Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

05.04.2025, Universität Potsdam
Landwirtschaft oder Wildtierschutz – wie sich der Landnutzungswandel auf die Kohlenstoff-Speicherung in Afrika auswirkt
Wenn sich Menschen und Wildtiere in der afrikanischen Savanne einen Lebensraum teilen, müssen Entscheidungen getroffen werden, wie diese Landfläche zukünftig genutzt werden soll. An die Region angepasste, nachhaltige Bewirtschaftungsstrategien können helfen, die Bedürfnisse der Menschen vor Ort einzubeziehen und gleichzeitig die Ökosystemleistungen der Savanne zu erhalten, wie eine von der Universität Potsdam angeführte Studie zeigt.
Von der Entwicklung des ländlichen Afrikas gibt es gegensätzliche Vorstellungen: Einerseits wollen Regierungen und Naturschutzorganisationen die Savannenökosysteme schützen, um den Lebensraum und die Wanderungsgebiete von Tieren wie Elefanten und Löwen zu erhalten. Andererseits basiert die Nahrungsversorgung der Lokalbevölkerung auf Ackerbau, sodass ihre Ernährung – auch infolge des Klimawandels – in Zukunft nur mit einer intensiveren landwirtschaftlichen Nutzung sichergestellt werden kann. Da Trockengebiete die größte terrestrische Kohlenstoffsenke darstellen, haben diese Zukunftsvisionen wesentliche Auswirkungen auch auf die globale Kohlenstoffspeicherung. „Das Speicherpotenzial von Savannen war jedoch bisher nicht ausreichend erforscht und ihre Kohlenstoffdynamik im Hinblick auf Störungsfaktoren wie den Verbiss durch Elefanten, Holzeinschlag und Viehzucht nur unzureichend verstanden“, sagt die leitende Autorin Dr. Liana Kindermann.
Sie und ihr Team entwickelten eine Methode zur Abschätzung der Kohlenstoffspeicherung in solchen gestörten Ökosystemen und quantifizierten so den Kohlenstoff in Bäumen, Sträuchern und deren Wurzeln sowie den organischen Kohlenstoff im Boden. „Wir schauen uns anhand einiger repräsentativer Orte an, wie heutige Landnutzungsentscheidungen in der Zukunft die gesamte Landschaft verändern könnten. Diese Daten verarbeiten wir mit leistungsfähigen statistischen Modellen, um die Auswirkungen des zukünftigen Landnutzungswandels auf den oberirdischen Kohlenstoff und die Kohlenstoffspeicherung im gesamten Ökosystem zu bewerten“, sagt Liana Kindermann. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Störanfälligkeit verschiedener Kohlenstoffspeicher je nach Landnutzungsszenario sehr unterschiedlich ist“, betont sie.
Mit wachsender Wildtierdichte nimmt die oberirdische Kohlenstoffspeicherung in Sträuchern und Bäumen durchschnittlich um 14 bis 55 Prozent ab, mit intensiver Landwirtschaft sind es sogar 73 bis 94 Prozent Kohlenstoffverlust, verglichen zu Standorten mit geringer Störung. Der organische Kohlenstoffgehalt im Boden kann dagegen bei größeren Störungen sogar zunehmen, insbesondere wenn Pflanzenfresser wie Elefanten oberirdische Vegetation fressen und so Kohlenstoff in den Boden umverteilen. Dieser Prozess ist allerdings limitiert und kann nur funktionieren, solange die Vegetation stabil erhalten bleibt und nicht durch zu große Wildtierdichten zerstört wird. Für die landwirtschaftliche Nutzung ist der Kohlenstoffgehalt im Boden wichtig. Das lässt sich daran ablesen, dass bisherige Agrarflächen vornehmlich dort angelegt wurden, wo Böden bereits vorher mehr Kohlenstoff enthielten.
