Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

03.12.2018, Justus-Liebig-Universität Gießen
Feuersalamander in Not
Wissenschaftler der Justus-Liebig-Universität Gießen kämpfen gegen tödlichen Hautpilz – Förderung aus dem Hessischen Biodiversitäts-Forschungsfonds – Bürgerinnen und Bürger aus Hessen können helfen
Das waldreiche Hessen mit seinen vielen naturnahen Bachläufen gilt als eines der Hauptverbreitungsgebiete von Feuersalamandern in Deutschland. Doch „Lurchi“ droht Gefahr: Ein tödlicher Hautpilz, der vermutlich mit importierten Amphibien aus Asien nach Westeuropa eingeschleppt wurde, hat in den vergangenen Jahren Großteile der Feuersalamander-Bestände in den Niederlanden und Belgien vernichtet. Mittlerweile breitet er sich auch in Nordrhein-Westfalen weiter aus. Wissenschaftler der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) beschäftigen sich mit der Erforschung und dem Schutz der hessischen Populationen des Feuersalamanders. Mit Mitteln aus dem Hessischen Biodiversitäts-Forschungsfonds unterstützt das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) das Team aus dem Institut für Biologiedidaktik und der Klinik für Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische.
Einen entsprechenden Bewilligungsbescheid über 75.000 Euro hat der HLNUG-Präsident Prof. Dr. Thomas Schmid am Montag an Prof. Dr. Joybrato Mukherjee, Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), übergeben. Das Projekt läuft über drei Jahre. „Ich freue mich, dass sich an der JLU ein interdisziplinäres Team zusammengefunden hat, um den Artenschutz in Hessen voranzutreiben. Unser einzigartiges Fächerspektrum in den Lebenswissenschaften – von Biologie bis Veterinärmedizin – ist dafür prädestiniert“, sagte der JLU-Präsident.
Prof. Dr. Hans-Peter Ziemek (Institut für Biologiedidaktik) und Prof. Dr. Michael Lierz (Klinik für Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische der JLU) werden erforschen, ob hessische Feuersalamander von dem Pilz Batrachochytrium salamandrivorans befallen sind. Ab dem Frühjahr 2019 sollen in Hessen tot aufgefundene sowie krank wirkende Feuersalamander untersucht werden. Dazu wird den Tieren mit einem Wattetupfer ein Abstrich von der Haut abgenommen. Der Befall mit dem Pilz führt zu schweren Hautveränderungen und zu einem raschen Tod der Tiere.
„Es ist sehr erfreulich, dass wir mit diesem Forschungsprojekt die erfolgreiche Zusammenarbeit des HLNUG und des Instituts für Biologiedidaktik zum Aufbau eines hessischen Feuersalamander-Meldenetzes fortsetzen können“, sagte der Präsident des HLNUG. Seit 2015 können Bürgerinnen und Bürger Feuersalamander-Sichtungen an das HLNUG melden. Mit diesem „Citizen-Science Projekt“ wurden die auffällig gelb-schwarz gefärbten Salamander zu einer zentralen „Mitmach-Art“ im Rahmen der Hessischen Biodiversitätsstrategie. Durch die Beteiligung der Bevölkerung bei der Erhebung der Vorkommen konnte das HLNUG bereits viele Erkenntnisse gewinnen. Das Forscherteam möchte nun auf den Erkenntnissen des Meldenetzes aufbauen und neben den Probenahmen gezielte Kartierungen von Larven und erwachsenen Tiere durchführen.
Auch bei dem neuen Artenschutzprojekt setzen die Verantwortlichen auf die Mithilfe der Hessinnen und Hessen. Der öffentliche Teil des Projekts soll am 29. Januar 2019 in der Naturschutzakademie Hessen (NAH) in Wetzlar beginnen. Dort erhalten alle Interessierten Infos zum Projekt und zum Sachstand der Pilzausbreitung. In ganz Hessen sollen speziell geschulte Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich die Probenentnahme durchführen und lokal über die Infektionsgefahren für Feuersalamander und Molche informieren.
Die wissenschaftlichen Untersuchungen beginnen im Frühjahr 2019. Ein Schwerpunktgebiet wird der westliche Vogelsberg sein, wo Prof. Lierz seit einiger Zeit gemeinsam mit dem Biologen Markus Dietz an Schutzprojekten für Feuersalamander im Raum Laubach arbeitet. Prof. Lierz und sein Doktorand Johannes Dusek werden die umfangreichen Laborarbeiten zur Identifikation des Hautpilzes in der Klinik für Vögel, Amphibien, Reptilien und Fische der JLU durchführen.
