Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

10.05.2021, Deutsche Wildtier Stiftung
Vogelküken brauchen ein sicheres Zuhause
Deutsche Wildtier Stiftung: Im Mai ist Hauptbrutsaison der Vögel – wie Vogeleltern dabei unterstützt werden können
Amsel, Drossel, Fink und Star – alle Vögel sind im Brutgeschäft. Ohne sicheres „Heim“ ist der Nachwuchs in Gefahr. „Das Gelege und später auch die Küken müssen vor Katzen, Waschbären und Mardern sicher sein – aber auch aus der Luft drohen zum Beispiel von Sperber oder Habicht tödliche Angriffe“, sagt Lea-Carina Mendel, Artenschützerin bei der Deutschen Wildtier Stiftung. „Außerdem muss ein kleines Vogelheim Regen, Sturm und Sonne trotzen. Es darf bei Starkregen nicht kaputtgehen und bei Hitze nicht zu einem extrem heißen Brutkasten werden.“ Doch die Vogel-Traumimmobilie ist nicht leicht zu finden.
„Um Singvögel beim Brüten zu unterstützen, sollten unsere Gärten möglichst naturnah gestaltet sein“, sagt Mendel. Neben Schlehen- oder Weißdornhecken eignen sich Fassadenbegrünungen aus Efeu, Schling-Knöterich, Hopfen und Wald-Geißblatt, um einen sicheren Platz für Vogelnester zu schaffen. Doch Vögel wissen durchaus auch Nistkästen zu schätzen. „Sie können an Bäumen oder einfach an Hauswänden montiert werden. Und wenn alles passt, ziehen die Vögel auch gerne ein“, so die Ornithologin.
Dabei ist den gefiederten Mietern das äußere Häuschen-Design schnuppe. Dafür müssen Bausubstanz, Lage der Immobilie und die Größe des Einfluglochs passen. Mit 32 mm im Schlupfloch-Durchmesser sind Feldsperlinge, Kohl- und Sumpfmeisen zufrieden. Blau- und Tannenmeisen mögen es mit 28 mm etwas kleiner. Stare dagegen sind erst mit einem Einflugloch von circa 45 mm zufrieden. Spatz, Garten- und Hausrotschwanz bevorzugen im neuen Eigenheim ein „Oberlicht“: Ihre Vogel-Immobilie sollte hell „geschnitten“ sein. Für sie ist ein Kasten mit hochovalem Einflugloch (ca. 30 x 50 mm) ideal. Spatzen nisten zwar in Kolonien, aber ein Abstand von einem Meter zwischen den Vogelhäuschen sorgt für genügend „Intimsphäre“.
Auch die Himmelsrichtung ist nicht unwesentlich. Mendel empfiehlt: „Ein Plätzchen im Osten ist für den Vogelkasten die optimale Ausrichtung.“ Richtung Süden wird es schnell zu heiß; Norden und Westen bringen oft Sturm und Regen. Um es Fressfeinden schwerer zu machen, sind einige Nistkästen mit einem Sicherheits-Vorbau ausgestattet. Der Kleiber als guter „Heimwerker“ verschließt mit seinem Schnabel die „Haustür“ einfach. Ist das Loch zu groß, wird es mit feuchtem Lehm verputzt. Hausrotschwanz, Bachstelze und Rotkehlchen bevorzugen als Halbhöhlenbrüter halboffene Nistkästen. Auch Grauschnäpper und Zaunkönige schätzen dieses Wohnmodell. „Wichtig ist, dass diese Nistkästen immer an geschützten Orten, zum Beispiel direkt unterm Dach einer Schuppenwand angebracht werden“, so Lea Mendel. Für Rauchschwalben gibt es schalenartige Kunstnester im Handel, wenn lehmige Pfützen für den eigenen Hausbau fehlen.
Bei allen Häusern muss die Qualität stimmen: „Naturbelassene Materialien ohne Chemie, darauf kommt es an“, erläutert Mendel. Nistkästen aus Holz isolieren vor Hitze und Kälte. Auch Holzbeton und Terrakotta eignen sich, um darin zu wohnen und den Nachwuchs aufzuziehen. Man sollte keine Kunststoffkästen wählen. Mendel: „Bei Extremwetterereignissen fehlt die Atmungsaktivität und Isolierung. Dadurch kühlen sie entweder zu stark ab oder heizen sich schnell auf.“ An den glatten Wänden ist es für Jungvögel schwierig, sich mit den Krallen festzuhalten und hinauszuklettern. Außerdem ist Kunststoff als Material nicht umweltfreundlich. Als guter „Vermieter“ sollte man bei Nisthilfen auch an die Umwelt denken.

10.05.2021, Universität Hohenheim
SCIENCE-Publikation: Globaler Atlas soll große Tierwanderungen bewahren
Start einer globalen Initiative mit Beteiligung von Forschern der Uni Hohenheim / Ziel: Die großen Huftierwanderungen weltweit kartieren und erhalten / Dringender Handlungsbedarf
Wildtiere soweit das Auge reicht: Millionen von Gnus ziehen gemeinsam mit Zebras, Gazellen und Antilopen durch das grüne Gras weiter Ebenen in Ostafrika. Die Wanderungen großer Säugetiere gehören zu den eindrucksvollsten Naturwundern. Es gibt sie nicht nur in Afrika, sondern weltweit, auch in Europa. „Doch diese Wanderungen verschwinden in alarmierendem Tempo“, berichtet Dr. Joseph Ogutu von der Universität Hohenheim in Stuttgart. „Um sie effektiv schützen zu können, müssen wir sie zunächst einmal erfassen und detailliert kartieren.“ Mit dem Ziel, einen weltweiten Atlas zu Tierwanderungen zu erstellen, hat er sich jetzt mit über 90 Forschenden aus aller Welt zusammengetan. Gemeinsam haben sie eine neue Initiative zum Schutz von Huftierwanderungen gestartet, die Global Initiative for Ungulate Migration (GIUM). Einzelheiten dazu sind jetzt im renommierten Wissenschaftsmagazin Science nachzulesen: https://doi.org/10.1126/science.abf0998
Die großen Wanderungen von Wildtieren gehören zu den beeindruckendsten Phänomenen in der Natur. Leider sind viele dieser erstaunlichen Schauspiele durch Eingriffe des Menschen bedroht. Der Verlust von Lebensraum durch Landwirtschaft sowie Wilderei und Barrieren wie Zäune, Straßen und Eisenbahnen haben die historischen Wanderrouten nach und nach unterbrochen und zu einem massiven Rückgang vieler einst spektakulärer Wanderherden geführt.
