Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

07.10.2025, Universität Greifswald
Unerwartete Reaktion auf den Klimawandel: Wasserfledermäuse halten zunehmend längeren Winterschlaf
Biolog*innen der Universität Greifswald zeigen, dass Fledermäuse mit einem immer längeren Winterschlaf auf die Auswirkungen des Klimawandels reagieren. Mit Hilfe eines kontinuierlichen 13-jährigen Monitorings belegten sie, dass Wasserfledermäuse (Myotis daubentonii) ihren Winterschlaf nun fast einen Monat früher beginnen als noch vor einem Jahrzehnt, aber dennoch nicht früher aus diesem aufwachen. Die Studie erschien am 2. Oktober 2025 im Journal Global Change Biology.
Die Tage werden kürzer, die Temperaturen sinken. Zahlreiche Tiere ziehen in den Süden, andere suchen ihr Winterquartier auf – so auch Fledermäuse. Doch während der Winterschlaf bei vielen Tieren aufgrund des Klimawandels immer kürzer wird, wiesen Forschende der Universität Greifswald nun für die Wasserfledermaus (Myotis daubentonii) nach, dass diese Tiere mittlerweile einen ganzen Monat früher als noch vor 13 Jahren in den Winterschlaf starten.
Das Bemerkenswerte ist, dass Fledermäuse dafür ihre Fettreserven nicht erhöhen. Das bedeutet, dass sie einen zusätzlichen Monat mit denselben Energiereserven überstehen müssen. Dies stellt eine potenzielle Herausforderung für ihr Überleben bei fortschreitendem Klimawandel dar.
Diese überraschenden Ergebnisse stammen aus einer Langzeitstudie, für die über 4000 Fledermäuse zweier Arten im Raum Münster (Nordrhein-Westfalen) mit kleinen RFID-Transpondern individuell markiert und mit automatischen Aufzeichnungsgeräten an ihren Winterquartieren überwacht wurden. Die aufgezeichneten Daten geben Aufschluss darüber, wann jedes der markierten Tiere im Winterquartier eintraf und wann es dieses im Frühjahr wieder verließ.
Zwei Arten – zwei konträre Reaktionen auf den Klimawandel
Neben den Wasserfledermäusen überwintern in dem 60 Meter tiefen Brunnenschacht auch Fransenfledermäuse (Myotis nattereri). Allerdings zeigen die beiden Arten vollkommen unterschiedliche Reaktionen auf den Klimawandel: Die Fransenfledermaus reagiert mit verkürzten Winterschlafperioden auf die immer wärmeren und kürzeren Winter, ähnlich wie andere winterschlafende Säugetiere.
Doch warum schläft die Wasserfledermaus gegen den generellen Trend der kürzeren Winterschlafphase länger? Dr. Gabriella Krivek von der Universität Greifswald vermutet: „Neben Fledermäusen reagieren natürlich auch andere Arten auf den Klimawandel. Bei der Hauptbeute der Wasserfledermaus handelt es sich um Insekten, die ihr Larvenstadium im Wasser verbringen und in großen Massen gleichzeitig schlüpfen – ideale Jagdbedingungen also. Diese Ereignisse sind zeitlich an die saisonale Erwärmung der Gewässer gekoppelt und verschieben sich mit den durch den Klimawandel steigenden Temperaturen ebenfalls nach vorne. Daher könnten Wasserfledermäuse früher im Herbst keine Nahrung mehr finden und daher auch früher mit dem Winterschlaf beginnen.“
Winterschlafstrategien können Auswirkungen auf das langfristige Überleben haben
„Die Phänologie – im Fall der Fledermäuse der Beginn und das Ende der jährlichen Winterschlafperiode – passt sich bei den untersuchten Fledermausarten erstaunlich rasch an den Klimawandel an. Da die Temperaturen weiter steigen, könnten die konträren Winterschlafstrategien erhebliche Auswirkungen auf das langfristige Überleben der untersuchten Arten haben“, sagt Frauke Meier, Doktorandin an der Universität Greifswald und gemeinsam mit Dr. Gabriella Krivek Erstautorin der Studie. Sie führt weiter aus: „Erschwerend kommt hinzu, dass sich besonders die Jungtiere, bei denen die Sterblichkeitsrate im Winter grundsätzlich höher ist als bei den adulten Tieren, scheinbar schlechter an die neuen Bedingungen anpassen können. In ihrem ersten Jahr suchen sie das Winterquartier später auf als die adulten Tiere. Bei fehlender Nahrung kann dies dann zu einer noch geringeren Überlebenschance beitragen.“ Es bedarf jedoch weiterer Forschung, um die exakten Zusammenhänge zwischen den zeitlichen Verschiebungen des Winterschlafs und der Fitness jedes einzelnen Tieres beziehungsweise der Entwicklung der gesamten Population zu klären.
