Okay, das ist nicht besonders wissenschaftlich… und so geht es auch nicht weiter.
28.07.2025, Ruhr-Universität Bochum
Citizen-Science-Projekt: Katzenvideos machen für die Forschung
Die Körpersprache von Katzen besser verstehen – das ist Ziel eines groß angelegten Citizen-Science-Projekts, das die Ruhr-Universität Bochum gemeinsam mit Partnern aus Italien, der Türkei und Kanada durchführt. Dazu suchen die Forschenden Personen, die kurze Videoclips ihrer Katzen aufnehmen.
Wer mitmachen möchte, findet weitere Infos online unter https://survey.ruhr-uni-bochum.de/index.php/127734?lang=de.
Teilnehmende müssen zunächst einen kurzen Fragebogen über ihre Katze und die Beziehung zu dem Tier ausfüllen. Anschließend sind sie aufgerufen, an fünf aufeinanderfolgenden Tagen kurze Videoclips der Tiere in bestimmten Situationen aufzunehmen. Die Forschenden interessieren sich dafür, wie die Katze den Schwanz bei der Begrüßung hält, auf welcher Seite sie schläft und wie sie ihre Pfoten einsetzt, um Leckerchen aus einem Versteck zu angeln. Eine detaillierte Anleitung, welche Videos benötigt werden, stellen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler online bereit.
„Wir würden uns sehr freuen, wenn viele Katzenbesitzer*innen uns bei der Studie unterstützen“, sagt Patrick Reinhardt von der Ruhr-Universität Bochum. „Dazu sind keine Vorkenntnisse nötig, und einfache Handyvideos reichen aus.“
29.07.2025, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
Klimawandel lässt Murmeltiere vorerst kalt
Murmeltiere leben heute höher als vor 40 Jahren – ihr Lebensraum hat sich durch den Klimawandel aber nicht grundlegend verschoben.
– Murmeltiere leben im Dischmatal heute im Schnitt 86 Meter höher als 1982, bleiben aber unterhalb der bekannten Obergrenze von 2700 m. Klimawandel allein erklärt die Verschiebung nur teilweise.
– Bodentiefe, Schneedecke und Nahrungspflanzen sind entscheidende Faktoren, warum sich die meisten Tiere aktuell auf rund 2500 m Höhe konzentrieren.
– Der Lebensraum schrumpft, weil die Baumgrenze steigt, Murmeltiere aber offene Flächen brauchen und nicht weiter in die Höhe ausweichen können.
Murmeltiere ziehen wegen des Klimawandels um – aber nicht weit. Das geht aus einer aktuellen Studie der SLF-Biologin Anne Kempel hervor. Sie hat untersucht, in welcher Höhe sich Murmeltiere derzeit überwiegend aufhalten, und ihr Ergebnis mit Daten aus dem Jahr 1982 verglichen. Ihre Vermutung: Wegen der vom Klimawandel verursachten, wärmeren Temperaturen wandern die Tiere in die Höhe. «Das stimmt so aber nur bedingt», sagt die Forscherin.
Tatsächlich lebt die Mehrheit der von ihr im Dischmatal bei Davos beobachteten Tierfamilien rund 86 Meter weiter oben als noch vor 42 Jahren, auf rund 2500 m.ü.M.. Dort sind die Bedingungen für die Murmeltiere offenbar optimal, folgert Kempel. «Aber die absolute Obergrenze hat sich nicht verschoben», erklärt sie. Bei 2700 m.ü.M. ist Schluss. Das war schon 1982 so.
Lebensraum hängt von mehreren Faktoren ab
«Andere Faktoren spielen wohl eine wichtigere Rolle als die wärmeren Temperaturen», erläutert Kempel. Zu weit oben fänden die Tiere keinen Boden, in den sie ihre weitverzweigten Bauten graben könnten. Zudem benötigen sie während des Winterschlafs eine möglichst dicke Schneedecke, die den Boden gegen die Kälte isoliert. «Das Maximum dieser Parameter haben wir genau dort, wo jetzt die meisten Gruppen leben», sagt die Biologin.
