06.04.2021, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
Invasive aquatische Arten verursachen Schäden in Milliardenhöhe
Erste globale Studie zu den wirtschaftlichen Kosten invasiver aquatischer Arten veröffentlicht
Wenn sich Pflanzen oder Tiere aufgrund menschlicher Aktivitäten in Ökosystemen außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes etablieren, können sie erhebliche wirtschaftliche Schäden verursachen. Sie können beispielsweise kommerziell genutzte Arten verdrängen oder Krankheiten beim Menschen verursachen. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des GEOMAR hat nun erstmals die weltweiten Kosten von invasiven, im Wasser lebenden Arten veröffentlicht. Die Kosten belaufen sich allein im Jahr 2020 auf mehr als 20 Milliarden US-Dollar.
Der globale Waren- und Personenverkehr in seiner modernen Form hat viele unerwünschte Nebeneffekte. Einer davon ist, dass auch viele Tier- und Pflanzenarten mit um die Welt reisen. Oft gelingt es ihnen nicht, sich in den Ökosystemen der Zielgebiete zu etablieren. Manchmal aber vermehren sie sich mangels eines effektiven Managements in der neuen Umgebung so stark, dass sie zu einer Bedrohung für das gesamte Ökosystem und die Wirtschaft einer Region werden können. Tausende von gebietsfremden Arten sind derzeit weltweit dokumentiert. Ein Viertel davon befindet sich in sehr empfindlichen, aquatischen Lebensräumen.
Bislang hat sich die Forschung vor allem auf die ökologischen Folgen dieser Invasionen konzentriert. In einer ersten globalen Datenanalyse haben 20 Wissenschaftler*innen aus 13 Ländern unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel nun die ökonomischen Kosten zusammengestellt, die speziell durch aquatische Invasoren verursacht werden. „Wir kommen zu dem Ergebnis, dass invasive aquatische Arten, die sich in ihren neuen Lebensräumen etabliert haben, seit den 1970er Jahren mindestens 345 Milliarden US-Dollar gekostet haben“, sagt Dr. Ross Cuthbert vom GEOMAR. Er ist Hauptautor der Studie, die jetzt in der Fachzeitschrift Science of the Total Environment veröffentlicht wurde.
Wirtschaftliche Kosten entstehen zum Beispiel, wenn invasive Arten kommerziell genutzte Fischbestände dezimieren, tödliche Krankheiten verbreiten oder Infrastrukturen beschädigen. „Gute Beispiele sind invasive Muscheln, die Einlassrohre von Fabriken, Kraftwerken oder Wasseraufbereitungsanlagen verstopfen. Oder gebietsfremde Parasiten, die katastrophale Einbrüche in der kommerziellen Fischerei verursachen“, erklärt Dr. Cuthbert.
Für die Studie nutzte das Team Fälle, die in der vorhandenen Literatur erfasst wurden, und vereinheitlichte sie in einer umfassenden Datenbank. Wirbellose Tiere (62 %) machten den größten Anteil der Kosten aus, die auf diese Weise ermittelt werden konnten, gefolgt von Wirbeltieren (28 %) und Pflanzen (6 %). Die größten Kosten wurden in Nordamerika (48 %) und Asien (13 %) gemeldet und waren hauptsächlich auf Schäden an Ressourcen wie physischen Infrastrukturen, Gesundheitssystemen und Fischereien zurückzuführen. Besorgniserregend ist, dass mehr als zehnmal weniger für Managementmaßnahmen, wie beispielsweise die Verhinderung zukünftiger Invasionen, ausgegeben wurde als zur Behebung der Schäden.
„Unsere Zahlen unterschätzen jedoch aufgrund von Wissenslücken die wahren Kosten stark. Für viele Länder und bekannte schädliche invasive Arten, vor allem in Afrika und Asien, wurden die Kosten nie gemeldet. Wir können also davon ausgehen, dass die Schäden in Wirklichkeit viel höher sind“, betont Dr. Cuthbert. Ein Vergleich mit den Kosten, die von invasiven Arten an Land verursacht werden, bestätigt diese Vermutung. Während aquatische Spezies ein Viertel der dokumentierten invasiven Arten ausmachen, machen die von ihnen verursachten wirtschaftlichen Kosten nur ein Zwanzigstel dessen aus, was für terrestrische Arten bekannt ist.
Das Team stellte auch einen klaren Trend fest, dass die Kosten in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind. Allein im Jahr 2020 beliefen sie sich auf mindestens 23 Milliarden US-Dollar.
„Die Kosten für aquatische Invasoren sind also signifikant, werden aber wahrscheinlich zu wenig beachtet. Die Kosten sind im Laufe der Zeit gestiegen und werden bei zukünftigen Invasionen voraussichtlich weiter zunehmen“, fasst Dr. Cuthbert die Studie zusammen. Das Autorenteam fordert daher eine verstärkte und verbesserte Kostenberichterstattung, um Wissenslücken zu verringern. Es drängt auch darauf, dass mehr Geld in das Management und die Prävention von Invasionen investiert wird. „Das wäre gut angelegtes Geld, um aktuelle und zukünftige Schäden zu verhindern und zu begrenzen“, betont Dr. Cuthbert.
Originalpublikation:
Cuthbert, R. N., Z. Pattison, N. G. Taylor, L. Verbrugge, C. Diagne, D. A. Ahmed, B. Leroy, E. Angulo, E. Briski, C. Capinha, J. A. Catford, T. Dalu, F. Essl, R. E. Gozlan, P. J. Haubrock, M. Kourantidou, A. M. Kramer, D. Renault, R. J. Wasserman, Franck Courchamp (2021): Global economic costs of aquatic invasive alien species. Science of the Total Environment, https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2021.145238
06.04.2021, Universität Koblenz-Landau
Höhere ausgebrachte Toxizität gefährdet Pflanzen und Insekten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Koblenz-Landau haben nachgewiesen, dass die in der Landwirtschaft ausgebrachte Giftigkeit von Pflanzenschutzmitteln (Pestizide) für Pflanzen und Insekten erheblich zugenommen hat. In einem Artikel, der in der aktuellen Ausgabe der amerikanischen Fachzeitschrift Science erscheint, zeigen die Autoren außerdem, dass dieser Anstieg auch bei genetisch veränderten Nutzpflanzen zutrifft, die eigentlich die Pestizidbelastung für die Umwelt reduzieren sollten.
„Wir haben umfangreiche Daten über die Anwendung von Pestiziden in den USA ausgewertet, die eingesetzten Pestizidmengen in Bezug zu ihrer Giftigkeit gesetzt und somit eine ‚ausgebrachte Toxizität‘ berechnet“, sagt Umweltwissenschaftler Prof. Dr. Ralf Schulz, Hauptautor der Studie aus Landau. „Dadurch erhalten wir einen ganz neuen Blick auf die möglichen Risiken für Umwelt und Biodiversität, die von der Ausbringung von Pestiziden ausgehen.“
Die Gesamtmenge der eingesetzten Insektenbekämpfungsmittel (Insektizide) hat in den USA zwischen 1992 und 2016 um 40 Prozent abgenommen. Davon profitieren Fische, Säugetiere und Vögel, da diese Abnahme vor allem auf bestimmte Insektizidklassen wie Organophosphate und Carbamate zurückgeht, die für diese Gruppen problematisch sind. Jedoch zeigt sich für wirbellose Tiere, wie zum Beispiel Krebstiere oder Insekten, und besonders für Bestäuber, wie zum Beispiel Bienen, ein anderes Bild: Trotz der geringeren Insektizidmenge hat sich die ausgebrachte Toxizität für diese Gruppen zwischen 2005 und 2015 mehr als verdoppelt. Für Wirbellose in Gewässern geht dieser Anstieg auf die in sehr geringen Konzentrationen wirksamen Pyrethroide zurück, für Bestäuber auf die in den USA stark gestiegene Anwendung von Neonikotinoiden. Pyrethroide und Neonikotinoide sind aktuell häufig verwendete, hochwirksame Insektizide.
Die ausgebrachte Toxizität bei Unkrautbekämpfungsmitteln (Herbizide) hat ebenso wie die eingesetzten Mengen stark zugenommen. Vor allem Pflanzen sind hier stärkeren Gefährdungen ausgesetzt. Die gleichzeitige Zunahme von Gefahren für Pflanzen und für Bestäuber, die ökologisch oftmals direkt voneinander abhängen, deutet auf besondere Pestizidrisiken hin, welche die Artenvielfalt von Pflanzen und Insekten bedrohen.