Die Koordination des Gesamtprojekts und die begleitenden wissenschaftlichen Untersuchungen liegen bei Prof. Ziemek und seinem Team. Neben den Kartierungen gehören dazu auch Befragungen und Interviews, um Informationen zur Beliebtheit und zum Kenntnisstand der Bevölkerung über Feuersalamander zu erhalten. Außerdem sollen die Erkenntnisse in Unterrichtsbeispiele eingebaut und in hessischen Schulen erprobt werden. Der Abschluss des Projektes ist für den Herbst 2020 mit einer großen Fachtagung in der Hermann-Hoffmann-Akademie der JLU geplant.

04.12.2018, Universität Konstanz
Mehr Diversität als zuvor
Eine Studie der Universitäten Konstanz und Glasgow findet Hinweise auf die Erholung eines Ökosystems nach einer Verschmutzung
Die durch menschliche Aktivitäten verursachte Umweltzerstörung kann zu dramatischen Verlusten von Arten in der Tier- und Pflanzenwelt führen. Es ist jedoch nur sehr wenig darüber bekannt, ob und wie sich die biologische Vielfalt nach dem Stopp der Verschmutzung und der Säuberung der Ökosysteme erholen kann. Wie viele Süßwasserseen litt auch der Bodensee, einer der größten Seen Europas, Mitte des 20. Jahrhunderts unter sogenannter Eutrophierung, der hohen Nährstoffbelastung durch Landwirtschaft und Abwasser. Eine Studie der Universitäten Konstanz und Glasgow (Schottland, Großbritannien) unter Leitung der Konstanzer Biologin Dr. Jasminca Behrmann Godel und ihrer Fachkollegin Dr. Kathryn R. Elmer von der Universität Glasgow, die in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Nature Ecology and Evolution veröffentlicht wurde, ergab nun, dass der Gangfisch (Coregonus lavaretus macrophthalamus) – eine europäische Felchenart – seine genetische Vielfalt durch Hybridisierung mit anderen Felchenarten während der Eutrophierung erweiterte. Diese genetische Mischung trug nach der Erholung des Ökosystems dazu bei, die ökologische Vielfalt wieder zu erweitern.
Die aus der Eutrophierung resultierenden Auswirkungen auf die Wasserqualität des Bodensees führten zum Zusammenbruch der natürlichen Lebensräume, zum Aussterben von zwei der fünf nur hier ansässigen Felchenarten sowie zur Hybridisierung der übrigen Arten. Dies hatte Auswirkungen auf die kommerzielle Fischerei des Sees. Die Anstrengungen der 1980er Jahre zur Reduzierung der umweltbelastenden Nährstoffeinträge versetzten den Bodensee in kurzer Zeit in seinen ursprünglichen Zustand zurück.
Durch die Untersuchung der funktionellen phänotypischen und genetischen Vielfalt konnten die Biologinnen und Biologen zeigen, dass der Gangfisch nach der Erholung des Ökosystems seine ökologische Vielfalt in kurzer Zeit erweitert hat. In weniger als zehn Generationen entwickelte der Gangfisch beispielsweise eine große Variation der Anzahl an Kiemenreusendornen – sie dienen zur Filterung der Nahrung (Plankton) aus dem Wasser –, um eine breitere ökologische Nische zu erschließen als vor der Eutrophierung. Dies ist eine der schnellsten Evolutionsraten, die im Tierreich bisher verzeichnet werden.
Die Studie geht davon aus, dass diese schnelle Nischenexpansion aufgrund der genetischen Vielfalt möglich war, die durch Hybridisierungen während der Eutrophierung stattfanden. „Diese neue Vielfalt an Gangfischen ist eine Variation innerhalb einer Art und ersetzt nicht den Verlust des Artenreichtums durch Eutrophierung“, sagt Dr. Jasminca Behrmann-Godel.
Die Ergebnisse belegen, dass sich funktionale Vielfalt nach der Wiederherstellung von Lebensräumen schnell erholen kann. Dieses Potenzial, so die Vermutung der Forschenden, hängt jedoch von der genetischen Architektur, dem ökologischen Kontext und der Evolutionsgeschichte ab.
