Der Ziesel in Brehms Tierleben

Ziesel (Brehms Tierleben)

Der Zisel (Spermophilus Citillus, Mus und Marmota Citillus, Spermophilus undulatus), ein niedliches Thierchen, fast von Hamstergröße, aber mit viel schlankerem Leibe und hübscherem Köpfchen, 22 bis 24 Centim. lang und mit 7 Centim. langem Schwanze, am Widerrist etwa 9 Centim. hoch und ungefähr ein Pfund schwer, trägt einen lockeren, aus ziemlich straffen, in der Mitte dunkler geringelten Haaren bestehenden Pelz, welcher auf der Oberseite gelbgrau, unregelmäßig mit Rostgelb gewellt und fein gefleckt, auf der Unterseite rostgelb, am Kinne und Vorderhalse weiß aussieht. Stirn und Scheitel sind röthlichgelb und braun gemischt, die Augenkreise licht, die Füße rostgelb, gegen die Zehen hin heller, die Krallen und die Schnurren schwarz, die oberen Vorderzähne gelblich, die unteren weißlich. Das Wollhaar der Oberseite ist schwarzgrau, das der Unterseite heller bräunlichgrau, das des Vorderhalses einfarbig weiß. Die Nasenkuppe ist schwärzlich, das ziemlich große Auge hat schwarzbraunen Stern. Neugeborene Junge sind lichter, die bereits herumlaufenden auf dunklerem Grunde schärfer und gröber gefleckt als die Alten. Mancherlei Abänderungen der Färbung kommen vor; am hübschesten dürfte die Spielart sein, bei welcher die braunen Wellen des Rückens durch eine große Anzahl kleiner rundlicher Flecken von weißlicher Färbung unterbrochen werden.

Der Zisel findet sich hauptsächlich im Osten Europas. Albertus Magnus hat ihn in der Nähe von Regensburg beobachtet, wo er jetzt nicht mehr vorkommt, während er neuerdings in Schlesien immer weiter in westlicher Richtung sich verbreitet. Vor etwa vierzig Jahren kannte man ihn dort nicht, seit dreißig Jahren aber ist er schon im westlichen Theile der Provinz, und zwar im Regierungsbezirke Liegnitz, eingewandert und streift von hier aus immer weiter westlich. Wie es scheint, hat er von allen verwandten Arten die größte Verbreitung. Man kennt ihn mit Sicherheit als Bewohner des südlichen und gemäßigten Rußland, von Galizien, Schlesien und Ungarn, Steiermark, Mähren und Böhmen, Kärnten, Krain und der oberhalb des Schwarzen Meeres gelegenen russischen Provinzen. Daß er in Rußland häufiger auftritt als bei uns, geht aus seinem Namen hervor; denn dieser ist russischen Ursprungs und lautet eigentlich »Suslik«, im Polnischen »Susel«, im Böhmischen »Sisel«. Die Alten nannten ihn »pontische Maus« oder »Simor«. An den meisten Orten, wo sich der Zisel findet, kommt er auch häufig vor und fügt unter Umständen dem Ackerbau merklichen Schaden zu. Trockene, baumleere Gegenden bilden seinen Aufenthalt; vor allem liebt er einen bindenden Sand- oder Lehmboden, also hauptsächlich Ackerfelder und weite Grasflächen. Neuerdings hat er sich, laut Herklotz, besonders den Eisenbahnen zugewendet, deren aufgeworfene Dämme ihm das Graben erleichtern und vor Regengüssen einen gewissen Schutz gewähren. Doch scheut er auch unter sonst günstigen Lebensbedingungen einen festen Boden nicht und zerlöchert diesen unter Umständen so, daß hier und da fast Röhre an Röhre nach außen mündet. Er lebt stets gesellig, aber jeder einzelne gräbt sich seinen eigenen Bau in die Erde, das Männchen einen flacheren, das Weibchen einen tieferen. Der Kessel liegt 1 bis 11/2 Meter unter der Oberfläche des Bodens, ist von länglichrunder Gestalt, hat ungefähr 30 Centim. Durchmesser und wird mit trockenem Grase ausgefüttert. Nach oben führt immer nur ein einziger, ziemlich enger und in mancherlei Krümmungen oft sehr flach unter der Erdoberfläche hinlaufender Gang, vor dessen Mündung ein kleiner Haufen ausgeworfener Erde liegt.