Auswirkungen für den Naturschutz
„Die Ergebnisse haben eine besondere Bedeutung für den Naturschutz“, sagt Dr. Gabriella Krivek. So ist in Deutschland der menschliche Zugang zu Winterquartieren zum Schutz der Fledermäuse zwischen dem 1. Oktober und dem 31. März gesetzlich eingeschränkt. Die neuen Ergebnisse zeigen jedoch, dass dieser Zeitraum die Überwinterungsphase von Wasserfledermäusen gar nicht mehr vollständig abdeckt und daher angepasst werden sollte. Gleichzeitig sollte die verlängerte Aktivitätszeit der Fransenfledermaus, eine Art, die außerhalb der Winterschlafphase in Bäumen ihre Quartiere und im Wald ihre Jagdgebiete hat, im Herbst und Frühjahr insbesondere bei der Bewirtschaftung von Wäldern berücksichtigt werden.
Weitere Informationen
Die Studie wurde von Gabriella Krivek & Frauke Meier, Gerald Kerth & Jaap van Schaik von der Universität Greifswald sowie Leo Grosche vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, Hannover, durchgeführt und in Global Change Biology veröffentlicht.
One Species Hibernates Shorter, the Other Longer: Rapid but Opposing Responses to Warming Climate in Two Sympatric Bat Species Gabriella Krivek, Frauke Meier, Leo Grosche, Gerald Kerth, Jaap van Schaik First published: 2 October 2025 / https://doi.org/10.1111/gcb.70531

09.10.2025, Ludwig-Maximilians-Universität München
Toxoplasmose: Wie der Erreger seine Hülle sichert
LMU-Parasitologen zeigen, wie Toxoplasma seine Zellhülle recycelt – und decken einen wichtigen Unterschied zum Malariaerreger auf.
Rund ein Drittel der Weltbevölkerung ist Schätzungen zufolge mit dem einzelligen Parasiten Toxoplasma gondii infiziert, dem Erreger der Toxoplasmose. Für die meisten Menschen verläuft die Infektion ohne Beschwerden. Gefährlich kann sie jedoch für ungeborene Kinder oder Menschen mit geschwächtem Immunsystem werden, bei denen sich der Erreger rasant vermehren und infiziertes Gewebe zerstören kann. Die für seine Vermehrung nötige Energie gewinnt er, indem er die Wirtszelle anzapft und deren Ressourcen nutzt.
Anders als beim mit T. gondii eng verwandten Malariaerreger Plasmodium falciparum fehlten bisher geeignete Methoden, um diese sogenannte Endozytose – also die Aufnahme von Material aus der Wirtszelle – sichtbar zu machen. Ein Team um den LMU–Parasitologen Dr. Simon Gras hat nun eine neue Bildgebungstechnik entwickelt, die dies erstmals zuverlässig ermöglicht. Wie die Forschenden zeigen konnten, gelangt das Material über eine Mikropore in der Zellmembran des Erregers in dessen Inneres. Ist die Struktur der Mikropore defekt, deformiert die Membran des Parasiten und er stirbt ab – die Endozytose ist demnach auch für die Stabilität der Membran und damit für das Überleben von T. gondii wichtig.
Schlüsselprotein für das Membran-Recycling
Tatsächlich zeigten die Ergebnisse der Forschenden, dass Toxoplasma seine Membran aktiv recycelt, also Membranteile über die Micropore aufnimmt und wiederverwertet. Vor der Zellteilung werden sogar Membranreserven angelegt, die dann für die Bildung von Tochterzellen bereitstehen. Eine wichtige Rolle bei diesem Recycling spielt das Protein Rab5b. Wird es gehemmt, kann der Parasit die aufgenommenen Membranteile nicht wiederverwenden und zerstört sie stattdessen – was sein Wachstum bremst, aber ihn nicht notwendigerweise umbringt. „Interessanterweise unterscheidet sich Toxoplasma hier deutlich von Plasmodium: Während Toxoplasma Rab5b also vor allem für die Membranorganisation benötigt, ist das Protein bei dem Malariaerreger lebensnotwendig für die Energieversorgung“, sagt Gras. „Daraus folgt, dass Wirkstoffe, die auf Rab5b abzielen würden, bei Toxoplasma möglicherweise nicht so effektiv sein könnten wie bei Plasmodium.“ Medikamente, die auf Plasmodium zugeschnitten sind, lassen sich daher trotz der engen Verwandtschaft der Erreger nicht ohne weiteres auf Toxoplasma übertragen, so das Fazit der Autoren.
