Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

09.07.2018, MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen
Evolution und Klimaänderungen in Südost-Afrika
Hohe Klimavariabilität und zunehmende Trockenheit bedeuteten das Ende einer frühen Menschenart
Für die menschliche Evolution spielt Afrika eine herausragende Rolle, hier vermuten Forschende die Wiege des Menschen. Mitte des 20. Jahrhunderts fanden Anthropologen in Südafrika Fossilien des so genannten Paranthropus robustus, der zu einer evolutionären Seitenlinie des Homo sapiens gehört. Gelebt hat der Paranthropus robustus vor etwa zwei Millionen Jahren und ist dann ausgestorben. Ein internationales Team aus den Fachrichtungen Anthroplogie und Geowissenschaften unter der Leitung von Dr. Thibaut Caley von der Universität Bordeaux hat nun mögliche Gründe in einer Studie näher beleuchtet. Dafür haben die Forschenden, zu denen auch Dr. Lydie Dupont und Dr. Enno Schefuß vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen gehören, verschiedene Indikatoren kombiniert und die klimatischen Bedingungen in Südost-Afrika zu dieser Zeit rekonstruiert. Die Fachzeitschrift Nature veröffentlicht die Ergebnisse am 9. Juli 2018.
Die Idee, verschiedene Methoden miteinander zu kombinieren, ist aus einem Widerspruch entstanden: Während Klimaaufzeichnungen aus dem Norden Afrikas auf trockener werdende Bedingungen hindeuten, legen Daten vom Malawi-See das Gegenteil nahe. War es wirklich so, dass Südost-Afrika feuchter wurde, während es in Nordafrika trockener wurde? Und was hat dann zum Aussterben von Paranthropus robustus geführt? Der Malawi See liegt nordöstlich des Einzugsgebietes des Limpopo, einer der größten afrikanischen Flüsse. In der Bucht von Maputo (Mosambik) mündet der Limpopo in den Indischen Ozean. Von hier stammt der Sedimentkern – das Archiv, das die Forschenden für die neue Studie untersucht haben.
Marine Sedimentkerne ermöglichen den Forschenden, durch die kontinuierlichen Ablagerungen eine Abfolge von Klimaveränderungen über einen langen Zeitraum zu betrachten. Mikrofossilien und Pollen werden vom Limpopo in den Ozean geschwemmt und lagern sich am Ozeanboden ab. Dadurch lassen sich Ergebnisse von Fundplätzen an Land in zeitliche Entwicklungen einordnen; Daten von Land umfassen oft nur kurze Zeiträume, können aber Hinweise auf das Vorkommen von Arten und deren Nahrung geben, betont Lydie Dupont vom MARUM. Anhand des Bohrkerns konnten die Forschenden auf eine Klimaaufzeichnung zurückgreifen, die etwa 2,14 Millionen Jahre umfasst.
Das Team hat sehr unterschiedliche Analysen kombiniert. Es wurden sowohl Wasserstoff- als Kohlenstoffisotope untersucht und mit den Resultaten der Pollenanalyse und der Elementzusammensetzung der Sedimente verglichen. Jede Analyse für sich kann unterschiedlich interpretiert werden. „Nur bei der Gesamtbetrachtung konnte ein schlüssiges Bild des Klimas in der Limpopo-Region rekonstruiert werden“, sagt Lydie Dupont.
Außerdem hat das Team die Meeresoberflächentemperaturen für den Zeitraum bestimmt, um so den Einfluss des Ozeans auf das Klima an Land abschätzen zu können. Zusammen mit Literaturdaten konnten die Forscherinnen und Forscher Aussagen über die Ursache der Klimaänderungen für den Zeitraum treffen, in dem Paranthropus robustus lebte und schließlich ausstarb.
Die kombinierten Ergebnisse vom Limpopo zeichnen ein anderes Bild als die Studie vom Malawi-See. Von etwa 1 Million bis etwa 600.000 Jahre vor heute wurde es trockener. Zeitgleich nahm die Variabilität im Klima deutlich zu. „Was davon letztendlich zum Aussterben geführt hat, ist schwierig zu sagen“, sagt Enno Schefuß. Klimatische Änderungen führen immer zu Anpassungen der Lebewesen – und natürlich auch ihrer Nahrung. Ändern sich die Verhältnisse besonders schnell in einem kurzen Zeitraum, können sich Lebewesen evolutionär schlechter auf sich verändernde Umstände einstellen. Nach den Funden in der Limpopo-Region starb Paranthropus robustus vor 600.000 Jahren aus.
Originalveröffentlichung:
Thibaut Caley, Thomas Extier, James A. Collins, Enno Schefuß, Lydie Dupont, Bruno Malaizé, Linda Rossignol, Antoine Souron, Erin L. McClymont, Francisco J. Jimenez-Espejo, Carmen García-Comas, Frédérique Eynaud, Philippe Martinez, Didier M. Roche, Stephan J. Jorry, Karine Charlier, Mélanie Wary, Pierre-Yves Gourves, Isabelle Billy and Jacques Giraudeau: A two-million-year-long hydroclimatic context for hominin evolution in southeastern Africa. Nature, 2018. DOI: 10.1038/s41586-018-0309-6

09.07.2018, Universität Konstanz
Und Evolution wiederholt sich doch
Konstanzer Biologen um Prof. Dr. Axel Meyer zeigen, dass die Evolution vorhersagbar ist
Allein in der Familie der Buntbarsche gibt es halb so viele Arten wie in der Klasse der Säugetiere insgesamt. Biologische Vielfalt ist im Tierreich sehr unterschiedlich verteilt. Aber warum? Und wie weit lässt sich Evolution vorhersagen? Zahlreiche „interne“ wie ökologische Faktoren spielen bei der Evolution eine Rolle. Ein entscheidender Faktor könnten die ökologischen Bedingungen darstellen – die Anzahl verschiedener Habitate und Ähnlichkeit ökologischer Nischen. Auch die demografische Geschichte einer Population kann ein bestimmendes Kriterium für biologische Diversität sein: Ist ausreichend genetische Variation vorhanden, um sich an ökologische Nischen anzupassen? Hatte die Population ausreichend Zeit dafür? Es ist nicht einfach, all die in Frage kommenden Faktoren zu quantifizieren, selbst innerhalb derselben Gruppe von Tieren. Von dem „Birnen-mit-Äpfel-Vergleich“ zwischen Säugetieren und einer Gruppe von Fischen ganz zu schweigen.