Genetisch veränderte Kulturpflanzen wurden unter anderem entwickelt, um den Einsatz chemischer Pestizide deutlich reduzieren zu können. Die Ergebnisse der neuen Studie zeigen nun selbst für die beiden in den USA wichtigsten genetisch veränderten Anbaupflanzen Mais und Soja, dass die ausgebrachte Toxizität chemischer Pestizide für Wirbellose in Gewässern sowie Bestäuber und Pflanzen an Land genauso stark zugenommen hat wie in der konventionellen Landwirtschaft.
Wie die Autoren der Studie anführen, sind die Ergebnisse auf viele andere Regionen der Welt mit intensiver Landwirtschaft übertragbar. Nicht immer sind aber Daten frei verfügbar, die nötig sind, um die Unterschiede in den landwirtschaftlichen Pestizidanwendungen verschiedener Länder und Regionen abzubilden. Ralf Schulz betont: „Unsere Ergebnisse stellen die Aussage einer über die Zeit sinkenden Auswirkung von Pestiziden auf die Umwelt für konventionelle und genetisch veränderte Kulturen in Frage und belegen den Bedarf für eine globale Reduktion der ausgebrachten Toxizität von Pestiziden.“
Bibliographische Information
Ralf Schulz, Sascha Bub, Lara L. Petschick, Sebastian Stehle, and Jakob Wolfram (2021): Applied pesticide toxicity shifts towards plants and invertebrates, even in GM crops. Science; https://doi.org/10.1126/science.abe1148
06.04.2021, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Hautnah: Wie Säuger das Wasser zurückeroberten
Flusspferde und Wale sind nahe Verwandte, aber ihre „aquatische“ Haut stammt nicht von einem gemeinsamen Vorfahren.
Neue Einblicke in die Evolution wasserlebender Säugetiere: Die glatte, fast haarlose Haut von Flusspferden und Walen sieht zwar ähnlich aus, hat sich aber unabhängig voneinander entwickelt. Das zeigen Genomanalysen und Gewebeuntersuchungen, an denen Michael Hiller vom LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik beteiligt war. Bisher dachte man, die ans Wasserleben angepasste Haut dieser Säugetiere gehe auf einen gemeinsamen amphibischen Vorfahren zurück. Die in „Current Biology“ veröffentlichte Studie widerspricht jedoch dieser Annahme. Sie legt nahe, dass ihr letzter gemeinsamer Vorfahre ein Landbewohner war. „Aquatische“ Haut mit speziellen Eigenschaften ist demnach mehrmals in der Stammesgeschichte der Säugetiere entstanden.
„Wie Säugetiere das Festland verließen, um im Wasser zu leben, ist eine der faszinierendsten Geschichten der Evolution – vielleicht nur übertroffen von der Evolution des Fliegens“, sagt Dr. John Gatesy, leitender Forscher in der Abteilung für Zoologie der Wirbeltiere des American Museum of Natural History in New York und Autor einer kürzlich in „Current Biology“ veröffentlichten Studie. „Die Vorfahren der amphibischen Flusspferde wurden lange als Zwischenstufe in der Entwicklung wasserlebender Säugetiere betrachtet. Doch unsere Erkenntnisse widersprechen diesem Dogma.“
Die Studie, an der Prof. Dr. Michael Hiller vom LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) bei Senckenberg in Frankfurt mitgearbeitet hat, bestätigt den gemeinsamen Vorfahren der Flusspferde und Wale, deutet aber auf einen Landbewohner hin. Die Erkenntnisse des deutsch-amerikanischen Forscherinnen*teams basieren auf anatomischen Untersuchungen der Säugerhaut sowie auf Genomanalysen. Demnach ist eine ans Wasserleben angepasste Haut in der Evolution der Säugetiere mindestens zwei Mal unabhängig voneinander entstanden – bei den amphibischen Flusspferden und den aquatischen Walen, zu deren Ordnung zoologisch gesehen auch Delfine gehören.
Auch wenn sie sich optisch unterscheiden, haben Flusspferde und Wale einiges gemeinsam: Sie gebären und säugen ihren Nachwuchs unter Wasser, ihnen fehlen Talgdrüsen sowie ein Fell. Tatsächlich sind sie einander die nächsten lebenden Verwandten. Fest steht auch: Sie haben einen gemeinsamen Vorfahren, der vor etwa 55 Millionen Jahren lebte. Wie, wann und ob der Urahne ins Wasser ging, darüber diskutieren Forscher*innen hingegen noch. „Die einfachste Hypothese ist, dass der Vorfahre von Flusspferden und Walen bereits amphibisch war“, sagt Prof. Dr. Mark Springer, Studienleiter und Professor für Biologie an der University of California in Riverside. „Aber die Evolution nimmt nicht immer den kürzesten Weg.“
Auf den Spuren der Evolution nahm das Forscher*innenteam die Haut von Flusspferden sowie Vertretern der Ordnung der Wale (Cetacea) unter die Lupe und untersuchte Details der Gewebestruktur. Außerdem analysierten sie die DNA der Säuger, um für die Haut zuständige Gene zu finden und zu vergleichen. Dabei sequenzierten sie erstmals die gesamte Erbinformation des Zwergflusspferdes (Choeropsis liberiensis), einer der zwei noch lebenden Arten aus der Familie der Flusspferde.
„Die molekularen Signaturen belegen, dass sich die Merkmale ‚aquatischer‘ Haut, die wir bei Flusspferden und Walen finden, unabhängig voneinander entwickelt haben“, sagt Evolutionsgenomiker Hiller, der auch am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden geforscht hat. „Die DNA verrät uns zudem: Die zugrundeliegenden Gene haben sich in der Wal-Stammlinie viel früher verändert als in der Flusspferd-Stammlinie.“ Wal-Vorfahren haben also viel früher angefangen, sich ans Wasserleben anzupassen – im Hinblick auf ihre Haut. Doch wie läuft das eigentlich?
„Entwickelt eine Tiergruppe einen aquatischen Lebensstil, wird ihre Haut stromlinienförmiger und einheitlicher“, sagt Prof. Dr. Maksim Plikus, Studienautor und Hautbiologe von der University of California, Irvine. „Haare, Nägel und Schweißdrüsen können für das Leben unter Wasser hinderlich sein und deshalb langfristig verschwinden.“ Solche drastischen Anpassungen finden sich bei Walen: Sie haben keine Nägel oder Schweißdrüsen, nur wenige „Schnurrhaare“ und sehr dicke Haut. Flusspferde haben einige ursprüngliche Merkmale behalten oder abgewandelt. Sie besitzen zum Beispiel Hufe und spezialisierte Schweißdrüsen, deren orangefarbenes Sekret, sogenannter Blutschweiß, die Haut vor Bakterien und Sonnenbrand schützen soll.
Verlieren oder verändern sich Merkmale im Laufe der Stammesgeschichte, können Forscher*innen das in der DNA nachverfolgen. Zum Beispiel dadurch, dass zugrundeliegende Gene durch Mutationen ausgeschaltet sind oder gar nicht mehr an die Nachfahren weitergegeben werden. Die Genome der Flusspferde und der Ordnung der Wale erzählen diesbezüglich unterschiedliche Evolutionsgeschichten.
„Die Flusspferd-Linie zeigt völlig andere Mutationen beim Ausschalten der Hautgene als die Cetacea-Linie“, sagt Studienleiter Springer. Trotz unzähliger Mutationen tauchte keine einzige in beiden Gruppen auf. „Gäbe es einen gemeinsamen amphibischen oder aquatischen Vorfahren, hätten wir einige Übereinstimmungen finden müssen.“
Originalpublikation:
Mark S. Springer, Christian F. Guerrero-Juarez, Matthias Huelsmann, Matthew A. Collin, Kerri Danil, Michael R. McGowen, Ji Won Oh, Raul Ramos, Michael Hiller, Maksim V. Plikus, John Gatesy (2021): Genomic and anatomical comparisons of skin support independent adaptation to life in water by cetaceans and hippos. Current Biology 31, 1-16. https://doi.org/10.1016/j.cub.2021.02.057
06.04.2021, Naturhistorisches Museum Wien
Tigerhai-Angriff vor 14.5 Millionen Jahren endete tödlich für steirische Seekuh
Forscher*innen des NHM Wien identifizierten ein einzigartiges fossiles Skelett einer Seekuh. Bei den Untersuchungen wurden neben Biss-Spuren an den Knochen der Seekuh auch Zähne eines Tigerhais entdeckt. Was erzählen uns diese Fossilien über das Leben vor 14.5 Millionen Jahren?
