24.02.2025, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Invasive Raubfische aus dem Meer: Nicht nur Schiffe, auch viele Fische nutzen den Panamakanal
Jährlich durchqueren 14.000 Schiffe den Panamakanal. Aber auch für invasive Fischarten ist er eine mögliche Passage von einem Ozean in den anderen. Forschende des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), der FU Berlin, des Smithsonian Tropical Research Institute in Panama und der US-amerikanischen Harvard University haben die Fischgemeinschaften des Gatúnsees im Wasserkorridor des Panamakanals vor und nach der Kanalerweiterung 2016 verglichen: Seit den baulichen Veränderungen am Schleusensystem des Kanals gelangen deutlich mehr marine Fischarten in den Süßwassersee, darunter vor allem große Raubfische. Die eingewanderten Arten machen 76 % des Fischbestandes aus.
Die Seeschifffahrt ist einer der wichtigsten Verbreitungsweg für gebietsfremde Arten. Dennoch wurden durch den Panamakanal in der Vergangenheit nur relativ wenige Fischarten von einem Ozean in den anderen eingeschleppt. Vor allem eine weiche Barriere innerhalb des Kanals – der Süßwassersee Gatún – hinderte Fische erfolgreich daran, weiter zu wandern. Mit der Erweiterung des Panamakanals im Jahr 2016 wurden jedoch umfangreiche bauliche Veränderungen am Schleusensystem vorgenommen, die die Invasion mariner Fische in den Panamakanal erleichtern könnten, so die Hypothese eines Forschungsteams aus Panama, Deutschland und den USA. Denn die neuen Schleusen für die Durchfahrt von Megaschiffen sind größer als die alten. Jedes Mal, wenn ein Schiff hindurchfährt, fließt also mehr Süßwasser ins Meer, mehr Meerwasser schwappt hinein – und damit womöglich auch mehr Meeresfische.
Die Forschenden verglichen die Fischpopulationen vor (2013-2016) und nach (2019-2023) dem Ausbau des Kanals. Dazu nutzten sie eine einzigartige Langzeitreihe wissenschaftlicher Fangdaten zu Anzahl, Biomasse und räumlicher Verteilung der verschiedenen Arten. „Der Panamakanal hat das Potenzial, die marine Flora und Fauna des Atlantiks und des Pazifiks zu verbinden, die seit drei Millionen Jahren voneinander getrennt sind. Vor dem Ausbau des Kanals war dieses Potenzial relativ gering. Jetzt sieht es so aus, als ob die Durchlässigkeit des Kanals für interozeanische Invasionen zunimmt“, sagt Gustavo A. Castellanos-Galindo. Er ist einer der beiden Erstautoren der Studie und forscht am IGB, der FU Berlin und dem Smithsonian Tropical Research Institute.
Nach der Kanalerweiterung: Anteil der Meeresfischarten an Gesamtmasse von 26 auf 76 Prozent gestiegen:
Seit 2016 hat sich die Zusammensetzung der Fischgemeinschaften des Gatúnsees nämlich deutlich verschoben: von Süßwasserarten hin zu mehr marinen Fischen. Vor der Kanalerweiterung machten die marinen Fische nur 26 Prozent aus, nun sind es 76 Prozent der Gesamtmasse an Fischen. Von den marinen Arten stammen 18 Arten aus dem Atlantik und fünf aus dem Pazifik. Die Biomasse der Fischgemeinschaft des Sees bestand vor 2016 zu etwa 57 Prozent aus gebietsfremden Süßwasserfischen, insbesondere einem südamerikanischen Buntbarsch (Cichla ocellaris var. monoculus) und dem Nil-Tilapia (Oreochromis niloticus), während einheimische Süßwasserfische nur 17 Prozent ausmachten. Nach der Erweiterung des Kanals machen einheimische und gebietsfremde Süßwasserfischarten nur noch 11 bzw. 13 Prozent der Gesamtfischbiomasse aus.
Große Raubfische aus dem Meer verändern das Nahrungsnetz und damit die Fischbestände für die lokale Fischerei:
Die Forschenden untersuchten auch funktionelle Gruppen. Dabei wurden die Fischarten zusammengefasst, die Umweltressourcen auf ähnliche Weise nutzen. Auf diese Weise lässt sich der Einfluss der veränderten Fischgemeinschaft auf das Ökosystem besser abschätzen. Das Team fand 15 neue funktionelle Gruppen in der Fischgemeinschaft des Gatúnsees nach dem Ausbau des Kanals. Die (gewichtsmäßig) repräsentativste Gruppe sind große Raubfische, die im Freiwasser leben, wie der Atlantische Tarpun (Megalops atlanticus). Umgekehrt fehlen acht funktionelle Gruppen aus der Zeit vor der Erweiterung: Sie entsprechen überwiegend einheimischen Süßwasserfischarten von meist geringer Größe, die sich detritivor – also von zerkleinertem organischem Material – ernähren oder Allesfresser sind, zum Beispiel Brycon petrosus. „Das Nahrungsnetz im Gatúnsee wird durch die neuen marinen Fischarten enorm verändert. Das hat auch starke Auswirkungen auf die lokale Fischerei“, sagt Prof. Jonathan Jeschke, Mitautor der Studie und Wissenschaftler am IGB und der FU Berlin.
Gefahr der interozeanischen Einschleppung von Arten:
Die Forscherinnen und Forscher untersuchten auch das Risiko, das diese Veränderungen für die mögliche Einschleppung interozeanischer Arten darstellen. „Die Zunahme von Meeresorganismen in diesem Wasserkorridor steigert die Wahrscheinlichkeit, dass einige Arten den Kanal passieren und den gegenüberliegenden Ozean besiedeln. Da es sich bei den meisten dieser Meeresfische um Spitzenprädatoren mit einem breiten Nischenspektrum handelt, wird ihre Besiedlung des Atlantiks und des Pazifiks wahrscheinlich die ökologischen Wechselwirkungen verändern und möglicherweise zu Veränderungen auf Ökosystemebene führen“, sagt Gustavo A. Castellanos-Galindo.
Originalpublikation:
Gustavo A. Castellanos-Galindo, Diana M.T. Sharpe, D. Ross Robertson, Victor Bravo, Jonathan M. Jeschke, Mark E. Torchin, New fish migrations into the Panama Canal increase likelihood of interoceanic invasions in the Americas, Current Biology, 2025, ISSN 0960-9822, https://doi.org/10.1016/j.cub.2025.01.049
26.02.2025, Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V.
Insektenfreundliche Landwirtschaft braucht Teamwork: Erfolgreich kooperieren für den Insektenschutz
Wie können Landwirtinnen und Landwirte durch ihre aktive Beteiligung den Insektenschutz wirksamer machen? Ein Forschungsteam entwickelt und testet in drei Agrarregionen Deutschlands gemeinsam mit Praxisakteuren Maßnahmen zur Förderung der Insektenvielfalt. So konnten viele Maßnahmen, wie mehrjährige Blühstreifen, vielfältigere Fruchtfolgen, Anlage von Hecken und Streifenanbau nur durch diese partnerschaftliche Zusammenarbeit umgesetzt werden und ihre potenzielle ökologische Wirkung in der Landschaft entfalten. Worauf es ankommt und welche ersten Erfahrungen gemacht wurden, wird im Journal of Innovation Management im Rahmen einer Veröffentlichung unter Leitung des ZALF dargelegt.
Um Agrarlandschaften insektenfreundlicher zu gestalten, wurden drei sogenannte Landschaftslabore in verschiedenen Regionen Deutschlands eingerichtet. Landschaftslabore sind großflächige Experimentierräume, in denen Wissenschaft, Landwirtschaft und weitere regionale Akteure/innen gemeinsam an nachhaltigen Lösungen für die Agrarlandschaft arbeiten. Sie ermöglichen es, innovative Maßnahmen nicht nur im kleinen Maßstab auf einzelnen Feldern, sondern auf der Landschaftsebene zu erproben und ihre langfristige Wirkung zu analysieren.
Die drei Landschaftslabore des Projekts liegen in folgenden Regionen:
– Havelländisches Luch (Brandenburg): Eine feuchte Niederungslandschaft mit hohem Anteil an Grünland und einem ausgedehnten Wassergrabennetz, die sowohl für die Tierhaltung als auch für den Ackerbau (Mais, Weizen, Gerste und Raps) genutzt wird. Die Betriebe und Felder sind hier im Vergleich zu den anderen Landschaften im Durchschnitt größer.
