Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

20.10.2025, Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart
Auf den Spuren des ältesten Säugetiervorfahren weltweit
Paläontologen entdecken auf Mallorca erstmals fossile Fußabdrücke eines säbelzahnartigen Raubtiers.
Ein multidisziplinäres Forscherteam, darunter Dr. Eudald Mujal vom Naturkundemuseum Stuttgart, hat auf Mallorca einzigartige fossile Fußabdrücke eines Gorgonopsiers entdeckt. Diese Gruppe von säbelzahntragenden Raubtieren zählt zu den frühen Therapsiden, die Vorfahren der heutigen Säugetiere. Die Spuren stammen von einem Lebewesen, das vor etwa 280 bis 270 Millionen Jahren auf der heutigen Baleareninsel lebte. Erst im Jahr 2024 konnten die Wissenschaftler anhand von Skelettfunden auf Mallorca erstmals ein Exemplar des bisher ältesten Gorgonopsiers der Welt beschreiben. Die nun nahe der Knochenfundstelle entdeckten Fußabdrücke sind für die Forschenden besonders bedeutsam, da sie neue Einblicke in die Fortbewegungsweise der Tiere ermöglichen. Der Gang ähnelt eher dem von Säugetieren als dem von Reptilien. Die neuen Fossilienfunde sind entscheidend für das Verständnis der globalen Ausbreitung der Vorfahren der Säugetiere. Sie dokumentieren einen wichtigen Evolutionsschritt in der Entwicklung der Fortbewegung, der maßgeblich zu ihrem Erfolg beitrug.
Die Studie wurde von Forschern des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart, des Museu Balear de Ciències Naturals, des Institut Català de Paleontologia Miquel Crusafont sowie des Museu de la Conca Dellà durchgeführt und in der Fachzeitschrift Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology veröffentlicht.
Einzigartige Fossilien aus dem Perm auf Mallorca
In den vergangenen Jahren wurden auf Mallorca außergewöhnliche Fossilien gefunden, darunter der 2023 beschriebene Tramuntanasaurus, eine bisher unbekannte Reptilienart, ebenso wie das Teilskelett des Gorgonopsiers. Fossile Fußabdrücke, sogenannte Ichniten, liefern wertvolle Informationen zur Bewegungsweise und zum Verhalten ausgestorbener Tiere.
Ein Glücksfall für die Forschung
Die fossilen Fußspuren aus Mallorca haben eine besondere Form und Anordnung, die bisher bei Fossilienfährten unbekannt war. Die Analyse der Fußabdruckform und ihrer relativen Position innerhalb der Fährten führte zur Spur des Gorgonopsiers, der diese Fußabdrücke hinterlassen hatte. „Fußabdrücke und Knochen in denselben Gesteinseinheiten zu finden, ist in den Fossilienfunden äußerst selten, und sie miteinander in Verbindung bringen zu können, ist noch ungewöhnlicher und für uns ein Glücksfall“, sagt Eudald Mujal, Hauptautor der Studie und Paläontologe am Naturkundemuseum Stuttgart. Die Spuren des Gorgonopsiers zeigen, dass das Tier deutlich größere Füße als Hände hatte, mit robusten Zehen, die in großen Krallen endeten. Außerdem deuten sie darauf hin, dass das Tier mit senkrecht oder aufrecht stehenden Beinen lief, die fast unter dem Körper positioniert waren, und sehr lange Schritte machte – ein außergewöhnliches Merkmal bei so alten Fußabdrücken.
Ein wichtiger Meilenstein der Evolution
Die entdeckten Fossilien aus dem Perm von Mallorca liefern wichtige Erkenntnisse über die Fortbewegungsweise der Säugetiervorfahren. Der Übergang von einem Körperbau mit ausgestreckten zu einem mit aufrechten, vertikalen Beinen stellt eine grundlegende Innovation dar, die mit dem evolutionären Erfolg mehrerer Wirbeltiergruppen wie Therapsiden und Dinosauriern verbunden ist. Diese anatomische Veränderung ermöglichte den Tieren eine effizientere Fortbewegung, verbesserte die Mobilität und erlaubte die Erschließung verschiedener Lebensräume.
Die Gorgonopsier: Top-Räuber aus dem Perm
Die Gorgonopsier waren Warmblüter, ähnlich den heutigen Säugetieren, legten jedoch im Gegensatz zu diesen Eier. Als Fleischfresser waren sie die ersten Tiere, die Säbelzähne entwickelten. Ihr Aussehen ähnelte dem eines Hundes, jedoch ohne Ohren und Fell, und sie zählten häufig zu den Spitzenräubern ihres Ökosystems. „Die neuen fossilen Funde aus Mallorca sind von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der globalen Ausbreitung dieser Säugetiervorfahren während des Perms. Sie spiegeln einen wesentlichen Moment in der Evolution der Fortbewegung wider, der maßgeblich zu ihrem Erfolg beitrug“, so Mujal.