„So ist seit Mitte der 1970er Jahre die Gnu-Population in Kenia um über 70 Prozent zurückgegangen“, berichtet Dr. Ogutu, Biostatistiker am Fachgebiet von Prof. Dr. Hans-Peter Piepho an der Universität Hohenheim. Er setzt sich seit vielen Jahren für dieses Thema ein und hat ihm einen Großteil seiner Karriere gewidmet. „Kenia und Tansania haben bereits vier ihrer charakteristischen Massenwanderungen verloren. Ihr kompletter Verlust würde nicht nur zu einem starken Rückgang der Artenvielfalt führen, sondern auch den Tourismus und die lokalen Lebensgrundlagen gefährden.“
Erschwerend kommt das exponentielle Wachstum der Bevölkerung hinzu. So lebten in Kenia im Jahr 1948 rund 5,4 Millionen Menschen. In den folgenden 70 Jahren stieg die Bevölkerungszahl um 780 Prozent, im Jahr 2019 betrug sie 47,6 Millionen. Im Jahr 2050 wird sie voraussichtlich 95,5 Millionen erreicht haben. Um diese rasant wachsende Bevölkerung ernähren zu können, haben Viehzucht und Landwirtschaft des Landes in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen.
Zäune als Todesfallen
Vor allem die ungeplante Ausbreitung von Zäunen hält Dr. Ogutu für problematisch: „Bei dem Versuch, dieses Labyrinth zu durchqueren oder darüber zu springen, verfangen sich viele Tiere in den Drähten oder werden sogar getötet.“ Straßen und Eisenbahnen, Öl- und Gaspipelines sowie Staudämme sind weitere Barrieren, die die traditionellen Wanderwege unterbrechen.
Eine zusätzliche Bedrohung ist der Klimawandel. Viele Huftiere richten ihre Wanderungen nach dem Pflanzenwachstum und wichtigen Wetterereignissen aus. Doch aufgrund der immer häufiger auftretenden Dürreperioden wird es für sie zunehmend schwieriger, ihre Wanderungen darauf abzustimmen und ausreichend Futter zu finden.
Wanderungen weltweit in Gefahr
Auch in anderen Teilen der Welt wird die freie Bewegung von wandernden Herden durch Barrieren zunehmend eingeschränkt. So lebt in Europa der Rothirsch heute in einer Landschaft, die durch menschliche Besiedelung geprägt ist und so seinen Lebensraum zerstückelt. Nur in abgelegenen Regionen in den Alpen kann er noch weitgehend ungehindert über die Gebirgsketten wandern und den saisonalen Zyklen des Pflanzenangebots folgen.
Um einige dieser negativen Auswirkungen auszugleichen, haben viele Regierungen Schutzgebiete eingerichtet. Für Dr. Ogutu besteht das grundlegende Problem jedoch darin, dass diese Wildreservate und Nationalparks in der Regel nicht groß genug sind, um das gesamte Verbreitungsgebiet der wandernden Tiere schützen zu können.
Aus Sicht der Forschenden müssen daher dringend die Wanderrouten gesichert werden, um weitere Verluste zu verhindern. Dafür müssen zunächst die genauen Wege kartiert und die kritischsten Hindernisse identifiziert werden. Diese können anschließend beseitigt und so die traditionellen Wanderrouten wiederhergestellt werden.
Neue Technologien, neue Entdeckungen
Dabei ermöglichen neue leistungsstarke Technologien über die Tracking-Daten der Tiere eine präzise Kartierung von Langstreckenwanderungen. Die Ergebnisse überraschen Wissenschaft und Öffentlichkeit gleichermaßen. Denn sie zeigen, dass die Bewegungen von Huftieren auf der ganzen Welt vielfältiger und komplexer sind als bisher angenommen.
Wichtig ist es auch, dass die Forscher nicht nur jede Wanderung kartieren, sondern auch verstehen, was die Tiere dazu bringt, sich entlang der jeweiligen Route zu bewegen. Eine wichtige Erkenntnis ist beispielsweise, dass das Wanderverhalten bei einigen Arten nicht angeboren ist, sondern eine Art Kultur darstellt, die erlernt und über Generationen weitergegeben werden muss.
Bessere Politik durch weltweiten Atlas für Tierwanderungen
Um die unterschiedlichen Bemühungen zum Erhalt der Wanderrouten zu koordinieren, haben mehr als 90 Forschende die „Global Initiative for Ungulate Migration“ (GIUM) ins Leben gerufen: Wissenschaftler, Naturschützer und Wildtiermanager aus aller Welt wollen eine gemeinsame Wissensbasis schaffen, einen weltweiten Atlas für Tierwanderungen entwickeln sowie die Einführung neuer Schutzmaßnahmen und -richtlinien fördern.
Schon heute setzen sich viele Regierungen der Welt für den Erhalt der Artenvielfalt und der Wildtierbestände ein. Dafür benötigen sie verlässliche Informationen. So könnten beim Neubau von Straßen, Zäunen und anderen Infrastrukturen bereits bei der Planung die Lebensräume festgelegt werden, die unbebaut bleiben sollten oder wo Straßenquerungen beziehungsweise Pipelines für Wildtiere überbrückt oder untertunnelt werden sollen.