Der Gang wird nur ein Jahr lang benutzt; denn sobald es im Herbste anfängt kalt zu werden, verstopft der Zisel die Zugangsöffnung, gräbt sich aber vom Lagerplatze aus eine neue Röhre bis dicht unter die Oberfläche, welche dann im Frühjahre, sobald der Winterschlaf vorüber, geöffnet und für das laufende Jahr als Zugang benutzt wird. Die Anzahl der verschiedenen Gänge gibt also genau das Alter der Wohnung an, nicht aber auch das Alter des in ihr wohnenden Thieres, weil nicht selten ein anderer Zisel die noch brauchbare Wohnung eines seiner Vorgänger benutzt, falls dieser durch irgend einen Zufall zu Grunde ging. Nebenhöhlen im Baue dienen zur Aufspeicherung der Wintervorräthe, welche im Herbste eingetragen werden. Der Bau, in welchem das Weibchen im Frühjahre, gewöhnlich im April oder Mai, seine drei bis acht nackten und blinden, anfangs ziemlich unförmlichen Jungen wirft, ist immer tiefer als alle übrigen, um den zärtlich geliebten Kleinen hinlänglichen Schutz zu gewähren. »Bewohnte Baue«, schreibt mir Herklotz, lassen sich sofort durch den Geruch [291] erkennen; denn der Zisel verabsäumt selten, vor dem Einfahren seinen Harn zu lassen, und dieser hat einen so unangenehm stechenden Geruch, daß man sich selten täuschen kann.

»Auffallend ist die Sucht des Thieres, allerlei glänzende Dinge, Porzellanscherben, Glas- und Eisenstückchen z.B., in seinen Bau zu schleppen. Auch an Gefangenen bemerkt man diese Gewohnheit: sie suchen kleinere Porzellangefäße mit Zähnen und Pfötchen zu bewältigen und unter ihrem Heulager zu verstecken.

Der Zisel besitzt eine Fertigkeit im Graben, welche geradezu in Erstaunen setzen und Uneingeweihten vollkommen unglaublich scheinen muß. Ich hatte einmal in meinem Zimmer, und zwar in einem aus Holz und Draht gefertigten Behälter, vier Zisel untergebracht, welche in kürzester Zeit sich durch Zernagendes Holzes frei zu machen wußten und zunächst in Stube und Kammer ihr Wesen trieben. Drei von ihnen wurden bald wieder eingefangen, der vierte aber war verschwunden. Nach zwei Tagen sah ich hinter einem größeren Stuhle einen Haufen Ziegelsteinbrocken, Mörtel und Sand liegen und mußte zu meinem Verdrusse wahrnehmen, daß diese Dinge von dem Zisel herrührten, welcher sich ein tiefes Loch in die Mauer gearbeitet hatte. Alle Versuche, ihn herauszuziehen, waren vergeblich; er grub noch fünf Tage lang fort und hatte, wie sich durch Messung ergab, ein Loch von über zwei Meter Tiefe in die Ziegelmauer gegraben, als er wieder eingefangen wurde.

Es kann keine angenehmere Unterhaltung gewähren, als in den Nachmittagsstunden eines Frühsommertages Zisel zu beobachten. Der Geruch hat zehn bis zwölf bewohnte Baue erkennen lassen, in deren Nähe wir uns lagern. Kaum zehn Minuten währt es, und in der Mündung einer Röhre erscheint ein äußerst liebliches Köpfchen, dessen klare Augen unbesorgt ins Grüne spähen; der übrige Leib folgt, unser Thierchen setzt sich auf, macht ein Männchen, vollendet seine Rundschau, fühlt sich sicher und geht an irgend welches Geschäft. Binnen wenigen Minuten ist gewiß die ganze Gesellschaft am Platze, und nunmehr hat das Auge volle Beschäftigung. Einige spielen, andere putzen sich, einige beknabbern eine Wurzel, andere treiben sonst etwas. Da streicht ein Raubvogel vor über: ein gellender Pfiff, jeder rennt seinem Falloche zu, stürzt sich kopfüber in dasselbe, und alles ist in den Röhren verschwunden. Doch nur geraume Zeit, und das alte Spiel beginnt von neuem.

In seinen Bewegungen ist der Zisel ein kleines Murmelthier, kein Hörnchen. Er läuft huschend über den Boden dahin, in rascher Folge ein Bein um das andere fürder setzend, führt selten einen Sprung aus und klettert ungern, obschon nicht ganz ungeschickt, jedoch immer nur nach Art der Murmelthiere, nicht nach Art der Eichhörnchen. Auch seine Stellungen beim Sitzen, sein Männchenmachen und endlich seine Stimme, ein dem Locktone des Kernbeißers täuschend ähnlicher Pfiff, erinnern an jene, nicht an diese.