Hinzu kommt, dass Pflanzen mit Linolsäure wichtiger Bestandteil der Nahrung sind. Diese ungesättigte Fettsäure reguliert die Körpertemperatur im Winter. «Diese Pflanzen könnten ihr Verbreitungsgebiet leicht in die Höhe verschoben haben», vermutet Kempel.
Kempel und ihr Team haben die selben Methoden verwendet, wie ihre Vorgänger 1982. Für jeweils ein bis zwei Stunden haben sie mit Fernrohr und Fernglas 25 Flächen an den Hängen des Dischmatals beobachtet und Murmeltiere gezählt. Statistische Computermodelle haben dann den wahrscheinlichen Bestand hochgerechnet – und kamen zu dem erstaunlichen Ergebnis.
Klimastress und steigende Baumgrenze bedrohen den Lebensraum
Ihre Beobachtung gilt allerdings nur für die Region Davos und unter Umständen vergleichbare Gegenden. «Für andere Lagen fehlen uns historische Daten», sagt Kempel. In niedrigeren Teilen der Alpen könnte es für die Tiere eng werden. Denn ab 25 Grad Celsius leiden sie unter Hitzestress. Dann verziehen sie sich tagsüber lange in ihre Bauten und fressen sich daher weniger Fett für den Winter an – mit tödlichen Folgen in der kalten Jahreszeit.
Langfristig könnte das auch in der Höhe ein Problem werden. Denn auch dort wird es immer wärmer. «Aber noch haben wir im Dischmatal im Schnitt nur sechs Tage pro Jahr mit mehr als 25 Grad, das sind zu wenige für negative Auswirkungen», beruhigt Kempel.
Enger ist es dennoch bereits geworden. Denn die Baumgrenze verschiebt sich langsam aber kontinuierlich nach oben. «Murmeltiere bevorzugen aber offene Lebensräume, im Wald kommen sie nicht zurecht, und da sie nicht weiter in die Höhe ausweichen, wird ihr Lebensraum kleiner», erklärt Kempel.
Originalpublikation:
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ece3.71777
30.07.2025, Deutsche Wildtier Stiftung
So wird der Garten klimafit: drei Tipps von der Deutschen Wildtier Stiftung
Hitzewellen oder Starkregen, staubtrockene Böden oder Überschwemmungen – Wetterextreme treffen Deutschland immer häufiger. Auch Gärten bleiben davon nicht verschont. „Die durch den Klimawandel bedingten Wechsel zwischen extremer Nässe und Trockenheit machen Pflanzen und Wildtieren im Garten zu schaffen“, sagt Alice Kracht, Artenschützerin bei der Stiftung. „Hitzeperioden lassen viele Pflanzen vertrocknen. Dadurch verlieren zum Beispiel Insekten, die auf Blüten oder Blätter angewiesen sind, ihre Nahrung.“ Aber auch zu viel Wasser kann dem Garten schaden, erklärt Kracht: „Starker Regen kann zu Bodenerosion führen, und Staunässe begünstigt bei manchen Pflanzen Wurzelfäule.“ Aber Gärtnerinnen und Gärtner sind den Wetterextremen nicht hilflos ausgeliefert. Die folgenden drei Maßnahmen helfen, den Garten vor Wetterextremen zu schützen.
Bei der Bepflanzung auf Vielfalt setzen Eine vielfältige Pflanzenauswahl macht den Garten widerstandsfähiger und senkt das Risiko, dass Extremwetter viele Pflanzen gleichzeitig schädigt. „Dabei sind heimische Arten die beste Wahl für einen naturnahen und anpassungsfähigen Garten. Sie sind meist robuster als Zierpflanzen und wertvoll für die Artenvielfalt“, sagt Artenschützerin Kracht.
Für sonnige und trockene Orte eignen sich zum Beispiel Wiesensalbei, Oregano, Skabiosen-Flockenblumen, Gewöhnlicher Natternkopf oder Wilde Möhre. Sie sind trockenheitsresistent und bieten Wildbienen und anderen Insekten reichlich Nahrung. Tiefwurzelnde Pflanzen wie Königskerzen und Disteln sind besonders vorteilhaft, weil sie noch an Wasser gelangen, wenn die oberen Erdschichten ausgetrocknet sind. Gleichzeitig schützen ihre Wurzeln den Boden vor Erosion.