Ein anderer Ansatzpunkt sind für Dr. Ogutu Landpacht-Programme, die private und kommunale Naturschutzgebiete mit erheblichen Zahlungen unterstützen: „So können ihre Kosten ausgeglichen und die Menschen abgehalten werden, ihr Land aufzuteilen, Zäune zu errichten oder wilde Tiere illegal zu töten.“

Originalpublikation:
Kauffman MJ, Cagnacci F, Chamaillé-Jammes S et al.: Mapping out a future for ungulate migrations, Science, 372, 566-569; DOI: https://doi.org/10.1126/science.abf0998

11.05.2021, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Bedrohte Arten: Nicht nur Hasen mögen Karotten
Der Feldhamster gehört zu den bedrohten Tierarten in Mitteleuropa – vor allem wegen der intensiven Landwirtschaft. Die Tierökologie der Uni Würzburg hat nun untersucht, wie die kleinen Tiere damit umgehen.
In den vergangenen Jahrhunderten hat sich die Landnutzung auf der ganzen Welt massiv verändert. Vor allem die Intensivierung der Landwirtschaft sorgt dafür, dass die Artenvielfalt von Tieren zurückgeht. In Mitteleuropa ist davon der Feldhamster ganz besonders betroffen. Nach der Getreideernte, die inzwischen viel früher beginnt als noch vor 100 Jahren, verlieren Feldhamster eine wichtige Nahrungsquelle – und vor allem die lebenswichtige Versteckmöglichkeit.
Wie die kleinen Tiere damit umgehen, ist bislang nicht bekannt. Doch ein Forschungsteam der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg hat das Verhalten der Feldhamster näher untersucht. Das Ergebnis: Besonders eine Gemüsesorte eignet sich hervorragend als Futterquelle und deren Felder als Versteck für die Tiere.
Das Team der JMU hat im Jahr 2019 insgesamt 45 Felder um die Ortschaft Bergtheim (Landkreis Würzburg) unter die Lupe genommen und untersucht, wie sich Feldhamster nach der Getreideernte verhalten. Dazu wurden aktive Hamsterbaue in Wintergetreide und den zwei wichtigsten Sonderkulturen der Region, Karotte und Rotkohl, vor und nach der Getreideernte erfasst.
Vor der Getreideernte waren aktive Hamsterbaue vor allem im Getreide vorhanden, nur sehr wenige in Karotte oder Rotkohl. Nach der Getreideernte drehte sich das Bild: Auf den abgeernteten Getreidefeldern waren nur noch wenige Hamsterbaue zu finden, während deren Anzahl in Karottenfeldern stark zugenommen hatte, nicht jedoch in Rotkohlfeldern.
Geeignete Zwischenstation für Feldhamster
„Folglich eignen sich Karottenfelder als Alternativhabitate für Feldhamster nach der Getreideernte. Da einige Karotten-Sorten erst spät im Herbst geerntet werden, bieten sie Schutz, bis der Feldhamster sich zur Überwinterung in tiefe Winterbaue zurückzieht“, erklärt Professor Jochen Krauss, Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie am Biozentrum der JMU. „Gerade diese spät geernteten Karottensorten könnten durch gezielte Förderung einen wichtigen Beitrag zum Schutz des Feldhamsters in den Agrarlandschaften seines Verbreitungsgebiets leisten“, ergänzt Fabian Bötzl Doktorand am Lehrstuhl Tierökologie.
Für das Team der Tierökologie steht fest: Für den Fortbestand der Feldhamsterpopulationen in Unterfranken braucht es ein Zusammenspiel von Forschung, Behörden und Landwirten. „Eine gezielte Förderung von geeigneten Alternativhabitaten sowie Feldfrüchten, die dem Hamster nach Verlust der Getreidefelder genügend Deckung und Schutz bieten, könnte dabei ein Schlüsselelement bilden“, erklärt Vanessa Bald, die die Feldstudie im Rahmen ihrer Masterarbeit an der Tierökologie der JMU durchgeführt hat und jetzt für die Höheren Naturschutzbehörde (Regierung Unterfranken) arbeitet. Zusammen mit den Landwirten kann so das Überleben des Feldhamsters in der Agrarlandschaft ermöglicht werden.
Zusammenarbeit von Forschung und Behörden
Die Tierökologie der JMU will bei diesen und anderen ökologischen Themen auch weiterhin mit der Höheren Naturschutzbehörde Unterfrankens zusammenarbeiten. Die Behörde hatte auch die aktuelle Untersuchung bereits finanziell und planerisch unterstützt. In Zukunft soll etwa geklärt werden, ob Hamster in den Karottenflächen auch ausreichend geeignete Nahrungsvorräte für die Überwinterung ablegen und überwintern können.
Originalpublikation:
Bald, Vanessa; Boetzl, Fabian A.; Krauss, Jochen: “Where do hamsters go after cereal harvest? A case study”, in: Basic and Applied Ecology, Mai 2021, https://doi.org/10.1016/j.baae.2021.04.008

11.05.2021, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
Meerrettich-Erdfloh: Geschützt mit den Waffen seiner Nahrungspflanze
Forschende klären auf, wie ein Käfer die Anreicherung von Pflanzengiften mittels spezieller Transporter reguliert.
Wenn Meerrettich-Erdflöhe an ihren Wirtspflanzen fressen, nehmen sie nicht nur Nährstoffe, sondern auch Senfölglykoside, die charakteristischen Abwehrstoffe des Meerrettichs und anderer Kreuzblütengewächse, auf. Mit Hilfe dieser Pflanzengifte verwandeln sich die Käfer in „Senfölbomben“ und schrecken so Fressfeinde ab. Einem Team von Forschenden des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena konnten zeigen wie diese Schädlinge Senfölglykoside im Körper speichern können. Die Käfer verfügen über spezielle Transporter in ihrem Ausscheidungssystem, die verhindern, dass die angereicherten Senfölglykoside passiv ausgeschieden werden. Dieser Mechanismus ermöglicht es dem Meerrettich-Erdfloh, hohe Mengen der Pflanzengifte in seinem Körper anzureichern, die er zur eigenen Verteidigung nutzt (Nature Communications, Mai 2021, doi: 10.1038/s41467-021-22982-8).
