Doreen Cunningham: Der Gesang in den Meeren (Rezension)

Von den Lagunen in Baja California bis zu den Gletschern des Nordpolarmeers legen Grauwalmütter mit ihren Kälbern jährlich Tausende von Meilen in dem sich aufgrund des Klimawandels erwärmenden Meer zurück. Es ist die längste Wanderung eines Säugetiers auf unserem Planeten. Doreen Cunningham, selbst alleinerziehende Mutter, folgt den Walen auf dieser gefährlichen Reise, zusammen mit ihrem zweijährigen Sohn Max – in Bussen, Zügen und auf Schiffen, allein und auf sich gestellt.
Den Plan zu diesem Abenteuer hat sie an einem Tiefpunkt ihres Lebens gefasst: Gestrandet in einem Heim für obdachlose Mütter, erinnert sie sich an ihren Aufenthalt bei den Iñupiat im Norden Alaskas, an die unbändige Natur, die ihr schon einmal im Leben half. Nun will sie es mit Max erneut versuchen, ihm zeigen, wie Mensch und Wal verbunden sind, was Freiheit und Liebe bedeuten. Doreen Cunningham ist mit diesem Buch eine einzigartige Mischung aus Memoir, Reisebericht und wissenschaftlicher Dokumentation gelungen.

Iñupiat-Familie, porträtiert von Edward Curtis, 1927

Doreen Cunningham ist ausgebildete Umweltingenieurin und arbeitete zunächst in der Klimaforschung am Natural Environment Research Council, dem britischen Forschungsrat für Umweltfragen, bevor sie sich dem Journalismus zuwandte und zwanzig Jahre lang für die BBC über Naturthemen berichtete. 2020 wurde sie mit dem RSL Giles St Aubyn Award ausgezeichnet. Der Gesang in den Meeren, ihr erstes Buch, stand auf der Shortlist des Eccles Centre and Hay Festival Writers Award 2021.
DER GESANG IN DEN MEEREN hat seine Stärken, aber auch seine Schwächen. In meinen Augen versucht es zwei Welten zu verbinden und versagt dabei kläglich.
Darum geht es: Eine alleinerziehende Mutter folgt mit ihrem kleinen Sohn den Walen. Das könnte ein spannender Roman sein, aber auf der einen Seite (man könnte es die menschliche nennen) geht es um eine junge Frau mit Kind, die ihren Erinnerungen nachgeht und sich mit Problemen der Vergangenheit und der Gegenwart auseinandersetzt. Dabei geht es um ihre Arbeit, ihre Männer (einschließlich ihres Sohns) und ihre Reisen. Das war dann auch der Teil, der mich eher weniger interessiert hat und den ich gerne überflogen hätte. Die andere Seite ist leider mit der menschlichen doch sehr verwoben. Aber die Belange der Iñupiat und der Wale sind der informierende Teil des Buchs und das faszinierende. Doreen zeigt die Auswirkungen des Klimawandels an indigenen Völkern und ihre Beziehung zu den Tieren ihrer Umgebung.
Dabei springt die Autorin durch die Zeiten. Sie berichtet von ihrer ersten Reise nach Alaska, erzählt von ihrer Kindheit auf Jersey, dann wieder folgt man ihr und ihrem Sohn bei ihrer aktuellen Unternehmung. Dazwischen dann wieder Betrachtungen zum Thema Wale, Iñupiat, Umweltschutz und ähnlichem. Manchmal poetisch, manchmal informativ, hin und wieder etwas langatmig, aber auf Dauer leider sehr ermüdend. Man hat das Gefühl, dass die Autorin als alleinerziehende Mutter mit ihrer Unternehmung oft überfordert ist, da können auch faszinierende Walbegegnungen nicht darüber hinweg helfen. Dabei kann man nicht sagen, dass die Wale (oder ihr Sohn) ihr auf irgendeine Art und Weise helfen, die Welt (und das Leben) mit anderen Augen zu sehen (Obwohl es Gelegenheiten in großer Menge gegeben hätte). Und so fragt man sich wie die beiden Seiten des Buchs zusammengehören und das hat sich mir leider nicht erschlossen.
Eine alleinerziehende Mutter folgt mit ihrem kleinen Sohn den Walen… aber oft schwelgt sie in Erinnerungen und man fragt sich ob die Wale nicht nur Beiwerk sind. Ein Beiwerk ohne wirklichen Nutzen.
Aber versucht man Doreen und Max (und Pavel und Billy und wie sie alle heißen) auszublenden hat man den Stamm der Iñupiat, die Wale und den Klimawandel. Und das ist der Teil der viel zu kurz im Buch kommt, weil die Erlebnisse einer alleinerziehenden Mutter viel wichtiger sind (für die Autorin vielleicht, für mich hat sich der Mehrwert nicht erschlossen). Ich habe mehr Wal erwartet.

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