Originalpublikation:
Rafel Matamales-Andreu, Eudald Mujal, Àngel Galobart, Josep Fortuny. (2025). Track-trackmaker correlation of co-occurring gorgonopsian bones and footprints from the early–middle Permian of equatorial Pangaea. Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology 677: 113174
https://doi.org/10.1016/j.palaeo.2025.113174

20.10.2025, Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie GmbH
Hatten manche Meereslebewesen im Paläozän einen inneren Kompass?
Vor Jahrmillionen produzierten einige Meeresorganismen Magnetpartikel von ungewöhnlicher Größe, die heute als Fossilien in Sedimenten zu finden sind. Nun ist es einem internationalen Team gelungen, die magnetischen Domänen auf einem dieser „Riesenmagnetfossilien” mit einer raffinierten Methode an der Diamond-Röntgenquelle zu kartieren. Ihre Analyse zeigt, dass diese Partikel es den Organismen ermöglicht haben könnten, winzige Schwankungen sowohl in der Richtung als auch in der Intensität des Erdmagnetfelds wahrzunehmen. Dadurch konnten sie sich verorten und über den Ozean navigieren.
Vor einigen Jahren wurden mysteriöse Magnetitpartikel in Meeressedimenten entdeckt. Diese Partikel waren außergewöhnlich groß – etwa 10- bis 20-mal größer als die herkömmlichen Magnetit-Magnetofossilien, die von magnetotaktischen Bakterien zum Zweck der passiven Orientierung im Erdmagnetfeld gebildet werden. Riesige Magnetofossilien kommen in einer großen Formenvielfalt vor, darunter Nadeln, Spindeln, Kugeln und Speerspitzen. Bis heute ist unbekannt, welche Organismen diese gigantischen Magnetitpartikel gebildet haben und wofür sie verwendet wurden. Obwohl einige dieser großen Magnetfossilien in ihrer Form herkömmlichen Magnetfossilien ähneln, ging man aufgrund ihrer ungewöhnlichen Größe davon aus, dass sie für den Zweck der magnetischen Ausrichtung allein schlecht geeignet seien. Stattdessen wurde vermutet, dass einige Lebewesen solche recht harten Magnetitpartikel in erster Linie als Schutzschild gegen Raubtiere nutzten, sodass ihre magnetischen Eigenschaften keine große Rolle spielten. Allerdings sind nicht alle Forschenden von dieser Hypothese überzeugt.
Sergio Valencia, Physiker am HZB, und der Paläomagnetismusforscher Richard J. Harrison von der Universität Cambridge, Großbritannien, haben nun eine alternative Hypothese untersucht. Sie vermuten, dass Lebewesen tatsächlich die magnetischen Eigenschaften dieser Partikel nutzten, um sich mithilfe des Erdmagnetfelds zu orientieren, indem sie kleine Schwankungen in Intensität und Richtung des Feldes wahrnahmen. Um diese Idee zu überprüfen, mussten sie die dreidimensionale magnetische Struktur der Magnetfossilien kartieren. Dies ermöglichte es, die magnetische Energie und die damit verbundenen Kräfte auf das Partikel im lokalen Erdmagnetfeld abzuschätzen.
Harrison und Valencia untersuchten ein Partikel in Form einer Speerspitze mit einem Durchmesser von 1,1 µm und einer Länge von 2,25 µm. Es stammte aus dem Team von Liao Chang, Universität Peking, und wurde in einem etwa 56 Millionen Jahre alten Sediment im Nordatlantik gefunden. Eine große Herausforderung bestand darin, die innere magnetische Struktur dieser recht dicken Probe zu untersuchen, ohne sie zu zerschneiden und zu zerstören, da dies die ursprüngliche magnetische Domänenstruktur verändert hätte. Dies gelang ihnen an der Röntgenquelle Diamond in Oxford, Großbritannien, mit einer neu entwickelten Technik von Claire Donnelly am Max-Planck-Institut für chemische Physik fester Stoffe (MPI CPfS) in Dresden: Mit der so genannten „pre-edge phase X-ray magnetic circular dichroism (XMCD)“ Ptychographie konnten sie die magnetische Domänenstruktur im gesamten Volumen der Probe sichtbar machen. „Dies war eine wirklich internationale Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten aus ganz verschiedenen Bereichen. Zusammen haben wir es geschafft, die mögliche Funktion dieser Magnetfossilien aufzuklären“, sagt Sergio Valencia, der die Zusammenarbeit initiiert und koordiniert hat.
Dem Team gelang es, das gesamte Probenvolumen dreidimensional und mit hoher Auflösung abzubilden. „Mit Hilfe der magnetischen Vektortomographie konnten alle drei Komponenten der Magnetisierung rekonstruiert und im gesamten Volumen der Probe mit einer Auflösung von wenigen 10 Nanometern räumlich aufgelöst werden“, sagt Valencia und betont: „Wenn wir die neue Nachfolgequelle BESSY III in Betrieb genommen haben, könnten wir solche Messungen auch in Berlin durchführen.“
Die Ergebnisse zeigen, dass das Magnetitpartikel einen magnetischen Wirbel enthält, der mit starken Kräften auf räumliche Schwankungen des Erdmagnetfeldes reagiert. Damit könnte dieses Partikel einem Organismus die Möglichkeit bieten, die Intensität des Erdmagnetfeldes wahrzunehmen und darauf zu reagieren.
