Bachtyar Ali: Die Herrin der Vögel (Rezension)

Stunde um Stunde verbringt die junge Sausan in der Bibliothek ihres Vaters. Wegen ihrer Gesundheit zu einem Leben am immer selben Ort verdammt, entdeckt sie die Vielfalt der Welt durch ihre Bücher: Sie liest von fernen Städten und alten Völkern, von Meerestieren, Motoren und wundersamen Pflanzen. Sie ist sich gewiss: Sollte sie je heiraten, dann einen Mann mit weltoffenem Geist, der die Liebe zu Geschichten im Herzen trägt.
Als gleich drei Verehrer um ihre Hand anhalten, stellt sie ihnen eine Aufgabe: Acht Jahre lang sollen sie die Ferne bereisen und ihr nach Ablauf dieser Zeit einhundert Vögel zurückbringen. Dann wird sie ihre Berichte hören, jedem in die Augen schauen und prüfen, ob sie darin den Reichtum dieser Welt erblickt.

Bachtyar Ali wurde 1966 in Sulaimaniyya (im irakischen Kurdistan)heboren. Er geriet in den 1980er Jahren mit der Diktatur Saddam Husseins in Konflikt. Sein erster Gedichtband Gunah w Karnaval (Sünde und Karneval) erschien 1992. Seit Mitte der 1990er Jahre lebt er in Deutschland. Sein Werk wird dem magischen Realismus zugeordnet. Hier werden reale Wirklichkeit mit magischer Realität (Halluzinationen, Träume …) vermischt.
All das wusste ich nicht als ich das Buch las. Mich haben (natürlich) die 100 Vögel angezogen, die allerdings sehr spät eine Rolle spielen und meist ein anonymes Dasein fristen (auch wenn es Ausnahmen gibt wie die Dolchstichtaube). DIE HERRIN DER VÖGEL ist kein Buch über die Vögel, es geht nicht um drei junge Kurden auf Vogelfang, es geht um die zurückgebliebene Sausan und die Veränderungen des Irak durch Saddam Hussein. Und trotz der herrschenden Kriegswirren schafft es Ali einen Roman von zauberhafter Erzählkraft zu schreiben, in der die Poesie (selbst bei Messerstechern) einen höheren Wert hat als die Gewalt des Krieges. Und doch wird dadurch der Schrecken des Krieges deutlicher.
Mit wundervoller Sprachgewalt erzählt der Autor eine sanfte Geschichte, die durch den Stil zu bezaubern weiß. Teilweise fühlt man sich in ein Märchen hineinversetzt, wenn nicht hin und wieder eine Nachricht sowohl die Protagonisten als auch den Leser auf den Boden der Tatsachen zurückwirft. Teils historischer Roman, teils poetisches Märchen. Eine Mischung, an die ich mich erst gewöhnen musste, aber dann … und das war weit vor der Erwähnung der Vögel … war ich in einer für einen christlich erzogenen Europäer fernen Welt gefangen.
DIE HERRIN DER VÖGEL war nicht das Buch das ich erwartet habe, aber … ich bereue nicht es gelesen zu haben. Und ja, es ist tatsächlich sehr spannend zu erfahren, wem Sausan nun ihr Jawort geben wird. Aber damit ist das Buch noch nicht zu Ende…

(Rezensionsexemplar)

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