Sequestrierung: Mit den Waffen anderer gut gerüstet
Viele Tiere verwenden chemische Abwehrstoffe, um ihre Fressfeinde abzuschrecken. Diese Abwehrstoffe werden entweder vom Tier selbst produziert oder aus der Nahrung erworben. Die Fähigkeit, Abwehrstoffe aus der Nahrung zugewinnen, ist besonders bei Insekten, die sich von giftigen Pflanzen ernähren, weit verbreitet. Ein Beispiel ist der Meerrettich-Erdfloh (Phyllotreta armoraciae), der Senfölglykoside in seinem Körper einlagern kann.
„Der Meerrettich-Erdfloh gehört zu einer wirtschaftlich wichtigen Gruppe von Insekten. Mehrere Arten der Gattung Phyllotreta sind Schädlinge von Raps und Kohlgemüse. Sie können große Mengen an Senfölglykosiden aus ihren Wirtspflanzen im Körper anreichern und den Gehalt und die Zusammensetzung dieser pflanzlichen Abwehrstoffe im Körper zumindest teilweise über die Ausscheidung regulieren. Dies deutet darauf hin, dass die Käfer über sehr effiziente Transport- und Speichermechanismen verfügen, die wir aufdecken wollten,“ erklärt Erstautor Zhi-Ling Yang das Ziel der neuen Studie.
Das Team um Franziska Beran, Leiterin der Forschungsgruppe Sequestrierung und Entgiftung in Insekten am Max-Planck-Institut, hat bereits nachweisen können, wie der Meerrettich-Erdfloh Senfölglykoside aus seiner Wirtspflanze effektiv für die Verteidigung gegen einen räuberischen Marienkäfer nutzt (siehe Pressemeldung vom 2. März 2020, „Die Wehrhaftigkeit von Meerretticherdflöhen hängt von ihrer Futterpflanze und ihrem Entwicklungsstadium ab”).
Spezielle Transporter für Pflanzengifte in den Ausscheidungsorganen der Käfer
Obwohl schon lange bekannt ist, dass Meerrettich-Erdflöhe und verwandte Käferarten Senfölglykoside in ihrem Körper anreichern, war unklar wie das Insekt es schafft hohe Mengen von Senfölglykosiden im Körper zu speichern. Das Ziel des Forschungsteams war es daher Transporter für Senfölglykoside in diesem Insekt zu identifizieren. „Die Suche nach diesen Transportern glich buchstäblich der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen,“ meint Franziska Beran, „Wir fanden 1401 Membranproteine im Darm und den Malpighischen Gefäßen, die als Kandidaten in Frage kamen. Durch die Eingrenzung unserer Suche auf Transporter, die spezifisch für Meerrettich-Erdflöhe sind, ist es uns schließlich gelungen Senfölglykosid-spezifische Transportern zu identifizieren.“
Die gefundenen Senfölglykosid-Transporter befinden sich in den Ausscheidungsorganen, den sogenannten Malpighischen Gefäßen der Käfer, welche eine ähnliche Rolle übernehmen wie die Nieren bei Wirbeltieren. Die Funktion der identifizierten Transporter ermittelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Hilfe der „RNA Interferenz“, einem Ansatz, bei dem die Expression des untersuchten Gens unterdrückt wird, um daraus seine ursprüngliche Funktion im untersuchten Organismus abzuleiten: „Wir haben die Genexpression mehrerer Transporter, die in den Malpighischen Gefäßen lokalisiert sind, stillgelegt und festgestellt, dass diese Käfer mehr Senfölglykoside ausscheiden als eine Kontrollgruppe von Käfern mit normaler Genexpression. Aufgrund der höheren Ausscheidungsrate sank der Gehalt an Abwehrstoffen im Käferkörper. Unsere Studie ist die erste, die Transporter in den Malpighischen Gefäßen identifiziert, die es einem Insekt ermöglichen, Pflanzenabwehrstoffe im Körper zu anzureichern“, fasst Yang zusammen.
Mit ihrer Untersuchung zeigen die Forschenden, dass Sequestrierung ein komplexer Prozess ist, der über die reine Aufnahme von Nahrungsgiften in den eigenen Körper weit hinausgeht. Das sequestrierende Insekt muss seine gesamte Physiologie anpassen, um pflanzliche Abwehrstoffe zur eigenen Verteidigung nutzen zu können. Diese Anpassungen erfolgen als Antwort auf die Herausforderungen in seiner Umwelt: Räuber, Parasiten und Krankheitserreger. „Sequestrierung ist wahrscheinlich eine der komplexesten Anpassungen, die pflanzenfressende Insekten entwickelt haben. Sie trägt mit Sicherheit auch zum evolutionären Erfolg von Insekten bei, die sich auf bestimmte Wirtspflanzen spezialisiert haben, wie dem Meerrettich-Erdfloh,“ meint Franziska Beran.
Berans Team will jetzt weitere an der Sequestrierung beteiligte Transporter identifizieren. Außerdem möchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissen, vor welchen natürlichen Feinden Senfölglykoside dem Meerrettich-Erdfloh Schutz bieten. Mehr Wissen darüber, wie der Meerrettich-Erdfloh Pflanzengifte in seinem Körper einlagert und welche Auswirkungen das auf seine ökologischen Wechselwirkungen mit anderen Lebewesen in der Umwelt hat, wird das Verständnis dieses Schädlings vertiefen und möglicherweise Strategien für seine Bekämpfung optimieren.
Originalpublikation:
Yang, Z.-L., Nour-Eldin, H. H., Hänniger, S., Reichelt, M., Crocoll, C., Seitz, F., Vogel, H., Beran, F. (2021). Sugar transporters enable a leaf beetle to accumulate plant defense compounds. Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-021-22982-8

11.05.2021, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
Die Achillesferse eines Käfers: Glyphosat hemmt symbiotische Bakterien von Getreideplattkäfern
Die Anfälligkeit ihrer mikrobiellen Partner gegenüber dem Unkrautvernichtungsmittel ist eine unterschätzte Schwachstelle von Insekten, die zu ihrem Rückgang beitragen könnte.