Blutweiderich, Gewöhnlicher Wasserdost, Frauenmantel oder Mädesüß kommen gut mit feuchten Standorten zurecht und überstehen auch langanhaltende Regenfälle.
Abwechslungsreiche Strukturen schaffen Wachsen im Garten unterschiedlich hohe Pflanzen, entsteht ein Mikroklima mit kühleren, feuchteren Zonen. Große Pflanzen schützen kleinere, und Tiere finden an heißen Tagen Rückzugsorte.
Bäume spenden wertvollen Schatten und kühlen durch Verdunstung über ihre Blätter die Umgebung. Mit ihren Wurzeln lockern sie den Boden auf – so kann Wasser besser versickern.
Gartenteiche sorgen in heißen Sommern für ein angenehmeres Klima und dienen Insekten und anderen Tieren als Trinkstelle.
Laub- und Totholzhaufen bieten Insekten, Reptilien und Säugetieren zusätzlichen Schutz und speichern ebenfalls Feuchtigkeit.
Boden schützen und Wasser speichern „Offene Bodenflächen trocknen schnell aus und werden steinhart, sodass Regen nicht gut versickern kann“, warnt Kracht. Sie empfiehlt: „Eine Mulchschicht aus Laub oder Gehölzhäckseln reduziert die Verdunstung und schützt gleichzeitig die oberste Bodenschicht vor Abtragung bei Starkregen.“ Organische Substanzen wie Kompost, die in die Erde eingearbeitet werden, verbessern die Bodenstruktur und erhöhen die Wasserspeicherfähigkeit.
Wer Regenwasser in Regentonnen oder Zisternen sammelt, kann es in Trockenzeiten nutzen. „Wichtig ist, dass diese Speicher keine Fallen für Wildtiere werden“, sagt Kracht. „Sie sollten mit Netzen abgedeckt werden. Ausstiegshilfen wie Bretter oder Stöcke retten Igeln, Gartenschläfern und Amphibien das Leben, sollten sie dennoch hineinfallen.“
Weitere Tipps zur naturnahen Gartengestaltung finden Sie auf www.Wildtiergarten.de.
31.07.2025, Humboldt-Universität zu Berlin
Gemeinsam klüger: Große Fischschwärme treffen bessere Entscheidungen
Freilebende Fischgruppen erkennen Gefahren schneller und reagieren treffsicherer, je größer sie sind
Wenn ein Raubvogel angreift, zählt für Fische jede Sekunde: abtauchen oder bleiben? Eine falsche Entscheidung kann tödlich enden – entweder, weil sie zu spät kommt oder weil eine Bedrohung fälschlich als harmloses Geräusch gewertet wird. Eine Studie von Forschenden des Exzellenzclusters „Science of Intelligence“ (SCIoI) sowie der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) zeigt nun, dass größere Fischschwärme solche Entscheidungen nicht nur schneller, sondern dass sie auch bessere Entscheidungen treffen können. Die Ergebnisse, die soeben in der renommierten Fachzeitschrift Science Advances erschienen sind, liefern den bislang ersten unter natürlichen Bedingungen erbrachten Nachweis, dass große Tiergruppen zwei klassische Zielkonflikte überwinden können: echte Gefahren erkennen, ohne auf jede Störung zu reagieren und schnelle Entscheidungen treffen, ohne dabei an Genauigkeit zu verlieren.