Entscheidungen darüber, wie die Landfläche – auch im Sinne des Artenschutzes – zukünftig genutzt werden soll, ändern die Funktionen und Ökosystemleistungen der Savanne. „Gelegentliche und lokalisierte Störungen der Vegetation durch große Pflanzenfresser und Weidewirtschaft wirkt sich positiv auf die Kohlenstoffspeicherung in der Savanne aus, wenn die Vegetation sich auch mal erholen kann. Extreme Eingriffe wie großflächige Rodung für die Landwirtschaft, aber auch konstant zu hohe Wildtierdichten, gefährden den Kohlenstoffkreislauf und bringen Nachteile für den Umweltschutz und die Lebensgrundlage der Menschen mit sich. Nachhaltige Strategien für die Landnutzung der Zukunft erfordern daher eine transparente Abwägung von solchen Zielkonflikten und nachhaltige Kompromisslösungen für alle“, fasst Kindermann zusammen.
Originalpublikation:
Link zur Publikation: Kindermann, L., Sandhage-Hofmann, A., Amelung, W., Börner, J., Dobler, M., Fabiano, E. C., Meyer, M., Linstädter, A., 2025, Natural and human disturbances have non-linear effects on whole-ecosystem carbon storage in an African savanna, Global Change Biology, Volume 31, Issue 4, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/gcb.70163

15.04.2025, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Wenn der Gipfel nicht mehr reicht: Schmetterlinge brauchen Schutz im Tal
Eine aktuell im Fachjournal „Biological Conservation“ veröffentlichte Studie zur Gefährdung von Tagfaltern in der Alpenregion belegt eindrucksvoll: Der Verlust der biologischen Vielfalt schreitet besonders in den tief gelegenen, intensiv genutzten Landschaften dramatisch voran. Die beteiligten Wissenschaftler von der Universität Salzburg, vom Haus der Natur Salzburg und von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung plädieren für die Einrichtung von Schutzgebieten in Tallagen – auch wenn dies wirtschaftlichen Interessen auf den ersten Blick zu widersprechen scheint.
Gelbring-Perlmutterfalter (Boloria eunomia), Lilagold-Feuerfalter (Lycaena hippothoe) oder Alexis-Bläuling (Glaucopsyche alexis) – diese Schmetterlinge gehören zur Gruppe der bedrohten Arten im Bundesland Salzburg. „Schmetterlinge sind sehr gute und zuverlässige Indikatoren für Veränderungen in Ökosystemen“, erläutert Prof. Dr. Thomas Schmitt vom Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut in Müncheberg und der Universität Potsdam und fährt fort: „Dennoch ist der Rückgang der Schmetterlingsvielfalt in weiten Teilen Mitteleuropas bislang nur unzureichend dokumentiert. Diese Lücke konnten wir nun im Bundesland Salzburg schließen.“
Hierfür hat der Münchberger Entomologe gemeinsam mit Prof. Dr. Werner Ulrich von der Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń, Prof. Dr. Jan Christian Habel von der Universität Salzburg und Dr. Patrick Gros vom Haus der Natur in Salzburg einen einzigartigen, langjährigen Datensatz von über 250.000 Einzelbeobachtungen aus dem Bundesland Salzburg analysiert. Dieser deckt den Zeitraum von 1900 bis 2022 ab. Die Erhebungen wurden über ein breites Höhenprofil von 380 bis 3.105 Metern durchgeführt.
„Die Daten zeigen deutlich: Die größte Bedrohung trifft Schmetterlingsarten der Tieflagen, insbesondere jene, die auf nährstoffarme Wiesenökosysteme oder intakte Moor- und Feuchtgebiete angewiesen sind“, erklärt Habel und ergänzt: „Die Mehrzahl der inzwischen sehr selten gewordenen Arten ist fast ausschließlich auf tiefere Lagen beschränkt, während viele alpine Arten noch deutlich weniger gefährdet sind.“
Die 147 untersuchten Schmetterlingsarten verteilen sich je nach Gefährdungsstatus unterschiedlich entlang des Höhengradienten: Gefährdete Arten kamen überwiegend unterhalb von 800 Metern vor. Stärker verbreitete Arten wurden dagegen häufiger oberhalb von 1.500 Metern gefunden, im Schnitt lagen sie über 600 Metern. Die Forschenden erklären diese Diskrepanz zwischen Flachland und Gebirge durch den zunehmenden Druck durch Landwirtschaft und Landnutzung in den Tallagen.
