Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

11.01.2021, Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
Neon-grünes Leuchten bei Gecko unter UV-Licht – neuer Fluoreszenzmechanismus bei Landwirbeltieren entdeckt
Forschende der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM), der LMU und der Hochschule München haben entdeckt, dass der Wüstengecko Pachydactylus rangei aus Namibia unter UV-Licht stark neon-grün fluoreszierende Streifen an den Körperseiten und um die Augen zeigt. Diese sind aus der Geckoperspektive gut sichtbar und dienen vermutlich als Erkennungssignal für Artgenossen. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass es sich hier um Fluoreszenz der Haut handelt, die durch besondere Iridophoren (Pigmentzellen) verursacht wird. Dieser Mechanismus und auch die Stärke der Fluoreszenz waren bisher bei Landwirbeltieren unbekannt. Die Arbeit erschien heute in dem Fachjournal Scientific Reports.
Biofluoreszenz ist von zahlreichen Meeresorganismen bekannt, bei Landwirbeltieren wurde dieses Phänomen jedoch erst in den letzten Jahren vermehrt beschrieben. In allen bisher bekannten Fällen wird die Fluoreszenz bei Reptilien und Amphibien entweder durch Knochen oder durch Fluoreszenz-Moleküle in der Lymphflüssigkeit unter der Haut verursacht. „Bereits auf den ersten Blick fiel auf, dass bei den Wüstengeckos ein neuer Mechanismus vorliegen musste: Die deutlich neon-grün fluoreszierenden Muster entstammen ganz klar der Haut“, konstatiert Dr. David Prötzel, Erstautor der Studie.
Histologische Untersuchungen beim Wüstengecko Pachydactylus rangei ergaben, dass in den fluoreszierenden Bereichen der Haut zahlreiche spezielle Pigmentzellen, sogenannte Iridophoren, eingelagert sind, die in den nicht-fluoreszierenden Bereichen fehlen. Iridophoren leisten durch die Reflektion von Licht einen entscheidenden Beitrag zur Färbung der Haut von Geckos und auch anderen Echsen. Nun konnte zum ersten Mal bei Landwirbeltieren gezeigt werden, dass manche Iridophoren auch fluoreszieren können. „Dieser Effekt ist wesentlich stärker als die knochenbasierte Fluoreszenz, die wir vor drei Jahren bei Chamäleons entdeckt haben und ist eines der stärksten Fluoreszenzphänomene, die bei Landwirbeltieren bisher beobachtet wurden“, erklärt Dr. Frank Glaw, Kurator für Reptilien und Amphibien an der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM).
Bei ihren nächtlichen Wanderungen durch die Namib-Wüste haben die Geckos als Lichtquelle nur das Mondlicht zur Verfügung. Dessen blauer Anteil wird von den fluoreszierenden Hautbereichen aufgenommen und als heller wirkendes, neon-grünes Licht wieder abgestrahlt. Als wären ihre Flanken mit einem Textmarker hervorgehoben, besitzen die Geckos unter UV-Licht einen deutlich sichtbaren Signalstreifen.
Weshalb so viele verschiedene Tierarten unter UV- und Blaulicht fluoreszieren, ist weitestgehend unklar. „Bei einigen der bisher bekannten fluoreszierenden Wirbeltiere handelt es sich wohl um einen Zufall. Beim Wüstengecko hingegen spricht die Stärke und die Anordnung der fluoreszierenden Bereiche um die Augen und seitlich an den Flanken dafür, dass die Fluoreszenz als Signal für Artgenossen dient, das vielleicht auch aus größerer Entfernung gut wahrgenommen werden kann“, folgert Dr. Mark D. Scherz, Evolutionsbiologe an der Universität Potsdam.
Originalpublikation:
Prötzel, D., Heß, M., Schwager, M., Glaw, F. & Scherz, M.D. (2021). Neon-green fluorescence in the desert gecko Pachydactylus rangei caused by iridophores. Sci Rep 11, 297 www.nature.com/articles/s41598-020-79706-z

12.01.2021, Ludwig-Maximilians-Universität München
Uralte DNA lüftet Geheimnisse des „Schattenwolfs“
Die Tiere sind Vorlage für Fantasy-Kreaturen in Fernsehserien wie Game of Thrones
– LMU-Paläogenomiker Laurent Frantz analysiert mit internationalem Wissenschaftlerteam Erbgut des vor 13.000 Jahren ausgestorbenen Canis dirus („schrecklicher Hund“)
– Canis dirus unterscheidet sich genetisch stark von hundeartigen Tieren heute und ist mit jetzt lebenden Wölfen nur entfernt verwandt
Der Canis dirus – lateinisch für „schrecklicher Hund“ – war bis zu seinem Aussterben vor etwa 13.000 Jahren in ganz Nordamerika weit verbreitet. Berühmt geworden sind die großen Raubtiere als Vorlage für Fantasy-Kreaturen wie den „Schattenwolf“, ein Wappentier der Fernsehserie Game of Thrones. Weil ihre körperlichen Merkmale sehr ähnlich sind, gingen Wissenschaftler bisher davon aus, dass Canis dirus eng mit den heutigen Wölfen verwandt ist. Eine groß angelegte internationale Studie, die der LMU-Paläogenomiker Professor Laurent Frantz gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Großbritannien, Australien und den USA leitete, zeigt nun aber mithilfe von Erbgutanalysen, dass es sich nur um entfernte Verwandte handelt: Zum Erstaunen der Forscher unterscheidet sich Canis dirus so sehr von anderen Hundeartigen wie Kojoten und Wölfen, dass er sich nicht mit diesen fortpflanzen konnte.
Den Wissenschaftlern ist es zum ersten Mal gelungen, aus fünf teilweise mehr als 50.000 Jahre alten subfossilen Canis dirus-Überresten DNA zu gewinnen und diese zu sequenzieren. „Möglich wurde dies mithilfe moderner molekularbiologischer Methoden für stark degradierte Materialien“, erklärt Co-Autorin Alice Mouton (University of California Los Angeles). Anschließend verglich das Team diese Genome mit denen zahlreicher weiterer wolfsähnlicher Caniden. „Auf diese Weise haben wir aufgedeckt, dass die Geschichte von Canis dirus tatsächlich viel komplizierter ist, als wir bisher dachten“, sagt Co-Autorin Angela Perri (University of Durham). Die Ergebnisse der Wissenschaftler deuten darauf hin, dass die Tiere im Gegensatz zu anderen Caniden nicht zwischen Nordamerika und Eurasien hin- und herwanderten, sondern sich über Millionen von Jahren ausschließlich in Nordamerika entwickelten.
Obwohl sich das Verbreitungsgebiet der Tiere in Nordamerika mindestens 10.000 Jahre lang mit demjenigen von Kojoten und Wölfen überschnitt, fanden sich keine Hinweise auf Kreuzungen. „Unsere genetischen Ergebnisse zeigen stattdessen, dass Canis dirus und heute lebende Wölfe sehr entfernte Cousins sind“, sagt Co-Autor Kieren Mitchell (University of Adelaide). Wie die Forscher berichten, ist Canis dirus das letzte Mitglied einer ausgestorbenen Abstammungslinie, die sich vor rund sechs Millionen Jahren abgespalten hat und sich von allen lebenden Hunden unterscheidet.
