19.11.2024, Dachverband deutscher Avifaunisten
Dünnschnabel-Brachvogel für ausgestorben erklärt
In einem jüngst im Magazin IBIS erschienenen Artikel wurde der Dünnschnabel-Brachvogel – Numenius tenuirostris für ausgestorben erklärt. Es handelt sich um das erste bekannte weltweite Aussterben eines Vogels auf dem europäischen Festland, Nordafrika und Westasien.
Das letzte gut dokumentierte Nest wurde vor genau 100 Jahren, im Jahr 1924, in der Nähe von Tara im Gebiet Omsk, Russland, gefunden. Seitdem sind die Brutplätze des Dünnschnabel Brachvogels trotz intensiver Suche unbekannt geblieben. Isotopenanalysen legten nahe, dass eine Population in den nördlichen Steppen Kasachstans brütete. Die Überwinterungsgebiete der Art umfassten flache Süßwasserlebensräume im Mittelmeerraum, u.a. im Norden von Marokko.
Die von Wissenschaftlern des RSPB, der Universität London, von BirdLife International, des niederländischen Naturalis Biodiversity Center und des Naturhistorischen Museums London durchgeführte Studie dokumentiert und quantifiziert das Aussterben der Watvogelart. Die Anwendung der Leitlinien der Roten Liste der IUCN zur Bewertung der Aussterbewahrscheinlichkeit des Dünnschnabel-Brachvogels zeigt, dass die Art als ausgestorben geführt werden sollte.
Dabei stützt sich die Forschungsarbeit des Teams rund um Graeme M. Buchanan auf eine objektive statistische Analyse der Bedrohungen für die Art und auf eine Datenbankuntersuchung der vorhandenen Nachweise, einschließlich Museumsexemplaren und Sichtungen, mit dem Ziel, die Wahrscheinlichkeit des Aussterbens einzuschätzen. Die Analyse ergab, dass der Vogel mit einer Wahrscheinlichkeit von 96 % nicht mehr existiert und etwa zum Zeitpunkt der letzten Aufzeichnung im Jahr 1995 ausgestorben ist. Die Autoren werten den 1995 in Merja Zerga in Marokko erbrachten Nachweis als letzte dokumentierte und einstimmig akzeptierte Beobachtung der Art. Auch aus Deutschland existieren mehrere Nachweise, letztmalig wohl aus dem April 1927 in Baden-Württemberg.
Obwohl diverse mögliche Ursachen für das Aussterben bekannt sind, wird nie sicher sein, welche davon die Art endgültig zum Aussterben gebracht haben. Als Hauptursachen des Aussterbens wird die Intensivierung der Landwirtschaft sowie in geringem Maße auch Bejagung der Art vermutet.
Damit ist der Dünnschnabel-Brachvogel (nach Riesenalk und Kanaren-Austernfischer) die dritte Vogelart innerhalb der letzten 500 Jahre, die einen großen Teil ihres Jahreszyklus in der Westpaläarktis verbrachte und von der bekannt ist, dass sie weltweit ausgestorben ist.
Originalquelle: Buchanan, G.M., Chapple, B., Berryman, A.J., Crockford, N., Jansen, J.J.F.J. & Bond, A.L. 2024: Global extinction of Slender-billed Curlew (Numenius tenuirostris). Ibis. https://doi.org/10.1111/ibi.13368 (open access)
Klasse: | Vögel (Aves) |
Unterklasse: | Neukiefervögel (Neognathae) |
Ordnung: | Regenpfeiferartige (Charadriiformes) |
Familie: | Schnepfenvögel (Scolopacidae) |
Gattung: | Brachvögel (Numenius) |
Art: | Dünnschnabel-Brachvogel (Numenius tenuirostris) |
Der Dünnschnabel-Brachvogel erreicht eine Körperlänge zwischen 36 und 41 Zentimeter und wiegt zwischen 255 und 360 Gramm. Die Flügelspannweite beträgt 80 bis 92 Zentimeter. Er ist damit etwa so groß wie ein Regenbrachvogel, jedoch deutlich schlanker. Die Gefiederfärbung erinnert an einen Großen Brachvogel, jedoch ist der Dünnschnabel-Brachvogel gewöhnlich deutlich heller und der Schnabel ist völlig schwarz. Der Schnabel ist schlanker als bei den meisten Brachvogelarten und läuft in einer feinen Spitze aus. Im Prachtkleid fallen insbesondere die herzförmigen Flecken an den Flanken auf. Die äußeren Handschwingen sind fast schwarz und kontrastieren bei fliegenden Vögeln auffallend mit den weiß gefleckten inneren Schwingen und den großen Armdecken.