Originalpublikation:
J. von Knoerzer-Suckow et al.: Plasma membrane recycling drives reservoir formation during Toxoplasma gondii intracellular replication. PLOS Biology 2025
https://journals.plos.org/plosbiology/article?id=10.1371/journal.pbio.3003415

09.10.2025, Universität Potsdam
Flusspferde lebten in der letzten Eiszeit in Europa
Flusspferde, die heute nur noch in Afrika südlich der Sahara vorkommen, haben in Mitteleuropa viel länger überlebt, als bisher angenommen. Analysen von Knochenfunden zeigen, dass Flusspferde noch vor etwa 47.000 bis 31.000 Jahren im Oberrheingraben lebten, also während der letzten Eiszeit. Ein internationales Forschungsteam angeführt durch die Universität Potsdam und die Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim mit dem Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie hat dazu eine Studie im Fachjournal Current Biology veröffentlicht.
Bisher ging man davon aus, dass gewöhnliche Flusspferde (Hippopotamus amphibius) in Mitteleuropa vor ungefähr 115.000 Jahren mit dem Ende der letzten Warmzeit ausgestorben sind. Eine neue Studie, die von Forschenden der Universität Potsdam, der Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, des Curt-Engelhorn-Zentrums Archäometrie Mannheim, der ETH Zürich und internationalen Partnern durchgeführt wurde, zeigt nun, dass Flusspferde vor etwa 47.000 bis 31.000 Jahren im Oberrheingraben im Südwesten Deutschlands lebten, also während der Mitte der letzten Eiszeit.
Der Oberrheingraben ist ein wichtiges kontinentales Klimaarchiv. Tierknochen, die die Jahrtausende in den Kies- und Sandablagerungen überdauert haben, sind eine wertvolle Quelle für die Forschung. „Es ist schon erstaunlich, wie gut die Knochen erhalten sind. An vielen Skelettresten war es möglich, auswertbare Proben zu entnehmen – nach dieser langen Zeit keine Selbstverständlichkeit“, betont Dr. Ronny Friedrich, Experte für Altersbestimmung am Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie.
Das Team untersuchte zahlreiche Flusspferdfunde und kombinierte dabei paläogenetische und Radiokarbon-Analysen. Die Sequenzierung alter DNA ergab, dass europäische Eiszeit-Flusspferde nah mit heute lebenden afrikanischen Flusspferden verwandt sind und zur selben Art gehören. Die Radiokarbondatierungen wiesen ihr Vorkommen während einer milderen Klimaphase in der mittleren Weichsel-Eiszeit nach.
Eine zusätzliche genomweite Analyse ergab eine sehr geringe genetische Vielfalt, was darauf hindeutet, dass die Population im Oberrheingraben klein und isoliert war. Diese Ergebnisse und weitere fossile Funde machen deutlich, dass die an sich wärmeliebenden Flusspferde im gleichen Zeitfenster wie kälteangepasste Arten wie Mammuts und Wollnashörner auftraten.