„Meeresorganismen, zum Beispiel Fische, haben diese Eigenschaft möglicherweise für die magnetische Navigation genutzt“, sagt Harrison. Auch wenn sich die hier untersuchten Partikel ursprünglich als Schutzpanzer entwickelt haben könnten, wäre es durchaus möglich, dass ihre Nachkommen im Laufe der Evolution diese Partikel auch als Navigationsinstrument genutzt haben.
Die Navigation im Erdmagnetfeld ist heute ein weit verbreitetes Phänomen bei Weichtieren, Amphibien, Fischen, Reptilien, Vögeln und Säugetieren. Vielleicht fand sie vor langer Zeit Zeit ihren Anfang: Riesige Magnetfossilien wurden in bis zu 97 Millionen Jahre alten Sedimenten gefunden.
„Auf dem Marsmeteoriten ALH84001 entdeckte man Eisenoxidpartikel, die denen ähneln, die manche Bakterien auf der Erde bilden. Die biologische Herkunft der Mars-Eisenoxidpartikel ist allerdings stark umstritten. Nun verfügen wir über eine Methode, um alle neu gefundenen potenziellen Magnetfossilien zu untersuchen und Beweise für oder gegen ihren biologischen Ursprung zu liefern“, sagt Richard Harrison. „Es wäre sehr spannend, diese experimentelle Technik zur Bewertung der morphologischen und magnetischen Fingerabdrücke dieser Eisenoxidpartikel einzusetzen. Dies könnte bei der Suche nach Spuren früheren Lebens helfen“, sagt Valencia.
Originalpublikation:
Communications Earth and Environment (2025): Magnetic vector tomography reveals giant magnetofossils are optimised for magnetointensity reception
Richard J Harrison, Jeffrey Neethirajan, Zhaowen Pei, Pengfei Xue, Lourdes Marcano, Radu Abrudan, Emilie Ringe, Po-Yen Tung, Venkata SC Kuppili, Burkhard Kaulich, Benedikt J Daurer, Luis Carlos Colocho Hurtarte, Majid Kazemian, Liao Chang, Claire Donnelly, and Sergio Valencia.
DOI: 10.1038/s43247-025-02721-3

20.10.2025, Veterinärmedizinische Universität Wien
Mein Revier! Städtische Wildtiere leben lieber getrennt voneinander
Igel und Dachs zählen zu den in Österreich heimischen Wildtierarten, die auch in Städten präsent sind. Damit enden aber die Gemeinsamkeiten: Auf kleinem Raum gehen sie einander lieber aus dem Weg und besiedeln unterschiedliche Lebensräume. Das ist die zentrale Erkenntnis einer von der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) geleiteten Studie unter Beteiligung des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Genutzt wurden die Beobachtungen von Privatpersonen, welche diese im Rahmen von zwei Citizen-Science-Projekten mit den Wissenschafter:innen teilten.
Einige Wildtierarten passen sich erfolgreich an städtische Umgebungen an. Zu diesen Kulturfolgern zählen beispielsweise Säugetiere wie Eichhörnchen, Füchse, Marder, Igel und Dachse. Um potenzielle Konflikte dieser Arten mit Menschen oder deren Haustieren zu vermeiden, ist laut den Forscher:innen ein besseres Verständnis der Präsenz von Wildtieren in Städten erforderlich.
Citizen Science – sichtbar machen, was sonst unsichtbar bleibt
Für ihr Forschungsprojekt analysierte das Wissenschaftsteam Berichte über Europäische Igel (Erinaceus europaeus und E. roumanicus) und Dachse (Meles meles). Diese Daten wurden durch zwei langfristige Citizen-Science-Projekte (stadtwildtiere.at und roadkill.at) bereitgestellt, um Lebensraumpräferenzen und potenzielle ökologische Interaktionen zu bewerten. Wer mitforschen möchte, findet zu den Projekten über die Onlineplattform citizen-science.at, im Rahmen der Initiative „Österreich forscht“, Zugang.