Laurent Frantz fügt hinzu: „Als wir mit dieser Studie begannen, dachten wir, dass Canis dirus nur ein vergrößerter Wolf ist. Dass die genetischen Unterschiede so groß sind, dass sie sich wahrscheinlich nicht gekreuzt haben können, hat uns sehr überrascht. Man geht eigentlich davon aus, dass Hybridisierung zwischen Caniden sehr häufig vorkommt. Um sich genetisch so stark zu unterscheiden, muss Canis dirus in Nordamerika sehr lange isoliert gewesen sein.“
Die Forscher vermuten, dass Canis dirus durch diese tiefgreifenden evolutionären Unterschiede und die reproduktive Isolation schlecht gerüstet war, um sich an die veränderten Umweltbedingungen am Ende der Eiszeit anzupassen – möglicherweise ein Grund, warum die Tiere ausgestorben sind und nur noch als Fantasy-Kreaturen überdauern.

12.01.2021, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Kegelrobben fressen Seehunde, Schweinswale – und ihre Artgenossen
TiHo-Forschende untersuchten über sechs Jahre das Jagd- und Fressverhalten von Kegelrobben.
Kegelrobben (Halichoerus grypus) sind Deutschlands größte freilebende Raubtiere. Viele Feriengäste kennen das Bild, wenn sie auf Helgoland am Strand oder in anderen Nordseeregionen auf Sandbänken liegen – friedlich nebeneinander oder neben Seehunden. Erst seit wenigen Jahren ist bekannt, dass sich die großen Raubtiere nicht ausschließlich, wie bisher angenommen, von Fisch und kleinen Meerestieren ernähren, sondern dass sie Jagd auf Seehunde (Phoca vitulina), Schweinswale (Phocoena phocoena) und andere Kegelrobben machen. Forschende des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) untersuchten über sechs Jahre das Jagd- und Fressverhalten der Tiere. Gefördert wurde das jetzt abgeschlossene Projekt vom Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein.
Die Ergebnisse
Am heutigen Dienstag veröffentlichen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Scientific Reports ein Teilergebnis ihrer umfangreichen Studie. Darin beschreiben sie die Untersuchungen von Robbenkadavern, die mutmaßlich von Kegelrobben erbeutet wurden. In den vergangenen Jahren hatten sie bereits wiederholt zu dem Thema wissenschaftliche Veröffentlichung herausgegeben. Ein wesentlicher Teil der jetzt veröffentlichten Arbeit sowie einer Publikation aus dem Oktober 2020, in der die Forschenden den Fokus auf Schweinswale legten, ist ein Katalog mit Wundparametern, die sie an den Robben- und Schweinswal-Kadavern feststellten, sowie ein dazugehöriger Entscheidungsbaum. „Mit dem Katalog der Wundparameter sowie dem Entscheidungsbaum ist es nun möglich einzuordnen, ob aufgefundene Robben- oder Schweinswalkadaver von Kegelrobben erbeutet wurden“, erklärt Abbo van Neer, der das Projekt am ITAW betreute und seine Doktorarbeit zu dem Thema verfasste.
In Zusammenarbeit mit dem Research Center for Emerging Infections and Zoonoses der TiHo entwickelten die ITAW-Forschenden zudem eine molekulare Methode, eine sogenannte LAMP-Analyse, mit der sie innerhalb weniger Minuten die DNA von Kegelrobben aber auch von Füchsen in Bisswunden an Schweinswalkadavern nachweisen können – auch vor Ort am Fundort der Tiere.
Das Vorgehen
Ein Großteil der Arbeiten führte van Neer auf Helgoland durch, wo viele Kegelrobben leben. „Dort konnte ich Kegelrobben dabei beobachten, wie sie andere Robben fingen, töteten und bis zu 90 Minuten lang das Fett ihrer Beute Stück für Stück fraßen“, berichtet van Neer. Ein großer Vorteil solcher Beobachtungen war, dass er die angefressenen Kadaver direkt vom Strand bergen konnte, nachdem der Räuber davon abgelassen hatte. „So wusste ich genau was mit dem Tier vorher passiert war. Diese Kadaver dienten mir als Grundlage, um die von Kegelrobben erzeugten Wundmuster zu charakterisieren.“
In unzähligen Sektionen sammelten die Forschenden weitere Daten und konnten so Kriterien entwickeln, mit denen sie zwischen vom Menschen verursachten Wunden und natürlichen Todesursachen, zu denen auch der Tod durch Kegelrobben zählt, unterscheiden können. Verletzungen durch Schiffspropeller sehen beispielsweise sehr ähnlich aus. ITAW-Leiterin Professorin Dr. Ursula Siebert erklärt: „Die beiden Verletzungsarten sind leicht zu verwechseln. Das ist ein Grund, weshalb das Fressverhalten von Kegelrobben erst so spät entdeckt wurde: Sowohl in Deutschland als auch in anderen europäischen Nordseestaaten wurde immer davon ausgegangen, dass die charakteristischen Verletzungen von Schiffsprobellern verursacht wurden.“
Im Jahr 2013 wurde erstmals beobachtet, wie eine Kegelrobbe einen Seehund erbeutete und von dem erlegten Tier fraß. Dieses Phänomen war bis dahin völlig unbekannt. Das Ziel des Projektes war die Entwicklung und Etablierung von Methoden, um aufgefundene Kadaver zu untersuchen, sowie eine erste Einschätzung der ökologischen Relevanz des Themas. „Am Anfang waren wir sehr skeptisch, ob die berichteten Fälle überhaupt stimmen“, erinnert sich van Neer. Über die Jahre vervollständigte sich aber das Bild und heute steht fest, dass Kegelrobben nicht nur Seehunde, sondern auch Schweinswale und andere Kegelrobben jagen und fressen.
Ausblick
Mit den nun veröffentlichten Methoden ist es möglich, das Phänomen standardisiert zu erfassen und die Fälle und Fallzahlen über Ländergrenzen hinweg zu vergleichen. „Das erlaubt uns, die Effekte dieses Verhaltens auf das Ökosystem zu bewerten. Der ständige Austausch mit den internationalen Kollegen hat schon jetzt gezeigt, dass Kegelrobben dieses Verhalten in allen Regionen, in denen Sie vorkommen, zeigen. Daher müssen wir nun unsere Daten einheitlich aufnehmen, um die Zahlen gut vergleichen zu können“, resümiert van Neer.