Originalpublikation:
Arne Jacobs, Madeleine Carruthers, Reiner Eckmann, Elizabeth Yohannes, Colin E. Adams, Jasminca Behrmann-Godel, & Kathryn R. Elmer: Rapid niche expansion by selection on functional genomic variation after ecosystem recovery. Nature Ecology and Evolution (2018). Advance Online Publication. https://www.nature.com/articles/s41559-018-0742-9?WT.feed_name=subjects_ecology

04.12.2018, Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V.
Chemikalien im Eisbärblut
Hunderte neue halogenierte Substanzen in Eisbärenserum entdeckt
In Eisbärenserum konnten kanadische und US-amerikanische Wissenschaftler jetzt mit einer neuen, empfindlicheren Messmethode zahllose chlorierte und fluorierte Substanzen nachwiesen, darunter viele bislang unbekannte polychlorierte Biphenyle. Die Konzentration dieser Metabolite im Serum ist laut der Arbeit, die in der Zeitschrift Angewandte Chemie veröffentlicht wurde, während der letzten Jahrzehnte entgegen den Erwartungen nicht zurückgegangen. Bei vielen langkettigen fluorierten Alkylsulfonsäuren wurde sogar ein steter Anstieg beobachtet.
Eisbären sitzen am oberen Ende der arktischen Nahrungskette. Was immer Fisch und andere Meeresbewohner aufnehmen, kann sich letztlich in Eisbären anreichern, die diese Tiere fressen. Halogenierte Substanzen wurden in den 1970er Jahren zum ersten Mal in Eisbären nachgewiesen. Seitdem verfolgt man die Entwicklung regelmäßig, denn diese menschengemachten Chemikalien und ihre Metabolite werden mit Störungen im Immunsystem oder dem Hormonhaushalt in Verbindung gebracht. Die aktuelle Studie mit Jonathan W. Martin von der University of Alberta in Edmonton (Kanada) als Hauptautor, jetzt an der Universität Stockholm, gibt einen Überblick über die neu entdeckten halogenierten Substanzen und beleuchtet die zeitliche Entwicklung seit mehr als zwanzig Jahren.
Martin und seine Doktorandin Yanna Liu wählten zwei Eisbärpopulationen für diese Untersuchung aus, eine aus der Hudson Bay und die andere aus der Beaufortsee im Nordpolarmeer. Serum aus jeder Gruppe wurde vereinigt und durch chromatographische und massenspektrometrische Hochleistungstechniken analysiert. Vor der Analyse wurden im Serum vorhandenes Protein und Phospholipide abgetrennt, dann die Metaboliten in Plastikkapillaren extrahiert. Frühere Studien beruhten dagegen auf gaschromatographischen Analysetechniken, die mehr Reinigungsschritte unter harscheren Bedingungen erfordern, erläutern die Autoren.
Einen großen Anteil unter den entdeckten Substanzen machten die polychlorierten Biphenyle (PCBs) aus. Dass sich diese Verbindungen in Eisbären anreichern, weiß man seit den 1970er Jahren. Allerdings wurde deren Produktion weltweit in den 1980er Jahren verboten, nachdem man ihre gesundheitsschädigende Wirkung erkannt hatte. Wegen ihrer Langlebigkeit lassen sich diese Substanzen aber immer noch überall auf der Welt nachweisen. Außer den bereits bekannten PCB-Metaboliten entdeckten die Wissenschaftler auch bisher unbekannte Metabolite. Sämtliche neue Substanzen wiesen die Wissenschaftler auch im Mausmodell nach. Das bedeutet, dass auch andere Säugetiere diese Chemikalien aufnehmen und Metabolite bilden können.
Daneben entdeckten die Wissenschaftler verschiedene perfluorierte Alkylsulfonsäuren (PFSAs), darunter perfluorierte Alkylethersulfate. Trotz gesundheitlicher Bedenken werden PFSAs zum Teil immer noch industriell genutzt. Besonders bei den langkettigen PFASs hat man negative Auswirkungen auf Reproduktion und Entwicklung festgestellt. Anhand von früheren Proben konnten die Wissenschaftler seit 1984 immer höhere PFSA-Konzentrationen im Eisbärenserum nachweisen. Besonders betroffen waren die Eisbären aus der Beaufortsee. Diese leben näher an den großen Industrieregionen Chinas, die nach wie vor PFSAs im großen Maßstab in die Umwelt freisetzen, wie immer wieder berichtet wurde.