Wien zählt rund zwei Millionen Einwohner:innen auf einer Fläche von 415 Quadratkilometern – rund 50 % davon sind Grünflächen in Form von Wäldern, Parks und privaten Gärten. Zwischen 2012 und 2023 wurden hier insgesamt 356 Igel- und 918 Dachs-Sichtungen gemeldet. Dazu Studien-Co-Autor Richard Zink vom KLIVV der Vetmeduni: „Diese Sichtungen von Bürgerinnen und Bürgern sind wichtig, weil herkömmliche Überwachungsmethoden im Stadtgebiet oft nicht ausreichen. Der Grund ist die große Zahl an Privatgrundstücken, die großteils nicht zugänglich sind.“
Dachse und Igel leben gerne in Siedlungslagen …
Sichtungen beider Arten korrelierten signifikant mit einer Mischung aus versiegelten bzw. bebauten Flächen und Grünflächen mit Wiesen und Sträuchern. Allerdings standen Sichtungen beider Arten in einem negativen Zusammenhang mit Ackerland. Dafür kann es laut Richard Zink mehrere Gründe geben: „Die weniger häufige Sichtung auf Ackerland ist höchstwahrscheinlich auf die Meidung von offenem Gelände oder die geringere Verfügbarkeit von Nahrung zurückzuführen. Die Ursache kann allerdings einfach auch darin liegen, dass die beiden nachtaktiven Arten auf dunklem Ackerland schwieriger zu erkennen sind und von dort seltener gemeldet werden.“
… und gehen sich sonst lieber aus dem Weg
Je steiler die Hanglage eines Lebensraums war, desto weniger Igel wurden gemeldet, während bei Dachsen in Gebieten mit einer Bebauungsdichte von über 15 % eine positive Korrelation zwischen Hanglage und Meldungen beobachtet wurde. Ein Miteinander der beiden Tierarten am selben Ort ist allerdings selten, wie Richard Zink betont: „Wir hatten kaum Igelmeldungen in Gebieten, in denen von Dachs-Sichtungen berichtet wurde.“ Laut Zink war die Bürgerwissenschaft von großem Nutzen: „Unsere Studie zeigt, dass Citizen-Science-Projekte eine gute Datenquelle sein können, um die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Wildtier besser zu verstehen. Die vorliegende Studie könnte deshalb als Modell für andere städtische Gebiete und Arten dienen.“
Originalpublikation:
Der Artikel „Urban wildlife monitoring using citizen science suggests that European hedgehogs and badgers select different habitats“ von Daniel Issel, Gregor Laaha, Johannes Laimighofer, Johann G. Zaller, Richard Zink, Daniel Dörler und Florian Heigl wurde in „Web Ecology“ veröffentlicht. https://we.copernicus.org/articles/25/177/2025/we-25-177-2025.html

21.10.2025, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Ernährung von Honigbienen: Studie mit überraschenden Ergebnissen
Spätsommer in Unterfranken: Es gibt kaum noch blühende Pflanzen, das Futter für Honigbienen wird knapp. Forschende vom Biozentrum haben untersucht, wie die Bienen damit klarkommen.
Pflanzen produzieren in ihren Blüten massenhaft nährstoffreiche Pollen – wahre Kraftpakete für viele Insekten, auch für Honigbienen: Sie mischen die protein- und fettreichen Pollen in das Futter, mit dem sie ihre Larven großziehen. Jüngere Bienen fressen die Pollen auch selbst, um sich zu stärken.
Für Honigbienen sind die pflanzlichen Energielieferanten enorm wichtig: Ein Mangel an Pollen kann ihre Entwicklung verzögern, sie anfälliger für Krankheitserreger und empfindlicher für Pestizide machen. Wissenschaftliche Studien zeigen außerdem: Je vielfältiger die Pollenmischung im Futter, desto besser ist das für die Gesundheit und den Überwinterungserfolg der Bienenvölker.
Mögliche Doppelbelastung: Nahrungsmangel und Pestizide
Gerade im Spätsommer müssten es Honigbienen demnach eher schwer haben. Zu dieser Zeit blühen nicht mehr viele Pflanzen, das Nahrungsangebot schrumpft. Dazu kommt, dass in den noch vorhandenen Pollen Rückstände von Pestiziden stecken könnten, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden.
Diese doppelte Belastung könnte den Bienen besonders zusetzen – und das in einer Jahreszeit, die für sie ohnehin sehr kritisch ist: Im Spätsommer entwickeln sich in den Stöcken die langlebigen Winterbienen. Ihre Vitalität entscheidet darüber, ob das Volk die kalte Jahreszeit unbeschadet übersteht.
Bienenstöcke in Unterfranken platziert
Wie steht es also um die Ernährungslage von Honigbienen im Spätsommer – insbesondere in landwirtschaftlich geprägten Regionen? Dieser Frage sind Forschende der Lehrstühle für Tierökologie und Tropenbiologie und für Verhaltensphysiologie und Soziobiologie im Biozentrum der Universität Würzburg nachgegangen. Sie platzierten 36 Honigbienenvölker an neun verschiedenen Standorten in Unterfranken. Rund um jeden Bienenstock variierte der Anteil einjährig bewirtschafteter Ackerflächen deutlich: Er reichte von 43 bis zu 97 Prozent in einem Umkreis von zwei Kilometern.