Die Originalpublikationen:
van Neer, A., Gross, S., Kesselring, T., Grilo, M., Ludes-Wehrmeister, E., Roncon, G., & Siebert, U. (2021). Assessing seal carcasses potentially subjected to grey seal predation. Scientific Reports, 11, 694 (2021). https://www.nature.com/articles/s41598-020-80737-9
van Neer, A., Gross, S., Kesselring, T., Grilo, M. L., Ludes-Wehrmeister, E., Roncon, G., & Siebert, U. (2020). Assessing harbour porpoise carcasses potentially subjected to grey seal predation. Scientific Reports, 10(1), 16345. https://doi.org/10.1038/s41598-020-73258-y
van Neer, A., Gross, S., Kesselring, T., Wohlsein, P., Leitzen, E., & Siebert, U. (2019). Behavioural and pathological insights into a case of active cannibalism by a grey seal (Halichoerus grypus) on Helgoland, Germany. Journal of Sea Research, 148–149, 12–16. https://doi.org/10.1016/j.seares.2019.03.004
Heers, T., van Neer, A., Becker, A., Gross, S., Hansen, K. A., Siebert, U., & Abdulmawjood, A. (2018). Loop-mediated isothermal amplification (LAMP) as a confirmatory and rapid DNA detection method for grey seal (Halichoerus grypus) predation on harbour porpoises (Phocoena phocoena). Journal of Sea Research, 140(July), 32–39. https://doi.org/10.1016/j.seares.2018.07.008
Heers, T., van Neer, A., Becker, A., Grilo, M. L., Siebert, U., & Abdulmawjood, A. (2017). Loop-mediated isothermal amplification (LAMP) assay—A rapid detection tool for identifying red fox (Vulpes vulpes) DNA in the carcasses of harbour porpoises (Phocoena phocoena). PLOS ONE, 12(9), e0184349. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0184349
Haelters, J., Kerckhof, F., van Neer, A., & Leopold, M. (2015). Letter to the Editor Exposing Grey Seals as Horses and Scientists as Human. Aquatic Mammals, 41(3), 351–353. https://doi.org/10.1578/AM.41.3.2015.351
van Neer, A., Jensen, L. F., & Siebert, U. (2015). Grey seal (Halichoerus grypus) predation on harbour seals (Phoca vitulina) on the island of Helgoland, Germany. Journal of Sea Research, 97, 1–4. https://doi.org/10.1016/j.seares.2014.11.006

12.01.2021, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Schmetterling als Waldanzeiger: Karpaten waren in der Eiszeit teilweise bewaldet
Senckenberg-Wissenschaftler haben die Rückzugsorte des Tagfalters Erebia aethiops während der letzten Eiszeit in Europa untersucht. In ihrer kürzlich im Fachjournal „Scientific Reports“ erschienenen Studie zeigen sie, dass die Schmetterlinge mindestens fünf europäische Gebiete als eiszeitliche Refugium nutzten. Dieses Ergebnis führt zu der Annahme, dass diese Bereiche am Rand der Hochgebirge – anders als bislang vermutet – lokal sogar bewaldet waren und so den Schmetterlingen einen Lebensraum bieten konnten.
Das heutige Verbreitungsgebiet des Waldteufels (Erebia aethiops) erstreckt sich vom französischen Zentralmassiv und Nordengland über Mittel- und Osteuropa bis ins östliche Sibirien. Dabei ist der mittelgroße Tagfalter auf Laubmischwälder und deren angrenzende Wiesen angewiesen. „Uns interessierte, wo sich diese Schmetterlinge aus der Familie der Edelfalter in den letzten Eiszeiten seit etwa 500.000 Jahren aufgehalten haben“, erklärt Martin Wendt, Doktorand am Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut in Müncheberg, und fährt fort: „Diese sogenannten ‚glazialen Rückzugsgebiete’ sind in der Regel Orte hoher Biodiversität, deren Verständnis unerlässlich für ein gelungenes Naturschutzmanagement ist.“
Hierfür untersuchten Wendt und Institutsleiter Prof. Dr. Thomas Schmitt 859 Tiere aus 35 Populationen vom Zentralmassiv in Frankreich über die Alpen und die rumänischen Karpaten bis zu den Bergen Bulgariens. Mittels molekulargenetischer Analysen konnten die Müncheberger Insektenforscher zeigen, dass die Schmetterlinge sich während der letzten Eiszeit in mindestens fünf Gebieten in Europa zurückgezogen haben. „Besonders am Fuß der östlichen Alpen und südlichen Karpaten scheinen über diesen Zeitraum gute Bedingungen für Erebia aethiops geherrscht zu haben“, fügt Wendt hinzu.
Daraus schließen die Forschenden, dass diese Gebiete – anders als bislang vermutet – zumindest teilweise bewaldet gewesen sein müssen. Schmitt resümiert: „Belege für verschiedene Baumarten, wie beispielsweise Pollen, gab es bereits – bislang war es aber unklar, ob es sich hier um einige wenige Bäume oder ein richtiges Ökosystem Wald handelte. In Anbetracht der ökologischen Bedürfnisse unserer untersuchten Art muss es aber eine relativ hohe Baumdichte gegeben haben.“
Der evolutionäre Ursprung dieser Verwandtschaftsgruppe in der Gattung Erebia befindet laut der Studie jedoch im östlichen Asien. „Von dort aus hat sich der Vorfahre des Waldteufels nach Europa ausgebreitet. Heute ist der Tagfalter durch den Verlust seines Lebensraums, strukturreiche Waldränder und lichte Wälder mit artenreicher Vegetation und vielen Blüten, bedroht. Um sinnvolle Naturschutzmaßnahmen umzusetzen, ist es unerlässlich, die Vergangenheit der Tiere und ihr Verhalten bei Umweltveränderungen zu verstehen“, schließt Wendt.
Originalpublikation:
Wendt, M., Husemann, M., Kramp, K. et al. Reconstruction of forest dynamics in the Western Palaearctic based on phylogeographic analysis of the ringlet butterfly Erebia aethiops. Sci Rep 11, 201 (2021). https://doi.org/10.1038/s41598-020-79376-x

13.01.2021, NABU
NABU: Vogelzählung „Stunde der Wintervögel“ bricht alle Rekorde
Teilnehmerzahl steigt stark an
Viele Spatzen, aber wenig Meisen in Deutschlands Gärten unterwegs
Eins, zwei, drei, ganz viele: Die „Stunde der Wintervögel“, die vom 8. bis 10. Januar stattfand, hat alle Rekorde gebrochen: Bis zum Morgen des 13. Januar meldeten bereits über 185.000 Vogelfreundinnen und -freunde ihre Ergebnisse an den NABU und seinen bayerischen Partner, den Landesbund für Vogelschutz (LBV). Gesichtet wurden bisher fast 4,4 Millionen Vögel aus über knapp 130.000 Gärten. Die Zahlen werden noch weiter steigen, da bis kommenden Montag noch nachgemeldet werden kann.
„Das Zwischenergebnis hat damit bereits die bisherige Rekordteilnahme aus dem Vorjahr weit übertroffen“, so NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. „Wir freuen uns sehr über die stetig wachsende Beliebtheit unserer wissenschaftlichen Mitmachaktion. Sicherlich hat auch der derzeitige Corona-Lockdown dazu geführt, dass mehr Menschen ihr Interesse für die Natur vor der eigenen Haustür entdecken. Vielleicht ergibt sich daraus bald auch mehr Engagement für den Vogelschutz im eigenen Garten. “
Weniger erfreulich sind die Ergebnisse der Zählung. „Die Gesamtzahl von derzeit 34,3 Vögeln pro Garten stellt den bisher niedrigsten Wert seit Beginn der Aktion im Jahr 2011 dar“, so NABU-Vogelschutzexperte Lars Lachmann. „Insgesamt ist das Ergebnis fast ein Spiegelbild des Winters 2017. Auch damals fehlten besonders die typischen Futterplatzbesucher, wie Kohlmeisen, Schwanzmeisen, Kleiber, Gimpel und Kernbeißer – alles Arten deren Winterbestände auf den Zuzug von Artgenossen aus dem Norden angewiesen sind. Dieser ist im bis kurz vor der Zählung europaweit sehr milden Winter wohl teilweise ausgeblieben.“ Auch Blaumeisen wurden weniger gesichtet. Ob und wie das Blaumeisensterben aus dem Frühjahr 2020 hier Spuren hinterlassen hat, muss aber erst noch ausgewertet werden.