– Elm (Niedersachsen): Eine von Ackerbau geprägte Hügellandschaft mit sehr heterogenen Böden und einer durchschnittlichen Betriebsgröße von 180 ha. Hauptsächlich werden Wintergetreide und Raps aber auch viele andere Feldfrüchte angebaut.
– Rottal (Bayern): Eine Agrarlandschaft mit fruchtbaren Böden und kleinen Feldgrößen, die aber stark durch den Maisanbau geprägt sind. Hier ist die Erosion durch starke Niederschläge eine große Herausforderung.
Gemeinsam für mehr Artenvielfalt
Die Akzeptanz und Umsetzung wirksamerer Fördermaßnahmen für Insekten durch die Landwirte/innen gilt in der Ökologie allgemeinhin als „Flaschenhals“ für mehr Wirksamkeit bei der Förderung von Insekten. In einem gemeinsamen Aufruf haben deshalb kürzlich mehr als 300 Wissenschaftler/innen weltweit neben einer besseren Ausgestaltung der Maßnahmen und eines verbesserten Monitorings vor allem auch eine stärkere Einbeziehung von Landwirten/innen in die Ausgestaltung der Fördermaßnahmen gefordert. In den drei Landschaftslaboren des Projektes FInAL unter Federführung des Braunschweiger Thünen-Instituts erproben Landwirte/innen gemeinsam mit Forschenden wie sich Agrarlandschaften und Agrarproduktion insektenfreundlicher gestalten lassen.
„Unser Ziel ist es, Landwirtinnen und Landwirte aktiv in die Entwicklung und Umsetzung der Maßnahmen einzubinden“, erklärt Dr. Maria Busse vom ZALF. „Sie wissen am besten, was in der Praxis funktioniert. Durch die enge Zusammenarbeit können wir Lösungen entwickeln, die diese gern ausprobieren. So steigt die Identifikation mit dem Projekt und den Maßnahmen. Die Maßnahmen werden so ausgewählt, dass sie sowohl Insekten Lebensraum bieten als auch wirtschaftlich tragfähig sind.“
Wie wurde zusammengearbeitet?
Das Forschungsteam setzt auf einen kooperativen Gestaltungsprozess, das sogenannte „Co-Design“, in dem Wissenschaftler/innen, Landwirte/innen und weitere regionale Akteure/innen gemeinsam Maßnahmen entwickelten. So kommen Lösungsvorschläge nicht nur, wie bisher oft üblich, aus der Wissenschaft, sondern auch aus der landwirtschaftlichen Praxis. Die Ideen und das Wissen werden so verknüpft, dass sie Lösungen hervorbringen, die ohne diese Zusammenarbeit nicht entstanden wären. Ein solcher Prozess braucht ein durchdachtes Konzept, viel Koordination und eine wissenschaftliche Begleitung, um Erfolge sichtbar zu machen und den Prozess gegebenenfalls anpassen zu können. Dazu werden folgende Schritte durchgeführt und Methoden angewendet, die Schritt für Schritt von der Entwicklung zur Erprobung und Bewertung führen:
1. Interviews: Zu Beginn des Projektes wurden die Landwirte/innen befragt, was sie motiviert, sich am Projekt zu beteiligen, wie ihre Erwartungen sind und welche Bedeutung für sie Insekten in der Agrarlandschaft haben.
2. Workshops: In partizipativen Arbeitstreffen zwischen Wissenschaftler/innen, Landwirten/innen, Naturschutzorganisationen, kommunalen Behörden und landwirtschaftlichen Beratungsstellen werden die Ziele für jedes Landschaftslabor gemeinsam festgelegt, Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten diskutiert, Maßnahmen für die gesamte Landschaft ausgestaltet und bewertet.
3. Planungsgespräche mit einzelnen Landwirten/innen ergänzen die Workshops. So kann auf individuelle Bedarfe eingegangen werden.
4. Experimentierflächen im Landschaftslabor: Landwirte/innen legen in Zusammenarbeit mit Forschenden z.B. mehrjährige Blühstreifen an, testen blühende Feldfrüchte oder stellen auf mehrjährige Kulturen um.
5. Feldbegehungen sind bei Landwirten/innen besonders beliebt, weil sie sich so am
besten mit ihren Berufskolleg/innen zu den umgesetzten Maßnahmen austauschen können und hier Ideen für Neues entstehen.
6. Partizipative Kartierung: Mit digitalen und analogen Karten werden in den Workshops Maßnahmen auf Landschaftsebene geplant, um ihre räumliche Wirkung besser zu verstehen.
7. Reflexionsrunden: Die Beteiligten bewerten regelmäßig die Machbarkeit der Maßnahmen und passten sie an ihre Bedürfnisse an. Auch der gesamte Gestaltungsprozess wird regelmäßig reflektiert und angepasst.
„Besonders wertvoll ist für die Landwirtinnen und Landwirte, dass im Projekt Landwirtschaft, Naturschutz und Wissenschaft miteinander kooperieren und dadurch neue Impulse gesetzt werden, die das gegenseitige Lernen fördern und auch den Insektenschutz aktiv voranbringen. Unsere Praxispartner/innen schätzen außerdem sehr, Maßnahmen ohne finanzielles Risiko ausprobieren und so zeigen zu können, dass sie sich aktiv für den Erhalt von Insekten einsetzen“, ergänzt Dr. Busse.
Experimentieren unter realen Bedingungen
Landwirte/innen bewerten den Co-Design-Ansatz als flexibel, konstruktiv und vertrauensbildend. Sie konnten dadurch z.B. viel über die Bedarfe der Insekten und die Umsetzung insektenfreundlicher Maßnahmen lernen. Jedoch bestehen noch Herausforderungen bei der Zusammenarbeit mit anderen Landwirten/innen, da sie die Wirtschaftlichkeit ihrer Betriebe im Blick haben müssen und es bisher weniger gewohnt waren, die ökologischen, betriebsübergreifenden Zusammenhänge in der Landschaft zu berücksichtigen.
Eine solch enge Zusammenarbeit zwischen Praxis und Wissenschaft funktioniere laut Dr. Busse nur, wenn es in jedem Landschaftslabor eine feste Ansprechperson gebe, die die Tätigkeiten und Interaktionen orchestriere. Zudem sei es langfristig wichtig, wirtschaftlich tragfähige Lösungen zu etablieren, um den Schutz der Insekten dauerhaft, über die Projektlaufzeit hinaus, in der landwirtschaftlichen Praxis zu verankern.
„Es braucht eine vertrauensvolle und langfristige Kooperation, also eine stabile Vernetzung zwischen Landwirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung, die gemeinsame Ziele verfolgt und voranbringt, um nachhaltige Veränderungen zu erreichen“, ergänzt Prof. Jens Dauber, einer der Co-Autoren vom Thünen-Institut.
Was passiert mit den Ergebnissen?
Die Erkenntnisse aus den Landschaftslaboren werden nun für weitere Akteure in den Agrarlandschaften zugänglich gemacht, damit solche Maßnahmen in die Breite getragen werden können. Dazu werden Handlungsempfehlungen für Politik und Landwirtschaft entwickelt. Zudem soll geprüft werden, ob die Zusammenarbeit von Praxis und Wissenschaft in Landschaftslaboren ein übertragbarer Ansatz ist und wie langfristige Kooperationen sichergestellt werden können.
Originalpublikation:
https://doi.org/10.24840/2183-0606_012.003_0012
28.02.2025, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Ur-Mollusk: Harte Schale, keine Augen und eine Raspelzunge
Ein internationales Forschungsteam hat ein zentrales Rätsel der Evolution gelöst. Die Forschenden analysierten 77 Mollusken-Genome und konnten so den Stammbaum der Weichtiere, einer der artenreichsten Tiergruppen, entschlüsseln. Die gerade als Titelstory in der renommierten Fachzeitschrift „Science“ veröffentlichte Studie liefert neue Erkenntnisse über den Vorfahren aller heutiger Mollusken. Dieser besaß wahrscheinlich eine robuste Schale, einen Fuß zur Fortbewegung, keine Augen und eine Radula als Mundwerkzeug. Mollusken zeigen eine große genomische Variabilität. Diese genetische Flexibilität könnte den evolutionären Erfolg der Weichtiere erklären, heißt es in der Studie.