Blitzschnelle Entscheidungen mit tausenden Beteiligten
Für ihre Studie untersuchten die Verhaltensbiologen Korbinian Pacher vom IGB und Prof. Dr. Jens Krause vom Albrecht Daniel Thaer – Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften sowie weitere Kollegen von der HU Schwärme von Schwefelfischen (Poecilia sulphuraria), die in den heißen, schwefelhaltigen Quellen des Flusses El Azufre im mexikanischen Bundesstaat Tabasco leben. Dort herrschen extreme Bedingungen: Sauerstoffmangel, hohe Temperaturen und Raubvögel wie Eisvögel oder Kiskadees, die die Fische regelmäßig jagen. Die kollektive Abwehrstrategie der Schwefelfische ist besonders interessant: Sobald ein Schwarm eine potenzielle Gefahr wahrnimmt, tauchen die Fische synchron ab und erzeugen dabei nach außen sichtbare Wellenmuster auf der Wasseroberfläche – wie La-Ola-Wellen. Handelt es sich tatsächlich um einen Angriff, folgt eine Serie weiterer „Wellen-Tauchgänge“. Ist der Reiz harmlos, bleibt es bei einem einmaligen Abtauchen. Für die Forschenden war dieses Verhalten ein Glücksfall – denn es erlaubt erstmals einen präzisen Blick darauf, wie Tiergruppen Entscheidungen über potenzielle Gefahren treffen.
Gefahr erkennen – im Team
Bei über zweihundert dokumentierten Ereignissen verglichen die Forschenden das Verhalten der Schwärme bei echten Angriffen und bei harmlosen Vogelüberflügen. Ihr Fokus lag dabei auf dem Kiskadee, einem besonders schwer zu erkennenden Räuber: Statt mit lautem Eintauchen attackiert er im Flug, wobei nur der Schnabel kurz das Wasser berührt, was optisch kaum von harmlosen Bewegungen anderer Vögel zu unterscheiden ist. Das Ergebnis: Größere Schwärme konnten deutlich besser zwischen realer Gefahr und Fehlalarm unterscheiden. Während die Reaktionen auf echte Bedrohungen mit der Gruppengröße zunahmen, blieben die Reaktionen auf harmlose Reize konstant. Die Schwärme wurden also nicht sensibler, sondern präziser. Eine echte Qualitätssteigerung in der Entscheidungsfindung.
„Wir wissen seit Langem, dass Tiergruppen beeindruckende kollektive Entscheidungen treffen können“, sagt Studienleiter Korbinian Pacher, Doktorand am IGB. „Aber theoretische Modelle und Laborexperimente bringen uns bei der Erforschung dieses Phänomens nur begrenzt weiter. Uns hat interessiert, ob kollektive Intelligenz auch dort funktioniert, wo sie wirklich zählt, nämlich unter chaotischen, lauten, echten Umweltbedingungen.“
„Kollektives Entscheidungsverhalten unter Bedingungen zu untersuchen, bei denen eine falsche Entscheidung echte Konsequenzen hat, das ist im Labor kaum möglich, genau deshalb war es so wichtig, mit dieser Frage zurück ins Feld zu gehen“, ergänzt Jens Krause, ebenfalls Autor der Studie und Professor für die Biologie und Ökologie Fische an der HU sowie Leiter der Abteilung „Biologie der Fische, Fischerei und Aquakultur“ am IGB.
Nicht nur größer, sondern auch klüger
In der Entscheidungstheorie geht man oft von einem Dilemma aus: Wer schnell reagiert, macht mehr Fehler. Wer zu lange zögert, verpasst die Chance zur Flucht. Doch die Schwefelfisch-Schwärme wurden nicht nur genauer, sie wurden auch schneller. Je größer der Schwarm, desto kürzer die Zeitspanne zwischen dem ersten Abtauchen und der kollektiven Entscheidung zur weiteren Verteidigung. „In den größten Schwärmen waren die Erkennungsraten fast perfekt, nahezu 100 Prozent der Kiskadee-Angriffe wurden korrekt identifiziert“, sagt Korbinian Pacher. „Das wäre für einen Einzelfisch schlicht unmöglich.“
Von Fischschwärmen zu Menschenmengen
Bisherige Modelle erklären Gruppenentscheidungen oft mit sogenannten Quorum-Regeln: Ein Tier reagiert erst, wenn eine bestimmte Zahl an Artgenossen ebenfalls reagiert. Doch bei Schwärmen mit zehntausenden oder gar hunderttausenden Fischen ist es unwahrscheinlich, dass jedes Tier alle anderen beobachtet. Stattdessen vermuten die Forschenden einen selbstorganisierten, komplexeren Mechanismus. „Man kann sich diese Fischschwärme fast wie ein neuronales Netzwerk vorstellen“, so Pacher. „Sie könnten in einem Zustand operieren, den wir ‚Kritikalität‘ nennen – ein Zustand, der in großen Systemen wie dem Gehirn oder auch Menschenmengen die Informationsverarbeitung optimiert.“ Ein besseres Verständnis solcher Gruppenprozesse könnte nicht nur biologische, sondern auch künstliche Systeme inspirieren: von Robotik bis Schwarmintelligenz. Und es hilft, eine der grundlegendsten Fragen der Evolutionsbiologie zu beantworten: Warum leben Tiere überhaupt in Gruppen?
