefahren durch den Wildtierfleischkonsum zu schaffen. „Wir wünschen uns und hoffen darauf, dass die heranwachsende Generation junger Angolaner*innen auf eine grundlegende Änderung des derzeitigen – recht trägen – rechtlichen Systems drängen und sich aktiv für einen bewussten Umgang mit den natürlichen Ressourcen und eine nachhaltige Bewirtschaftung der Ökosysteme und der Wildtierpopulationen einsetzt“, schließt Ernst.
Originalpublikation:
Bolognino de Orth LG, Ernst R, Monizi M, Lautenschläger T. Socio-economic drivers of bushmeat consumption in the northern Angolan province of Uíge. Oryx. Published online 2025:1-10. doi:10.1017/S0030605324001492

13.08.2025, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Wie Giraffatitan seinen massiven Schwanz bewegte
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Dr. Verónica Díez Díaz vom Museum für Naturkunde Berlin hat mithilfe neuer digitaler 3D-Rekonstruktionen detaillierte Erkenntnisse über die Beweglichkeit des Schwanzes des Sauropoden Giraffatitan brancai gewonnen. Die Ergebnisse der Studie, die in der Fachzeitschrift Royal Society Open Science veröffentlicht wurden, geben Einblick in die biomechanischen Fähigkeiten eines der größten Dinosaurier, die je gelebt haben.
Untersucht wurden 18 erhaltene Schwanzwirbel und Schwanzrippen eines relativ vollständig erhaltenen Schwanzes eines Exemplars von Giraffatitan brancai mit, der sich heute in der Sammlung des Berliner Naturkundemuseums befindet. Bisher wurde der Dinosaurierschwanz in der Forschung häufig vernachlässigt – dabei spielt er eine zentrale Rolle für Gleichgewicht, Fortbewegung, Kommunikation und Verteidigung.
Mit neuen Kinematikprogrammen wurde die Bewegung der einzelnen Wirbel gegeneinander ausgetestet. Welche Muskelkräfte spielten eine Rolle? An welchen Stellen setzten die Muskeln an den Knochen an? Welche Mobilität und Bewegungsabläufe ergaben sich daraus?
„Unsere Analysen zeigen, dass der Schwanz von Giraffatitan wesentlich beweglicher und funktional vielseitiger war als bislang angenommen“, erklärt Díez Díaz. Besonderes Augenmerk galt den sogenannten Hämalbögen – knöchernen Strukturen an der Unterseite der Schwanzwirbel – die in früheren Studien oft unbeachtet blieben. Die Ergebnisse legen nahe, dass diese Elemente einen erheblichen Einfluss auf die Beweglichkeit des Schwanzes hatten.
Diese detaillierten neuen Computermodelle bestätigen, was in der Ausstellung des Berliner Naturkundemuseums schon umgesetzt wurde: Sauropoden haben ihren Schwanz nicht unbeweglich hinter sich hergezogen. Stattdessen trugen sie den Schwanz angehoben und konnten ihn flexibel in mehrere Richtungen bewegen.
Diese Erkenntnisse sind wichtig für das Verständnis der Körperhaltung, Bewegungsweise und möglicherweise sogar der sozialen Interaktionen dieser riesigen Pflanzenfresser. Die Forschung bietet damit nicht nur neue Perspektiven auf die Anatomie von Sauropoden, sondern liefert auch wertvolle Impulse für zukünftige Rekonstruktionen und paläobiologische Interpretationen.

14.08.2025, Deutsche Wildtier Stiftung
Viele Windkraftanlagen gefährden Vogelschutz
Studie der Deutschen Wildtier Stiftung liefert besorgniserregende Ergebnisse
Für den Klimaschutz sind sie wichtige Werkzeuge, für den Artenschutz eine große Herausforderung: Windkraftanlagen bedrohen mit ihren schweren Rotorblättern insbesondere viele heimische Brutvogelarten. Eine Studie im Auftrag der Deutschen Wildtier Stiftung belegt nun: Vogelschutzgebiete sind in Deutschland erheblich von der Nähe zu Windkraftanlagen betroffen – viele Anlagen stehen sogar innerhalb der Schutzgebietsgrenzen.
