Der Klippspringer in Brehms Tierleben

Klippspringer (Brehms Tierleben)

Unter den hierher zu zählenden Antilopen vertritt der Klippspringer, der Ansiedler des Vorgebirges der Guten Hoffnung oder die Sassa der Abessinier (Oreotragus saltatrix, Antilope saltatrix und oreotragus, Calotragus oreotragus) eine besondere Gruppe. Hinsichtlich seiner Gestalt steht dieses reizende Thier zwischen der Gemse und manchen kleinen Ziegenarten ungefähr in der Mitte. Der Leib ist gedrungen, der Hals kurz, der Kopf stumpf und rundlich, der Schwanz zu einem kurzen Stummel verkümmert, die Läufe sind niedrig und etwas plump. Sehr lange und breite Ohren, große Augen, welche von einem kahlen Saume umrandet sind und vorn deutliche Thränengruben haben, hohe, an den Spitzen plattgedrückte, unten rund abgeschliffene, klaffende Hufe sowie ein grobes, brüchiges und sehr dickes Haar sind anderweitige Kennzeichen des Thieres. Der Bock trägt kurze, gerade, schwarze Hörner, welche senkrecht auf dem Kopfe stehen und am Grunde geringelt sind. In der Gesammtfärbung ähnelt die Sassa unserem Reh. Sie ist oben und außen olivengelb und schwarz gesprenkelt, unten blässer, aber immer noch gesprenkelt; nur die Kehle und die Innenseiten der Beine sind einförmig weiß. Die Lippen sind noch lichter als die Kehle, die Ohren außen auf schwarzem Grunde mit kurzen, innen mit langen, weißen, an den Rändern mit dunkelbraunen Haaren besetzt. Die einzelnen Haare sind an der Wurzel weißgrau, gegen die Spitze hin dunkler, bräunlich oder schwarz und an der Spitze selbst gelblichweiß oder dunkel, etwa bräunlichgelb. Die Länge beträgt gegen 1 Meter, die Höhe etwa 60 Centimeter.

»Oft habe ich,« sagt Gordon Cumming, »wenn ich in einen Abgrund hinunterschaute, zwei oder drei dieser anziehenden Geschöpfe neben einander liegen sehen, gewöhnlich auf einer großen, flachen Felsenplatte, welche durch den freundlichen Schatten des Sandels oder anderer Gebirgsbäume vor der Gewalt der Mittagssonne geschützt war. Scheuchte ich die Flüchtigen auf, so sprangen sie in unglaublicher Weise mit der federnden Kraft eines Gummiballes von Klippe zu Klippe, über Klüfte und Abgründe hinweg; immer mit der größten Behendigkeit und Sicherheit.«

Diese Worte des berühmten Jägers fielen mir ein, als ich im Mensathale zum erstenmal hoch oben auf haarscharfem Grate zwei Antilopen stehen sah, gemächlich hin und her sich wiege als gäbe es keine Abgründe zu beiden Seiten.

Das mußten Klippspringer sein: ich wußte es, ohne jemals vorher einen von ihnen oder auch nur eine Gemse im Freileben gesehen zu haben. Später fand ich Gelegenheit, die schmucken Geschöpfe noch etwas besser kennen zu lernen, bin aber weit entfernt, zu behaupten, daß ich von ihnen ausführlich erzählen könnte.

Rüppel ist meines Wissens der erste, welcher mit aller Bestimmtheit behauptet, daß die Sassa und der Klippspringer ein und dasselbe Thier sind. Bis zu seiner Beobachtungsreise in Habesch hatte man kaum Kunde von dem Vorkommen dieser Antilope in so nördlich gelegenen Gegenden; wenigstens weisen alle Forscher vor ihm dem Klippspringer ausschließlich das Kapland zur Heimat an.

Der Klippspringer oder die Sassa findet sich auf nicht allzu niederen Gebirgen, in den Bogosländern etwa auf solchen zwischen 600 und 2500 Meter unbedingter Höhe. Am Vorgebirge der Guten Hoffnung soll er den Quadersandstein allen übrigen Felsarten vorziehen; in Habesch belebt er wohl jede Gesteinsart ohne Unterschied. Die Berge sind hier weit reicher und lebendiger als im Süden des Erdtheils: eine dichte Pflanzendecke überzieht ihre Gehänge, und namentlich die Euphorbien bilden oft auf große Strecken hin einen bunten Teppich an den Wänden, in welchem die Kronen der Mimosen und anderer höheren Bäume wie eingestickte grüne Punkte erscheinen. Hier haust unsere Sassa, allerdings mehr in der baumarmen Höhe als in der Niederung, obwohl sie auch ziemlich tief in den Thälern gefunden werden kann.

