Gabrielle Filteau-Chiba: Die Ungezähmten (Rezension)

Tief in den Wäldern Kamouraskas lebt Raphaëlle mit ihrer Hündin Coyote. Als Wildhüterin trifft sie täglich auf Bären, Kojoten oder Luchse, kontrolliert Jagdgebiete, und versucht, die Tiere vor Wilderern zu schützen. Als sie vor der Tür ihres Wohnwagens Spuren entdeckt und kurz darauf ihre Hündin verschwindet, ist Raphaëlle beunruhigt. Sie findet Coyote schwer verletzt in einer Falle mitten im Wald. Getrieben von Wut hinterlässt sie dem Wilderer eine Warnung, fordert ihn heraus. In der atemberaubenden Natur Kamouraskas verschmelzen Beute und Raubtier miteinander. Mal poetisch, mal rau erzählt Gabrielle Filteau-Chiba von einer Frau, die ans Äußerste geht, um die Wildnis und ihre Bewohner zu schützen und davon, wer die eigentliche Gefahr für die Natur ist.
Von Anfang an mutet DIE UNGEZÄHMTEN bedrückend in seiner Einförmigkeit an: Die Naturkulisse wird poetisch beschrieben und Protagonistin Raphaëlle wird als starke Frau eingeführt. Der Anfang hat mir gut gefallen, das war eine eindrucksvolle OneWomen-Show (mit Hund), die sehr auf die Protagonistin einging und ihre Umgebung durch ihre Gedanken wahrnehmen ließ. Doch nach den ersten Kapiteln verflacht die Erzählung zu einem Ein-Motiv-Gedankenexperiment, das sich scheinbar endlos im Kreis dreht. Die dramatischen Ereignisse wie das Verschwinden der Hündin werden überbetont, wirken dadurch sehr theatralisch inszeniert, wodurch jede emotionale Wirkung verloren geht. Es hätte eine spannende Geschichte sein können, ein epischer Machtkampf: Ranger gegen Wilderer, Frau gegen Mann. Hinzu kommt die Entstehung einer romantischen Beziehung mit Anouk, die dabei wie ein dünnes Alibi wirkt, um Genre-Vielfalt vorzutäuschen, ohne wirklich Tiefe oder Glaubwürdigkeit zu entfalten.
Sprachlich bemüht sich Autorin Gabrielle Filteau-Chiba zwar um Schärfe und Sinnlichkeit, gelegentlich gelingt ihr das auch, vor allem am Anfang wo sie ihre Stärken zeigt und die Vorfreude auf eine starke durch eine Frau dominierte Geschichte steigert. Leider wirkt der Ton oft etwas übertrieben poetisch, das man die Realität und die Beklommenheit der eigentlichen Handlung aus den Augen verliert. Die feministische Wut, die gegen männliche Wilderer und staatliche Strukturen gerichtet ist, klingt zu pathetisch und wirkt wie plakative Ideologie statt authentischer Erzählkraft. Das macht die Protagonistin auch weniger greifbar und hinterlässt einen etwas faden Beigeschmack.
Ich sage das nicht aus männlicher Sicht, auch wenn mein Blick auf das Buch dadurch vielleicht auch verzerrt wird, aber ich hätte mir tatsächlich eher ein Duell gewünscht, Raphaëlle mit Hündin gegen den Wilderer. Lionel und Anouk hätte ich weniger Raum gewünscht, denn wenn man diese Begegnungen entfernen würde und sich auf das Wesentliche orientiert hätte, wäre aus DIE UNGEZÄHMTEN vielleicht ein abstrakter Roman geworden, aber mit stärkerer Wirkung. Aber das ist nur eine Vermutung (oder Wunschdenken?)
Die Handlung bleibt eindimensional, Konflikte lösen sich entweder durch symbolische, aber unrealistische Aktionen oder werden stark stilisiert vorgetragen. Die Wildnis dient mehr als Bühne für politisches Statement denn als lebendiger Schauplatz mit komplexen Figuren und Beziehungen.
Insgesamt bleibt DIE UNGEZÄHMTEN trotz seiner stimmigen Prämisse enttäuschend blass. Ich hatte mir eine lebendige Auseinandersetzung mit Wildnis und dem innerem Konflikt der Protagonistin erhofft, vor allem nachdem die Autorin den Schauplatz ihres Romans kennt, da sie am am Ufer des Kamouraska-Flusses lebt.
Ich hätte mir einen stärkeren Kontrast zwischen der romantisch/idyllischen Landschaft und der menschlichen Grausamkeit erhofft.

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(Rezensionsexemplar)

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