Im Gegensatz dazu haben derzeit einige sesshafte Arten und solche, die kalte Winter meiden, besonders gute Bestände in Deutschlands Gärten. Allen voran der Haussperling, der wie in allen milden Wintern auf Platz eins der Wintervogelrangliste flatterte. Mit 6,83 Vögeln pro Garten erreicht er voraussichtlich ein neues Rekordergebnis. Einen neuen Rekord schafft auch die Ringeltaube, die damit sogar zum achthäufigsten Wintervogel in Deutschlands Gärten wird. Grund ist zum einen die Bestandszunahme der Art, aber auch eine zunehmend geringere Zugneigung dieses Teilziehers. Auch das Rotkehlchen scheint sich über den milden Winter zu freuen und erreicht sein bestes Ergebnis nach 2011.
Ein besorgniserregend schwaches Ergebnis, das nicht mit dem Wetter erklärt werden kann, liefert der Grünfink. Sein Abwärtstrend setzt sich leider unverändert fort. Diesmal wurden nur noch 0,9 Grünfinken pro Garten gemeldet. Damit gibt es heute nur noch ein Viertel der Grünlinge, die 2011 die Gärten bevölkerten. Als Ursache gelten vor allem Infektionen mit Trichomonaden an sommerlichen Futterstellen, aber wohl auch, dass auf landwirtschaftlichen Flächen das Nahrungsangebot für diese Art knapper geworden ist.
Die fünf am häufigsten gemeldeten Arten waren wie bisher immer Haussperling, Kohlmeise, Feldsperling, Blaumeise und Amsel. Im Vergleich zum Vorjahr haben nur Feldsperling und Blaumeise die Plätze getauscht.
Die „Stunde der Wintervögel“ ist Deutschlands größte wissenschaftliche Mitmachaktion und fand bereits zum elften Mal statt. Noch bis zum 18. Januar können Vogelbeobachtungen an den NABU nachgemeldet werden.
Infos zur Aktion unter www.stundederwintervoegel.de

13.01.2021, Universität Hamburg
Anpassung an Klimawandel: Fledermäuse versetzen Körper bei Hitze in eine Art Mini-Winterschlaf
Die steigenden Temperaturen durch den Klimawandel bedrohen das Leben zahlreicher Tierarten. Ein Forschungsteam des Fachbereichs Biologie der Universität Hamburg hat herausgefunden, dass manche Fledermäuse ihren Körper bei heißen Temperaturen in einen winterschlafähnlichen Zustand versetzen, um diesen vor Überhitzung zu schützen. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“ erschienen.
In tropischen Gegenden stellen extreme Temperaturen kleine Säugetiere vor große Herausforderungen, da ihre Körper gegen Überhitzung und übermäßigen Wasserverlust ankämpfen müssen. Während die Köpertemperatur des Menschen um die 37 Grad Celsius pendelt, regulieren sich die Tiere zwischen 32 und 39 Grad. Wenn ihre Temperatur mehr als 41 Grad beträgt, kann es für sie lebensgefährlich werden. Aufgrund häufigerer und intensiverer Hitzewellen durch den globalen Klimawandel steigen die von den Säugetieren erlebten Maximaltemperaturen seit einigen Jahren stetig an. Bereits in der Vergangenheit haben Hitzewellen zu mehreren Massensterben geführt, etwa von Flughunden in Australien.
Ein Forschungsteam des Fachbereichs Biologie hat in Feldstudien im Westen Madagaskars nun eine neuartige physiologische Reaktion von Fledermäusen im Umgang mit diesen heißen Temperaturen beobachtet. Die tropische Fledermaus Macronycteris commersoni verwendet eine Überlebensstrategie, die in der Regel nur mit Kälte oder Nahrungsmangel einhergeht: Torpor. Es handelt sich dabei um einen winterschlafähnlichen Zustand, der bei einigen Säugetieren und Vögeln vorkommt. Dabei werden Stoffwechsel- und Energieumsatzprozesse des Körpers automatisch auf ein Minimum gesenkt. Die Tiere verharren in einem Zustand der körperlichen Starre und stellen gewisse Funktionen komplett ein, beispielsweise das aktive Kühlen des Körpers.
„Die von uns beobachteten Fledermäuse hängen tagsüber nicht in Höhlen oder anderen Unterschlüpfen, sondern im Wald. Dadurch sind sie gerade um die Mittagszeit hohen Temperaturen ausgesetzt. An warmen Tagen mit um die 34 Grad Celsius wechselten sie zwischen dem normalen Ruhestoffwechsel und kurzen, bisher unbekannten, Mikro-Torpor-Phasen, die zwischen drei und 53 Minuten dauerten“, sagt Stephanie Reher, Autorin der Studie und Doktorandin in der Arbeitsgruppe „Funktionelle Ökologie“ von Prof. Dr. Kathrin Dausmann. Dieses Muster trat während der gesamten Ruhephase von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf.
Einerseits können die Individuen so Energie und Wasser sparen, andererseits sind sie immer noch wachsam und können auf Bedrohungen reagieren. An besonders heißen Tagen, wenn die Außentemperatur die normale Körpertemperatur übertraf, dehnten die Fledermäuse ihre Torpor-Phasen auf bis zu 436 Minuten am Stück aus und tolerierten dabei Körpertemperaturen von bis zu 42,9 Grad Celsius. Für die Untersuchungen nutzten die Wissenschaftlerinnen kleine Sender, die den Tieren angelegt wurde, um die Hauttemperatur zu erfassen. Außerdem bestimmten sie den Sauerstoffverbrauch bei 16 erwachsenen Fledermäusen und konnten so auf die Stoffwechselrate und den Energieverbrauch schließen.
„Torpor könnte eine lebenswichtige Reaktion sein, um in zunehmend heißen und trockenen Regionen zu überleben, insbesondere im Zuge des fortschreitenden Klimawandels“, sagt Reher. Es ist jedoch auch eine risikoreiche Reaktion, da die torpiden Fledermäuse nicht so einfach aus diesem Ruhezustand herauskönnen. Steigt die Umgebungstemperatur über einen tödlichen Schwellenwert, ist es den Tieren zum Beispiel nicht ohne Weiteres möglich, aktiv die Körpertemperatur zu senken, etwa durch das Wechseln des Aufenthaltsorts oder durch das Befeuchten der Unterarme. Vielmehr würde das Erhöhen des Stoffwechsels körpereigene Wärme produzieren, die die Körpertemperatur noch weiter erhöhen würde.
„Ob Torpor als Hitzereaktion bei Tieren auch in gemäßigteren Zonen auftritt, können wir aktuell nicht sagen“, sagt Prof. Dr. Kathrin Dausmann. „Unsere Entdeckung sollte jedoch weitere Untersuchungen über die Reaktionen anderer Arten anregen, die in Zeiten der globalen Erwärmung jetzt schon nahe ihrer thermischen Grenzen leben.“
Originalpublikation:
Reher S, Dausmann KH. 2020 Tropical bats counter heat by combining torpor with adaptive hyperthermia. Proc. R. Soc. B 20202059. DOI: https://doi.org/10.1098/rspb.2020.2059

13.01.2021, Georg-August-Universität Göttingen
Forschungsteam unter Göttinger Leitung untersucht Evolution anhand von Facettenaugen
Die faszinierenden Facettenaugen der Insekten bestehen meist aus hunderten Einzelaugen, den Facetten. Im Verlauf der Evolution ist eine enorme Vielfalt an Augengrößen und -formen entstanden, die eine Anpassung an unterschiedliche Lebensbedingungen darstellen. Unter der Leitung einer Emmy-Noether Forschergruppe der Universität Göttingen haben nun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Beteiligung der Universität Pablo de Olavide in Sevilla gezeigt, dass diese Unterschiede durch sehr verschiedene Veränderungen im Genom von Essigfliegen hervorgerufen werden können. Die Studie ist in der Fachzeitschrift Molecular Biology and Evolution erschienen.
