In Mittel- und Westafrika gesellt sich dem Schmutzgeier ein naher Verwandter (Neophron pileatus, monachus und carunculatus, Vultur pileatus, Cathartes monachus, Percnopterus niger), welchen wir Kappengeier nennen wollen. Er unterscheidet sich von jenem durch etwas kürzeren Schnabel, breitere Flügel, kürzeren, gerade abgestutzten Schwanz, wollige Befiederung der Hinterhals- und Nackentheile und geringere Ausdehnung der unbefiederten Stellen, da nur der Scheitel, die Wangen und der Vorderhals nackt sind. Ein sehr gleichmäßiges Dunkelerdbraun ist die vorherrschende Färbung des Gefieders; die weichen, sammetigen Federn des Hinterkopfes und Halses sind graulichbraun, die kurzen, welche den Kropf bekleiden, schmutzig weiß, die der Innenschenkel reiner weiß, die Handschwingen braunschwarz, die Steuerfedern schwarzbraun. Die Iris ist braun, der Schnabel hornblau, an der Spitze dunkler, die Wachshaut lebhaft violett, der nackte Kopf bläulichroth, an der Kehle etwas lichter, der Fuß licht bleigrau. Den jungen Vogel unterscheiden der dunkelbraune Hinterhals, die minder deutlichen Ohröffnungen, die glatte, nicht warzige und weniger lebhaft gefärbte Halshaut. Die Länge beträgt dreiundsechzig bis achtundsechzig, die Breite einhundertsiebenundfunfzig bis einhundertneunundsechzig, die Fittiglänge fünfundvierzig bis funfzig, die Schwanzlänge dreiundzwanzig bis fünfundzwanzig Centimeter; erstere Maße gelten für das Männchen, letztere für das Weibchen.
In Mittel- und Südafrika hat man den Kappengeier ziemlich allerorten, in Nordafrika dagegen ebensowenig wie in Asien und Europa gefunden. In Westafrika ist er, soviel bis jetzt bekannt, der einzige Geier, welcher das Küstengebiet belebt, in Habesch häufiger als alle dort lebenden Verwandten, wenigstens viel häufiger als der Schmutzgeier. In Massaua sitzt er auf den Dächern der Häuser; in den abessinischen Küstendörfern erscheint er morgens in der Nähe der Wohnungen, verweilt hier den ganzen Tag und fliegt erst mit Sonnenuntergang seinem Schlafplatze zu. Tiefer im Inneren ersetzt er den Schmutzgeier, welcher die Wildnis flieht und sich am behaglichsten in unmittelbarer Nähe des Morgenländers zu fühlen scheint, wogegen jener auch fern von dem Menschen den Kampf um das Dasein besteht. Man kann ihn ein halbes Hausthier nennen. Er ist mindestens ebenso dreist wie unsere Nebelkrähe, ja beinahe so wie unser Sperling. Ungescheut läuft er vor der Hausthüre auf und nieder, macht sich in unmittelbarer Nähe der Küche zu schaffen und fliegt, wenn er ausruhen will, höchstens auf die Spitze eines der nächsten Bäume. Am Morgen harrt auch er vor den Hütten der sich entleerenden Menschen, schaut sachkundigen Auges der hierbei zu entfaltenden, für beide Theile ersprießlichen Thätigkeit zu und ist sofort bei der Hand, um die verunreinigte Stelle wieder zu säubern. Auf jedem Schlachtplatze ist er ein ständiger Gast; niemals aber nimmt er etwas weg, was ihm nicht zukommt, niemals erhebt er ein Küchlein oder ein anderes lebendes, kleines Hausthier: seine Hauptnahrung besteht in den Abfällen der Küche und des menschlichen Leibes. Manchmal frißt er wochenlang nur Menschenkoth, füttert damit auch seine Jungen auf. Beim Aase erscheint er ebenfalls und benimmt sich hier genau ebenso wie sein Gesippe. Abweichend von seinen großen Verwandten verläßt er seinen Schlafplatz mit der Sonne und fliegt ihm erst mit einbrechender Nacht wieder zu. Für die Nachtruhe wählt er sich immer solche Bäume, welche möglichst weit von allem menschlichen Treiben entfernt stehen.
Bei Massaua schläft er entweder auf einzelstehenden Mimosen in einsamen Thälern der Samchara oder auf dem dichten Schoragebüsche der Inseln. Ueber solchen Schlafplätzen führt er erst einen kurzen Flugreigen aus, fällt sodann mit zusammengelegten Flügeln nach unten und setzt sich in Gesellschaft von anderen auf den gewohnten Baum.