Der Getreideplattkäfer lebt in enger Gemeinschaft mit symbiotischen Bakterien. Die Bakterien liefern wichtige Bausteine für die Bildung des Außenskeletts der Insekten, das sie vor Trockenheit und Feinden schützt. Ein Team von Wissenschaftlern der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena und des National Institute of Advanced Industrial Science and Technology in Japan zeigt in einer neuen Studie, dass das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat die symbiotischen Bakterien des Getreidekäfers hemmt. Käfer, die Glyphosat ausgesetzt sind, erhalten von den Bakterien nicht mehr die benötigten Bausteine. Die Studie zeigt damit, dass das Unkrautvernichtungsmittel indirekt, über ihre intrazellulären, bakteriellen Partner, auch Insekten schädigt und dadurch zu deren massenhaften Sterben beitragen dürfte (Communications Biology, doi: 10.1038/s42003-021-02057-6, Mai 2021).
Insekten brauchen mikrobielle Partner zum Überleben
Lebewesen existieren nicht isoliert, sondern sind in ein komplexes Netzwerk von ökologischen Wechselwirkungen eingebunden. Diese Wechselwirkungen mit anderen Organismen müssen berücksichtigt werden, wenn die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten beurteilt werden. Vor allem Insekten profitieren in vielfältiger Weise von der Lebensgemeinschaft symbiotischen Bakterien, vor allem durch die Zufuhr von Nährstoffen und chemischen Abwehrstoffen. Allerdings kann der Nutzen solcher Symbiosen Insekten auch anfällig machen. Insekten sind oft so abhängig von ihren mikrobiellen Partnern geworden, dass sie ohne die Symbiose-Bakterien weniger überlebensfähig sind. Die Konsequenzen eines Verlustes der Symbiose reichen von einer verzögerten oder unvollständigen Entwicklung, einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber natürlichen Feinden, einem reduzierten Reproduktionspotenzial und einer verminderten Konkurrenzfähigkeit gegenüber Artgenossen bis hin zum Tod.
Glyphosat verhindert in symbiotische Bakterien die Bildung von Bausteinen für das Außenskelett von Insekten
Glyphosat ist eines der derzeit am häufigsten verwendeten Unkrautvernichtungsmittel in der Landwirtschaft, obwohl seine potenziell schädlichen Nebenwirkungen auf Nicht-Zielorganismen zunehmend kontrovers diskutiert werden. Das Mittel soll das Wachstum von Pflanzen selektiv unterdrücken, indem es die Biosynthese von aromatischen Aminosäuren über den sogenannten Shikimatweg hemmt, einen Stoffwechselweg, der in Pflanzen, aber auch vielen Mikroorganismen vorkommt. Tiere hingegen weisen keine Gene auf, die für diesen Stoffwechselweg kodieren. Daher ging man bislang davon aus, dass sie von Glyphosat nicht geschädigt werden. Viele Tiere gehen jedoch wechselseitige Symbiosen mit Mikroorganismen ein, die auf den Shikimatweg der Bakterien angewiesen sind, um Aminosäuren zu erhalten, die sie als Bausteine für ihr Außenskelett benötigen. „Ein Einfluss von Glyphosat auf Tiere über ihre essentiellen, bakteriellen Partner, die den Shikimat-Stoffwechselweg nutzen, oder sogar auf diesen spezialisiert sind, liegt im Prinzip nahe, sobald man die Interaktion beider Partner versteht“ erklärt Tobias Engl, einer der Hauptautoren der Studie. So wurde auch bereits gezeigt, dass Glyphosat negative Auswirkungen auf Mikroorganismen im Darm von Honigbienen hat und die Bienen dadurch anfälliger für verschiedene Stressfaktoren sind. Darüber hinaus ist die Bereitstellung der aromatischen Aminosäure Tyrosin für die Bildung des Außenskeletts (Kutikula) einer der Hauptvorteile von Symbiose-Bakterien für viele pflanzenfressenden Insektenarten. Diese Abhängigkeit von der Symbiose wiederum macht Insekten vermutlich besonders anfällig für den Einsatz von Glyphosat in der Landwirtschaft: Der Unkrautvernichter hemmt den Shikimatweg in den Symbiose-Bakterien und damit fehlen den Insekten wichtige Aminosäuren für die Bildung der Kutikula.
Erweist sich die Abhängigkeit von ihren Symbiose-Partnern als Achillessehne für Insekten?
In der aktuellen Studie zeigen Wissenschaftler der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena und des National Institute of Advanced Industrial Science and Technology in Japan, dass Glyphosat einen negativen Einfluss auf den mikrobiellen Partner hat, den der Getreideplattkäfer Oryzaephilus surinamensis, ein wirtschaftlich wichtiger Schädling von gelagerten Getreideprodukten, beherbergt. Werden diese Käfer dem Unkrautvernichter Glyphosat ausgesetzt, hob dies den Nutzen der Symbiose für die Bildung der Kutikula, die für Insekten als regelrechter Panzer den primären Schutz gegen Stress, wie Trockenheit und Befall mit Schaderregern darstellt, nahezu völlig auf.
Die Forscher sequenzierten das Genom des bakteriellen Partners des Getreideplattkäfers. Das winzige Genom (300 kbp) der Bakterien enthält die genetische Anleitung für einen Stoffwechsel, der ganz auf die Bildung von aromatischen Aminosäuren über den Shikimatweg ausgerichtet ist. Interessanterweise, ähnelt es stark dem Genom der bakteriellen Partner des Palmrüsslers, bei dem der Symbiose-Bakterien ebenfalls an der Bildung des Außenskeletts beteiligt sind, aber zu einem anderen Bakterienstamm gehören.
