Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

15.12.2025, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)
Wie ernähren sich Korallen? Energiezufuhr aus direkt aufgenommener Nahrung bislang unterschätzt
Korallen beziehen Energie auf zwei Wegen: Zum einen durch Photosynthese ihrer symbiotischen Algen, zum anderen, indem sie kleine Nahrungspartikel wie Plankton direkt aus dem Wasser aufnehmen. Diese Form der Ernährung wird in der Fachsprache „Heterotrophie“ genannt. In einer Studie im Fachjournal Communications Biology zeigt ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung der Bremer Wissenschaftlerin Marleen Stuhr (ZMT), dass der Beitrag der heterotrophen Nahrungsaufnahme zur Energiegewinnung bei Korallen bisher oft deutlich unterschätzt wurde. Der Grund dafür liegt in den gängigen Messmethoden.
Korallenriffe dienen Millionen Menschen als Lebensgrundlage – sei es durch Fischerei, Küstenschutz oder Tourismus. Doch die Klimakrise macht Korallenriffen weltweit zu schaffen. Kürzlich legten wissenschaftliche Berichte wie der Global Tipping Points Report nahe, dass diese wichtigen Ökosysteme bald einen Kipppunkt erreicht haben.
Wie Korallen sich resilienter gegen steigende Temperaturen und Versauerung in den Ozeanen entwickeln können, ist ein Thema der aktuellen Forschung. Dabei ist es wichtig zu verstehen, wie Korallen sich ernähren, welche Rolle die direkte Aufnahme von organischer Nahrung aus der Meeresumwelt (Heterotrophie) spielt und was die Algensymbionten der Koralle leisten.
Bislang wurde der heterotrophe Anteil an der Ernährung von Korallen vor allem über Kohlenstoffisotope im Gewebe der Korallen gemessen. Doch Forschende der University of Rhode Island und des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen konnten jetzt nachweisen, dass diese Methode allein kein vollständiges Bild der Nahrungsaufnahme liefert.
Denn der aufgenommene Kohlenstoff aus der heterotrophen Nahrung wird von der Koralle häufig nicht im Gewebe gespeichert, sondern wieder ausgeschieden oder schnell veratmet. Viel besser lassen sich hingegen Stickstoffisotope und bestimmte Fettsäuren als Marker nutzen. Diese Stoffe gelangen direkt in das Gewebe der Koralle und bleiben dort auch länger nachweisbar.
In ihren Experimenten, die Ende 2019 am Interuniversity Institute for Marine Sciences (IUI) in Eilat, Israel, durchgeführt wurden, arbeitete das Team mit der riffbildenden Steinkoralle Stylophora pistillata, einer häufig untersuchten Art, die in tropischen Riffen weit verbreitet ist.
Im Rahmen einer 22-tägigen Versuchsreihe wurde die Ernährungsweise dieser Art systematisch untersucht. Die Korallen wurden dabei unterschiedlichen Fütterungsszenarien ausgesetzt: Einige Kolonien wurden nicht gefüttert, andere zweimal pro Woche, andere sechsmal pro Woche und eine weitere Gruppe wurde zuvor gebleicht und anschließend intensiv gefüttert. Als Nahrung dienten frisch gezüchtete Larven von Salinenkrebsen (Zooplankton).
„Parallel dazu haben wir physiologische Parameter wie Photosyntheseleistung, Dichte der Algensymbionten, Chlorophyllgehalt, Wachstum und Proteinreserven gemessen, um die Auswirkungen der Fütterung sichtbar zu machen“, erklärt Marleen Stuhr vom ZMT.
+++Marker decken Nährstoffpfade auf+++
Methodisch wandten die Forschenden drei Messansätze an: Sie untersuchten die stabilen Isotope von Kohlenstoff und Stickstoff, führten eine Analyse von Fettsäureprofilen durch, und maßen unmittelbar, wie viel Futter die Korallen gefressen hatten.
„Durch diese Kombination konnten wir testen, welche Marker sich am besten eignen, um den Beitrag der heterotrophen Ernährung zu erfassen“, berichtet Erstautor Connor Love von der Universität Rhode Island in den USA.
Die Versuche ergaben, dass die Steinkoralle Stylophora pistillata ihre Nährstoffe aus dem Futter nicht gleichmäßig aufnimmt, sondern sehr selektiv. Stickstoff wird in wesentlich größerem Maße in das Gewebe eingebaut als Kohlenstoff. Kohlenstoff hingegen wird von der Koralle oft veratmet oder als Mukus wieder abgegeben.