Der Fokus der Studie, die durch das Büro „Schreiber Umweltplanung“ durchgeführt wurde, lag auf Vogelschutzgebieten auf dem deutschen Festland, die den Schutz mindestens einer sogenannten kollisionsgefährdeten Brutvogelart zum Ziel haben, zum Beispiel Schreiadler, Wiesenweihe oder Rotmilan. Untersucht wurde die Nähe dieser Schutzgebiete zu Windkraftanlagen. Das Ergebnis: Deutschlandweit stehen fast 500 Anlagen innerhalb der Schutzgebietsgrenzen und 60 Prozent aller Vogelschutzgebiete liegen in einem gesetzlich relevanten Prüfbereich von Windkraftanlagen.
Der Prüfbereich ist im Bundesnaturschutzgesetz festgelegt und definiert je nach Brutvogelart drei unterschiedlich weite Radien um eine Windkraftanlage: den Nahbereich, den zentralen Prüfbereich und den erweiterten Prüfbereich. Befindet sich ein Brutplatz der relevanten Vogelarten in diesen Prüfbereichen, müssen Schutzmaßnahmen ergriffen werden – je näher die Windkraftanlage am Brutplatz steht, umso höher die Auflagen. Im Nahbereich von Windkraftanlagen, der für den Baumfalken laut Gesetz zum Beispiel 350 Meter und für den Schreiadler 1.500 Meter beträgt, müssten die Schutzmaßnahmen eigentlich so umfangreich sein, dass ein wirtschaftlicher Betrieb der Anlage in der Regel nicht mehr möglich wäre. Der Gesetzgeber hat den Umfang der Abschaltauflagen allerdings begrenzt und lässt ausgerechnet im Nahbereich regelmäßig Ausnahmen zu – und nimmt damit das Tötungsrisiko für die Brutvögel in Kauf.
„Die Deutsche Wildtier Stiftung begrüßt ausdrücklich den Ausbau erneuerbarer Energien, er darf aber nicht auf Kosten des Artenschutzes gehen. Die Dringlichkeit des Biodiversitätsschutzes steht der des Klimaschutzes in nichts nach“, sagt Dr. Andreas Kinser, Leiter Natur- und Artenschutz bei der Deutschen Wildtier Stiftung. „Die von uns herausgegebene Studie zeigt leider deutlich, dass der Artenschutz beim Ausbau der erneuerbaren Energien häufig untergraben wird.“ Alle 15 vom Gesetzgeber definierten kollisionsgefährdeten Brutvogelarten sind davon betroffen.
Dabei beschreibt die Studie lediglich einen Mindestumfang an Beeinträchtigungen des Artenschutzes durch Windkraft. „Die aktuellen Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes lassen viele Arten außer Acht, die ebenfalls negativ durch die Nähe ihrer Brutgebiete zu Windkraftanlagen beeinflusst werden, zum Beispiel Uferschnepfe und Schwarzstorch“, so Kinser. Auch die gesetzlich normierten Prüfbereiche sind viel geringer als die Fachempfehlungen der staatlichen Vogelschutzwarten.
Die Genehmigungen vieler Windkraftanlagen dürften sich bei einer erneuten Prüfung als rechtswidrig erweisen, da sie nach den Maßstäben des EU-Rechts, die für Vogelschutzgebiete gelten, nicht hätten erteilt werden dürfen. Zugunsten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes haben sie aber vermutlich Bestand. Damit Klimaschutz und Artenschutz wieder in Einklang gebracht werden, fordert die Deutsche Wildtier Stiftung für die Windkraftanlagen, die mindestens im zentralen Prüfbereich Flächenanteile von relevanten Vogelschutzgebieten aufweisen, nachträglich Abschaltauflagen zu beschließen. Diese können je nach Tageszeit, dem saisonalen Aufenthaltsort von Zugvogelarten oder dem tatsächlichen Brutvorkommen variieren. „Langfristig muss das Ziel sein, alle Windkraftanlagen abzubauen, die im Nahbereich Vogelschutzgebiete mit kollisionsgefährdeten Brutvogelarten als Erhaltungszielart aufweisen“, sagt Wildtierbiologe Kinser. Davon betroffen wären knapp zwei Prozent aller in Deutschland errichteten Windkraftanlagen.

15.08.2025, Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz
Wasseramseln senden stille Signale am lauten Fluss
• Anstatt am rauschenden Fluss lauter zu singen, reduzieren Wasseramseln die Lautstärke und blinzeln häufiger mit ihren weißen Augenlidern. Sie nutzen diese visuellen Signale anstatt der Stimme, um anderen Vögeln in der Nähe Botschaften zu vermitteln.