(pug) Wer schon Schwebfliegen beim blitzartigen Richtungswechsel durch die Luft fliegen sehen hat, hat wahrscheinlich einen Paarungsversuch miterlebt, bei dem das Männchen ein schnell fliegendes Weibchen zielgenau verfolgt. Für diese spezielle visuelle Anforderung bestehen die riesigen Facettenaugen von Schwebfliegen aus bis zu 6.000 einzelnen Facetten, von denen spezielle zum Himmel gerichtete Einzelaugen besonders hochauflösend sind. Die meist im Holz lebenden Borkenkäfer dagegen nutzen kaum visuelle Informationen und haben entsprechend sehr kleine Augen mit maximal 300 Facetten. „Diese enorme Vielfalt ist besonders beeindruckend, weil bisherige vergleichende Studien gezeigt haben, dass die Entwicklung von Insektenaugen, und übrigens auch unseren eigenen Augen, durch sehr ähnliche Prozesse und Gene gesteuert wird“, sagt Nico Posnien von der Universität Göttingen, der Leiter der Studie. „Es ist demnach spannend zu verstehen, wie angesichts sehr ähnlicher Gene die Vielfalt in der Augengröße- und Form entstehen kann.“. Da viele Genprodukte in regulatorischen Netzwerken zusammenarbeiten, um die Entwicklung komplexer Organe zu steuern, stellt sich die Frage, ob ähnliche Unterschiede in der Augengröße durch Veränderungen an vergleichbaren Stellen innerhalb der Netzwerke hervorgerufen werden. Als Modell für ihre Studie nutzten die Forscherinnen und Forscher verschiedene Arten der Gattung Drosophila, von denen manche als Obstfliege in der heimischen Küche bekannt sind.
Eine auf Mauritius heimische Drosophila-Art weist bis zu 250 Facetten mehr auf als dessen Schwesterart. Obwohl die grundlegenden Entwicklungsvorgänge in beiden untersuchten Arten sehr ähnlich sind, wurden in deren Genom zahlreiche Unterschiede gefunden, die den beobachteten Unterschieden in der Augengröße zugrunde liegen könnten. Die detaillierte Analyse der Augenentwicklung in beiden Arten deutet darauf hin, dass Veränderungen in einem wichtigen zentralen Knoten des Gennetzwerkes zur Ausbildung deutlich größerer Augen bei der auf Mauritius heimischen Art führen. „Interessanterweise sind in ähnlichen Arbeiten an anderen Drosophila-Arten Veränderungen in ganz anderen Knoten beobachtet worden. Demnach zeigen unsere Daten, dass Unterschiede in der Anzahl der Facetten durch sehr unterschiedliche Mechanismen hervorgerufen werden können“, fasst die Erstautorin der Studie, Elisa Buchberger, zusammen.
„Diese neuen Daten deuten darauf hin, dass Unterschiede in der Anzahl der Einzelaugen in verschiedenen Drosophila-Arten mehrmals unabhängig in der Evolution entstanden sind“, sagt Micael Reis. Er ist Erstautor einer im letzten Jahr veröffentlichten Studie der Göttinger Forschergruppe. Insgesamt tragen die beiden Studien zu einem besseren Verständnis der Evolution komplexer Organe bei. Einige der in der Arbeit etablierten Methoden könnten auch für Studien in der Tier- und Pflanzenzucht angewandt werden, bei denen gezielt nach Veränderungen im Genom gesucht wird, die komplexe Charaktermerkmale, wie Milchproduktion oder Fruchtgrößen beeinflussen. „In einem nächsten Schritt möchten wir verstehen, ob die unterschiedlich großen Augen einen Einfluss auf das Sehvermögen haben, also im Zusammenhang mit der Lebensweise der verschiedenen Fliegenarten stehen“, sagt Posnien.
Originalpublikation:
Elisa Buchberger et al. Variation in pleiotropic hub gene expression is associated with interspecific differences in head shape and eye size in Drosophila. Molecular Biology and Evolution (2021). Doi: https://doi.org/10.1093/molbev/msaa335

14.01.2021, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Happy End eines herausfordernden Jahres: Zwei neue Nördliche Breitmaulnashorn-Embryos über Weihnachten erzeugt
Wissenschaftler*innen und Naturschützer*innen des internationalen BioRescue-Konsortium arbeiten mit Hochdruck daran, das vom Aussterben bedrohte Nördliche Breitmaulnashorns durch fortschrittliche Technologien der assistierten Reproduktion zu retten. Im Dezember 2020 konnte das Konsortium zwei neue Nördliche Breitmaulnashorn-Embryos erzeugen.
Am 13. Dezember führte das Team des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), des Safari Parks Dvůr Králové, des Kenya Wildlife Service und der Ol Pejeta Conservancy erfolgreich eine Eizellentnahme in Kenia durch. Nach dem sofortigen Transport der entnommenen Eizellen nach Italien erzeugten die Wissenschaftler*innen zwei Embryos im Avantea-Labor in Cremona. Dafür ließen sie die Eizellen reifen und befruchteten sie mit Spermien des bereits verstorbenen Nashornbullen Suni. Die Embryos wurden am Weihnachtsabend im Entwicklungsstadium einer Blastozyste (Embryo) bei minus 196 Grad Celsius gefrierkonserviert. Damit erhöht sich die Gesamtzahl der bisher lebensfähigen Embryos auf fünf. Dies nährt die Hoffnung, dass trotz der Herausforderungen und Verzögerungen, die die COVID-19-Pandemie auch für das BioRescue-Konsortium im Jahr 2020 mit sich brachte, das Nördliche Breitmaulnashorn noch gerettet werden kann. Die nächste Phase der ambitionierten Rettungsmission ist bereits eingeleitet.
Die Weibchen Najin und Fatu in der Ol Pejeta Conservancy in Kenia sind die einzigen verbliebenen Nördlichen Breitmaulnashörner der Welt. Um das Aussterben dieser charismatischen Dickhäuter zu verhindern, entnimmt ein internationales Wissenschafts- und Naturschutz-Konsortium unreife Eizellen (Oozyten) von den beiden Weibchen und befruchtet diese künstlich mit gefrorenem Sperma von bereits verstorbenen Männchen, um lebensfähige Embryos zu erzeugen. In naher Zukunft werden die Embryos in Leihmütter von Südlichen Breitmaulnashörnern transferiert, um Nachkommen von Nördlichen Breitmaulnashörnern zu erzeugen.