„Somit unterschätzen viele herkömmliche Methoden, die sich auf die Analyse von Kohlenstoffisotope stützen, den tatsächlichen Anteil heterotropher Ernährung erheblich“, sagt Marleen Stuhr. „Gleichzeitig konnten wir verdeutlichen, dass Stickstoffisotope und bestimmte Fettsäure-Biomarker sehr verlässliche Indikatoren für Nahrungsaufnahme sind – und zwar sowohl in der Koralle als auch in den Symbionten.“
Damit werde klar, dass bisherige Standardmethoden nicht immer aussagekräftig seien und eine Kombination mehrerer Marker ein realistischeres Bild der Nahrungsaufnahme liefere.
„Wenn nur ein Teil der aufgenommenen Nährstoffe im Gewebe messbar ist, fällt ein wesentlicher Beitrag der Ernährung unter den Tisch“, erklärt Connor Love. „Indem wir robustere Marker wie Stickstoffisotope und Fettsäureprofile einsetzen, können wir künftig wesentlich genauer nachvollziehen, wie Korallen ihr Energiemanagement zwischen autotropher Photosynthese und heterotropher Nahrungsaufnahme ausbalancieren.“
Mit den getesteten Biomarkern lässt sich in experimentellen Studien, beim Monitoring oder der Riffrestauration besser beurteilen, ob und wie viele Nährstoffe die Korallen zusätzlich zur Photosynthese aufnehmen, um beispielsweise Stress zu kompensieren, so das Forschungsteam. Zudem ergaben die Versuche, dass das Füttern der Korallen für die direkte Nahrungsaufnahme zwar einige Parameter verbessern, die Folgen der Korallenbleiche aber nicht vollständig kompensieren konnte.
+++Was die Ergebnisse für den Schutz von Korallenriffen bedeuten+++
Die Studie zeigt, dass die bisher üblichen Methoden den Beitrag der heterotrophen Ernährung von Korallen deutlich unterschätzen. Damit besteht die Gefahr, dass die Widerstandsfähigkeit von Riffen in Ökosystemmodellen oder bei Restaurationsprojekten falsch eingeschätzt wird.
Die neuen Erkenntnisse sind wichtig, um zu verstehen, wie Korallen auf Umweltstress reagieren und in nährstoffarmen Meeresregionen überleben können. Bei steigenden Meerestemperaturen oder nach Korallenbleichen kann die Fähigkeit zur zusätzlichen Nahrungsaufnahme entscheidend sein. Durch ein besseres Verständnis ihrer Ernährungsstrategien lassen sich Vorhersagen über das Überleben von Korallen in der Klimakrise verbessern.
„Riffe sind hochkomplexe und produktive Ökosysteme, deren Stabilität maßgeblich von der Ernährung der einzelnen Korallen abhängt. Wenn Korallen in der Lage sind, durch verstärkte Heterotrophie Energie- und Nährstoffverluste zu kompensieren, können sie Stresssituationen, wie den Verlust ihrer Symbionten (Korallenbleiche) durch Hitzewellen, unter Umständen besser überstehen“, erläutert Marleen Stuhr. „Genauere Bewertungen der Riff-Resilienz stützen Entscheidungen in Küstenschutz, Fischerei und Tourismus.“
Connor Love ergänzt: „Für den Schutz der Riffe bedeutet unsere Studie zweierlei: Erstens sind Korallen wahrscheinlich stärker auf heterotrophe Ernährung angewiesen als bisher angenommen, was das Überleben der Riffe mit der Dynamik des Planktons im Ozean in Verbindung bringt. Zweitens haben wir eine zuverlässige Reihe von Biomarkern gefunden, die als wertvolles Instrument zur Bewertung des Ernährungszustands, der Widerstandsfähigkeit von Korallen und beim Monitoring von Riffen dienen können.“
Originalpublikation:
Love, C.R., Stuhr, M., Fox, M.D. et al. Selective nutrient incorporation may underestimate heterotrophy of a mixotrophic reef-building coral. Communications Biology 8, 1285 (2025). DOI: 10.1038/s42003-025-08621-8, https://doi.org/10.1038/s42003-025-08621-8

15.12.2025, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Klima beeinflusst Wettrüsten zwischen Ameisen und ihren Sozialparasiten
Der Konflikt zwischen Ameisenwirten und ihren Sozialparasiten wird maßgeblich vom Klima beeinflusst. Temperatur und Luftfeuchtigkeit bestimmen, wie sich die Ameisen verhalten, kommunizieren und sogar evolutionär verändern – wobei Wirte und Parasiten mit sehr unterschiedlichen genetischen Strategien reagieren. Zu diesem Ergebnis kommen zwei aktuelle Studien, in denen Forschende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums Verhaltensversuche mit modernen genomischen Analysen kombiniert haben.