„Die Entdeckung einer symbiotischen Beziehung mit vergleichbarer Funktion, die sich unabhängig voneinander in zwei verschiedenen Bakterienstämmen und entfernt verwandten Käferfamilien entwickelt hat, zeigt, wie wichtig kutikulaunterstützende Symbiosen bei Käfern sind“, sagt Julian Kiefer, Erstautor der Studie. Dieser funktionelle Nutzen für den Wirt wurde experimentell überprüft, indem durch Nahrungsergänzung mit aromatischen Aminosäuren der Verlust der Symbiose-Partner ausgeglichen wurde. Umgekehrt hemmte die Zugabe von Glyphosat die Etablierung der symbiotischen Bakterien während der gesamten Käferentwicklung und hob dadurch den Nutzen der Symbiose für die Bildung der Kutikula vollständig auf. „Da wir beobachten konnten, wie Glyphosat die symbiotische Gemeinschaft schädigt, fragten wir uns, ob Glyphosat auch für andere Insekten, die auf ihre mikrobiellen Partner angewiesen sind, eine generelle Gefahr darstellt“, meint Tobias Engl. Mithilfe von stammesgeschichtlichen Analysen zeigten die Autoren, dass die Shikimat-Stoffwechselwege vieler unentbehrlicher Symbiose-Bakterien, die mit sehr unterschiedlichen Wirtsinsekten vergesellschaftet sind, ein Glyphosat-empfindliches Enzym enthalten. Diese Entdeckung legt nahe, dass die Glyphosat-Anfälligkeit ihrer mikrobieller Symbiose-Partner eine Achillesferse von Insekten ist.
Wir erleben derzeit ein Insektensterben bedrohlichen Ausmaßes. Der Insektenreichtum geht ebenso zurück wie die Artenvielfalt, ganz abgesehen von den Auswirkungen des zunehmenden Verschwindens von Biene, Käfer und Co. auf höhere Ebenen in der Nahrungskette. Die neuen Erkenntnisse aus der Studie machen darauf aufmerksam, dass die Anwendung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat in der Landwirtschaft die lebenswichtigen symbiotischen Beziehungen zwischen Insekten und Mikroorganismen gefährdet und somit ein ernstes Problem für Ökosysteme darstellt.
Originalpublikation:
Kiefer, J. S. T., Batsukh, S., Bauer, E., Hirota, B., Weiss, B. Wierz. J. C., Fukatsu, T., Kaltenpoth, M., Engl, T. (2021). Inhibition of a nutritional endosymbiont by glyphosate abolishes mutualistic benefit on cuticle synthesis in Oryzaephilus surinamensis. Communications Biology, doi: 10.1038/s42003-021-02057-6

12.05.2021, Max-Planck-Institut für Ornithologie
Verkehrslärm beeinträchtigt das Gesangslernen von Vögeln
Verkehrslärm führt bei Jungvögeln zu Ungenauigkeiten und Verzögerungen beim Erlernen ihres Gesangs. Die Jungvögel leiden auch unter einem unterdrückten Immunsystem, was ein Indikator für chronischen Stress ist. Die neue Studie von Forscher:innen des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen zeigt, dass junge Zebrafinken genau wie Kinder besonders anfällig sind für die Auswirkungen von Lärm, weil er das Lernen in einer kritischen Entwicklungsphase beeinträchtigen kann.
Verkehrslärm ist eine allgegenwärtige Umweltbelastung, welche die Gesundheit und das Wohlbefinden von Millionen von Menschen beeinträchtigt. Neben schweren lärmbedingten Erkrankungen bei Erwachsenen wurde Verkehrslärm auch mit Lern- und Sprachdefiziten bei Kindern in Verbindung gebracht.
Um die Zusammenhänge zwischen chronischer Lärmbelastung und kognitiven Defiziten zu analysieren, untersuchte ein Team von Forscher:innen des Max-Planck-Instituts für Ornithologie, der Universität Paris Nanterre und der Manchester Metropolitan Universität das Gesangslernen und die Immunfunktion von jungen Zebrafinken, die Verkehrslärm ausgesetzt waren. Wie Kinder müssen Singvögel ihre Laute in einer sensiblen Phase ihrer Entwicklung früh im Leben von erwachsenen Tutoren lernen. Die Gesänge der Finken werden unter normalen Bedingungen in einem Alter von etwa 90 Tagen stabil und bleiben dann für den Rest ihres Erwachsenenlebens gleich. Dieser Prozess wird „Kristallisation“ genannt.
Für die Studie zogen die Forscher:innen männliche Zebrafinken-Küken in zwei Gruppen auf. Während ihrer sensiblen Gesangslernphase unterrichteten sie die Küken beider Gruppen mit dem aufgezeichneten Gesang erwachsener Männchen. In einer Gruppe wurde gleichzeitig Verkehrslärm abgespielt, wie er in Vogelhabitaten in der Nähe von stark befahrenen Straßen in München aufgezeichnet worden war. Die Wissenschaftler:innen überwachten die Gesangsaktivität der einzelnen Männchen und verglichen deren Gesangsentwicklung und Lernerfolg. Außerdem maßen sie die Immunreaktionen der Küken während ihrer Entwicklung.
Die Analyse der Daten ergab, dass juvenile Zebrafinken, die städtischen Lärmpegeln ausgesetzt waren, schwächere Immunreaktionen aufwiesen als Küken aus ruhigen Nestern. Lärm scheint also eine Quelle für chronischen Stress bei diesen Jungvögeln gewesen zu sein. Darüber hinaus war die stimmliche Entwicklung der Vögel aus den lauten Nestern stark verzögert: Sie kristallisierten ihre Gesänge mehr als 30 Prozent später als die Kontrollgruppe und hatten eine wesentlich geringere Genauigkeit beim Gesangslernen. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass junge Singvögel genau wie menschliche Kinder besonders anfällig für die Auswirkungen von Lärm sind, weil dieser das Lernen in einem kritischen Entwicklungsstadium beeinträchtigen kann“, sagt Henrik Brumm, der das internationale Forschungsprojekt leitete.