„Die Ergebnisse zeigen, dass Flusspferde am Ende der letzten Warmzeit nicht aus Mitteleuropa verschwunden sind, wie zuvor angenommen wurde“, fasst der Erstautor Dr. Patrick Arnold zusammen. „Demzufolge sollten wir weitere europäische Flusspferd-Fossilien, die traditionell der letzten Warmzeit zugeordnet werden, erneut analysieren.“
Dass die Eiszeit-Forschung noch viele spannende Fragestellungen bereithält, davon ist auch Prof. Dr. Wilfried Rosendahl, Generaldirektor der Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim und Leiter des Forschungsprojekts „Eiszeitfenster Oberrheingraben“, überzeugt: „Die aktuelle Studie liefert wichtige neue Erkenntnisse, die eindrucksvoll belegen, dass die Eiszeit nicht überall gleich war, sondern dass es lokale Besonderheiten gab, die zusammen betrachtet ein komplexes Gesamtbild ergeben – ähnlich wie bei einem Puzzle. Es wäre nun interessant und wichtig, weitere wärmeliebende Tierarten, die bisher immer allgemein der letzten Warmzeit zugeschrieben wurden, genauer zu untersuchen.“
Die Studie wurde im Rahmen des Projekts „Eiszeitfenster Oberrheingraben“ durchgeführt, gefördert durch die Klaus Tschira Stiftung Heidelberg. Das interdisziplinäre Projekt trägt dazu bei, die Klima- und Umweltentwicklung im Oberrheingraben bzw. in Südwestdeutschland in den letzten 400.000 Jahren zu verstehen. Untersuchungsobjekte sind eiszeitliche Knochenfunde aus der Sammlung Reis, die sich an den Reiss-Engelhorn-Museen befinden.
Die Publikation online: Arnold et al., 2025, Ancient DNA and dating evidence for the dispersal of hippos into central Europe during the last glacial, Current Biology 35, 1–9: https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(25)01205-9

09.10.2025, Deutsche Wildtier Stiftung
Rückkehr der Riesen: Elchbegegnungen in Deutschland werden immer wahrscheinlicher
Elch Emil hat wochenlang Österreich begeistert, vor einigen Tagen wurde er in Bayern gesichtet. Gestern tauchte ein Elch im Schwarzwald auf – werden wir künftig immer häufiger Elche in Deutschland erleben? Gut möglich, sagt Professor Dr. Klaus Hackländer, Wildtierbiologe und Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung: „Da der Elchbestand in Europa zunimmt, werden auch Sichtungen in Deutschland immer wahrscheinlicher.“
Die meisten Tiere wandern aus Tschechien und Polen ein, wo sich die Elchpopulationen durch ein Jagdverbot in diesen Ländern seit rund 20 Jahren erholen konnten. Junge Elchbullen machen sich nun verstärkt auf die Suche nach neuen Revieren – und wandern auch gen Westen. Bis zu 20 Tiere könnten bereits in Deutschland sein, schätzen Experten.
Am wohlsten fühlen sich Elche in naturnahen Wäldern mit Wasserflächen zum Tauchen und Baden an warmen Tagen – ihre Bewegungsaktivität nimmt ab einer Umgebungstemperatur von über 14 Grad Celsius ab. „Daher ist das Vorkommen in Deutschland auch davon abhängig, ob genügend Gewässer vorhanden sind, in denen sich die großen Pflanzenfresser abkühlen können“, so Wildtierbiologe Hackländer. Auch die Nahrungsverfügbarkeit spielt eine Rolle. Elche ernähren sich von Gräsern, Knospen, Rinde, Wasserpflanzen und frischen Trieben. Bis zu 40 Kilo Grünes vertilgen sie am Tag. Ihre einzigen Feinde sind Wolf und Bär – und natürlich der Mensch.
Die größte Gefahr für die langbeinigen Riesen ist der Verkehr. „Das dichte Straßennetz ist einer der Hauptgründe dafür, dass der Elch sich noch nicht bei uns etablieren konnte“, sagt Hackländer. Elche flüchten nicht vor herannahenden Fahrzeugen, sondern bleiben wie angewurzelt auf der Straße stehen, um den vermeintlichen Feind zu beobachten. In Schweden, wo circa 400.000 Elche in freier Wildbahn leben, kommen aufgrund dieses Verhaltens etwa 5.000 Tiere jährlich bei Kollisionen mit Fahrzeugen ums Leben. Auch in Deutschland gab es bereits Unfälle mit Vertretern Europas größter Hirschart.
Um Elche zu schützen, sind mehr Grünbrücken und Wildtierkorridore entscheidend. Sie vernetzen Lebensräume und ermöglichen sichere Straßenquerungen – doch vielerorts fehlen solche Strukturen noch. „Wenn es gelingt, Wildtierlebensräume besser miteinander zu verbinden, könnte der Elch wieder Teil unserer heimischen Fauna werden und unsere Artenvielfalt bereichern“, sagt Hackländer.
