Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

23.06.2025, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Große Mausohren haben ein Lek-Paarungssystem
Im Dunkeln alter Dachstühle spielen sich unerwartet romantische Szenen ab: Männchen des Große Mausohren (Myotis myotis), die größte einheimische Fledermausart, konkurrieren um die Gunst der Weibchen – mit komplexen Vokalisationen und viel Geduld. Eine neue Studie des Museums für Naturkunde, publiziert in der Fachzeitschrift Annals of the New York Academy of Sciences, liefert umfassende Einblicke in das Paarungsverhalten dieser Fledermäuse und zeigt, dass das Große Mausohr ein für Fledermäuse bisher selten beschriebenes Lek-Paarungssystem aufweist. Dabei handelt es sich um einen Verbund von Männchen, die gemeinsam und doch in Konkurrenz zueinander auf Partnersuche gehen.
Im Rahmen ihrer Doktorarbeit beobachtete Lisa Printz das Verhalten von über 70 Großen Mausohr Männchen in sechs Dachstühlen von Kirchen. Dabei zeigten sich klare Muster: Die Männchen besetzen kleine, immer wieder genutzte Hangplätze im Dachstuhl und verteidigen diese ausdauernd gegen andere Männchen: Mit komplexen Triller Vokalisationen schrecken die Männchen nicht nur Rivalen ab, sondern werben zugleich um die Weibchen. Ein solcher Verbund von Männchen, die gemeinsam und doch in Konkurrenz zueinander auf Partnersuche gehen, wird Lek genannt.
„Wir konnten erstmals detailliert dokumentieren, dass das Große Mausohr ein Lek-Paarungssystem aufweist, das bislang nur bei wenigen Fledermausarten belegt ist“, erklärt Lisa Printz.
Die Männchen zeigen bereits ab Juni eine erhöhte Standorttreue zu ihren Hangplätzen. Bis zum Höhepunkt der Paarungssaison im August, wenn die Weibchen eintreffen, kommt es unter den Männchen zu intensiver Konkurrenz um die Hangplätze, während sie geduldig auf potenzielle Partnerinnen warten. Bei der Ankunft der Weibchen ist besonders auffällig, dass sie bereits vor der Landung eine Wahl zu treffen scheinen – sie fliegen gezielt zu einem der werbenden Männchen.
Auch das Kopulationsverhalten selbst überrascht. Nachdem das Weibchen neben dem ausgewählten Männchen gelandet ist, bleiben die Tiere oft einige Zeit ruhig nebeneinander, bevor es zur Kopulation kommt. In vielen Fällen umschließt das Männchen das Weibchen nach der Kopulation mit seinen Flügeln, beide ruhen dann in engem Kontakt, bevor es zu weiteren Kopulationen kommt. Die längste dokumentierte Paarung dauerte mehr als 34 Stunden. „Diese lang andauernde Paarung und die nachfolgende Phase mit gemeinsamem Ruhen könnte eine Form des ‚Mate Guarding‘ sein“, vermutet Mirjam Knörnschild vom Museum für Naturkunde Berlin. „Sie dient möglicherweise dazu, die erfolgreiche Reproduktion zu sichern“.
Die Ergebnisse haben auch direkte Konsequenzen für den Artenschutz: Mausohr-Männchen zeigen eine ausgeprägte Standorttreue. Umbauten oder Sanierungen an genutzten Gebäuden, etwa Kirchen oder Klöstern, könnten daher empfindlich in das Paarungsgeschehen eingreifen. „Bislang wird der Schutz von Männchenquartieren oft vernachlässigt, da man annimmt, Männchen seien flexibler“, sagt Lisa Printz. „Unsere Ergebnisse zeigen aber, dass auch ihre Quartiere streng saisonal genutzt und über Jahre hinweg aufgesucht werden.“
Die Studie liefert somit nicht nur grundlegende Erkenntnisse über das Paarungsverhalten einer verbreiteten einheimischen Fledermausart, sondern fordert auch ein Umdenken im praktischen Artenschutz. Die Autorinnen plädieren dafür, Männchenquartiere künftig ebenso stark zu schützen wie Wochenstuben oder Winterquartiere, etwa durch gezielte Erhaltungs- und Schutzmaßnahmen.
Diese Forschungsarbeit wurde an freilebenden Großen Mausohren in Bayern durchgeführt, begleitet durch das Museum für Naturkunde Berlin und der Freien Universität Berlin. Das Projekt wurde durch ein Stipendium der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert.
Publikation: https://nyaspubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/nyas.15390

24.06.2025, Universität Münster
Internationales Forschungsteam analysiert genetische Grundlagen der Evolution von Ameisen
Arbeiterinnen steigern bei Ameisen ihren Fortpflanzungserfolg, indem sie sich um die Aufzucht ihrer Geschwister kümmern, statt eigene Nachkommen zu produzieren. Ein internationales Forschungsteam legte nun die genetischen Grundlagen der Ameisen-Evolution offen.