Die Ergebnisse der Studie lassen sogar vermuten, dass Verkehrslärm die kulturelle Evolution des Vogelgesangs beeinflussen kann, da sich lärmbedingte Kopierfehler wahrscheinlich anhäufen, wenn der Gesang von einem Vogel zum anderen weitergegeben wird. „Unsere Arbeit markiert einen Durchbruch in der Erforschung der Auswirkungen von anthropogenem Lärm“, schließt Sue Anne Zollinger vom Forschungsteam. „Sie zeigt, dass wir Lerndefizite durch Lärm anhand des Vogelgesangs experimentell untersuchen können“.
Originalpublikation:
Henrik Brumm, Wolfgang Goymann, Sébastien Derégnaucourt, Nicole Geberzahn, Sue Anne Zollinger (2021). Traffic noise disrupts vocal development and suppresses immune function. Scientific Advances, Veröffentlicht am 12.05.2021

14.05.2021, NABU
NABU zum Tag des Ostseeschweinswals: Jeder tote Wal ist einer zu viel
Krüger: Sofortprogramm zur Räumung von Munition im Meer überfällig
Zum Internationalen Tag des Ostseeschweinswals am 16. Mai fordert der NABU mehr politische Verantwortung und effektive Maßnahmen zum Schutz von Deutschlands einzigem heimischen Wal. Aktuell sorgt sich der NABU insbesondere um Unterwassersprengungen von Munitionsaltlasten. Sie sind am Montag, den 17. Mai Thema im Umweltaussschuss des Deutschen Bundestages. Der NABU ist als Sachverständiger dazu geladen.
In der zentralen Ostsee leben nur noch 500 Schweinswale. Der kleine Meeressäuger gilt als vom Aussterben bedroht. Seit Jahren wird um Maßnahmen zum Schutz des Schweinswals in der Fischerei oder beim Bau von Windenergieanlagen gerungen. Trotzdem nimmt der Bestand ab. „Deutschland versagt bislang beim Schweinswalschutz. Ob ertrunken im Stellnetz oder getötet bei der Sprengung von versenkter Weltkriegsmunition: Jeder tote Schweinswal ist einer zu viel. Die Politik muss entschlossen handeln,“ sagte NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger.
2019 waren nach Minensprengungen eines NATO-Flottenverbandes unter deutscher Beteiligung im Naturschutzgebiet Fehmarnbelt vermutlich mehr als zehn Schweinswale getötet worden. Vor wenigen Wochen konnte nach Intervention des NABU und des Bundesumweltministeriums eine Sprengung für den geplanten Fehmarnbelttunnel in letzter Minute verschoben werden bis ein Blasenschleier verfügbar ist. „Munition unter Wasser ohne technischen Schallschutz zu sprengen muss aufhören. Dieses Vorgehen verstößt gegen geltendes Naturschutzrecht. Das eigentliche Problem liegt aber viel tiefer. Seit Jahrzehnten versäumt es die Politik, eine Strategie zum Umgang mit Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee zu entwickeln. Das Zögern der Bundesregierung rächt sich jetzt,“ erläutert NABU-Meeresexperte Kim Detloff.
Mehr als 1,6 Millionen Tonnen Weltkriegsmunition verrotten am Grund der deutschen Nord- und Ostsee. Giftige Schadstoffe wie TNT oder Schwermetalle werden frei und finden sich in Fischen und Muscheln. Immer wieder werden Wasserbomben oder Minen beim Pipeline- oder Windparkbau gefunden und gesprengt. Nachdem im April die Umweltministerkonferenz auf die zunehmende Gefahr aufmerksam gemacht hatte, wurden zwei Anträge zum Thema in den Bundestag eingebracht – der Antrag von CDU/CSU und SPD ist bereits beschlossen. Ein weiterer von FDP und Bündnis90/DIE GRÜNEN wird noch im Umweltausschuss diskutiert.
„Der fraktionsübergreifende Konsens ist da. Jetzt muss gehandelt werden. Neben dem Aufbau eines Kompetenzzentrums von Bund und Ländern fordert der NABU ein 100 Millionen Euro Sofortprogramm zum Start einer Pilotkampagne zur umweltverträglichen Räumung von Munitionsaltlasten in der Ostsee und den Aufbau mobiler Entsorgungskapazitäten. Das hilft nicht nur dem Schweinswal, sondern auch dem Forschungs- und Industriestandort Deutschland“, so Krüger.
Das Sofortprogramm Munitionsräumung und andere Forderungen richtet der NABU im Wahljahr 2021 an die Parteien. Weitere Informationen dazu hier: www.NABU.de/bundestagswahl-kernforderungen
Mehr Informationen zu Munitionsaltlasten: www.NABU.de/munition

14.05.2021, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
Verarmte Flora in Wiesen und Wäldern gefährdet Insekten
Wo die pflanzliche Vielfalt zurückgeht, nimmt die Diversität der Insekten und damit die Biodiversität als Ganzes ab. Auf intensiv genutzten Wiesen und Weiden sowie in dunklen Buchenwäldern fehlen etwa auf wenige Pflanzenarten spezialisierte Insekten, da dort ihre Futterpflanzen nicht mehr vorkommen. Dies zeigt eine von der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL koordinierte internationale Studie.
Die Intensivierung der Landnutzung stellt eine grosse Bedrohung für die biologische Vielfalt dar, unter anderem für pflanzenfressende Insekten und ihre Wirtspflanzen. Sind Käfer, Heuschrecken, Blattwanzen oder Zikaden nur auf eine oder sehr wenige Pflanzenarten spezialisiert, müssen sie abwandern oder sie sterben lokal aus, wenn ihre Wirtspflanzen verschwinden. Ist die vorhandene Nahrungspalette einer Insektenart hingegen artenreich, kann sie trotzdem überleben, auch wenn die Pflanzenarten abnehmen. Das Zusammenspiel von Arten unterschiedlicher Organismengruppen ist letztlich entscheidend für die Stabilität eines Ökosystems.