„In einer Zeit von täglichen Negativ-Schlagzeilen und schweren persönlichen Schicksalen aufgrund von Covid-19 Pandemie sind wir als BioRescue-Team sehr froh, dass unsere Dezember-Mission zur Rettung des Nördlichen Breitmaulnashorns in Ol Pejeta, Kenia so positiv verlaufen ist, und dass wir unserem Ziel ein Nördliches Breitmaulnashornkalb in den nächsten zwei bis drei Jahren zu haben, deutlich nähergekommen sind“, sagt Projektleiter Prof. Thomas Hildebrandt. Die COVID-19-Pandemie beeinträchtigte den Prozess der Eizellentnahme und Befruchtung im Jahr 2020 erheblich. Das Team konnte fast ein Jahr lang keine zusätzlichen Embryos erzeugen. Erst jetzt war es möglich, den Bestand der bereits aus 2019 vorhandenen drei Embryos um zwei weitere auf fünf zu erhöhen. Im Dezember 2020 entnahmen das BioRescue-Team 14 Eizellen aus Fatus Eierstöcken mit einer ultraschallgeführten Sonde, nachdem das Tier unter Vollnarkose gesetzt wurde. Das Gerät zur Eizellenentnahme ist ein zugelassenes Patent in Deutschland, Europa und den USA und bald auch in Afrika. Sowohl die Narkose als auch die Eizellenentnahme verliefen reibungslos und ohne Komplikationen. Nach der Inkubation und Reifung der Eizellen im Avantea-Labor in Cremona (Italien) wurden acht Eizellen mit aufgetauten Spermien des verstorbenen Nördlichen Breitmaulnashornbullen Suni im ICSI-Verfahren (intra-cytoplasmatische Spermieninjektion) befruchtet. Zwei befruchtete Eizellen entwickelten sich mit Hilfe des Geri® zu einem lebensfähigen Embryo. Das Geri® wurde von Merck für das Forschungsprojekt zur Verfügung gestellt und ist ein innovativer Tischinkubator mit integrierter kontinuierlicher Embryoüberwachung, der für eine individualisierte und ungestörte Inkubationsumgebung sorgt. „Wir bei Merck sind sehr stolz darauf, dass wir die Möglichkeit haben, das weltweit am stärksten gefährdete Säugetier vor dem Aussterben zu bewahren. Gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern wollen wir dazu beitragen, die Artenvielfalt und gefährdete Arten für die nächsten Jahre zu schützen“, sagte Sebastian Bohl, Vize Präsident, Global Head of New Businesses, Fertility, Merck. Die zwei neuen Embryos werden sicher mit den drei Embryonen aus früheren Einsätzen in flüssigem Stickstoff gelagert.
Leider konnte das BioRescue Team von Najin, der Mutter von Fatu, keine Eizellen gewinnen. Zuvor waren entsprechende Eingriffe bei Najin zwar erfolgreich, aber es konnten keine Embryos aus den gewonnenen Eizellen erzeugt werden. Die Nashorn-Reproduktionsspezialisten vom Leibniz-IZW unter der Leitung von Prof. Thomas Hildebrandt sehen zwei mögliche Ursachen: Najins Alter und/oder gesundheitliche Probleme könnten die Qualität ihrer Eizellen beeinträchtigen. Außerdem hat das 31-jährige Nashorn einen großen Tumor im Bauchraum, der zu diesem Zeitpunkt zwar keine akuten gesundheitlichen Probleme verursacht, aber die Funktionalität der Fortpflanzungsorgane beeinträchtigen könnte. Da jeder Schritt innerhalb des Programms von einer gründlichen ethischen Risikobewertung begleitet wird, kann das Team erst nach einem Gesundheitscheck entscheiden, ob die Eizellentnahmen bei Najin beim nächsten Einsatz, der für später in diesem Jahr geplant ist, fortgesetzt werden. „Es ist sehr ermutigend, dass bahnbrechende Initiativen wie das BioRescue-Projekt trotz der schwierigen Zeit weiterhin Fortschritte machen. Die Schaffung dieser beiden neuen Embryos des Nördlichen Breitmaulnashorns ist ein Beweis für den Einfallsreichtum und die Expertise dieser internationalen Zusammenarbeit“, sagt Prof. Cesare Galli, Geschäftsführer von Avantea in Cremona, Italien.
Die Erzeugung von zwei Embryos im Dezember 2020 ist ein großer Erfolg für die Artenschutzforschung und ein hoffnungsvoller Abschluss eines herausfordernden Jahres. Die für das Frühjahr und den Frühsommer geplanten Forschungseinsätze mussten aufgrund der weltweiten COVID-19-Pandemie abgesagt oder verschoben werden. Im August 2020 konnte das Team schließlich die Eizellenentnahme wiederholen, mit dem enttäuschenden Ergebnis, dass keine Embryos entstanden. Die BioRescue-Reproduktionsspezialisten kamen zu dem Schluss, dass die unfreiwillige Zwangspause von fast neun Monaten zwischen den Eingriffen die Ergebnisse negativ beeinflusst haben. Die erfolgreichen Eingriffe im Dezember 2020 zeigen wiederum, dass ein regelmäßiger Rhythmus von drei bis vier Monaten für eine Eizellentnahme der Schlüssel zum Erfolg sind. Deshalb will das Team diesen Rhythmus in Zukunft beibehalten.
Im Dezember 2020 begann das Team auch mit der nächsten Phase des ehrgeizigen BioRescue-Projekts – den Vorbereitungen für den Tansfer der Embryos in Südliche Breitmaulnashornweibchen. Zu diesem Zweck wurde im November 2020 ein Südlicher Breitmaulnashornbulle von der Lewa Wildlife Conservancy in Kenia in das Ol Pejeta Conservancy Schutzgebiet transferiert. Dieser Bulle hat bereits mehrere Nachkommen gezeugt und gilt somit als bewährter Zuchtbulle. In Ol Pejeta wurde er vom BioRescue-Team mit einem minimal-invasiven, nicht-chirurgischen Verfahren unter Verwendung modernster Technik sterilisiert. Wie bei allen Eingriffen des Programms wurde auch bei diesem Verfahren eine gründliche ethische Risikobewertung durchgeführt. Die Sterilisationsprozedur verlief reibungslos und ohne jegliche Komplikationen. Der Bulle begann sofort nach Abklingen der Betäubung zu fressen. Als sterilisierter Bulle wird er durch sein Verhalten zuverlässig den Fortpflanzungszyklus von potentiellen Leihmüttern anzeigen, ohne dass die Gefahr besteht, dass sie dabei trächtig werden. Das Anzeigeverhalten ist eine entscheidende Voraussetzung, um die wertvollen Embryos des Nördlichen Breitmaulnashorns zum richtigen Zeitpunkt des Fortpflanzungszyklus‘ in die Leihmütter zu transferieren. Nach der positiven Überprüfung der erfolgreichen Sterilisation im Frühjahr 2021 wird der Bulle kontinuierlich überwacht, um von seinem Verhalten auf den Zyklus der potenziellen Leihmütter zu schließen. Die Entnahme der Eizellen, die Erzeugung der Embryos und die Vorbereitung für den Embryotransfer sind Teil des Forschungsprogramms „BioRescue“, das vom Leibniz-IZW geleitet und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Ziel ist es, assistierte Reproduktionstechniken (ART) und stammzellassoziierte Techniken (SCAT), ergänzt durch eine umfassende ethische Bewertung durch die italienische Universität Padua, zum Wohle des Nördlichen Breitmaulnashorns entscheidend voranzubringen. Das Konsortium wird maßgeblich vom BMBF Finanziert. Darüber hinaus gibt es weitere Unterstützer wie die tschechische Nadace ČEZ Foundation und die amerikanische Richard McLellan Rewind Rhino Extinction Foundation. Das Konsortium besteht aus international renommierten Institutionen aus Deutschland, Italien, Tschechien, Kenia, Japan und den USA. Das Programm wird von der kenianischen Regierung und von Hon Najib Balala, Kenias Kabinettssekretär des Ministeriums für Tourismus und Wildnis, unterstützt. „Im Namen des Volkes und der Regierung von Kenia möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um die beeindruckenden Fortschritte zu würdigen, die das gemeinsame Team aus kenianischen und internationalen Wissenschaftler*innen bisher erzielt hat, um das bedrohte Nördliche Breitmaulnashorn vor dem Aussterben zu bewahren.