• Wasseramseln ändern ihre Kommunikation je nachdem, wie laut es ist und ob Artgenossen anwesend sind. Dadurch ist ihr Verhalten ungewöhnlich flexibel.
• Dies ist bislang eines der deutlichsten Beispiele dafür, dass ein Wildtier zwischen verschiedenen Sinnen bei der Kommunikation wechselt. Es liefert neue Einblicke, wie Tiere ihre Signale an schwierige Umgebungen anpassen.
Sich in einem lauten Raum zu unterhalten, kann ziemlich schwierig sein. Oft ist einfacher, sich auf Handzeichen zu verlassen, als den Lärm zu übertönen. Wasseramseln stehen an den schnell fließenden Bächen, an denen sie leben, vor einer ähnlichen Herausforderung: Das Rauschen des Wassers kann mitunter ihren melodischen Gesang übertönen. Doch anstatt gegen den Fluss anzusingen, um ihr Revier zu verteidigen oder Partner anzulocken, versuchen es diese pummeligen Vögel manchmal mit einer komplett anderen Strategie: Sie setzen statt Geräusche auf Sichtbares und blinzeln mit ihren strahlend weißen Augenlidern.
Eine neue Studie unter der Leitung von Forschenden des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz und der Lancaster University ist eine der ersten, die diesen Wechsel zwischen Sinnesmodalitäten bei einem Wildvogel dokumentiert. Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber, wie Vögel ihre Kommunikation je nach sozialen und umweltbedingten Reizen anpassen können und wie sich diese Flexibilität als Reaktion auf Lärm entwickelt haben könnte.
Gesehen werden, um gehört zu werden
In den Hochlandgebieten, in denen Wasseramseln leben, ist ihr abwechslungsreicher, hoher, metallischer Gesang eines der ersten Anzeichen für den Frühling. Die Vögel leben an schnell fließenden, klaren Gewässern und so sieht man sie manchmal auf Flusssteinen sitzen oder tief über das Wasser fliegen. Ihr Lebensraum ist ideal für die Nahrungssuche, aber erschwert die Kommunikation, besonders nach starken Regenfällen.
In einer neuen Studie untersuchten Forschende Wasseramseln im britischen Yorkshire Dales National Park. Sie fanden heraus, dass die Vögel nicht unbedingt ihre Stimmen erheben, wenn der Flusslärm zunimmt und andere Wasseramseln in der Nähe sind. Stattdessen blinzeln sie häufiger mit ihren weißen Augenlidern, die sich deutlich von ihrem dunkelbraunen Gefieder abheben. Diese visuellen Signale könnten laut den Autor*innen dazu dienen, Partner anzulocken oder Rivalen auf sich aufmerksam zu machen, die das singende Tier sonst übersehen würden. Das zeigt, wie die Vögel den Einsatz von Lauten und Sichtbarem genau abstimmen, um in ihrer lauten Welt zu kommunizieren.
„Wasseramseln fügen ihren Gesängen nicht nur visuelle Signale hinzu – sie scheinen je nach Situation zwischen ihnen zu wechseln“, sagt Léna de Framond, Erstautorin der Studie. „Wenn der Fluss lauter wird und andere Vögel in der Nähe sind, blinzeln sie häufiger. Tatsächlich singen die Vögel, die am häufigsten blinzeln, nicht so laut, was auf eine Verlagerung zur visuellen Kommunikation hindeutet. Wenn sie aber allein sind, neigen sie dazu, lauter zu singen, um den Lärm zu übertönen. Dieser Unterschied zeigt uns, dass es ein soziales Verhalten ist und nicht nur eine Reaktion auf Geräusche – ein seltenes Beispiel für eine multimodale Verlagerung bei einem Wildtier, die durch Lärm ausgelöst wird.“
Evolution durch Flusslärm
In lauten Umgebungen kann es von großem Vorteil sein, mehr als einen Sinn zur Kommunikation zu nutzen. Viele Tiere konzentrieren sich allerdings auf einen Sinn – beispielsweise indem sie lauter singen, die Tonhöhe ändern oder sich wiederholen. Es gibt überraschend wenige Belege dafür, dass Tiere zwischen verschiedenen Sinnen wechseln, beispielsweise vom Hören zum Sehen oder vom Tasten zum Riechen.