Die Existenz von Ameisenkolonien stellte sogar den bedeutenden Naturforscher Charles Darwin vor ein Rätsel. Wie konnte die Evolution Arbeiterinnen hervorbringen, die sich nicht fortpflanzen können? Darwin nahm an, dass Arbeiterinnen den Fortpflanzungserfolg ihrer Königin steigern, und erklärte damit die sogenannte reproduktive Arbeitsteilung: Männchen liefern Spermien, die die Königinnen speichern und mit denen sie lebenslang ihre Eier befruchten. Arbeiterinnen suchen nach Nahrung, pflegen die Brut und verteidigen das Nest, pflanzen sich aber nicht fort. Dass Darwin richtiglag, ist seit den 1960er Jahren bekannt: Geschwister können genauso effektiv Genkopien an zukünftige Generationen weitergeben wie eigene Nachkommen. Wie aber eine vollständige Umgestaltung des Ameisenerbguts vonstattenging, um parallel die Baupläne für reproduktive Individuen und sterile Arbeiterinnen zu enthalten, war bisher unklar. Eine neue, internationale Studie liefert eine Reihe von Antworten auf diese fundamentale Frage.
Ein Großteil der Struktur des Ameisengenoms ist nur erklärbar, wenn man sie in Bezug zur Entstehung und zu den darauffolgenden Veränderungen der Königinnen- und Arbeiterinnenkasten setzt, die gemeinsam den „Superorganismus“ Ameisenkolonie bilden. Nachdem die Ameisen vor mehr als 150 Millionen Jahren entstanden waren, veränderte die natürliche Selektion ihre Genome weiter. Das führte zu einer Reihe evolutionärer Innovationen wie die Vervielfältigung der Koloniegröße oder immer extremere Unterschiede zwischen den Königinnen und Arbeiterinnen.
Auf genetischer Ebene bedeutet das: Nachdem sich das ursprüngliche Ameisengenom in der frühen Kreidezeit evolutionär stabilisiert hatte, wurden dessen Gene in ungewöhnlich starkem Ausmaß neu gemischt. Diese Neuordnung war in den heute artenreichsten Ameisenunterfamilien besonders umfangreich. Gleichzeitig blieben kleinere Gruppen verknüpfter Gene mehr als 100 Millionen Jahre von dieser Neuordnung ausgeschlossen, vor allem solche, die die reproduktive Arbeitsteilung zwischen Königinnen und Arbeiterinnen vermitteln. Das verdeutlicht, wie grundlegend und entscheidend eine gut funktionierende Kastendifferenzierung bei Ameisen war und ist, so ein Fazit des Teams.
Die Ergebnisse der interdisziplinären Forschung, die nun in der Fachzeitschrift „Cell“ veröffentlicht wurden, beruhen auf einer fast zehn Jahre währenden Zusammenarbeit von gut 50 internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus mehr als 25 Ländern. Die Studie wurde von Forschern aus Deutschland (Dr. Lukas Schrader/Universität Münster), Dänemark (Prof. Dr. Jacobus Boomsma/Universität Kopenhagen) und China (Prof. Dr. Guojie Zhang/Universität Zhejiang, Hangzhou, China) aus koordiniert.
Das Team („Global Ant Genomics Alliance“) sequenzierte und verglich das Erbgut (Genome) von mehr als 140 Ameisenarten und deckte dabei einen Großteil der biologischen Vielfalt dieser Insekten ab. Dazu gehörten Ameisen mit regulären Kolonien, beispielsweise Treiberameisen mit mehreren Millionen Arbeiterinnen pro Kolonie und Arten, bei denen Königinnen mehr als hundertmal größer sind als die kleinsten Arbeiterinnen, aber auch Arten ohne Königinnen, deren Arbeiterinnen sich selbst klonen, oder Sozialparasiten, die gänzliche ohne Arbeiterinnen auskommen. „Die Veröffentlichung ist ein Meilenstein für unser Verständnis der molekularen und genetischen Grundlagen von Ameisen und vermutlich auch anderer sozialer Insekten wie Honigbienen“, betont Lukas Schrader.
Die Forscherinnen und Forscher nutzte zahlreiche biologische Methoden wie Genomsequenzierungen, Genexpressionsanalysen, Analysen von phänotypischen („sichtbaren“) Merkmalen, funktionellen Analysen einzelner Gene, pharmakologischer Manipulation und morphologischen Untersuchungen.
Originalpublikation:
Joel Vizueta et al. (2025): Adaptive radiation and social evolution of the ants. Cell 188, 1–21, September 4; DOI: https://doi.org/10.1016/j.cell.2025.05.030

24.06.2025, Ruhr-Universität Bochum
Katzen schlafen am liebsten auf der linken Seite
Katzen schlafen bevorzugt auf der linken Seite. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forschungsteam, das mehrere hundert Youtube-Videos von schlafenden Katzen ausgewertet hat. Die Forschenden sehen in diesem Bias einen evolutionären Vorteil, weil er das Jagd- und Flucht-Verhalten nach dem Aufwachen begünstigt. Das Team der University of Bari Aldo Moro (Italien), der Ruhr-Universität Bochum, der Medical School Hamburg und weiterer Partner in Deutschland, Kanada, der Schweiz und der Türkei berichtet über die Studie in der Zeitschrift Current Biology, online veröffentlicht am 23. Juni 2025.