Im Jahr 2012 machte der engagierte Hobbypaläontologe Gerhard Wanzenböck (Bad Vöslau) einen besonderen Fund im steirischen Retznei: fossile Knochen einer jungen Seekuh, die vor 14.5 Millionen Jahren in einem tropischen Meer lebte, das zu dieser Zeit weite Teile Österreichs bedeckte.
Die Überreste des gut erhaltenen Skelettes wurden anschließend vom Finder und den Paläontologen des Universalmuseums Joanneum (Graz) geborgen und im Laufe der letzten Jahre am Joanneum präpariert. Dem erfahrenen und geduldigen Präparator Norbert Winkler gelang es, das Skelett unbeschädigt aus dem Gestein zu kitzeln, wodurch sensationelle Ergebnisse zu Tage kamen: mehrere Knochen zeigen Biss-Spuren. Der Täter lässt sich ebenfalls rekonstruieren. Zwischen den Knochen befanden sich mehrere Zähne eines Tigerhais.
Nun hat das Paläontolog*innen-Team des Naturhistorischen Museums in Wien, unter der Leitung von Iris Feichtinger, BSc. MSc. und Priv.-Doz. Dr. Ursula B. Göhlich, die ungewöhnlichen Funde analysiert.
Die Seekuh-Knochen stammen alle von einem jungen Tier der ausgestorbenen Art Metaxytherium medium. Moderne Verwandte dieser Seekühe leben heute im Indischen Ozean. Die neben den Knochen gefundenen Zähne gehören dem Tigerhai Galeocerdo aduncus. Die Zahnform dieser etwa 5 Meter lagen Haie ist unverwechselbar und passt exakt zu den Biss-Spuren auf den Knochen. Es handelt sich dabei weltweit um den ältesten fossilen Beleg einer derartigen Räuber-Beute Beziehung.
„Der Tigerhai hat sich die Zähne an der jungen Seekuh ausgebissen“, so die junge Paläontologin und Haispezialistin Iris Feichtinger. „Solche „Glücksfälle“ bieten einen seltenen Einblick in eine längst vergangene Welt und helfen dadurch die Lebensweise ausgestorbener Tiere zu beschreiben und zu verstehen“.
Im kommenden Jahr wird das fossile Skelett im Rahmen einer Sonderausstellung im Universalmuseum Joanneum in Graz präsentiert.
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1080/08912963.2021.1906665
7.04.2021, Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie
Schnellerer Sequenzabgleich für den gesamten Baum des Lebens
Eine Sequenzierungs-Suchmaschine für eine neue Ära von Conservation Genomics
Ein Forscherteam vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen und der Max Planck Computing and Data Facility in Garching entwickelt neue Suchmöglichkeiten, die Vergleiche des biochemischen Aufbaus verschiedener Arten in unterschiedlichen Zweigen des Baums des Lebens ermöglichen werden. Die Kombination von Präzision und Geschwindigkeit dieser Techniken war bislang unerreicht. Die Ergebnisse der Forscher erscheinen am 7. April in Nature Methods.
Menschen haben viele Nukleotidsequenzen in ihren Genen mit anderen Arten gemeinsam; mit Schweinen ganz besonders viele, aber auch mit Mäusen und sogar Bananen. Dementsprechend können manche körpereigenen Proteine – Ketten von Aminosäuren, die gemäß dem Bauplan der Gene zusammengesetzt werden – ebenfalls mit Proteinen anderer Arten übereinstimmen oder ihnen ähneln. Diese Ähnlichkeiten können manchmal auf eine gemeinsame Abstammung hinweisen oder aber einfach dadurch entstanden sein, dass ein Merkmal oder eine molekulare Funktion zufällig für zwei Arten evolutionär nötig wurde.
Den Goldstandard der vergleichenden Genomik übertreffen
Doch herauszufinden, was man mit einem Schwein oder einer Banane gemeinsam hat, kann natürlich eine monumentale Aufgabe sein; das Durchsuchen einer Datenbank mit allen Informationen über den Menschen, das Schwein und die Banane ist sehr rechenintensiv. Forschende erwarten, dass die Genome von mehr als 1,5 Millionen Eukaryoten – und das beinhaltet alle Tiere, Pflanzen und Pilze – innerhalb des nächsten Jahrzehnts sequenziert werden. „Bereits jetzt, wo wir nur ein paar Hunderttausend Genome genau kennen (von denen die meisten klein sind und zu Bakterien oder Viren gehören), geht es um Datenbanken mit bis zu 270 Millionen Sequenzen. Die meisten derzeit verwendeten Suchmechanismen wären einfach impraktikabel, weil sie zu lange brauchten, um Daten von dem in naher Zukunft erwarteten Ausmaß zu analysieren,“ erklärt Hajk-Georg Drost, Leiter der Gruppe Computational Biology in der Abteilung Molekularbiologie des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie in Tübingen. „Lange war der Goldstandard für derartige Analysen ein Werkzeug namens BLAST,“ erläutert Drost. „Wenn man nachvollziehen wollte, wie ein Protein dank natürlicher Auslese erhalten wurde oder wie es sich in unterschiedlichen phylogenetischen Linien entwickelt hat, gab BLAST die besten Treffer für Anfragen dieser Größenordnung. Es ist aber absehbar, dass die Datenbanken für umfassende BLAST-Suchen zu groß werden.“
Die Nadel im Heuhaufen finden – aber schnell!
Im Kern geht es um das Problem, einen Kompromiss zwischen Geschwindigkeit und Sensitivität finden zu müssen: Genau wie man bei der Ostereiersuche die kleineren oder besser versteckten Eier übersieht, wenn man nur schnell sucht, bringt eine beschleunigte Suche nach Ähnlichkeiten von Proteinsequenzen üblicherweise den Nachteil mit sich, dass einem manche der weniger offensichtlichen Treffer entgehen.
„Deswegen haben wir vor einiger Zeit angefangen, den DIAMOND-Algorithmus zu entwickeln, in der Hoffnung, dass wir dadurch mit großen Datenmengen in überschaubarer Zeit umgehen können,“ erinnert sich Benjamin Buchfink, der in Drosts Forschergruppe als Doktorand mitarbeitet und seit 2013 mit der Entwicklung von DIAMOND befasst ist. „Das war auch der Fall; aber die Kehrseite war, dass uns manche entferntere evolutionäre Beziehungen entgingen.“ Anders gesagt: Während das ursprüngliche DIAMOND vielleicht sensitiv genug ist, um eine gegebene menschliche Aminosäuresequenz bei einem Affen aufzuspüren, ist es gegebenenfalls blind für eine ähnliche Sequenz in einer evolutionär weiter entfernten Art.
Ein leistungsstarkes Werkzeug für künftige Forschung
Während der alte DIAMOND-Suchalgorithmus nützlich für die Untersuchung von direkt aus Umweltproben extrahiertem genetischem Material war, benötigen andere Forschungsziele sensitivere Werkzeuge. Das Forscherteam aus Tübingen und Garching konnte nun DIAMOND so abändern und erweitern, dass es unter Beibehaltung der überlegenen Geschwindigkeit die Sensitivität von BLAST erreicht: mit dem verbesserten DIAMOND werden vergleichende Genomikuntersuchungen mit der Genauigkeit von BLAST, aber 80- bis 360-facher Geschwindigkeit möglich sein. „Außerdem ermöglicht DIAMOND nun, Sequenzabgleiche mit der Sensitivität von BLAST auf einem Supercomputer, einem Hochleistungs-Computercluster oder in der Cloud wirklich massivparallel durchzuführen,“ ergänzt Klaus Reuter von der Max Planck Computing and Data Facility. „Damit sind Sequenzabgleiche in extrem großem Maßstab in überschaubarer Zeit möglich.“
Manche Suchanfragen, für die andere Werkzeuge zwei Monate auf einem Supercomputer brauchen würden, sind mit der neuen DIAMOND-Infrastruktur nun in einigen Stunden möglich. „In Hinblick auf das exponentielle Wachstum der Anzahl verfügbarer Genome ist die Geschwindigkeit und Genauigkeit von DIAMOND genau das, was die moderne Genomik braucht: Damit können wir von der Gesamtheit aller Genome lernen, statt uns durch den Mangel an sensitiven Suchkapazitäten auf nur eine kleine Zahl von Arten beschränken zu lassen,“ prognostiziert Drost. Das Team ist daher überzeugt, dass die Vorteile von DIAMOND sich in den nächsten Jahren vollumfänglich zeigen werden.