Als eines der weltweit führenden Länder im Bereich des Artenschutzes haben wir uns verpflichtet, diesen gemeinschaftlichen Prozess von Anfang bis Ende zu fördern, indem wir Unterstützung leisten, damit diese wichtige Arbeit fortgesetzt werden kann.
Ich freue mich, dass die Welt durch den Einsatz modernster und innovativer Technologien die Chance hat, diese bedrohte Wildtierart für die Nachwelt zu retten, und dass Kenia seinen Teil zu diesen wichtigen Schutzbemühungen beiträgt.
Wir müssen alles tun, um diese Art vor dem Aussterben zu bewahren. Denken Sie daran: Aussterben ist für immer. Sobald wir diese Art verlieren, haben wir ein symolträchtiges Tier verloren, das zukünftige Generationen nicht mehr sehen werden“, sagt Hon Najib Balala.
Seit Juni 2020 wird das BioRescue-Projekt durch das europäische Trainingsnetzwerk „EUROVA“ (European Oocyte Biology Research Innovation Training Net) ergänzt. Das EUROVA-Konsortium, dem das Leibniz-IZW angehört, hat das Ziel, neue Techniken und Methoden für die In-vitro-Maturation (IVM) von Eizellen, die In-vitro-Fertilisation (IVF) und die In-vitro-Kultur (IVC) von Embryos zu entwickeln. Diese Techniken und Methoden können genutzt werden, um neue Erhaltungsmaßnahmen für stark gefährdete Säugetiere, wie z. B. die gefährdete Familie der Nashörner, voranzutreiben.
Seit Anfang des Jahres hat BioRescue eine neue Webseite (www.biorescue.org). Die Seite ist eine Ressource für Wissen und Neuigkeiten rund um den wissenschaftlichen Teil des Rettungsprogramms für das Nördliche Breitmaulnashorn. Darüber hinaus porträtiert sie die Menschen hinter der Mission, sammelt Medienberichte und Multimedia-Beiträge über die Mission in mehreren Galerien und bietet Nutzern die Möglichkeit, das Programm durch Spenden zu unterstützen.

15.01.2021, NABU
NABU und LBV starten Hauptwahl des Vogel des Jahres
Unter www.vogeldesjahres.de stehen ab Montag zehn Kandidaten zur Auswahl
Die erste öffentliche Wahl zum „Vogel des Jahres 2021“ vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) und dem Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) geht in die heiße Phase: Ab dem 18. Januar können alle Menschen in Deutschland bestimmen, welcher der folgenden zehn nominierten Vögel das Rennen macht: Stadttaube, Rotkehlchen, Amsel, Feldlerche, Goldregenpfeifer, Blaumeise, Eisvogel, Haussperling, Kiebitz oder Rauchschwalbe. Unter www.vogeldesjahres.de können alle ihrem Favoriten bis zum 19. März ihre Stimme geben. Alle Top-Ten-Kandidaten haben eigene Wahlprogramme und -forderungen, um für den Schutz ihrer Art zu werben. Wer die meisten Stimmen bekommt, wird kurz vor Frühlingsanfang zum „Vogel des Jahres 2021“ gekürt.
Leif Miller, NABU-Bundesgeschäftsführer: „Wir erwarten einen spannenden und harten Wahlkampf. Wie sich in der Vorwahl gezeigt hat, scheint das Land gespalten zu sein. Den einen liegen eher seltene und gefährdete Arten wie Goldregenpfeifer oder Kiebitz am Herzen, den anderen wohlbekannte Vögel wie Blaumeise oder Stadttaube. Je mehr Menschen sich an der Wahl beteiligen, desto mehr rückt unsere heimische Vogelwelt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit – mit all ihrer Faszination, aber auch mit ihrer Gefährdung.“
Die nun zur Wahl stehenden zehn Vogelarten sind aus der Vorwahlphase zwischen Mitte Oktober und Mitte Dezember hervorgegangen. Fast 130.000 Menschen wählten diese aus 307 heimischen Brutvogelarten und den wichtigsten Gastvogelarten aus. Mehr als 2.500 Wahlkampfteams hatten sich zusammengetan und deutschlandweit vor allem im Internet für ihre Kandidaten geworben.
Unter den Nominierten finden sich fünf ungefährdete und vier gefährdete Arten sowie eine Art in der Vorwarnkategorie der Roten Liste. Erwartungsgemäß machen die Hälfte bekannte und beliebte Garten- und Siedlungsvögel aus. Aber auch stark bedrohte Agrarvögel wie Kiebitz und Feldlerche haben es in die Auswahl geschafft. Der seltene, aber aktuell nicht bedrohte Eisvogel und der als Brutvogel kürzlich aus Deutschland verschwundene Goldregenpfeifer komplettieren die Auswahl. Die Rauchschwalbe repräsentiert die weit reisenden Zugvögel, die mit besonders starken Bestandsrückgängen zu kämpfen haben. Sieben Finalisten waren bereits einmal – im Fall von Feldlerche und Eisvogel sogar schon zweimal – Vogel des Jahres. Chancen auf ihren ersten Titel haben Stadttaube, Amsel und Blaumeise.
Auch in der anstehenden heißen Hauptwahl-Phase können sich wieder Wahlkampfteams bilden. Die drei Wahlkampfteams, die in Vor- und Hauptwahl die meisten Stimmen gesammelt haben, werden prämiert.
Der „Vogel des Jahres“ wurde seit 1971 durch ein Gremium aus Vertretern von NABU und LBV gekürt. Zum 50. Jubiläum der Aktion können nun erstmals alle Menschen in Deutschland die Wahl selbst in die Hand nehmen.
Wahl des Vogel des Jahres 2021: (ab 18.1.freigeschaltet): www.vogeldesjahres.de

15.01.2021, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung
Die Berliner Mischung: Igel bilden keine genetisch isolierten Bestände in der Hauptstadt
Igel leben sowohl auf dem Lande als auch in größeren Städten. Da in ländlichen Regionen die Bestände kontinuierlich abnehmen, sind die Mehrzahl der Igel mittlerweile Stadtbewohner. Um diese Bestände effizient zu schützen, müssen die Anpassungsstrategien (und deren Grenzen) dieser Kleinsäuger an menschlich dominierte Lebensräume besser verstanden werden. Die von Dr. Anne Berger vom Leibniz-IZW mit herausgegebene Spezialausgabe „applied hedgehog conservation research“ der Fachzeitschrift „Animals“ schließt einen Teil dieser Forschungslücke. Darin: Trotz erheblicher Barrieren im Stadtbild schaffen es die wenig mobilen Igel, in Berlin eine gemeinsame genetische Population zu erhalten.
Igel leben sowohl auf dem Lande als auch innerhalb größerer Städte. Da insbesondere in ländlichen Regionen die Bestände kontinuierlich abnehmen, sind die Mehrzahl der Igel mittlerweile Stadtbewohner. Um diese Bestände effizient zu schützen, müssen die Anpassungsstrategien (und deren Grenzen) dieser Kleinsäuger an menschlich dominierte Lebensräume besser verstanden werden. Die von Dr. Anne Berger vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) mit herausgegebene Spezialausgabe zur angewandten Naturschutzforschung bei Igeln („applied hedgehog conservation research“) der Fachzeitschrift „Animals“ schließt einen Teil dieser Forschungslücke. Ein darin publiziertes neues Forschungsergebnis: Trotz erheblicher Barrieren im Stadtbild wie Straßen oder Gewässer schaffen es die wenig mobilen Igel, in Berlin eine gemeinsame genetische Population zu erhalten. Für den Genfluss und damit für die Widerstandsfähigkeit der lokalen Igelbestände seien sowohl Grünkorridore als auch Translokationen durch den Menschen verantwortlich, so das Fazit.