Besorgniserregend sei es zudem, dass sich die Salzburger Schutzgebiete flächenmäßig zu mehr als 90 Prozent über einer Höhe von etwa 1.000 Metern befinden. Gros mahnt: „In den Tälern hingegen geraten die letzten Rückzugsräume der Tagfalter immer stärker aus dem Gleichgewicht, in erster Linie wegen der dort großflächig, intensiv und undifferenziert betriebenen Landwirtschaft. Auch wenn der gesetzliche Schutz von Mooren einigen auf diese Lebensräume spezialisierten Schmetterlingen im Tiefland helfen konnte, so steht es um die Arten der warm-trockenen Standorte insgesamt sehr schlecht.“ Schmitt fügt hinzu: „Es ist Aufgabe der Politik, diesem Trend entgegenzuwirken. Ein wirksamer Schutz der Artenvielfalt in den Tieflagen – etwa im Flachgau – durch neue Naturschutzstrategien und eine biodiversitätsfreundlichere Landwirtschaft ist längst überfällig.“
Die drei Wissenschaftler sind sich einig: Der Schutz der Natur darf nicht länger nur dort stattfinden, wo keine wirtschaftlichen Interessen berührt werden. Denn intakte Ökosysteme sind nicht nur Lebensraum für Tiere und Pflanzen – sie sind auch Grundlage für unsere eigene Lebensqualität und langfristige wirtschaftliche Stabilität. „Ein Umdenken ist notwendig“, so die klare Botschaft der Studienautoren. „Naturschutz darf nicht als Hindernis, sondern muss als Chance verstanden werden – für eine lebenswerte Zukunft für uns alle.“
Originalpublikation:
Werner Ulrich, Patrick Gros, Thomas Schmitt, Jan Christian Habel (2025): Altitudinal distributions of endangered butterflies in the Austrian Alps, Biological Conservation, Volume 306, https://doi.org/10.1016/j.biocon.2025.111129

17.04.2025, Universität Konstanz
Bienen im Persönlichkeitstest
Forschende des Exzellenclusters „Kollektives Verhalten“ der Universität Konstanz haben herausgefunden, dass Honigbienen ein und desselben Volkes unterschiedliche Vorlieben im Stechverhalten haben. Während die einen noch zögern, stechen die anderen bereits zu.
Honigbienen sind ein gut organisiertes Volk. Die einen sammeln Nektar, die nächsten Wasser, ein paar fächeln dem Bienenstock Luft zur Kühlung zu – und manche verteidigen das Volk, indem sie Feinde stechen. Doch wann passiert das eigentlich genau? Und neigen manche Individuen mehr zum Angriff als andere? Ein Forschungsteam der Universität Konstanz geht diesen Fragen genauer auf den Grund. In einer aktuellen Studie haben sie nun herausgefunden, dass es Bienen gibt, die immer in Angriffshaltung gehen, während andere Artgenossen stets friedlich bleiben. Sie zeigen auch, welche sozialen Faktoren das jeweilige Verhalten regulieren und dass die Persönlichkeit der einzelnen Bienen in der Gruppendynamik eine größere Rolle spielt als gedacht.
Für ihre Forschung hat die Doktorandin Kavitha Kannan von der Universität Konstanz, unter Leitung der Neurobiologin Morgane Nouvian, gezielt Wächterbienen an den universitätseigenen Bienenstöcken eingefangen, um eine homogene Gruppe mit vermeintlich identischem Stechverhalten zusammenzustellen. „Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass eine Sammlerin allein durch die Aufgabenverteilung ein anderes Stechverhalten zeigt als eine Wächterin. Da wir so viele Einflussfaktoren wie möglich ausschließen wollten, war diese Selektion der erste logische Schritt. Anschließend konnten wir nach und nach weitere Einflussfaktoren testen“, erklärt Kannan.