Originalpublikation:
Sensitive tree-of-life scale protein alignments using DIAMOND. Nature Methods, Apr. 7 2021, DOI: 10.1038/s41592-021-01101-x
07.04.2021, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Erbgut der frühesten Europäer
Alte Genome werfen neues Licht auf die frühesten Europäer und ihre Beziehungen zu den Neandertalern
Ein internationales Forscherteam hat die Genome der ältesten sicher datierten modernen Menschen in Europa sequenziert, die vor rund 45.000 Jahren in der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien lebten. Durch den Vergleich ihrer Genome mit den Genomen von Menschen, die später in Europa und in Asien lebten, zeigen die Forscher vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, dass diese frühe Menschengruppe in Europa Gene zu späteren Menschen, insbesondere zu den heutigen Ostasiaten, beigetragen hat. Die Forscher identifizierten auch große Abschnitte von Neandertaler-DNA in den Genomen der Menschen aus der Bacho-Kiro-Höhle, was zeigt, dass sie Neandertaler-Vorfahren innerhalb der ungefähren zurückliegenden fünf bis sieben Generationen in ihrer Familiengeschichte hatten. Dies deutet darauf hin, dass eine Vermischung mit Neandertalern eher die Regel als die Ausnahme war, als die ersten modernen Menschen in Europa ankamen.
Letztes Jahr berichtete ein Forscherteam unter der Leitung von Forschern des Nationalen Instituts für Archäologie mit Museum der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften und des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, Deutschland, über die Entdeckung moderner menschlicher Überreste, die in direktem Zusammenhang mit Steinwerkzeugen aus dem frühen Jungpaläolithikum an der Fundstelle der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien gefunden wurden. Die ältesten Individuen in der Höhle wurden mittels Radiokarbon-Datierung auf die Zeit vor 43.000 bis 46.000 Jahren geschätzt. Sie sind damit die früheste bekannte Ausbreitung des modernen Menschen über die mittleren Breiten Eurasiens.
Mateja Hajdinjak und ihre Kollegen haben nun die Genome von fünf Individuen sequenziert, die in der Bacho-Kiro-Höhle gefunden wurden. Vier Individuen sind zwischen 43.000-46.000 Jahre alt und wurden zusammen mit Steinwerkzeugen gefunden, die zum frühen Jungpaläolithikum gehören, der frühesten Kultur, die mit modernen Menschen in Eurasien in Verbindung gebracht wird. Ein weiteres in der Höhle gefundenes Individuum ist etwa 35.000 Jahre alt und wurde mit Steinwerkzeugen eines späteren Typs gefunden. Bisher war man davon ausgegangen, dass die Vertreter des anfänglichen Jungpaläolithikums ausstarben, ohne genetisch zu den später eintreffenden modernen Menschen beizutragen. Die Forscher zeigen nun jedoch, dass die ältesten Individuen aus der Bacho-Kiro-Höhle, oder mit ihnen eng verwandte Gruppen, Gene zu den heutigen Menschen beigetragen haben. Überraschenderweise findet sich dieser Beitrag vor allem in Ostasien und Amerika und nicht in Europa, wo die Menschen aus der Bacho-Kiro-Höhle lebten. Diese genetischen Verbindungen nach Asien spiegeln die Verbindungen zwischen den anfänglichen jungpaläolithischen Steinwerkzeugen und den persönlichen Schmuckstücken, die in der Bacho-Kiro-Höhle gefunden wurden, und den Werkzeugen und dem antiken Schmuck, die in ganz Eurasien bis zur Mongolei gefunden wurden, wider.
Genetische Unterschiede zwischen Individuen
Wichtig hierbei ist, dass das spätere 35.000 Jahre alte Individuum, das auch in der Bacho-Kiro-Höhle gefunden wurde, zu einer Gruppe gehörte, die sich genetisch von den früheren Bewohnern der Höhle unterschied. Dies zeigt, dass die früheste Geschichte des modernen Menschen in Europa turbulent gewesen sein könnte und Bevölkerungsaustausch beinhaltete.
Die frühesten Menschen in der Bacho-Kiro-Höhle lebten zu einer Zeit, als es noch Neandertaler gab. Die Forscher scannten daher ihre Genome nach Fragmenten von Neandertaler-DNA. „Wir fanden heraus, dass die Individuen aus der Bacho-Kiro-Höhle einen höheren Anteil an Neandertaler-Abstammung hatten als fast alle anderen frühen Menschen, mit Ausnahme eines rund 40.000 Jahre alten Individuums aus Rumänien. Entscheidend ist, dass der größte Teil dieser Neandertaler-DNA in extrem langen Abschnitten vorliegt. Das zeigt, dass diese Individuen Neandertaler-Vorfahren hatten, die etwa fünf bis sieben Generationen zurück in ihren Stammbäumen liegen“, sagt Mateja Hajdinjak.
Obwohl bisher nur eine Handvoll Genome von modernen Menschen, die zur gleichen Zeit in Eurasien lebten wie die letzten Neandertaler, geborgen wurden, haben fast alle diese Individuen einen kürzlich vor ihnen lebenden Neandertaler-Vorfahren. „Die Ergebnisse legen nahe, dass sich die ersten modernen Menschen, die in Eurasien ankamen, häufig mit Neandertalern vermischt haben. Sie könnten sogar in den ansässigen Neandertaler-Populationen aufgegangen sein. Erst später kamen größere moderne Menschengruppen an und verdrängten die Neandertaler“, sagt Svante Pääbo, der die genetischen Untersuchungen koordinierte.
Originalpublikation:
Mateja Hajdinjak, Fabrizio Mafessoni, Laurits Skov, Benjamin Vernot, Alexander Hübner, Qiaomei Fu, Elena Essel, Sarah Nagel, Birgit Nickel, Julia Richter, Oana Teodora Moldovan, Silviu Constantin, Elena Endarova, Nikolay Zahariev, Rosen Spasov, Frido Welker, Geoff M. Smith, Virginie Sinet-Mathiot, Lindsey Paskulin, Helen Fewlass, Sahra Talamo, Željko Rezek, Svoboda Sirakova, Nikolay Sirakov, Shannon P. McPherron, Tsenka Tsanova, Jean-Jacques Hublin, Benjamin M. Peter, Matthias Meyer, Pontus Skoglund, Janet Kelso and Svante Pääbo
Initial Upper Palaeolithic humans in Europe had recent Neanderthal ancestry.
Nature; 7 April, 2021
07.04.2021, Eberhard Karls Universität Tübingen
Bisher ältestes Genom moderner Menschen rekonstruiert
Team zweier Max-Planck-Institute und der Universität Tübingen datiert fossilen Schädel aus Tschechien anhand von eingekreuzten Neandertalergenen – Alter von mehr als 45.000 Jahren
Aus einem fossilen Frauenschädel, der 1950 am Berg Zlatý kůň (deutsch: Goldenes Pferd) in Tschechien gefunden wurde, hat ein Forschungsteam das bisher älteste bekannte Genom moderner Menschen rekonstruiert. Danach lebte die Frau vor mehr als 45.000 Jahren im Herzen Europas. Sie stammte aus einer später ausgestorbenen Population, die sich herausbildete, noch bevor sich die Vorfahren heutiger Menschen in europäische und asiatische Populationen trennten. Zum Team gehörten Forscherinnen und Forscher der Max-Planck-Institute (MPI) für Menschheitsgeschichte in Jena, für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der Universität Tübingen. Ihre Studie erschien in der Fachzeitschrift Nature Ecology & Evolution.
Vor rund 50.000 Jahren verließen moderne Menschen der Art Homo sapiens Afrika. Früheren Analysen alter DNA zufolge trafen sie im Gebiet des Nahen Ostens auf Neandertaler, mit denen sie sich kreuzten. „Als Folge tragen alle heutigen Menschen außerhalb von Afrika ungefähr zwei bis drei Prozent Neandertaler-DNA in sich“, berichtet Cosimo Posth, der vor Kurzem vom MPI für Menschheitsgeschichte als Juniorprofessor an die Universität Tübingen wechselte. In den Genomen moderner Menschen seien die Abschnitte der Neandertaler-DNA über lange Zeiträume immer kürzer geworden. „Über ihre Länge können wir abschätzen, wie viele Generationen zwischen der Vermischung mit Neandertalern und der Lebenszeit eines Individuums liegen“, erklärt Kay Prüfer vom MPI für evolutionäre Anthropologie. Das nun aus dem fast vollständig erhaltenen Frauenschädel von Zlatý kůň rekonstruierte Genom enthalte besonders lange Abschnitte der Neandertaler-DNA. Es müsse daher noch älter sein als das vormals älteste bekannte Genom des 2008 im russischen Dorf Ust-Ischim in Sibirien entdeckte Individuum, das auf ein Alter von rund 45.000 Jahren datiert wurde.