Diesen Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Insekten gingen Forschende mehrerer Forschungseinrichtungen aus Deutschland und der Schweiz unter der Leitung der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL auf den Grund. In der vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierten Studie im Rahmen des «Schwerpunktprogramms Biodiversitäts-Exploratorien» der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) untersuchten sie in den drei deutschen Naturräumen Schwäbische Alb (Baden-Württemberg), Hainich (Thüringen) und Schorfheide (Brandenburg) die Vielfalt der Pflanzen und Insekten, sowie deren Wechselwirkungen. Mit ihrer Studie auf intensiv bis wenig bewirtschafteten Wiesen und Weiden (Grünland) sowie in unterschiedlich bewirtschafteten Buchen- und Nadelwäldern wollten sie mehr über das Zusammenspiel zwischen Pflanzen- und Insektenarten herausfinden, die lokale Netzwerke bilden. Die bis zu 1300 Quadratkilometer grossen Naturräume decken eine genügende Anzahl unterschiedlich bewirtschafteter Flächen ab, um statistisch gesicherte Ergebnisse zu erhalten.
In den Gebieten mit einer Mischung aus naturnahen bis hin zu stark von Menschen genutzten Ökosystemen gingen die Forschenden davon aus, sehr unterschiedliche Insektengemeinschaften vorzufinden. «Da in diesen Gebieten zum Teil auch Insektenarten vorkommen, die auf wenige Futterpflanzen spezialisiert sind, versprachen wir uns neue Einblicke in die Konsequenzen, die eine intensive Nutzung für die ökologische Stabilität von Grünland und Wäldern hat», sagt Martin Gossner, Insektenforscher an der WSL und Leiter der Studie. Insgesamt erfassten die Forschenden auf 289 langfristig angelegten Stichprobenflächen 531 Pflanzen- und 1053 Insektenarten sowie deren Häufigkeiten.
Stabilere Insektengemeinschaften dank hoher Pflanzenvielfalt
In der Studie zeigte sich, dass Pflanzen-Insekten-Netzwerke in wenig beweidetem Grünland aus mindestens 70 Pflanzenarten und 80 pflanzenfressenden Käfer-, Heuschrecken-, Blattwanzen- und Zikadenarten bestehen. So bietet beispielsweise die wilde Möhre, eine typische Pflanze mässig bewirtschafteter Weiden, zahlreichen spezialisierten Käferarten Nahrung. Auf häufig gemähten oder gedüngten Wiesen und Weiden konnten im Mittel hingegen nur 40 Pflanzen- und 60 bis 70 der untersuchten Insektenarten nachgewiesen werden.
In seit kurzem unbewirtschafteten Wäldern mit dichtem Baumbewuchs ist die Biodiversität mit durchschnittlich 25 Pflanzen- und 30 solcher Insektenarten deutlich geringer als in lichten Wäldern. Jenen Insekten, die nur wenige Baum- oder Krautarten als Nahrung nutzen können, fehlt dort die Lebensgrundlage. Hingegen dringt in Wäldern mit zahlreichen Lücken im Kronendach viel Licht auf den Boden, so dass dort bis zu 80 Pflanzen- und 50 pflanzenfressende Insektenarten der studierten Gruppen vorkommen. «Licht fördert die Vielfalt an Pflanzen, welche wiederum mehr Insektenarten als Nahrungsgrundlage dienen. Gleichzeitig sind die Insektenarten weniger gefährdet, lokal auszusterben, das System ist also stabiler», sagt WSL-Forscher Felix Neff, der Erstautor des soeben in der Zeitschrift «Science Advances» erschienenen Fachartikels. Ein Beispiel für die stabilisierende Wirkung lichtdurchfluteter Wälder ist etwa die Brennnessel, die in diesen bevorzugt vorkommt und Nahrungsquelle für viele spezialisierte Schmetterlingsraupen, Rüsselkäfer, Blattzikaden und -wanzen ist. «Als Doktorand fasziniert mich diese Forschung nicht nur wegen der grossen, artenreichen Gebiete, die wir untersuchen; für mich ist auch die Zusammenarbeit mit den zahlreichen interdisziplinären Forschungsgruppen eine Bereicherung», betont Felix Neff.
Ergebnisse dürften sich in die Schweiz übertragen lassen
Werden lichtere Wälder gefördert, erhöht sich nicht nur die Vielfalt an Bodenpflanzen, Sträuchern und Bäumen, sondern auch die von der Pflanzenvielfalt profitierenden Insektenarten. Auch förderlich sind aus verschiedenen Laub- und Nadelbäumen gemischte Bestände, die sich ausserdem als stabiler gegenüber dem fortschreitenden Klimawandel erweisen dürften. Nimmt die pflanzliche Vielfalt hingegen ab, geht auch die Diversität der erfassten Insekten und damit die gesamte Biodiversität zurück. Derartige Ökosysteme verarmen also.
Für Grünland empfehlen die Forschenden eine moderate Beweidung anstelle des intensiven Mähens, um vielfältige und stabile Insektengemeinschaften zu fördern. «Diese Erkenntnisse lassen sich auch auf die Schweiz übertragen, beispielsweise aufs Mittelland, den Jura oder die tieferen Lagen der Voralpen», sagt Martin Gossner, «das Projekt der Exploratorien hatte von Beginn an zum Ziel, Aussagen machen zu können, die auf verschiedene Regionen Europas zutreffen».
Originalpublikation:
F. Neff, M. Brändle, D. Ambarlı, C. Ammer, J. Bauhus, S. Boch, N. Hölzel, V. H. Klaus, T. Kleinebecker, D. Prati, P. Schall, D. Schäfer, E.-D. Schulze, S. Seibold, N. K. Simons, W. W. Weisser, L. Pellissier, M. M. Gossner, Changes in plant-herbivore network structure and robustness along land use intensity gradients in grasslands and forests. Sci. Adv. 7, eabf3985 (2021). doi: 10.1126/sciadv.abf3985

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