Portrait: Wisent

Ordnung: Paarhufer (Artiodactyla)
Familie: Hornträger (Bovidae)
Unterfamilie: Bovinae
Tribus: Rinder (Bovini)
Gattung: Bisons (Bison) oder Eigentliche Rinder (Bos)
Art: Wisent (Bison bonasus oder Bos bonasus)
Wisent (Tiergarten Straubing)

Wisent (Tiergarten Straubing)

Der Wisent ist seit der Ausrottung des Auerochsen das schwerste und größte Landsäugetier Europas und zudem der letzte Vertreter der wildlebenden Rinderarten des Kontinents. Wisente weisen 14 Rippenpaare und fünf Lendenwirbel auf. Das Hausrind dagegen hat 13 Rippenpaare und sechs Lendenwirbel. Geschlechtsreife Wisentbullen sind wesentlich schwerer und größer als ausgewachsene Kühe. Der auffällige Gewichtsunterschied zwischen Männchen und Weibchen entwickelt sich erst ab dem dritten Lebensjahr. Kuhkälber wiegen bei Geburt durchschnittlich 24 und Stierkälber 28 Kilogramm. In den ersten drei Lebensmonaten verdoppelt sich das Gewicht und beträgt am Ende des ersten Lebensjahres durchschnittlich 175 Kilogramm bei Kühen und 190 Kilogramm bei Bullen. Mit vier Jahren bringen in Gehegezucht gehaltene Bullen dagegen bereits 500 Kilogramm auf die Waage, während die Kühe bei durchschnittlich 400 Kilogramm liegen. Der schwerste in polnischer Gehegezucht gehaltene Bulle erreichte ein Körpergewicht von 920 Kilogramm. Die freilebend im Białowieżaer Reservat gehaltenen Wisente sind dagegen deutlich leichter. Vierjährige Bullen haben ein durchschnittliches Gewicht von 467 Kilogramm, während Kühe 341 Kilogramm wiegen. Der schwerste freilebende Bulle wog 840 Kilogramm.
Die Kopf-Rumpflänge beträgt bei Bullen, die älter als sechs Jahre sind, bis zu drei Meter. Ihre Widerristhöhe kann bis zu 1,88 Meter betragen. Wisentkühe erreichen eine Widerristhöhe von maximal 1,67 Meter und eine Kopf-Rumpflänge von 2,70 Meter.

Der Rumpf ist bei beiden Geschlechtern verhältnismäßig kurz und schmal. Der Kopf ist tief angesetzt und im Verhältnis zum Körper klein. Auffällig ist bei Wisenten vor allem die vom Widerrist nach hinten abfallende Rückenlinie und die im Vergleich zum relativ schwachen Hinterteil sehr muskulöse Vorderpartie. Wisentkälber sind zunächst hochbeinig und ohne solche disproportionale Unterschiede. Die wisenttypischen Körperproportionen entwickeln sich bei ihnen im Alter von acht bis zehn Monaten.
Bei den Bullen sind die Dornfortsätze der Brustwirbel länger und stärker von Muskeln umgeben, so dass ihr Buckel auffallend größer ist als der der Weibchen. Die Ohren sind kurz, breit, dicht behaart und im dichten Kopfhaar weitgehend verborgen. Beide Geschlechter haben Hörner, die am hinteren Kopfrand stehen. Die Hörner der Kühe sind im Vergleich zu denen der Bullen kürzer und dünner. Hornanlagen sind bereits bei neugeborenen Kälbern entwickelt. Erst ab dem zweiten Lebensjahr biegen sich die Hörner nach innen, dabei bleibt der Abstand zwischen den Hornspitzen größer als an den Hornbasen. Die Hornkrümmung ist bei Kühen stärker entwickelt, so dass der Hornabstand bei den Bullen größer ist. Die Hörner sind in der Regel grauschwarz, bei einzelnen Individuen treten jedoch helle Hornspitzen auf. Ältere Bullen haben häufig abgestumpfte Hornspitzen.
Das Euter der Kühe, das zwei Zitzenpaare aufweist, ist klein und hoch angesetzt. Der Hodensack der Bullen liegt dicht am Unterbauch und ist deutlich kleiner als beispielsweise bei einem Hausrind. Die Vorhaut des Penis endet mit einem Haarbüschel, so dass sich bei Feldbeobachtungen die Geschlechter relativ eindeutig bestimmen lassen. Die Augen sind relativ klein, von brauner Farbe mit einer quer-ovalen Pupille. Die Lidränder und die Bindehaut sind schwarz. Charakteristisch für Wisente ist außerdem ein Moschusgeruch.
Die Haut von Wisenten ist am dicksten am mittleren Halsrücken und extrem elastisch. In der Literatur finden sich Schilderungen von Unfällen oder Kämpfen mit Artgenossen, bei denen die Tiere schwere innere Verletzungen erlitten, die Haut jedoch nicht durchdrungen wurde. Das Lautrepertoire der Wisente ist nicht sehr groß. Charakteristische Laute sind ein brummendes Knören und bei Erregung ein scharfes Prusten. Kühe sind in der Lage, ihre Kälber anhand der Stimmen zu identifizieren, und Kälber können auch innerhalb größerer Herden ihre Mütter anhand deren Stimme finden.