Mollusken sind – mit über 100.000 bekannten und unzähligen noch unentdeckten Arten – ein äußerst vielfältiger Tierstamm, der nahezu alle Lebensräume der Erde besiedelt. Ihre Körperformen und Lebensweisen sind bemerkenswert verschieden: Von winzigen Schnecken bis zu mehreren Metern langen Riesenkalmaren, von sessilen Filtrierern bis zu Tieren mit hoher Intelligenz und komplexen Tarnmechanismen. „Wir finden Mollusken in der Tiefsee, an Küsten, im Süßwasser und an Land. Sie sind Pflanzenfresser, Räuber oder Aasfresser. Weichtiere tragen erheblich zur Stabilität mariner und terrestrischer Ökosysteme bei. Einige Arten dienen auch als Modellorganismen in der Medizin“, erklärt die Erstautorin der Studie Dr. Zeyuan Chen vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und fügt hinzu: „Ihre außergewöhnliche Vielfalt erschwert jedoch auch eine zuverlässige Erfassung ihrer Evolutionsgeschichte.“
Chen und ein internationales Team haben die Genome von 77 Mollusken-Arten aus allen der acht heutigen artenreichen Weichtiergruppen untersucht. 13 dieser Genome – alle von seltenen Mollusken-Arten – wurden von Senckenberg-Forscher*innen aus Frankfurt und Wilhelmshaven erstmalig generiert. Mit Hilfe modernster Techniken rekonstruierten die Forschenden einen detaillierten Stammbaum und bestätigten wichtige Hypothesen zur Abstammung der Weichtiere.
„Durch unsere Daten können wir nun ein viel besseres Bild des Ahnen aller Weichtiere zeichnen“, erläutert Chen und fährt fort: „Dieser vor mehr als 500 Millionen Jahren entstandene ‚Ur-Mollusk‘ hatte wahrscheinlich eine harte Schale, einen Fuß zur Fortbewegung, keine Augen und eine Radula – ein charakteristisches Fresswerkzeug in Form einer Raspelzunge.“
Die Wissenschaftler*innen bestätigen, dass sich Mollusken früh in ihrer Evolutionsgeschichte in zwei Gruppen aufteilten. Zu den Aculifera gehören Arten mit kleinen, nadelartigen Stacheln und bisweilen auch festen Schalen. Zu den Conchifera gehören die „traditionellen“ Mollusken-Gruppen wie Schnecken, Muscheln und Kopffüßer. Die neuen Erkenntnisse lösen außerdem eine seit langem geführte wissenschaftliche Debatte über die evolutionären Beziehungen zwischen bestimmten Mollusken-Gruppen. Monoplacophora – kopflose Weichtiere mit einer kappenartigen Schale, die als „lebende Fossilien“ gelten – bilden laut der Studie den ältesten Abstammungszweig innerhalb der Conchifera. Die Forschenden schlagen zudem „Megalopodifera“ – die „Großfuß-Weichtiere“ – als neue Verwandtschaftsgruppe vor, die Schnecken, Muscheln und Scaphopoden umfasst. Der Name deutet darauf hin, dass sich diese Gruppen rasch aus einem gemeinsamen Vorfahren mit großem, ausstreckbarem Fuß und zurückziehbarem Körper entwickelten.
„Die hohe genetische Vielfalt von Mollusken sorgt sehr wahrscheinlich dafür, dass sie sich so erfolgreich an eine Reihe von Umgebungen und Umweltbedingungen anpassen konnten“, fasst Prof. Dr. Julia Sigwart, Leiterin der Abteilung Malakologie am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt zusammen und weiter: „Unsere Forschung liefert eine Grundlage für das Verständnis der Evolution und der Biologie einer der erfolgreichsten Tiergruppen der Erde. Unsere Ergebnisse öffnen die Tür für Anwendungen in der Biotechnologie und im Naturschutz. Wir hoffen, unsere Analyse noch ausweiten zu können, indem wir weitere Arten genetisch untersuchen. Die schier endlosen Formen der Mollusken zeigen die ungeheure Kraft der tierischen Evolution.“
Originalpublikation:
Zeyuan Chen et al. (2025): A genome-based phylogeny for Mollusca is concordant with fossils and morphology. Science. https://www.science.org/doi/10.1126/science.ads0215
27.02.2025, Universität Konstanz
Heuschrecken: Die Regeln des Schwarms neu geschrieben
Eine Studie im Wissenschaftsjournal Science zeigt: Klassische Modelle von kollektivem Verhalten können die Verhaltensmechanismen von Heuschreckenschwärmen nicht erklären – einem ökologischen Phänomen, das Millionen von Menschen weltweit beeinflusst. Die Forschungsergebnisse des Exzellenzclusters „Kollektives Verhalten“ der Universität Konstanz und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie eröffnen eine neue Perspektive auf die kognitiven und sensorischen Mechanismen, die den Schwarmbewegungen zugrunde liegen. Die neuen Befunde stellen lang gehegte Überzeugungen aus dem Gebiet der Tierverhaltensforschung in Frage.
Als biblische Plage hat die Wüstenheuschrecke eine zweifelhafte Berühmtheit erlangt. Mit gewaltigen Schwärmen können diese Insekten eines der größten Tierkollektive unseres Planeten bilden. Die Lebensgrundlage von schätzungsweise jedem zehnten Menschen wird durch den Einfluss von Heuschreckenschwärmen auf die Ernährungssicherheit bedroht. Heuschrecken beginnen Schwärme zu bilden, wenn flugunfähige Jungtiere sich zusammenschließen und unisono losmarschieren. Um solche Insektenplagen unter Kontrolle zu halten und Schwarmbewegungen vorherzusagen, müssen wir verstehen, wie Heuschrecken ihre Bewegung im Schwarm koordinieren. Indem wir erforschen, wie die einzelnen Individuen des Schwarms miteinander interagieren, gewinnen wir zudem wichtige Erkenntnisse darüber, wie kollektive Bewegungen bei Tierarten im Allgemeinen entstehen.
Seit Jahrzehnten wird ein Prinzip, das aus der theoretischen Physik entlehnt ist, als Modell für die kollektive Bewegung von Tieren herangezogen. Die Individuen werden darin als „self-propelled particles“, also „selbst-angetriebene Teilchen“ verstanden. Ähnlich wie bei den Teilchen eines physikalischen Systems (wie z. B. einem Magneten) geht die Hypothese davon aus, dass Tiere ihre Positionen und Bewegungsrichtungen aktiv aneinander ausrichten. Anders als bei Magneten sind diese „Teilchen“ jedoch konstant in Bewegung. Die theoretischen Modelle haben gezeigt: Es reicht bereits aus, wenn Individuen sich nur jeweils mit ihren direkten Nachbarn „in Reih und Glied bringen“, um über den Schwarm hinweg eine großflächige, kohärente Bewegung zu bewirken, in der eine große Zahl an Individuen in dieselbe Richtung marschiert.
Gemäß dieser Hypothese stellt ferner die Dichte zwischen den Tieren einen bestimmenden Faktor für den Übergang von nicht-kohärenter Bewegung (wenn Individuen sich in zufällige Richtungen bewegen) zu einer großflächigen, kohärenten Schwarmbewegung dar. Wenn genügend Tiere auf einem bestimmten Raum zusammenkämen, trete laut der Vorhersagen ein spontaner Übergang von ungeordneten Bewegungen zu einer geordneten Schwarmbewegung ein. Diese Vorhersage wurde später durch Laborexperimente mit großen Heuschreckengruppen scheinbar bestätigt, was die Behauptungen dieser klassischen Modelle untermauerte.
Überprüfung einer lang-geglaubten Hypothese
Mittels einer Kombination aus Feldforschung (während einer Heuschreckenplage in Ost-Afrika im Jahr 2020), Laborstudien, Virtual-Reality-Experimenten mit Heuschrecken und einer Neubewertung bestehender Daten fanden Forschende des Exzellenzclusters „Kollektives Verhalten“ der Universität Konstanz nun heraus, dass die Verhaltensmechanismen hinter der kollektiven Bewegung von Heuschreckenschwärmen nicht durch diese klassischen Modelle erklärt werden können. Ihre Forschungsergebnisse stellen die etablierten Ansichten in Frage, wie kollektive Bewegung in Tierschwärmen entsteht.