Alle Tiere sind im Schlaf besonders verwundbar, und Katzen verbringen jeden Tag 12 bis 16 Stunden damit. Sie ruhen bevorzugt auf erhöht Liegeplätzen, sodass sich Feinde nur von unten anschleichen können. Die Forschenden um Dr. Sevim Isparta von der Animal Physiology and Behaviour Research Unit, Prof. Dr. Sebastian Ocklenburg von der Medical School Hamburg und Prof. Dr. Dr. h.c. Onur Güntürkün von der Bochumer Arbeitsgruppe Biopsychologie wollten herausfinden, ob die Tiere bevorzug auf der linken oder rechten Seite schlafen. „Asymmetrien im Verhalten können Vorteile haben, weil die beiden Hirnhälften auf unterschiedliche Dinge spezialisiert sind“, sagt Onur Güntürkün.
Gefahren mit dem linken Sehfeld wahrnehmen bringt Vorteile
Die Gruppe analysierte 408 öffentlich auffindbare Youtube-Videos, in denen eine einzelne Katze klar erkennbar mit dem ganzen Körper mindestens zehn Sekunden lang auf der Seite schlafend zu sehen war. Nur Originalvideos wurden verwendet; modifiziertes oder gedrehtes Material wurde aus der Studie ausgeschlossen. Zwei Drittel der Videos zeigten Katzen auf der linken Seite schlafend.
Die Erklärung: Katzen, die auf der linken Seite schlafen, nehmen ihre Umgebung beim Aufwachen mit der linken Hälfte des Sehfelds wahr, das in der rechten Gehirnhälfte verarbeitet wird. Diese ist spezialisiert auf räumliche Aufmerksamkeit, die Verarbeitung von Gefahren und die Koordination schneller Fluchtbewegungen. Schläft eine Katze auf der linken Schulter und wacht auf, so gelangen visuelle Informationen über Raubtiere oder auch Beute direkt in die rechte Hirnhälfte, die auf ihre Verarbeitung spezialisiert ist. „Auf der linken Seite zu schlafen, kann somit eine Überlebensstrategie darstellen“, resümieren die Forschenden.
Originalpublikation:
Sevim Isparta*, Sebastian Ocklenburg* et al.: Turning Left: Lateralized Sleeping Positions in Domestic Cats, in: Current Biology, 2025, DOI: 10.1016/j.cub.2025.04.043, https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(25)00507-X
* Geteilte Erstautorenschaft

25.06.2025, Universität Innsbruck
Genomgrößenvariation bei neuseeländischen Süßwasserschnecken nachgewiesen
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Maurine Neiman von der University of Iowa, USA, und Dunja Lamatsch von der Universität Innsbruck hat neue Erkenntnisse zur genetischen Vielfalt der neuseeländischen Süßwasserschnecke Potamopyrgus antipodarum veröffentlicht. Die Studie, erschienen in Royal Society Open Science, liefert die bisher umfassendste Analyse der Kern-Genomgröße bei dieser weit verbreiteten und invasiven Art.
Die Neuseeländische Zwergdeckelschnecke (Potamopyrgus antipodarum) ist eine in Süßwasser und Brackwasser verbreitete, kleine Gehäuseschneckenart. Ursprünglich in Neuseeland beheimatet, ist sie heute als Neozoon fast weltweit verschleppt worden und auch in Mitteleuropa eine der häufigsten Wasserschneckenarten. Um das Genom dieser invasiven Art zu untersuchen, setze das Team um Maurine Neimann und Dunja Lamatsch erstmals die Methode der Propidiumiodid-gestützten Durchflusszytometrie ein, um die Größe der gesamten Erbsubstanz im Zellkern zu bestimmen und in einer großen und vielfältigen Stichprobe dieser Schneckenart zu messen.
Propidiumiodid ist ein membranundurchlässiger Farbstoff, der in lebenden Zellen im Allgemeinen nicht vorkommt. Mit der Methode konnten Genomgrößen in nahezu 100 Exemplaren von P. antipodarum aus verschiedenen Populationen und Laborlinien präzise gemessen werden. Überraschend zeigte sich eine enorme Variation in der Genomgröße sowohl zwischen als auch innerhalb von Ploidie-Leveln (diploid, triploid und tetraploid). Zudem ergaben Vergleiche mit der eng verwandten Art Potamopyrgus estuarinus, dass P. antipodarum eine deutlich größere Genomgröße aufweist – ein weiteres Indiz für eine kürzlich erfolgte Verdopplung des gesamten Genoms (Whole-Genome Duplication, WGD).