Der „Birnen-mit-Äpfel-Vergleich“ stammt von Dr. Andreas Kautt, jetzt Postdoc an der Universität Harvard, allerdings gilt er nicht für dessen Forschung. Seine Untersuchungen an Buntbarsch-Arten zeigen, wie „deterministisch“ Evolution sein kann – selbst bei den extrem artenreichen Buntbarschen, einem Paradebeispiel für die Diversität und „Kreativität“ der Evolution. „Stellen Sie sich 500 bis 1.000 Arten an Buntbarschen vor, die in einem der großen afrikanischen Seen leben, einem der größten Süßwasserhabitate der Welt. Die Komplexität ist unvorstellbar groß. Selbst die Verwandtschaftsverhältnisse der Buntbarscharten in diesen Seen sind zum Teil immer noch ungeklärt“, sagt der ehemalige Doktorand von Prof. Dr. Axel Meyer. Dessen Konstanzer Arbeitsgruppe für Evolutionsbiologie erforscht in einem Projekt – das durch einen ERC Advanced des European Research Council (ERC) mit 2,5 Millionen Euro gefördert wird – Fragen wie: Warum gibt es diese unglaubliche Vielfalt? Wie entsteht Biodiversität? Und wie vorhersehbar ist die Evolution?
Prof. Dr. Axel Meyer, Dr. Andreas Kautt und Dr. Gonzalo Machado-Schiaffino, ehemaliger Mitarbeiter der Arbeitsgruppe und mittlerweile Assistant Professor an der Universität von Oviedo in Spanien, können in ihrer Publikation in der aktuellen Ausgabe des Online-Journals „Evolution Letters“ Faktoren identifizieren, die positiv dazu beitragen, dass unter Buntbarschen widerholt gleiche Diversität entsteht. Die weitergehende Frage formuliert Andreas Kautt so: „Wie wirken sich einzelne Faktoren vorhersagbar auf Evolution aus?
Die Arbeitsgruppe von Axel Meyer forscht nicht nur in den großen Seen Afrikas mit ihrer immensen Vielfalt, sondern auch im Rahmen eines überschaubareren evolutionären „Experiments“: zu den parallelen Artenschwärmen der Midas-Buntbarsche in den zwei großen Seen und mehreren Kraterseen Nicaraguas. Die Wissenschaftler fokussieren dabei auf deren Morphologie, Populationsgenetik und Habitat und vergleichen die Ergebnisse mit denen der Ursprungspopulationen in den großen Seen Nikaraguas. Die Kraterseen sind allein durch ihre erheblich geringere Größe nicht nur weniger komplex, sondern haben auch den Vorteil, dass ihr maximales Alter bekannt ist. Sie sind mit zwischen 1.000 und 24.000 Jahren evolutionär sehr jung, was nochmals mehr Übersichtlichkeit garantiert.
Außerdem sind die Kraterseen nicht mit der Außenwelt verbunden und so klein, dass geografische Distanzen innerhalb der Seen keine Rolle spielen. „Die Kraterseepopulationen stellen quasi ein natürliches evolutionäres Experiment dar“, sagt Andreas Kautt.
Das Ergebnis aufgrund statistischer Methoden, von Literatur und einer großen Anzahl genetischer Marker lässt sich mit Andreas Kautts Worten so zusammenfassen: „Je unähnlicher der Kratersee dem großen See der Urpopulation, desto unähnlicher die Fische.“ Das bedeutet: Die unterschiedlichen Habitate stellen sich – im Gegensatz zu den demografischen Kriterien – als entscheidender Faktor für die Diversität heraus. Die Daten der Konstanzer Wissenschaftler zeigen, dass sich die Körperform aller Kraterpopulationen gegenüber der Ursprungspopulation hauptsächlich in dieselbe Richtung verändert hat: Fische in den Kraterseen haben immer einen eher langgestreckten Körper als die in den großen Seen.
Als Beleg für die Bedeutung der ökologischen Faktoren gilt gleichfalls, dass die Diversität der Körperformen unter den verschiedenen Kraterseen mit deren durchschnittlicher Tiefe in Verbindung steht. Andreas Kautt: „Das macht Sinn. Je tiefer ein See, desto wahrscheinlicher gibt es mehr unterschiedliche ökologische Nischen.“ Dies alles liefert starke Belege für die Annahme: Evolution ist – unter bestimmten Bedingungen – vorhersagbar.
Originalpublikation: Andreas F. Kautt, Gonzalo Machado-Schiaffino, Axel Meyer: Lessons from a natural experiment: Allopatric morphological divergence and sympatric diversification in the Midas cichlid species complex are largely influenced by ecology in a deterministic way. Evolution Letters, Juni 2018. https://doi.org/10.1002/evl3.64

09.07.2018, Universität Basel
Insektenfressende Vögel verbrauchen so viel Energie wie die Stadt New York
Die insektenfressenden Vögel der Welt verspeisen jährlich 400 bis 500 Millionen Tonnen Beute und verbrauchen dabei so viel Energie wie die Grossstadt New York. Dies zeigen Berechnungen von Zoologen in der Fachzeitschrift «The Science of Nature». Besonders in Waldgebieten spielen insektenfressende Vögel eine wichtige Rolle in der Bekämpfung von schädlichen Insekten.
Die weltweit über 6’000 Arten der insektenfressenden Vögel kommen in sämtlichen Ökosystemen vor. Dass sie als natürliche Feinde von pflanzenfressenden Insekten äusserst nützlich sind, war schon bekannt. Nun haben Zoologen der Universität Basel, der University of Utah (Salt Lake City), der University of Illinois (Chicago) und der Koç University (Istanbul) ihre globale ökologische Bedeutung in Zahlen eruiert.
Mit menschlichem Konsum von Fleisch und Fisch vergleichbar
Gemäss den Schätzungen haben die insektenfressenden Vögel der Welt ein Gesamtgewicht von rund 3 Millionen Tonnen. Jährlich verzehren sie 400 bis 500 Millionen Tonnen Insekten und andere Gliederfüsser wie etwa Tausendfüsser und Spinnen. Dabei verbrauchen die Vögel weltweit pro Jahr ungefähr gleich viel Energie wie eine Metropole von der Grösse New Yorks, die einen Wert von etwa 2,8 Exajoule aufweist.
Die verspeiste Menge der insektenfressenden Vögel ist damit ähnlich hoch wie jene der menschlichen Weltbevölkerung, die laut der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) jährlich etwa 400 Millionen Tonnen Fleisch und Fisch verzehrt. Auch die weltweite Gemeinschaft der Spinnen frisst nach früheren Schätzungen zwischen 400 und 800 Millionen Tonnen Insekten im Jahr.
Bedeutung der Waldvögel
Waldvögel verspeisen mit rund 300 Millionen Tonnen rund drei Viertel der weltweit von insektenfressenden Vögeln gefangenen Beute. Dagegen werden in den übrigen Ökosystemen wie Grasland, Savannen, Äcker, Wüsten und arktischer Tundra wesentlich weniger Insekten gefressen. Besonders zur Brutzeit, wenn die Vögel proteinreiche Beute an ihre Jungen verfüttern, kommen Billionen pflanzenfressender Insekten auf den Speiseplan, darunter auch potenziell schädliche Schmetterlingsraupen und Käfer. «Dies bedeutet, dass die Vögel – ebenso wie andere natürliche Feinde wie Spinnen und Ameisen – weltweit wesentlich dazu beitragen, die Zahl jener Insekten niedrigzuhalten, die Schäden an Pflanzen anrichten», sagt Studienleiter PD Dr. Martin Nyffeler von der Universität Basel.
Originalbeitrag
Martin Nyffeler, Çağan H. Şekercioğlu, Christopher J. Whelan
Insectivorous birds consume an estimated 400-500 million tons of prey annually
https://link.springer.com/article/10.1007/s00114-018-1571-z
The Science of Nature (2018), Volume 105doi: org/10.1007/s00114-018-1571-z

09.07.2018, Universität zu Köln
Honigbiene formt durch Riechen ihr Gedächtnis
Team von der Uni Köln und der FU Berlin stellt neuronale Plastizität mit bildgebenden Verfahren dar / Publikation in Fachzeitschrift eNeuro
Honigbienen können ihre Gedächtnisleistung durch Gerüche konditionieren und auf diese Weise ihr Verhalten beeinflussen. Das zeigt eine Studie zu assoziativem Lernen und Gedächtnis bei der Honigbiene, die der Zoologe Professor Dr. Martin Nawrot von der Universität zu Köln im Life-Science Journal „eNeuro“ als Ko-Autor gemeinsam mit Professor Dr. Randolf Menzel (FU Berlin) veröffentlicht hat.
Nawrot erläutert, dass das Kurzzeitgedächtnis der Honigbiene hauptsächlich über Gerüche funktioniere, die im sogenannten Pilzkörper, dem olfaktorischen Lernzentrum, verarbeitet werden. „Mithilfe hochauflösender Fluoreszenzmikroskopie haben wir endlich geklärt, wo genau die Biene ihr Kurzzeitgedächtnis anlegt“, so Nawrot.
Noch bedeutender schätzt der Kölner Zoologe folgendes Studienergebnis ein: „Wir konnten erstmals messen, wie sich die Verbindungen zwischen Nervenzellen in diesem Teil des Gehirns plastisch verändern. Was wir außerdem zeigen konnten, und das ist vorher noch nie gezeigt worden: Je ausgeprägter die plastische Veränderung der Verbindungen nach dem Trainieren auf einen bestimmten Duft wurde, desto zuverlässiger konnten wir das erlernte Verhalten der Biene beobachten. Es gibt eine eindeutige Korrelation zwischen der Stärke einer hochlokalisierten plastischen Veränderung im Gehirn und dem Lernerfolg eines Tieres!“
Die plastische Veränderung der Verbindungen zwischen Nervenzellen (Synapsen) nennt sich neuronale Plastizität und ist ein Indikator für den Lernstand: Je häufiger während des Trainings ein Reiz von A nach B geht und das Tier dabei eine Belohnung erfährt, desto kräftiger wird die erlernte Verknüpfung beider Punkte. Man spricht auch von einer „Gedächtnisspur“. Ein Reiz löst dann nach dem Training unmittelbar die antrainierte Reaktion aus. Auf der Verhaltensebene ist das die klassische Konditionierung oder Pawlowsche Konditionierung (der Hund und die Glocke).
In der Honigbienen-Studie hatte das Team von Forscherinnen und Forschern aus Köln, von der Freien Universität Berlin und aus Japan die kleinen Insekten auf verschiedene Gerüche hin konditioniert. Anschließend wurde gemessen, ob die Biene nach bereits bekanntem beziehungsweise nach unbekanntem Duft versuchte, die erwartete Belohnung (Zuckerwasser) aufzusaugen.