Ein Fenster in die natürliche Intelligenz
Die Studie liefert überzeugende Hinweise darauf, dass Tiergruppen unter realen Bedingungen mehr sind als die Summe ihrer Teile. Indem sie individuelle Informationen schnell und präzise zusammenführen, zeigen Schwärme wie die der Schwefel Mollys, wie kollektive Intelligenz in der Natur funktioniert, und sich in Form eines evolutionären Überlebensvorteils auszahlt. „Für mich ist das Faszinierendste, dass wir hier echte kollektive Kognition in freier Wildbahn beobachten konnten“, sagt Pacher. „Diese Fische lösen gemeinsam ein verdammt schwieriges Problem – und sie machen das besser, als wir es für möglich gehalten hätten.“
Originalpublikation:
Korbinian Pacher et al., Better and faster decisions by larger fish shoals in the wild.Sci. Adv.11,eadt8600(2025). https://doi.org/10.1126/sciadv.adt8600
30.07.2025, Universität Konstanz
Der schiefe Fischkopf und das Rätsel seiner Gene
Welche genetischen Faktoren können die Symmetrie eines Tierkörpers brechen? Ein Konstanzer Forschungsteam um Evolutionsbiologen Axel Meyer erforschte diese Frage anhand eines Buntbarsches, dessen Kopf entweder einseitig nach links oder rechts gebogen ist. Ihre Ergebnisse zeigen, wie eng Verhaltenspräferenzen und Gene zusammenhängen.
Fast alle Tiere haben symmetrische Körper: Schauen wir uns unsere linken und rechten Körperhälften an, dann stellen wir fest, dass die Gliedmaßen, Augen und Ohren jeweils gleichmäßig entlang der Achse angeordnet sind, die mitten durch den Körper geht. Diese bilaterale Symmetrie ist fast universell in allen Tieren und wird nur sehr selten gebrochen – man denke an fünfarmige Seesterne oder an Krabbenarten, die eine große und kleine Schere haben. Ein eindrückliches Beispiel für gebrochene Symmetrie ist der Buntbarsch Perissodus microlepis, der einzig im Tanganjikasee in Afrika beheimatet ist. Sein Kopf und insbesondere sein Maul sind seitlich in eine Richtung verschoben, entweder nach links oder nach rechts. Er hat sozusagen einen dauerhaft „schiefen Kopf“, was aber, erstaunlicherweise, bei der Jagd von Vorteil ist. Warum das so ist und welche Gene dafür verantwortlich sind – das erforschten der Konstanzer Evolutionsbiologie Axel Meyer und sein Team mit umfangreichen Analysen des Genoms. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts, das von der Hector Fellow Academy gefördert wurde, wurden nun in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht.
Der Buntbarsch Perissodus microlepis ernährt sich ungewöhnlicherweise fast ausschließlich von den Schuppen anderer Fische: Er beißt sie den lebenden Tieren von deren Seite ab, indem er torpedoartig von hinten angreift und mit rückwärtsgebogenen Zähnen die Schuppen abraspelt. Dabei hat der Buntbarsch eine bevorzugte Angriffsrichtung, die jeweils seiner seitlich verschobenen Kopfform entspricht: Er attackiert die anderen Fische entweder bevorzugt von rechts oder von links, je nachdem, in welche Richtung sein Kopf verdreht ist.