Eine Biene schlägt Alarm, aber nicht alle folgen
Aus vorangegangenen Studien war den Forschenden bekannt, dass die Tiere von Pheromonen beeinflusst werden. Entscheidet sich eine Biene, zuzustechen, wird ein Alarmpheromon freigesetzt, das Artgenossen dazu animiert, es der ersten Biene gleich zu tun. Mit jedem weiteren Stich steigt die Konzentration dieses Pheromons, was wiederum Auskunft darüber gibt, wie viele Bienen bereits an dem Angriff beteiligt sind. Untersuchungen haben gezeigt, dass ab einer gewissen Konzentration das Stechverhalten wieder nachlässt. Gerade vor dem Hintergrund, dass Bienen beim Zustechen meist ihren Stachel verlieren und in der Folge verenden, ist dies ein sinnvolles Instrument, ein Massensterben infolge eines Angriffs zu verhindern. Die Wahrscheinlichkeit, ob eine Biene auf eine bestimmte Konzentration eines Alarmpheromons reagiert, hängt dabei auch von der Gruppengröße ab.
Bislang unbekannt war jedoch, wie entschieden wird, welche der anwesenden Bienen sich letztlich am ehesten für ein Zustechen entscheidet. Die Ergebnisse der aktuellen Studie legen nahe, dass die Persönlichkeit der einzelnen Bienen dabei eine große Rolle spielt. „Wir haben in unseren Versuchen mehrere Situationen simuliert, um schrittweise verschiedene Einflussfaktoren zu erforschen“, erklärt Nouvian. Dabei hat das Team Attrappen genutzt, die ein Zustechen der Bienen provozieren sollten, zugleich aber ein Steckenbleiben des Stachels verhinderten. Das Vorgehen bot den Vorteil, dass die Tiere wiederholt einer Situation ausgesetzt werden konnten, um die jeweilige Reaktion zu verifizieren und ein rein zufälliges Verhalten auszuschließen.
Individualisten im Bienenschwarm
„In einer Gruppe haben wir beispielsweise getestet, ob eine Biene bei ihrem Stechverhalten blieb, wenn Artgenossen anwesend waren, in einer anderen Gruppe die Auswirkung des Alarmpheromons“, erklärt Nouvian weiter. „Letztlich hat sich gezeigt, dass die Faktoren zwar einen Einfluss haben, sich aber nicht auf die Vorhersagbarkeit des individuellen Stechverhaltens auswirken“, ergänzt sie. Die jeweilige Persönlichkeit hat also mehr Einfluss als der Drang zur Anpassung. Dies bestätigte auch ein abschließendes Experiment. Hierbei stellten die Forschenden fest, dass die Bienen ihr Stechverhalten nicht in Abhängigkeit von der Gruppenzusammensetzung änderten. Selbst Honigbienen, die dafür bekannt sind, dass sie sehr sozial leben und die Bedürfnisse des Bienenvolks über ihre eigenen stellen, bewahren sich demnach eine gewisse Individualität.
– Der Exzellenzcluster Kollektives Verhalten der Universität Konstanz ist ein weltweit führendes Spitzenforschungszentrum für die Erforschung von Schwarmverhalten. Interdisziplinär werden drängende Fragen über Arten- und Organisationsebenen hinweg angegangen, von neuronalen Mechanismen über individuelle Wahrnehmung und Präferenzen bis hin zu kollektivem Verhalten in Gruppen oder ganzen Gesellschaften.
Originalpublikation:
Kannan K., Galizia C.G., Nouvian M. (2025): Consistency and individuality of honeybee stinging behaviour across time and social contexts. Royal Society Open Science 12:241295. DOI: 10.1098/rsos.241295

16.04.2025, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Entstehung komplexen Lebens
Forscher der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und drei weiterer Universitäten fanden heraus, warum Eukaryoten entstanden sind
Lange Zeit war das Leben auf Organismen beschränkt, die aus einfachen prokaryotischen Zellen bestanden – beispielsweise auf Urbakterien, Archaeen genannt. Auch heutige Bakterien sind prokaryotische Zellen, in denen das genetische Material frei im Zellplasma umherschwimmt. Deutlich komplexer dagegen gestalten sich die Zellen von Pilzen, Pflanzen und Tieren. Die Gene sind gut geschützt im Zellkern verpackt, zudem gibt es viele Organellen innerhalb einer größeren Zelle.