Noch weitere polychlorierten Verbindungen wiesen die Wissenschaftler zum ersten Mal in Eisbärenserum nach, darunter mehrere chlorierte aromatische Verbindungen. Vor allem wegen der besorgniserregenden Zunahme dieser stabilen Metabolite empfehlen die Autoren dringend eine Neubewertung der Gesundheitsgefahren. Denn trotz Verboten und teilweise starker Regulierung der Produktion der Ausgangschemikalien ging die Konzentration im Eisbärenblut offenbar nicht zurück. Im Gegenteil reichern gefährdete Tierarten selbst an den Außenposten der Erde wie im Nordpolarmeer immer mehr von diesen Stoffen an.
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1002/ange.201809906

05.12.2018, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ
Durchs Netz gefallen? Weniger Tagfalter auch in Schutzgebieten
Wie ein Rettungsnetz für die Artenvielfalt zieht sich das Schutzgebietssystem „Natura 2000“ quer durch die EU. Allerdings haben bisher nur wenige Studien analysiert, ob sich diese Refugien tatsächlich positiv auf den Artenreichtum auswirken. Untersuchungen dazu gibt es vor allem für Vögel, und diese zeigen keinen klaren Trend. Mithilfe von Langzeitdaten aus dem Bürgerforschungsprojekt „Tagfalter-Monitoring Deutschland“ sind UFZ-Forscher dieser Frage am Beispiel der Tagfalter nachgegangen. Demnach gibt es auf den Natura-2000-Flächen zwar mehr Falter-Arten als anderswo. Allerdings gehen die Artenzahlen innerhalb und außerhalb der Schutzgebiete gleichermaßen zurück.
Die Idee klingt eigentlich gut: Ein Mosaik von geschützten Wäldern und Mooren, Seen, Flüssen und anderen Lebensräumen soll den bedrohten Pflanzen und Tieren Europas eine Zuflucht bieten. Schon seit 1992 ist die EU dabei, dieses „Natura 2000“ genannte Rettungsnetz aus Schutzgebieten aufzubauen. Mittlerweile umfasst es schon mehr als 18 Prozent der Landoberfläche der EU und gehört zu den wichtigsten Bausteinen des europäischen Naturschutzes. Aber wie effektiv ist es eigentlich? Kann es den grassierenden Artenschwund tatsächlich aufhalten? Diese Frage hat ein Forscherteam um Martin Musche vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle am Beispiel der Tagfalter untersucht.
Es ist kein Zufall, dass sich die Forscher bei ihrer Analyse ausgerechnet auf diese Tiergruppe stützen. Denn zum einen gibt es zahlreiche Tagfalter, die ganz eigene Ansprüche an ihren Lebensraum stellen und damit stellvertretend für viele andere Arten stehen. Deshalb gelten sie als gute Indikatoren für den Zustand einer Landschaft. Zudem spielen sie als Bestäuber, Pflanzenfresser und Nahrungsquelle für Vögel und andere Tiere eine wichtige Rolle im Ökosystem.
Vor allem aber sind die Vorkommen von Tagfaltern vergleichsweise gut untersucht. Schließlich handelt es sich um auffällige Insekten, von denen viele auch für Laien gut zu unterscheiden sind. Schon seit 2005 koordiniert das UFZ deshalb ein Bürgerforschungsprojekt namens „Tagfalter-Monitoring Deutschland“, bei dem alle Interessierten mitmachen können. Zwischen April und September sind die Teilnehmer bundesweit unterwegs, um Informationen über die Vorkommen der Tiere zusammenzutragen. Woche für Woche geht jeder von ihnen eine festgelegte Strecke von bis zu einem Kilometer Länge ab und notiert sämtliche tagaktiven Falter, die ihm unterwegs begegnen. „Inzwischen machen dabei bundesweit schon mehr als 500 Leute mit“, sagt UFZ-Biologin Elisabeth Kühn, die das Monitoring koordiniert. Gerade im letzten Sommer haben sich besonders viele neue Teilnehmer angemeldet. Die Schlagzeilen über das Insektensterben haben wohl viele Naturfans aufgerüttelt, die nun etwas zur Erforschung des Phänomens beitragen wollen. „In dieser Diskussion wird ja immer gefordert, dass wir mehr Informationen über die Vorkommen von Insekten in Deutschland brauchen“, sagt Elisabeth Kühn. „Über Tagfalter haben wir aber schon tolle Daten.“ Auf ungefähr 300 Zähl-Strecken sind die Beobachter schon seit mindestens acht Jahren aktiv, so dass die Forscher aus den dortigen Erhebungen erste Trends ablesen können.
