Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

11.02.2019, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Meerkatzen aus der Nordsee – Erstmals fossile Makaken-Funde vom Nordseegrund geborgen
Gemeinsam mit zwei niederländischen Kollegen hat Senckenberg-Wissenschaftler Ralf-Dietrich Kahlke Zähne mehrerer Makaken untersucht, die vom Nordsee-Boden stammen. Es handelt sich dabei um die ersten Fossilnachweise von Altweltaffen aus der Familie der Meerkatzenverwandten im Nordseegebiet. Zutage gefördert wurden die Primatenzähne während der künstlichen Aufschüttung der Hafenerweiterung „Maasvlakte 2“ bei Rotterdam in den Niederlanden. Die Studie erschien kürzlich im Fachjournal „Revue de Paléobiologie“.
Fossilreste von Fellnashörnern, Breitstirnelchen, Höhlenlöwen und Waldelefanten – der Nordseeboden gilt als eine der bedeutendsten Fundstellen für die Rekonstruktion des Lebens im eiszeitlichen Europa. „Allein die Menge von Mammut-Backenzähnen aus der Nordsee liegt bei mindestens 50.000 Stück“, schätzt Dick Mol, langjähriger Kenner der Fundsituation vor Ort. Prof. Dr. Ralf-Dietrich Kahlke von der Senckenberg Forschungsstation für Quartärpaläontologie in Weimar fährt fort: „Die zahlreichen Funde von Skelettresten eiszeitlicher Landsäugetiere beweisen uns, dass weite Teile der Nordsee mehrfach Bestandteil des europäischen Festlands waren. Die lange Liste der Nachweise verschiedenster Säugetierarten aus den Kälte- und Wärmeperioden des Eiszeitalters können wir nun um eine Makakenart erweitern.“
Das niederländisch-deutsche Wissenschaftlerteam unter Leitung von Prof. Dr. Jelle W.F. Reumer von der Universität Utrecht hat in seiner aktuellen Studie mehrere aus der Nordsee stammende fossile Zähne sowie ein Unterkieferfragment der Primatenart Macaca sylvanus zuordnen können. Die Funde stammen aus verschiedenen Warmzeiten des Eiszeitalters. Sie gehörten zu Tieren, die den noch heute am Felsen von Gibraltar lebenden Berberaffen sehr ähnlich waren.
Die Funde wurden auf der „Maasvlakte 2“, einer nahe Rotterdam künstlich angelegten Insel mit modernen Industrie- und Hafenanlagen, geborgen. Zur Aufschüttung der „Maasvlakte 2“ wurde in Entfernungen von 10 bis 20 Kilometer ein Sand-Wasser-Gemisch vom Nordseeboden abgesaugt und mit immensem Druck an der künstlichen Insel angelandet. In den dabei entstehenden riesigen Sprühfächern zeigen sich oftmals Regenbögen. „Während dieses als ‚Rainbowen’ bezeichneten Vorgangs werden auch immer wieder eiszeitliche Fossilien vom Nordseeboden an Land befördert und von Kennern eingesammelt“, erläutert Reumer und ergänzt: „Auch die höchst seltenen Makaken-Zähne gerieten auf diesem Weg in unsere Hände.“
Doch wie gelangen Knochen von eiszeitlichen Landsäugetieren in den Grund der Nordsee? Kahlke hierzu: „Erst mit dem Abschmelzen der eiszeitlichen Gletscher wurde der Raum der heutigen Nordsee geflutet und der Ärmelkanal öffnete sich zu einem Meeresarm. Vor dieser Zeit wurde die Topographie Nordwest-Europas vor allem durch veränderliche Meeresspiegelstände gestaltet, die wiederum von den klimatischen Verhältnisse bestimmt wurden. Durch die Bindung immenser Wassermengen in den eiszeitlichen Gletschern sank der Meeresspiegel zur Zeit der Maximalvereisung der letzten Kaltzeit vor reichlich 20.000 Jahren um bis zu 120 Meter. Auch große Teile der heutigen Nordsee fielen trocken und konnten von der Festlandsfauna besiedelt werden. Deren Fossilien finden wir heute im Meeresboden. Ähnliche Ereignisse gab es auch in früheren Perioden.“
Heutige Makaken leben als gute Kletterer bevorzugt in felsiger Landschaft. Derartige Gesteinsformationen existierten aber während des Eiszeitalters im Raum der heutigen Nordsee nicht. Das Wissenschaftlerteam geht davon aus, dass die etwa 70 Zentimeter großen Tiere stattdessen auf Bäumen Zuflucht suchten. Ihr – heute unter Wasser und Sediment liegender – Lebensraum muss also zumindest teilweise bewaldet gewesen sein.
„Das Alter der Zähne ist leider nicht eindeutig zu bestimmen, weil die Fossilien ohne Zuordnung zu ihrer ursprünglichen Fundschicht vorliegen. Ein Unterkieferfragment mit Weisheitszahn stammt wohl aus der Eem-Warmzeit vor 126.000 Jahren bis 115.000 Jahren. Die beiden anderen Stücke sind aufgrund ihrer intensiven Mineralisation vermutlich noch deutlich älter“, so Reumer. Er resümiert: „Die neuen Funde zeigen, dass die Nordsee viele Geheimnisse birgt!“
Originalpublikation:
REUMER, J. W. F., MOL, D., KAHLKE, R.-D. (2018): First finds of Macaca sylvanus (Cercopithecidae, Primates) from the North Sea. – Revue de Paléobiologie 37 (2): 555-560 |
doi: 10.5281/zenodo.2545095.

12.02.2019, Humboldt-Universität zu Berlin
Waldvogelgemeinschaft in Südamerika gefährdet
Studie zeigt Abhängigkeit der Vögel von hoher Gehölzdichte in der Region Gran Chaco.
Nur sieben Prozent der größten tropischen Trockenwälder Argentiniens weisen einen Gehölzbestand auf, der über der Grenze liegt, die für die Waldvogelgemeinschaft in den Trockenwäldern der Region Gran Chaco erforderlich ist. Eine von Wissenschaftlern der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) durchgeführte Studie verwendete dabei eine neuen Forschungsansatz, bei dem speziesbasierte (Felddatenerfassung der Vogelarten) und ökosystembasierte (satellitengestützte fortlaufende Kartierung des Gehölzbestandes) Daten verknüpft wurden, um Biodiversitätsstrukturen sowie Gefahren durch Veränderungen des Waldbewuchses besser zu verstehen. Die Studie zeigt, dass in der trockenen Region Grand Chaco nur wenige hochwertige Waldflächen für Vogelarten vorhanden sind. Ein großer Teil des Gebietes (68 Prozent) wies einen Gehölzbestand auf, bei dem ein zunehmender Rückgang der Waldvogelarten zu verzeichnen war. 25 Prozent des untersuchten Gebietes hatten nur einen Gehölzbestand, der unter der für die Waldvogelgemeinschaft notwendigen Grenze lag.