Entstehung komplexer Zellen quantitativ erklärt
Doch wie kam es zu dieser Komplexität, die die Entstehung von Tieren, Pflanzen und Menschen überhaupt erst ermöglichte? Zwar gibt es die weithin akzeptierte Endosymbiontentheorie. Sie besagt, dass die komplexen Zellen durch die Symbiose eines Bakteriums und eines Archaeons entstanden sind. Allerdings sind keine evolutionären Zwischenstufen von Prokaryonten und Eukaryonten bekannt – es klaffte daher weiterhin eine große Wissenslücke rund um die Entstehung der eukaryotischen Zelle, die die größte Komplexitätssteigerung in der Geschichte des Lebens auf der Erde darstellt. Vier Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), der Universität Valencia, der Polytechnischen Universität Madrid und der Universität Zürich konnten diese Lücke nun schließen. Die Ergebnisse wurden kürzlich im renommierten Wissenschaftsjournal PNAS veröffentlicht.
Das Forscherteam beschritt dabei einen neuen Weg. Statt sich der Frage phänomenologisch auf Grundlage der Zellstruktur zu nähern, arbeiteten die Forscher quantitativ an der Evolution der Gene. „Anfangs wuchsen die Proteine und die proteincodierenden Gene – die den Bauplan für die Proteine lieferten – gleichermaßen“, erklärt Dr. Enrique Muro, Computerbiologe an der JGU. „Als die Proteine jedoch länger und länger wurden, wurde es komplizierter. Es gab eine Spannung zwischen den Genen, die weiterwuchsen, und den Proteinen, die eine physikalische Begrenzung beim Wachsen hatten.“
Die Lösung der Evolution: Sie baute in die Gen-Baupläne nicht-codierende Bereiche ein, also solche, die keine Protein-Informationen enthalten. Während das Wachstum des durchschnittlichen Proteins bei einer Länge von 500 Aminosäuren stagnierte, konnten die Gene auf diese Weise weiterwachsen – und zwar exponentiell, wie das Team theoretisch und anhand von Beobachtungen herausfand. „Es gab also eine Änderung, die in der Physik magnetischer Materialien gut untersucht ist: Ein abrupter Übergang an einem kritischen Punkt, den wir auf die Zeit vor 2,6 Milliarden Jahre datieren“, fasst Muro zusammen. Das Wachstum der Gene hält bis heute an. Die Forschenden konnten ebenfalls vorhersagen, wie sich die Länge der codierenden Gene zukünftig entwickeln wird.
Übergang ebnete den Weg zum Leben, wie wir es kennen
Möglich wurden diese Erkenntnisse vor allem aufgrund der interdisziplinären Zusammenarbeit: Computerbiologen, Evolutionsbiologen und Physiker waren gleichermaßen beteiligt. „Es war eine Art Slow Cooking Science – wir vier Wissenschaftler haben lange und immer wieder über diese Themen diskutiert“, sagt Muro. Die Ergebnisse sind für die Biologie wie für viele andere wissenschaftliche Disziplinen relevant. Schließlich ebnete die Entwicklung der eukaryotischen Zelle den Weg für weitere wichtige Übergänge – wie Mehrzelligkeit oder Sexualität –, die das Leben auf unserem Planeten, wie wir es heute kennen, geprägt haben.
Originalpublikation:
Enrique M. Muro, Fernando J. Ballesteros, Bartolo Luque, and Jordi Bascompte
The emergence of eukaryotes as an evolutionary algorithmic phase transition
Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A., 27. März 2025
DOI: 10.1073/pnas.2422968122
https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2422968122

23.04.2025, Universität Bayreuth
Waldelefant statt Wildschwein? Was in Europa hätte sein können
Auch unter heutigen Klimabedingungen könnten in Europa die längst ausgerotteten europäischen Waldelefanten leben. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie. Ein Forschungsteam des Lehrstuhls für Sportökologie an der Universität Bayreuth hat dazu Fossilfunde mit Rekonstruktionen des vergangenen Klimas kombiniert. Über ihre Ergebnisse berichten die Forschenden im Fachjournal Frontiers of Biogeography.