Von Anfang Juli bis Mitte August entnahmen die Forschenden dann alle drei Tage Proben aus den Pollenfallen vor den Bienenstöcken. Sie analysierten, welche Pflanzenarten die Bienen angeflogen hatten, wie vielfältig die Pollen waren und ob sich Pestizidrückstände fanden. Die Ergebnisse sind im renommierten Fachjournal Agriculture, Ecosystems and Environment veröffentlicht.
Gleiche Pollendiversität und wenig Pestizide
Die Resultate überraschten das Team um Professor Ingolf Steffan-Dewenter und Professorin Ricarda Scheiner: Die Diversität der gesammelten Pollen war immer ähnlich – egal, ob es rund um die Bienenstöcke sehr viele oder nur wenige Ackerflächen gab. Ebenso unerwartet: In den Pollen steckten nur geringe Mengen an Pestiziden.
Könnte es den Honigbienen im Spätsommer also auch in intensiv bewirtschafteten Agrarlandschaften ganz gut gehen?
Doktorandin Sarah Manzer, die Erstautorin der Publikation, schränkt ein: „Unsere Ergebnisse dürfen nicht generalisiert werden. In unserer Studie hatten Landschaften mit einem hohen Ackeranteil trotzdem viele verschiedene Felder. Dies bietet die Möglichkeit von Blühressourcen an den Feldrändern und diversen pollenspendenden Beikräutern in unterschiedlichen Kulturen.“ In anderen Ländern mit deutlich größeren Ackerflächen, beispielsweise in den USA, könne die Landschaft deutlich weniger Nahrung bieten.
Weiterhin gelten in verschiedenen Ländern unterschiedliche Regularien zum Ausbringen von Pestiziden, was zu unterschiedlichen Kontaminationen mit Pestiziden führen kann. Um ein umfassendes Bild der Auswirkung von Agrarflächen auf Honigbienen zu bekommen, seien weitere Studien in anderen Gegenden und zu anderen Jahreszeiten notwendig, insbesondere im Frühjahr, weil dann mehr Pestizide ausgebracht werden.
Klee an der Spitze der Pollenlieferanten
„In unseren 540 Pollenproben fanden sich mithilfe von DNA-Metabarcoding 140 verschiedene Pollenarten“, sagt Doktorandin Sarah Manzer. Am häufigsten sammelten die Bienen Pollen von Klee-Arten, gefolgt von Kornblumen und Sonnenblumen.
Im Durchschnitt trugen die Bienen im Lauf von jeweils drei Tagen Pollen von zehn unterschiedlichen Pflanzen in den Stock. Das ist weder sehr viel noch sehr wenig, ähnliche Werte wurden auch bei anderen Studien gefunden. Womöglich gleichen die Bienen den spätsommerlichen Blütenmangel aus, indem sie auf der Futtersuche weitere Strecken fliegen.
Rund 60 Prozent der Proben pestizidfrei
Rückstände von Pestiziden fanden die Forschenden in 39 Prozent der Pollenproben. Unter den 16 nachgewiesenen Pestiziden waren Fungizide am häufigsten, also Mittel gegen pflanzenschädigende Pilze.
„Was die Konzentration betrifft, sind die gefundenen Pestizid-Dosen moderat bis gering; direkte tödliche Effekte für die Honigbienen sind nicht zu erwarten“: Das kann Sarah Manzer aufgrund der Ergebnisse verschiedener wissenschaftlicher Studien sagen. Aber: „Eine schleichende Schädigung der Bienen durch negative Langzeiteffekte können wir nicht ausschließen. Weiterhin wissen wir wenig über mögliche Wechselwirkungen mit anderen Pestiziden. Auch die Auswirkung zum Beispiel auf deutlich kleinere Wildbienen ist uns nicht bekannt.“ Weitere Studien seien nötig, um hier mehr Licht ins Dunkel zu bringen.
Kooperationsuniversitäten
An der Studie waren neben den Würzburger Forschenden Teams von der Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (Carolina Honert, Carsten Brühl / Pestizidanalyse, Pestizidauswertung) und der Ludwig-Maximilians-Universität München beteiligt (Alexander Keller / Auswertung der DNA-Metabarcoding-Daten zur Bestimmung der Pollendiversität).
Originalpublikation:
Effects of annual cropland and season on pollen diversity and pesticide exposure in honey bee colonies. Journal Agriculture, Ecosystems and Environment, 23. September 2025, DOI 10.1016/j.agee.2025.109987, Open Access: https://doi.org/10.1016/j.agee.2025.109987

21.10.2025, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
„Move BON“: Neues globales Netzwerk zur Erforschung von Tierwanderungen
Weltweite Initiative stärkt Biodiversitätsforschung und Schutzvorhaben. Move BON, ein neues internationales Forschungsnetzwerk zur Untersuchung von Tierbewegungen, wurde jetzt offiziell vom übergeordneten Netzwerk GEO BON anerkannt, das weltweite Beobachtungen zur biologischen Vielfalt zusammenführt und für Forschung und Naturschutz nutzbar macht. Durch die neue Initiative, zu deren Leitung Forschende des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums Frankfurt und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie gehören, können wertvolle Tierbewegungsdaten künftig stärker in die Biodiversitätsforschung sowie in nationale und internationale Naturschutzstrategien einbezogen werden.