Die Fellfarbe kann individuell leicht variieren, ist aber bei ausgewachsenen Wisenten überwiegend fahlbraun bis braun. Am dunkelsten sind die Kopfseiten und der untere Teil der Beine. Um Schnauze und Augen sind die Haare kurz und glatt. Oberhalb des nackten Nasenfeldes findet sich in der Regel ein schmaler, hellgrauer Streif.
Am Vorderkörper sind Leit- und Grannenhaare verlängert und bilden entlang der Kehle und der Vorderbrust eine Mähne. Die Stirnhaare sind mit 20 Zentimetern mäßig lang. Sie fallen nach vorne und liegen auf der Stirn fest auf. Der Kehlbart bei ausgewachsenen Bullen kann bis zu 34 Zentimeter lang sein. Am längsten sind die Haare am Schwanzende. Sie können bis zu 50 Zentimeter lang sein und reichen bis zum Sprunggelenk. Die Zahl der Woll- und Grannenhaare variiert in Abhängigkeit von der Jahreszeit und ist am höchsten während des Winters. Der Wechsel ins Sommerkleid beginnt meistens Anfangs März. Meist sind es die älteren Bullen, die zuerst ihr Kopf- und Halshaar verlieren. Beim Haarwechsel schiebt sich die abgelöste Unterwolle in Klumpen an den Grannen entlang und hängt am Fell, bis sie vom Wisent abgestreift wird. Der Haarwechsel dauert bei den Bullen durchschnittlich 138 Tage, während er sich bei den Kühen über 183 Tage hinziehen kann.
Kälber sind unmittelbar nach der Geburt rotbraun. Erst wenn sie im dritten oder vierten Lebensmonat erstmals das Haarkleid wechseln, weisen sie eine ähnliche Fellfarbe wie ausgewachsene Tiere auf.

Das Sehvermögen von Wisenten ist nicht sonderlich gut ausgeprägt, dagegen ist ihr Geruchssinn gut entwickelt. So finden versprengte Mitglieder einer Herde zu ihr zurück, indem sie den Fährten der Herdenmitglieder folgen. Ähnlich folgt ein Bulle einer Herde von Kühen, indem er die Fährten der Kühe erschnuppert.
Wisente können verhältnismäßig schnell galoppieren und erreichen im Sprint bis zu 60 km/h. Sie können eine so hohe Geschwindigkeit jedoch nur über weniger als 100 Meter halten und müssen in der Regel anschließend schwer atmend pausieren. Typischer ist für sie ein langsames Gehen, wobei das Körpergewicht erst dann auf das vordere Bein verlagert wird, wenn dieses fest auf dem Boden steht, die Schrittlänge beträgt dabei etwa 75 bis 115 Zentimeter. Sie sind jedoch so wendig und geschickt, dass sie bis zu zwei Meter hohe Hindernisse und drei Meter breite Gräben überspringen können.

Die ursprüngliche Verbreitung des Wisents umfasste einen großen Teil des europäischen Kontinents. In vor- und frühgeschichtlicher Zeit reichte sein Verbreitungsareal vom Norden Spaniens über Mitteleuropa und den Süden der skandinavischen Halbinsel bis ins Baltikum; von der Rigaer Bucht verlief die Verbreitungsgrenze südostwärts bis ans Schwarze Meer und zum Kaukasus. Die Verbreitung reichte im Kaukasus vom Meeresniveau bis in eine Höhe von 2100 Metern.

Der Lebensraum der Wisente begann bereits während des Neolithikums vor etwa 6000 Jahren zu schrumpfen. Der Übergang von Jäger- und Sammlerkulturen zu sesshaften Bauern, der im Neolithikum begann, ging mit einer immer stärkeren menschlichen Nutzung und Abholzung von Wäldern einher. Auf Lichtungen und gerodeten Flächen wurden zunehmend Kulturfrüchte angebaut und der Wald als Weidefläche für Haustiere genutzt. In Folge dieser zunehmenden Urbarmachung und Nutzung der Wälder war der Wisent in weiten Teilen Frankreichs bereits im 8. Jahrhundert ausgestorben. Auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands verschwand der Wisent zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert. In Ostpreußen gab es zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch so viele Wisente, dass man im Königsberger Hetztheater anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten von Friedrich I. im Januar 1701 mehrere Wisente gegen Bären und Wölfe kämpfen ließ. Der letzte ostpreußische Wisent wurde 1755 erlegt. In Rumänien gab es wildlebende Wisente noch im ausgehenden 18. Jahrhundert.
Im Gebiet des heutigen Polens waren Wisente bereits im 11. Jahrhundert selten, Restbestände konnten sich jedoch in größeren Waldgebieten halten, in denen sie als königliches Jagdwild geschützt waren. Besondere Bedeutung für den Erhalt des Wisents hatte der Wald von Białowieża. Bereits im Mittelalter war diese entlegene Region im Grenzgebiet zwischen dem heutigen Polen und Weißrussland ein privilegiertes Jagdgebiet der polnischen Könige. Wisente durften hier nur mit besonderer Bewilligung des polnischen Herrschers gejagt werden. Ab 1795 stand das Gebiet unter strengem Schutz des russischen Zaren. Das Gebiet wurde zwar als Hudewald genutzt, auf Wilderei stand jedoch die Todesstrafe und ab 1803 war in weiten Teilgebieten des Waldes Holzeinschlag untersagt. Von 1832 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs wurde der Wisentbestand jährlich gezählt. Er erreichte 1857 mit 1900 Wisenten sein Maximum. Danach kam es durch zwei Epizootien in den Jahren 1890 und 1910 zu einem Rückgang der Bestände. Anfang 1915 lebten noch etwa 770 Wisente in diesem Gebiet. Im Herbst 1917 waren es nur noch 150 Tiere. Unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs fielen die meisten Tiere marodierenden Soldaten sowie Wilderern zum Opfer. Überreste eines gewilderten Wisents sowie Fährten von vier weiteren Tieren wurden letztmals am 4. April 1919 gefunden. Da jedoch während des 19. Jahrhunderts aus Wisentbeständen dieses Gebietes immer wieder Wisente gefangen und an Zoos und Gehege verschenkt worden waren, konnte auf diese Nachkommen Białowieżaer Wisente zurückgegriffen werden, als in den 1920er Jahren die Bemühungen einsetzten, die Art zu erhalten. Die sogenannte Pleß-Linie geht beispielsweise auf einen Bullen und vier Kühe zurück, die 1865 dem Fürsten von Pleß geschenkt und mit denen über einige Jahrzehnte in den Pleßer Wäldern gezüchtet wurde. Große Bedeutung hat in der heutigen Erhaltungszucht der Bulle Plisch mit der Zuchtbuchnummer 229, der 1936 von Pleß wieder nach Białowieża zurückgebracht wurde. Von ihm stammen fast alle zur Zeit im Urwald von Białowieża lebenden Wisente ab.

Wiederansiedlungen von Wisenten erfolgten 1952 im polnischen Teil und 1953 im weißrussischen Teil von Białowieża. 2004 lebten in Polen, Weißrussland, der Ukraine, Russland, Litauen und der Slowakei 29 freie und zwei halbfreie Populationen.

Der Lebensraum der Wisente sind ausgedehnte Laub- und Mischwälder mit einem ausgeprägten Mosaik unterschiedlich dichter Vegetationsstrukturen. Reine Nadelwälder werden nur selten aufgesucht, Mischwäldern wird aber der Vorzug vor reinen Laubwäldern gegeben. Eine Vorliebe zeigen sie für Erlenbruchwälder. Im Wald von Białowieża, der nicht nur die ältesten freilebenden Wisentherden beherbergt sondern auch das ursprünglichste und vom Menschen am wenigsten geprägte Waldgebiet in Mitteleuropa ist, machen tote Bäume etwa 20 Prozent der Gesamtholzmasse aus. Dadurch ist der Wald deutlich lichter als mitteleuropäische Wirtschaftswälder. Entsprechend kann sich eine dichtere Krautschicht entwickeln. Die jahreszeitlich unterschiedliche Entwicklung der Krautschicht in Białowieża prägt das Nutzungsverhalten der Tiere: So halten sich Wisente im Frühjahr überwiegend in Laubwäldern auf, in denen sich die Krautschicht am frühesten entwickelt. Ab Ende Mai nutzen sie bevorzugt frische Mischwälder, in denen die Krautschicht sich später entwickelt und im Juni und Juli in voller Blüte steht. Die Reviergröße einer Gruppe von Wisenten beträgt etwa 4600 bis 5600 Hektar. Die Reviere einzelner Gruppen können sich jedoch zu einem großen Teil überlappen.

Der Wisent ist ein typischer Raufutterverwerter (pflanzliche Nahrung mit Silkateinlagerungen). Dies unterscheidet ihn vom Rothirsch, der den sogenannten Intermediärtyp vertritt, und vom Reh, das als sogenannter Konzentratselektierer nur energiedichte Pflanzenarten und -teile frisst. Die drei Arten sind deshalb keine Konkurrenten um Nahrungsressourcen. Die Literaturangaben über den täglichen Nahrungsbedarf eines ausgewachsenen Wisents reichen von 30 bis 60 Kilogramm.
Während der Vegetationszeit äsen Wisente überwiegend die Krautschicht, und unabhängig vom Waldtyp stellt dies die Hauptquelle der Nahrung dar. Regelmäßig werden auch junges Laub und Triebe gefressen, allerdings macht dies immer einen geringen Teil der Nahrung aus. Baumrinde wird vor allem gegen Ende des Winters abgeschält und gefressen. Bei Populationen, die im Winter kein Heu erhalten , stellen Brombeersträucher und unter dem Schnee freigescharrte Krautvegetation den Hauptteil der Nahrung dar. Auch hier steigt der Anteil von Baumrinde in der Nahrung deutlich an, wenn die Schneedecke höher ist.
In Białowieża hat man insgesamt 137 Pflanzenarten identifiziert, die in der Ernährung der Wisente eine Rolle spielen. Dazu zählen Wald-Reitgras, Wald-Segge und Behaarte Segge, Giersch, Große Brennnessel, Wolliger Hahnenfuß sowie Kohl-Kratzdistel. Triebe und junges Laub werden insbesondere von Hainbuche, Salweide, Esche und Himbeere gefressen. Die Baumrinde von Stiel-Eiche, Hainbuche, Esche und Fichten spielt im Winter eine Rolle. Daneben werden im Herbst Eicheln und Bucheckern aufgenommen.

Wisent (Tierpark Hellabrunn)

Wisent (Tierpark Hellabrunn)

Wisente sind Herdentiere. Lediglich ältere Bullen leben meist einzelgängerisch, während junge Bullen sich gewöhnlich zu kleinen Gruppen zusammenschließen. Die typische Wisentherde ist jedoch eine gemischte Gruppe, die aus Kühen, zwei bis dreijährigen Jungtieren, Kälbern und während der Brunftzeit zeitweise auch erwachsenen Bullen besteht. Die Gruppenzusammensetzung ist nur sehr selten über längere Zeit stabil. Herden vermischen sich, wenn sie aufeinandertreffen, und wenn sie sich wieder trennen, ist häufig ein Teil der jeweiligen Gruppenangehörigen ausgetauscht. Eine Herde wird von einer Leitkuh angeführt. Das Alter ist ein bestimmender Faktor für den Rang, wobei einzelne Kühe ihre Stellung zum Teil über mehrere Jahre innehaben, wie man aus Untersuchungen an freilebenden Herden weiß. Bullen, die während der Fortpflanzungszeit zu den Herden stoßen, haben keinen Einfluss auf die Gruppenhierarchie. Ihre Anwesenheit dient lediglich der Fortpflanzung.
Wisente halten in der Regel einen Abstand von zwei bis drei Meter voneinander. Wird diese Distanz von einem rangniedrigeren Tier etwa beim Passieren einer engen Wegstelle unterschritten, kann das ranghöhere Tier aggressiv reagieren. Kämpfe sind jedoch ausgesprochen selten.

Zur Fortpflanzung kommen in der Regel Bullen zwischen dem sechsten und zwölften Lebensjahr. Weder jüngere noch ältere Bullen können sich in den Revierkämpfen gegen ihre männlichen Artgenossen durchsetzen. Unter Gehegebedingungen sind aber auch ältere Bullen noch fortpflanzungsaktiv. Freilebende Kühe gebären ihr erstes Kalb in der Regel im vierten Lebensjahr. Sie bleiben bis ins hohe Alter fruchtbar. Kühe, die noch mit 20 Jahren Kälber werfen, sind auch in der freien Haltung keine Seltenheit. Unter natürlichen Umständen kalben die Kühe durchschnittlich alle zwei Jahre. In Gehegehaltung, wo das Futter ganzjährig reichlich zur Verfügung steht, werfen viele Kühe auch jährlich.

Wisente haben ein polygynes Paarungssystem: ein Bulle deckt mehrere Kühe. In der Regel bestehen die Harems aus zwei bis sechs paarungsbereiten Kühen. Die Brunfterscheinungen bei den Weibchen sind nicht sehr auffällig. Die Kühe sind lediglich etwas unruhiger. Bullen sind dagegen deutlich aggressiver und vertreiben beispielsweise auch kleine Vögel, die in der Nähe nach Insekten suchen. Auch Kälber werden gelegentlich von ihnen angegriffen.
Die meisten Deckakte finden zwischen August und Oktober statt. Brunftkämpfe zwischen Bullen sind verhältnismäßig selten, beispielsweise im Vergleich zu Rothirschen. Treffen zwei Bullen von ähnlicher Größe und Kraft aufeinander, geht dem Kampf ein ritualisiertes Verhalten voraus, bei dem sich der hohe Erregungszustand der Bullen unter anderem durch ein Wühlen im Boden mit den Klauen, ein Wälzen an Stellen, die sie zuvor mit Urin getränkt haben oder ein Bearbeiten von Bäumen mit den Hörnern ausdrückt. In der Hauptphase des Kampfes stehen die Bullen frontal mit den Köpfen zueinander, greifen sich in kurzen Zeitabständen mit den Hörnern an und versuchen sich über den Kampfplatz zu schieben. Der Kampf wird in der Regel beendet, wenn einer der beiden Bullen aufgibt. Gelegentlich enden die Kämpfe mit Verletzungen der beteiligten Bullen oder auch tödlich.
Zum typischen Verhalten der Bullen während der Brunftzeit gehört ein Beschnuppern der äußeren Geschlechtsteile der Kühe. Bei diesem sogenannten Flehmen hebt der Bulle den Kopf an, streckt den Hals hoch und zieht die Lippen auseinander. Dabei prüft der Bulle die Konzentration der Sexualhormone im Harn der Kühe, um deren Paarungsbereitschaft zu beurteilen. Eine hochbrünftige Kuh wird für ein oder zwei Tage nahezu ununterbrochen vom Bullen begleitet. Dabei flehmt er wiederholt oder beleckt und beschnuppert ihre Schamgegend. Der hohe Erregungszustand des Bullen drückt sich durch ein Verhalten aus, das den Handlungen kurz vor einem Kampf mit einem anderen Bullen gleicht. Sehr häufig sind von ihnen knörende Rufe zu hören. Während der Brunftzeit fressen Bullen verhältnismäßig selten und verlieren in dieser Zeit erheblich an Gewicht.

Die Kühe tragen in der Regel nur einzelne Kälber aus, welche meistens zwischen Mai und Juli geboren werden. Die Tragezeit beträgt durchschnittlich etwa 264 Tage. Auf Grund der geringen Größe der Kälber und des Körperbaus der Kühe sind Trächtigkeitsanzeichen bei den Kühen nur schwach sichtbar.
Trächtige Kühe sondern sich vor der Geburt von der Herde ab und suchen geschützte Orte auf, um dort zu gebären. Der Geburtsvorgang ist verhältnismäßig schnell und verläuft meist komplikationslos. Die Kälber, die ein Geburtsgewicht von nur 25 bis 30 Kilogramm haben, kommen binnen einer bis zwei Stunden zur Welt. Bereits wenige Minuten nach der Geburt beginnt das Kalb mit Aufstehversuchen. Meist kann es bereits nach 30 Minuten stehen. Die Kühe schließen sich mit ihren Kälbern wenige Tage nach der Geburt wieder den Herden an. Im Gegensatz zu vielen anderen Huftieren wird das Kalb nach dem Säugen nicht versteckt abgelegt, sondern es bleibt ständig in unmittelbarer Nähe der Mutterkuh. Bis zu einem Alter von drei Monaten stellt die Muttermilch die Hauptnahrung der Kälber dar. Beim Säugen steht das Kalb parallel zum mütterlichen Körper. Ab drei Monaten spielt Pflanzennahrung eine zunehmende Rolle in seinem Nahrungsspektrum. Es hält sich ab diesem Zeitpunkt zunehmend weniger in unmittelbarer Nähe der Mutter auf, sondern ist häufiger mit Altersgenossen vergesellschaftet.

Der polnische Ornithologe und Vizedirektor des Zoologischen Museums in Warschau Jan Sztolcman forderte in einer Rede am 2. Juni 1923 die anlässlich des Internationalen Naturschutzkongresses in Paris Versammelten auf, Anstrengungen zur Erhalt des Wisents zu unternehmen. Der Kongress regte darauf hin die Gründung einer internationalen Gesellschaft an, in der Vertreter der Länder zusammenarbeiten sollten, auf deren Gebiet sich noch Wisente befanden. Knapp drei Monate später, am 25. und 26. August 1923, wurde die Internationalen Gesellschaft zur Erhaltung des Wisents in Berlin gegründet. Der Gesellschaft, zu deren erstem Vorsitzenden der Frankfurter Zoodirektor Kurt Priemel gewählt wurde, traten neben einer Reihe von Privatpersonen unter anderem die American Bison Society, der Zoo in Posen und der Polnische Jägerverband bei. Primäres Ziel der Gesellschaft war es, alle in Gehegen und Zoos gehaltenen Wisente ausfindig zu machen und mit diesen eine Erhaltungszucht zu begründen. Man fand insgesamt 29 Wisentbullen und 25 Kühe. Letztendlich stammen aber alle heute lebenden Wisente von nur zwölf Tieren ab.

Wisent (Tierpark Hellabrunn)

Wisent (Tierpark Hellabrunn)

Da man befürchtete, auf Grund der geringen Zahl an reinrassigen Wisenten die Art nicht erhalten zu können, kreuzten in den 1920er und 1930er Jahren einige Zoos Wisente mit anderen Arten. So wurde im Wisentgehege Springe, das 1928 unter Anleitung von Lutz Heck, dem Direktor des Berliner Zoos, angelegt worden war, ein Wisentbulle mit mehreren Bisonkühen verpaart. Ziel war es, in Form einer Verdrängungszucht die Bisonerbanlagen durch Rückkreuzungen mittelfristig wieder heraus zu züchten. Dieser Versuch wurde erst 1935 eingestellt, als man reinrassige Wisentkühe erwerben konnte. Auch in Białowieża wurden zeitweilig Wisent-Bison-Hybriden gehalten. Der letzte dieser Mischlinge wurde 1936 im Warschauer Zoo untergebracht.
Nach den ersten Zuchterfolgen in den 1920er und 1930er Jahren führten die Folgen des Zweiten Weltkrieges erneut zu einem starken Rückgang der Wisentbestände. In Białowieża als dem wichtigsten Zentrum der Erhaltungszucht wurde eine weitgehendes Erlöschen der Wisentbestände durch Wilderei vermieden, indem im Juli 1944, als die deutschen Truppen aus der Region vor den herannahenden russischen abzogen, die Gattertore geöffnet und die Tiere in das große Waldgebiet getrieben wurden. Die nach dem Ende der Kriegshandlungen neugeschaffenen polnischen Behörden ergriffen sofort weitgehende Maßnahmen, um die Wisente wieder unter Schutz zu stellen. Bereits 1946 konnten aus dem polnischen Bestand einige Wisente für den Beginn der Wisentzucht im weißrussischen Teil von Białowieża abgegeben werden. 1949 lebten in vier polnischen und zwei sowjetischen Zuchtstätten insgesamt 69 reinblütige Wisente und damit etwas mehr als die Hälfte des Weltbestandes.

Bis heute ist es nicht gelungen, Wisente völlig zu zähmen. Selbst Wisente, die aus Populationen stammen, die seit mehreren Generationen unfrei gehalten wurden, behalten ein Misstrauen gegenüber dem Menschen. Diese Erfahrung gilt auch für die wenigen Handaufzuchten im Zuchtreservat Białowieża.
Obwohl in den Zeiten, in denen der Urwald von Białowieża noch als Hutewald genutzt wurde, Hausrinder in der Nähe der Wisente weideten, sind natürliche Hybridengeburten unbekannt. Dies unterscheidet den Wisent unter anderem vom Bison, bei dem dies häufiger vorkommt. Die erste belegte Kreuzung zwischen Wisenten und Hausrindern gelang 1847 dem polnischen Landbesitzer Leopold Walicke, der besonders starke Zugrinder züchten wollte. Die Hybriden, die als Żubroń bezeichnet werden, übertreffen ihre Ausgangsarten an Körpergewicht und -größe. Männliche Żubrońs der ersten Generation sind unfruchtbar, die weiblichen können sich dagegen mit beiden Elternarten fortpflanzen. Żubrońs zeichnen sich durch eine Farbvielfalt in der Behaarung aus und gelten als zäh und widerstandsfähig. Die Zucht von Żubrońs ist jedoch heute weitgehend eingestellt.

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