Besseres Verständnis evolutionärer Prozesse
„Diese Ergebnisse liefern uns nicht nur ein genaueres Bild über die enorme genetische Vielfalt innerhalb von P. antipodarum, sondern auch über die evolutionären Prozesse, die durch eine Genomverdopplung ausgelöst werden“, erklärt Maurine Neiman. „Unser Modellorganismus eröffnet damit faszinierende Möglichkeiten, um den Einfluss von Genomverdopplungen auf Biodiversität und Anpassungsfähigkeit zu erforschen.“
Besonders bemerkenswert war, dass eine Population von P. antipodarum auf der Coromandel-Halbinsel in Neuseeland eine ungewöhnlich kleine Genomgröße aufwies, ohne sich morphologisch von anderen Populationen zu unterscheiden. Diese Entdeckung wirft neue Fragen zur Entstehung und Bedeutung solcher Genomgrößenunterschiede innerhalb derselben Art auf.
„Genomgrößenvariation ist eine oft übersehene, aber entscheidende Grundlage für das Verständnis von Anpassungsfähigkeit und evolutionärer Dynamik“, betont Dunja Lamatsch vom Forschungsinstitut für Limnologie, Mondsee, der Universität Innsbruck die Bedeutung ihrer Arbeit für die Evolutions- und Umweltbiologie. „Unsere Ergebnisse zeigen: Genetische Vielfalt ist viel größer, als wir bisher dachten – und sie spielt eine zentrale Rolle in der Evolution“, so Lamatsch. Genomgrößen gelten als Schlüsselfaktor für Anpassung, Fortpflanzung und evolutionäre Entwicklung. „Die nun nachgewiesene Genomverdopplung (Whole-Genome Duplication, WGD) bei P. antipodarum könnte erklären, warum diese Schnecke so erfolgreich ist – auch als invasive Art außerhalb Neuseelands.“
Die Studie wurde durch Mittel der US-amerikanischen National Science Foundation sowie der Universität Innsbruck im Forschungsschwerpunkt „Alpiner Raum“ unterstützt. Maurine Neiman war bereits 2019 und ist aktuell Gastprofessorin am Forschungsinstitut für Limnologie, Mondsee, in der Forschungsgruppe von Dunja Lamatsch.
Originalpublikation:
Neiman M., Pichler M., Haase M., Lamatsch D.K. (2025). Variation in nuclear genome size in a freshwater snail model system featuring a recent whole-genome duplication. R. Soc. Open Sci. 12: 250171. DOI: 10.1098/rsos.250171

25.06.2025, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
„Schrumpfende“ Dorsche: Wie der Mensch das Erbgut der Fische verändert
Überfischung dezimiert nicht nur Bestände, sie greift auch in das Erbgut von Fischen ein. So sind Dorsche in der zentralen Ostsee heute nicht nur seltener, sondern auch deutlich kleiner als früher. Forschende des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel haben jetzt erstmals nachgewiesen, dass die Tiere deutlich langsamer wachsen, und sie konnten diese Veränderung auch im Erbgut der Fische nachweisen. Intensive Fischerei hat Auswirkungen auf die Genome überfischter Bestände – mit langfristigen Folgen für ihre Entwicklung. Die Ergebnisse werden heute in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht.
Der Dorsch (Gadus morhua) war einst ein Gigant. Nicht nur die üppigen Populationen, auch seine Größe von über einem Meter Länge bei einem Gewicht bis zu 40 Kilogramm machten ihn neben dem Hering zum „Brotfisch“ der Ostsee. Heute würde ein ausgewachsener Dorsch auf einen Teller passen. Würde – denn der Fang ist aufgrund des Zusammenbruchs der Bestände seit 2019 verboten.
Das „Schrumpfen“ des Dorsches ist, genau wie der Rückgang der Population, auf menschliche Einflüsse zurückzuführen. Forschende des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel haben jetzt erstmals nachgewiesen, dass die jahrzehntelange intensive Befischung, im Zusammenspiel mit Umweltveränderungen, gravierende Folgen auf das Erbgut der Fische hat. Ihre Ergebnisse werden heute im Fachjournal Science Advances veröffentlicht.
„Die selektive Übernutzung hat das Genom des östlichen Ostseedorsches verändert“, sagt Erstautorin Dr. Kwi Young Han, die als Biologin in der Forschungsgruppe Marine Evolutionary Ecology (Marine Evolutionsökologie) am GEOMAR zu diesem Thema promoviert hat. „Sichtbar wird dies an dem Rückgang der durchschnittlichen Größe, was wir auf geringere Wachstumsraten zurückführen konnten. Auf der Ebene der Gene konnten wir erstmals nachweisen, dass starker Fischereidruck eine evolutionäre Reaktion im Erbgut von überfischten Beständen auslösen kann.“
Konkret identifizierten die Forschenden bestimmte Genvarianten, die mit dem Körperwachstum in Verbindung stehen und über die Zeit hinweg Anzeichen gerichteter Selektion zeigten – also systematisch häufiger oder seltener wurden. Diese Gen-Orte überschneiden sich auffällig mit Genregionen, die für Wachstum und Fortpflanzung wichtig sind. Auch eine bestimmte chromosomale Inversion (eine Veränderung im Erbgut, die für die Anpassung an Umweltbedingungen eine wichtige Rolle spielt) zeigte einen gerichteten Selektionsverlauf. Das bedeutet: Die genetische Basis des „Schrumpfens“ der Dorsche ist belegt – der Mensch hat Spuren im Genom der Fische hinterlassen.
Starke gerichtete Auslese für langsames Wachstum durch Fischerei
Für diesen Nachweis nutzten die Forschenden ein ungewöhnliches Archiv: Gehörsteinchen von 152 Dorschen, die zwischen 1996 und 2019 im Bornholm-Becken gefangen wurden. An diesen so genannten Otolithen kann das Alter anhand von Wachstumsringen – vergleichbar mit den Jahresringen von Bäumen – abgelesen werden. Die Proben wurden im Rahmen der Baltic Sea Integrative Long-Term Data Series der GEOMAR-Forschungsgruppe Marine Evolutionary Ecology gesammelt – ein langfristiges Monitoring-Programm, das seit 1996 jährlich durchgeführt wird. So konnten die Wissenschaftler:innen eine genetische Zeitreise unternehmen, die zurückreicht in die Ära vor dem Zusammenbruch der Population des östlichen Ostseedorschs.
Mit einer Kombination aus chemischer Otolithenanalyse und hochauflösender DNA-Sequenzierung wurde untersucht, wie sich das Wachstum und die genetische Zusammensetzung des Ostseedorsches über 25 Jahre unter Fischereidruck verändert haben.
Das zentrale Ergebnis: Es finden sich systematische Unterschiede im Genom zwischen langsam und schneller wachsenden Individuen, und letztere sind heute im Vergleich zu vor 30 Jahren beinahe ausgestorben. Denn Dorsche, die langsam wachsen und sich mit kleinerer Länge bereits fortpflanzen können, hatten unter hohem Fangdruck einen Überlebensvorteil.
„Wenn über Jahre hinweg bevorzugt die größten Tiere weggefangen werden, gibt das den kleineren, schneller reifen Individuen einen evolutionären Vorteil“, erklärt Prof. Dr. Thorsten Reusch, Leiter des Forschungsbereichs Marine Ökologie am GEOMAR und Betreuer der Promotion von Dr. Kwi Han. „Was wir beobachten, ist eine durch Menschen ausgelöste Evolution – fischereiinduzierte Selektion. Das ist wissenschaftlich spannend, aber ökologisch natürlich hoch dramatisch.“
Kleinere, genetisch weniger diverse Populationen erholen sich schlechter
Denn die Auslese hat gravierende Konsequenzen für die Erholung der Bestände: Die Genvarianten für schnelleres Wachstum und spätere Reifung sind möglicherweise nicht mehr vorhanden, und die nun auf frühe Geschlechtsreife programmierten kleineren Fische bringen weniger Nachwuchs zur Welt. Dies bedeutet auch einen Verlust von Anpassungspotenzial an kommende Umweltveränderungen.
Reusch: „Evolutionäre Veränderungen entstehen über viele Generationen, eine Erholung wird sehr viel länger dauern als der Niedergang, wenn sie überhaupt möglich ist. Das sehen wir auch an unseren aktuellen Längen-Daten aus der ALKOR-Ausfahrt 2025, bei denen trotz jahrelangem Fangverbot keine Erholung der Größenverteilung zu erkennen ist.“
Die Studie macht deutlich: Schutzmaßnahmen und Fangquoten dürfen nicht kurzfristig, sondern müssen über Generationen hinweg gedacht werden. „Unsere Ergebnisse zeigen, wie tiefgreifend menschlicher Einfluss auf das Leben von Wildpopulationen ist – sie reicht bis auf die Ebene des Erbguts“, sagt Kwi Young Han. „Und sie machen deutlich, dass nachhaltige Fischerei weit mehr ist als eine ökonomische Frage. Es geht um den Erhalt biologischer Vielfalt, und das bedeutet auch: genetischer Ressourcen.“
Hintergrund: Östlicher Bestand des Ostseedorsches
Der östliche Ostseedorsch ist eine Population des atlantischen Dorsches (Gadus morhua), die in der zentralen Ostsee beheimatet ist. Die Population trennte sich vor sieben- bis achttausend Jahren, als die Ostsee entstand, von den anderen atlantischen Populationen. Biologisch und genetisch unterscheidet er sich von anderen atlantischen Beständen wie dem westlichen Ostseedorsch oder dem Nordsee-Kabeljau. Er ist an die besonderen Umweltbedingungen der Ostsee angepasst, die durch niedrige Salzgehalte, einen hohen Gehalt an Kohlendioxid, weit verbreitete Sauerstoffarmut und mit den Jahreszeiten stark schwankende Temperaturen gekennzeichnet ist.
Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich der Zustand des östlichen Ostseedorschs in vielerlei Hinsicht verschlechtert: Die Biomasse des Laicherbestands (Fische größer als 35 Zentimeter) ist stark zurückgegangen, zwei wichtige Laichplätze sind durch eine Verschlechterung der Umweltbedingungen verloren gegangen. Ihr letztes verbliebenes Laichgebiet ist das Bornholm-Becken. Die Größe bei der Geschlechtsreife und die Kondition der Fische markierten in den letzten Jahren die niedrigsten L50-Werte (Länge, bei der 50 Prozent der Population die Geschlechtsreife erreichen) von unter 20 Zentimetern. Der vollständige Zusammenbruch des Bestands hat zu einem Verbot der gezielten Fischerei seit 2019 geführt, aber die Population konnte sich bislang nicht erholen.