Wasseramseln sind dafür ein hervorragender Testfall: Sie leben das ganze Jahr über an schnell fließenden Bächen und Flüssen, wo der Hintergrundlärm oft sehr hoch ist, und sie haben leuchtend weiße Augenlider, die als visuelles Signal dienen können.
So verbrachte das Team mehr als 300 Stunden damit, Wasseramseln zu beobachten, von denen die meisten zur Identifizierung mit farbigen Ringen markiert waren. Durch detaillierte Verhaltensbeobachtungen, kalibrierte Audioaufnahmen und statistische Analysen entdeckten sie eines der bislang eindeutigsten Beispiele dafür, dass Tiere zur Kommunikation zwischen ihren Sinnen wechseln.
„Die Studie gibt nicht nur Aufschluss darüber, wie Wasseramseln kommunizieren, sondern auch darüber, wie Umweltbedingungen – also beispielsweise laute Flüsse – die Evolution von Signalen beeinflussen“, sagt Henrik Brumm vom Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz, der die Studie geleitet hat. „Besonders interessant ist, wie komplex das Verhalten der Wasseramsel ist und ihre Fähigkeit sich rasch an veränderte Bedingungen anzupassen.“
„Unsere Entdeckung wirft auch neue Fragen auf – zum Bespiel wie Tierarten Komplexität und Eindeutigkeit in ihrer Kommunikation in Einklang bringen. Mehr Signale können zwar helfen, Aufmerksamkeit zu erregen, aber auch das Risiko von Missverständnissen erhöhen. Zudem müssen die Signale zu den Sinnen der Tiere passen, für die sie bestimmt sind. Es könnte sein, dass die Fähigkeit zur multimodalen Verlagerung in der Natur häufiger vorkommt, als wir denken. Vielleicht sehen wir momentan nur die Spitze des Eisbergs und es ist spannend, sich auszumalen, wohin diese Forschung noch führen kann.“
Originalpublikation:
Stream noise induces song plasticity and a shift to visual signals in a riverine songbird
Léna de Framond, Stuart P. Sharp, Kevin Duclos, Thejasvi Beleyur, Henrik Brumm
Current Biology

18.08.2025, Universität Wien
Was Graugänse uns über Influencer und Follower lehren
Mutige Gänse werden oft zu „Influencern“, erkundungsfreudige zu „Followern“
Eine neue Studie unter der Leitung der Konrad Lorenz Forschungsstelle für Verhaltens- und Kognitionsbiologie der Universität Wien wirft neues Licht auf eine klassische Frage der Verhaltensbiologie: Warum erlangen bestimmte Individuen innerhalb einer Gruppe mehr Einfluss als andere? Die Forschung zeigt: Mutige – aber nicht aggressive – Gänse werden eher zu sogenannten Influencern, während erkundungsfreudige Tiere dazu neigen, ihnen zu folgen. Das offenbart ein feines Zusammenspiel von Persönlichkeit und sozialen Rollen bei kollektiven Bewegungsentscheidungen. Die Ergebnisse wurden aktuell im Fachjournal iScience veröffentlicht.
Während einfache Interaktionsregeln erklären können, wie sich Tiergruppen gemeinsam bewegen, ist über die langfristige Stabilität sozialer Rollen in freier Wildbahn wenig bekannt – ebenso darüber, warum manche Tiere erfolgreicher kollektive Entscheidungen beeinflussen als andere. Um diese Dynamiken besser zu verstehen, untersuchte das Forschungsteam rund um Sonia Kleindorfer, ob einzelne Graugänse (Anser anser) über Jahre hinweg stabile Tendenzen zum Initiieren oder Folgen zeigen – und ob sich diese Rollen durch Persönlichkeitsmerkmale wie Mut, Aggressivität und Erkundungsfreude vorhersagen lassen.
Beobachtet wurde eine individuell markierte Grauganspopulation an der Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau im Almtal – eine Schar, die ursprünglich in den 1970er-Jahren von Nobelpreisträger Konrad Lorenz etabliert wurde. Über vier Jahre dokumentierten die Forscher*innen hunderte kollektiver Abflüge: Wer startete, wer folgte, wie groß waren die Gruppen? Parallel dazu wurden standardisierte Verhaltenstests durchgeführt – darunter Fluchtinitiationsdistanz (Mut), Reaktion auf einen Spiegel (Aggressivität) und der Umgang mit unbekannten Objekten (Erkundungsfreude). Ziel war es, besser zu verstehen, wie individuelle Unterschiede Bewegungsentscheidungen und den Informationsfluss in der Gruppe beeinflussen.