Zwei neue Studien zeigen, wie das Klima Verhalten, Kommunikation und Genom-Evolution prägt – und so die Anpassung in einem lang anhaltenden Konflikt vorantreibt
Der Konflikt zwischen Ameisenwirten und ihren Sozialparasiten wird maßgeblich vom Klima beeinflusst. Temperatur und Luftfeuchtigkeit bestimmen, wie sich die Ameisen verhalten, kommunizieren und sogar evolutionär verändern – wobei Wirte und Parasiten mit sehr unterschiedlichen genetischen Strategien reagieren. Zu diesem Ergebnis kommen zwei aktuelle Studien, in denen Forschende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums Verhaltensversuche mit modernen genomischen Analysen kombiniert haben. „Die Unterschiede im Verhalten von Wirten und Parasiten lassen sich durch das Klima deutlich besser erklären als durch die Häufigkeit der Parasiten selbst“, sagt Prof. Dr. Susanne Foitzik, Seniorautorin beider Studien und Leiterin des Arbeitsbereichs Verhaltensökologie und Soziale Evolution am Institut für Organismische und Molekulare Evolution (iomE) der JGU.
In der ersten Studie, veröffentlicht im Journal of Evolutionary Biology, untersuchte das Team eine Parasitenart, die sogenannte „Sklavenhalter-Ameise“ Temnothorax americanus, und ihren Wirt Temnothorax longispinosus. Die Sozialparasiten dringen in die Nester der Wirte ein und stehlen deren Brut, um sie im Parasitenstaat später als Arbeiterinnen einzusetzen – eine außergewöhnliche Form dieser sozialen Ausbeutung. Die Forschenden untersuchten, wie sich das Verhalten und die chemische Kommunikation der Ameisen in unterschiedlichen Klimazonen unterscheiden. Der Vergleich von zehn natürlichen Populationen entlang eines tausend Kilometer langen Nord-Süd-Gradienten in den USA zeigte, dass das Klima den Konflikt stärker beeinflusst als die lokale Häufigkeit parasitischer Kolonien.
Unterschiede im Aggressionsverhalten
„Wirts- und Parasitenpopulationen unterscheiden sich in Aggression, Überfallaktivität und ihren chemischen Profilen – und diese Unterschiede folgen dem Temperatur- und Feuchtigkeitsgradienten“, erklärt Erstautor Dr. Erwann Collin, der kürzlich seine Promotion am iomE abgeschlossen hat. „In wärmeren und trockeneren Regionen zeigten Wirtsameisen eine geringere Aggressivität und transportierten ihre Brut häufiger weg, statt das Nest zu verteidigen. Sozialparasiten aus diesen Regionen waren stattdessen bei Überfällen aktiver und aggressiver.“ In kühleren, feuchteren Regionen im Norden zeigte sich das gegenteilige Muster: Wirte verteidigten ihre Nester energisch, während Parasiten vorsichtiger agierten.
Auch die chemische Kommunikation veränderte sich systematisch mit den lokalen Klimabedingungen. Dies betraf insbesondere die Zusammensetzung der kutikulären Kohlenwasserstoffe, also jener Wachsschicht auf der Ameisenoberfläche, die der Erkennung von Nestgenossen dient und vor Austrocknung schützt. Da alle Kolonien für ein ganzes Jahr unter identischen Laborbedingungen gehalten wurden, spiegeln diese Unterschiede nicht kurzfristige Umweltreaktionen, sondern langfristige evolutionäre Anpassungen wider.
Genetische Anpassungen an das Klima
Aufbauend auf diesen Ergebnissen untersuchte die zweite Studie, veröffentlicht in Molecular Biology and Evolution, die genetischen Grundlagen der klimabedingten Merkmalsunterschiede. Mithilfe modernster molekularer Methoden – darunter Ganzgenomsequenzierung und Transkriptomik, also die Analyse aktiver Gene – erforschte das Team, wie natürliche Selektion die Genome der Wirts- und Parasitenpopulationen entlang desselben Klimagradienten formt.