What for?
Unsere Wahrnehmung der Natur wird von dem geprägt, was wir in unserem Umfeld erleben. Ökosysteme ohne direkte menschliche Einflussnahme werden als „natürlich“ wahrgenommen. Berücksichtigt man die Erkenntnisse, die von Fossilien gewonnen werden können, wird klar, dass sich Ökosysteme heutzutage selbst ohne direkten menschlichen Einfluss deutlich von den Ökosystemen unterscheiden, in welchen sich vor Jahrtausenden die Arten unserer Landschaften entwickelt haben. Studien wie die des Bayreuther Forschungsteams zeigen die Bedeutung der Erforschung vergangener Ökosystemen für Naturschutz: Durch das Verständnis, wie sich Klima- und Umweltveränderungen historisch auf große Säugetiere ausgewirkt haben, lassen sich Rückschlüsse für heutige Naturschutzmaßnahmen ableiten.
Elefanten gehören zu den größten Landsäugetieren der Erde und werden oftmals als sogenannte Ökosystemingenieure bezeichnet, da sie ihre Umgebung beispielsweise durch Fraß, Trampeln oder Graben nachhaltig verändern. Auch Europa hatte einen Elefanten: Der europäische Waldelefant (Palaeoloxodon antiquus) lebte für ca. 700.000 Jahre auf unserem Kontinent. Die Art überlebte mehrere Eiszeiten, bevor sie in der letzten wegen der zusätzlichen Bejagung durch Menschen ausgerottet wurde. Während seiner Lebenszeit hat der europäische Waldelefant dazu beigetragen, dass offene Flächen und lichte Wälder die Landschaft Europas geprägt haben. Dementsprechend sind auch viele heimische Pflanzenarten heutzutage an solche Bedingungen angepasst.
„Der deutsche Name ,Waldelefant‘ entstammt der Annahme, dass diese Art bevorzugt in bewaldeten Regionen Europas lebte. Fossilfunde zeigen jedoch, dass P. antiquus oft in offenen oder halboffenen Habitaten mit mosaikartiger Vegetation lebte, ähnlich wie moderne Elefanten“, sagt Prof. Dr. Manuel Steinbauer, Inhaber des Lehrstuhls für Sportökologie an der Universität Bayreuth.
Um die Lebensweise von P. antiquus und insbesondere seinen tatsächlichen Lebensraum – die sogenannte realisierte Nische – zu rekonstruieren, durchsuchte das Forschungsteam die wissenschaftliche Literatur sowie paläontologische Datenbanken nach Fossilfunden von P. antiquus, die den sogenannten Marine Isotope Stages zugeordnet werden konnten. Marine Isotope Stages sind Zeitabschnitte in der Erdgeschichte, welche die Klimageschichte widerspiegeln, da sie Warm- bzw. Kaltzeiten repräsentieren. Das Bayreuther Forschungsteam ordnete Fossilfunde aus ganz Europa einer Warm- oder Kaltzeit zu und rekonstruierte anhand von Klimamodellen in diesen Zeiten die realisierte Nische der Waldelefanten. Im Vergleich mit modernen Klimadaten zeigt sich: Die Waldelefanten könnten auch heute noch in Europa leben. Insbesondere das Klima in West- und Zentraleuropa wäre für den Waldelefanten geeignet, mit Ausnahme von Bergregionen wie den Alpen oder dem Kaukasus.