Neandertaler-Gene ermöglichen die Datierung
Die Forscherinnen und Forscher konnten abschätzen, dass die Frau von Zlatý kůň ungefähr 2.000 Jahre nach der letzten Kreuzung mit Neandertalern lebte. „Damit lebte sie zeitnäher zu diesem Ereignis als das Individuum aus Ust-Ischim. Sie ist mindestens genauso alt, wenn nicht sogar einige Hundert Jahre älter“, sagt Prüfer. Die Datierung des Frauenschädels gelang erst über die genetische Analyse. Frühere Altersbestimmungen anhand der Schädelform und über Radiokarbondatierungen von Knochenmaterial hatten ein deutlich geringeres Alter von 15.000 bis mehr als 30.000 Jahren ergeben – unter anderem auch deshalb, weil die Proben aus dem Schädelknochen mit einem Klebstoff aus Knochenleim durchsetzt sind, mit dem der Schädel einst stabilisiert wurde. Bei der Korrektur der Datierung arbeitete das Team mit Jaroslav Brůžek von der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Karls-Universität Prag und Petr Velemínský vom Prager Nationalmuseum zusammen.
Die Population, der die Frau von Zlatý kůň angehörte, muss später ausgestorben sein. „Weder das Individuum aus Zlatý kůň noch das Individuum aus Ust-Ischim und auch nicht ein mit Oase 1 bezeichneter sehr alter europäischer Schädel standen in genetischer Kontinuität mit modernen Menschen, die nach 40.000 Jahren vor heute in Europa lebten“, sagt Johannes Krause, Direktor am MPI für evolutionäre Anthropologie und Professor an der Universität Tübingen. „Es ist erstaunlich, dass die frühesten modernen Menschen in Europa sich nicht durchsetzen konnten“, kommentiert er diese Ergebnisse.
Unvollständiges Bild der Ereignisse
Als mögliche Erklärung nennt das Forschungsteam einen Vulkanausbruch im heutigen Kampanien vor 39.000 Jahren, der das Klima auf der Nordhalbkugel schwer beeinträchtigte und die Überlebenschancen von Neandertalern und frühen modernen Menschen in großen Teilen des eiszeitlichen Europas stark verringerte. Dass moderne Menschen bereits vor 47.000 bis 43.000 Jahren in Südosteuropa lebten, hatten im vergangenen Jahr veröffentlichte archäologische Daten nahegelegt. Doch weiß man bisher wenig darüber, wer diese frühen Siedler waren oder wie sie mit früheren oder heu-tigen Menschengruppen verwandt sind. Auch wissen die Forscher noch nicht, wie weit nach Westen diese frühen Menschen vordrangen, ob sie zum Beispiel auch die Höhlen auf der Schwäbischen Alb bewohnten, die einst zahlreichen Höhlenmenschen als Unterschlupf dienten. Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass über künftige Fortschritte bei der Bearbeitung alter DNA mehr über die Geschichte der ersten modernen Menschen zu erfahren sein wird.
Originalpublikation:
Kay Prüfer, Cosimo Posth, He Yu, Alexander Stoessel, Maria A. Spyrou, Thibaut Deviese, Marco Mattonai, Erika Ribechini, Thomas Higham, Petr Velemínský, Jaroslav Brůžek, Johannes Krause: A genome sequence of a modern human skull over 45,000 years old from Zlatý kůň in Czechia. Nature Ecology & Evolution, https://doi.org/10.1038/s41559-021-01443-x
08.04.2021, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Gorillamännchen bluffen nicht – Brusttrommeln signalisiert ehrlich Körpergröße
Als eines der symbolträchtigsten Geräusche im Tierreich hat das Brusttrommeln Eingang in unsere Umgangssprache gefunden – darunter wird oft eine übertriebene Einschätzung der eigenen Leistungen verstanden. Bis vor kurzem war jedoch unklar, welche Informationen Gorillas damit vermitteln. Ein internationales Forschungsteam zeigt nun, dass das Brusttrommeln Rückschlüsse über die Körpergröße des Trommlers zulässt – und da diese sich auf die Konkurrenzfähigkeit männlicher Gorillas auswirkt, könnten die durch das Trommeln übermittelten Informationen sowohl für rivalisierende Männchen als auch für Weibchen relevant sein und die Partnerwahl beeinflussen.
Beim Brusttrommeln stehen Gorillas in der Regel aufrecht auf zwei Beinen und schlagen sich in schneller Folge mit hohlen Händen auf die Brust. Dieses Geräusch ist einzigartig, denn es handelt sich dabei nicht um eine Vokalisation, wie das Quaken der Frösche, sondern eher um eine Art der gestischen Kommunikation, die gesehen aber vor allem gehört werden kann. Der trommelartige Klang ist über eine Entfernung von einem Kilometer weit hörbar. Die Funktion des Brusttrommelns ist vermutlich, Weibchen anzulocken und konkurrierende Männchen einzuschüchtern.
Die Forschenden zeichneten diese beeindruckenden Trommelgeräusche auf und verwendeten anschließend eine Technik namens Fotogrammetrie, um im Volcanoes National Park in Ruanda die Körpergröße freilebender erwachsener männlicher Berggorillas auf eine nicht invasive Art und Weise zu messen. Sie fanden heraus, dass die Trommelschläge von größeren Männchen tiefere Frequenzmaxima im akustischen Spektrum aufweisen als die von kleineren Männchen. Mit anderen Worten: Das Brusttrommeln gibt zuverlässig Auskunft über die Körpergröße des jeweiligen Trommlers.
„Beim Gorilla-Brusttrommeln handelt es sich um ein wirklich ikonisches Geräusch aus dem Tierreich. Daher ist es großartig, dass wir nun belegen können, dass Gorillas auf diese spektakuläre Art und Weise Informationen über ihre eigene Körpergröße übermitteln“, sagt Erstautor Edward Wright vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.
Die Körpergröße ist bei vielen Tieren ein Schlüsselattribut, da sie oft die Fähigkeit zu Kampf oder Konkurrenz widerspiegelt. Frühere Forschungsergebnisse desselben Teams haben gezeigt, dass größere Männchen sozial dominanter und in Bezug auf die Fortpflanzung erfolgreicher waren als kleinere Männchen.
„Die Durchführung dieser Studie war eine Herausforderung, da die Dauer des Brusttrommelns relativ kurz ist und wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein mussten, um die Tonaufnahmen zu erhalten, und uns außerdem von diesen großen, kräftigen Tieren fernhalten mussten“, sagt Co-Autor Eric Ndayishimiye, Forschungsassistent beim Dian Fossey Gorilla Fund.
Rivalisierende Männchen achten wahrscheinlich auf Informationen zur Körpergröße, die während des Trommelns übertragen werden, um die Konkurrenzfähigkeit des Trommlers besser einschätzen können zu können. Das könnte ihnen dabei helfen zu entscheiden, ob sie sich auf kämpferische Auseinandersetzungen mit ihm einlassen oder sich lieber zurückziehen. Weibchen hingegen nutzen diese Informationen wahrscheinlich bei der Partnerwahl.
Interessanterweise fanden die Forscher auch große Unterschiede bei den verschiedenen Männchen sowohl was die Anzahl der Schläge betrifft, die das Brusttrommeln umfasst, als auch hinsichtlich der Dauer des Brusttrommelns. „Das könnte darauf hindeuten, dass das Brusttrommeln jeweils individuelle Signaturen haben kann – doch um diese Annahme zu testen, sind weitere Studien notwendig“, sagt Wright.
Originalpublikation:
Edward Wright, Sven Grawunder, Eric Ndayishimiye, Jordi Galbany, Shannon C. McFarlin, Tara S. Stoinski & Martha M. Robbins
Chest beats as an honest signal of body size in male mountain gorillas (Gorilla beringei beringei)
Scientific Reports, 08 April 2021, https://doi.org/10.1038/s41598-021-86261-8
08.04.2021, Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg
Korallen erfolgreich im Labor vermehrt
Bundesweit einmaliger Erfolg bei sexueller Fortpflanzung von Steinkorallen am Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) der Universität Oldenburg
Einen ganz besonderen Erfolg können Oldenburger Wissenschaftler des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) der Universität Oldenburg verbuchen: In ihren Aquarien am Standort Wilhelmshaven gelang bundesweit erstmals die Vermehrung von Steinkorallen. Das Team um Prof. Dr. Peter Schupp von der Arbeitsgruppe Umweltbiochemie stellte die Umweltbedingungen im Labor so nach, dass sie denen im Pazifischen Ozean – der Heimat der Korallen – entsprachen. Die Tiere vermehrten sich sexuell, was weltweit erst wenige Male gelang. „Das ist ein großer Schritt für die Korallenforschung in Deutschland“, sagt Dr. Samuel Nietzer, der die Wilhelmshavener Aquarienanlage leitet. Die sexuelle Vermehrung eröffne wichtige neue Forschungsmöglichkeiten – etwa, die Ansiedelung von Korallenlarven und das Wachstum von Jungkorallen gezielt zu untersuchen.