Das Bewegungsverhalten von Tieren – seien es Zugvögel, wandernde Wale und Gazellen oder Bestäuber und Samenverbreiter – spielt eine zentrale Rolle für die Vernetzung, Widerstandsfähigkeit und die Vielfalt von Ökosystemen auf der ganzen Welt. Ihre Wege und Aktionsräume nachzuvollziehen liefert uns wichtige Erkenntnisse über den Zustand von Lebensräumen, Umweltveränderungen, die Ausbreitung invasiver Arten oder neu auftretende Krankheiten. Durch technologische Fortschritte wurden in den vergangenen Jahrzehnten immer genauere Beobachtungen von Tierbewegungen möglich – gleichzeitig blieb der Großteil dieser wertvollen Daten bisher verstreut, wurde nicht einheitlich erfasst und konnte kaum in wissenschaftliche Berichte zum Zustand der Biodiversität oder politische Entscheidungen einfließen. Das globale Forschungsnetzwerk Animal Movement Biodiversity Observation Network, kurz Move BON – ein Zusammenschluss von weltweit über 50 Einrichtungen auf Initiative der US-amerikanischen Smithsonian Institution und WILDLABS des World Wildlife Fund (WWF) – hat das Ziel, diesen Datenschatz für Wissenschaft und Politik systematisch nutzbar zu machen.
„Die jetzt erfolgte Anerkennung durch das Forschungsnetzwerk Group on Earth Observations Biodiversity Observation Network (GEO BON) ist ein wichtiger Meilenstein“, betont Dr. Aidin Niamir, Head of International Science Policy der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, und fährt fort: „Die internationale Sichtbarkeit von Move BON wird so gestärkt. Und es bestätigt, dass die Initiative höchsten Standards der wissenschaftlichen Arbeit, Kooperation und der Datenqualität genügt. Die Anerkennung ist ein wichtiger Schritt, um die aktuelle Lücke zwischen Wissenschaft und Politik zu schließen. Mit Move BON vernetzen wir eine globale Fachgemeinschaft, durch deren Arbeit Forschungsergebnisse und Daten zu Tierwanderungen, die bei Senckenberg und den Partnerinstitutionen gewonnen werden, in Zukunft gezielt und gebündelt in umweltpolitische Entscheidungen einfließen können.“
„Tierwanderungen spielen für viele internationale Umweltabkommen eine zentrale Rolle“, ergänzt Prof. Dr. Martin Wikelski, Direktor der Abteilung für Tierwanderungen am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. „Bislang fehlten aber definierte Abläufe, um Rohdaten, die wir mit modernsten Methoden der Tierverfolgung gewinnen, in aussagekräftige Informationen für den Naturschutz zu übersetzen und für politische Zielgruppen aufzubereiten. Dass diese Werkzeuge jetzt geschaffen werden, eröffnet für Projekte wie Icarus des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie, bei dem wir die Wanderungen tausender Tiere aus dem Weltraum verfolgen können, völlig neue Möglichkeiten.“
Mit Move BON entsteht ein globales „Netzwerk von Netzwerken“, das die Zusammenarbeit bestehender Projekte zu Tierwanderungen fördert – über geografische, technologische und Ökosystemgrenzen hinweg.
„Ein zentrales Ziel ist dabei, gemeinsame Standards für die Erhebung und Verknüpfung von Daten zu definieren“, erklärt Sarah C. Davidson, Datenkuratorin der Online-Plattform für Tierbewegungsdaten Movebank am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. „In Datenbanken wie Movebank, einem gemeinsamen Projekt von Senckenberg und dem Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, sind bereits große Mengen an Daten zu Tierbewegungen zusammengeführt. Allerdings ist der Großteil davon für politische Entscheidungsträger*innen bislang nicht zugänglich. Mit Move BON können wir aussagekräftige Informationen für die Politik aufbereiten – und dabei zugleich den Schutz sensibler Daten gewährleisten.“
„Unsere Vision ist ein gemeinsames globales Beobachtungssystem, das die Bewegungen wandernder Tiere erfasst und interpretiert“, sagt Prof. Dr. Thomas Müller, Direktor des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums Frankfurt und schließt: „So können wir die weltweite Entwicklung der biologischen Vielfalt besser verstehen und bewerten, Veränderungen vorhersagen und im Einklang mit multilateralen Umweltabkommen – wie dem Kunming-Montreal-Vertrag oder der Bonner Konvention zum Schutz wandernder Tierarten (CMS) – internationale Schutzmaßnahmen gezielt unterstützen.“
Angestoßen und koordiniert von der Smithsonian Institution und WILDLABS des WWF vereint Move BON heute mehr als 50 Organisationen, deren Forschung von terrestrischen bis zu Süßwasser- und Meeresökosystemen reicht. Das Netzwerk wurde gemeinsam entwickelt von der Smithsonian Institution und WILDLABS des WWF, in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, dem NASA Jet Propulsion Laboratory (JPL) und dem Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum. Die Einrichtung von Move BON wurde ermöglicht durch die großzügige finanzielle Unterstützung der Initiative Life on a Sustainable Planet der Smithsonian Institution sowie des NASA Jet Propulsion Laboratory (JPL).