Der Bürzel und der Hinterrücken sind reinweiß, der Schwanz ist dunkel und weiß gebändert. Die Beine sind dunkelgrau. Die Rufe des Dünnschnabel-Brachvogels ähneln denen des Großen Brachvogel, jedoch sind sie etwas höher und kürzer.
Der Dünnschnabel-Brachvogel war ursprünglich in Westsibirien in den Mooren an Irtysch und Ob verbreitet. Die einzigen genau bekannten Brutgebiete befanden sich in der Region Tara etwa 250 Kilometer nördlich von Omsk, wo Dünnschnabel-Brachvögel in den Jahren zwischen 1914 und 1924 brüteten. Die Zugrouten führen aus dieser Region in südwestlicher Richtung in den Mittelmeerraum, wo die Vögel in einem Gebiet überwintern, das sich bis nach Marokko erstreckt. In geringer Zahl überwintern sie vermutlich auch im Irak, am Persischen Golf und auf der Arabischen Halbinsel. Seit den 1980er Jahren wurden überwinternde Vögel in Marokko nur noch an einer Stelle beobachtet. Gesehen wurden dort fünf Vögel 1986, vier im Jahre 1988, drei in den Jahren von 1989 bis 1992, zwei in den Jahren 1993 und 1994 und einer im Jahre 1995. Seit 1995 gibt es keine Beobachtungen mehr.
Es ist nicht bekannt, in welcher Region Dünnschnabel-Brachvögel derzeit noch brüten könnten. Zwischen 1990 und 2008 wurde mehrmals versucht, diese Brutgebiete zu lokalisieren, jedoch erfolglos. Mitte der 1990er Jahre existierten noch zwischen 50 und 270 Individuen.
Als Ursache des starken Rückgangs gilt die intensive jagdliche Verfolgung in den Rast- und Überwinterungsgebieten. Wegen ihrer großen Ähnlichkeit mit anderen Brachvögeln ist bei Dünnschnabel-Brachvögeln das Risiko sehr hoch, dass sie versehentlich geschossen wurden. Offenbar gingen außerdem wichtigste Rastplätze in Steppengebieten sowie Feuchtgebiete im Mittelmeerraum verloren. Vermutet wird außerdem, dass Brutgebiete durch Umwandlung in landwirtschaftliche Anbauflächen zerstört wurden. Der starke Populationsrückgang hat vermutlich auch zu einem Zusammenbruch der Sozialstruktur geführt.
Der Dünnschnabel-Brachvogel brütet in ausgedehnten Torfmooren, die mit Seggen, Sumpfschachtelhalmen, Zwergbirken und Korbweiden bestanden sind. Außerhalb der Brutzeit hält er sich ähnlich wie der Große Brachvogel auf Wattflächen und in Salzmarschen sowie in Süßwasserfeuchtgebieten auf. Er wurde unter anderem in saliner Beifußsteppe, in Quellerfluren und auf Äckern beobachtet.
Die Nahrung besteht aus Insekten, Mollusken, Krebstieren und Würmern. Auf Grund des sehr schlanken Schnabels wurde geschlossen, dass die Art kleinere Beutetiere bevorzugt und diese in weicherem Substrat sucht als der Große Brachvogel und der Regenbrachvogel.Über die Fortpflanzungsbiologie ist sehr wenig bekannt. Auf Grund der wenigen gefundenen Nester ist jedoch sicher, dass Dünnschnabel-Brachvögel in flachen Bodennestern brüten. Das Gelege besteht aus vier Eiern. Diese sind grauoliv, ocker oder braun und weisen dunkle Flecken und Tupfen auf.