In seiner Haltung ist der Kappengeier ein sehr schmucker Vogel und ein echter Geier. Selbst wenn er fliegt, hält es manchmal schwer, ihn von den übrigen großen Verwandten zu unterscheiden, wogegen sein Vetter, der Schmutzgeier, sich schon von weitem durch seine spitzigen Flügel und den keilförmigen Schwanz auszeichnet. Die lebhaft gefärbte Kopf- und Kehlhaut verleiht jenem noch einen besonderen Schmuck; denn während des Lebens zeigen die nackten Theile alle die Farbenschattirungen, welche wir an der Kollerhaut des Truthahnes beobachten können.
Auch er liebt die Gesellschaft von seinesgleichen mehr, als die anderer Geier; so streng aber, wie Heuglin angibt, meidet er die Genossenschaft mit dem ihm in vieler Hinsicht verwandten Schmutzgeier doch nicht; man sieht ihn vielmehr auch nach der Mahlzeit oft mit diesem verkehren.
In den ersten Monaten unseres Jahres verläßt er die Ortschaften und wendet sich geeigneten Wäldern zu, um hier zu horsten. In einem hochstämmigen Mimosenwalde am Blauen Flusse fand ich im Januar eine förmliche Ansiedelung dieser Vögel. Die Horste standen hier auf hohen Mimosen, theils in Gabel-, theils auf stärkeren Aesten am Stamme. Eine weit zahlreichere Ansiedelung befindet sich in der Nähe von Massaua in der kleinen mit Schora- und Gondelbäumen, Avicennien und Rizophoren bestandenen Insel des Schëich Saïd. Hier sahen wir, und ebenso nach uns Heuglin und Antinori, weite Strecken des dichten Gebüsches förmlich bedeckt mit den Horsten, welche in einer Höhe von einem bis sechs Meter über der Flugmarke je nach der Oertlichkeit einzeln oder in größerer Anzahl neben einander stehen und zum Theil auch den Schmarotzermilanen und zwei verschiedenen Reiherarten zu ihrem Brutgeschäfte dienen. Alle von mir untersuchten Horste waren verhältnismäßig klein, kaum sechzig Centimeter im Durchmesser, flach, fest zusammengefügt und bestanden aus dickeren und dünneren, zur Auskleidung der Nestmulde sorgfältiger gewählten Reisern. Die Nestmulden waren so klein, daß höchstens ein Junges Platz hatte. Ich habe wohl zwanzig Horste erstiegen und ersteigen lassen und in allen nur ein einziges Ei gefunden. Dasselbe ist rundlich, grobkörnig und grauweiß von Farbe, am dicken Ende stark lehmroth besprengt; doch gibt es viele Abweichungen. Beide Geschlechter brüten, die Männchen, wie es scheint, in den Mittagsstunden, zu welcher Zeit wir mehrere von ihnen beim Abstreichen vom Horste erlegten. Beim Zerstören des einen Horstes fand ich zwischen den unteren Reisern unzählbare Scharen von Schaben und Wanzen und ganz zu unterst, zwischen den stärkeren Reisern, eine Schlafmaus, welche hier Herberge genommen hatte. An der südlichen Küste des Rothen Meeres traf ich im April in jedem Horste einen halberwachsenen jungen Vogel an. Die Brutzeit scheint demnach lange zu währen; die Jungen können also nur langsam wachsen. Heuglin theilt mit, daß sie den Horst verlassen, ehe sie eigentlich fliegen können, und sich dann einige Zeit lang am Meeresstrande herumtreiben, von Ratten, ausgeworfenen Krabben, Fischen usw. sich nährend.
Der Kappengeier wird ebenso wenig verfolgt wie seine übrigen Verwandten. Seine Jagd verursacht keine Schwierigkeiten; denn da, wo er vorkommt, vertraut er dem Menschen. Auch der Fang ist einfach genug. Ich habe einen dieser Vögel längere Zeit lebend besessen und mich wirklich mit ihm befreundet. Abgesehen von seiner natürlichen Hinneigung zu unreinlichen Stoffen, war er ein schmucker und netter Gesell, welcher mich bald kennen lernte und bei meinem Erscheinen stets lebhafte Freude an den Tag legte. Er entflog mir zu meinem Leidwesen in Egypten. Neuerdings sieht man den Kappengeier auch in diesem oder jenem Thiergarten, immer aber selten und einzeln.