„Es ist bekanntermaßen schwierig, die Mechanismen der Interaktion in mobilen Tiergruppen zu erkennen“, schildert Iain Couzin, Hauptautor der Studie. „Die Individuen beeinflussen sich gegenseitig und werden zugleich durch das Verhalten der anderen beeinflusst, in einem komplexen Wechselspiel.“ Um diese Herausforderung zu überwinden, brachte das Team eine immersive, dreidimensionale virtuelle Realität für Heuschrecken zum Einsatz. Anhand dieser konnte es erforschen, wie frei bewegliche Heuschrecken mit einem computergenerierten, „holografischen“ virtuellen Schwarm interagieren. „Dieser Ansatz ermöglichte es uns, Hypothesen über das Verhalten der Schwärme auf eine Art und Weise zu überprüfen, wie es in natürlichen Schwärmen nicht möglich wäre“, erläutert Erstautor Sercan Sayin.
Virtual Reality bietet den Forschenden einen entscheidenden Vorteil: Durch die präzise Kontrolle der visuellen Informationen, welche die Heuschrecken erhalten, können sie feststellen, wie Sinneseindrücke in Bewegungsentscheidungen umgesetzt werden. Im Widerspruch zu früheren Annahmen fanden sie heraus, dass die sogenannte „optomotorische Reaktion“ – ein angeborener Reflex, der Heuschrecken (und viele andere Arten auch) den Sinneseindrücken von Bewegung folgen lässt – nicht die Ursache für koordinierte kollektive Bewegung ist. Tatsächlich fanden sie keine Hinweise darauf, dass Heuschrecken ihre Position und Bewegungsrichtung überhaupt anhand ihrer Nachbarn ausrichten.
So wurden beispielsweise Heuschrecken in einem Virtual Reality-Experiment zwischen zwei virtuellen Schwärmen platziert – einer zu ihrer Linken, einer zu ihrer Rechten –, wobei sich beide in dieselbe Richtung bewegen. Klassische Modelle hätten unter diesen Voraussetzungen vorhergesagt, dass die Heuschrecke sich „mit dem Strom“ mitbewegen würde. Bei dem Experiment stellte sich jedoch heraus, dass die Heuschrecken sich hingegen frontal einem der beiden Schwärme zuwenden und auf ihn zulaufen (anstatt der Bewegungsrichtung der Schwärme zu folgen).
Darüber hinaus fanden die Forschenden heraus, dass die Gruppenformation der Heuschrecken nicht einfach ein Effekt steigender Dichte ist, wie zuvor vermutet wurde. Die gemeinsame Ausrichtung des Heuschreckenschwarms entsteht stattdessen in Reaktion auf kohärente visuelle Sinneseindrücke und ist beinahe gänzlich unabhängig von Dichte. „Es kommt wirklich auf die Qualität der Information an, nicht auf die Quantität“, schildert Sayin. Eine erneute Analyse zahlreicher früherer Laborexperimente, die zunächst für einen dichte-abhängigen Übergang zu kollektiver Bewegung sprachen, bestätigte dieses Ergebnis – ein weiterer Widerspruch zu früheren Annahmen über die Verhaltensmechanismen von Heuschreckenschwärmen.
Kollektives Verhalten neu gedacht
Um die Ergebnisse zu deuten, musste das Forschungsteam die Erklärungsmodelle von kollektivem Verhalten von Grund auf neu denken. „Heuschrecken verhalten sich nicht wie einfache Teilchen, die sich aneinander ausrichten“, unterstreicht Couzin. „Wir müssen sie als kognitive, handelnde Subjekte betrachten, die ihre Umgebung beobachten und auf dieser Grundlage ihre Entscheidungen treffen, wohin sie sich als nächstes begeben.“
Das Forschungsteam entwickelte zur Erklärung ein einfaches kognitives Modell, basierend auf der Neurobiologie. Es beruht auf den neuronalen Schaltkreisen, die Tiere für die räumliche Navigation verwenden – auch als „Ringattraktor“ bezeichnet. In diesem Modell verwenden die Tiere zur Peilung eine einfache neurale Repräsentation der Position benachbarter Tiere, aber nicht von deren Körperausrichtung oder Bewegungsrichtung. Bewegungsentscheidungen entstehen in einem dynamischen Prozess, in dem die einzelnen neuralen Repräsentationen – basierend auf ihrer relativen Positionierung zueinander – miteinander konkurrieren oder zusammenfließen, wodurch schließlich ein Konsens erzielt wird, der über die Bewegungsrichtung entscheidet. „Unser Modell basiert auf bekannten neurobiologischen Prinzipien“, schildert Sayin, „und wir haben festgestellt, dass es sämtliche unserer experimentellen Schlüsselergebnisse erklären kann.“
Die im Wissenschaftsjournal Science publizierte Studie bedeutet nichts weniger als einen Paradigmenwechsel in der Schwarmforschung. Mit neuen Erkenntnissen über die Ursachen des Schwarmverhaltens von Heuschrecken könnte die Konstanzer Forschung wichtige Beiträge dazu leisten, verbesserte Strategien zur Eindämmung von Heuschreckenschwärmen zu entwickeln, zum Beispiel durch die effektive Vorhersage von Schwarmbewegungen.
Auch über Heuschrecken hinaus liefern die Forschungsergebnisse wichtige Anstöße, zum Beispiel für ein besseres Verständnis, wie andere Arten ihre Bewegungen koordinieren, aber auch für die Robotik, Künstliche Intelligenz und die Erforschung von Schwarmintelligenz. So könnten zum Beispiel die Schwarmrobotik und selbstfahrende Fahrzeuge von Algorithmen profitieren, die von den hocheffizienten kognitiven Strategien der Heuschrecken inspiriert wurden.
Originalpublikation:
Sercan Sayin, Einat Couzin-Fuchs, Inga Petelski, Yannick Günzel, Mohammad Salahshour, Chi-Yu Lee, Jacob M. Graving, Liang Li, Oliver Deussen, Gregory A. Sword & Iain D. Couzin, The behavioral mechanisms governing collective motion in swarming locusts, Science387,995-1000(2025).
DOI:10.1126/science.adq7832
Link: https://www.science.org/doi/10.1126/science.adq7832
28.02.2025, Deutsche Wildtier Stiftung
Achtung, Amphibien wandern bundesweit! Tempo 30 schützt Kröten und ihre Retter
Acht Grad tagsüber und leichter Regen in der Nacht – das ist echtes Krötenwetter. Viele Hundert Amphibienschützer in ganz Deutschland stehen jetzt bereit, um ihre Schützlinge sicher über Straßen zu geleiten. Vor allem nachts ist das gefährlich.
Entlang der bekannten Wanderkorridore von Erdkröte, Springfrosch oder Teichmolch haben die Retter meterlange Schutzzäune aufgestellt. Diese müssen mindestens einen halben Meter hoch, undurchsichtig und ein paar Zentimeter in den Boden eingegraben sein. Keine Kröte darf darunter durchschlüpfen. Dicht an den Zäunen sind Eimer im Erdboden eingegraben. Der Eimerrand darf nicht überstehen, sonst fallen die Amphibien nicht hinein. Ein Stock im Eimer hilft dem sogenannten Beifang – Käfern, Reptilien oder Kleinsäugern – wieder herauszukrabbeln.
Die vielen ehrenamtlichen Retter und Retterinnen, ausgerüstet mit Stirnlampen und Warnwesten, sind bis in die Nacht und in den frühen Morgenstunden unterwegs. Sie tragen die Amphibien in regelmäßigen Abständen über die Straßen und setzen ihre Schützlinge dort aus, wo sie unbeschadet weiter zum Laichgewässer laufen und hüpfen können. Tausende Amphibien auf dem Weg zur Fortpflanzung werden so vor dem Tod auf der Straße bewahrt. Ihre Retter müssen vorsichtig im Verkehr sein, damit sie sich nicht selbst in Gefahr bringen.