Originalpublikation:
Han, K.Y., Brennan, R.S., Monk. C.T., Jentoft, S., Helmerson, C., Dierking, J., Hüssy, K., Endo Kokubun, E., Fuss, J., Krause-Kyora, B., Thomsen, T.B., Heredia, B.D., Reusch, Th. B.H. (2025): Genomic Evidence of Fisheries Induced Evolution in Eastern Baltic cod. Science Advances
DOI: 10.1126/sciadv.adr9889

26.06.2025, Deutsche Wildtier Stiftung
Der Krötennachwuchs ist da
Sie sind kaum größer als ein 50-Cent-Stück, perfekt getarnt und unerschrocken: Kleine Erdkröten verlassen in diesen Tagen ihre Gewässer. Zwei bis vier Monate hat es gedauert, bis aus einem Ei eine Kaulquappe geschlüpft ist und diese sich zur fertigen, noch sehr kleinen Kröte entwickelt hat. Mit einem kühnen Sprung geht es von einer Wasserpflanze oder einem Kiesbett aus ans Ufer – daher ihr Spitzname „Hüpferlinge“. „Jetzt beginnt ihre gefährlichste Lebensphase: Weil sie so klein und flink unterwegs sind, werden die winzigen Kröten im Gras oder auf Wegen oft zertreten oder von Rad- und Autoreifen zerquetscht“, sagt Jenifer Calvi von der Deutschen Wildtier Stiftung.
Zwar gilt die Erdkröte noch als „ungefährdet“ – doch ihre Bestände nehmen deutschlandweit ab. Gründe dafür sind die Zerschneidung ihrer Lebensräume durch Straßen oder Bebauung, der Tod im Straßenverkehr sowie Pestizide in Gärten und Grünanlagen. Auch die Folgen des Klimawandels machen sich bemerkbar: Dürreperioden und ausgetrocknete Gewässer treffen die Amphibien hart.
Die Jungkröten profitieren von privaten Gärten als Zufluchtsorten. Wer ihnen einen Platz bieten möchte, kann mit einfachen Mitteln viel bewirken: Totholz-, Laub- oder Reisighaufen, feuchte Unterschlüpfe unter Steinen, in Mauerspalten oder Wurzelhöhlen bieten ihnen Schutz – tagsüber vor der Hitze, nachts vor Fressfeinden wie Mardern, Katzen oder Greifvögel. Wichtig ist auch: keine Chemie im Garten! Insektizide vernichten die Nahrungsgrundlage, von denen sich der Nachwuchs ernährt. Schneckenkorn ist ebenfalls tabu – denn die Weichtiere stehen auf dem Speiseplan der Erdkröten; über die Beute nehmen sie das Gift auf. Als Jäger verspeisen Erdkröten auch Asseln, Käfer, Spinnen, Fliegen, Tausendfüßler und Larven – darunter auch etliche Gartenschädlinge. Es lohnt sich also, gute Lebensbedingungen für die Hüpferlinge zu schaffen. Bis zu 15 Jahre alt werden die Kröten in der Natur. Bestenfalls sorgen sie ab dem vierten, fünften Lebensjahr für weiteren Nachwuchs. Erdkröten legen ihre Eier am liebsten in dem Gewässer ab, aus dem sie selbst an Land gehüpft sind – wenn sie als kleine Kröten dort optimale Startbedingungen hatten.

26.06.2025, Universität Koblenz
Neue Froscharten von Forscherteam unter Leitung eines Biologen der Universität Koblenz auf Borneo entdeckt
Acht neue Arten von Wächterfröschen wurden von einem internationalen Team von Forschern aus Deutschland, der Schweiz, Malaysia und Brunei unter der Federführung von apl. Prof. Dr. Maximilian Dehling aus der Abteilung Biologie der Universität Koblenz in den Regenwäldern der südostasiatischen Insel Borneo entdeckt.
Diese Frösche gehören zu zwei nahe miteinander verwandten Artengruppen, der Limnonectes-palavanensis-Gruppe und der Limnonectes-finchi-Gruppe, die als Wächterfrösche bezeichnet werden. Bisher nahm man an, dass es auf Borneo nur zwei Arten von Wächterfröschen gäbe, von denen eine sowohl auf Borneo als auch auf der philippinischen Insel Palawan, die andere ausschließlich auf Borneo vorkommen soll.
Das wissenschaftliche Team hatte in der Vergangenheit viele neue Populationen auf Borneo entdeckt und dabei festgestellt, dass sich die Populationen untereinander sowohl in ihren Rufen als auch in ihrem äußeren Erscheinungsbild unterschieden. Zudem fanden sich große Unterschiede zwischen den Populationen auf Borneo und der Population auf Palawan. Ein analytischer Vergleich von mehreren Gensequenzen bestätigte die Vermutung, dass es sich bei den Wächterfröschen tatsächlich um mindestens zehn verschiedene Arten handelt, von denen acht in der aktuellen Studie erstmals wissenschaftlich beschrieben wurden. Eine Art ist nun nur noch von Palawan bekannt, die anderen neun kommen ausschließlich auf Borneo vor, wo sie unterschiedlich große Verbreitungsgebiete haben. Sie leben in verschiedenen Regionen auf Borneo oder besiedeln im selben Gebiet unterschiedliche Höhenzonen.