Nawrot erläutert das Vorgehen: „Die Frage war: Streckt die Biene ihren Rüssel raus oder nicht? Das testeten wir über mehrere Wiederholungen. Wenn ein Duft vorher durch Zuckerwasser belohnt wurde, ein anderer Duft aber nicht belohnt wurde und die Biene das gelernt hat – dann würde sie im Test ihren Rüssel herausstrecken, sobald sie den zuvor belohnten Duft riecht, auch wenn gar keine Belohnung da ist. Der nicht-belohnte oder ein unbekannter Duft führt dann nicht zu einem Rüsselrausstrecken. Auf diese Weise konnten wir messen, wie gut das Tier gelernt hat und sein Gedächtnis abrufen kann.“
Die Ergebnisse tragen zum Verständnis der physiologischen Grundlagen der Gedächtnisbildung in einem Insektengehirn bei. Insektenschutz steht derzeit auch auf der politischen Agenda. Nawrot wagt einen Brückenschlag zu seiner Honigbienen-Forschung: „Bienen sind heutzutage bei der Palette an Pflanzenschutzmitteln vielen gefährlichen Gerüchen ausgesetzt. Im Idealfall erlernen sie, dass diese schlecht für sie sind. Dann können sie sich daran erinnern und einen Bogen darum machen. Bei Geschmäckern wissen sie bereits, wann ihnen schon einmal schlecht wurde.“
Zur Publikation:
http://www.eneuro.org/content/5/3/ENEURO.0128-18.2018

10.07.2018, Universität Regensburg
Variable Belohnungshöhen regen zu Aufgabenwechsel bei Menschen und Ameisen an
Psychologen und Biologen der Universität Regensburg entdecken gleiche Verhaltensmuster
Belohnungen motivieren unser Verhalten – entsprechend werden wir eher dafür bezahlt, zur Arbeit zu gehen als Kaffee zu trinken. Für Menschen scheint dabei aber nicht allein die absolute Belohnungshöhe, sondern vielmehr die Veränderung von Belohnung eine kritische Rolle zu spielen. Forscherinnen und Forscher am Lehrstuhl für Psychologie und am Lehrstuhl für Zoologie/Evolutionsbiologie der Universität Regensburg haben herausgefunden, dass dies auch für Ameisen gilt. Das könnte darauf hindeuten, dass Menschen und Ameisen sich auf sehr basaler Ebene darin ähneln, wie sie Entscheidungen zwischen zwei Handlungsalternativen treffen. Die Ergebnisse sind nun im Journal of Experimental Psychology: Animal Learning and Cognition veröffentlicht worden.
Im Alltag sind wir praktisch ständig mit unterschiedlichen, mitunter widersprüchlichen Aufgaben konfrontiert. Jetzt gerade etwa könnten Sie diesen Text weiterlesen, Ihre Emails abrufen oder einen Kaffee trinken gehen. Zu verstehen, wie wir solche Entscheidungen für oder gegen eine bestimmte Handlung treffen, ist für das tiefere Verständnis unseres Verhaltens von großer Bedeutung. Belohnungen in Aussicht zu stellen, ist eine typische Herangehensweise derartige Entscheidungen zu beeinflussen. Kürzlich konnten Prof. Gesine Dreisbach, Lehrstuhl für Psychologie, und Dr. Kerstin Fröber zeigen, dass es nicht so sehr die Aussicht auf eine hohe Belohnung ist, die Versuchspersonen dazu bringt, eine Aufgabe zu wechseln, sondern vielmehr die Aussicht auf eine veränderte (ansteigende oder absteigende) Belohnung. Dr. Tomer Czaczkes, am Lehrstuhl für Zoologie/Evolutionsbiologie, hat nun in Kooperation mit den Kognitionspsychologinnen das gleiche Verhaltensmuster (mehr Aufgabenwechsel bei wechselnder Belohnung) im Verhalten der gemeinen Waldameise gefunden.
„Natürlich haben wir die Ameisen nicht mit Geld bezahlt“, erklärt Alexandra Koch, Studierende im Bachelorstudiengang Biologie an der Universität Regensburg, die die Ameisenstudie durchgeführt hat. „Wir haben ihnen entweder süßes oder weniger süßes Wasser in Aussicht gestellt“. Die Aufgabe war auch etwas anders im Vergleich zur Humanstudie – die Ameisen mussten jeweils entscheiden, ob sie einen linken oder rechten Arm eines T-Labyrinthes durchlaufen. „Trotz dieser Unterschiede zeigten die Ameisen exakt das gleiche Verhaltensmuster wie die Menschen: sie wechselten häufiger die Seite, wenn die Belohnungserwartung sich änderte“, so Alexandra Koch.
Warum also verhalten sich Ameisen und Menschen so ähnlich? Vermutlich ist dieses Verhalten tatsächlich sinnvoll. Wann immer wir eine bedeutsame Veränderung in unserer Umgebung wahrnehmen (etwa geänderte Belohnungsaussicht), könnte es vorteilhaft sein, auch sein eigenes Verhalten zu ändern. Die Frage, die sich nun allerdings stellt, ist: Wie sehr ähneln sich die der Entscheidung zugrundeliegenden Prozesse zwischen Ameise und Mensch? Sind Ameisen am Ende komplexer als wir uns das vorstellen können, oder sind Menschen mitunter einfacher gestrickt als wir das gerne hätten?
Originalpublikation:
Czaczkes, T. J., Koch, A., Fröber, K., & Dreisbach, G. (2018). Voluntary switching in an invertebrate: The effect of cue and reward change. Journal of Experimental Psychology: Animal Learning and Cognition, 44(3), 247-257.
http://dx.doi.org/10.1037/xan0000171

10.07.2018, Eberhard Karls Universität Tübingen
Auge in Auge mit winzigen Fischen
Tübinger Neurowissenschaftler stellen selbst entwickeltes Programm für Verhaltensstudien an Fischen frei zur Verfügung
Zebrafische gehören erst seit kurzem zu den wichtigsten Tiermodellen der neurowissenschaftlichen Forschung. Laboreinrichtung und Software zur Analyse ihres Verhaltens sind daher oft extrem spezialisiert und teuer. Neurobiologen vom Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) der Universität Tübingen haben nun eine einfach zu bedienende Software entwickelt und stellen diese frei und im Quellcode zur Verfügung: Das Programm erlaubt den Einsatz zahlreicher Untersuchungsansätze und verschiedenster Hardware-Komponenten in Verhaltensexperimenten zu Augenbewegungen von Zebrafischen. Die Software ‚ZebEyeTrack’ und ihre Anwendungsbereiche stellen die Wissenschaftler im Nature-Tochterjournal Nature Protocols vor.
Was haben die nur wenige Millimeter langen, glasartig durchsichtigen Larven eines südasiatischen Zierfisches mit Menschen gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel, und doch gelten die Larven des Zebrabärblings (auch Zebrafisch genannt) als mit am besten geeignet, um grundlegende Mechanismen unserer Wahrnehmung zu erforschen. Ein Beispiel ist die Steuerung des Auges, dessen Ausrichtung auf großflächige, bewegte Sehreize bei Zebrafischlarven ganz ähnlich funktioniert wie bei uns Menschen.
Wer im Detail wissen will, wie ein Fisch sieht, benötigt dazu eine äußerst aufwändige Laborausrüstung – nicht untypisch für die Lebens- und Naturwissenschaften. Dazu gehören Softwarelösungen, mit deren Hilfe sich zahlreiche Parameter erfassen und messen lassen. Dafür können sich Forschende einer kommerziellen Software für die Verfolgung von Fischaugenbewegungen bedienen, die aber selten auf die speziellen Fragestellungen eines Projekts ausgerichtet ist und deren Kauf kostspielig sein kann – oder aber das Labor entwickelt eine eigene Softwareanwendung, was entsprechende Programmierfähigkeiten voraussetzt und oft mit jahrelangem Aufwand einhergeht.
Bereits während seiner Doktorarbeit entschied sich der Neurobiologe Aristides Arrenberg deshalb dafür, selbst eine Software zu entwickeln, die den Ansprüchen seiner Arbeit genügte. Seine Forschergruppe am Tübinger CIN arbeitet mit einer über die Jahre immer wieder überholten und erweiterten Version dieser Software, die inzwischen viel dazu gelernt hat: So kann sie individuell gestaltbare Lichtreize steuern, die den Fischlarven präsentiert werden, und die resultierenden Augenbewegungen automatisch erkennen, verfolgen, aufzeichnen und in Echtzeit nach verschiedensten Kriterien analysieren. Dazu kommen Plugins für Laser- und Mikroskopeinsatz sowie eine einfach zu bedienende grafische Benutzeroberfläche. Um anderen Laboren weltweit den Einstieg in Experimente zur Funktion des Zebrafisch-Sehsystems zu erleichtern, hat die Forschergruppe die Software – mittlerweile auf den Namen ‚ZebEyeTrack’ getauft – nun allgemein zugänglich gemacht. Die Software kann auf zebeyetrack.com ohne Installation direkt getestet oder auch heruntergeladen werden und wird in Nature Protocols von den Autoren beschrieben.
„Wir wissen, dass Forschende weltweit sehr unterschiedliche Ansprüche an solch eine Software haben. Daher machen wir auch den Quellcode verfügbar, so dass unsere Lösung schon mit ein wenig Programmierkenntnis individuell angepasst werden kann“, erklärt Florian Dehmelt, der die (vorerst) finale Version programmierte. Gruppenleiter Arrenberg fügt hinzu: „Mit ZebEyeTrack verstehen wir uns als Teil der Open-Source-Bewegung. Wir hätten vermutlich auch ein Patent anmelden und ZebEyeTrack kommerziell vertreiben können. Aber daran haben wir kein Interesse – damit würden wir ja genau dem Problem Vorschub leisten, das wir selbst einmal hatten.“
Publikation: Florian A. Dehmelt, Adam v. Darányi, Claire Leyden, Aristides B. Arrenberg: Evoking and Tracking Zebrafish Eye Movement in Multiple Larvae with ZebEyeTrack. In: Nature Protocols (im Druck). doi: 10.1038/s41596-018-0002-0

11.07.2018, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Affen passen Fellpflege an soziales Umfeld an
Forscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig belegen, dass freilebende Schimpansen und Rußmangaben, zwei Primatenarten, die in komplexen sozialen Gruppen leben, ihre Fellpflegepartner anhand einer Vielzahl von Kriterien auswählen, darunter ihrer sozialen Beziehung zum Partner und dessen Rangs. Insbesondere vermeiden es Tiere beider Arten, das Fell von Artgenossen mit anwesenden Freunden zu pflegen, da diese die Interaktion stören könnten.
Die Kooperation mit anderen und der Austausch von Gefälligkeiten zum Nutzen aller Beteiligten ist für Menschen äußerst wichtig und mitverantwortlich für den Erfolg unserer Art. Um ein Ziel zu erreichen, suchen wir den bestmöglichen Kooperationspartner aus. Doch wer sich dafür qualifiziert, hängt von der jeweiligen Aufgabe, den Fähigkeiten aller verfügbaren Kandidaten und unseren sozialen Beziehungen zu ihnen ab. Ähnlich wie der Mensch leben viele nicht-menschliche Primaten in eng verbundenen sozialen Gruppen, deren einzelne Mitglieder miteinander kooperieren und einander zu ihrem gegenseitigen Nutzen Gefälligkeiten gewähren.