Bis Mai dauert die Frühjahrswanderung der Kröten, Frösche und Molche zu ihren angestammten Laichgewässern. Die ortstreuen Erdkröten etwa laufen zu dem Gewässer, in dem sie einst geschlüpft sind – am liebsten auf dem kürzesten Weg. „Je näher sie dem Gewässer und damit dem Platz kommen, an dem sie sich fortpflanzen können, desto entschlossener sind sie, Widerstände und Barrieren zu überwinden“, sagt Jenifer Calvi, Pressereferentin bei der Deutschen Wildtier Stiftung. Eine Kröte dagegen, die bereits unweit ihres Winterquartiers durch Hindernisse wie Zäune, steinige und sandige Wege oder Gebäude gestoppt wird, gibt früher auf. Trifft ein Krötenmännchen ein Weibchen unterwegs, hat es Glück: Denn dann klettert es ohne Umstände auf den Rücken der Partnerin und lässt sich zum Laichgewässer tragen. Da es in einer Erdkröten-Population oft mehr Männchen als Weibchen gibt, muss die Kröte manchmal sogar mehrere Männchen huckepack tragen.
Am angestammten Gewässer beginnt die Fortpflanzung. Nach dem Ablaichen gehen die Amphibien wieder getrennte Wege. „Viele Amphibienretter kümmern sich auch noch um die Tiere, die schon abgelaicht haben, und setzen sie vom Gewässer und der Straße weg an einen sicheren Ort“, sagt Calvi. Und woher weiß man, in welche Richtung beispielsweise eine Kröte dann weiterwandern will? Als Faustregel gilt: Das Tier sitzt immer mit dem Kopf in der Richtung, in die es auch laufen möchte – Ausnahmen bestätigen die Regel.
Wer die Amphibienretter und ihre Schützlinge jetzt unterstützen möchte, achtet auf die Warnschilder und drosselt an den Wanderkorridoren das Tempo auf 30 Stundenkilometer. Gerade in der Nacht ist die Sicht schlecht und nicht nur die Tiere sind durch den Verkehr gefährdet, sondern auch die helfenden Menschen.
28.02.2025, Deutsche Wildtier Stiftung
Du forschst – wir fördern!
Deutsche Wildtier Stiftung schreibt mit 50.000 Euro dotierten Forschungspreis aus
Forschung zu heimischen Wildtieren wird in Deutschland immer seltener. Dabei gibt es viele spannende Fragen und auch drängende Probleme, die gelöst werden müssen. Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf einzelne Arten? Wie reagieren Wildtiere auf menschengemachte Gefahren? Was passiert, wenn Lebensräume schrumpfen und der genetische Austausch leidet? Diese und viele weitere Fragen bleiben oft unbeantwortet – weil andere Forschungsschwerpunkte gesetzt werden und es den Forscherinnen und Forschern an finanziellen Mitteln fehlt.
Hier setzt die Deutsche Wildtier Stiftung an: Unter dem Motto „Du forschst – wir fördern!“ schreibt sie ihren 16. Forschungspreis aus. Das Preisgeld beträgt 50.000 Euro und wird in Form eines Stipendiums zur Sicherung des Lebensunterhalts und/oder als Sachkostenzuschuss vergeben. Bewerben können sich engagierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Disziplinen: Von Genetik und Ökologie bis zu Ethik und Psychologie ist alles möglich – solange sich das Forschungsthema mit heimischen Wildtieren beschäftigt. Unter den Begriff „Wildtiere“ fallen alle nicht-domestizierten Tierarten, die nicht in menschlicher Obhut leben – also alle frei lebenden Wirbellose und Wirbeltiere in Deutschland.
Die Bewerbungsfrist endet am 31. Mai 2025. Über die Vergabe des Forschungspreises entscheidet eine unabhängige Jury renommierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Egal ob zur Nordsee oder zu den Alpen, zu Kegelrobbe oder Schneehase – Forschung schafft Wissen und hilft, Zusammenhänge besser zu verstehen. „Nur mit wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen können Schutzmaßnahmen für bedrohte Tierarten effizient umgesetzt werden“, sagt Professor Dr. Klaus Hackländer, Wildtierbiologe und Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung. Die Stiftung schützt heimische Wildtiere und ihre Lebensräume. Sie begeistert Menschen für die Natur und den Artenschutz, thematisiert Mensch-Wildtier-Konflikte und wirkt der Naturentfremdung in der Bevölkerung entgegen. „Mit unserem Forschungspreis fördern wir nicht nur Nachwuchswissenschaftler, sondern machen ihre Arbeit auch sichtbar. Damit schaffen wir Aufmerksamkeit für Wildtiere und ihre Lebensweise und zeigen, wie spannend es ist, sich mit der heimischen Natur zu beschäftigen“, so Hackländer.
Weitere Informationen
03.03.2025, Deutsche Wildtier Stiftung
Zum Tag des Artenschutzes: Studie belegt Rückgang genetischer Vielfalt – Deutsche Wildtier Stiftung kämpft gegen Verinselung
Heute ist Welttag des Artenschutzes. Dass Maßnahmen zum Artenschutz wichtiger denn je sind, zeigt eine aktuelle Studie. Sie belegt: Die Biodiversität auf unserem Planeten schwindet rasant – und mit ihr die genetische Vielfalt der Arten. Das hat zum Teil fatale Folgen. Die Deutsche Wildtier Stiftung setzt sich unter anderem beim Rothirsch und beim Feldhamster gegen den Rückgang der genetischen Vielfalt ein.
Eine Forschergruppe um die Evolutionsbiologin Catherine Grueber von der Universität Sydney hatte Daten zum Erbgut von mehr als 600 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten von 1985 bis heute ausgewertet. Zwei Drittel der untersuchten Arten hatten in dieser Zeit einen Verlust genetischer Vielfalt erlebt. Ein Problem, das weitreichende Folgen mit sich bringt: „Durch die genetische Verarmung innerhalb einer Art werden nachfolgende Generationen anfälliger für Krankheiten und weniger anpassungsfähig für Umweltveränderungen, beispielsweise durch den Klimawandel. Schlimmstenfalls sterben die Arten dann aus“, sagt Dr. Andreas Kinser, Leiter Natur- und Artenschutz der Deutschen Wildtier Stiftung.
Ursachen für den Rückgang der genetischen Vielfalt sind in erster Linie die Zerstörung und die Veränderung von Lebensräumen. Ein großes Problem ist die sogenannte Verinselung – kleine Populationen leben isoliert voneinander, genetischer Austausch findet nicht mehr statt. In Deutschland ist davon beispielsweise insbesondere im Süden der Rothirsch betroffen. Er darf dort nur in ausgewiesenen Rotwildbezirken leben, so in Baden-Württemberg. Hier machen die Rotwildbezirke nur vier Prozent der Landesfläche aus – auf 96 Prozent muss die Art per Gesetz ausgerottet werden. Ergebnisse einer Studie der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) in Baden-Württemberg aus dem letzten Jahr zeigte, dass die genetische Diversität in den Rotwildgebieten derzeit zu gering ist, um dauerhaft einen gesunden Rotwildbestand zu erhalten.
Rothirsche legen zur Paarungszeit oft weite Strecken zurück und tragen so ihre Gene von einer Teilpopulation in die nächste. Mit ihrer Mobilität zur Paarungszeit sichern sie die genetische Vielfalt und die langfristige Existenz ihrer Art. Doch durch die erzwungene Isolation der Tiere gibt es zwischen den Populationen immer weniger Austausch und durch Inzucht gehen immer mehr genetische Anlagen verloren. Manche Populationsgenetiker sprechen sogar vom Beginn eines Aussterbeprozesses. Die Deutsche Wildtier Stiftung fordert daher seit Jahren, Rotwildbezirke abzuschaffen und dem Rothirsch mehr Lebensraum zu geben. „Getrennte Naturräume müssen wieder vernetzt und Korridore für wandernde Arten geöffnet werden“, so Kinser.