„Dabei haben wir ein ‚geografisches Mosaik der Koevolution‘ entdeckt: Parasitenpopulationen unterscheiden sich von Region zu Region stärker voneinander, als es bei den Wirten der Fall ist“, erklärt Erstautorin Dr. Maide Macit, die ebenfalls kürzlich an der JGU promoviert hat. „Trotz dieser Unterschiede zeigen die beiden verwandten Arten vergleichbare genetische Anpassungen an das Klima, insbesondere bei Genen für Stresstoleranz und Schutz vor Austrocknung.“ In ihrem Umgang mit dem Parasit-Wirts-Konflikt unterscheiden sich die Arten jedoch deutlich.
Bei den Wirtsameisen wirken evolutionäre Veränderungen vor allem auf Gene im Bereich der Signalübertragung und chemischen Wahrnehmung – Gene, die helfen, eindringende Parasiten zu erkennen und abzuwehren. Mehrere dieser Gene zeigen Anzeichen einer evolutionären Anpassung an den Sozialparasiten. Während diese Gene bei anderen Arten der Abwehr von Mikroben dienen, richten sie sich hier offensichtlich gegen einen völlig anderen Gegner – eine Ameise. Beim Parasiten hingegen zielt die Evolution auf regulatorische Gene, die steuern, wie Überfälle organisiert und ausgeführt werden.
Veränderte Abwehrstrategien
Genexpressionsanalysen – die zeigen, welche Gene zu einem Zeitpunkt aktiv sind – unterstreichen die unterschiedlichen Reaktionsweisen. „Bei den Wirten spiegelte die Genaktivität vor allem wider, wie häufig parasitische Kolonien in einer Region vorkamen; bei den Parasiten hingegen wurde sie deutlich stärker durch das lokale Klima beeinflusst“, erklärt Dr. Barbara Feldmeyer, Co-Seniorautorin der Studie und Forscherin am Senckenberg-Zentrum. „Außerdem fanden wir heraus, dass die Variation in den chemischen Profilen nicht nur mit genetischen Unterschieden in den Enzymen zusammenhängt, die diese Verbindungen herstellen, sondern auch mit Veränderungen in Geruchsrezeptor-Genen. Diese codieren Proteine, die es Ameisen ermöglichen, chemische Signale wahrzunehmen.”
Das zeigt, wie wichtig chemische Kommunikation und Erkennung in diesem Konflikt sind – und dass die Evolution immer wieder genau an diesen Merkmalen ansetzt, wenn sich Wirte und Parasiten gegenseitig anpassen.
Zusammen verdeutlichen die beiden Studien in bislang einmaliger Breite, wie stark Klima und biologische Konflikte die Evolution von Arten prägen – und das in sehr unterschiedlichen Lebensräumen. „Wirt-Parasit-Systeme sind klassische evolutionäre Wettrüsten“, sagt Susanne Foitzik. „Da beide Arten auf chemische Kommunikation angewiesen sind, bietet ihr Zusammenspiel einen idealen Rahmen für zukünftige Studien zur molekularen Koevolution.“
Originalpublikation:
E. Collin et al., Climate and parasite pressure jointly shape traits mediating the coevolution between an ant social parasite and its host, Journal of Evolutionary Biology, 3. November 2025,
DOI: 10.1093/jeb/voaf129,
https://doi.org/10.1093/jeb/voaf129
M. N. Macit et al., Genomic Signatures of Selection Across Climate Gradients and a Geographic Mosaic of Coevolution in an Ant Social Parasite–Host System, Molecular Biology and Evolution, 11. November 2025,
DOI: 10.1093/molbev/msaf293,
https://doi.org/10.1093/molbev/msaf293

17.12.2025, Universität Leipzig
Wie Menschen Tiere sehen: Sie denken und fühlen – aber nicht wie wir
Haben Tiere Gedanken und Gefühle? Von der Beantwortung dieser Frage hängt nicht zuletzt ab, wie empathisch und rücksichtsvoll Menschen mit Tieren umgehen. Ein internationales Team unter der Leitung Leipziger Forschender hat nun herausgefunden, dass sich Menschen aus verschiedenen kulturellen Kontexten in dieser Frage überraschend einig sind: Viele Erwachsene und Kinder nehmen zwar an, dass Tiere grundsätzlich denken und fühlen können, sie schreiben ihnen aber keine menschenähnlichen Gedanken zu.