Obgleich der Zisel sehr mißtrauisch und vorsichtig ist, gewöhnt er sich doch an öfter wiederkehrende Störungen, so daß diese ihn schließlich nicht im geringsten mehr belästigen. Auf einer ungarischen Bahn entdeckte ich am Ende einer im Schotter eingebetteten Schwelle eine in den Bahndamm eindringende Ziselröhre, welche mir durch den Geruch verrieth, daß sie bewohnt war. Um mich vollends zu überzeugen, legte ich mich auf die Lauer, und gar nicht lange, so erschien der Zisel. Eine halbe Stunde später brauste der Zug heran, der Zisel fuhr in seinen Bau, schaute mit halbem Leibe heraus, ließ ruhig den Zug über sich wegrasseln, kam sodann wieder heraus und trieb es wie vorher. Später stieß ich auf einen Ziselbau unter einer Weichenschwelle: hier kam zur Beunruhigung durch den Zug noch die, welche durch das Stellen der Weiche verursacht wurde, und gleichwohl ließ sich das Thier nicht stören.«

Zarte Kräuter und Wurzeln, z.B. Vogelwegetritt und Klee, Getreidearten, Hülsenfrüchte und allerhand Beeren und Gemüse bilden die gewöhnliche Nahrung des Zisels. Gegen den Herbst hinsammelt er sich von den genannten Stoffen Vorräthe ein, welche er hamsterartig in den Backentaschen nach Hause schleppt. Nebenbei wird der Zisel übrigens auch Mäusen und Vögeln, welche auf der Erde nisten, gefährlich; denn er raubt ihnen nicht bloß die Nester aus, sondern überfällt ebenso die Alten, wenn sie nicht vorsichtig sind, gibt ihnen ein paar Bisse, frißt ihnen das Gehirn aus und verzehrt sie dann vollends bis auf den Balg. Seine Nahrung hält er sehr zierlich zwischen den Vorderpfoten und frißt, in halb aufrechter Stellung auf dem Hintertheile sitzend. Nach dem Fressen putzt er sich die Schnauze und den Kopf und leckt und wäscht und kämmt sich sein Fell oben und unten. Wasser trinkt er nur wenig und gewöhnlich nach der Mahlzeit.

Der Schaden, welchen der Zisel durch seine Plündereien verursacht, wird nur dann fühlbar, wenn sich das Thier besonders stark vermehrt. Das Weibchen ist, wie alle Nager, äußerst fruchtbar und wirft in den Monaten April oder Mai nach fünfundzwanzig- bis dreißigtägiger Tragzeit auf dem weichen Lager seines tiefsten Kessels ein starkes Gehecke. Die Jungen werden zärtlich geliebt, gesäugt, gepflegt und noch, wenn sie bereits ziemlich groß sind und Ausflüge machen, bewacht und behütet. Ihr Wachsthum fördert schnell; nach Monatsfrist sind sie halbwüchsig, im Spätsommer kaum mehr von den Alten zu unterscheiden, im Herbste vollkommen ausgewachsen und im nächsten Frühjahre fortpflanzungsfähig. Bis gegen den Herbst hin wohnt die ganze Familie im Baue der Alten; dann aber gräbt sich jedes Junge eine besondere Höhle, trägt Wintervorräthe ein und lebt und treibt es wie seine Vorfahren. Wäre der lustigen Gesellschaft nicht ein ganzes Heer von Feinden auf dem Nacken, so würde ihre Vermehrung, obgleich sie immer noch weit hinter der Fruchtbarkeit der Ratten oder Mäuse zurückbleibt, bedeutend sein. Aber da sind Hermelin, Wiesel, Iltis und Steinmarder, Falken, Krähen, Reiher, Trappen, selbst Katzen, Rattenpinscher und andere der bekannten Nagervertilger, welche dem Zisel eifrig nachstellen. Der Großtrappe gehört, laut Herklotz, nicht allein zu den Feinden der Mäuse, sondern auch zu den ihrigen, verfolgt sie mit ebensoviel Eifer als Geschick, tödtet sie durch einen Hieb mit dem Schnabel und verzehrt sie mit Haut und Haar. Auch der Mensch wird zu ihrem Gegner, theils des Felles wegen, theils des wohlschmeckenden Fleisches halber, und jagt sie mittels Schlingen und Fallen, gräbt sie aus oder treibt sie durch eingegossenes Wasser aus der Höhle hervor u.s.w. So kommt es, daß der starken Vermehrung des Zisels auf hunderterlei Weise Einhalt gethan wird. Und der schlimmste Feind ist immer noch der Winter. Im Spätherbste hat das frischfröhliche Leben der Gesellschaft geendet; die Männchen haben ausgesorgt für die Sicherheit der Gesammtheit, welche nicht nur außerordentlich wohlbeleibt und fett geworden ist, sondern sich auch ihre Speicher tüchtig gefüllt hat. Jeder einzelne Zisel zieht sich in seinen Bau zurück, verstopft dessen Höhlen, gräbt einen neuen Gang und verfällt dann in Winterschlaf. Aber gar viele von den eingeschlafenen schlummern in den ewigen Schlaf hinüber, wenn naßkalte Witterung eintritt, welche die halberstarrten Thiere auch im Baue zu treffen weiß, indem die Nässe in das Innere der Wohnung dringt und mit der Kälte im Vereine rasch den Tod für die gemüthlichen Geschöpfe herbeiführt. Selbst Platzregen im Sommer tödten viele von ihnen.