Auch der Feldhamster leidet unter der Verinselung. In vielen Regionen seiner ehemaligen Verbreitung ist der Ackerbewohner bereits ausgestorben, was der immer intensiveren Ackerbewirtschaftung der industrialisierten Landwirtschaft geschuldet ist. Die Bestände, die es noch gibt, sind klein und leben in der zersiedelten Landschaft isoliert voneinander. Es kommt zu Inzucht und einer genetischen Verarmung. Die Lage der Feldhamster ist bedrohlicher denn je. Um dem entgegenzuwirken, unterstützt die Deutsche Wildtier Stiftung ein Projekt der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e.V. (HGON) zur genetischen Wiedervernetzung seit Jahren isolierter Populationen. Im Rahmen des Projekts werden wilde Feldhamster gezielt miteinander verpaart. Die Nachkommen dieser kontrollierten Zucht werden später in die ökologisch aufgewertete Feldflur vor Ort wieder ausgewildert. „So erfolgt die Vermehrung unter kontrollierten Bedingungen, und auch das Risiko zur Übertragung von Krankheiten ist gering“, sagt Simon Hein, Artenschützer der Deutschen Wildtier Stiftung. „Ein wichtiger Beitrag zum Erhalt einer gesunden und stabilen Feldhamsterpopulation – und zum Erhalt der biologischen Vielfalt.“
Das Beispiel Feldhamster zeigt, dass in extremen Situationen auch außergewöhnliche Maßnahmen erforderlich sind, um das Verschwinden von Arten zu verhindern. Viel nachhaltiger ist es jedoch, Wildtierlebensräume in Deutschland zu erhalten, Barrieren zurückzubauen, die Vernetzung zu verbessern und die rechtlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Wildtierpopulationen langfristig auch in der Kulturlandschaft überleben können.
(Mehr zum Tag des Artenschutzes)
04.03.2025, Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV) e. V.
Zukunft für den Brachvogel: Neue Forschungsergebnisse des LBV ermöglichen besseren Schutz
Mit GPS-Sendern gegen das Aussterben – Neues Wissen über Jungvögel, Schlafplätze und Zugrouten
Schreckensmeldung im Naturschutz: Im November 2024 dokumentiert Europa, dass der Dünnschnabel-Brachvogel ausgestorben ist – der erste Verlust einer Vogelart auf dem Festland in der Neuzeit. Damit seinem Verwandten, dem Großen Brachvogel, in Bayern nicht das gleiche Schicksal ereilt, forscht der bayerische Naturschutzverband LBV (Landesbund für Vogel- und Naturschutz) seit 2017 mittels GPS-Technologie zu der braun gesprenkelten Vogelart mit dem gebogenen Schnabel. „Über 813.000 Datenpunkte der GPS-Sender haben uns in den vergangenen acht Jahren bisher unbekannte Einblicke zu dem vom Aussterben bedrohten Brachvogel geliefert. Diese Ergebnisse sind unmittelbar relevant für unsere Bemühungen, diese Art in Bayern zu erhalten“, sagt der LBV-Vorsitzende Dr. Norbert Schäffer. So konnten die Naturschützerinnen und Naturschützer mehr darüber erfahren, wo die Vögel brüten, welchen Gefahren sie ausgesetzt sind und welche Routen sie auf ihrem Weg in den Süden nutzen. Die Ergebnisse sollen gezielt in lokale Schutzprojekte einfließen, um Lebensräume zu optimieren und die Bedingungen für den Bruterfolg zu verbessern.
In den vergangenen 40 Jahren haben sich die Bestandszahlen des Brachvogel in Bayern knapp halbiert. So konnte die landesweite Wiesenbrüterkartierung 2021 nur noch 531 Brutpaare in 76 untersuchten Gebieten im Freistaat nachweisen.“Besondere Sorge bereitet uns der fehlende Nachwuchs, der die Populationen in Bayern weiter schrumpfen lässt. Feuchte, weitläufige Wiesen mit vielen Insekten und Bodenlebewesen – der ideale Lebensraum für den Brachvogel – sind Mangelware. In den verbleibenden Brutgebieten sorgen Nahrungsmangel und Fressfeinde wie der Fuchs für fehlenden Nachwuchs“, sagt die LBV-Projektleiterin Verena Rupprecht. Hier setzt das Forschungsprojekt an, indem es die Lebensraumansprüche der Brachvögel in verschiedenen Lebensphasen untersucht und daraus konkrete Schutzmaßnahmen abgeleitet hat.
Seit 2017 konnten die Naturschützerinnen und Naturschützer des LBV über 40 Brachvögel in sechs bayerischen Brutgebieten mit kleinen, leichten Sendern ausstatten. Die meisten davon im mittelfränkischen Altmühltal. Die Sender übertragen die Position der Vögel rund um die Uhr über mehrere Jahre hinweg. „Eine wichtige neue Erkenntnis unserer Forschung ist, dass Brachvögel nach dem Schlüpfen etwa vier bis fünf Jahre benötigen, bis sie ein eigenes Revier gründen und erfolgreich brüten. Dies erklärt, weshalb der Erfolg von Schutzmaßnahmen oftmals erst nach einigen Jahren durch eine Vergrößerung der Population erkennbar wird“, erklärt Verena Rupprecht.
Nur durch den Einsatz der GPS-Sender konnte das Team auch die nächtlichen Schlaf- und Ruheplätze der Vögel entdecken. Diese liegen teils bis zu 20 Kilometer von den Brutgebieten entfernt. „Die Nacht birgt für Brachvögel besondere Gefahren, weil nachtaktive Füchse und Marder dann auf der Jagd sind. Deshalb sind sichere Schlafplätze entscheidend für das Überleben der Vögel“, so die LBV-Biologin. Durch die Erkenntnisse des Projekts können solche Schlafplätze nun aktiv geschützt und auch neu geschaffen werden.
Auch die Zugrouten der bayerischen Brachvögel konnte das Forschungsteam genau verfolgen. Im Gegensatz zu ihren Artgenossen aus Norddeutschland und Skandinavien, die vor allem an der Nordsee, in England und den Niederlanden überwintern, zieht es die bayerischen Brachvögel in der kalten Jahreszeit in den Süden. Ihre Winterquartiere liegen in Südfrankreich, Spanien, Portugal und sogar Marokko, wo sie in Küstenlagunen nach Nahrung suchen. „Wir machten spannende Beobachtungen beim Vogelzug. So wissen wir nun, dass junge Brachvögel ihre Zugroute erst lernen müssen und sich gerade anfänglich oft verfliegen und nur über Umwege an ihr Ziel gelangen“, berichtet Rupprecht.
Forschung für den praktischen Schutz
Die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt haben nicht nur wissenschaftlichen Wert, sondern dienen vor allem dem Schutz der Brachvögel. Schutzprojekte in Bayern können anhand dieser Ergebnisse und den daraus abgeleiteten Maßnahmenempfehlungen angepasst werden. „Dank moderner Technik und langjähriger Forschung ist es gelungen, neue Einblicke in das Leben des Brachvogels zu gewinnen. Nun gilt es, Theorie in Praxis umzusetzen, damit der Brachvogel auch in Zukunft in Bayern eine Chance hat“, betont Verena Rupprecht.
Über das Projekt
Der Brachvogel benötigt zur erfolgreichen Aufzucht seiner Küken weiträumige, extensive Wiesen mit vielen Insekten und Würmern sowie möglichst wenig Störungen. Mehrere Faktoren, wie die Intensivierung der Landwirtschaft, Druck durch Fressfeinde und die steigende Freizeitnutzung in der Natur, führen jedoch zu starken Bestandseinbrüchen bei dem Wiesenbrüter. Um die Lebensraumbedürfnisse der seltenen Vögel genauer zu analysieren, hat der LBV von 2017 bis 2024 ein Satellitentelemetrie-Projekt in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Umwelt durchgeführt, gefördert durch den Bayerischen Naturschutzfonds. Zu den Projektgebieten zählen Altmühltal, Königsauer Moos, Altbayerisches Donaumoos, Donautal bei Regensburg, Regentalaue und der Flughafen München.
05.03.2025, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Das ist der optimale Tümpel für Amphibien – Artenschutz im Kleinen
Amphibien leben am liebsten in und an Kleingewässern. Doch dieser Lebensraum wird immer seltener – allein in Deutschland ist im letzten Jahrhundert mehr als die Hälfte dieses Gewässertyps verschwunden. Wer Amphibien schützen will, muss daher auch Tümpel und Teiche erhalten, aufwerten oder neu anlegen. Doch wie sieht er aus, der Amphibientümpel, in dem sich möglichst viele Arten wohlfühlen? Forscherinnen und Forscher unter Leitung der katalanischen Universität Vic und mit Beteiligung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben in einer europaweiten Studie ermittelt, welche Faktoren eine hohe Amphibienvielfalt in Kleingewässern begünstigen.