Leiter der Studie war Dr. Leandro Macchi vom Geographischen Institut der HU, der gegenwärtig beim Wissenschaftlichen und Technischen Forschungsrat Argentiniens (CONICET) tätig ist. Er untersuchte den Zusammenhang zwischen einem plötzlichen Rückgang der Waldvogelpopulation bei Unterschreitung bestimmter Grenzwerte des Gehölzbestandes. Dr. Macchi sagte dazu: „Die Region Gran Chaco ist auf Grund der zunehmender landwirtschaftlicher Flächen für die Produktion von Rindfleisch und Sojabohnen zu einem globaler Krisenherd in Bezug auf Abholzung geworden. Die Sojabohnen werden wiederum als Futter für Schweine, Hühner und Kühe, unter anderem in Europa und China, verwendet. Darüber hinaus wurden die verbleibenden Gebiete, die normalerweise als Wald eingeordnet werden, seit langer Zeit durch den Menschen genutzt, z.B. zur Holzgewinnung, Holzkohleproduktion (die ebenfalls nach Europa exportiert wurde), sowie der Viehwirtschaft für den Eigenbedarf, was zur Zerstörung des Urwaldes und dessen Wert als Lebensraum für Biodiversität führte.“
Die Studie zeigte Bereiche auf, in denen das Beenden der Entwaldung und Waldschädigung (z.B. indem der Wald nicht als Weidefläche genutzt wird) Möglichkeiten zum Erhalt der Waldvogelgemeinschaften bietet. Da nur in einem kleinen Teil des untersuchten Gebietes die kritischen Grenzwerte bisher überschritten wurden, sind noch Möglichkeiten vorhanden, weitere Schäden zu verhindern und den Bestand der Waldvogelgemeinschaften zu erhalten.
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Waldweiden so wie gegenwärtig genutzt, Vogelgemeinschaften sehr nahe an kritische Grenzen bringen, was zum Verlust oder Rückgang vieler im Wald lebender Arten führt und daher die Nutzung des Waldes als Weide höchstwahrscheinlich weder belastbar noch nachhaltig ist. Waldweiden bei höherem Strauch- und Baumbestand (d.h. mehr als 38 Prozent Gesamtgehölzdichte) könnten zu einer stabilen Waldvogelgemeinschaft beitragen und wären daher eine vielversprechende ‚wildtierfreundliche‘ Bewirtschaftungsoption im Bereich der Landwirtschaft. Wichtig dabei ist auch, dass Fleischproduktion bekanntermaßen ein ineffizienter Weg zur Nutzung von Boden, Wasser und Ressourcen ist sowie eine wesentlicher Faktor bei der Veränderung von natürlichen Lebensräumen in sich entwickelnden Gebieten, wie im Gebiet Grand Chaco.
Die Studie basiert auf einem umfangreichen Datensatz zu 167 Vogelarten, der vom Instituto de Ecología Regional (Argentinien) zur Verfügung gestellt wurde, sowie auf Satellitendaten basierenden Karten des Gehölzbestandes, die von Wissenschaftlern des Conservation Biogeography Lab der HU Berlin unter Leitung von Prof. Dr. Tobias Kümmerle erstellt wurden.
Originalpublikation:
Leandro Macchi, Matthias Baumann, Hendrik Bluhm, Matthew Baker, Christian Levers, H. Ricardo Grau, Tobias Kuemmerle: Thresholds in forest bird communities along woody vegetation gradients in the South American Dry Chaco, Journal of Applied Ecology, https://doi.org/10.1111/1365-2664.13342

13.02.2019, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Neu entdeckte Schildkrötenart steht kurz vor der Ausrottung
Senckenberg-Wissenschaftler Uwe Fritz hat gemeinsam mit einem internationalen Team eine neue Art aus der Familie der Weichschildkröten beschrieben. Die neu entdeckte Schildkröte mit dem charakteristisch gefleckten Panzer lebt in Vietnam und Teilen Chinas und ist akut vom Aussterben bedroht. Die Studie erscheint heute im Fachjournal „ZooKeys“.
Variegatus ist lateinisch und bedeutet übersetzt „gefleckt“ – diese Bezeichnung trägt nun eine Schildkröte aus Nordvietnam und China im wissenschaftlichen Namen. „Und das nicht ohne Grund! Der etwa 23 Zentimeter lange gelb-graue Panzer dieser Schildkrötenart weist eine sehr auffällige Zeichnung mit großen grün-schwarzen Flecken auf. Diese morphologische Besonderheit entlarvte die Tiere unter anderem als bisher unbeschriebene Art“, erläutert Professor Dr. Uwe Fritz von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden.
Fritz hat mit einem deutsch-ungarisch-vietnamesischen Forscherteam den Panzerträger aus der Familie der Weichschildkröten anhand genetischer und morphologischer Untersuchungen nun als neue Art beschrieben. Im Unterschied zu den meisten Schildkröten haben Weichschildkröten keinen harten hornbedeckten Panzer, sondern einen flexiblen Lederpanzer. Fritz erklärt: „Sogenannte ‚Chinesische Weichschildkröten’ wurden lange Zeit für eine einzige weit verbreitete Art gehalten, die von Ostsibirien bis Vietnam vorkommt. Umso genauer wir aber hinsehen, desto mehr Arten verstecken sich unter dem bisherigen Namen Pelodiscus sinensis. Die jetzt von uns neu beschriebene Art Pelodiscus variegatus ist bereits die fünfte Art aus dieser Gattung“.
Und diese Neubeschreibungen sind nicht ohne Folgen: Galten Chinesische Weichschildkröten bisher als nicht bedroht und weit verbreitet, „reduziert“ jede neu entdeckte Art die einzelnen Bestände. „Wenn man die vormals zusammengefassten Arten in die real vorhandenen Arten ‚aufsplittet’, nimmt automatisch auch die Größe des Verbreitungsgebiets und die Anzahl der Individuen pro Art ab. Die neu entdeckte Flecken-Weichschildkröte wurde bisher zu der 1997 von chinesischen Forschern entdeckten, Zwerg-Weichschildkörte Pelodiscus parviformis gezählt. Pelodiscus parviformis galt bereits als vom Aussterben bedroht. Dadurch, dass die südlichen Vertreter nun aber Flecken-Weichschildkröten sind, ist der Weltbestand beider Arten noch kleiner als gedacht“, erläutert der ungarische Erstautor Balázs Farkas.