Es sind auch Fundorte bekannt, an denen zwei oder drei Arten gemeinsam vorkommen. Wurden die Wächterfrösche bisher als weitverbreitet und in ihrem Bestand ungefährdet angesehen, muss der Gefährdungsgrad der neu beschriebenen Arten, von denen mehrere Arten bisher nur von wenigen oder sogar nur einem einzigen Berggipfel bekannt sind, neu bewertet werden.
Die Wächterfrösche, zu denen noch eine weitere Art von der philippinischen Insel Mindanao gehört, zeigen ein unter asiatischen Fröschen einzigartiges Brutpflegeverhalten: Die Arten paaren sich nicht im Wasser, sondern legen ihre Eier in feuchtes Laub auf dem Waldboden ab. Anschließend bewacht das Männchen das Gelege, bis die Kaulquappen in bereits fortgeschrittenem Stadium aus den Eiern schlüpfen. Die Kaulquappen kriechen umgehend auf den Rücken des Männchens, das sie zu einem Tümpel trägt und dort ins Wasser entlässt, wo die Kaulquappen ihre Entwicklung bis zur Umwandlung zu kleinen Jungfröschen abschließen.
Die Studie über die neuen Froscharten wurde in der Fachzeitschrift Zootaxa veröffentlicht:
Dehling, J. M., Neokleous, D. N., Das, I., Grafe, T. U., Pui, Y. M. & Hertwig, S.T. (2025): Cryptic radiation within the tadpole-carrying Guardian Frogs from Borneo, Limnonectes palavanensis and L. finchi (Anura: Dicroglossidae), with the description of eight new species. – Zootaxa 5650: 1–80. https://doi.org/10.11646/zootaxa.5650.1.1

26.06.2025, Universität Bielefeld
Unerwartete Tierpartnerschaft im Amazonas entdeckt
Einzeln lebende Tiere, die gemeinsam durch den nächtlichen Dschungel streifen – was wie eine Szene aus einem Märchen klingt, wurde nun wissenschaftlich dokumentiert. In ihrer Studie mit dem Titel „Beyond predator and prey: first evidence of an association between ocelot and opossum individuals“ beschreibt ein Forschungsteam unter der Leitung von Verhaltensökolog*innen der Universität Bielefeld in Zusammenarbeit mit Forschenden der ETH Zürich erstmals eine rätselhafte Beziehung zwischen zwei sehr unterschiedlichen Tierarten: dem Ozelot (Leopardus pardalis) und dem Gemeinen Opossum (Didelphis marsupialis). Die Studie wurde nun in der Fachzeitschrift Ecosphere veröffentlicht.
„Auch wenn wir noch nicht sicher sagen können, ob es sich tatsächlich um eine feste Partnerschaft handelt, könnten wir hier das südamerikanische Gegenstück zur bekannten Zusammenarbeit zwischen Kojoten und Dachsen in Nordamerika beobachten“, erklärt Dr. Isabel Damas-Moreira, Verhaltensökologin an der Fakultät für Biologie der Universität Bielefeld und Letztautorin der Studie. Solche Kooperationen seien besonders faszinierend, „weil sie zeigen, dass sich Beziehungen auch zwischen nicht verwandten Arten entwickeln können“.
Ursprünglich wollten die Forschenden mit Kamerafallen das Verhalten von Vögeln dokumentieren. Dabei stießen sie auf Videoaufnahmen, die einen Ozelot und ein Opossum zeigen, wie sie Seite an Seite umherziehen – ohne jegliche Anzeichen von Aggression, Angst oder Jagdverhalten. Nach Rücksprache mit weiteren Forschenden fanden sie zusätzliche Hinweise auf dieselbe Verbindung – über vier verschiedene Regionen im peruanischen Amazonas hinweg und über mehrere Jahre verteilt. In allen Fällen scheint das Opossum die Führung zu übernehmen, während der Ozelot dicht folgt. Zusätzliche Feldexperimente ergaben zudem, dass Opossums eine deutliche Anziehung zum Geruch von Ozelots zeigen – sie reiben sich häufig an dessen Duftmarken, während sie andere Gerüche, etwa von Pumas, ignorieren. Dies deutet auf eine gezielte Hinwendung zu Ozelots hin.
Gegenseitiger Nutzen statt Jagdinstinkt
Die Forschenden vermuten hinter dieser ungewöhnlichen Verbindung einen gegenseitigen Nutzen – immerhin könnte der Ozelot ein Opossum problemlos reißen. Opossums könnten vom schützenden Beisein des Ozelots profitieren, während der Ozelot durch die besonderen Eigenschaften des Opossums bei der Nahrungssuche unterstützt wird – etwa durch dessen Resistenz gegenüber dem Gift von Vipern. Auch eine Art chemische Tarnung durch die Vermischung ihrer Gerüche ist denkbar.