In der Population des Buntbarschs pendelt das zahlenmäßige Verhältnis zwischen „Linksköpfern“ und „Rechtsköpfern“ etwa alle vier bis fünf Jahre, auf lange Sicht bleibt es aber konsistent bei etwa 50:50. Erstautorin Xiaomeng Tian hat dafür eine plausible Erklärung: „Wenn zum Beispiel die Population von Linksköpfern wächst, achtet ihre Beute verstärkt auf die häufiger attackierte Seite (in diesem Fall die rechte Seite der Beutefische), so dass wiederum Rechtsköpfer im Vorteil sind – und andersherum.“ Auf diese Weise setzt sich keine der Varianten dauerhaft als erfolgreicher durch und das Verhältnis pendelt um die 50:50 von Jahr zu Jahr im Tanganjikasee. „Das ist geradezu ein Paradebeispiel für eine seltene frequenzabhängige Selektion, bei der die häufigere Form im Nachteil ist“, schildert die Biologin.
Genetische Spurensuche
Doch auf welcher genetischen Grundlage basiert diese sehr ungewöhnliche, asymmetrische Kopfform? In einer umfangreichen Studie ging das Forschungsteam um Axel Meyer nun dem genetischen Rätsel um die durchbrochene Symmetrie nach. Sie untersuchten 102 Exemplare des Buntbarschs, führten umfangreiche Genomanalysen aller 102 Fische und pro Fisch eine Mikro-Computertomographie-Analyse zur 3D-Analyse seiner Morphologie durch. Auf diese Weise konnten sie im Genom 72 Regionen identifizieren, die mit der Ausbildung der asymmetrischen Kopfform zusammenhängen.
„Vorherige Studien legten nahe, dass es sich bei diesem Polymorphismus um ein einfaches Mendelsches Merkmal mit bimodaler Verteilung handelt. Unsere Untersuchungen zeigen aber, dass der Fall in Wirklichkeit komplexer ist: Nicht ein einzelnes Gen ist für die Asymmetrie verantwortlich, sondern eine Vielzahl an Genen, die im gesamten Genmaterial verteilt sind, haben jeweils einen kleinen messbaren Effekt“, erklärt Axel Meyer.
Was aber war zuerst da, die verschobene Kopfform oder die einseitige Präferenz im Jagdverhalten? Das gleicht der Frage nach der Henne und dem Ei. Erstautorin Xiaomeng Tian gibt eine Antwort: „Wahrscheinlich hat sich beides gemeinsam ausgebildet und sich in einer Wechselwirkung gegenseitig verstärkt“, vermutet die Konstanzer Evolutionsbiologin. Die bevorzugte Angriffsrichtung ist demnach ein Ergebnis von sowohl genetischen Ursachen als auch von verhaltensbezogenen Erfahrungen. Weitere Untersuchungen des Gehirns im Labor in Konstanz zeigen, dass die Richtungspräferenz im Jagdverhalten teils aus einem asymmetrischen Anschalten der Gene (Genexpression) auf der linken oder rechten Seite im Gehirn hervorgeht. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass sowohl morphologische als auch verhaltensbezogene Asymmetrien einen messbaren genetischen Anteil haben und eine gemeinsame – oder miteinander verbundene – genetische Basis aufweisen“, bestätigt Axel Meyer.
„Auf Grundlage unserer Studie kommen wir zu folgendem Fazit“, resümiert Xiaomeng Tian: „Erstens ist die Asymmetrie der Kopfform nicht durch ein einzelnes Gen bedingt, sondern durch 72 Regionen im Genom. Zweitens formt die einseitige Präferenz im Jagdverhalten des Buntbarschs die asymmetrische Morphologie seines Kopfes mit durch Entwicklungsplastizität – wobei die Gene wiederum einen Einfluss auf sein Verhalten haben. Somit konnten wir eine Wechselwirkung zwischen der Asymmetrie der Kopfform und des Verhaltens nachweisen, die sowohl eine genetische als auch verhaltensbiologische Komponente hat.“
Originalpublikation:
Xiaomeng Tian, Ming Li, Axel Meyer, Insights into the genetic basis of bilateral head asymmetry in a scale-eating cichlid fish, published in Science Advances on 30. July 2025
DOI: 10.1126/sciadv.adw4406