Die verwendeten Acropora-Korallen gehören zur wichtigsten Gattung der Steinkorallen und kommen in natürlichen Korallenriffen sehr häufig vor. Die Hohltiere laichen nur einmal im Jahr. Dabei geben tausende Korallen ihre Eizellen und Spermien gleichzeitig ins Wasser ab. Dieses exakt synchronisierte Massenereignis findet nur unter ganz besonderen Bedingungen statt, was die Vermehrung im Aquarium schwierig macht: Wenn Tageslänge, Mondzyklus und Klimafaktoren nicht genau mit den natürlichen Bedingungen übereinstimmen, produzieren die Korallen keine Nachkommen. Die gängige Methode zur gezielten Vermehrung ist daher bislang die Fragmentierung. Dabei wird eine große Koralle in kleinere Teile gebrochen, die schnell wachsen und in Aquarien oder bei der Riffaufforstung zum Einsatz kommen. Diese Teilkorallen sind genetisch identisch, was sie anfällig gegenüber Umweltveränderungen wie steigenden Wassertemperaturen macht. Sexuell vermehrte Jungtiere könnten widerstandsfähiger sein und sich besser an veränderte Bedingungen anpassen, so die Hoffnung der Experten.
Um die Acropora-Korallen zum Ablaichen zu bringen, betrieben Schupp, Nietzer und ihr Kollege Matthew Jackson einen großen technischen Aufwand. Im Herbst vergangenen Jahres erweiterten sie die Aquarien in Wilhelmshaven mit speziell für diesen Zweck designter Technik, um australische Bedingungen realistisch herzustellen. Dabei simulierten sie sowohl Wasserchemie und Mondzyklen als auch Parameter wie Tageslänge, Beleuchtung und Temperatur. Die Forscher verwendeten Korallen aus Australien, die sie über den Aquaristik-Handel bezogen hatten. Pünktlich zum erwarteten Termin – etwa eine Woche nach Vollmond im Dezember – war es so weit: Die Korallen gaben gleichzeitig ihre Eier und Spermien ins Wasser ab. Die Keimzellen stiegen zur Oberfläche, wo Nietzer und Jackson sie einsammelten. Die Forscher mischten jeweils Eier und Spermien aus unterschiedlichen Korallenkolonien, um eine möglichst große genetische Vielfalt bei den Jungtieren zu erreichen. „Wir haben eine annähernd hundertprozentige Befruchtungsrate erreicht und konnten nach wenigen Tagen rund 50.000 entwickelte Larven zur Ansiedlung bringen“, berichtet Nietzer. Inzwischen seien die größten der überlebenden Nachkommen bereits einen Zentimeter groß.
Mit den hier gewonnenen Larven und Jungkorallen wollen die Forscher nun Faktoren identifizieren, die Ansiedlung und Wachstum der Korallen fördern. Aber auch Umwelteinflüsse wie Meeresverschmutzung stehen im Fokus der Forschung. „Wir gehen davon aus, dass durch neue Erkenntnisse und Methoden bei der Aufzucht in Zukunft große Mengen an Jungkorallen gezüchtet und die dabei entwickelten Methoden beispielsweise bei der Riffaufforstung an geschädigten Riffen und der Korallenforschung eingesetzt werden können“, erklärt Schupp. Zudem falle der große logistische Aufwand weg, für die Gewinnung von Jungkorallen zu einem bestimmten Zeitpunkt in die Heimat der Korallen reisen zu müssen.
08.04.2021, Naturhistorisches Museum Wien
Pollenwespen-Gattung Quartinia produziert Seide, um ihre Nester in Wüstengebieten zu verfestigen
Eine neue Forschungsarbeit von Wissenschaftlerinnen des NHM Wien in Kooperation mit dem Naturkundemuseum Stuttgart über die Pollenwespen-Gattung Quartinia beschreibt die Fähigkeit der Weibchen, ihre Nester durch den Einsatz von selbst produzierter Seide als Bindemittel im Sand zu bauen und so in Wüstengebieten zu überleben. Die Quartinia-Arten kommen vor allem rund um das Mittelmeer und im südlichen Afrika vor und verbinden beim Nestbau Sandkörner und Seidenfäden miteinander. So stabilisieren sie ihre Nester und können sogar in losem Sand nisten.
Pollenwespen sind eine Unterfamilie der Faltenwespen mit etwa 300 beschriebenen Arten. Alle Vertreter dieser einzeln lebenden Wespen versorgen wie Bienen ihre Larven mit Pollen. Die meisten Pollenwespen-Arten graben ihre Nester in feste, lehmige Böden oder verwenden Lehm, um oberirdisch freie Brutzellen z.B. an Steine zu bauen. Die Vertreter der vor allem im Mittelmeergebiet und im südlichen Afrika vorkommenden Gattung Quartinia errichten ihre Nester hingegen in losem Sand. Die Weibchen stabilisieren dabei die Wände, indem sie die Sandkörner innen mit einem seidenartigen Gespinst fixieren.
Während bei Larven die Produktion von Seide recht häufig ist, kommt sie bei ausgewachsenen Insekten nur selten vor. Bisher war bekannt, dass beim Nestbau die Seidenfäden mit der Mundregion aufgetragen werden. Im Rahmen vergleichend-morphologischer Untersuchungen wurde nach den spezifischen Strukturen gesucht, die mit dieser Verhaltensweise zusammenhängen.
„Wir haben die Köpfe von verschiedenen Weibchen dieser Gattung mit denen von Männchen und anderen Pollenwespen verglichen. Dabei konnten wir eine bisher unbekannte Drüse in den Mundwerkzeugen der Weibchen identifizieren, die mit der Seidenproduktion in Zusammenhang steht. Außerdem haben wir einen ganz ungewöhnlichen Fortsatz an der Spitze der Unterkiefer entdeckt, der wahrscheinlich zum Spinnen der Fäden benutzt wird. Bei Vertretern anderer Gattungen sowie bei den Männchen fehlen diese Strukturen,“ erklärt Dr. Dominique Zimmermann, Kuratorin der Hautflügler-Sammlung des NHM Wien.
Wie kann man die Mundwerkzeuge einer nur 4 mm „großen“ Wespe untersuchen?
„Die Oberflächen haben wir systematisch mit dem Rasterelektronenmikroskop abgesucht“, so Zimmermann. „Um die Gewebe mit dem Lichtmikroskop anschauen zu können, wurden die Köpfe erst in Kunststoff eingebettet und dann Serien von dünnen Schnitten mit einem Diamantmesser an einem Ultramikrotom angefertigt.“ Ergänzt wurden die Untersuchungen durch den Einsatz eines Micro-Computertomographen. „Eigentlich ist es unglaublich, dass man inzwischen Drüsen in den Mundwerkzeugen einer so winzigen Wespe mit einem Micro-CT in 3D untersuchen kann“, begeistert sich Koautor Volker Mauss, Citizen Scientist und ehrenamtlicher Mitarbeiter am Naturkundemuseum Stuttgart, für die High-End-Methode, die bei der Studie zum Einsatz kam.
Die neu entdeckten Strukturen sind sogenannte Schlüsselanpassungen der Gattung Quartinia, die ihr die Besiedelung von Sandhabitaten, und damit einer für Pollenwespen völlig neuen ökologischen Zone, ermöglichten. Zwar kommen alle Pollenwespen in trockenen Gebieten vor, sie sind dort aber grundsätzlich an feste Lehmböden gebunden und benötigen zumindest temporäre Wasserstellen, da sie den harten Boden beim Nestbau zum Graben mit Wasser aufweichen. Nur die Arten der Gattung Quartinia finden wir in sandigen Wüsten, Halbwüsten oder auch Küstendünen, wo sie durchaus zahlreich sein können und auch wichtige Bestäuber von Wüstenpflanzen sind. Die Stabilisierung der Neströhren ist dabei von herausragender Bedeutung für die Besiedlung dieser Sandareale. Neben der Fähigkeit zur Seidenproduktion bei Weibchen weisen alle Vertreter der Gattung weitere Anpassungen an die unwirtlichen Bedingungen in Wüstengebieten auf: sie können unter extremen Bedingungen wie hohen Temperaturen oder starken Winden fliegen und ihre geringe Körpergröße von nur 2 bis 7 mm ermöglicht es ihnen, mit den geringen Ressourcen, die in wüstenartigen Lebensräumen zur Verfügung stehen, auszukommen und sich dort zu vermehren. Es wird nicht nur kein Wasser für den Nestbau benötigt, auch der Eigenbedarf an Wasser wird von der Wespe direkt über den Nektar blühender Pflanzen gedeckt.