Für ihren Natura-2000-Check haben sie nun 245 davon ausgewählt, die besonders regelmäßig begangen worden waren. Diese Transekte verteilen sich über ganz Deutschland, etwa 28 Prozent davon liegen innerhalb von Natura-2000-Gebieten, der Rest außerhalb. So konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit statistischen Methoden analysieren, ob der Schutzstatus ihres Lebensraums für die insgesamt 122 erfassten Falter-Arten einen Unterschied macht.
Auf den ersten Blick sieht es ganz danach aus. Auf den Strecken außerhalb der Schutzgebiete haben die Schmetterlingsfahnder im Durchschnitt 18 Arten gezählt, innerhalb waren es dagegen 21. „Das liegt nicht daran, dass die Lebensräume in den Natura-2000-Gebieten generell besser für Tagfalter geeignet wären“, erklärt Elisabeth Kühn. „Sie sind möglicherweise nur in besserem Zustand.“ Und das macht sich nicht nur im Schutzgebiet selbst bemerkbar, sondern auch in seiner Umgebung. Je näher ein Transekt an einem solchen Refugium liegt, umso höher ist auch seine Artenzahl. Offenbar wirken diese Lebensräume wie Falter-Quellen, aus denen die Tiere auch ins Umland flattern. Und oft sind die eigentlichen Schutzgebiete auch nur die wertvollsten Bereiche in einer insgesamt vielfältigen Landschaft.
Das alles klingt nach einem durchaus positiven Befund. „Tatsächlich sprechen diese Ergebnisse dafür, dass die Natura-2000-Flächen gut ausgewählt sind“, betont Elisabeth Kühn. Sie stellen offenbar tatsächlich einen guten Querschnitt von besonders wertvollen Flächen unter Schutz.
Trotzdem fällt das Zeugnis für das ökologische Rettungsnetz nicht rundum erfreulich aus. Denn die Forscher haben auch analysiert, wie sich die Falterbestände zwischen 2005 und 2015 verändert haben. Demnach flatterten zum Beginn dieses Zeitraums im Durchschnitt noch mehr als 19 Arten über den Transekten, am Ende waren es nur noch gut 17. „Das ist ein deutlicher Rückgang von etwa zehn Prozent“, sagt Elisabeth Kühn. „Und der hat innerhalb der Schutzgebiete genauso stattgefunden wie außerhalb.“ Bei seiner eigentlichen Aufgabe, den Artenschwund zu stoppen, scheint das Natura-2000-Netzwerk also zumindest im Fall der Tagfalter seine Wirkung noch nicht entfaltet zu haben.
Mithilfe weiterer Analysen wollen die Forscher nun herausfinden, woran das genau liegt. Ihrer Einschätzung nach könnten zum einen großräumige Effekte wie der Klimawandel oder Veränderungen der Landnutzung (inkl. Einsatz von Pestiziden) dahinter stecken, die sich unabhängig vom Schutzstatus auf die gesamte Landschaft auswirken. Es könnte aber auch sein, dass die Ursache in den Schutzgebieten selbst liegt. Der überwiegende Teil dieser Flächen sind nämlich Kulturlandschaften, die man nicht komplett sich selbst überlassen kann. Wiesen und Magerrasen zum Beispiel müssen regelmäßig gemäht oder beweidet werden. Sonst machen sich dort mit der Zeit Gehölze breit und die Arten des Offenlandes verlieren ihren Lebensraum. Allerdings kann man ein solches Management unterschiedlich gestalten. Und da liegt möglicherweise das Problem. „Bisher orientieren sich diese Maßnahmen oftmals an den Bedürfnissen anderer Gruppen, zum Beispiel von Vögeln“, erklärt Elisabeth Kühn. „Und davon profitieren Tagfalter nicht unbedingt.“ So sind zum Beispiel die Mahdzeitpunkte vieler Wiesen nicht optimal für die Raupenentwicklung der Tagfalter, wobei sich die Ansprüche zwischen einzelnen Arten sehr unterscheiden können.