22.10.2025, Universität Wien
Alarmierender Anstieg der vom Menschen verursachten Verbreitung krankheitsübertragender Mücken
Auch in Österreich ist die Ausbreitung eingeschleppter Mückenarten wie des Tigermoskitos ein zunehmendes Problem
Ein internationales Team an Wissenschafter*innen unter Beteiligung der Universität Wien berichtet in einer neuen Studie von einem weltweit rasanten Anstieg krankheitsübertragender Mückenarten, die durch menschliche Aktivitäten verschleppt wurden. Zwei dieser Mückenarten kommen auch in Österreich vor. Dieser Befund gibt Anlass zur Sorge um die globale öffentliche Gesundheit. Die Studie wurde aktuell in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Die Ausbreitung von Tier- und Pflanzenarten durch den Menschen hat in den vergangenen Jahrzehnten massiv zugenommen. Der zunehmende internationale Handel fördert besonders die Verschleppung kleiner Arten wie Mücken. Dies ist von großer gesundheitlicher Bedeutung, da eingeschleppte Mückenarten wie der Tigermoskito gefährliche Krankheiten wie Malaria, Dengue-Fieber und Zika übertragen. Eine neue Studie eines internationalen Forschungsteams unter Beteiligung der Universität Wien und unter Leitung der Universität Lissabon hat erstmals eine Übersicht über die weltweite Verschleppung von Mückenarten erstellt.
Internationaler Handel ist die Ursache der Verschleppung nicht heimischer Mückenarten
„In Summe wurden weltweit 45 Arten krankheitsübertragender Mücken in Regionen eingeschleppt, in denen sie ursprünglich nicht vorgekommen sind“, erläutert der Biodiversitätsforscher Franz Essl von der Universität Wien und Mitautor der Studie. „Von diesen haben sich 28 Arten erfolgreich angesiedelt – was das Risiko einer Krankheitsübertragung erheblich erhöht. Besonders besorgniserregend ist der starke Aufwärtstrend: Allein seit dem Jahr 2000 wurden 12 Arten erstmals in neuen Gebieten registriert“, ergänzt Essl.
Die Studienautor*innen untersuchten weiters, welche Faktoren die Verschleppung von Mückenarten verursachen und konnten diesen Anstieg auf den zunehmenden globalen Warenverkehr zurückführen. Die Ausbreitung ist eng mit dem internationalen Transport verbunden. Besonders die Verschleppung von Mückenlarven in Wasseransammlungen, die etwa beim Handel von Altreifen oder bei als Zierpflanzen gehandelten Wasserpflanzen häufig anzutreffen sind, bieten ideale Bedingungen zur unbeabsichtigten Verschleppung von Mückenlarven.
Österreich ist zunehmend betroffen von der Einschleppung gesundheitsgefährlicher Mückenarten
Die meisten der eingeschleppten Mückenarten stammen aus tropischen Regionen, während bisher die meisten nicht heimischen Arten aus Afrika stammten, kommt die Mehrzahl der eingeschleppten Arten mittlerweile aus Asien. Solche wärmeliebenden Arten können sich als Folge des Klimawandels zunehmend auch in gemäßigten Breiten wie Österreich ansiedeln.
Derzeit kommen in Österreich zwei eingeschleppte Mückenarten dauerhaft vor: Der Tigermoskito und die Japanische Buschmücke. Der Tigermoskito ist einer der weltweit problematischsten eingeschleppten Moskitoarten. Diese Art wurde 2012 zum ersten Mal in Österreich nachgewiesen und hat sich seit einigen Jahren in Wien, Graz und Linz dauerhaft angesiedelt. Der Tigermoskito lebt in Wasseransammlungen wie Regentonnen oder Blumenuntersetzer, um sich zu vermehren. In Südeuropa, wo die Art häufig ist, hat dies in den vergangenen Jahren zu mehreren Hundert Infektionen mit dem Dengue-Fieber geführt, mit 12 Todesfällen in Italien im Sommer 2025. Einzelne Dengue-Fieber-Infektionen, die jedoch bislang auf infizierte Reisende zurückzuführen sind, wurden auch schon in Österreich dokumentiert.
Appell der Wissenschafter*innen: Rasches Handeln ist nötig
Die Autor*innen warnen, dass sich eingeschleppte Mückenarten, nur noch schwer ausrotten lassen. Daher sei es wichtig, vorbeugende Maßnahmen beim Handel zu treffen, damit das Risiko einer Einschleppung weiterer Arten reduziert wird. Bei schon eingeschleppten Arten seien eine Überwachung und die Verhinderung einer weiteren Ausbreitung wesentlich. In Österreich dokumentiert das Projekt Mosquito Alert der AGES die Verbreitung eingeschleppter Mücken, jedoch bestehe Handlungsbedarf, um die weitere Ausbreitung eingeschleppter Mücken zu verhindern.