Mutige Influencer und erkundungsfreudige Follower
Die Studie liefert zwei zentrale Erkenntnisse: Erstens zeigen einzelne Graugänse über Jahre hinweg stabile Persönlichkeitsmerkmale – Mut, Aggressivität und Erkundungsfreude. Zweitens bewegen sie sich täglich in wechselnden Untergruppen zwischen verschiedenen Futter- und Schlafplätzen. Die Ergebnisse zeigen: Bei mutigen Individuen gibt es eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass andere ihrem Abflugruf folgen. Diejenigen, die folgen, sind meist erkundungsfreudig – und bevorzugen mutige gegenüber aggressiven oder dominanten Scharmitgliedern.
Die Schar steht täglich vor einem Zielkonflikt: Die Sicherheit vertrauter Orte gegen die potenziellen Vorteile unbekannter Gebiete. Mutige Persönlichkeiten helfen, dieses Risiko zu managen, indem sie Sicherheit bei Ausflügen in unsichere Umgebungen bieten. Erkundungsfreudige Individuen hingegen tragen zur Entdeckung neuer Möglichkeiten bei – und verbreiten Innovation durch soziales Lernen.
Entgegen der Erwartungen war Aggressivität kein Prädiktor für Einfluss während kollektiver Abflüge – obwohl aggressivere Gänse häufig höhere soziale Ränge einnehmen. Die einflussreichsten Influencer waren mutig, aber nicht aggressiv – ein Hinweis auf einen schützenden, nicht dominanten Führungsstil. Diese mutigen Individuen bieten Stabilität, während erkundungsfreudige Follower neue Chancen aufspüren und weitervermitteln.
Ein neuer Blick auf Influencer und Follower
„Diese Forschung hilft zu erklären, warum bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zu dauerhaftem Einfluss führen“, sagt Studienleiterin Sonia Kleindorfer. „Wichtiger noch: Sie lenkt den Blick auf die Follower – eine Gruppe, die in unserer menschlichen Fixierung auf Macht und Ressourcen oft übersehen wird. Was wäre, wenn Follower aktiv entscheiden, wem sie folgen, basierend auf dem Nutzen, den sie daraus ziehen? Das verschiebt den Fokus auf die kognitiven Fähigkeiten der Follower und stellt traditionelle Vorstellungen davon infrage, welche Eigenschaften im sozialen Einfluss zählen.“
Indem sie den Blick von aggessiven, dominanten Individuen – die oft durch Einschüchterung Einfluss gewinnen – hin zu den sozialen und kognitiven Strategien der Follower richtet, eröffnet diese Studie neue Perspektiven auf kollektive Entscheidungsfindung, soziales Lernen und kulturelle Evolution – nicht nur bei Graugänsen, sondern auch bei vielen anderen sozialen Tierarten, einschließlich des Menschen.
Originalpublikation:
Personality predicts collective behavior in greylag geese: influencers are bold and followers are exploratory. Sonia Kleindorfer, Andrew C. Katsis, Didone Frigerio, Jonas Lesigang, Dina Mostafa, Lauren K. Common. In iScience.
DOI: 10.1016/j.isci.2025.113170
https://www.cell.com/iscience/fulltext/S2589-0042(25)01431-2

21.08.2025, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Die Fantastischen Vier: Offizielle Anerkennung von vier Giraffenarten
In einer wegweisenden Entscheidung hat die International Union for Conservation of Nature (IUCN) heute offiziell vier genetisch unterschiedliche Arten von Giraffen anerkannt. Grundlage für die Neubewertung ist eine zehnjährige Forschungsarbeit unter Leitung des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums Frankfurt und der Giraffe Conservation Foundation (GCF) mit Sitz in Namibia. Die Anerkennung der vier Arten hat direkte Auswirkungen auf den Gefährdungsstatus der Tiere sowie zukünftige Schutzkonzepte.