Ein Teich oder Tümpel ist per Definition ein stehendes Gewässer mit einer Wasserfläche von weniger als 5 Hektar. In Deutschland werden künstlich angelegte Kleingewässer in der Regel als Teiche (deren Wasserstand meist regulierbar ist) und natürlich entstandene Kleingewässer als Tümpel oder Weiher bezeichnet. Diese machen weltweit schätzungsweise mehr als 30 Prozent der Binnengewässerfläche aus. Sie haben in den letzten Jahren besonders unter Wassermangel gelitten. Europaweit verzeichnen sie historische Tiefstände, viele trocknen dauerhaft aus. Für Amphibien, die an Land und im Wasser leben, sind sie kleine Oasen. „Doch Wassermangel, zunehmender Nutzungsdruck auf die umgebende Landschaft und der Klimawandel mit seinen Wetterextremen setzen diesen Ökosystemen und damit auch den Amphibien, die auf sie angewiesen sind, stark zu“, erklärt IGB-Direktor Prof. Dr. Luc De Meester, Mitautor der Studie.
Amphibien sind die am stärksten bedrohte Wirbeltiergruppe. In Europa ist etwa ein Viertel der Arten laut der Roten Liste der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) als bedroht eingestuft (d.h. in den Kategorien „gefährdet“, „stark gefährdet“ oder „vom Aussterben bedroht“ eingruppiert). „Wir müssen daher besser verstehen, mit welchen Faktoren wir die Amphibienbestände positiv beeinflussen können“, sagt IGB-Wissenschaftler Dr. Thomas Mehner, Mitautor der Studie.
Diese Amphibien kamen in den untersuchten Kleingewässern vor:
In der Gesamtheit der untersuchten Gewässer wurden dreißig verschiedene Amphibienarten nachgewiesen. Die durchschnittliche Anzahl der Arten pro Gewässer betrug 3 Arten, wobei Spanien den höchsten durchschnittlichen lokalen Reichtum mit rund 5 Arten aufwies und das Vereinigte Königreich den niedrigsten, mit rund 2 Arten. Einige Arten waren auf ein einziges Land beschränkt, wobei Spanien die höchste Anzahl einzigartiger Arten aufwies (9), gefolgt von der Türkei (5), der Schweiz (1) und Deutschland (1).
Die häufigste Art war der Teichmolch (Lissotriton vulgaris), die in 41,8 Prozent aller Kleingewässer der untersuchten Länder vorkam, gefolgt vom Nördlichen Kammmolch (Triturus cristatus, 30,4 %), der Erdkröte (Bufo bufo, 27,9 %) und dem Grasfrosch (Rana temporaria, 25,4 %).
Auf den Breitengrad kommt es an, aber auch lokale beeinflussbare Faktoren spielen eine Rolle:
Aus anderen Studien ist bekannt, dass der Artenreichtum von Amphibien mit dem Breitengrad zusammenhängt, da Klimafaktoren wie Wasserverfügbarkeit und Temperatur für diese wechselwarmen und stark feuchtigkeitsabhängigen Tiere wichtige, das Verbreitungsgebiet begrenzende Faktoren sind. Diese Beziehung zu klimatischen Faktoren zeigt auch die aktuelle Studie. „Abgesehen davon zeigen wir jedoch, dass lokale Merkmale der Tümpel und Teiche eine genauso wichtige Rolle spielen wie die klimatischen Faktoren. Und diese lassen sich natürlich besser beeinflussen“, sagt Thomas Mehner.
Die höchste Vielfalt an Amphibienarten fanden die Forschenden in Kleingewässern mit wenig Nährstoffen, ohne Fische, von mittlerer Größe, mit flachem Wasser und ausgeprägter Uferbepflanzung. Teiche, die in Schutzgebieten liegen, wiesen einen etwas höheren Amphibienartenreichtum auf. Mit den folgenden Maßnahmen lässt sich also durch Berücksichtigung der lokalen Faktoren ein artenreicher Amphibienteich gestalten:
Nährstoffbelastung reduzieren:
Der wichtigste Indikator zur Erklärung der Variation des Amphibienartenreichtums in dieser Studie war die Chlorophyll-a-Konzentration. Die Chlorophyll-a-Konzentration zeigt die Algenbiomasse an und ist somit auch ein Indikator für die Nährstoffbelastung. Denn wenn viele Nährstoffe im Wasser vorhanden sind, können Algen besonders gut wachsen. Nährstoffbelastungen in Teichen können den Artenreichtum von Amphibien verringern, indem sie die Überlebensrate von Eiern und Larven reduzieren, den Fortpflanzungserfolg verringern und die Anfälligkeit für Krankheiten erhöhen. „Nährstoffbelastungen sind ein häufiges Problem in Teichen, die sich in der Nähe landwirtschaftlich genutzter Flächen befinden und erhöhten Mengen an Kunst- und Naturdünger ausgesetzt sind. Daher sollten sich Managementoptionen zur Erhöhung des Amphibienartenreichtums auf die Umsetzung von Maßnahmen zur Verringerung der Nährstoffbelastung und auf ein Viehmanagement konzentrieren, welches den Zugang von Weidetieren zu den jeweiligen Gewässern einschränkt“, sagt Thomas Mehner. Dies gilt insbesondere für Gewässer, die bisher nur geringen Nährstoffbelastungen ausgesetzt waren: Bei niedrigen Konzentrationen hat bereits ein geringer Anstieg des Chlorophyll-a-Gehalts einen starken negativen Einfluss auf den Amphibienreichtum, so ein Ergebnis.
Die optimale Teichfläche und -tiefe:
Teichfläche und -tiefe sind ebenfalls wichtige Faktoren für den Amphibienreichtum: Der höchste Artenreichtum wurde in mittelgroßen (200–2.500 Quadratmeter) und flachen (weniger als 1,5 Meter tief) Gewässern beobachtet. Dieses Muster könnte darauf zurückzuführen sein, dass kleinere und flachere Teiche mit höherer Wahrscheinlichkeit austrocknen, während in größeren und tieferen Gewässern häufiger Fische leben bzw. überleben. „Diese Mechanismen können dazu führen, dass der Amphibienreichtum bei mittleren Werten der Teichgröße und -tiefe seinen Höhepunkt erreicht“, sagt Thomas Mehner.
Fische: Amphibien- und Fischschutz abwägen:
Die Zahl an Fischarten erwies sich als signifikanter Faktor für den Rückgang der Amphibienvielfalt, insbesondere wenn drei oder mehr Fischarten in einem Kleingewässer vorkamen. Raubfische werden allgemein als Ursache für den Rückgang der Amphibienvielfalt angesehen. Amphibieneier, Kaulquappen und adulte Tiere sind anfällig für Prädation durch verschiedene Fischarten, die in der Studie gefunden wurden (z.B. die gebietsfremden Arten Giebel und Sonnenbarsch, oder der Hecht).
Teichvegetation und Landnutzung spielen laut dieser Studie eine untergeordnete Rolle:
Obwohl Teichpflanzen für die Amphibiengemeinschaft wichtig ist, weil sie bspw. Unterschlupf, Schutz und Nahrung bieten, erklärten sie in dieser Studie nur einen sehr geringen Teil der Variation des Reichtums an Amphibienarten. Diese Beobachtung steht im Gegensatz zu anderen Studien, die zeigen, dass die Vegetation ein zuverlässiger Bestimmungsfaktor für den Amphibienreichtum ist. Auch die direkten Landnutzungsfaktoren im Umkreis von 100 Metern, wie ein urbanes Umfeld, Landwirtschaft, Straßen oder Schutzgebiete, hatten keinen so starken Einfluss auf den Artenreichtum der Amphibien wie die anderen Faktoren.
„Die Studie zeigt, dass eigentlich überall – auch im urbanen Kontext – artenreiche Amphibiengewässer vorkommen können. Diese Studie kann direkt in die Entwicklung europaweiter Initiativen, wie dem European Pond Conservation Network einfließen und liefert wichtige Informationen für Teichprojekte auf lokaler Ebene, die es Entscheidungsträger*innen ermöglichen, besser informierte Amphibienschutzmaßnahmen zu ergreifen“, sagt Thomas Mehner.