Für diese Untersuchung analysierten Kolleginnen und Kollegen vom Leibniz-IZW das Genom von 143 Berliner Igeln. Eine Clusteranalyse der Erbgut-Informationen ergab drei genetische Gruppierungen, die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf direkte Verwandtschaftsverhältnisse zurückführten. „Wenn diese direkten Familiengruppen in der Analyse nicht berücksichtigt werden, gibt es in ganz Berlin nur ein einzelnes genetisches Cluster“, sagt Prof. Dr. Jörns Fickel, Leiter der Abteilung für Evolutionsgenetik am Leibniz-IZW und Seniorautor der Veröffentlichung. Es gibt also trotz erheblicher Barrieren für Igel im Stadtbild – etwa Zäune, Straßen, Gewässer oder Bahntrassen – keine genetisch isolierten Bestände in der Hauptstadt. „Diese ‚Berliner Mischung‘ hat zwei mögliche Ursachen“, sagt Koautorin Dr. Anne Berger, Wissenschaftlerin und Igelspezialistin in der Abteilung für Evolutionäre Ökologie des Leibniz-IZW. „Zum einen könnte der hohe Grünanteil in Berlin ausreichend gut verbundenen Lebensraum für Igel bieten, sodass der Austausch auch für die nur bedingt mobilen Igel möglich bleibt. Zum anderen kann die Arbeit der Igelauffangstationen in der Stadt eine wesentliche Rolle spielen, wenn Igel an anderer Stelle wieder ausgesetzt werden als sie aufgelesen wurden.“ Um dies genauer zu bestimmen regt das Autorenteam an, dass Informationen über Fund- und Aussetzorte der Igelauffangstationen systematisch erfasst werden.
Der Aufsatz ist einer von 14 Beiträgen in einer Spezialausgabe der Fachzeitschrift „Animals“, die sich mit den menschlichen Auswirkungen auf die Lebensweise von Igeln befasst. „Im jetzigen Erdzeitalter, dem Anthropozän, ist die Welt wesentlich durch den Menschen und seine Aktivitäten geprägt und die Existenz so gut wie jeder Wildtierart hängt davon ab, inwieweit sich die Individuen dieser Art mit den menschgemachten Bedingungen arrangieren können und inwieweit der Mensch genug Willen und Wissen hat, um dieser Wildtierart einen Lebensraum zu gewähren, der dessen Lebensansprüchen genügt“ sagt Berger, die die Spezialausgabe gemeinsam mit Dr. Nigel Reeve herausgegeben hat. „Im Fall des Igels weiß man zwar viel über deren natürliche Lebensweise, was aber deren Reaktionen, Anpassungsstrategien und -grenzen auf die diversen menschlichen Einflüsse sind, so steht man da eigentlich noch ganz am Anfang der Forschung. Aber gerade diese Untersuchungen sind essenziell für wirklich effektive und nachhaltige Schutzmaßnahmen für die immer stärker bedrohten Igel.“
Neben dem Beitrag zum Genfluss im Berliner Igelbestand enthält die Spezialausgabe unter anderem auch eine Untersuchung zu den Auswirkungen menschlicher Zusatzfütterung durch den Menschen auf das Winterschlafverhalten von Igeln, eine Analyse der Auswirkungen von Verkehrstoten auf die Igelpopulationen und zu Schutzmaßnahmen zur Verringerung der Straßenmortalität und damit zur Verminderung der Gefahr der räumlichen Isolierung von Igelpopulationen oder eine 17-Jahres-Retrospektive der Todesursachen wilder Igel in Portugal. „Zudem konnten wir erstmals zeigen, dass sich die nachtaktiven Igel bevorzugt durch dunkle Areale bewegen und das nächtliche künstliche Licht meiden“, so Berger über einen weiteren Aufsatz aus dem Leibniz-IZW in dem Heft. „Dieses Wissen könnte genutzt werden, um isolierte Populationen durch igelsichere und dunkle Korridore wieder miteinander zu verbinden.“ Alle Beiträge sind online frei verfügbar, können kostenlos von allen Igelschutzstationen und -helfern genutzt werden und tragen so auch wesentlich zu einem evidenzbasierten Artenschutz bei.
Originalpublikation:
Barthel LMF, Werner D, Schmidt A, Berger A, Hofer H, Fickel J (2020): Unexpected gene-flow in urban environments: The example of the European Hedgehog. Animals, 10(12), 2315; https://doi.org/10.3390/ani10122315

15.01.2021, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Kiemenschlitzaal: Neue Fischgattung aus Indien beschrieben
Senckenberg-Wissenschaftler Ralf Britz hat gemeinsam mit internationalen Kolleg*innen eine neue Fischgattung beschrieben. Die zur Familie der Kiemenschlitzaale gehörenden, blinden Fische leben im südlichen Indien in unterirdischen Gewässern und sind rot gefärbt. Zusätzlich ordnete das Team drei weitere Fischarten der neuen Gattung zu. Die Studie erschien kürzlich im Fachjournal „Ichthyological Exploration of Freshwaters“.
Kiemenschlitzaale (Synbranchidae) haben einen länglichen Körper ohne Brust-, Bauch-, Rücken-, After- und Schwanzflossen und sind auf allen Kontinenten – mit Ausnahme der Antarktis – zu finden. „Insgesamt gibt es 26 bestätigte Arten dieser Knochenfischfamilie. Einen ‚Hotspot’ von 6 Arten findet man im Gebiet der Western Ghats, einem Gebirgszug entlang der Westküste Indiens“, erklärt Dr. Ralf Britz von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden und fährt fort: „In der Nähe eines kleinen Ortes der Provinz Kerala wurde das von uns untersuchte Tier 1998 gefangen und von zwei amerikanischen Wissenschaftlern als Monopterus roseni beschrieben. Es gehört zu der dort unterirdisch lebenden Fischfauna mit derzeit 10 Fischarten aus fünf Familien.“
Mittels Computertomographie und genetischer Methoden konnten der Dresdner Biologe und Forschende aus Indien und den USA signifikante Unterschiede zwischen Monopterus roseni sowie drei weiteren rot gefärbten, unterirdisch lebenden Arten und allen übrigen Kiemenschlitzaal-Arten feststellen. „Diese – erst heutzutage möglichen Untersuchungen – haben letztlich dazu geführt, dass wir die neue Gattung ‚Rakthamichthys’ für diese vier Arten eingeführt haben. Die vormals als Monopterus roseni beschriebene Art wird nun zur Typusart dieser neuen Gattung mit dem aktualisierten Namen Rakthamichthys roseni“, erläutert Britz.
Die Typusart ist blind, etwa 17 Zentimeter lang und lebt unterirdisch in wasserführenden Laterit-Gesteinsschichten. „Die sehr schlanken Tiere sind kräftig rot gefärbt. Dies spiegelt sich im Namen der neuen Gattung wieder: Raktham bedeutet in der Sprache Malayalam ‚blutrot’, der Zusatz ichthys ist das griechische Wort für Fisch“, schließt Britz.
Originalpublikation:
Ralf Britz, Neelesh Dahanukar, Ariane Standing, Siby Philip, Biju Kumar and Rajeev Raghavan (2020): Osteology of ‘Monopterus’ roseni with the description of Rakthamichthys, new genus, and comments on the generic assignment of the Amphipnous Group species (Teleostei: Synbranchiformes).
DOI: 10.23788/IEF-1163

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