Mit über 140 bekannten Arten ist Quartinia die artenreichste Gattung innerhalb der Pollenwespen. Die Fähigkeit der Quartinia-Weibchen, die Wände ihrer Nester in losem Sand durch den Einsatz von selbst produzierter Seide als Bindemittel zu stabilisieren, ist eine Schlüsselinnovation, die die Entstehung der Artenvielfalt dieser Gattung wesentlich begünstigt haben könnte. Die chemische Zusammensetzung der Seidenfäden, die von Quartinia-Weibchen produziert werden, ist noch unbekannt.
Originalpublikation:
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1467803921000190
08.04.2021, Veterinärmedizinische Universität Wien
Neuartiges Pockenvirus bei Schienenechsen (Crocodilurus amazonicus) entdeckt
Bei Crocodilurus amazonicus (Familie Teiidae), einer Echsenart von bis zu 120 cm Körperlänge, wurde ein neuartiges Pockenvirus (Familie Poxviridae) entdeckt. WissenschafterInnen des Instituts für Virologie an der Vetmeduni Vienna gelang es nun erstmals, das Genom des Virus zu sequenzieren. Dabei zeigte sich, dass das Reptilienpockenvirus seine engste phylogenetische Beziehung zu Vogelpockenviren (Avipoxvirus) aufweist – eine Entdeckung, die die Möglichkeit eines Virusaustausches zwischen Vogel- und Reptilienarten unterstreicht und im Rahmen von Arterhaltungsprogrammen relevant sein könnte.
Im Jahr 2019 zeigten fünf Crocodilurus amazonicus eines privaten österreichischen Tierhalters Hautläsionen und Gewichtsverlust. Aufgrund der Schwere der klinischen Symptome musste ein Tier eingeschläfert werden. Es wurde zur weiteren diagnostischen Untersuchung an die Pathologie des Forschungsinstituts für Wildtierökologie der Vetmeduni Vienna geschickt. Das Tier wies mehrere erhöhte, teilweise ulzerierte Hautläsionen mit einem Durchmesser von bis zu 4 mm auf dem Rücken und im Bereich von Kopf, Hals und Schwanz auf, die sich allerdings nicht in die darunter liegenden Muskel erstreckten. In diesen Läsionen konnten die WissenschafterInnen eine große Anzahl von Pockenvirus-ähnlichen Partikeln nachweisen. Eine Probe aus einer Hautläsion wurde schließlich positiv auf das Vorhandensein von Pockenvirus-DNA getestet.
Überraschenderweise engste Verwandtschaft zu Vogelpocken
Obwohl Pockenvirus-ähnliche Läsionen und Infektionen bereits früher bei verschiedenen Reptilien beschrieben wurden – darunter Krokodile, Schildkröten, Chamäleons und Tejus –, wurden sie auf genetischer Ebene noch nicht charakterisiert, mit Ausnahme von Pockenviren bei Nil- und Salzwasserkrokodilen. Die nun in Archives of Virology veröffentlichte Studie der Vetmeduni Vienna ist der erste Bericht über die Genomsequenz eines Pockenvirus bei einer Schienenechse – und zeigt, dass dieses am engsten mit Avipoxviren verwandt ist. Dazu Erstautorin Kerstin Seitz vom Institut für Virologie der Vetmeduni Vienna: „Die enge Verwandtschaft des von uns untersuchten Pockenvirus mit Avipoxviren ist angesichts der mehr als 150 Millionen Jahre alten phylogenetischen Trennung zwischen Vogel- und Reptilienarten und der Unterschiede in der Körpertemperatur überraschend. Viren sind meist sehr gut an die Körpertemperatur Ihres Wirtes angepasst, Vögel liegen hier zwischen 38° und 42°C, die Körpertemperatur von Schienenechsen ist hingegen von der Umgebungstemperatur abhängig. „Die große genetische Distanz zu Krokodilpockenviren könnte darauf hinweisen, dass die Pockenviren von Reptilien zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind. Daher sind zusätzliche Untersuchungen erforderlich, um die Vielfalt der Pockenviren von Reptilien sowie deren Artenspezifität und Potenzial als Seuchenerreger zu untersuchen“, erklärt Studien-Letztautorin Christiane Riedel vom Institut für Virologie der Vetmeduni Vienna.
Viren mit hoher Relevanz für die öffentliche Gesundheit
Pockenviren sind große umhüllte Viren mit einem doppelsträngigen DNA-Genom. Sie sind bedeutende Krankheitserreger mit einer hohen Relevanz für die öffentliche Gesundheit. Infizieren können diese Viren eine Vielzahl von Wirtsarten, von Insekten bis zu Säugetieren. Innerhalb der Familie Poxviridae werden zwei Unterfamilien (Chordopoxvirinae und Entomopoxvirinae) anhand ihrer Wirte definiert, die entweder Wirbeltiere oder Insekten sind. Die Unterfamilie Chordopoxvirinae ist in 18 Gattungen unterteilt, darunter insgesamt 52 Arten. Pockenviren, die Nicht-Säugetierarten infizieren, gehören zu den Gattungen Avipoxvirus und Crocodylidpoxvirus. Wie auch bei Säugetierwirten beobachtet werden kann, sind Pockenviren bei Vögeln und Reptilien hauptsächlich mit Hautläsionen verbunden, können aber auch die oberen Atemwege und den Magen-Darm-Trakt betreffen. Pockenvirusinfektionen von anderen Reptilien als Krokodilen wurden in der Literatur beschrieben, es sind jedoch bisher keine Sequenzinformationen oder weitere Charakterisierungen dieser Viren verfügbar.
Originalpublikation:
Der Artikel „Discovery of a phylogenetically distinct poxvirus in diseased Crocodilurus amazonicus (family Teiidae)“ von Kerstin Seitz, Anna Kübber‑Heiss, Angelika Auer, Nora Dinhopl, Annika Posautz, Marlene Mötz, Alexandra Kiesler, Claudia Hochleithner, Manfred Hochleithner, Gregor Springler, Annika Lehmbecker, Herbert Weissenböck, Till Rümenapf und Christiane Riedel wurde in Archives of Virology veröffentlicht. https://link.springer.com/article/10.1007/s00705-021-04975-6
08.04.2021, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Die Auswirkungen des Klimawandels auf Säugetiere sind kaum vorhersehbar
Basierend auf einer Pressemeldung der British Ecological Society
Unser Wissen darüber, wie Säugetierpopulationen auf den Klimawandel reagieren, ist äußerst lückenhaft – besonders in den Regionen, die als am empfindlichsten betrachtet werden. Dies ergab eine internationale Studie, die von sDiv, dem Synthesezentrum des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), initiiert wurde. Beteiligt waren Forscher der Universität Zürich, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und andere. Die Ergebnisse sind im Journal of Animal Ecology veröffentlicht.
Fast 25 Prozent aller Säugetierarten sind vom Aussterben bedroht, wobei sich dieses Risiko durch den Klimawandel noch verschärft. Doch die Art und Weise, wie sich der Klimawandel jetzt und in Zukunft auf die Tiere auswirkt, ist komplex. Unterschiedliche Umweltveränderungen haben vielfältige und teilweise gegensätzliche Auswirkungen auf verschiedene Bereiche des Lebens von Tieren, wie etwa die Fortpflanzung und das Überleben (bekannt als demographische Raten). Eine neue Studie eines internationalen Teams von Forschern aus 15 verschiedenen Institutionen hat herausgefunden, dass die meisten Studien über terrestrische Säugetiere jeweils nur eine dieser demografischen Raten betrachtet haben und somit möglicherweise nicht das gesamte Bild der Auswirkungen des Klimawandels zeigen.
Initiiert durch das iDiv-Synthesezentrum sDiv führten die Forscher eine Literaturrecherche durch, wobei sie die Artnamen von 5.728 terrestrischen Säugetieren verwendeten. Ziel war es, Datenbanken mit wissenschaftlichen Arbeiten nach Studien zu durchsuchen, die demografische Raten mit Klimavariablen wie Niederschlag und Temperatur in Beziehung setzen. Lediglich 106 Studien, die sowohl das Überleben als auch die Reproduktion gleichzeitig untersuchten, konnten die Forscher identifizieren. Diese decken 87 Arten ab, also weniger als 1 % aller terrestrischen Säugetiere.