„Solche Zielkonflikte kann man nur lösen, wenn man sich die einzelnen Arten und Lebensräume genau anschaut“, sagt Elisabeth Kühn. Sie und ihre Kollegen hoffen, dass ihr Datenschatz auch das ermöglichen wird und sie daraus Ideen ableiten können, wie das Rettungsnetz für die Natur noch effektiver aufgespannt werden kann als bisher.
Originalpublikation:
Stanislav Rada, Oliver Schweiger, Alexander Harpke, Elisabeth Kühn, Tomáš Kuras,
Josef Settele, Martin Musche (2018): Protected areas do not mitigate biodiversity declines: A case study on butterflies
Diversity and Distributions, https://doi.org/10.1111/ddi.12854

05.12.2018, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Erfolgreich seit mindestens 99 Millionen Jahren
Biologen der Universität Jena finden frühesten Beweis für Parasitismus bei Fächerflüglern
Die Larven der Fächerflügler wachsen als Parasiten in anderen Insekten heran. Sie bohren sich etwa in den Hinterleib von Wespenlarven oder Heuschrecken und ernähren sich von den Körpersäften ihres Wirts. Die weiblichen Tiere der meisten Arten verbringen auch ihr komplettes Erwachsenenleben innerhalb des unfreiwilligen Gastgebers, da sie sich nicht aktiv fortbewegen können. Die Männchen hingegen verpuppen sich zwar im Wirt, verlassen dann aber die Puppe und somit die lebendige Kinderstube. Mit ihren fächerartigen Flügeln, die der Gruppe ihren Namen verleihen, können sie sich so zur Paarung auf die Suche nach einem Weibchen machen.
Mit diesem Parasitismus hat diese Insektengruppe äußerst erfolgreich ihre Existenz gesichert – und das seit inzwischen mindestens 99 Millionen Jahren, wie Biologen der Friedrich-Schiller-Universität Jena nun nachweisen konnten. Die Insektenforscher fanden in einem Bernstein das kreidezeitliche Fossil einer Primärlarve eines Fächerflüglers, also eine Larve im ersten Entwicklungsstadium. Sie unterscheidet sich nur unwesentlich von den heutigen Exemplaren und pflegte somit offensichtlich die gleiche – parasitäre – Lebensweise. Die Entdeckung des rund 99 Millionen Jahre alten Exemplars kommt einem Glücksfall gleich. „In dem nicht einmal drei Zentimeter großen Bernstein sind insgesamt über 60 fossile Tiere eingeschlossen, unter anderem Käfer und Milben. Die Fächerflüglerlarve ist mit ihren 0,2 Millimeter Länge nur mithilfe eines Mikroskops erkennbar“, sagt Dr. Hans Pohl von der Universität Jena, der den aus Myanmar stammenden Bernstein untersucht hat. „Auch heute noch zählt sie mit einer Größe vergleichbar mit einem einzelligen Pantoffeltierchen zu den kleinsten bekannten Vielzellern überhaupt.“
Geringe Lebenszeit
Doch trotz ihrer Größe konnte Pohl sie eindeutig als Vertreter der Strepsiptera – so der lateinische Name der Insekten – identifizieren, da das vorliegende Fossil mit seinem länglich-ovalen Körper, dem halbkreisförmigen Kopf mit Punktaugen und den langen Hinterleibsanhängen heutigen Larven sehr ähnelt. „Diese Parallelen deuten darauf hin, dass hier eine etwa 100 Millionen Jahre lange evolutionäre Konstanz vorliegt. Eine solche Dauer ist schon sehr außergewöhnlich. Die Fächerflügler haben also bereits vor sehr langer Zeit ihre Lebensweise perfekt an ihre Umgebung angepasst“, sagt Pohl. Ein wichtiger Grund seien dabei auch die stark miniaturisierten Larven.
Heute zählt die Gruppe mit etwa 600 beschriebenen Arten zu den kleineren innerhalb der Klasse der Insekten. Einen Großteil ihrer gesamten Lebenszeit als adulte Tiere wenden die Fächerflügler zur Fortpflanzung auf. Den Männchen etwa, die etwa sieben Millimeter groß werden, bleiben nur wenige Stunden, um mit ihren Antennen die Duftstoffe eines Weibchens aufzuspüren und es schließlich zu begatten. Daraus gehen in der Regel hunderte bis tausende Larven hervor. Der Nachwuchs muss sich allerdings ein eigenes Insekt als Zuhause suchen, da der Wirt den Parasitismus des Fächerflüglers nicht überlebt.