Lange Zeit galt als gesichert, dass es sich bei den afrikanischen Säugetieren mit dem langen Hals um eine einzige Art handelt – die Giraffe (Giraffa). „Unsere umfangreichen genetischen und morphologischen Untersuchungen haben diese Annahme eindeutig und endgültig widerlegt. Wir freuen uns sehr, dass die IUCN nun den Schritt der offiziellen Anerkennung von vier unterschiedlichen Giraffenarten gegangen ist“, erläutert Prof. Dr. Axel Janke, Evolutionsgenetiker am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt und federführender Wissenschaftler des internationalen Forschungsteams. „Vier neue Großsäugerarten nach über 250 Jahren taxonomischer Forschung zu beschreiben, ist außergewöhnlich – insbesondere bei so ikonischen Tieren wie Giraffen. Unsere genetischen Analysen zeigen, dass die Unterschiede zwischen den Giraffenarten ebenso deutlich sind wie jene zwischen Braun- und Eisbären.“
Bereits 2016 hatte Jankes Team gemeinsam mit der Giraffe Conservation Foundation erste Forschungsergebnisse veröffentlicht, die auf deutliche genetische Divergenzen zwischen den Giraffenarten hinwiesen. In einem großangelegten Projekt sammelte das GCF-Team gemeinsam mit zahlreichen lokalen Partnerorganisationen über ein Jahrzehnt hinweg Gewebeproben von Giraffen aus ganz Afrika gesammelt – teils aus schwer zugänglichen und politisch instabilen Regionen wie dem Tschad, Niger oder Südsudan. Die Untersuchung von jeweils rund 200.000 DNA-Abschnitten bei insgesamt 50 Giraffen lieferte eindeutige Hinweise auf vier eigenständige Arten: die Nord-Giraffe, die Süd-Giraffe, die Netz-Giraffe und die Massai-Giraffe. Die Daten zeigten zudem, dass sich die vier Giraffenlinien bereits vor etwa 230.000 bis 370.000 Jahren unabhängig voneinander zu entwickeln begannen. Zwischen ihnen findet kaum oder gar kein genetischer Austausch statt – in freier Wildbahn paaren sich die verschiedenen Arten also in der Regel nicht. Ergänzend wurde kürzlich eine morphologische Studie an Giraffenschädeln veröffentlicht, die die genetischen Befunde stützt.
„Die amtliche Anerkennung der vier Arten ist kein bloßes Detail der Wissenschaft, sondern hat unmittelbare Auswirkungen auf den Schutz der Giraffen“, betont Dr. Julian Fennessy, Mitbegründer und Direktor für Naturschutz der GCF. „Giraffen leben in den Savannen Afrikas südlich der Sahara vom Niger über Kenia und Namibia bis Südafrika. Ihre Lebensgrundlage wird durch den wachsenden Bedarf an Nutzflächen vielerorts dezimiert. In manchen Afrikanischen Ländern erschweren politisch schwierige Verhältnisse ihren Schutz. Jede Giraffenart benötigt spezifisch angepasste Schutzstrategien. Durch die offizielle Anerkennung können wir diese nun zielgerichtet entwickeln.“
Die IUCN wird in einem nächsten Schritt die Gefährdungseinstufung jeder der vier Giraffenarten für die Rote Liste der bedrohten Arten vornehmen. Erste Einschätzungen deuten darauf hin, dass drei der vier Arten als „gefährdet“ oder sogar als „stark gefährdet“ gelten könnten.
„Was für eine Tragödie wäre es, eine Art zu verlieren, die wir gerade erst als solche erkannt haben“, resümiert Stephanie Fennessy, Geschäftsführerin der GCF. „Unsere Arbeit zeigt, wie wichtig es ist, Feldforschung mit Genetik zu verbinden, um konkrete Erfolge im Naturschutz zu erzielen. Die Entscheidung der IUCN ist ein Weckruf und gleichzeitig eine Chance für den Schutz der Giraffen.“

22.08.2025, Deutsche Wildtier Stiftung
Prächtiger Geweihträger, flexibler Allesfresser oder zweifarbiger Tarnkünstler
Wahl zum Tier des Jahres 2026 startet erstmals öffentlich und online
Ab morgen können Wildtierfreundinnen und -freunde online ihren Favoriten für das Tier des Jahres 2026 wählen. Erstmals öffnet die Deutsche Wildtier Stiftung die Abstimmung auch für die breite Öffentlichkeit. „Wir wollen so noch mehr Menschen für heimische Wildtiere begeistern“, sagt Lea-Carina Hinrichs, Artenschützerin bei der Deutschen Wildtier Stiftung. Bislang konnten nur die Spenderinnen und Spender der Stiftung über das Tier des Jahres abstimmen.