Gefahr droht der neu entdeckten Art nicht nur durch die Fischerei – Weichschildkröten sind ein geschätztes Nahrungsmittel in der ostasiatischen Küche – und Lebensraumvernichtung: In Nordvietnam wurde offenbar auch noch eine fremde Art angesiedelt, die in Konkurrenz zur Flecken-Weichschildkröte treten und sie möglicherweise verdrängen könnte.
Originalpublikation:
Farkas B, Ziegler T, Pham CT, Ong AV, Fritz U (2019) A new species of Pelodiscus from northeastern Indochina (Testudines, Trionychidae). ZooKeys 824: 71-86. https://doi.org/10.3897/zookeys.824.31376

13.02.2019, Universität Zürich
Saisonale Klimaeffekte beeinflussen das Schicksal der Erdmännchen
Bedroht ein trockeneres und heisseres Klima die Erdmännchen in der Kalahari-Wüste? For-schende der Universitäten Zürich und Cambridge zeigen, dass der Klimawandel einen Einfluss auf den Fortbestand der Erdmännchen haben wird. Schlüsselfaktoren sind dabei die saisona-len Niederschläge und Temperaturen.
Der Klimawandel wirkt sich besonders stark in trockenen Umgebungen aus, in denen Ressourcen knapp und nur saisonal verfügbar sind. Die demographischen Mechanismen, mit welchen das saiso-nale Klima den Fortbestand einer Population beeinflusst, sind jedoch weitgehend unbekannt. Anhand detaillierter lebensgeschichtlicher Daten, die zwischen 1997 und 2016 monatlich vom Kalahari Meer-kat Project erhoben wurden, haben Wissenschaftler der Universitäten Zürich und Cambridge nun untersucht, wie Erdmännchen auf zukünftige, saisonale Veränderungen von Niederschlägen und Temperaturen reagieren könnten.
Erdmännchen (Suricata suricatta) sind sehr soziale Tiere, die sich in der Gruppe um die Nachkom-men kümmern. Ein dominantes Weibchen ist für den Grossteil der Fortpflanzung zuständig, unterge-ordnete Weibchen helfen bei der Aufzucht ihrer Nachkommen. Veränderungen im physischen und sozialen Umfeld beeinflussen das Schicksal der Erdmännchen. So verbessern beispielsweise feuchte und warme Bedingungen zu Beginn des Sommers die Entwicklung, das Überleben und die Fortpflan-zung der Tiere. Im Gegensatz dazu beeinträchtigen hohe Populationsdichten und kalte Winter das individuelle Wachstum und Überleben.
Saisonale Dynamik ist wichtig
Es ist zu erwarten, dass die Kalahari-Wüste im südlichen Afrika durch den Klimawandel trockener und wärmer wird. Die neue Studie untersucht, wie sich steigende Sommertemperaturen und Schwan-kungen der Niederschlagsmengen auf die Körpermasse und das Wachstum von Erdmännchen aus-wirken. Sie zeigt auf, wie dies zu niedrigeren Fortpflanzungsraten und Überlebenschancen führt. Dies ist jedoch nicht das einzige Ergebnis der Studie.
«Neben der gängigen Modellierung der durchschnittlichen jährlichen Dynamik haben wir uns die sai-sonalen Effekte genauer angesehen und ein spezifisches Klimamodell entwickelt», sagt Maria Paniw vom Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften der Universität Zürich. «Und hier zeigt sich ein viel komplexeres Bild: Die saisonalen Klimaeffekte sind äusserst wichtig. Verbessern sich die Bedingungen in einer Saison, kann dies schlechteren Voraussetzungen in der nächsten Saison teil-weise entgegenwirken.»
Heissere Winter können negative Auswirkungen mildern
Das Team verknüpfte die beobachteten Veränderungen in Wachstum, Überleben und Fortpflanzung der Erdmännchen mit den registrierten saisonalen Niederschlägen und Temperaturen. Dann projizier-ten die Wissenschaftler die Populationsdynamik 50 Jahre in die Zukunft und erstellten verschiedene Szenarien, basierend auf einem Bericht zum Klimawandel des US National Center for Atmospheric Research (NCAR).
Die Daten zeigen, dass insbesondere die kombinierten Effekte von heisseren und trockeneren Som-mern den Fortbestand der Erdmännchen gefährden. In den Prognosen der Studie werden weniger Nachkommen geboren, wodurch auch weniger Helfer bei der Aufzucht weitere Generationen zur Ver-fügung stehen. In diesem Szenario bricht die Population ein und das Risiko des Aussterbens der Erdmännchen ist höher.
Wenn die Winter auch wärmer werden, werden die negativen Auswirkungen von weniger Nieder-schlägen im Sommer gemildert. Die Erdmännchen nehmen wieder an Gewicht zu und die Fortpflan-zungsrate steigt. Die Berücksichtigung dieser saisonalen Veränderungen führt so zu einem anderen Szenario: Die Erdmännchen würden wahrscheinlich nicht aussterben und wohl noch in 50 Jahren in der Kalahari leben.
Zusammenhang zwischen Saisonalität und Populationsdynamik
«Die Auswirkungen einer Umweltveränderung auf eine Population hängen davon ab, wie Individuen mit ihrer biologischen und physischen Umgebung interagieren und wie sich dies im Laufe der Zeit verändert. Unsere Studie zeigt, dass wir diese Interaktionen genau identifizieren müssen – insbeson-dere wie die Jahreszeiten variieren. Nur so können wir die Anfälligkeit einer Population gegenüber dem Klimawandel vorhersagen», sagt Arpat Ozgul, Letztautor der Studie und Professor für Populati-onsökologie am Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften der UZH.
Professor Tim Clutton-Brock von der University of Cambridge und Gründer des Kalahari Meerkat Project ergänzt: «Unsere Arbeit unterstreicht die Bedeutung langfristiger Studien, die sich über meh-rere Jahrzehnte erstrecken. Nur wenn solche Daten vorliegen, ist es möglich, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Tierpopulationen zu bewerten und die dafür verantwortlichen ökologischen Mechanismen zu verstehen.»