Sie lebt paarweise wie die Schopfantilope; dennoch sieht man von ihr häufig kleine Trupps aus drei und selbst aus vier Stücken bestehend, entweder eine Familie mit einem Jungen oder zwei Pärchen, welche sich zusammengefunden haben und eine Zeitlang mit einander dahinziehen. Bei gutem Wetter sucht jeder Trupp soviel als möglich die Höhe auf, bei anhaltendem Regen steigt er tiefer in das Thal hinab. In den Morgen- und Abendstunden erklettern die Paare große Felsblöcke, am liebsten solche oben auf der Höhe des Gebirges, und stellen sich hier mit ziemlich eng zusammengestellten Hufen wie Schildwachen auf, manchmal stundenlang ohne Bewegung verharrend. So lange das Gras thaunaß ist, treiben sie sich stets auf den Blöcken und Steinen umher; in der Mittagsglut aber suchen sie unter den Bäumen oder auch unter großen Felsplatten Schutz, am liebsten gelagert auf einen beschatteten Block, welcher nach unten hin freie Aussicht gewährt. Von Zeit zu Zeit erscheint wenigstens einer der Gatten auf der nächsten Höhe, um von dort aus Umschau zu halten. Jedes Paar hält an dem einmal gewählten Gebiete mit großer Zähigkeit fest. Pater Filippini in Mensa konnte mir mit vollster Bestimmtheit sagen, auf welchem Berge ein Paar Sassas ständen: er wußte die Aufenthaltsorte der Thiere bis auf wenige Minuten hin sicher zu bestimmen.

Das Geäse des Klippspringers besteht aus Mimosen und anderen Baumblättern, Gräsern und saftigen Alpenpflanzen und wird in den Vormittags- und späteren Nachmittagsstunden eingenommen. Um diese Zeit versteckt sich die Sassa förmlich zwischen den Euphorbiensträuchern oder dem hohen Grase um die Felsblöcke herum, und der Jäger bemüht sich vergeblich, eines der ohnehin schwer wahrnehmbaren Thiere zu entdecken, wogegen er in den Früh- oder Abendstunden dieses Wild wegen der Eigenthümlichkeit der Stellung, welche es auf den höchsten Steinen annimmt, und dank der reinen Luft jener Höhen auf mehrere Kilometer weit sehen und unterscheiden kann.

Man darf nicht behaupten, daß die Sassa besonders scheu sei; jedoch ist dies wahrscheinlich bloß deshalb der Fall, weil die Abessinier wenig Jagd auf sie machen. Mehrmals habe ich sie von niederen Bergrücken ruhig und unbesorgt auf uns unten im Thale herabäugen sehen, obgleich wir in gerechter Schußnähe dahinzogen. Sie stand gewöhnlich starr wie eine Bildsäule, auf einer vorspringenden Felsplatte, die Lichter fest auf uns gerichtet, das große Gehör seitlich vom Kopfe abgehalten, ohne durch eine andere Bewegung, als durch Drehen und Wenden der Ohren, Leben zu verrathen. Augenscheinlich hatte sie die Tücke des Menschen hier noch nicht in ihrem vollen Umfange erfahren; denn überall, wo sie schon Verfolgung erlitten hat, spottet sie der List des Jägers und entflieht schon auf ein paar hundert Meter Entfernung vor ihm. Der Knall eines Schusses bringt bei dem Klippspringer eine merkwürdige Wirkung hervor. Wenn der Jäger fehlte, sieht er ihn bloß noch eine Viertelminute lang; später ist er verschwunden. Mit Vogelschnelle springt das behende Geschöpf von einem Absatze zum anderen, an den steilsten Felswänden und neben grausigen Abgründen dahin, mit derselben Leichtigkeit, wenn es aufwärts, wie wenn es abwärts klettert. Die geringste Unebenheit ist ihm genug, festen Fuß zu fassen; seine Bewegungen sind unter allen Umständen ebenso sicher als schnell. Am meisten bewundert man die Kraft der Läufe, wenn die Sassa bergaufwärts flüchtet. Jede ihrer Muskeln arbeitet. Der Leib erscheint noch einmal so kräftig als sonst, die starken Läufe wie aus federndem Stahl geschmiedet. Jeder Sprung schnellt das Thier hoch in die Luft; bald zeigt es sich ganz frei den Blicken, bald ist es wieder zwischen den Steinen oder in den meterhohen Pflanzen verschwunden, welche die Gehänge bedecken. Mit unglaublicher Eile jagt es dahin; wenige Augenblicke genügen, um es außer Bereich der Büchse zu bringen. Zuweilen kommt es aber doch vor, daß man die Verfolgung noch einmal aufnehmen und ein zweites Mal zum Schusse gelangen kann. In Gegenden, wo das Feuergewehr nicht üblich ist, achten alle Thiere anfangs sehr wenig auf den Knall, und die Klippspringer zumal scheinen an das Krachen und Lärmen der herabrollenden Steine im Gebirge so gewöhnt zu sein, daß sie ein Schuß kaum behelligt. Ich selbst habe aus einer Familie von drei Stück noch den Bock erlegt, nachdem ich ihn das erstemal gefehlt hatte. Der Trupp war nach dem Knalle zwar einigermaßen verwundert, aber doch furchtlos auf nahe stehende Felsblöcke gesprungen, um sich von dort aus Sicherheit über den Vorfall zu verschaffen, und weil ich mich ganz ruhig verhielt, zog die Gesellschaft später nur langsam weiter an den Bergwänden hin, so daß ich sie bald wieder einholen und nunmehr die Büchse besser richten konnte. Wenn man sich gleich vom Anfange an vorbereitet hat, zweimal zu schießen, kann man beide Gatten des Pärchens erlegen; denn die eine Sassa bleibt regelmäßig noch einige Augenblicke neben ihrem getödteten Gefährten stehen, betrachtet ihn mit großem Entsetzen und läßt dabei den so vielen Antilopen eigenthümlichen scharfen Schneuzer des Schreckens oder der Warnung vernehmen. Fürst Hohenlohe erlegte einmal beide Böcke eines Doppelpärchens mit zwei rasch aufeinander folgenden Schüssen.

Wie es scheint, fällt in Habesch die Satzzeit der Sassa zu Anfang der großen Regenzeit. Im März traf ich ein Pärchen, in deren Geleite sich der etwa halbjährige Sprößling noch befand. Genaues wußten mir die Abessinier nicht anzugeben, obwohl der Klippspringer ihnen allen ein sehr bekanntes Thier ist.

Die Betschuanen sind, wie man erzählt, der sonderbaren Ansicht, daß der Klippspringer durch Geschrei den Regen beschwöre. Sie suchen sich deshalb, wenn sie von Trockenheit leiden, sobald als möglich lebende Klippspringer zu verschaffen und plagen die armen Geschöpfe durch Schlagen, Kneipen und Zwicken, damit sie laut aufschreien und ihnen Regen bringen. In Habesch hält man die Sassa nirgends in der Gefangenschaft; wohl aber jagt man sie ihres Wildprets halber, vorausgesetzt nämlich, daß man ein Feuergewehr besitzt und dies zu handhaben weiß. Die Decke wird hier nicht benutzt, während man sie am Kap zu Polstern, Satteln und dergleichen verwendet.

Der einzige Klippspringer, welchen ich in einem Thiergarten gesehen habe, lebt gegenwärtig (1875) in Berlin. Man merkt es dem Thierchen an, daß es als neugeborenes Kälbchen unter die Pflege des Menschen gekommen sein muß; denn es wetteifert an Zutraulichkeit mit dem zahmsten Hausthiere. Furchtlos nähert es sich jedem, welcher es besucht, beschnuppert die ihm dargebotene Hand wie jeden anderen Gegenstand, welcher seine Neugierde erregt, und nimmt einen ihm gereichten Leckerbissen gern entgegen, ohne jedoch um solchen zu betteln. Unter dem ihm vorgelegten Futter dagegen sucht es sich wählerisch stets das beste aus. Wie es scheint, bevorzugt es Grasblätter und Rispen den Baumzweigen und deren Blättern, vielleicht aber nur infolge längerer Gewohnheit. Seine Haltung ist eher mit der einer Ziege als mit der einer Gemse zu vergleichen; seine Beweglichkeit kommt jedoch, weil man verabsäumt hatte, die Hufe zu beschneiden, noch nicht zur Geltung. Das rauhe Haar liegt so dicht an, daß der Pelz ein glattes Ansehen erhält und eine wärmere Decke bildet, als es den Anschein hat.

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