Buch-Tipp: Sebastian Brackhane & Klaus Hackländer (Hrsg.): “ Die Rückkehr der großen Pflanzenfresser. Konfliktfeld oder Chance für den Artenschutz?“, gefördert durch die Deutsche Wildtier Stiftung, 480 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-98726-031-5, 39 Euro. (Rezension)

10.10.2025, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Seit fast 40 Jahren vermisst: Meeresschnecke gilt seit heute als ausgestorben
Eine ehemals auf der Kapverdischen Insel São Vicente vorkommende Meeresschnecke gilt nun als offiziell ausgestorben. Dies gab die Rote Liste gefährdeter Arten der IUCN (International Union for Conservation of Nature) heute bekannt. Seit der letzten Sichtung von Conus lugubris 1987 wurde kein Individuum mehr gefunden. Küstenbebauung und die Zerstörung ihres sensiblen Lebensraums führten zu dem Verschwinden der Kegelschnecke. Der Verlust der Art hat inzwischen zu wirkungsvollen Schutzmaßnahmen in Kap Verde geführt und neue Impulse für den Schutz mariner Wirbelloser weltweit gesetzt.
Die jetzt als ausgestorben geltende Schnecke aus der Familie der Kegelschnecken war bis in die späten 1980er Jahre in der Matiota-Region an der Nordküste von São Vicente häufig anzutreffen. „Die Ursache ihres Verschwindens liegt in massiven Eingriffen in den Lebensraum der erdnussgroßen Meeresschnecke“, erklärt Prof. Dr. Julia Sigwart vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und fährt fort: „Insbesondere die Küstenentwicklung und die damit verbundene Zerstörung des ohnehin kleinen Habitatbereiches haben zum Aussterben dieses räuberischen Mollusks geführt.“
In früheren Bewertungen der IUCN wurde die Art als gefährdet geführt; nun wurde der Status auf „Extinct“, also ausgestorben, geändert. Der letzte bestätigte Nachweis eines lebenden Exemplars stammt aus dem Jahr 1987. Auch jährliche Suchaktionen ab 2011 unter Leitung des Wissenschaftlers Guilherme Mascarenhas von der Universidade Técnica do Atlântico auf São Vicente brachten keinen Erfolg. „Seit 38 Jahren konnten keine lebenden Exemplare dieser Art mehr gefunden werden. Diese Zeit reicht über mindestens sechs Schnecken-Generationen hinweg. Angesichts dieser Fakten können wir mit trauriger Gewissheit feststellen, dass Conus lugubris ausgestorben ist“, erklärt Dr. Manuel Jimenez Tenorio, Molluskenexperte von der Universität Cádiz, der maßgeblich an der Bewertung beteiligt war.
Bisher sind nur rund 15 Prozent aller bewerteten Arten auf den Roten Listen der IUCN marinen Ursprungs, lediglich 20 Prozent sind Wirbellose. „Um diese Lücke zu schließen, haben wir – als Teil der Gesamtstrategie der Senckenberg Ocean Species Alliance (SOSA) – die ‚Marine Invertebrate Red List Authority (MIRLA)‘ ins Leben gerufen – mit dem Ziel, Bewertungen mariner Wirbelloser weltweit zu beschleunigen“, erläutert Sigwart, Koordinatorin von MIRLA und betont: „Die Rote Liste ist ein politisch bedeutendes Instrument zur Förderung von Schutzmaßnahmen.“
Bereits 2011 zeigte eine umfassende Studie, dass die Kegelschnecken in Kap Verde stark gefährdet sind – insbesondere die dortigen endemischen Arten. Diese Erkenntnis war mitentscheidend dafür, dass Kap Verde im Jahr 2022 ein neues Gesetz zum Schutz heimischer Tier- und Pflanzenarten verabschiedete. Die Initiative wurde federführend von Forschenden der Universität Cádiz und dem Museo Nacional de Ciencias Naturales-CSIC in Spanien getragen – unter Leitung von Dr. Rafael Zardoya – sowie in Zusammenarbeit mit Rui Freitas von der Universidade Técnica do Atlântico in Kap Verde.
„Es ist zutiefst traurig, dass wir erneut eine Art für immer verloren haben. Gleichzeitig schenkt es Hoffnung, dass die durch das Schicksal der kleinen Kegelschnecke angestoßenen Schutzgesetze künftige Generationen von Arten vor dem gleichen Verlust bewahren können“, schließt Sigwart.

09.10.2025, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Auf frischer Tat ertappt: Europas größte Fledermaus jagt und verzehrt Singvögel in der Luft
Seit 25 Jahren versucht ein internationales Forschungsteam ein seltenes Verhalten des Riesenabendseglers, Europas größter Fledermausart, zu dokumentieren. Nun zeigen Senderdaten erstmalig, dass diese Fledermäuse nicht nur kleine Vögel fressen – sie jagen und fangen sie mehr als einen Kilometer über dem Boden und verzehren sie, ohne zu landen. In einer am 9. Oktober 2025 in der Fachzeitschrift „SCIENCE“ veröffentlichten Studie analysierte das Team Daten von Riesenabendseglern, die in der biologischen Station Doñana in Spanien mit Mini-Biologgern markiert wurden, und rekonstruiert detailliert, wie die Fledermäuse die Jagd und die Mahlzeit in der Luft bewältigen.
Jedes Jahr migrieren Milliarden von Singvögeln zwischen ihren Brutgebieten und Überwinterungsgebieten. Viele Arten fliegen in großer Höhe und während der Nacht, um tagaktiven Raubtieren auszuweichen. Dies macht die Reise jedoch nicht völlig risikofrei – denn nachts jagen Fledermäuse. Die neue Studie unter der Leitung von Laura Stidsholt von der Universität Aarhus sowie Carlos Ibáñez und Elena Tena von der Biologischen Station Doñana zeigt, dass einige Fledermäuse hoch in den Nachthimmel fliegen, um Vögel aufzuspüren und zu jagen. Das Team stattete Riesenabendsegler (Nyctalus lasiopterus) mit winzigen „Rucksäcken” mit Biologgern aus, welche die Position, Beschleunigung, Höhe und die akustischen Signale der Fledermäuse und ihrer Umgebung aufzeichneten und auf diese Weise ihre Jagdtechnik offenbarten.
Eine Jagd, rekonstruiert anhand von Biologger-Daten
Unter den mehr als 600 erfassten Jagdflügen von 14 besenderten Riesenabendseglern, die das Team auswertete, stachen zwei hervor: Im Gegensatz zur üblichen Jagd auf Insekten, die durch eine kurze Verfolgung von meist weniger als 10 Sekunden und niedrige Flughöhen von durchschnittlich 53 Metern über dem Boden gekennzeichnet ist, stiegen die Fledermäuse in diesen Fällen hoch in den Himmel, starteten den Angriff durch eine schnelle Folge kurzer Echoortungsrufe und verfolgten Singvögel in steilen, rasanten Sturzflügen in Richtung Boden. Sie stürzten sich 30 beziehungsweise 176 Sekunden lang senkrecht nach unten und beschleunigten weiter mit schnellen und kräftigen Flügelschlägen, während sie schnelle Folgen von Echoortungsrufen ausstießen. Eine gab die Jagd nach 30 Sekunden schließlich auf – Vögel sind in der Luft mindestens genauso wendig wie Fledermäuse. Die zweite Fledermaus jedoch fing ihre Beute – ein Rotkehlchen – in Bodennähe nach fast dreiminütiger Verfolgung. Das Mikrofon des Loggers zeichnete 19 Rufe des verfolgten Vogels auf, gefolgt von 23 Minuten deutlich vernehmbaren Kaugeräuschen der Fledermaus, die noch immer in geringer Höhe flog.
In Kombination mit Röntgen- und DNA-Analysen der Flügel von Singvögeln, die unter den Jagdgebieten der Fledermäuse gefunden wurden, zeichnen die Daten ein klares Bild von der Jagd: Die Riesenabendsegler töten die Vögel mit einem kräftigen Biss und beißen ihnen dann die Flügel ab – wahrscheinlich, um Gewicht und Luftwiderstand zu reduzieren. Die Forschenden nehmen an, dass die Fledermäuse dann die Membran zwischen ihren Hinterbeinen wie einen Beutel nach vorne stülpen und den Vogel während des Fluges fressen.
„Wir wissen, dass Singvögel tagsüber wilde Ausweichmanöver wie Loopings und Spiralen ausführen, um Beutegreifern wie Falken zu entkommen – und nachts wenden sie dieselben Taktiken gegen Fledermäuse an. Es ist faszinierend, dass Fledermäuse sie nicht nur fangen, sondern auch töten und fressen können, während sie fliegen. Ein solcher Vogel wiegt etwa halb so viel wie die Fledermaus selbst – das wäre so, als würde ich beim Joggen ein 35 Kilogramm schweres Tier fangen und essen“, sagt Laura Stidsholt, Assistenzprofessorin in der Abteilung für Biologie der Universität Aarhus. Stidsholt ist die Erstautorin des Science-Aufsatzes und hat die Biologger-Technologie in ihrer Fledermausforschung mehrere Jahre lang verfeinert und angewendet, was zu zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen – und Entdeckungen – geführt hat. Als sie die Datenerhebung abschloss und die Analyse für diese Arbeit durchführte, war Stidsholt Postdoktorandin in der Fledermausforschungsgruppe von Prof. Christian Voigt am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) in Berlin.
Forschende ertappen eine Fledermaus auf frischer Tat und lösen ein 25 Jahre altes Rätsel
Seit einigen Jahrzehnten ist bekannt, dass mindestens drei große Fledermausarten sich von kleinen Vögeln ernähren, die sie in der Luft jagen und fangen. Ein Großteil dieses Wissens stammt aus der Arbeit des spanischen Fledermausforschers Carlos Ibáñez und seiner Kollegen an der Biologischen Station Doñana in Spanien. Vor fast 25 Jahren entdeckte Ibáñez Federn im Kot von Riesenabendseglern und sammelte seitdem immer mehr Beweise dafür, dass diese Fledermausart Singvögel fangen und fressen. Jahrelang versuchten die Forschenden herauszufinden, wie die Fledermäuse diesen gewagten Stunt in luftigen Höhen bewerkstelligen. „Wir wussten, dass der Riesenabendsegler Insekten im Flug fängt und frisst, also nahmen wir an, dass er das auch mit Vögeln tut – aber wir mussten es beweisen“, sagt Ibáñez. Die Hypothese stieß in der wissenschaftlichen Gemeinschaft zunächst auf Skepsis, da einige Vögel fast halb so schwer sind wie die Fledermaus selbst und somit die Flugfähigkeit der Fledermäuse beeinträchtigen könnten.
Da Fledermäuse nachts jagen, ist es unmöglich, die Jagd zu filmen. Stattdessen versuchten Forschende es mit Überwachungskameras an Schlafplätzen, Militärradar, Ultraschallrekordern an Heißluftballons und GPS-Trackern. Die größte Herausforderung bestand darin, Geräte zu finden, die leicht genug für die Fledermäuse waren. Solche leichten Mini-Biologger wurden an der Universität Aarhus entwickelt. Jetzt – kurz vor der Pensionierung von Carlos Ibáñez – konnte das Team endlich die Jagd eines Riesenabendseglers auf einen Singvogel dokumentieren. Für Elena Tena, ebenfalls eine der Hauptautorinnen der Studie, war es nach so vielen Jahren der Arbeit ein intensiver Moment, die Tonaufnahme der Stressrufe des Vogels zu hören, gefolgt von plötzlicher Stille und langen Kaugeräuschen: „Es weckt zwar Mitgefühl für die Beute, aber es ist Teil der Natur. Wir wussten, dass wir etwas Außergewöhnliches dokumentiert hatten. Für das Team bestätigte es, wonach wir so lange gesucht hatten. Ich musste es mir mehrmals anhören, um vollständig zu begreifen, was wir aufgenommen hatten.“
Riesenabendsegler stellen keine Bedrohung für Singvögel-Bestände dar – und sind selbst eine bedrohte Art
Glücklicherweise gibt es kaum Grund zur Sorge, dass Fledermäuse die Bestände von Singvögeln bedrohen könnten. Der Riesenabendsegler ist äußerst selten und in vielen Regionen vom Aussterben bedroht, da seine Lebensräume in naturnahen Wäldern verschwinden. Prof. Christian Voigt, Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie am Leibniz-IZW, sagt: „Wir müssen dafür sorgen, dass wir sowohl Zugvögel als auch ihre Fressfeinde schützen. Für die Riesenabendsegler bedeutet dies insbesondere den Erhalt von natürlichen Wäldern mit alten Bäumen, die reich an Höhlen sind.“
Originalpublikation:
Stidsholt L, Tena E, Foskolos I, Nogueras J, de la Hera I, Sánchez-Navarro S, García-Mudarra JL, Ibáñez C (2025): Greater noctule bats prey on and consume passerines in flight. SCIENCE. DOI: 10.1126/science.adr2475

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