„Studien zu den Auswirkungen des Klimas auf das Überleben oder aber auf die Reproduktion von Populationen gibt es viele – nicht jedoch zu beidem. Aber nur in seltenen Fällen wirkt sich eine Klimavariable wie etwa die Temperatur durchgängig negativ oder positiv auf alle untersuchten Überlebens- und Reproduktionsraten aus“, sagt Erstautorin Dr. Maria Paniw, die die Studie an der Universität Zürich durchführte. Heute arbeitet sie in Spanien. Höhere Temperaturen könnten einerseits zum Beispiel die Anzahl der Nachkommen verringern. Wenn diese aber aufgrund der geringeren Konkurrenz eine bessere Überlebenschance haben, wird die Populationsgröße nicht unbedingt beeinträchtigt. Andererseits, wenn höhere Temperaturen sowohl die Fortpflanzungs- als auch die Überlebensrate verringern, könnte eine Studie, die nur eines von beiden untersucht, die Auswirkungen auf eine Population unterschätzen.
„Dementsprechend brauchen wir mehr Forschung zu Säugetierpopulationen, die mehrere demografische Aspekte über den gesamten Lebenszyklus hinweg berücksichtigt“, sagte Mitautorin Prof. Tiffany Knight von MLU, UFZ und iDiv. „Um evidenzbasierten Naturschutz zu betreiben, sind ganzheitlichere Ansätze bei der Datenerhebung und -integration nötig. Nur so können wir die Mechanismen zum Überleben von Populationen vollständig verstehen.“
Die Studie ergab auch eine Diskrepanz zwischen den Regionen, in denen Studien über die Auswirkungen des Klimawandels auf Säugetiere durchgeführt werden, und den Regionen, für die durch den Klimawandel die meisten Auswirkungen erwartet werden. So konnten zum Beispiel kaum Daten aus Bergregionen gewonnen werden. Die Forscher geben außerdem zu bedenken, dass es noch größere Datenlücken für Tiergruppen gibt, die weniger gut untersucht sind als terrestrische Säugetiere wie Insekten und Amphibien. Diese Daten werden dringend benötigt, um zu erfahren, welche Arten am stärksten vom klimabedingten Aussterben bedroht sind.
Die neue Studie wurde u.a. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT-118) unterstützt. Sie ist ein Produkt der sDiv-Arbeitsgruppe sAPROPOS. iDiv‘s Synthesezentrum sDiv unterstützt Arbeitsgruppentreffen, bei denen internationale Forscher gemeinsam an wissenschaftlichen Fragestellungen arbeiten.
Originalpublikation:
Paniw, M, James, T. D., Archer, C. R., Römer, G., Levin, S., Compagnoni, A., Che-Castaldo, J.,
Bennett, J. M., Mooney, A., Childs, D. Z., Ozgul, A., Jones, O. R., Burns, J. H., Beckerman, A. P., Patwary, A., Sanchez-Gassen, N., Knight, T. M., Salguero-Gómez, R. (2021): The myriad of complex demographic responses of terrestrial mammals to climate change and gaps of knowledge: A global
Analysis, Journal of Animal Ecology, https://doi.org/10.1111/1365-2656.13467
08.04.2021, Universität Zürich
Modernes Gehirn des Menschen entstand vor rund 1,7 Millionen Jahren in Afrika
Das heutige menschliche Gehirn ist vergleichsweise jung: Es entstand vor etwa 1,7 Millionen Jahren als die Steinwerkzeug-Kulturen in Afrika zusehends komplexer wurden. Bereits kurze Zeit später breiteten sich die neuen Homo-Populationen bis nach Südostasien aus, wie Forschende der Universität Zürich anhand computertomografischer Analysen von fossilen Schädeln zeigen.
Die heutigen Menschen unterscheiden sich grundsätzlich von ihren nächsten lebenden Verwandten, den Menschenaffen: Sie leben am Boden, gehen auf zwei Beinen und haben ein viel grösseres Gehirn. Die ersten Populationen der Gattung Homo traten vor etwa 2,5 Millionen Jahren in Afrika auf. Sie gingen bereits aufrecht, aber ihre Gehirne waren nur halb so gross wie die heutiger Menschen. Diese frühsten Homo-Populationen in Afrika hatten ursprüngliche, menschenaffenähnliche Gehirne – genau wie ihre ausgestorbenen Vorfahren, die Australopithecinen. Wann und wo ist die typisch menschliche Gehirnorganisation also entstanden?
Schädelvergleiche im Computertomografen enthüllen moderne Hirnstrukturen
Einem internationalen Team unter der Leitung von Christoph Zollikofer und Marcia Ponce de León vom Anthropologischen Institut der Universität Zürich (UZH) gelang es nun, diese Fragen zu beantworten. «Gemäss unseren Analysen haben sich die modernen menschlichen Gehirnstrukturen erst vor 1,5 bis 1,7 Millionen Jahren herausgebildet – und zwar in afrikanischen Homo-Populationen», sagt Zollikofer. Die Forschenden untersuchten im Computertomografen die Schädel von Homo-Fossilien, die vor 1 bis 2 Millionen Jahren in Afrika und Asien gelebt hatten. Dann verglichen sie die Fossildaten mit Referenzdaten von Menschenaffen und Menschen.
Abgesehen von der Grösse unterscheidet sich das menschliche Gehirn von dem der Menschenaffen insbesondere in der Lage und Organisation einzelner Hirnregionen. «Typisch menschlich sind primär jene Regionen im Stirnbereich, die für die Planung und Ausführung von komplexen Denk- und Handlungsmustern und letztlich auch für die Sprache zuständig sind», stellt die Erstautorin Marcia Ponce de León fest. Da diese beim Menschen deutlich vergrössert sind, verlagerten sich alle benachbarten Hirnregionen weiter nach hinten.
Typisch menschliches Gehirn breitete sich von Afrika rasch nach Asien aus
Die ersten Homo-Populationen ausserhalb Afrikas – in Dmanisi im heutigen Georgien – hatten ebenso ursprüngliche Gehirne wie ihre afrikanischen Verwandten. Folglich hatten die Frühmenschen bis vor etwa 1,7 Millionen Jahren weder speziell grosse noch speziell moderne Gehirne. Sie waren aber durchaus in der Lage, zahlreiche Werkzeuge herzustellen, sich an die neuen Umweltbedingungen Eurasiens anzupassen, tierische Nahrungsquellen zu erschliessen und sich um hilfsbedürftige Gruppenmitglieder zu kümmern.
In diesem Zeitraum wurden die Kulturen in Afrika, wie sich aufgrund von Funden verschiedener Steinwerkzeuge zeigt, komplexer und vielfältiger. Biologische und kulturelle Evolution – so vermuten die Forschenden – bedingten sich gegenseitig. «In diesem Zeitraum haben sich wohl auch die frühesten Formen menschlicher Sprache entwickelt», sagt Anthropologin Ponce de León. Fossilfunde aus Java belegen, dass die neuen Populationen äusserst erfolgreich waren. Bereits kurz nach ihrem Erscheinen in Afrika hatten sie sich bis nach Südostasien ausgebreitet.
Abdrücke der Hirnregionen in fossilen Schädeln zeigen Evolution des Menschen auf
Bisherige Theorien dazu standen wegen der prekären Datenlage auf wackeligen Beinen. «Das Problem ist, dass die Gehirne unserer fossilen Vorfahren nicht erhalten geblieben sind. Ihre einstige Struktur erschliesst sich nur aus Abdrücken, die die Gehirnwindungen und -furchen auf der Innenfläche fossiler Schädel hinterlassen haben», sagt Studienleiter Zollikofer. Da diese Abdrücke individuell beträchtlich variieren, war es bisher nicht möglich, eindeutig festzustellen, ob ein bestimmtes Homo-Fossil ein eher menschenaffen- oder eher menschenähnliches Gehirn hatte. Diese Lücke konnten die Forschenden nun erstmals durch computertomografische Analysen diverser fossiler Schädel schliessen.
Originalpublikation:
Marcia S. Ponce de León, Thibault Bienvenu, Assaf Marom, Silvano Engel, Paul Tafforeau, José Luis Alatorre Warren, David Lordkipanidze, Iwan Kurniawan, Delta Bayu Murti, Rusyad Adi Suriyanto, Toetik Koesbardiati, Christoph P. E. Zollikofer. The primitive brain of early Homo. Science. 8 April 2021. DOI: 10.1126/science.aaz0032