Ein Großteil der bisherigen psychologischen Forschung zum menschlichen Blick auf Tiere nahm Personen aus westlichen Gesellschaften in den Fokus. Die Wissenschaftler:innen der Arbeitsgruppe „Kinder und Natur“ des Leipzig Labs an der Universität Leipzig und am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) wählten für ihre großangelegte Studie einen kulturvergleichenden Ansatz: Sie bezogen Menschen verschiedenen Alters aus verschiedenen gesellschaftlichen und sozio-kulturellen Kontexten ein. Für die Studie fragten sie mehr als 1.000 Kinder (4 bis 17 Jahre) und knapp 200 Erwachsene aus 33 Gemeinschaften in 15 Ländern, inwieweit Tiere ihrer Ansicht nach fühlen und denken können.
Glaube an die Einzigartigkeit menschlichen Denkens
Die weitgehend ähnlichen Einschätzungen überraschten die Forscher:innen, erklärt Prof. Dr. Katja Liebal von der Universität Leipzig, die die Studie gemeinsam mit der Erstautorin Karri Neldner sowie Prof. Dr. Daniel Haun vom MPI-EVA leitete. Die meisten Menschen zeigten sich in der Befragung überzeugt, dass Tiere zwar grundsätzlich zu Gedanken und Gefühlen fähig seien, ihre Gedanken sich aber grundsätzlich vom Denken des Menschen unterscheiden würden. Weniger einheitlich fielen die Einschätzungen dazu aus, ob Tiere menschenähnliche Gefühle haben können.
Auch wenn die Stichprobengröße nicht ausreiche, um die Ergebnisse für alle Menschen zu verallgemeinern, sehen die Forschenden in den Daten Hinweise auf eine grundlegende menschliche Überzeugung: Was Menschen als trennend zwischen sich und anderen Tieren ansehen, ist vor allem das Denken. Menschen verstehen sich als mental einzigartig.
Folgen für den Umgang mit Tieren
„Der Glaube an die Einzigartigkeit menschlichen Denkens entsteht früh im Leben und bleibt über die gesamte Lebensspanne stabil“, erklärt Neldner. Diese Einschätzung habe wichtige Implikationen für den Umgang mit anderen Lebewesen: „Die den Tieren zugeschriebenen geistigen Fähigkeiten bestimmen auch ihren moralischen Status. Menschen können somit rechtfertigen, Tiere als Nahrung, Medizin oder zur Unterhaltung zu nutzen.“
Gleichzeitig würden Tierarten, die als empfindungsfähig oder menschenähnlich wahrgenommen würden, überproportional viel Schutz, Spenden und politische Unterstützung erhalten. „Das ist vor allem in Bezug auf das Artensterben und den Biodiversitätsverlust besonders problematisch: Insekten, die davon stark betroffen sind, erfahren sehr viel weniger Aufmerksamkeit und Interesse als Säugetiere, die jedoch nur einen Bruchteil der Artenvielfalt ausmachen“, so Liebal.
Darüber hinaus stellten die Forschenden fest, dass die befragten Kinder und Jugendlichen aus städtischen Gemeinden Tieren häufiger Gedanken und Gefühle zuschreiben als Gleichaltrige aus ländlichen Gebieten. Gründe dafür könnten sein, dass Kinder in Städten häufiger mit menschenähnlichen Darstellungen von Tieren konfrontiert sind, oder dass Kinder auf dem Land häufiger gefährlichen, schädlichen oder als Nutztiere gehaltenen Tieren begegneten, was emotionale Distanz fördern könne.
Für die Studie hatte das Forschungsteam eine ungewöhnliche Befragungsmethode gewählt: Anders als in vielen psychologischen Studien üblich, führten nicht Wissenschaftler:innen die Interviews, sondern Menschen aus den jeweiligen kulturellen Kontexten und Gemeinschaften. Diese waren vorher in der Interviewführung und -auswertung ausgebildet worden. Die Interviews wurden im Anschluss übersetzt, verschriftlicht und von den Forschenden sowohl qualitativ als auch quantitativ ausgewertet. „Auch wenn der Studienverlauf sehr viel weniger kontrolliert war, als wenn wir Teilnehmende in ein Labor eingeladen hätten, sind wir davon überzeugt, dass die dadurch erhaltenen Daten viel wertvoller sind, da sie im jeweiligen kulturellen Kontext entstanden sind“, so Liebal.
Originalpublikation:
Originaltitel der Publikation im Journal of Environmental Psychology:
“Children and adults across 15 countries believe in human uniqueness of mind: a cross-cultural investigation of cross-species mind perception”, doi: 10.1016/j.jenvp.2025.102861 https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0272494425003445

17.12.2025, Universität Zürich
Junge Haiarten sterben häufiger aus als alte
Bei den heutigen Haien und Rochen sind junge Arten, die seit weniger als 4 Millionen Jahren existieren, stärker vom Aussterben bedroht als ältere Arten. Dies haben Forschende unter der Leitung der Universität Zürich anhand von Fossilien aus den letzten 145 Millionen Jahren herausgefunden. Neben Umweltfaktoren ist somit auch das evolutionäre Alter zentral für das Überleben dieser Tiere.
Ob eine Art gerade erst entstanden ist oder schon Millionen von Jahren existiert, sagt nichts über ihre Gefährdung aus. Dies war bislang die Vermutung zum Aussterberisiko einer Tierart. Diesen Ansatz hat nun eine Studie unter der Leitung der Universität Zürich (UZH) zumindest für Haie und Rochen widerlegt: Junge Arten sterben mit Abstand am häufigsten aus, zeigten sie in einer neuen, internationalen Studie.
Das Team untersuchte dazu weltweit registrierte Daten von über 20’000 fossilen Funden seit der Kreidezeit und rekonstruierten mit neuen, innovativen Messmethoden für jedes Fossil der rund 1500 Arten das Entstehungs- und Aussterbealter. «Dabei interessierte uns besonders, wann in den letzten 145 Millionen Jahren besonders viele neue Arten entstanden respektive verschwunden sind, und wie sich dies erklären lässt», fasst Erstautorin Kristína Kocáková vom Paläontologischen Institut der UZH zusammen.
Bisher unbekannte Aussterbeereignisse entdeckt
Dass sich die Hai- und Rochenarten (Neoselachii) beim ersten Massenaussterben der Dinosaurier an der Grenze von der Kreidezeit ins Paläogen vor rund 66 Millionen Jahren stark reduzierten, war für die Forschenden nicht überraschend. «Wir haben jedoch andere, bisher unbekannte Aussterbeereignisse entdeckt. Nach vielen – etwa am Ende der Kreidezeit –, entstanden jedoch neue Arten», erklärt Catalina Pimiento Hernandez, Professorin für Paläobiologie an der UZH. «Bemerkenswert ist jedoch, dass dies nach jüngeren Ereignissen nicht mehr in diesem Masse geschah. Das Aussterben vor rund 30 Millionen Jahren war mit Abstand das folgenschwerste, weil danach kaum neue Arten dazukamen», so die Letztautorin.
Hohes Aussterberisiko für junge Arten
Und es zeigte sich ein erstaunlich klares Muster über den gesamten Zeitraum der letzten 145 Millionen Jahre: Evolutionär junge Arten starben durchwegs häufiger aus als ältere – unabhängig davon, ob das Aussterben durch einen Asteroideneinschlag oder andere Ursachen verursacht wurde. «Gab es eine Art erst seit etwa 4 Millionen Jahren, war sie anfälliger als eine, die seit 20 Millionen Jahren existierte. Letztere blieben erstaunlich stabil», sagt Kocáková.
Schutz der heutigen Arten wichtig
Die Studie zeigt, dass die heutigen Haie und Rochen die Überlebenden einer langen Geschichte voller Höhen und Tiefen sind – darunter mehrere Aussterbeereignisse, von denen man bisher nichts wusste. Und die Daten belegen, dass in den letzten 40 bis 50 Millionen Jahren nicht genügend neue Arten aufgetaucht sind, um diese Verluste auszugleichen. Zudem erläutert die Studie, dass das Alter einer Art ein guter Prädiktor für das Aussterberisiko im Laufe der Evolution ist.
«Die modernen Haie und Rochen haben bereits viel evolutionäres Potenzial verloren und sind nun zusätzlich dem Druck durch den Menschen ausgesetzt. Das Wissen um ihre Vergangenheit hilft uns zu erkennen, wie wichtig es ist, diejenigen Arten zu schützen, die wir heute noch haben», sagt Dr. Daniele Silvestro, Mitautor dieser Studie und einer der Entwickler der verwendeten Methoden.