Originalpublikation:
Hans Pohl et. al.: „A needle in a haystack: Mesozoic origin of parasitism in Strepsiptera revealed by first definite Cretaceous primary larva (Insecta)“, PeerJ 2018, DOI: 10.7717/peerj.5943

07.12.2018, NABU
NABU ruft zur Wintervogelzählung auf
Die Stunde der Wintervögel könnte zeigen, wie sich Dürresommer auf Vogelzahlen auswirkt
Online-Vogeltrainer startet


Wer flattert denn da ans Futterhaus? Der NABU ruft zusammen mit seinem bayerischen Partner Landesbund für Vogelschutz (LBV) vom 4. bis zum 6. Januar 2019 zur neunten „Stunde der Wintervögel“ auf. „Nach dem Jahrhundertsommer 2018 dürfte die Zählung besonders spannend werden“, sagt NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller, „bisher können wir mangels Daten nur spekulieren, wie sich die Dürre auf die Vogelwelt ausgewirkt hat. Je mehr Meldungen wir bekommen, um so genauer können wir uns ein Bild von der Lage machen.“
Durch den warmen Sommer tragen wilde Bäume und Sträucher in diesem Jahr besonders viele Früchte. „Die Wintervögel finden also einen reich gedeckten Tisch vor. Wenn es, wie schon in den vergangenen Jahren, ein milder Winter wird, ist das eine gute Voraussetzung, dass Kurzstreckenzieher wie Rotkehlchen und Star bei uns häufig im heimischen Garten zu beobachten sind“, sagt NABU-Vogelschutzexperte Marius Adrion, „Sollte es jedoch einen frühen Wintereinbruch mit viel Schnee in Skandinavien geben, können wir mit vielen Erlenzeisigen und Birkenzeisigen rechnen, die von dort zu uns kommen.“
Damit Vogelfreunde sich optimal auf die Zählung vorbereiten können, bietet der NABU erstmals ein eigenes Lernprogramm für die Stunde der Wintervögel an. Welcher Vogel ist in Deutschland am häufigsten zu finden? Bekommen Vögel im Winter kalte Füße? Mit dem neuen kostenlosen E-Learning-Tool „NABU Vogeltrainer“ erfährt man spielerisch alles über 15 häufige Vögel, die im Winter in unseren Gärten zu finden sind. Unter www.vogeltrainer.de kann sich ab sofort jeder fit machen.
Die „Stunde der Wintervögel“ ist Deutschlands größte wissenschaftliche Mitmachaktion und findet bereits zum neunten Mal statt. Jeder, der Lust hat mitzumachen, kann eine Stunde lang die Vögel am Futterhäuschen, im Garten, auf dem Balkon oder im Park Vögel zählen und dem NABU zu melden. Von einem ruhigen Beobachtungsplatz aus wird von jeder Art die höchste Anzahl notiert, die im Laufe einer Stunde gleichzeitig zu beobachten ist. Die Beobachtungen können unter www.stundederwintervoegel.de bis zum 15. Januar gemeldet werden. Zudem ist für telefonische Meldungen am 5. und 6. Januar jeweils von 10 bis 18 Uhr die kostenlose Rufnummer 0800-1157-115 geschaltet.
Das pure Interesse und die Freude an der Vogelwelt reichen zur Teilnahme aus, eine besondere Qualifikation ist für die Wintervogelzählung nicht nötig. Bei der letzten großen Vogelzählung im Januar 2018 beteiligten sich über 136.000 Menschen. Insgesamt gingen Meldungen aus 92.000 Gärten und Parks ein. Der Haussperling ergatterte damals den Spitzenplatz als häufigster Wintervogel in Deutschlands Gärten, Kohlmeise und Blaumeise folgten auf Platz zwei und drei.
Im Rahmen der „Schulstunde der Wintervögel“ vom 7. bis 11. Januar bietet die NAJU auf www.NAJU.de/SdW Zählkarten, ein Poster und ein Wintervogel-Quiz für Kindergruppen und Schulklassen an. Bei fünf Aktionen lernen sie Vögel und ihre Anpassungsstrategien an die kalte Jahreszeit kennen. Die Zählergebnisse der Kinder fließen ebenfalls in die NABU-Auswertung ein.

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