Die gegenseitige Fellpflege spielt innerhalb dieses Systems eine besondere Rolle, da die Tiere Gefälligkeiten wie zum Beispiel die Unterstützung bei Streitigkeiten oder Zugang zu Nahrungsquellen dafür erwarten können. Verschiedene Gruppenmitglieder bieten ihrem Rang und ihren Fähigkeiten entsprechend verschiedene Gegenleistungen an. Beispielsweise sind hochrangige Tiere eine besonders wertvolle Unterstützung bei einem Kampf. Da die Zeit für Fellpflege begrenzt ist, bemühen sich alle, den jeweils besten Partner aus allen verfügbaren Kandidaten auszuwählen. Interessanterweise hängt der Erfolg der Interaktion aber nicht nur von dem Individuum selbst und seinem ausgewählten Partner ab, sondern auch vom Publikum: Hat der Partner einen Freund unter den Anwesenden, könnte dieser sich einmischen, oder der Partner könnte die Fellpflege vorzeitig beenden. In beiden Fällen wären Zeit und Mühe umsonst gewesen.
Daten aus dem Regenwald
Der Primatologe Alexander Mielke und seine Kollegen vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie haben nun im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste untersucht, welche Eigenschaften Schimpansen und Rußmangaben bei der Auswahl eines Fellpflegepartners berücksichtigen, und ob die Zusammensetzung ihres Publikums ihre Entscheidung beeinflusst. Im Rahmen des Taï-Schimpansen-Projekts sammelten die Forscher Daten in zwei Schimpansen- und einer Mangaben-Gemeinschaft. Im Gegensatz zu früheren Studien betrachteten sie jedes Angebot zur Fellpflege als persönliche Entscheidung eines Individuums: Welchen von allen möglichen Partnern mit ihren spezifischen Eigenschaften würden die Tiere auswählen?
Um die sozialen Beziehungen und den Dominanzrang aller Individuen zu bestimmen, analysierten Mielke und seine Kollegen Daten, die Forscher und Feldforschungsassistenten über viele Jahre hinweg gesammelt hatten. Sie bewerteten, inwiefern bestimmte Parameter einen Einfluss auf die Fellpflegepartnerwahl hatten, darunter der Fortpflanzungsstatus des potenziellen Partners (ob ein Weibchen ein Baby hat oder empfängnisbereit ist), seine soziale Beziehung zum Entscheidungsträger, ob beide Tiere kürzlich eine aggressive Auseinandersetzung miteinander hatten, das Geschlecht und die Position in der Rangordnung.
Die Forscher haben für jeden einzelnen Affen überprüft, ob seine oder ihre Freunde im Publikum anwesend waren, und sie unterschieden zwischen zwei Arten von Dominanzrang: dem globalen (im Vergleich zu allen Individuen der Gemeinschaft) und dem lokalen (im Vergleich zu allen anwesenden Individuen). Damit wollten sie untersuchen, ob das soziale Umfeld die Wahl der Tiere beeinflusst und ob nicht-menschliche Primaten bestimmte Tiere unabhängig der Alternativen immer gleichbehandeln.
Freunde können Fellpflege stören
„Die Auswahl eines Fellpflegepartners aus zehn, fünfzehn möglichen Kandidaten – einige davon Freunde, ranghohe Tiere oder Weibchen mit Babys – ist eine schwierige Aufgabe. Und dennoch wählten Schimpansen und Rußmangaben ihre Partner flexibel aus“, sagt Alexander Mielke, der Erstautor der Studie. „Sowohl Mangaben als auch Schimpansen betreiben am liebsten mit Weibchen Fellpflege, die ein Baby haben, was man von Schimpansen bisher nicht wusste. Beide Arten nutzten die soziale Fellpflege zur Versöhnung nach Auseinandersetzungen und wählten als Partner häufiger ihre Freunde aus.“ Am auffallendsten war, dass bei beiden Arten die Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Partner stark vom sozialen Umfeld abhing. Schimpansen und Mangaben vermieden es, Tieren das Fell zu pflegen, deren Freunde sich in der Nähe aufhielten und die Interaktion möglicherweise stören könnten oder die vielleicht selbst lieber das Fell ihrer Freunde pflegen würden“, erklärt Mielke. „Sie bevorzugten Partner, die im Vergleich zu anderen anwesenden Kandidaten ranghöher waren, unabhängig von ihrem Rang in Gemeinschaft. Beide Arten entscheiden also flexibel und berücksichtigen dabei die Informationen, die sie über alle verfügbaren Partner und ihr soziales Umfeld haben, um den maximalen Nutzen aus ihrer Entscheidung zu ziehen.“
Diese Ergebnisse zeigen, dass Primaten nicht nur über den Rang und die sozialen Beziehungen ihrer Artgenossen Bescheid wissen, sondern dass sie viele Individuen gleichzeitig beurteilen und flexibel die für sie beste Option wählen können. Der Einfluss des sozialen Umfelds auf die Entscheidung legt nahe, dass Mangaben und Schimpansen sogar eine bevorzugte Handlung unterdrücken können (z. B. das Fell eines ranghohen Artgenossen zu pflegen), wenn sie voraussichtlich nicht zum Erfolg führt, weil der Freund des Tieres anwesend ist. Diese Fähigkeit wird nicht-menschlichen Tieren in der Regel nicht zugestanden.
„Dass wir diese Ergebnisse sowohl bei Mangaben als auch bei Schimpansen nachweisen konnten, zeigt: Diese beeindruckende kognitive Leistung ist unter Primaten möglicherweise weit verbreitet“, schlussfolgert Mielke. „Die soziale Fellpflege ist ein wichtiger Bestandteil der Kooperation bei Primaten, und die Auswahl des für eine Situation am besten geeigneten Partners kann lebenswichtig sein. Wie beim Menschen bestehen Primatengruppen aus vielen Individuen mit ihren jeweils eigenen Fähigkeiten, Zielen und ihrer eigenen Biografie. Diese Studie liefert weitere Belege dafür, dass zumindest Mangaben und Schimpansen mit den kognitiven Fähigkeiten ausgestattet sind, um in diesem komplexen Sozialgefüge erfolgreich zu sein.“
Originalveröffentlichung:
Alexander Mielke, Anna Preis, Liran Samuni, Jan F. Gogarten, Roman M. Wittig and Catherine Crockford: Flexible decision-making in grooming partner choice in sooty mangabeys and chimpanzees. Royal Society Open Science; 11. Juli 2018 (DOI: 10.1098/rsos.172143)

12.07.2018, Ruhr-Universität Bochum
Wie Lichtrezeptoren das Verhalten von Blitzlichtfischen steuern
Bislang unbekannte Proteinkomponenten von Sehpigmenten haben Biologen der Ruhr-Universität Bochum in biolumineszenten Blitzlichtfischen entdeckt. Die sogenannten Opsine ermöglichen es Tieren, Licht einer definierten Wellenlänge wahrzunehmen. Wie die in der Zeitschrift „Plos One“ vom 11. Juli 2018 veröffentlichte Studie zeigt, sind die neu entdeckten Opsine der Blitzlichtfische darauf geeicht, Licht mit der Wellenlänge ihrer eigenen Biolumineszenz wahrzunehmen. Die Studie ergab auch, dass Licht dieser Wellenlänge das Verhalten der Tiere steuern kann.
„Dabei handelt es sich um eine bislang unbekannte evolutionäre Anpassung“, folgern die Autoren. Sie nutzten eine Kombination aus elektrophysiologischen und genetischen Analysen mit Verhaltensexperimenten. Für den interdisziplinären Versuchsansatz kooperierten die Bochumer Molekularbiologin Dr. Melanie Mark, die Zoologen Dr. Jens Hellinger und Dr. Marcel Donner, der Physiologe und Optogenetiker Prof. Dr. Stefan Herlitze und Privatdozentin Dr. Minou Nowrousian und Prof. Dr. Ulrich Kück aus der Genetik.
Zwei Sehpigmente entdeckt
Obwohl Biolumineszenz, vor allem bei marinen Organismen, weit verbreitet ist, ist bislang unverstanden, welche physiologischen Prozesse sie auslöst und wie sie das Verhalten der Lebewesen beeinflusst. Der Blitzlichtfisch Anomalops katoptron jagt nachts im flachen Wasser von Korallenriffen nach Plankton und zieht sich tagsüber bis zu 400 Meter tief in Unterwasserhöhlen zurück. Unter seinen Augen besitzt er Leuchtorgane, mit denen er blaues Licht mit einer Wellenlänge von 490 Nanometern erzeugt und die er zur Futtersuche nutzt.
Das Team analysierte die genaue Zusammensetzung der Netzhaut von Blitzlichtfischen und fand dabei zwei Sehpigmente, deren Proteinsequenz ähnlich zu der des Rhodopsins von Säugetieren ist. Beide reagierten bevorzugt auf blaues Licht im Bereich von 485 bis 490 Nanometern – also genau in dem Bereich ihrer eigenen Lumineszenz.
Fische bei Fütterung konditioniert
Im nächsten Schritt analysierte die Gruppe, ob Anomalops katoptron sein Verhalten abhängig von blauem Licht anpassen kann. Sie konditionierten acht Blitzlichtfische, sodass diese nach einem Lichtreiz erwarteten, Futter zu bekommen. „Wir haben die Fische in Dunkelheit gehalten und zum Füttern eine Rotlicht-Taschenlampe angeschaltet“, erzählt Jens Hellinger. „Ursprünglich dachten wir, die Fische könnten dieses Licht gar nicht wahrnehmen.“ Zu ihrer Überraschung stellten die Forscher jedoch fest, dass sich die Tiere nach Einschalten des Lichts zur Futterstelle bewegten, noch bevor es tatsächlich Futter gab.
Diesem Phänomen ging die Gruppe genauer auf den Grund. Sie testeten, ob die Fische das konditionierte Verhalten bei Lichtreizen mit verschiedenen Wellenlängen zeigten. Dabei verwendeten sie eine viel schwächere Lichtintensität, als die Taschenlampe hatte, die sie zum Füttern genutzt hatten. Anomalops katoptron reagierte nur auf schwaches Blaulicht, aber nicht auf schwaches Rotlicht.
Angepasst an Sternenlicht und Lumineszenz
„Das Sehsystem der Blitzlichtfische scheint darauf angepasst zu sein, Sternenlicht und Licht mit der Wellenlänge der eigenen Biolumineszenz wahrzunehmen – und darauf basierend das eigene Verhalten ändern zu können“, resümiert Stefan Herlitze. „Das offenbart eine völlig neue Funktion der Biolumineszenz bei Fischen.“
Biolumineszenz
Bei der Biolumineszenz wird durch einen chemischen Prozess frei werdende Energie als Licht abgegeben. Das Phänomen findet sich bei unterschiedlichsten Organismen, zum Beispiel bei Bakterien, Pilzen, Insekten oder auch Wirbeltieren. Die Biolumineszenz wird oft in besonderen Zellorganellen oder Leuchtorganen gebildet. Letztere finden sich zum Beispiel bei vielen Fischen der Tiefsee, bei denen symbiontische Bakterien die Lichtsignale erzeugen.