Literatur
Kristína Kocáková et al. Global extinction events and persistent age-dependency in sharks and rays over the past 145 million years. 17. December 2025, Proceedings B. DOI: 10.1098/rspb.2025.2272

18.12.2025, Veterinärmedizinische Universität Wien
Jaguar-Genetik: Drei Gruppen mit reduzierter Vielfalt identifiziert
Eine internationale Forschungsgruppe unter Leitung des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni (FIWI) hat mithilfe moderner und historischer Genomdaten erstmals klar gezeigt, dass Jaguare in drei geografisch und genetisch unterscheidbaren Populationen vorkommen: Zentralamerika sowie südamerikanische Tief- und Hochländer. Die Analyse umfasst 25 Individuen und kombiniert das gesamte Genom mit wichtigen Immungenen, um die Anpassungsfähigkeit und Gesundheit der Populationen besser zu verstehen.
Die Studie belegt eine klare Trennung der Jaguar-Populationen in Zentralamerika sowie in südamerikanische Tiefland- und Hochlandgebiete. Diese Struktur zeigt sich sowohl im gesamten Genom als auch im Immungenom: In separaten Analysen der angeborenen und adaptiven Immungen-Regionen bleiben die drei Gruppen erkennbar, wobei die innerhalb der Hochland-Population beobachtete Immungenom-Variabilität besonders niedrig ist. „Die genetische Trennung ist kein Selbstzweck. Sie zeigt, dass wir den Artenschutz regional zuschneiden müssen – mindestens eine ESU‑Trennung (Evolutionarily Significant Unit*) zwischen Zentral- und Südamerika, um einzigartige Vielfalt zu sichern,“ sagt Studien-Erstautor René Meißner vom FIWI der Veterinärmedizinischen Universität Wien.
Zugleich weisen moderne Jaguare insgesamt geringere genetische Vielfalt und erhöhte Inzuchtwerte auf als historische Tiere. Besonders niedrige Inzucht findet sich im südamerikanischen Tiefland, während die Hochland-Population die geringste Immungenom-Vielfalt zeigt. Laut den Forscher:innen sind die geringere genetische Vielfalt und die höheren Inzuchtwerte bei modernen Jaguaren im Vergleich zu historischen Tieren besorgniserregend. „Besonders im Hochland ist die Vielfalt in Immungenen reduziert, während das Tiefland die niedrigste Inzucht zeigt – ein Muster, das wir mit fragmentierten Lebensräumen und eingeschränktem Austausch in Verbindung bringen,“ so Meißner weiter.
Artenschutz gezielt ausrichten
Die genetische Differenzierung zwischen Zentral- und Südamerika erreicht Werte, die bei anderen Großkatzen als Grundlage für die Einteilung in unterschiedliche Schutz- oder Untereinheiten dienen, und untermauert den Vorschlag, evolutionär bedeutsame Einheiten (ESUs) neu festzulegen. „Damit wir die Anpassungsfähigkeit und aktuelle genetische Situation noch präziser beurteilen können, brauchen wir zusätzliche moderne Proben – vor allem aus Zentralamerika und dem südamerikanischen Tiefland. Das ist entscheidend, um wirksame, regionsspezifische Schutzpläne zu entwickeln,“ betont Studien-Letztautorin Pamela Burger.
Ohne die Anerkennung klarer genetischer Einheiten wirkt die Art nach außen hin einheitlich. Dadurch können regionale Rückgänge und der Verlust einzigartiger genetischer Vielfalt übersehen werden – mit Folgen für die langfristige Anpassungsfähigkeit und das Überleben der Art. Entwaldung, Wilderei und die Zerschneidung von Lebensräumen setzen den Großkatzen massiv zu und verringern den Austausch zwischen Populationen, besonders in Zentralamerika und Teilen Brasiliens.
Originalpublikation:
Der Artikel „Unraveling genome- and immunome-wide genetic diversity in modern and historical Jaguars” von René Meißner, Sven Winter, Jean Pierre Elbers, Martin Plášil, Ján Futas, Elmira Mohandesan, Muhammad Bilal Sharif, Petr Horin, Stefan Prost und Pamela Burger wurde in Genome Biology veröffentlicht. https://link.springer.com/article/10.1186/s13059-025-03868-0

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