Literatur
Maag N, Cozzi G, Bateman A, Heistermann M, Ganswindt A, Manser M, Clutton-Brock T, Ozgul A. Cost of dispersal in a social mammal: body mass loss and increased stress. Proceedings of the Royal Society B. 2019. B 20190033. http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2019.0033

13.02.2019, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Fördern und Fordern: Mütterliche Fürsorge im Hause Abendsegler
Mittels miniaturisierter Trackingsensoren untersuchten Biologinnen und Biologen des Museum für Naturkunde Berlin die mütterliche Fürsorge in Fledermauskolonien. Hierzu wurden Mütter und ihre Jungtiere mit Sensoren ausgestattet, die automatisiert Kontakte zwischen den Tieren aufzeichnen. Erstmals konnte mit dieser Technik belegt werden, dass Fledermausmütter ihre Jungtiere zu neuen Quartieren geleiten.
Viele Fledermausarten der gemäßigten Breiten zeigen ein bemerkenswertes Sozialverhalten. Jahr für Jahr kehren die Weibchen an ihren Geburtsort zurück und ziehen gemeinschaftlich ihren Nachwuchs auf. Weibchen des Großen Abendseglers bringen ein bis zwei Jungtiere zur Welt. Sie werden einige Wochen lang gesäugt, selbst auch dann noch, wenn die Jungtiere bereits fliegen können. Zu dieser Zeit müssen die Jungtiere lernen selbständig zu jagen und Quartiere zu finden. Wie diese Lernprozesse von statten gehen, war bisher völlig unbekannt, da sich Fledermäuse in freier Wildbahn nur sehr schwer direkt beobachten lassen.
Um das Sozialverhalten von Fledermäusen in freier Wildbahn untersuchen zu können, entwickelte eine Forschergruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft unter Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Museum für Naturkunde ein funkbasiertes Sensornetzwerk zur vollautomatisierten Beobachtung von Kleintieren. Mit Hilfe von miniaturisierten Sensoren, die gerade einmal halb so schwer wie eine 1-Cent-Münze sind, konnten Kontakte zwischen einzelnen Fledermäusen aufgezeichnet und damit die Gruppendynamik der Jungtiere bei ihren nächtlichen Jagdflügen und den Quartierwechseln beobachtet werden. Enge Kontakte zwischen Müttern und Jungtieren beim Quartierwechsel, jedoch nicht bei der Jagd, zeigen, dass die Mütter ihre Jungtiere regelrecht zu neuen Quartieren geleiten. Entsprechende Verhaltensweisen wurden bei Fledermäusen bereits seit langem vermutet, jedoch erst die technologischen Entwicklungen der Forschergruppe ermöglichten die Beobachtung dieser seltenen Verhaltensweisen. Wie die Jungtiere das Jagen lernen ist dagegen noch unbekannt. Ihre Mütter brauchen sie allerdings nicht dafür.
Veröffentlicht in:
Ripperger S, Günther L, Wieser H, Duda N, Hierold M, Cassens B, Kapitza R, Kölpin A, Mayer F. 2019 Proximity sensors on common noctule bats reveal evidence that mothers guide juveniles to roosts but not food. Biol. Lett. 20180884. http://dx.doi.org/10.1098/rsbl.2018.0884

13.02.2019, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ
Europaweites Insektenmonitoring – Schmetterlinge als Vorbild
Anfang dieses Jahres startete das EU-Projekt ABLE (Assessing ButterfLies in Europe). Ziel des Projekts ist es, Trends bei der Bestandsentwicklung von Schmetterlingen in ganz Europa zu erfassen und wissenschaftlich zu bewerten. Die Ergebnisse werden wichtige Fakten über den Zustand unserer Umwelt liefern und Entscheidungen auf politischer Ebene unterstützen, die dem Insektenschwund entgegenwirken. Das Projekt ist eine gemeinsame Initiative von Butterfly Conservation Europe, dem britischen Umweltforschungszentrum CEH, dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) sowie den niederländischen und britischen Organisationen zum Schutz der Tagfalter.
Schmetterlinge sind wichtige Bestäuber und als Insekten bedeutender Teil der Nahrungskette. Insbesondere Tagfalter reagieren sehr empfindlich auf Umweltfaktoren und fungieren somit als Frühwarnsystem für Veränderungen des Zustands unserer Ökosysteme. Im Fokus der geplanten europaweiten Untersuchungen stehen die Entwicklungstrends von Tagfaltern in verschiedensten Lebensräumen. Die Analysen werden dazu beitragen, den Artenverlust von Insekten besser zu verstehen und insbesondere die Rolle, die Klimawandel und Landnutzungsveränderungen dabei spielen, aufzudecken. Das Projekt könnte als Vorbild für ein europaweites Monitoring dienen, das sich auch auf andere Insektenarten erstreckt.
Tagfalter werden bereits in elf EU-Ländern regelmäßig erfasst, vor allem unter Mithilfe tausender ehrenamtlicher Mitarbeitender. Das Projekt ABLE baut auf den Daten auf, die in diesen bereits existierenden Netzwerken erhoben werden. Es wird sie systematisch bewerten und das Monitoring um mindestens acht zusätzliche EU-Länder, vor allem in Süd- und Osteuropa erweitern. Dadurch wird es möglich, repräsentativere Trends für Arten in Grünland, Wald- und Feuchtgebieten abzuleiten, sowie Aussagen zur Entwicklung der Schmetterlinge als einem wichtigen Indikator für den Zustand der europäischen Ökosysteme zu treffen.
Die Ergebnisse werden jedoch nicht nur wissenschaftlich interessant sein, sondern sollen die aktuelle EU-Politik unterstützen – etwa bei der Evaluierung und Anpassung von Maßnahmen der Biodiversitätsstrategie, der Bestäuberinitiative oder der Agrarpolitik (GAP).
Prof. Dr. Josef Settele, Agrarökologe am UFZ, Mitbegründer von Butterfly Conservation Europe und zentraler Partner im ABLE-Team hebt hervor: „Dieses Projekt mit seiner europaweit standardisierten Vorgehensweise beim Monitoring von Tagfaltern ist ein Paradebeispiel dafür, wie in Zeiten des Insektenschwunds belastbare Daten für Wissenschaft, Politik und Gesellschaft erhoben werden müssten.“
Mihail Dumitru, Stellvertretender General-Direktor für Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung bei der Europäischen Kommission, sagt: „Viele wichtige Lebensräume für Schmetterlinge und andere Bestäuber, wie beispielsweise extensives Grünland, sind Elemente der Agrarlandschaft. Wir begrüßen dieses Pilot-Projekt zur Erweiterung des Monitorings von Schmetterlingen und zur Entwicklung neuer Biodiversitäts-Indikatoren.“
Dr. Pavel Poc, der als Stellvertretender Vorsitzender des EU-Parlamentsausschusses für Umwelt, Gesundheit und Nahrungsmittelsicherheit das Pilot-Projekt im Europaparlament vorgeschlagen hatte, ergänzt: „Ich bin sehr glücklich darüber, dass meine Kollegen diese Initiative unterstützt haben. Ich bin sicher, dass sie hilft, neue Falter-Monitorings in einigen ost- und zentraleuropäischen Ländern zu entwickeln.“
Anne Teller von der EU-Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission sagt: „Tagfalter sind wichtige Indikatoren zur Bewertung von Politiken auf Ebene der EU. Ich begrüße dieses Pilot-Projekt zur Verbesserung des Monitoringansatzes, zur Verbesserung zukünftiger Daten-erhebungen, zum verstärkten Engagement von Ehrenamtlern und zur Stimulation von Aktivitäten in weiteren EU-Mitgliedsstaaten.”
Das Projekt ABLE (Assessing ButterfLies in Europe) wurde gemeinsam initiiert von Butterfly Conservation Europe, dem Centre for Ecology & Hydrology (Großbritannien), dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und den niederländischen bzw. britischen Organisationen zum Schutz der Tagfalter – DeVlinderstichting und Butterfly Conservation. Das Projekt wird mit vielen weiteren europäischen Partnern kooperieren. Die EU unterstützt das Projekt zunächst für eine Initialperiode von zwei Jahren mit 800.000 Euro.

14.02.2019, Max-Planck-Institut für Ornithologie
Vögel speichern Erinnerungen möglicherweise anders ab als Säugetiere
Vögel haben ein gutes Gedächtnis, aber im Gegensatz zu Säugetieren ist bisher noch kaum etwas darüber bekannt, wie sie Erlerntes während des Schlafes im Gedächtnis festigen. Forscher des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen und der Utrecht Universität in den Niederlanden haben im Gehirn von schlafenden Tauben langsame Wellen gemessen ähnlich derer, wie sie auch bei Säugetieren vorkommen. Sie haben jedoch keine weiteren Gehirnrhythmen entdeckt, die für die Gedächtniskonsolidierung von Säugern wichtig sind. Die Wissenschaftler vermuten daher, dass bei Vögeln Erinnerungen in anderer Art und Weise verarbeitet werden als bei Säugetieren.
Vögel und Säugetiere schlafen sehr ähnlich mit zwei verschiedenen Arten von Schlafphasen. Während des REM-Schlafes (Englisch für Rapid-Eye-Movement) zuckt das Auge, die Muskeln entspannen, und das Gehirn ist aktiv, aber das Tier reagiert nicht auf seine Außenwelt. Während des sogenannten Slow-wave-Schlafs, auch bekannt als Non-REM Schlaf, können langsam schwingende Wellen an Aktivität gemessen werden. Bei Säugetieren ist das die Schlafphase, in der Erinnerungen gefestigt werden. Dabei arbeitet eine Kombination aus drei Gehirnrhythmen im Hippocampus und der Großhirnrinde zusammen. So werden nach und nach Informationen aus dem Kurzzeitgedächtnis im Hippocampus ins Langzeitgedächtnis der Großhirnrinde überführt.
Zu den drei Gehirnrhythmen zählen neben den langsamen Wellen in der Großhirnrinde sogenannte „Thalamokortikale Spindeln“ und „spitze Wellen“ (auf Englisch sharp-wave ripples) im Hippocampus. “Bei Vögeln hat man bisher nur die langsamen Wellen gemessen, durch Elektroenzephalogramme von der Oberfläche des Gehirns”, sagt Jacqueline van der Meij, Erstautorin der Studie. “Da Vögel aber ein gutes Langzeitgedächtnis besitzen, haben wir uns gefragt, ob in den tieferen Gehirnschichten nicht auch Spindeln vorkommen.”
Die Wissenschaftler haben von schlafenden Tauben die Gehirnaktivität im Hyperpallium gemessen – eine Gehirnregion, die bei den Säugern der Großhirnrinde entspricht. Sie fanden jedoch in der Non-REM-Schlafphase der Tauben nur die bereits bekannten langsamen Wellen. Interessanterweise beginnt die langsam oszillierende Welle wie bei Säugetieren auch in spezifischen Regionen des Hyperpallium und breitet sich wellenförmig durch verschiedene Gehirnschichten aus (siehe Video). Spindeln oder spitze Wellen konnten die Wissenschaftler jedoch nicht finden.
“Wahrscheinlich lagern Vögel ihre Erinnerungen im Hippocampus anders ein als Säugetiere”, sagt Niels Rattenborg, der die Studie geleitet hat. “Bei Säugern werden Erinnerungen, die zunächst im Hippocampus gespeichert sind, nach und nach in die Großhirnrinde ins Langzeitgedächtnis transportiert. Es sieht so aus, als ob sie bei Vögeln den Hippocampus nicht verlassen.“ Es könnte daher sein, dass Vögel die Spindeln gar nicht brauchen. “Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass die langsam oszillierenden Wellen, die schlafende Vögel und Säugetiere gemeinsam haben, an Prozessen beteiligt sind, die über den Transport von Erinnerungen zwischen den Gedächtnissen herausgehen“, fasst Jacqueline van der Meij zusammen.
Originalpublikation:
Jacqueline van der Meij, Dolores Martinez-Gonzalez, Gabriël J.L. Beckers and Niels C. Rattenborg 2019. Intra-“cortical” activity during avian non-REM and REM sleep: variant and invariant traits between birds and mammals. Sleep, Volume 42, Issue 2, veröffentlicht am 01. Februar 2019 (https://doi.org/10.1093/sleep/zsy230)

14.02.2019, Universität Wien
Werkzeug oder kein Werkzeug?
Flexibler Werkzeuggebrauch bei Tieren steht in enger Verbindung mit höheren mentalen Prozessen, wie zum Beispiel der Fähigkeit Handlungen zu planen. KognitionsbiologInnen um Isabelle Laumer von der Universität Wien erforschten Entscheidungsfähigkeit und Werkzeuggebrauch bei Orang-Utans und fanden heraus, dass die Tiere sorgfältig abwägen: Sofort verfügbares Futter fressen oder doch lieber warten und ein Werkzeug verwenden, um damit an ein anderes, besseres Futter zu gelangen? Dabei hinterfragten die Tiere auch Details wie Qualitätsunterschiede beim Futter und ob ein bestimmtes Werkzeug in der jeweiligen Situation funktionieren könnte, sogar wenn die Aufgabe immer komplexer wurde.
Tierischer Werkzeuggebrauch ist extrem selten und wird daher oft fälschlicherweise pauschal als intelligent gewertet. Die meisten Arten des Werkzeuggebrauchs sind allerdings recht unflexibel, werden typischerweise nur in einer gewissen Situation angewendet und werden von relativ einfachen mentalen Prozessen kontrolliert, die ein Teil des stereotypen, angeborenen Verhaltens der jeweiligen Spezies sind. Im Gegensatz dazu erfordert intelligenter Werkzeuggebrauch die Fähigkeit mehrerer Informationsebenen zu integrieren, und das Verhalten flexibel und schnell an wechselnde Situationen anzupassen.
Orang-Utans teilen 97 Prozent ihrer DNA mit Menschen und gehören zu den intelligentesten Primaten. Sie haben ein menschenähnliches Langzeitgedächtnis, benutzen routinemäßig eine Vielzahl ausgefeilter Werkzeuge in der Wildnis und bauen jede Nacht aus Laub und Ästen aufwendige Schlafnester. In ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet, den tropischen Regenwäldern auf Borneo und Sumatra, müssen Orang-Utans bei der Nahrungssuche mehrere Faktoren berücksichtigen, wie z.B. die Wahrscheinlichkeit reife Früchte zu finden, die Distanz, die Erreichbarkeit von Fruchtbäumen und auch manchmal ob geeignete Werkzeuge vorhanden sind, um bestimmte hartschalige oder stachelige Früchte zu öffnen..
KognitionsbiologInnen und Vergleichende Psychologen der Universität Wien, der Veterinärmedizinischen Universität Wien und der Universität St. Andrews untersuchten erstmals wie Orang-Utans ihre Entscheidungen bezüglich Futter und Werkzeuggebrauch treffen und wie viele Aspekte sie gleichzeitig berücksichtigen, um gewinnorientierte Entscheidungen zu treffen am Wolfgang-Köhler-Primaten-Forschungszentrum im Zoo Leipzig.
Die ForscherInnen verwendeten zwei verschiedene Arten von Futter: Bananen-pellets, das Lieblingsfutter der Tiere, und Apfelstücke, welche die Tiere gerne essen aber gewöhnlich ignorieren, wenn Bananen-pellets vorhanden sind. Die Versuchsanordnung enthielt auch zwei verschiedene Apparaturen, in denen eine der beiden Futtersorten vorübergehend außer Reichweite war und zwei Arten von Werkzeugen: Eine Apparatur konnte nur durch das Einführen eines Stöckchens bedient werden (aber nicht durch das Hineinstecken eines Balles), die andere nur dann, wenn die Tiere einen Ball hineinwarfen (aber nicht ein Stöckchen). Während der Tests hatten die Tiere entweder eine oder zwei Apparaturen vor sich und sie durften einen von zwei Gegenständen, die daneben lagen (gewöhnlich ein Werkzeug und eines der zwei Futtersorten) wählen, der andere wurde in der Folge entfernt.
Entscheidungen je nach „Marktsituation“
Die Orang-Utans passten ihre Entscheidungen flexibel an verschiedene Situationen an. „Wenn das Apfelstück (gutes Futter) oder das Bananen-pellet (Lieblingsfutter) in der Apparatur außer Reichweite war und die Tiere die Wahl zwischen dem Bananen-pellet und einem Werkzeug hatten, nahmen sie das Futter und nicht das Werkzeug, auch wenn das Werkzeug mit der Apparatur funktionierte“, beschreibt Erstautorin Isabelle Laumer. Wenn die Orang-Utans allerdings die Wahl zwischen dem Apfelstück und einem Werkzeug hatten, wählten sie das Werkzeug; allerdings nur dann, wenn es mit der Apparatur am Tisch funktionierte: Wenn also beispielsweise das Stöckchen und ein Stück Apfel verfügbar waren, gleichzeitig aber die Ball-Apparatur auf dem Tisch stand, wählten sie das Apfelstück und nicht das Stöckchen. Wenn aber die Stock-Appartur mit einem Bananen-pellet befüllt war, wählten sie das Stöckchen und nicht das sofort verfügbare Apfelstück. In einer finalen Aufgabe, in der mehrere Komponenten gleichzeitig berücksichtigt werden mussten, nämlich beide Apparaturen mit jeweils einer anderen Belohnung und beide Werkzeuge zur Entscheidung angeboten wurden, konnten die Orang-Utans immer noch maximalen Gewinn erzielen.
Diese Ergebnisse decken sich mit den Resultaten von Goffin Kakadus, die zuvor in derselben Aufgabe getestet wurden. „Wie die Orang-Utans, konnten auch die Kakadus ihre Impulse zugunsten zukünftiger Gewinne unterdrücken, auch wenn Werkzeuggebrauch als Arbeitsaufwand involviert war. Darüber hinaus fanden wir heraus, dass sie auch ähnlich wie die Menschenaffen gleichzeitig auf die Qualität des Futters, sowie auf die Funktionalität ihres Werkezeuges im entsprechenden Kontext achten“, erklärt Alice Auersperg, Leiterin des Goffin Labs in Österreich. „Dies legt wiederum nahe, dass sich ähnliche kognitive Fähigkeiten unabhängig voneinander in entfernt verwandten Arten entwickelt haben. Im Gegensatz zu den Orang-Utans konnten die Kakadus jedoch die letzte Aufgabe, in der beide Apparaturen mit unterschiedlichem Futter befüllt waren, und sie zwischen den beiden Werkzeugen wählen mussten, nicht gewinnbringend lösen.“
„Optimalitätsmodelle legen nahe, dass Orang-Utans ihre Entscheidungen bei der Nahrungssuche flexibel an die Verfügbarkeit von Nahrungsquellen mit hohem Nährstoffgehalt wie Obst anpassen sollten“, sagt Josep Call von der University of St. Andrews. „Unsere Studie zeigt, dass Orang-Utans gleichzeitig mehrdimensionale Aufgabenkomponenten berücksichtigen können, um ihren Gewinn zu maximieren, und dass wir damit sehr wahscheinlich noch nicht einmal an die Grenzen ihrer kognitiven Fähigkeiten gestoßen sind.“
„Laut eines Gutachtens des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) aus dem Jahr 2007 werden Orang-Utans innerhalb von zwei Jahrzehnten in freier Wildbahn ausgestorben sein, falls sich die derzeitigen Entwaldungstrends fortsetzen“, so Isabelle Laumer. „Der Verlust von Lebensraum aufgrund der umfangreichen Palmölproduktion ist die größte Bedrohung. Leider ist Palmöl das am häufigsten verwendete Pflanzenöl der Welt. Solange es eine Nachfrage nach Palmöl gibt und weiterhin Produkte gekauft werden, die Palmöl enthalten, wird mehr und mehr Regenwald zerstört. Jeder von uns kann etwas bewirken und hat einen Einfluss darauf, diese außergewöhnlichen Tiere zu retten, indem er Kaufentscheidungen trifft, die klein erscheinen mögen, aber kollektiv eine große Veränderung bewirken können.“
Publikation in „PLOS ONE“:
“Orangutans (Pongo abelii) make flexible decisions relative to reward quality and tool functionality in a multi-dimensional tool-use task”
Authors: Isabelle Laumer, Alice Auersperg, Thomas Bugnyar, Josep Call
DOI: 10.1371/journal.pone.0211031

14.02.2019, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Schwänzeltanz ist für Honigbienen in manchen Kulturlandschaften nicht mehr hilfreich

Soziale Kommunikation im Bienenstaat: Bienen lernen zu beurteilen, welchen Nutzen die Informationen aus einem Schwänzeltanz bieten
Der Austausch von Informationen ist für Bienen – wie für andere soziale Insekten auch – ein wichtiger Faktor, um den Erfolg einer Kolonie zu sichern. Honigbienen besitzen dazu ein einmaliges Verhaltensmuster, das vermutlich bereits vor über 20 Millionen Jahren entstanden ist: den Schwänzeltanz. Mit dem Schwänzeltanz teilt eine Biene ihren Schwestern in der Kolonie mit, wo eine qualitativ hochwertige Futterquelle zu finden ist. Der konkrete Nutzen dieser als Tanzsprache bezeichneten Kommunikation ist in den vergangenen Jahren jedoch infrage gestellt worden. Nun haben Biologen der Universität Lausanne und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) mehr Klarheit in das Für und Wider des Bienentanzes gebracht. „Zu unserer Überraschung haben wir festgestellt, dass Bienenvölker erfolgreicher Nahrung sammeln, wenn man ihnen die Tanzsprache wegnimmt“, teilt Dr. Christoph Grüter, Verhaltensökologe an der JGU, zu den Ergebnissen mit. Ein Grund dafür könnte der durch menschliche Einflüsse veränderte Lebensraum sein. Grüter hat zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen in Lausanne in mehrjährigen Experimenten die Bedeutung der Tanzsprache für den Kolonie-Erfolg untersucht.
Es gibt etwa 10 verschiedene Arten von Honigbienen, die sich über den Schwänzeltanz verständigen. Weit mehr, nämlich über 500 Arten hochsozialer stachelloser Bienen haben keine Tanzsprache zur Verfügung. Grüter wollte der Frage nachgehen, was der Gewinn des Schwänzeltanzes für eine Kolonie ist, vor allem in Anbetracht dessen, dass es sich um eine relativ zeitaufwendige Kommunikationsstrategie handelt. Ein Schwänzeltanz kann nur wenige Sekunden, aber auch bis zu 5 Minuten dauern.
Bei den Experimenten haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für einen Teil der Bienenvölker die Bedingungen so manipuliert, dass die Tanz-Bienen verwirrt wurden und dadurch desorientiert waren. Der Schwänzeltanz, der in so einer Umgebung aufgeführt wird, macht für die Zuschauerinnen keinen Sinn mehr. Dazu mussten der Lichteinfall unterbunden und die Waben in eine horizontale Position gebracht werden, damit die Richtung der Schwerkraft nicht zur Orientierung zur Verfügung steht. Besonders wichtig war es aber, das Erinnerungsvermögen der Bienen zu berücksichtigen. „Die Sammlerinnen haben ein sehr gutes Erinnerungsvermögen, sodass sie einen ergiebigen Futterplatz mehrere Tage lang wiederfinden“, erklärt Grüter. Das heißt für die Versuche wurde der Schwänzeltanz während 18 Tagen behindert, damit die Sammlerinnen nicht aufgrund ihrer Erinnerung zu den reichhaltigen Futterquellen fliegen. Sammlerinnen sind ältere Bienen, die in ihrer letzten Lebensphase nicht mehr mit Arbeiten im Stock, sondern mit dem Sammeln von Nektar und Pollen befasst sind. Sie leben in der Regel nicht mehr länger als 18 Tage.
Honigbienen sind in schwieriger Umgebung ohne Schwänzeltanz-Infos effektiver
Von den Ergebnissen war das Biologenteam überrascht: Bienenstöcke ohne Schwänzeltanz waren aktiver und brachten mehr Honig ein als Bienenstöcke mit Tanzsprache. „Wir haben genau das Gegenteil gefunden, von dem, was wir erwartet hatten, nämlich dass die Tanzsprache wichtig ist“, so Dr. Robbie I’Anson Price, Erstautor der Studie. „Wahrscheinlich verlieren die Bienen bei einem desorientierten Tanz das Interesse und machen sich auf eigene Faust auf die Nahrungssuche“, vermutet der Biologe. Die Unterschiede sind beachtlich: Bienen ohne Tanzsprache waren bei einem Flug 8 Minuten länger unterwegs und haben über den gesamten 18-tägigen Zeitraum 29 Prozent mehr Honig eingebracht als die Sammlerinnen aus der Gruppe mit Schwänzeltanz.
Für die Honigbienen – hier waren es Buckfast-Bienen, eine etwa 100 Jahre alte Zuchtform der Westlichen Honigbiene – kann es also von Vorteil sein, auf die soziale Kommunikation zu verzichten. Grüter vermutet, dass es dabei stark auf das Umfeld und das Nahrungsangebot ankommt. Wenn irgendwo ein großer Apfelbaum in voller Blüte steht, lohnt es sich, diese Information abzuwarten und den Standort zu erfahren. Wenn Blütenpflanzen aber spärlich auf Balkonen oder Randstreifen an Straßen verteilt sind, ist es unter Umständen besser, frühzeitig den Stock zu verlassen und selbstständig zu sammeln. „Wir halten den Zeitgewinn für einen Hauptgrund für das beobachtete Verhalten“, so Grüter.
Bienen lernen vermutlich, den Informationswert eines Schwänzeltanzes einzuschätzen
Eine spektakuläre Entdeckung ist für die Forschenden die Beobachtung, dass die Bienen den Informationsgehalt eines Tanzes offenbar beurteilen können und das Interesse an einem desorientierten Tanz verlieren. „Sie merken eventuell, dass etwas nicht stimmt“, vermutet Grüter. „Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass der Mensch möglicherweise eine Umgebung geschaffen hat, an die die Schwänzeltanz-Sprache nicht gut angepasst ist“, schreiben die Autorinnen und Autoren in ihrer Studie, die aktuell in dem renommierten Fachmagazin Science Advances veröffentlicht wurde.
Grüter will dieser Vermutung, dass Bienen etwas über den Wert einer Tanz-Information lernen können, in Zukunft genauer nachgehen und außerdem die Experimente in der Mainzer Gegend unter unterschiedlichen Bedingungen wiederholen: in städtischen und ländlichen Gebieten sowie zu verschiedenen Jahreszeiten.
Christoph Grüter ist seit 2015 Arbeitsgruppenleiter am Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zuvor war er Arbeitsgruppenleiter am Departement für Ökologie und Evolution der Universität Lausanne, Schweiz. Seine Gruppe untersucht die Organisation und Koordination von kollektiven Aktivitäten bei sozialen Insekten, wobei die Kommunikation bei Insektenkolonien eine zentrale Rolle spielt.
Originalpublikation:
Robbie I’Anson Price et al.
Honeybees forage more successfully without the “dance language” in challenging environments
Science Advances, 13. Februar 2019
DOI: 10.1126/sciadv.aat0450
http://advances.sciencemag.org/content/5/2/eaat0450.full

15.02.2019, Ruhr-Universität Bochum
Ameisen gegen Elefanten: Wie die Insekten die Fressfeinde von Akazien aufspüren
Ameisen beschützen afrikanische Akazien gegen Fressfeinde wie Elefanten, Giraffen oder Antilopen und erhalten im Gegenzug Unterschlupf und Nahrung von den Bäumen. Wie die Ameisen die Säugetiere detektieren, haben Bochumer Biologen in Afrika erforscht. In Current Biology berichten sie am 14. Februar 2019, dass die Insekten dafür Vibrationen nutzen und dass sie zwischen Vibrationen durch Säugetiere und Wind unterscheiden können.
Afrikanische Akazien haben viele Feinde. Pflanzenfressende Tiere wie Giraffen, Elefanten oder Antilopen können verheerenden Schaden anrichten. Sie fressen Blätter, ziehen dem Stamm die Rinde ab, brechen Äste oder stürzen den ganzen Baum um. Um sich zu schützen, gehen viele Akazien eine sogenannte mutualistische Beziehung mit Ameisen ein.
Ameisen als Bodyguards
Sie stellen Ameisen sozusagen als Bodyguards ein, bieten Nahrung und Unterschlupf und erhalten im Austausch Schutz vor Pflanzenfressern. Sobald die Akazie angefressen wird, strömen Ameisen aus und verteidigen aggressiv ihren Baum. Obwohl Ameisen viel kleiner sind, können sie Elefanten oder Giraffen verjagen, indem sehr viele Tiere gemeinsam sehr schnell reagieren.
Dr. Kathrin Krausa und Dr. Felix A. Hager von der Arbeitsgruppe Verhaltensbiologie und Didaktik der Biologie der Ruhr-Universität Bochum (RUB) wollten wissen, wie Ameisen es schaffen, so schnell zu reagieren und den Angreifer zu finden. Dafür untersuchten sie das Verhalten der Akazien-Ameisen Crematogaster mimosae in Kenia. Ihre Ergebnisse wurden nun in dem renommierten Journal Current Biology publiziert.
Die beiden Forscher interessierte vor allem, was die Ameisen alarmiert. Elefanten sind kaum zu übersehen, nachts jedoch, und mit den relativ schlechten Augen der Ameisen, sind visuelle Reize nur sehr eingeschränkt von Nutzen. Die Ausbreitung chemischer Reize, mit denen bisher die Abwehrreaktion der Ameisen erklärt wurde, ist verhältnismäßig langsam und stark vom Wind abhängig. Daher wären sie keine zuverlässige Informationsquelle.
„Wir hielten es darum für viel wahrscheinlicher, dass die Ameisen mechanische Reize detektieren“, sagt Kathrin Krausa. Damit fiel ihre Forschung in den Bereich der Biotremologie. Dies ist eine junge wissenschaftliche Disziplin, die die Produktion, Ausbreitung und Wahrnehmung von substrat-getragenen Vibrationen und ihren Effekt auf Organismen untersucht.
Vibrationen können durch Tiere, aber auch durch Wind hervorgerufen werden
„Eine Akazie in der afrikanischen Savanne vibriert nicht nur, wenn ein Elefant an ihr rüttelt“, erklärt Felix Hager. „Auch Wind versetzt Äste oder den ganzen Baum in Schwingungen.“ Die beiden Forscher wollten daher die durch Wind verursachten Vibrationen mit denen von fressenden Säugetieren vergleichen. „Anstelle von Elefanten, die zwar zahlreich vorhanden, aber schwer zu bändigen waren, haben wir eine Ziege an den Akazien fressen lassen“, so Kathrin Krausa.
Die Messungen zeigen, dass sich Vibrationen verursacht von fressenden Säugetieren klar von den vom Wind verursachten Vibrationen unterscheiden, sie sind hochfrequenter. Auch Ameisen nehmen diesen Unterschied wahr. Tatsächlich konnten Kathrin Krausa und Felix Hager zeigen, dass Vibrationen, die durch das Abzupfen von Blättern verursacht werden, die alarmierenden Reize sind.
Ameisen reagieren auf Säugetier-Vibrationen mit verstärktem Patrouillieren, wohingegen sich ihre Aktivität nicht ändert, wenn der Baum sich im Wind bewegt. Die Vibrationen, die entstehen, wenn ein Säugetier ein Blatt abzupft, sind so stark, dass sie über den gesamten Baum weitergeleitet und von den Ameisen wahrgenommen werden. „So werden die überall auf dem Baum verteilten Ameisen innerhalb kürzester Zeit alarmiert“, so die Forscher.
Tropotaktische Orientierung
Eine durch Vibrationen alarmierte Ameise orientiert sich laut der Biologen unmittelbar in die Richtung, aus der die Vibrationen kommen. Sie erhält also eine Richtungsinformation. Dank dieser tropotaktischen Orientierung können Ameisen sehr schnell den Angreifer lokalisieren und bekämpfen. Vibrationen sind der Schlüsselreiz, den Ameisen nutzen, um die Akazie zu verteidigen.
Originalpublikation:
Felix Hager, Kathrin Krausa: Acacia ants respond to plant-borne vibrations caused by mammalian browsers, in: Current Biology, 2019, DOI: 10.1016/j.cub.2019.01.007

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