Zur Wahl stehen wie jedes Jahr drei faszinierende Wildtiere aus einem bestimmten Lebensraum. Die Kandidaten für 2026 sind alle im sogenannten Offenland zu Hause.
Der Goldschakal: Der flexible Allesfresser breitet sich fast unbemerkt in Deutschland aus. Bisher kam der Goldschakal von Südostasien bis nach Ost- und Südeuropa vor. Er ist etwas größer als ein Fuchs, aber deutlich kleiner als ein Wolf. Sein Fell ist gelblichgrau, manchmal auch rötlich und an Rücken und Schwanzspitze dunkel gefärbt. Als sehr anpassungsfähige Art mit breitem Nahrungsspektrum kommt der Goldschakal in vielen unterschiedlichen Lebensräumen zurecht. Gute Bedingungen findet er in einer strukturreichen Agrarlandschaft und in Feuchtgebieten. Seine Beute sind vor allem Mäuse, die er ähnlich wie ein Fuchs fängt: Er lauert ihnen auf und springt plötzlich auf sie. Goldschakale leben als Paar oder mit ihrem Nachwuchs in kleinen Rudeln. 1997 wurde das erste Tier in Deutschland dokumentiert. 2021 gelang in Baden-Württemberg der Nachweis, dass sich die Art hierzulande fortpflanzt.
Der Rothirsch: Der prächtige Geweihträger ist Deutschlands größte regelmäßig vorkommende Hirschart. Das auffällige Geweih der männlichen Tiere wird jedes Jahr abgeworfen und neu gebildet. Rothirsche leben meist in Rudeln. Ein besonders eindrucksvolles Verhalten zeigen sie zur Brunft im September, wenn die Männchen röhren und um Weibchen kämpfen. Eigentlich bevorzugen Rothirsche halboffene Landschaften mit einem Wechsel aus Gehölzen und Lichtungen, doch der Mensch hat die Tiere nach und nach in die Wälder verdrängt. Hinzu kommt, dass in vielen Bundesländern ihr Vorkommen per Gesetz auf bestimmte Rotwildbezirke begrenzt ist – große Teile ihres Lebensraums bleiben ihnen dadurch verschlossen. Die starke Zerschneidung der Landschaft durch Straßen verhindert bundesweit Wanderungen und isoliert die Bestände. Dadurch sinkt die genetische Vielfalt und die Art wird langfristig geschwächt.
Das Hermelin: Der zweifarbige Tarnkünstler ist nach dem Mauswiesel das zweitkleinste Raubtier Deutschlands. Das Hermelin ist äußerst anpassungsfähig. Mit seinem typisch marderartigen langen, schlanken Körper und kurzen Beinen ist es sehr beweglich, ein geschickter Jäger, guter Kletterer und auch Schwimmer. Es ist in vielen Lebensräumen von der Küste bis zum Gebirge zu Hause, bevorzugt aber strukturreiche Feldfluren, wenn es dort ausreichend Deckung und Nahrung findet. Ein besonderes Merkmal ist der Fellwechsel: Im Sommer ist das Hermelin braun mit weißer Unterseite, im Winter färben sich manche Tiere schneeweiß. Nur die Schwanzspitze bleibt immer schwarz und unterscheidet die Art vom Mauswiesel. Genaue Daten zur Verbreitung fehlen, man vermutet aber, dass der Bestand rückläufig ist. Hauptursache: der Rückgang von Nahrung – insbesondere Mäusen – durch intensive Landwirtschaft und eintönige Lebensräume.
Wiesen, Weiden, vielfältige Äcker und Brachen bieten vielen Wildtieren wichtigen Lebensraum – unter anderem dem Rothirsch, dem Hermelin und dem Goldschakal. Doch durch intensive Landwirtschaft, Flurbereinigung und Versiegelung nimmt die Lebensraumqualität solcher Offenlandflächen immer weiter ab. „Wir brauchen eine strukturreiche Feldflur und ein politisches Bekenntnis zur Artenvielfalt im Offenland. Nur so können die Wildtiere, die hier leben, erhalten bleiben“, sagt Artenschützerin Hinrichs.
Wer über das nächste Tier des Jahres mitbestimmen möchte, volljährig und in Deutschland gemeldet ist, kann bis zum 2. Oktober 2025 abstimmen. Hier geht es zur Online-Wahl: www.DeutscheWildtierStiftung.de/WahlTierdesJahres

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