Methodik:
Das Forschungsteam hat 201 Kleingewässer in sieben europäischen Ländern in die Studie einbezogen und für jeden Tümpel oder Teich bestimmte Merkmale definiert. Die Artenvielfalt der Amphibien wurde mit Hilfe von eDNA aus Wasserproben bestimmt. eDNA steht für environmental DNA. Damit lassen sich die genetischen Fingerabdrücke bestimmen, die Organismen in ihrem Lebensraum hinterlassen. Der relative Einfluss von Klima, lokalen unbelebten und belebten Faktoren sowie Landnutzungsvariablen auf die Variation des Amphibienartenreichtums in den Teichen wurde mit Hilfe von Regressionsbäumen (boosted regression trees) quantifiziert. Ökologinnen und Ökologen verwenden dieses statistische Modell, um Zusammenhänge zwischen verschiedenen Umweltfaktoren zu erklären und Vorhersagen zu treffen. Es ist flexibel genug, um typische Eigenschaften ihrer Daten wie Nichtlinearitäten und Wechselwirkungen zu berücksichtigen.
Was die Studie nicht berücksichtigt hat:
Die Studie hat zwar aktuelle klimatische Einflussfaktoren, aber keine historischen Klimavariablen berücksichtigt. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass paläoklimatische Prozesse einen großen Einfluss auf den heutigen Gradienten des Amphibienartenreichtums haben. Zukünftige Studien, die diese Daten einbeziehen, könnten daher ein noch umfassenderes Verständnis dafür liefern, wie historische und gegenwärtige Prozesse bei der Gestaltung der Amphibienvielfalt zusammenwirken.
Außerdem wurden nicht alle Einflussfaktoren berücksichtigt, wie z.B. das Nahrungsangebot (Dichte großer Invertebraten), die Beschattung oder die Vernetzung zwischen Kleingewässern, das Vorhandensein von Umweltchemikalien und deren Auswirkungen. Feldstudien sind nur begrenzt in der Lage, eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehungen herzustellen. Dennoch ist die Verwendung von boosted regression trees in diesem Kontext einer komplexen Datenstruktur zuverlässig und die Ergebnisse liefern ein klares Muster, wie mehrere Gewässermerkmale eine Rolle bei der Erklärung des Amphibienartenreichtums von Teichökosystemen auf einer großen geografischen Skala spielen.
Originalpublikation:
López-de Sancha, A., Benejam, L., Boix, D., Briggs, L., Cuenca-Cambronero, M., Davidson, T.A., De Meester, L., Fahy, J.C., Lemmens, P., Martin, B., Mehner, T., Oertli, B., Rasmussen, M., Greaves, H.M., Sayer, C., Beklioğlu, M., Brys, R. and Brucet, S. (2025), Drivers of amphibian species richness in European ponds. Ecography e07347. https://doi.org/10.1111/ecog.07347
López-de Sancha, A., Boix, D., Benejam, L. et al. Amphibian conservation in Europe: the importance of pond condition. Biodivers Conserv (2025). https://doi.org/10.1007/s10531-025-03033-w
05.03.2025, Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung
Strategische Partnerwahl bei Guinea-Pavianen
Guinea-Paviane besitzen Informationen über die Fähigkeiten von Artgenossen und nutzen sie strategisch zu ihrem eigenen Vorteil
Ein Forschungsteam um William O´Hearn vom Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung hat herausgefunden, dass weibliche Guinea-Paviane Männchen verstärkt umwerben, wenn diese besondere Fähigkeiten bei der Nahrungssuche zeigen. Es wurden zwei Pavian-Gruppen in ihrem natürlichen Lebensraum im Senegal und eine Gruppe im Tiergarten Nürnberg untersucht. Die jetzt veröffentlichte Studie trägt zum Verständnis darüber bei, was Tiere über die Fähigkeiten und Kompetenzen von Gruppenmitgliedern wissen und wie sie diese Informationen nutzen, um soziale Entscheidungen zu treffen (The Royal Society).
Männchen mit Vorteilen werden attraktiver
In der Studie wurde einem Männchen pro Gruppe beigebracht, eine spezielle Futterbox zu bedienen, die nur sie öffnen konnten. Dadurch konnten sie eine wertvolle Nahrungsquelle für ihre Gruppe bereitstellen. Während dieser Phase zeigte sich ein deutlicher Anstieg in der Aufmerksamkeit der Weibchen: Sie verbrachten mehr Zeit mit diesen Männchen, pflegten sie intensiver und verhielten sich aggressiver gegenüber anderen Weibchen in ihrer Gruppe. Interessanterweise nahm dieses Verhalten wieder ab, nachdem die Futterbox entfernt wurde. Dies deutet darauf hin, dass die Weibchen ihr Verhalten nicht aufgrund einer grundsätzlichen Einschätzung der Fähigkeiten des Männchens änderten, sondern vielmehr kurzfristig auf die Vorteile reagierten, die sie von ihm erhielten.
Unterschiedliche Reaktionen von Männchen und Weibchen
Während die Weibchen ihren Umgang mit den „spezialisierten“ Männchen anpassten, blieben die anderen Männchen in der Gruppe weitgehend unbeeindruckt. Obwohl auch sie von der zusätzlichen Nahrungsquelle profitierten, änderten sie ihr Verhalten gegenüber dem fähigen Männchen nicht. Dies könnte darauf hindeuten, dass in der sozialen Struktur der Guinea-Paviane Männchen untereinander weniger Konkurrenz um einzelne Futterquellen haben als Weibchen.
Hinweise auf die Evolution menschlichen Sozialverhaltens
Die Ergebnisse zeigen, dass Guinea-Paviane in ihrer Partnerwahl pragmatisch vorgehen. Sie orientieren sich nicht an der langfristigen Fähigkeit eines Männchens, sondern an dem direkten Nutzen, den sie von ihm haben. „Unser Experiment ist das erste, das die Art des Mechanismus, also ergebnis- oder kompetenzbasiert, identifiziert, der der Zuschreibung von Fähigkeiten bei einem wild lebenden Affen zugrunde liegt. Damit bieten unsere Ergebnisse einen einzigartigen Einblick in die Evolution der komplexen Kompetenzzuschreibung beim Menschen“, sagt William O´Hearn.
Vorversuche im Tiergarten Nürnberg
Vor der Feldarbeit im Senegal fanden Vorversuche bei Guinea-Pavianen im Tiergarten Nürnberg statt. Der Tiergarten ist einer der wenigen Halter der Art in Europa und langjähriger Kooperationspartner des DPZ. Zootiere lassen sich aufgrund der guten Sichtbarkeit sehr gut beobachten, so dass Ideen für die Feldarbeit unter kontrollierten Bedingungen getestet werden können. „Entscheidend für diese Studie war die Möglichkeit, unter kontrollierten Bedingungen mit den Guinea-Pavianen im Tiergarten Nürnberg arbeiten zu können. Solche Forschungsansätze sind nicht nur wissenschaftlich wertvoll, sondern bereichern auch das Leben der Tiere, indem sie ihnen kognitive Herausforderungen bieten, die ihre natürlichen Fähigkeiten fördern“, so Lorenzo von Fersen, Kurator für Forschung und Artenschutz im Tiergarten. Der Tiergarten kooperiert mit dem DPZ auch bei der Forschung im Senegal. „Zoos haben ein enormes Forschungspotential und bieten zum Beispiel auch Informationen über ihre Individuen, die in der Natur oft nicht vorliegen, sowie Expertise, die bei der Arbeit im Freiland wichtig ist“, sagt Jörg Beckmann, biologischer Leiter und stellvertretender Direktor des Tiergartens.
Originalpublikation:
William J. O’Hearn, Jörg Beckmann, Lorenzo von Fersen, Federica Dal Pesco, Roger Mundry, Stefanie Keupp, Ndiouga Diakhate, Carolin Niederbremer and Julia Fischer (2025): Increased female competition for males with enhanced foraging skills in Guinea baboons. Proc. R. Soc. B. 292: 20242925. http://doi.org/10.1098/rspb.2024.2925