„In der Vergangenheit waren Megafauna wie der Waldelefant und ihre Kontrollmechanismen, wie z.B. Fraß, allgegenwärtig. Viele europäische Arten – beispielsweise Pflanzen, die Offenland bevorzugen – haben sich sehr wahrscheinlich in ihrer Vielfalt in Europa etabliert können, weil sie von diesen Kontrollmechanismen profitiert haben. Klassische Naturschutzstrategien in Europa zielen in erster Linie darauf ab, biologische Vielfalt durch Schutzgebiete vor menschlichen Aktivitäten abzuschirmen. Allerdings ist diese Strategie wahrscheinlich nicht in der Lage, die verlorenen Kontrollmechanismen der Megafauna wiederherzustellen“, sagt Franka Gaiser, Doktorandin am Lehrstuhl für Sportökologie und Erstautorin der Studie. Moderne Naturschutzprojekte siedeln gezielt große Pflanzenfresser wieder in Europa an. Dies ist jedoch mit Herausforderungen verbunden, da die ökologischen Prozesse, die moderne Ökosysteme geprägt haben, noch nicht vollständig verstanden sind. Zudem können heutige große Pflanzenfresser nicht in vollem Umfang die Rolle der ausgestorbenen Megafauna übernehmen, da sich sowohl die Tiere selbst als auch Landschaftsstrukturen und Interaktionen zwischen Arten erheblich verändert haben.
Originalpublikation:
Franka Gaiser, Charlotte Müller, Paula Phan, Gregor Mathes, Manuel J. Steinbauer. Europe’s lost landscape sculptors: Today’s potential range of the extinct elephant Palaeoloxodon antiquus. Frontiers of Biogeography 18 (2025)
DOI: https://doi.org/10.21425/fob.18.135081

24.04.2025, Eberhard Karls Universität Tübingen
Dinosaurierfressendes Riesenkrokodil Deinosuchus wegen Salzwassertoleranz erfolgreich
Seine Salzwassertoleranz machte es dem ausgestorbenen Riesenkrokodil Deinosuchus möglich, sich in ganz Nordamerika auszubreiten. Das hat ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Márton Rabi aus der Biogeologie der Universität Tübingen in einer detaillierten Abstammungsstudie herausgefunden.
Das ausgestorbene Riesenkrokodil Deinosuchus war eines der erfolgreichsten Raubtiere in den Feucht- und Küstengebieten Nordamerikas und stellte selbst für große Dinosaurier eine Gefahr dar. Der Schlüssel zum Erfolg des „schrecklichen Krokodils“, wie der wissenschaftliche Name des Raubtiers übersetzt heißt, war seine Salzwassertoleranz und seine enorme Größe, die durch die hohe Produktivität der Küstenökosysteme begünstigt wurde. Das hat ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Márton Rabi aus der Biogeologie der Universität Tübingen in einer detaillierten Abstammungsstudie herausgefunden. Mit dieser Erkenntnis lässt sich das Rätsel lösen, wie Deinosuchus in der Kreidezeit vor 82 bis 75 Millionen Jahren zu einem der erfolgreichsten und größten Raubtiere Nordamerikas werden konnte. Die neue Studie wurde in der Fachzeitschrift Communications Biology veröffentlicht.
Die Arten der Gattung Deinosuchus gehörten zu den größten jemals lebenden Krokodilen. Sie waren weit verbreitet in den Feucht- und Küstengebieten des Westatlantiks und auf beiden Seiten des ausgedehnten Flachmeers, das in der mittleren und späten Kreidezeit den nordamerikanischen Kontinent von Norden nach Süden durchzog. Dieser frühere Meeresarm wird auch als Western Interior Seaway bezeichnet. Die Existenz der Deinosuchus-Krokodile wurde mehr als zehn Millionen Jahre vor dem Erscheinen des bekannten Dinosauriers Tyrannosaurus rex – oder T-rex – nachgewiesen. „Dass die Deinosuchus-Krokodile Dinosaurier erbeuteten, hat man in der Vergangenheit unter anderem aus entsprechenden Bissspuren auf Knochen von frühen Verwandten des T-rex geschlossen“, berichtet Márton Rabi.
Salzwassertoleranz als entscheidender Vorteil
Bisher galten die Deinosuchus-Krokodile als mit den Süßwasser-Alligatoren und den Kaimanen verwandt. Wie sie sich trotz des Hindernisses, das der Western Interior Seaway darstellte, in Nordamerika weit verbreiten konnten, war unklar. Da der kreidezeitliche Meeresarm bereits vor den ersten Deinosuchus-Fossilien existierte, sei es unwahrscheinlich, dass die Populationen später getrennt wurden, berichtet Rabi.