Der Zisel ist nicht eben schwer zu fangen. Der Spaten bringt die Versteckten leicht an das Tageslicht, oder die tückisch vor den Eingang gestellte Falle kerkert sie beim Wiederherauskommen ein. Da benimmt sich nun der Zisel höchst liebenswürdig. Er ergibt sich gefaßt in sein Schicksal und befreundet sich merkwürdig schnell mit seinem neuen Gewaltherrn. Einige Tage genügen, einen Zisel an die Gesellschaft des Menschen zu gewöhnen. Junge Thiere werden schon nach wenigen Stunden zahm; bloß die alten Weibchen zeigen manchmal die Tücken der Nager und beißen tüchtig zu. Bei guter Behandlung erträgt der Zisel mehrere Jahre hindurch die Gefangenschaft, und nächst der Haselmaus ist er wohl eines der hübschesten Stubenthiere, welche man sich denken kann. Jeder Besitzer muß seine Freude haben an dem schmucken, gutmüthigen Geschöpfe, welches sich zierlich bewegt und bald Anhänglichkeit an den Wärter zeigt, wenn auch sein Verstand nicht eben bedeutend genannt werden kann. Ganz besonders empfiehlt den Zisel seine große Reinlichkeit. Die Art und Weise seines beständigen Putzens, Waschens und Kämmens gewährt dem Beobachter ungemeines Vergnügen. Mit Getreide, Obst und Brod erhält man den Gefangenen leicht, Fleisch verschmäht er auch nicht, und Milch ist ihm ein wahrer Leckerbissen. Wenn man ihn vorwiegend mit trockenen Stoffen füttert, wird auch sein sonst sehr unangenehmer Geruch nicht lästig. Nur eins darf man nie verabsäumen: ihn fest einzusperren. Gelang es ihm, durchzubrechen, so zernagt er alles, was ihm vorkommt, und kann in einer Nacht eine Zimmereinrichtung zerstören. Bemerkenswerth ist eine Beobachtung von Herklotz, daß der Zisel durch den Lockton des Kernbeißers sich täuschen läßt und diesem antwortet.

Außer den Sibiriern und Zigeunern essen bloß arme Leute das Fleisch des Ziesels, obgleich es nach den Erfahrungen von Herklotz vortrefflich, und zwar ungefähr wie Hühnerfleisch schmeckt. Auch das Fell findet nur eine geringe Benutzung zu Unterfutter, zu Verbrämungen oder zu Geld- und Tabaksbeuteln. Dagegen werden die Eingeweide als Heilmittel vielfach angewendet, selbstverständlich ohne den geringsten Erfolg.

Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Der Ziesel in Brehms Tierleben

  1. Christian sagt:

    Wunderschön geschrieben. Ich liebe diese Tiere. Wir haben einen Reitstall und Weiden. Gerne hätten wir hier Ziesel. Wie siedelt man diese an? Freue mich auf eine Antwort.
    LG, Christian

    • Martin sagt:

      Hallo Christian,
      ich finde die Ansichten und Beobachtungen von Alfred Brehm interessant und es ist ein Teil meiner Kindheit (eines meiner ersten Bücher an die ich mich erinnern kann war Brehms Thierleben). Leider geraten die alten texte ja immer mehr in Vergessenheit, aber es wäre schade darum.
      Was eine Ansiedelung von Zieseln anbelangt so weiß ich leider nicht wer tatsächlich dafür zuständig ist und wie die rechtliche Seite aussieht.
      Ich weiß dass der Tiergarten Nürnberg Ziesel auswildert und der BUND Leipzig macht das auch, vielleicht können diese weiterhelfen.
      LG, Martin

Schreibe einen Kommentar zu Christian Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert