Der Kantjil (Tragulus Kanchil oder Tragulus pygmeus) ist etwa 45 Centim. lang, wovon nur 4 Centim. auf den Schwanz kommen; die Höhe am Widerrist beträgt 20 Centim., die am Kreuze 2 Centim. mehr. Das ziemlich feine Haar ist am Kopfe röthlichfahl, an den Seiten heller, auf dem Scheitel dunkel und fast schwarz, auf der Oberseite des Körpers röthlichgelbbraun, längs des Rückens stark mit Schwarz gemengt, gegen die Seiten zu lichter, an der obern Seite des Halses weiß gesprenkelt und auf der Unterseite weiß. Vom Unterkiefer aus verläuft jederseits ein weißer Streifen längs der Halsseiten bis zur Schulter hin, hierauf folgt nach unten zu jederseits ein dunkler Streifen, welcher in der Mitte, also unten in der Mitte des Halses, einen dritten weißen Streifen in sich schließt. Bisweilen zieht sich auch ein gelblicher Streifen längs des Bauches hin. Die Glieder sind fahlgelb, die Oberarme und Unterschenkel lebhaft rostroth, die Füße blaßgelblichfahl. Die Verschiedenheit der Färbung wird durch die eigenthümliche Zeichnung der Haare hervorgebracht. Auf dem Rücken sind diese in der untern Hälfte weiß, weiter nach der Spitze zu dunkler, hierauf scharf abgeschnitten hochgelb oder pomeranzenfarbig und an der Spitze endlich schwarz. Je nachdem nun diese schwarze Spitze wegfällt oder sich zeigt, je nachdem der lichte Ring vor derselben mehr oder weniger hervortritt, ändert sich die Zeichnung des Felles; an den weißen Stellen aber sind die Haare reinweiß. Die älteren Männchen tragen stark gekrümmte, von innen nach außen und von vorn nach abwärts gekehrte, seitlich zusammengedrückte, auf der Seite ausgehöhlte und an dem Hinterrande schneidende Eckzähne, welche gegen drei Centimeter über das Zahnfleisch hervorstehen. Die kleinen, feinen Hufe sind lichtbräunlich hornfarben. Junge Thiere unterscheiden sich nicht von den alten.
Java, Singapore, Pinang und andere umliegende Eilande sowie die Malaiische Halbinsel sind die Heimat dieses reizenden Geschöpfes; auf Sumatra, Borneo und Ceilon wird es durch verwandte Arten ersetzt. Es lebt auf Java mehr im Gebirge als in der Ebene, am untern Rande der alle Gebirge bedeckenden Urwälder, und zwar in deren Vorgebüschen, von wo aus es die grasbewachsenen Abhänge binnen wenigen Minuten zu erreichen vermag. Niemals trifft man es in Rudeln an; denn es hält sich einzeln und höchstens zur Brunstzeit paarweise. Während des Tages liegt es zurückgezogen, im dichtesten Gebüsch ruhend und wiederkäuend; mit Einbruch der Dämmerung geht es auf Aesung aus und sucht allerlei Blätter, Kräuter und Beeren zur Nahrung. Wasser ist ihm unentbehrlich.
Alle Bewegungen des Thierchens sind äußerst zierlich und leicht, dabei aber sehr lebhaft. Es versteht verhältnismäßig weite Sätze auszuführen und mit viel Geschick allerlei Schwierigkeiten im Wege zu überwinden. Aber die zarten Glieder versagen ihm bald den Dienst, und es würde leicht in die Gewalt seiner Feinde fallen, wenn es nicht noch ein Vertheidigungsmittel besäße, welches in einer eigenthümlichen List besteht. Gewöhnlich sucht es sich bei Verfolgungen im Gebüsch zu verstecken; sobald es aber sieht, daß es nicht weiter kann, legt es sich ruhig auf den Boden und gibt sich, wie das Opossum unter ähnlichen Umständen, den Anschein, als ob es todt wäre. Der Feind kommt heran und denkt mit einem Griffe seine Beute aufzunehmen: aber siehe da, ehe er noch diese erreicht hat, macht unser Thierchen einen oder zwei Sprünge und eilt mit Blitzesschnelle davon. Die Eingebornen fabeln außerdem, daß das männliche Zwergmoschusthier noch in anderer Weise vor den Angriffen der Raubthiere sich zu schützen wisse: es soll in die Höhe springen und sich mit seinen hervorragenden Eckzähnen an einen Ast anhängen! Raffles bemerkt, daß die Malaien einenrecht durchtriebenen Betrüger nicht besser bezeichnen zu können glauben, als wenn sie ihn so »listig wie ein Kantjil« nennen.
Ueber die Fortpflanzung der Zwergmoschusthiere ist wenig bekannt; man kann annehmen, daß sie, wie die meisten anderen Wiederkäuer und die bekannteren Moschusthiere, nur ein Junges werfen.
In der Neuzeit hat man dieses und jenes Zwergmoschusthier häufig nach Europa gebracht und hier längere Zeit in Gefangenschaft gehalten. Thierschaubudenbesitzer haben das eine oder das andere auch schon überall umhergeführt und zur Schau gestellt. Ich pflegte es wiederholt und sah es oft. Sein Aussehen ist schmuck und nett; es hält sich außerordentlich reinlich und putzt und leckt sich beständig. Die großen, schönen Augen lassen ein geistig hochbegabtes Thier in ihm vermuthen; dies ist es jedoch nicht, denn es bekundet in keiner Weise besondern Verstand, ist vielmehr ruhig, still und langweilig. Der Tag theilt sich bei ihm in Fressen, Wiederkäuen und Schlafen.
Selten vernimmt man seine zarte, leise Stimme, einem Ton, vergleichbar einem schwachen Blaselaute.
»Durch die Güte eines Mitgliedes des Verwaltungsrathes«, so berichtet Bodinus, »erhielten wir ein Paar Zwergmoschusthiere. Trotz sorgfältiger Pflege, trotz frischen Grases, Klee, Brod, Milch und Hafer zeigten sich diese ohnehin sehr schwermüthigen Thiere keineswegs in einem befriedigenden, von Wohlbehagen zeugenden Zustande. Sie saßen still, und die Haare waren etwas rauh und gesträubt, so daß ich beschloß, denselben, welche in der Heimat sich wesentlich von Beeren nähren, Ebereschen zu reichen. Mit wahrer Begierde fielen die kleinen zierlichen Thiere darüber her und vertilgten täglich eine große Menge davon. Die guten Folgen reger Eßlust und zusagender Speise blieben nicht aus. Das große Auge wurde feuriger, das Haar glatter und glänzender, der Leib runder, und ich hatte die Ueberzeugung, daß dieses kleine zärtliche Geschöpf bei Darreichung von Ebereschen, Milch mit Weißbrod und etwas Grünem sich recht gut halten würde.
Zeugt der Fortpflanzungstrieb der Thiere von guter und zweckmäßiger Behandlung, so war jeglicher Zweifel an letzterer beseitigt, als nach geraumer Zeit das Weibchen sich sehr umfangreich zeigte und bald ein Junges gebar, leider aber ein todtes. Meine Hoffnung, später lebende Junge zu erhalten, wurde jedoch auf eine traurige Weise zerstört. Eines Tages lag das Weibchen todt in seinem kleinen Zwinger; unaufgeklärt ist es geblieben, ob mehrere ihm beigebrachte Brustwunden von den spitzigen Zähnen des Männchens oder von böswilligen Besuchern des Gartens, wie sie leider zur Schande für die Menschheit vorkommen, herrührten.«
Die Javanesen, welche das Thierchen Poetjang nennen, sollen ihm eifrig nachstellen und sein weiches und süßliches Fleisch gern essen. Auch faßt man die zarten Füßchen hier und da in Gold und Silber ein, und benutzt sie dann zum Stopfen der Tabakspfeifen.