Um die Abstammung von Deinosuchus genauer zu bestimmen, erstellte das Forschungsteam einen umfassenden Familienstammbaum von Krokodilarten. Dafür erhoben die Forscherinnen und Forscher umfangreiche Daten von einer ganzen Reihe von bisher nicht detailliert untersuchten Schädeln und Skeletten ausgestorbener Arten und ließen auch genetische Informationen heute noch lebender Krokodilarten einfließen. „Unsere Analyse ergab sehr deutlich, dass die Deinosuchus-Arten nicht näher mit den Alligatoren und Kaimanen verwandt waren und auch nicht mit irgendeiner heute noch lebenden Krokodilart“, sagt Jules D. Walter, Doktorand und Erstautor der Studie. Die Deinosuchus-Krokodile entstammten einer Seitenlinie, die vom Hauptast des Familienbaums abzweigte, der zu den heute lebenden Arten wie den Echten Krokodilen, Alligatoren, Kaimanen und Gavialen weiterführte.
„Mit der neuen Zuordnung im Familienstammbaum nehmen wir nun an, dass in der Gattung die Salzwassertoleranz der Vorfahren erhalten blieb“, sagt Walter. „Zwar lebten Deinosuchus-Krokodile nicht dauerhaft im Meer, sie könnten aber den Western Interior Seaway überquert und sich ausgebreitet haben.“ Zum Ende der Kreidezeit fiel der Meeresspiegel, der den nordamerikanischen Kontinent überspannende Meeresarm zog sich zurück. Aus dieser Zeit gebe es keine Fossilien von Deinosuchus mehr, möglicherweise seien die Arten damals mit dem Verlust der großen Feuchtgebiete ausgestorben.
Verletzlicher Gigant: Riesenkrokodil war auf fruchtbaren Lebensraum angewiesen
Das Forschungsteam nahm auch eine neue Abschätzung der Körperlänge von Deinosuchus riograndensis vor, die bisher zwischen acht und zwölf Metern lag. „Wir kommen auf bescheidenere Maße von etwa 7,7 Metern Gesamtlänge aber es gibt Hinweise auf unvollständig erhaltene größere Individuen“, berichtet Walter. „Wir haben kein vollständiges Skelett. Der Deinosuchus-Schädel hat eine vergleichsweise lange Schnauze, was unserer Meinung nach bisher zu einer übertriebenen Schätzung geführt hatte.“ In ihrer Analyse stellten die Forscherinnen und Forscher fest, dass sich Arten von Riesenkrokodilen in den vergangenen 120 Millionen Jahren mindestens zwölf Mal unabhängig voneinander in der Evolution entwickelten. „Rund sieben Meter lange Individuen lebender Krokodilarten, die beinahe die Schätzgröße für Deinosuchus riograndensis erreichten, gab es nicht nur in prähistorischen Zeiten, sondern mindestens bis ins 19. Jahrhundert“, sagt Rabi. Die Giganten seien immer entstanden, wenn der Lebensraum dies hergab: Es brauchte ausgedehnte, hochproduktive Feuchtgebiete oder Meeresökosysteme, um ausreichend große Beutetiere hervorzubringen. „Die einzigen Gründe dafür, dass es möglicherweise keine lebenden, wirklich riesigen Krokodile mehr gibt, sind Überjagung und Lebensraumzerstörung“, sagt Rabi.
„Die paläontologische Forschung an der Universität Tübingen bringt immer wieder Ergebnisse hervor, die nicht nur neue Details zur Evolutionsgeschichte beitragen, sondern auch Bezüge zum heutigen Umwelt- und Artenschutz in sich bergen“, sagt Professorin Dr. Dr. h.c. (Dōshisha) Karla Pollmann, die Rektorin der Universität Tübingen.
Originalpublikation:
Jules D. Walter, Tobias Massonne, Ana Laura S. Paiva, Jeremy E. Martin, Massimo Delfino & Már-ton Rabi: Expanded phylogeny elucidates Deinosuchus relationships, crocodylian osmoregulation and body-size evolution. Communications Biology,
https://doi.org/10.1038/s42003-025-07653-4

Dieser Beitrag wurde unter Wissenschaft/Naturschutz veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert