Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

01.12.2025, Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
Bärenzähne tanzen aus der Reihe – Forscherinnen finden den Ursprung des ungewöhnlichen Bärengebisses
Die Zahnentwicklung heutiger Bären folgt nicht dem für die meisten Säugetiere typischen Entwicklungsmuster. Die Ursache dafür liegt Millionen Jahre zurück in der Evolutionsgeschichte der Bären. SNSB Zoologinnen fanden zwei Phasen in der Bärenevolution, die für die Abweichungen im Gebiss der Bären verantwortlich sind. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Forscherinnen nun in der Fachzeitschrift Boreas.
Säugetierzähne zeigen eine erstaunliche Vielfalt, die sich über fast 225 Millionen Jahren ausbilden konnte. Ein Ansatz, die Entwicklung von Säugetierzähnen zu beschreiben, ist das sogenannte „Inhibitory Cascade Model“, kurz ICM. Dieses beschreibt das Wachstumsmuster von Backenzähnen im Unterkiefer. Nach dem Modell gilt für viele Säugetiere: Die vorderen Backenzähne im Unterkiefer beeinflussen das Wachstum aller dahinterliegenden Zähne. Bestimmte Moleküle hemmen oder aktivieren das Zahnwachstum im Gebiss der Tiere nach dem immer gleichen Muster. Welche Backenzähne klein oder groß werden, hängt von der Größe des ersten Backenzahnes ab, und das wiederum hängt von der Ernährung der Tiere ab. So ist bei fleischfressenden Säugern normalerweise der erste Backenzahn größer als der dritte. Bei Pflanzenfressern ist es genau umgekehrt: der erste Backenzahn ist klein, der dritte hingegen groß.
Bei heutigen Bären ist das anders, ihre Zahnentwicklung folgt dem ICM Muster nicht. Bei fast allen heutigen Bären – unabhängig von ihrer Ernährungsweise – ist der zweite Backenzahn der größte aller Backenzähne. Der Frage nach dem Ursprung dieses Phänomens gingen SNSB Zoologin PD Dr. Anneke van Heteren und ihre Doktorandin Stefanie Luft nach. Sie suchten nach Hinweisen in der Evolutionsgeschichte der Bären und fanden tatsächlich zwei Brüche in der Bärenhistorie, ab wann und bei welchen Bärenarten die Zahnentwicklung vom allgemeinen Muster abweicht. Die Forscherinnen verglichen für ihre Arbeit die Kiefer von fossilen und modernen Bären mit dem ICM Modell – bis weit zurück in der Bärengeschichte, der älteste untersuchte Kiefer stammt aus der Zeit des Miozäns und ist mindestens 13 Millionen Jahre alt. Den ersten fundamentalen Einschnitt in der Zahnentwicklung identifizierten die Zoologinnen vor rund 3,6 Millionen Jahren. Bei Ursus minimus – wohl der gemeinsame Vorfahr der meisten heutigen Bären – vergrößerte sich der zweite Backenzahn unverhältnismäßig. Den zweiten Bruch gab es etwas später, vor etwa 1,25 bis 0,7 Millionen Jahren beim frühen Höhlenbären Ursus deningeri. Bei ihm wuchs der dritte Backenzahn größer als dem Modell zufolge erwartet.
„Offenbar hat sich zu diesen Zeiten das Gleichgewicht der Stoffe verschoben, die das Wachstum der unterschiedlichen Backenzähne hemmen bzw. aktivieren. Diese Verschiebungen gehen wohl mit Ernährungsanpassungen der Bären im Laufe ihrer Evolution einher. Auf dem Weg vom Fleischfresser zum Alles- oder Pflanzenfresser haben sich die Bären an ein verändertes Nahrungs-spektrum angepasst, aber ohne dem ICM Muster zu folgen. Ihr Spektrum reicht noch heute vom reinen Fleischfresser zum reinen Pflanzenfresser, die meisten Bären sind heute Allesfresser“, sagt PD Dr. Anneke van Heteren, verantwortlich für die Säugetiersammlung bei den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns.
Die beiden Brüche mit dem Modell zur Zahnentwicklung erklären die Forscherinnen mit den Umweltveränderungen während der Evolutionsgeschichte der Bären. Der erste Bruch zwischen dem frühen und dem späten Pliozän korreliert mit Klimaveränderungen, die zu Veränderungen der Lebensräume von subtropischen Feuchtwäldern zu Buschland und Steppen geführt haben. Der zweite Bruch fand in der Zeit zwischen dem späten Pliozän und dem mittleren Pleistozän statt und geht mit der Entwicklung von weitläufigen Graslandgebieten und einer Abkühlung des Klimas einher.
Originalpublikation:
van Heteren A. H. and Luft A. S. (2025), Fossil bears break free from inhibitory cascade constraints at least twice (Ursus minimus and Ursus deningeri) caused by dietary adaptations. Boreas. https://doi.org/10.1111/bor.70044

02.12.2025, Institute of Science and Technology Austria
Ameisen signalisieren tödliche Infektion
Eine Ameisenkolonie ist ein „Super-Organismus“. Wie Zellen im Körper kooperieren die Einzeltiere, um die Kolonie gesund zu halten. Forschende am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) zeigen nun, dass unheilbar kranke Ameisenbrut – ähnlich infizierter Körperzellen – ein Geruchssignal aussendet, das über ihren baldigen Tod und die damit einhergehende Ansteckungsgefahr informiert. Dieses ausgeklügelte Frühwarnsystem erlaubt schnelles und zuverlässiges Erkennen und Entfernen von Krankheitserregern aus der Kolonie. Die Studie wurde in Nature Communications veröffentlicht.
Oftmals versuchen in Gruppen lebende Tierarten ihre Krankheitssymptome zu verheimlichen, um nicht aus dem Sozialleben ausgeschlossen zu werden. Ameisenbrut macht genau das Gegenteil: Kranke Ameisenpuppen senden der Kolonie ein Alarmsignal, das zeigt, dass sie eine unheilbare Infektion besitzen und bald zum Ansteckungsrisiko für die Kolonie werden.
Die Arbeiterinnen der Kolonie reagieren sofort auf dieses Warnsignal; erst packen sie die tödlich erkrankten Puppen aus, dann beißen sie kleine Öffnungen in deren Haut, um dann ihr antimikrobielles Gift aufzutragen – ihr eigens produziertes Desinfektionsmittel, die Ameisensäure. Durch diese Behandlung werden die sich im Inneren der Puppe vermehrenden Krankheitserreger sofort abgetötet, doch auch die Puppe selbst übersteht den Desinfektionsprozess nicht.
„Was zunächst wie Selbstaufopferung wirkt, bringt auch dem Tier, das das Signal sendet, indirekt einen Vorteil, da es seine Verwandten schützt. Durch ihr Warnsignal sichert eine an einer tödlichen Infektion erkrankte Ameise die Gesundheit der Gesamtkolonie und die Produktion neuer Tochterkolonien. Diese tragen ebenfalls die Gene der sich aufopfernden, kranken Ameisen in die nächste Generation weiter“, erklärt Erstautorin der Studie, Erika Dawson, über ihr abgeschlossenes Postdoc-Projekt in der „Social Immunity“-Forschungsgruppe von Professorin Sylvia Cremer am ISTA.
Gemeinsam mit dem chemischen Ökologen Thomas Schmitt von der Universität Würzburg beschreibt das Forschungsteam hiermit erstmals dieses altruistische Krankheits-Signalsystem bei sozialen Insekten. Würde eine todkranke Ameise jedoch ihre Symptome verstecken, unerkannt in der Kolonie umkommen und schließlich hochinfektiös werden, würde nicht nur sie selbst sterben, sondern auch ein Großteil der Kolonie. Gäbe es dieses Frühwarnsystem also nicht, könnte die Kolonie Krankheiten erst viel später erkennen und bekämpfen.
Altruismus im Superorganismus
Auf der Kolonieebene sind Ameisen wie ein gemeinsamer Organismus aufgebaut, ein sogenannter „Superorganismus“. Es gibt eine oder mehrere Königinnen, die für den Nachwuchs sorgen, und die nichtfruchtbaren Arbeiterinnen, die sich um die Erhaltung und Gesundheit der Kolonie kümmern. Das ist sehr ähnlich wie Zellen im menschlichen Körper, die ebenso spezialisiert sind und entweder für die Fortpflanzung (die Zellen der Keimbahn) oder für die restlichen Körperfunktionen (die somatischen Zellen) verantwortlich sind.
Egal ob im Organismus oder im Superorganismus: weder Keimbahn noch Soma sind eigenständig. Sie sind gegenseitig aufeinander angewiesen und bilden nur gemeinsam den Körper bzw. die Kolonie. Kooperation ist also essentiell. Wie die Zellen im Körper arbeiten, also auch die einzelnen Ameisen zusammen, bis hin zur altruistischen Selbstaufgabe.
Das ‚Find-me and eat-me‘-Signal
Warum jedoch sollte sich ein kompliziertes Frühwarnsystem entwickeln, wenn sich kranke Tiere doch einfach aus der Kolonie zurückziehen können?
„Erwachsene Ameisen, die kurz vor ihrem Tod stehen, verlassen das Nest und sterben außerhalb der Kolonie. Auch Arbeiterinnen, die sich gerade mit Pilzsporen angesteckt haben, zeigen ‚social distancing‘“, so Cremer. Sie führt aber weiter aus: „Allerdings ist das nur Tieren möglich, die selbst mobil sind. Erkrankte Ameisenbrut in der Kolonie oder infizierte Zellen im Gewebeverband sind nicht sehr beweglich und haben diese Möglichkeit nicht.“
Körperzellen und Ameisenbrut, wie die sich entwickelnden Puppen, sind also auf die Hilfe anderer angewiesen, um den Gesamtverband zu beschützen. Interessanterweise lösen beide das Problem auf die genau gleiche Weise: Sie senden ein chemisches Signal aus, das entweder die Immunzellen des Körpers oder die Arbeiterinnen der Kolonie anlockt, um sie als zukünftige Ansteckungsquelle zu erkennen und zu entfernen. Immunolog:innen nennen dieses Phänomen ‚Find-me and eat-me‘-Signal.
„Wichtig ist, dass ein solches Signal sowohl sensitiv wie auch spezifisch ist“, führt Sylvia Cremer weiter aus. „Das bedeutet, dass alle unheilbar erkrankten Ameisenpuppen aufgespürt werden sollten, aber keine gesunden Puppen, oder solche, die mit ihrem eigenen Immunsystem die Infektion überwinden können, ausgepackt werden.“ Wie sieht also ein Signal aus, das so präzise ist?
Veränderung des Körpergeruchs
Thomas Schmitt, dessen Forschungsschwerpunkt auf der geruchlichen Kommunikation bei sozialen Insekten liegt, erklärt: „Arbeiterinnen behandeln einzelne Puppen ganz gezielt. Der Geruch liegt also nicht in der Nestkammer ‚in der Luft‘, sondern er ist ganz eng mit der erkrankten Puppe verknüpft: somit war klar, dass es keine flüchtigen Duftstoffe sein können, sondern nicht-flüchtige Geruchsstoffe auf der Oberfläche der Puppe selbst.“
Bei todkranken Puppen werden im Besonderen zwei Geruchskomponenten ihres natürlichen körpereigenen Duftprofils intensiviert. Um zu beweisen, dass dieser veränderte Körpergeruch alleine ausreicht, um das Hygieneverhalten der Arbeiterinnen auszulösen, gingen die Forschenden noch einen Schritt weiter: Sie haben das Signal auf gesunde Puppen übertragen und dann die Reaktion der Arbeiterinnen beobachtet.
„Wir haben das Geruchssignal von erkrankten Puppen abgewaschen und auf gesunde Brut transferiert“, erklärt Cremer den Versuchsansatz. Das Ergebnis war eindeutig. Der übertragene Signalgeruch alleine reichte aus, um die destruktive Behandlung durch die Arbeiterinnen auszulösen. Daher wird klar, dass der veränderte Körpergeruch unheilbar infizierter Brut die gleiche Funktion in der Ameisenkolonie übernimmt wie das ‚Find-me and eat-me‘-Signal infizierter Zellen im Körper.
Signalisieren nur im Ernstfall
Laut Dawson ist es besonders faszinierend, dass Ameisen nicht jede Infektion sofort signalisieren. „Die Königinnen-Puppen konnten dank ihres starken Immunsystems die Infektion selbst eindämmen und sendeten kein Warnsignal an die Kolonie. Die Arbeiterinnen-Puppen dagegen wurden aufgrund ihres schwächeren Immunsystems von der Infektion überwältigt und signalisierten ihre unheilbare Krankheit dann an die Kolonie.“
Indem die kranke Brut erst ein Warnsignal sendet, sobald sie den eigenen Kampf gegen die Infektion verloren hat, ermöglicht sie der Kolonie, ernste Gefahren zu erkennen und proaktiv darauf zu reagieren. Gleichzeitig jedoch werden Tiere, die eigenständig die Infektion überwinden können, nicht unnötig geopfert. „Genau diese Feinabstimmung zwischen der individuellen und der Kolonie-Ebene macht dieses altruistische Krankheitssignal so effizient,“ fasst Cremer zusammen.
Originalpublikation:
Dawson et al. 2025. Altruistic disease signalling in ant colonies. Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-025-66175-z

02.12.2025, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Rückgang von Insekten-Biomasse geht mit Verlust von Arten einher
Eine neue Studie zeigt, dass über 90 % des Rückgangs der Insektenbiomasse auf die sinkende Artenzahl zurückzuführen ist. Dies stellt ein Risiko für Ökosystem-Funktionen dar.
Mehr als 90 Prozent des lokalen Insektenbiomasse‑Rückgangs in deutschen Grünlandflächen (Wiesen und Weiden) lassen sich auf Artenverluste zurückführen.
Die in der Fachzeitschrift Nature Ecology & Evolution veröffentlichten Ergebnisse beruhen auf Daten von zwei Forschungsprojekten, in denen Forschende über einen Zeitraum von elf Jahren Arthropoden – Insekten und Spinnen – gezählt, bestimmt und ihre Masse berechnet haben. In der Studie bezieht sich die Gesamtbiomasse auf das Gewicht der Arthropoden in einer Gemeinschaft, also das Gesamtgewicht aller Insekten und Spinnen in den untersuchten Ökosystemen.
Das internationales Forschungsteam unter der Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena, stellte fest, dass der Rückgang der Biomasse im Lauf der Zeit hauptsächlich auf das Verschwinden häufiger Arten zurückzuführen ist. Das Verschwinden seltener Arten oder Rückgänge der Abundanz – also der Zahl der Individuen – innerhalb verbleibender Arten spielten dagegen eine weitaus geringere Rolle.
„Unsere Ergebnisse sind in zweierlei Hinsicht besorgniserregend: Zum einen nahm die Gesamt-Biomasse der Arthropoden ab, und zum anderen sind auch die Arten weniger und in ihren jeweiligen Beiträgen zur Biomasse immer ähnlicher geworden“, erklärt Dr. Benjamin Wildermuth von iDiv und der Universität Jena, Erstautor der Studie. „Am Ende des Untersuchungszeitraums war der Artenverlust, unabhängig von Seltenheit oder Größe, der Hauptgrund für den Biomasse-Rückgang.“
Daten zur Biomasse erhoben unter unterschiedlichen Bewirtschaftungsbedingungen
Die Daten der Studie stammen von zwei Forschungsprojekten in Deutschland: dem Jena-Experiment, das Grünland mit kontrollierten Pflanzenartenzahlen untersucht, und den Biodiversitäts-Exploratorien, Beobachtungsgebiete, in denen Grünland unterschiedlicher Nutzungsintensität erfasst wird.
Die Forscherinnen und Forscher verwendeten ökologische Modellierungen, um die Veränderungen der Biomasse von Arthropoden im Laufe der Jahre zu verfolgen. Dabei stellten sie die Frage, ob der Rückgang der Biomasse von Arthropoden eher davon bestimmt wird, wie viele Arten verschwinden, oder davon, welche Arten verloren gehen bzw. ersetzt werden. Sie untersuchten auch die Auswirkungen des Rückgangs der Abundanz bei den verbleibenden Arten. Diese Unterscheidungen, insbesondere zwischen der Zahl der verlorenen Arten und der Identität dieser Arten, sind ein wichtiges und einzigartiges Merkmal der Studie.
In den ersten Jahren zeigten die Daten, dass die Identität der Arten eine Rolle spielte: Der Verlust seltener, aber größerer Arten hatte einen überproportionalen Einfluss auf die Veränderung der Biomasse und dämpfte den Rückgang der Gesamtbiomasse. Ein Beispiel hierfür ist der Unterschied zwischen dem Verlust einer großen, aber seltenen Heuschrecke und einem kleinen, aber häufig vorkommenden Flohkäfer, wobei es sich hierbei nur um ein Beispiel handelt, das nicht aus der Studie selbst stammt. Später trugen alle Arten gleichermaßen zum Rückgang der Biomasse bei. Die Forschenden fanden auch heraus, dass der Rückgang der Häufigkeit innerhalb der verbleibenden Arten im Laufe der Zeit nur fünf bis acht Prozent des Rückgangs ausmacht.
Eine weitere Erkenntnis war, dass eine hohe Pflanzenartenzahl und eine geringe Nutzungsintensität größere Gemeinschaften von Arthropoden förderten – in Bezug auf Biomasse, Artenvielfalt und Abundanz – und dazu führten, dass sich die Biomasse auf viele Arten unterschiedlicher Größe und Abundanz verteilte.
Jede Art ist wichtig
Arthropoden sind ein unverzichtbares Glied in den Nahrungsnetzen von Grünland. Wenn die Gesamtbiomasse abnimmt und sich auf wenige Arten konzentriert, verlieren die Lebensgemeinschaften an Vielfalt und werden anfälliger für Umweltbelastungen.
Hintergrund der Studie war die Sorge, dass eine abnehmende Arthropodenbiomasse die Nahrungsnetze schwächen und die Funktionen der Ökosysteme stören könnte – vom Nährstoff- und Kohlenstoffkreislauf bis hin zum Energiefluss zu Arten, die sich von Arthropoden ernähren.
„Unsere Studie zeigt erneut, dass ein wirksamer Naturschutz einen ganzheitlichen Ansatz erfordert“, sagt iDiv-Mitglied Dr. Anne Ebeling von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Senior-Autorin der Studie. „Jede Art spielt eine Rolle für das Funktionieren eines Ökosystems, daher können wir es uns nicht leisten, auch nur eine davon zu verlieren.“
Die Autorinnen und Autoren sehen eine mögliche Strategie gegen die Abnahme der Arthropoden-Vielfalt darin, Grünland zu diversifizieren und bestehendes, artenreiches Grünland zu erhalten. Sie weisen jedoch darauf hin, dass die Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren sind, da nur lokale Arthropodengemeinschaften in Grünland gemäßigter Breiten untersucht wurden.
Originalpublikation:
Wildermuth, B., Bröcher, M., Ladouceur, E., Meyer, S. T., Schielzeth, H., Staab, M., Achury, R., Blüthgen, N., Hertzog, L., Hines, J., Roscher, C., Schweiger, O., Weisser, W. W., Ebeling, A. (2025). Arthropod species loss underpins biomass declines. Nature Ecology & Evolution. DOI: https://doi.org/10.1038/s41559-025-02909-y

03.12.2025, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
Der Pilzpartner des Werftkäfers: mehr als nur ein Nahrungslieferant
Ein Team des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie hat in Zusammenarbeit mit Forschenden der Universität Würzburg untersucht, wie ein Symbiose-Pilz dem Sägehörnigen Werftkäfer dabei hilft, in totem Holz zu überleben. Der Symbiosepilz speichert deutlich mehr Nährstoffe als andere Pilzarten. Zudem reichert der Pilz zahlreiche phenolische Substanzen aus dem Holz in seinem Myzel an. Er produziert unter anderem Monoterpen-Alkohole und Essigsäure, die eine hemmende Wirkung auf andere Pilze haben. Der Ambrosiapilz hingegen gedeiht in saurem Milieu besonders gut.
Der Sägehörnige Werftkäfer Elateroides dermestoides ist ein besonderer Vertreter der Ambrosiakäfer. Im Gegensatz zu vielen seiner Verwandten, die als soziale Insekten Lebensgemeinschaften bilden, ist er eine solitäre Art und verbringt sein Leben nicht zusammen mit seinen Artgenossen. Obwohl Ambrosiakäfer in der Regel recht kurze Generationszeiten von weniger als einem Jahr haben, vergehen beim Werftkäfer, der mit einer Länge von bis zu 18 Millimetern zu den größten europäischen Ambrosiakäfern zählt, bis zu zwei Jahre, bis die nächste Generation schlüpft. Trotz seiner solitären Lebensweise lebt er nicht allein, sondern in einer Nahrungssymbiose mit dem Ambrosiapilz Alloascoidea hylecoeti.
Erste Belege für die Nährstoff-Symbiose mit dem Ambrosiapilz
Ein Team um Maximilian Lehenberger vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena hat diese Käfer-Pilz-Symbiose genauer untersucht. Dafür analysierten die Forschenden zunächst die Nährstoffe, die der Pilz in seinem Mycel, also dem Geflecht seiner fadenförmigen Strukturen, anreichert. „Bisher wurde nur vermutet, dass Ambrosiapilze reich an Nährstoffen sind. Es gab jedoch kaum brauchbare Daten, die dies belegten. In unserer Studie konnten wir erstmals zeigen, dass insbesondere Alloascoidea hylecoeti aus dem Werftkäfer-System tatsächlich sehr nährstoffreich ist. Dieser Pilz akkumuliert eine Vielzahl von Nährstoffen, deutlich mehr als andere Pilze, sowohl symbiotische als auch nicht-symbiotische, darunter Zucker, Aminosäuren, Ergosterol, Fettsäuren sowie die essenziellen Elemente Phosphor und Stickstoff,“ sagt Maximilian Lehenberger, der in der Abteilung Biochemie die Projektgruppe Chemische Ökologie von Waldpathogenen leitet. Die Nährstoffdichte und -vielfalt erklären vermutlich auch, dass es dem Werftkäfer gelingt, so lange allein im nährstoffarmen Holz zu leben und dabei so groß zu werden.
Überleben in einer wettbewerbsintensiven Umgebung
Die Larven des Werftkäfers leben vergleichsweise lange im Holz von Bäumen, die erst seit Kurzem tot sind. Für den bis zu zwei Zentimeter langen Käfernachwuchs stellt diese Umgebung eine Herausforderung dar, denn Totholz ist einerseits sehr nährstoffarm und andererseits ein Lebensraum, in dem es von Konkurrenz nur so wimmelt. In sozialen Ambrosiakäfer-Systemen können sich die einzelnen Individuen dabei unterstützen, schädliche Pilze in Schach zu halten. Bei einem solitären Käfer ist dies nicht der Fall. Das Forschungsteam stellte daher die Hypothese auf, dass der Symbiosepilz eigene Strategien entwickelt hat, um sich vor konkurrierenden Arten zu schützen. Es zeigte sich, dass Alloascoidea hylecoeti verschiedene phenolische Substanzen verwendet, die er aus dem umliegenden Holz bezieht. Damit reichert er die Umgebung so stark an, dass dies eine hemmende Wirkung auf viele andere Pilze hat. Der Pilz nutzt dabei seine Fähigkeit, ins Holz einzuwachsen und weitere Ressourcen aus dem Holz zu mobilisieren. „Im Gegensatz zu vielen anderen Pilzen wird der Symbiosepilz von diesen Substanzen, die als pflanzliche Abwehrstoffe bekannt sind, nicht gehemmt und baut sie auch nicht ab. Zudem produziert dieser Pilz selbst viele Substanzen, die andere Pilze hemmen,“ erläutert Maximilian Lehenberger.
Ein Pilz, der den pH-Wert senkt und in übersäuerten Umgebungen noch besser wächst
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren besonders erstaunt über die Produktion von Essigsäure, die sie mittels nuklearmagnetischer Resonanzanalyse (NMR) in Pilzkulturen sowie in Proben von Nestern der Käfer im Feld nachweisen konnten. Experimente mit Pilzkulturen zeigten, dass der Ambrosiapilz konkurrierende Pilze verdrängt, indem er seine Umgebung „übersäuert“ und den pH-Wert auf bis zu 3,5 senkt. Verblüffend ist dabei, dass Alloascoidea hylecoeti nicht nur mit einer sehr hohen Essigsäurekonzentration zurechtkommt, sondern bei einem für Pilze sehr niedrigen pH-Wert sogar noch besser wächst. „Bisher wurde Essigsäure in keinem anderen Ambrosiakäfer-System nachgewiesen. Da wir Essigsäure auch in den Nestern identifizieren konnten, ist dies ein eindeutiger Beleg dafür, dass diese Substanz auch in der Natur eine Rolle spielen muss. Der Pilz nutzt nicht nur Essigsäure, sondern auch eine Vielzahl weiterer Substanzen mit hemmender Wirkung auf konkurrierende Pilze. Dazu gehören unter anderem Monoterpene wie Linalool, Terpineol und Citronellol,“ sagt Jonathan Gershenzon, der Leiter der Abteilung Biochemie. Citronellol ist für den zitronenartigen Geruch dieses Pilzes verantwortlich.
Noch ist nicht geklärt, welchen Effekt ein sehr saurer Lebensraum auf die Larven des Werftkäfers hat und wie sich die in der Biomasse des Pilzes angereicherten Abwehrstoffe in deren Nahrung auswirken. Werden sie damit weniger attraktiv für ihre Fressfeinde? Gibt es möglicherweise symbiotische Bakterien im Darm der Käfer, die dabei helfen, hohe phenolische Konzentrationen abzubauen? Diese und weitere Fragen plant das Forschungsteam in weiteren Experimenten zu beantworten.
Originalpublikation:
Lehenberger, M., Pan, Y., Ungerer, S., Reichelt, M., Pemp, D., Paetz, C., Lehenberger, J., Gentsch, N., Feistel, F., Gros, P., Lehmann, L, Gershenzon, J. (2025). Fungal symbiont of an ambrosia beetle possesses high nutrient content and suppresses competing fungi with antimicrobial compounds. The ISME Journal, wraf258, doi: 10.1093/ismejo/wraf258
https://doi.org/10.1093/ismejo/wraf258

03.12.2025, Universität Greifswald
Männliche Listspinne „erschnuppert“ ihre Partnerinnen mit den Beinen
Männliche Listspinnen (Pisaura mirabilis) nutzen bei der Partnerinnensuche den Geruchssinn ihrer Beine. Forschende der Universität Greifswald entdeckten mit dem Elektronenmikroskop auf den Beinen erwachsener Männchen „Geruchshärchen“. Verhaltensstudien belegen: Sie helfen den Spinnen, den Duft potenzieller Partnerinnen wahrzunehmen. Wie Spinnen Gerüche aufnehmen und verarbeiten, ist entscheidend, um natürliche, ökologische Beziehungen besser zu verstehen.
„Sich gut riechen können“ ist maßgeblich bei der Partnerwahl – auch in der Tierwelt. Das Forschungsteam rund um Mohammad Belal Talukder machte an der Universität Greifswald eine bemerkenswerte Entdeckung, die kürzlich in Communications Biology https://doi.org/10.1038/s42003-025-09127-z erschienen ist: Männliche Listspinnen wittern den Duft von Weibchen mit ihren Beinen.
Dass Insekten ihre Umwelt über chemosensorische Sinneshärchen, sogenannte Sensillen, wahrnehmen, ist bekannt. Die chemosensorischen Werkzeuge von Spinnen sind hingegen kaum erforscht. In einer Studie https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2415468121, die Anfang dieses Jahres erschien, wies die Greifswalder Arbeitsgruppe um die Professorin für Zoologie Gabriele Uhl erstmals nach, dass Radnetzspinnen über zwei Arten von Sensillen verfügen: Wie auch Insekten besitzen sie Sensillen zum Schmecken (Spitzenporus-Sensillen) und zum Riechen (Wandporen-Sensillen). Die „Geruchshärchen“ (Wandporen-Sensillen) fanden sich allerdings nur an den Beinen ausgewachsener Radnetzspinnen-Männchen.
Für die Listspinne, die zur Jagd durch die Gegend streift und keine Netze baut, zeigt sich in der aktuellen Untersuchung ein ähnliches Bild: Nur Männchen haben „Geruchshärchen“.
Struktur und Position der Haare gibt Auskunft über die Funktion
Mithilfe hochauflösender Elektronenmikroskopie untersuchten die Forschenden Lage, Gestalt und zellulären Aufbau der Sinneshaare der Listspinne. Mohammad Belal Talukder, Erstautor der Studie, erklärt: „Mit dem Wissen, wo die Härchen sitzen, haben wir uns angeschaut, wie sich die Spinnen auf unterschiedlichem Terrain fortbewegen, etwa Blätter oder Gras, wie sie Beute fangen oder sich paaren. Dann haben wir abgeglichen, welche Teile ihrer Beine in Kontakt mit den Oberflächen oder dem Partnertier kommen.“
Das Ergebnis: Die Wandporen-Sensillen der Männchen sind so auf den Beinen verteilt, dass sie weder Oberflächen noch das Weibchen berühren. Das lässt den Schluss zu, dass sie zur Wahrnehmung von luftübertragenen Stoffen dienen – also zum Riechen. Die Spitzenporen-Sensillen, die bei beiden Geschlechtern der Listspinne vorkommen, treten hingegen mit Oberflächen in Kontakt. Hierdurch verarbeiten die Spinnen Geschmacksinformationen.
Männchen haben den „richtigen Riecher“
Ob die männliche Listspinne ihren ausgeprägten Geruchsapparat zur Aufspürung von Weibchen nutzt, untersuchte die Greifswalder Forschungsgruppe in einem Experiment: „Wir haben ein Weibchen in das eine Ende eines gegabelten Glasrohrsystems gesetzt. Das andere Ende blieb frei“, führt die Masterstudentin Vedanti Mahimkar aus. „Wir gaben dem Weibchen zwei Stunden Zeit, sich zu akklimatisieren und setzten dann ein Männchen bei der Gabelung ins Glasrohr.“
Das Team beobachtete, welchen Weg das Männchen wählte: Zur potenziellen Partnerin oder ins Leere? Die Männchen bewiesen den „richtigen Riecher“: 80 Prozent machten sich auf den Weg zur weiblichen Duftquelle – und das recht schnell.
Neue Erkenntnisse für Gliederfüßer
Dass Listspinnen-Männchen potenzielle Partnerinnen über Entfernung geruchlich wahrnehmen, war bisher unbekannt. „Die Studie sehe ich als ein wichtiges Puzzleteil in der Grundlagenforschung, um zu verstehen, welche Sinnesorgane Gliederfüßer besitzen, wie sie schmecken und riechen sowie Sexuallockstoffe wahrnehmen und einander zur Fortpflanzung finden“, ordnet die Leiterin der Studie Prof. Dr. Gabriele Uhl ein.
Publikation: Talukder, M.B., Müller, C.H.G., Fischer, A. et al. The chemosensory toolkit of the cursorial spider Pisaura mirabilis. Communications Biology (2025), https://doi.org/10.1038/s42003-025-09127-z.
Publikation (PDF) https://rdcu.be/eSIHs

04.12.2025, Universität zu Köln
Tierisches Verhalten: Einsatz von KI zur Wiederherstellung fehlender Daten
Wissenschaftler*innen der Universität zu Köln haben eine KI-Methode entwickelt, die fehlende Daten von Bewegungsaufnahmen von Tieren wiederherstellen kann, um tierisches Verhalten effizient zu quantifizieren / Veröffentlichung in „Nature Methods“
Um Prozesse im Gehirn besser verstehen zu können, untersuchen Wissenschaftler*innen, was Tiere oder Menschen tun, wie sie sich bewegen, reagieren und Entscheidungen treffen. Das Verhalten ist komplex, denn Tiere und Menschen können sich auf unzählige verschiedene Arten bewegen. Bisher basierten neurowissenschaftliche Studien auf eingeschränkten, vereinfachten Verhaltensweisen, die leichter zu analysieren und zu quantifizieren sind. Dank neuster Aufzeichnungs- und Tracking-Technologien können Wissenschaftler*innen nun die Bewegungen von Körperteilen frei agierender Tiere im Sekunden- und Millimeterbereich verfolgen.
Doch bei der Aufzeichnung und Erfassung der Körperteile von Tieren gehen oft Daten verloren, was die Analyse von Verhaltens- und neurowissenschaftlichen Experimenten erschweren kann. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Professorin Dr. Katarzyna Bozek vom Center for Molecular Medicine Cologne (CMMC) und dem Exzellenzcluster für Alternsforschung CECAD hat eine Methode entwickelt, um fehlende Daten in Aufnahmen von Tierverhalten wiederherzustellen. Die Studie ‚Deep Imputation for Skeleton Data (DISK) for Behavioral Science‘ wurde in der Fachzeitschrift Nature Methods veröffentlicht. Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit Forschungslaboren am Okinawa Institute of Science and Technology (OIST) in Japan, der Vrije Universiteit Amsterdam und dem Salk Institute for Biological Sciences in den USA durchgeführt, die experimentelle Daten über das Verhalten von Mäusen und Zebrafischen lieferten.
Die ‚Deep Imputation for Skeleton Data‘-Methode, kurz DISK, kann fehlende Daten für alle Körperteile wiederherstellen und ergänzen sowie die Qualität der Datenwiederherstellung in Echtzeit einschätzen.
Die Methode, die auf einer so genannten Transformer-Architektur für neuronale Netzwerke basiert, funktioniert bei allen Tierarten, von Insekten über Fische bis hin zu Nagetieren. „Unser Ziel war es, das Tool für eine Vielzahl von Verhaltensforscher*innen nutzbar zu machen, ohne dass sie auf Vorkenntnisse über die Tierart, die Anzahl der Tiere oder spezifische Informationen über die Verhaltensaufgabe angewiesen sind“, so Dr. France Rose, Erstautorin der Studie. Forscher*innen, die diese neue Methode anwenden, können ihre Verhaltensdaten, deren Erhebung in der Regel teuer und zeitaufwendig ist, somit optimal nutzen.
DISK verbessert die Verlässlichkeit der wissenschaftlichen Ergebnisse solcher Experimente, zum Beispiel die statistische Aussagekraft des Vergleichs der Schrittdynamik zwischen zwei Mäusegruppen, die verschiedenen pharmakologischen Behandlungen unterzogen wurden. Zusätzlich zur Datenergänzung erstellt DISK aussagekräftige Darstellungen von Bewegungsabläufen, die Bewegungsmerkmale wie Geschwindigkeit und Richtung sowie die ausgeführten Aktionen wie Gehen oder Klettern erfassen. Künftig wird DISK es Verhaltensforscher*innen ermöglichen, ihre Datenqualität und Analysen zu verbessern. „Wir glauben, dass die neuartige Methode zur Quantifizierung von Verhalten mit Hilfe von neuronalen Transformernetzwerken in diesem Forschungsbereich breite Anwendung finden wird“, so Bozek.
Die Forschungsarbeiten von Dr. Rose wurde durch eine Förderung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen der ‚KI-Starter‘-Förderlinie unterstützt. Professorin Bozek erhielt Unterstützung im Rahmen des Programms für Nachwuchswissenschaftlerinnen im Bereich Künstliche Intelligenz des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Japan Society for the Promotion of Science (JSPS) förderte die Forschung ebenfalls. Dr. Rose ist derzeit Emmy-Noether-Forschungsgruppenleiterin an der Universität Bonn.
Originalpublikation:
https://www.nature.com/articles/s41592-025-02893-y

04.12.2025, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Kiefervielfalt war Schlüssel zur Eroberung des Landes
Neue Untersuchungen eines internationalen Forschungsteams unter Leitung des Museums für Naturkunde Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin zeigen: Die frühen Amnioten – die Vorfahren aller heutigen Reptilien, Vögel und Säugetiere – entwickelten deutlich vielfältigere Kieferformen als Amphibien. Diese anatomische Vielfalt ermöglichte ihnen, neue Nahrungsquellen zu erschließen und sich erfolgreich an das Leben an Land anzupassen. Die Ergebnisse der Studie erschienen in dieser Woche in der Open-Access-Fachzeitschrift PeerJ.
Der Übergang von wasserlebenden Fischen zu landlebenden Wirbeltieren zählt zu den bedeutendsten Veränderungen in der Geschichte des Lebens. Im Devon vor rund 370 Millionen Jahren wagten die ersten Tetrapoden – vierfüßige Wirbeltiere – den Schritt an Land. Damit waren sie neuen Anforderungen ausgesetzt: Ihre Körper mussten stabil genug sein, um ohne Auftrieb stehen und gehen zu können. Gleichzeitig veränderte sich die Art und Weise, wie sie Nahrung aufnehmen konnten.
„Viele Fische saugen ihre Beute ein, indem sie ihren Kiefer blitzschnell öffnen. An Land funktioniert diese Methode nicht mehr“, erklärt Dr. Jasper Ponstein, Erstautor der Studie und ehemaliger Doktorand am Berliner Naturkundemuseum. „Dort müssen Tiere aktiv zupacken. Das machte Veränderungen am Kiefer besonders wichtig.“
Ein Blick in die Erdgeschichte
In den nachfolgenden Perioden des Karbons und Perm vor 360–250 Millionen Jahren, breiteten sich die frühen Landwirbeltiere in den neuen Lebensräumen aus. Sie passten sich an verschiedene Ernährungsweisen an: Manche jagten die zahlreichen Insekten, andere begannen, Pflanzen zu fressen – eine Ernährungsweise, die zusätzliche Anpassungen an den Kiefer und die Kaumuskulatur erforderte. „Diese Zeit ist besonders spannend, weil sich Wirbeltiere erstmals in großem Maßstab an das Leben außerhalb des Wassers anpassten“, so Ponstein.
Um herauszufinden, wie die frühen Tetrapoden gefressen haben könnten, konzentrierte sich das Team auf den Unterkiefer – ein Element aus mehreren Knochen, dessen Form viel über die Ernährungsweise eines Tieres verrät. Die Forschenden stellten dazu den bisher größten Datensatz fossiler Tetrapodenkiefer aus dem Karbon und Perm zusammen, der mehr als 200 Arten umfasst. Dabei wurde auch Material aus der Sammlung des Berliner Naturkundemuseums mit einbezogen, inklusive im 3D-Visualisierungslabor generierte CT-Daten. Beteiligt waren neben dem Team des Berliner Forschungsmuseums auch Wissenschaftler:innen des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart und des Naturwissenschaftlichen Museums in Raleigh, North Carolina (USA).
Zwei zentrale Erkenntnisse
Die Analyse führte zu zwei wichtigen Ergebnissen:
Direkt nach dem Übergang an Land blieb die Kieferform erstaunlich konstant.
Viele frühe Tetrapoden besaßen weiterhin lange, schlanke Kiefer – vermutlich ideal, um Beutetiere wie Fische oder Insekten zu packen. Trotz der neuen Lebensumgebung änderte sich die Grundform des Kiefers zunächst kaum.
Mit dem Auftreten der Amnioten setzte eine deutliche Veränderung ein.
Ab dem frühen Perm vor etwa 300 Millionen Jahren entwickelten die Amnioten eine viel größere Bandbreite an Kieferformen als die Amphibien. Ihre Kiefer wurden robuster, und die Muskelansatzstellen vielfältiger. Dadurch konnten sie härtere und abwechslungsreichere Nahrung wie Pflanzenmaterial oder größere Beutetiere verarbeiten. Amphibien hingegen blieben bis heute weitgehend auf einfache Kieferformen und eine eher einseitige Ernährung – meist Insekten – beschränkt.
„Die frühe Vielfalt der Kieferformen hat den Amnioten wahrscheinlich ermöglicht, ökologische Nischen zu nutzen, die Amphibien verschlossen blieben“, sagt Ponstein. „Damit legten sie den Grundstein für die beeindruckende Vielfalt der Reptilien, Vögeln und Säugetieren, die wir heute auf der ganzen Welt sehen.“
Grundlage für moderne Vielfalt
Heute umfasst die Gruppe der Amnioten alles von Schildkröten über Vögel bis zu Raubkatzen – eine enorme Bandbreite an Lebensweisen. Die Studie zeigt, dass dieser Erfolg tief in der Erdgeschichte verwurzelt ist: in der Fähigkeit, sich früh und flexibel an neue Ernährungsweisen anzupassen.
Originalpublikation:
Ponstein J, MacDougall MJ, Schaeffer J, Kammerer CF, Fröbisch J. 2025. Mandibulare Form und Funktion sind bei Amniioten unterschiedlicher als bei nicht-amniotischen Tetrapoden aus dem späten Paläozoikum. PeerJ 13:e20243 DOI 10.7717/peerJ.20243

05.12.2025, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Vielfältiges Leben in einem urzeitlichen See
Internationale Forschungsgruppe entdeckt artenreiche Fossillagerstätte in der Atacama-Wüste im Norden Chiles
Eine ungewöhnlich reiche Fossillagerstätte hat ein internationales Forschungsteam in der Atacama-Wüste im Norden Chiles entdeckt und beschrieben. Unter Leitung von Diego Volosky von der Friedrich-Schiller-Universität Jena untersucht die Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Chile, Deutschland und Argentinien eine Vielzahl von Fossilien, darunter Pflanzen, Insekten, Süßwasserkrebse, Weichtiere, Fische und Haie. »Solche vollständigen und vielfältigen Fossilgemeinschaften sind selten, insbesondere angesichts des Alters der Fossilien«, sagt Diego Volosky. Datiert werden die Funde auf die Trias, die erdgeschichtliche Periode vor etwa 252 bis 201 Millionen Jahren. Damals existierte der riesige Südkontinent Gondwana noch, der Südamerika, Afrika, Australien und die Antarktis umfasste. Die Forschungsgruppe hat ihre Ergebnisse jetzt in der Fachzeitschrift »Paleogeography, Paleoclimatology, Paleoecology« veröffentlicht.
Ungewöhnlich gut erhaltene Fossilien gefunden
Die Fossilfunde zeigen ein komplexes und in großen Teilen überliefertes Nahrungsnetz aus einem Süßwassersee. »Damit bietet diese Entdeckung einen seltenen Einblick in ein Paläoökosystem der südlichen Hemisphäre«, sagt Diego Volosky. Einige Tiergruppen, wie die erhaltenen Insekten und Fische, stellten sogar Neufunde für die Region dar. Bemerkenswert sei zudem der außergewöhnlich gut erhaltene Zustand der Fossilien, ein Hinweis auf die ruhigen Ablagerungsbedingungen in den tieferen Teilen des ehemaligen Sees.
Feinkörnige Sedimente und die sauerstoffarmen Bedingungen am Gewässergrund schützten die empfindlichen Überreste vor raschem Zerfall und Aasfressern. »So blieben Insekten vollständig erhalten, außerdem Fischskelette mit Hautabdrücken und die Fortpflanzungsorgane von Landpflanzen«, sagt Volosky. Die Fossilfundstelle enthalte Dokumente des Lebens sowohl im See als auch vom umliegenden Land, mit denen sich ein detailliertes Bild des gesamten Ökosystems rekonstruieren lässt.
Als eine unglaubliche Gelegenheit bezeichnet Dr. Olga Schmitz ihre Mitarbeit in dem multidisziplinären Forschungsteam, das sich mittlerweile auf mehr als zehn Institutionen in den drei beteiligten Ländern ausgeweitet hat. Schmitz forscht als Mikropaläontologin an der Universität Jena und am Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena. »Mit meinem Fachwissen in der Präparation von Mikrofossilien konnte ich dabei helfen, Ostrakoden aus den Gesteinsproben zu extrahieren, die wir in einer weiteren Studie genauer untersuchen wollen.« Ostrakoden sind Muschelkrebse, die in nahezu allen aquatischen Lebensräumen vorkommen und meist kleiner als 1 mm sind.
Wie reagiert das Leben auf große globale Umweltveränderungen?
Als einen Glücksfall für die Jenaer Arbeitsgruppe bezeichnet es apl. Prof. Dr. Peter Frenzel, dass sich Diego Volosky dem Team angeschlossen hat. Frenzel leitet die Arbeitsgruppe Paläontologie am Institut für Geowissenschaften der Universität Jena. Er betont, die jetzt veröffentlichten Ergebnisse seien nur der Auftakt eines größeren Forschungsprojekts. Das Team werde sich als nächstes darauf konzentrieren, die paläoökologischen Rekonstruktionen zu verfeinern sowie die gefundenen Fossilien weiter zu beschreiben und zu bestimmen.
Eine der Forschungsfragen lautet, wie das Leben damals auf große globale Umweltveränderungen reagierte. Folgte die Trias doch auf das größte dokumentierte Massenaussterben der Erdgeschichte am Ende des Paläozoikums. Die Auswertung der Funde in der Atacama-Wüste kann helfen, langfristige Muster der Erholung von Ökosystemen zu verstehen.
Originalpublikation:
Diego Volosky, Philippe Moisan, María Belén Lara, Joerg W. Schneider, Frank Scholze, Mauricio Espinoza, Olga Schmitz, Maite Aguilar, Daniela Morales, Marcelo Flores, Javier Contreras, Peter Frenzel: A Late Triassic biota from a rift-lake system in southwestern Gondwana (Atacama Desert, Northern Chile). Paleogeography, Paleoclimatology, Paleoecology, Dezember 2025, https://doi.org/10.1016/j.palaeo.2025.113328

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