Förderung
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderte die Arbeiten im Rahmen der Grants mit den Nummern MA5806/1-2 und MA5806/2-1 für Melanie Mark, und NO 407/7-1 für Minou Nowrousian sowie im Rahmen des Schwerpunktprogramms SPP 1926 (Projektnummer He2471/18-1). Autor Marcel Donner erhielt außerdem eine Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung.
Originalpublikation:
Melanie D. Mark, Marcel Donner, Dennis Eickelbeck, Jennifer Stepien, Minou Nowrousian, Ulrich Kück, Frank Paris, Jens Hellinger, Stefan Herlitze: Visual tuning in the flashlight fish Anomalops katoptron to detect blue, bioluminescent light, in: PLOS ONE, 2018 DOI: 10.1371/journal.pone.0198765, http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0198765

11.07.2018, Forschungsverbund Berlin e.V.
Nashornspermien aus dem Eis
Neues Kryoprotektivum erhöht Beweglichkeit der Spermien nach dem Auftauen
Durch eine neue Mixtur von Kryoprotektiva ist es Forschern vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) in Berlin gelungen die Motilität von tiefgefrorenen Nashornspermien nach dem Auftauen deutlich zu erhöhen. Dadurch steigen die Erfolgsaussichten der assistierten Reproduktion vieler vom Aussterben bedrohter Wildtierarten. Die Ergebnisse der Studie an drei Nashornarten werden heute in PLOS ONE publiziert.
Um die Anzahl der Nachkommen und deren genetische Vielfalt zu erhöhen, werden bedrohte Nashornarten weltweit in Erhaltungszuchtprogrammen gehalten und mit tiefgefrorenem Sperma künstlich befruchtet. Der Erfolg künstlicher Besamungen war bisher gering, nicht zuletzt weil die Qualität der Keimzellen nach dem Auftauen bislang eher mäßig war. „Die Motilität der Spermien nach dem Einfrieren und Auftauen lag Studien übergreifend meist bei maximal 50 Prozent. Eine für die Besamung schon grenzwertige Qualität“, sagt IZW-Wissenschaftler Robert Hermes, Hauptautor der Studie. Vor dem Einfrieren wird die Spermaprobe mit einer Pufferlösung und weiteren Zusätzen verdünnt. Entscheidend für den Erhalt der empfindlichen Zellen ist jedoch ein gutes „Frostschutzmittel“.
„Das Kryoprotektivum bettet sich in die Zellmembranen ein und sorgt dafür, dass der osmotische Austausch vom Zellinneren zum Zelläußeren während des Einfrierens besser funktioniert“, erklärt Hermes. Üblicherweise werden je nach Spezies der Spermaprobe deshalb 5 bis 7 % Glycerol zugesetzt. Hermes Team nahm ein zweites Kryoprotektivum – Methylformamid – dazu und variierte die jeweiligen Anteile. Mit einer Mischung von 1 % Glycerol und 4 % Methylformamid konnten sie die Spermienmotilität nach dem Auftauen von 50% auf durchschnittlich über 75% steigern. Erfolgreich getestet wurde diese Mixtur an Spermienproben dreier Nashornspezies – dem Spitzmaul-, Breitmaul- und dem Panzernashorn.
Als in den 1950er-Jahren entdeckt wurde, dass der Zuckeralkohol Glycerol als Frostschutzmittel für Zellen geeignet war, war dies quasi der Startschuss für die Kryokonservierung von Säugetierspermien. Heute wird bei der Besamung von Nutztieren der Verwendung von gefrorenen, in flüssigem Stickstoff (bei -196°C) gelagerten Spermien längst der Vorzug gegenüber frischen Spermien gegeben: Über 95 Prozent allen Rinderbullensamens beispielsweise werden weltweit vor der Verwendung zunächst tiefgefroren.
Trotz großer Erfahrung auf diesem Gebiet ist die Kryokonservierung von Spermien gefährdeter Wildtiere bis heute mit diversen Schwierigkeiten verbunden – vom Handling der Tiere bis hin zur Zellkonservierung. Nashornspermien wurden erstmals 1979 tiefgefroren. Weniger als zehn wissenschaftliche Publikationen gibt es bisher darüber – und nicht mal 70 Samenspenden von gerade mal 50 Tieren. Zum Vergleich: Allein 2016 gab es 17 entsprechende Publikationen zu Rinderbullen, für die Proben von 279 Tieren untersucht wurden.
„Wie dringend notwendig die Perfektionierung der assistierten Reproduktion ist, zeigt das Beispiel des Nördlichen Breitmalnashorns“, sagt Robert Hermes. Nachdem im Frühjahr 2018 der letzte Bulle starb, leben nur noch zwei, mittlerweile infertile Weibchen dieser Spezies. Um die Art zu erhalten – etwa, wie kürzlich ebenfalls vom IZW publiziert: durch Hybrid-Embryos, die von Nashornleihmüttern ausgetragen werden – sind langfristig kryokonservierte Spermien und auch Eizellen von hoher Qualität essenziell. „Weltweit gibt es von dieser unmittelbar vom Aussterben bedrohten Nashornunterart nur noch Keimzellreserven von vier Bullen in flüssigem Stickstoff. Zwei davon sind von schlechter Qualität und damit im Grunde schon unbrauchbar.“ Die Wirksamkeit der neuen Kombination von Kryoprotektiva haben die Forscher inzwischen auch an Spermien von Giraffen, Wölfen und Kulanen, einer Wildeselart, nachgewiesen. „Wir gehen deshalb davon aus, dass die Minderung des Anteils an zelltoxischem Glycerol bei der Tiefgefrierung von Wildtierspermien auch bei vielen anderen Wildtierarten erfolgreich sein wird.“
Originalpublikation:
Cryopreservation in rhinoceros – setting a new benchmark for sperm cryosurvival
Robert Hermes, Thomas B. Hildebrandt, Frank Göritz
PLOS ONE 2018

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