Die Entdeckung ist zweifellos bedeutend für die Wissenschaft: Sie eröffnet neue Perspektiven auf das Sozialverhalten von Tieren und zeigt, wie viel im Ökosystem Regenwald noch unbekannt ist. „Diese Entdeckung war ein Zufall. Sie erinnert uns daran, wie wichtig genaues Beobachten ist – denn die Natur ist oft komplexer, als wir denken“, sagt Damas-Moreira.
Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit internationalen Partner*innen durchgeführt, wobei die Universität Bielefeld die Federführung übernahm.
Originalpublikation:
Ettore Camerlenghi, Dumas Gálvez, Christopher Ketola, Angelo Piga, Nadine Holmes, José Luis Mena, Mathias W. Tobler, Fortunato Rayan, Isabel Damas-Moreira: Beyond predator and prey: first evidence of an association between ocelot and opossum individuals. Ecosphere. https://doi.org/10.1002/ecs2.70322, veröffentlicht am 24.06.2025.

27.06.2025, Ludwig-Maximilians-Universität München
Gefährdete Säugetiere: Populationen auf kleinen Inseln sind genetisch gesünder
Forschende aus München und London zeigen, dass kleinere Inseln der Schlüssel zum langfristigen Überleben seltener Säugetiere in Indonesien sein könnten.
In Südostasien liegt ein Biodiversitäts-Hotspot der Erde: Die als Wallacea bezeichnete Region umfasst eine Gruppe hauptsächlich indonesischer Inseln, die für ihre außergewöhnliche Artenvielfalt und einen hohen Grad an Endemismus berühmt sind. Ein internationales Team um Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und der Queen Mary University of London konnten nun zeigen, dass kleinere Inseln innerhalb des Biodiversitäts-Hotspots Wallacea wichtige Rückzugsorte für gefährdete Wirbeltiere sind, da sie höherwertige Lebensräume bieten als größere.
Die Forschenden untersuchten die genetische Gesundheit von Hirschebern (Babirusa), die zur Familie der Schweine gehören, und Anoa, die zu den Wildrindern gehören. Beide Arten sind stark gefährdet und leben nur auf der größeren Insel Sulawesi sowie kleinen benachbarten Inseln. Lange galten kleine Inselpopulationen als besonders aussterbegefährdet. Doch Wallacea erlebt derzeit rasante Landnutzungsänderungen, die insbesondere die Lebensräume auf größeren Inseln wie Sulawesi stark beeinträchtigen.
Mehr Inzucht auf Sulawesi
Dadurch haben die Populationen der kleinen Inseln einen überraschenden Vorteil, wie genetische Analysen von 113 Individuen beider Arten von verschiedenen Inseln nachwiesen: Tiere auf kleineren, weniger gestörten Inseln wiesen zwar eine geringere genetische Vielfalt auf – aber auch deutlich weniger schädliche Mutationen. Im Gegensatz dazu zeigten Populationen auf Sulawesi ein höheres Maß an Inzucht und schädlichen genetischen Variationen – bedingt durch intensiveren Lebensraumverlust und menschliche Einflüsse. „Die Lebensraumqualität auf den kleineren Inseln war höher als auf Sulawesi, und diese Gebiete waren im Allgemeinen gut geschützt. Auf den Togian-Inseln beispielsweise liegt ein Großteil des Landes innerhalb eines großen Nationalparks“, erklärt Dr. Rosie Drinkwater (LMU und Queen Mary), gemeinsam mit Dr. Sabhrina Gita Aninta (Queen Mary) Erstautorin der Studie.
Kleine Inseln als Rückzugsorte für gefährdete Arten
„Große Populationen von Wirbeltieren auf kleinen Inseln werden oft als gefährdet angesehen“, sagt Paläogenomiker Laurent Frantz, Professor an der LMU und der Queen Mary University, der die Studie mit leitete. „Aber der Schutz kleiner Inseln ist oft einfacher – unsere Studie zeigt, dass sie enormes Potenzial haben, als Rückzugsorte für gefährdete Arten zu dienen.“
„Natürlich nur, solange ihr Lebensraum intakt bleibt“, ergänzt Aninta. Sie sind nach wie vor gefährdet, da sie nicht viele Paarungsmöglichkeiten oder gar Lebensraum haben. „Daher sollten kleine Inseln in nationalen Entwicklungsprogrammen nicht vernachlässigt werden. Die Überwachung ihrer gegenwärtigen und zukünftigen genetischen Vielfalt ist entscheidend, um sicherzustellen, dass sie weiterhin langfristig bestehen.“
Insgesamt stellen diese Ergebnisse nach Ansicht der Forschenden herkömmliche Naturschutzansätze infrage und unterstreichen, wie wichtig es ist, sich stärker auf den Schutz auch der hochwertigen Lebensräume kleiner Inseln zu konzentrieren.
Originalpublikation:
S.G. Aninta, R.Drinkwater et al.: The importance of small island populations for the long-term 4 survival of endangered large-bodied insular mammals. PNAS 2025
https://doi.org/10.1073/pnas.2422690122

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