„Die rasche Ausbreitung eingeschleppter Mückenarten erhöht die gesundheitlichen Risiken, auch in gemäßigten Regionen wie in Österreich“, erklärt Anna Schertler, eine weitere Koautorin der Studie. Und sie ergänzt: „Angesichts des weiterhin steigenden internationalen Handels ist es sehr wahrscheinlich, dass in den kommenden Jahren weiterhin neue Arten eingeführt werden, mit nur schwer vorhersehbaren Folgen.“ Mit der nun vorliegenden ersten weltweiten Übersicht zu vom Menschen verschleppten gesundheitsgefährlichen Mückenarten liefert diese Studie eine wichtige Grundlage für die Gesundheitspolitik.
Originalpublikation:
Pabst R, Sousa CA, Essl F, Garcia-Rodriguez A, Liu A, Lenzner B, Schertler A, Zezere JL, Capinha C (2025) Global invasion patterns and dynamics of disease vector mosquitoes. In Nature Communications.
DOI: 10.1038/s41467-025-64446-3
https://www.nature.com/articles/s41467-025-64446-3

22.10.2025, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Rossameisen: Vorsicht ist besser als Nachsicht
Bei der Versorgung von Verwundeten sind Rossameisen wenig zimperlich. Um das Risiko von Infektionen zu minimieren, amputieren die Insekten verletzte Beine sofort – und können dabei ihre Überlebensrate mehr als verdoppeln.
Wie auch bei uns Menschen spielt Wundversorgung im Tierreich eine wichtige Rolle. Viele Säugetiere lecken ihre Verletzungen, manche Primaten nutzen antiseptische Pflanzen und einige Ameisen produzieren sogar ihre eigenen antimikrobiellen Stoffe, um Infektionen zu behandeln.
Letzteres hatte der an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) forschende Biologe Dr. Erik Frank bei der Afrikanischen Matabele-Ameise nachgewiesen. In einer neuen Studie, die nun in der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B erschienen ist, nimmt er eine Ameisenart unter die Lupe, die medizinisch eine zwar weniger feine, aber dennoch effektive Klinge führt: Amputationen.
Erik Frank leitet in Würzburg eine durch das Emmy Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Nachwuchsgruppe am Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie (Zoologie III).
Erst schneiden, dann fragen
Im Fokus der Studie mit dem Titel „Better Safe Than Sorry: Leg Amputations as a Prophylactic Wound Care Behaviour in Carpenter Ants“ steht Camponotus maculatus, eine vor allem in Afrika vorkommende Art der Rossameise.
„Wir konnten beobachten, wie Arbeiterinnen verletzte Gliedmaßen ihrer Artgenossinnen auf Schulterhöhe amputierten, sie bissen das verletzte Bein mit ihren starken Mundwerkzeugen einfach ab“, erzählt Frank. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Wunde infiziert war. Auch das Wundalter war für die Entscheidung nicht ausschlaggebend, die Ameisen gingen bei der Versorgung auf Nummer sicher.
„Den Luxus, eine Infektion abzuwarten, haben die Ameisen nicht. Wenn diese erkennbar wird, ist eine Amputation nicht mehr in der Lage, die Ausbreitung im Körper zu stoppen“, weiß Juan José Lagos-Oviedo, Doktorand und einer der beiden Erstautoren der Studie. Der Erfolg gibt den pragmatischen Tieren Recht. Die Überlebensrate der verletzten Arbeiterinnen konnten sie durch die Amputationen mehr als verdoppeln.
Entscheidungsprozesse vergleichbar mit der Humanmedizin
Da Insekten wie Ameisen, Termiten oder Honigbienen in großen Völkern leben, ist der Schutz von Infektionen, die sich in den dichtbesiedelten Kolonien schnell verbreiten können, für sie besonders wichtig.
Die prophylaktischen Amputationen aufgrund fehlender Informationen zum Infektionsstatus sind im Tierreich einzigartig und erinnern an humanmedizinische Logik.
Die Arbeit am Thema wird zukünftig weiter vertieft. In einem neuen Forschungsprojekt wird sich vor allem Doktorand Seiji Fujimoto Ameisenarten widmen, die sowohl Amputationen als auch Behandlungen mit antimikrobiellen Substanzen nutzen. „Wir wollen diese Entscheidungsfindung verstehen und außerdem herausfinden, wie diese Verhaltensweisen evolviert sind. Sprich, wieso nur manche Ameisenarten amputieren“, so Erik Frank.
Originalpublikation:
Seiji Fujimoto, Juan José Lagos-Oviedo, Florian Seibel, Louis Puille, Ronja Hausmann, Eoin Corcoran, Thomas Schmitt, Erik T. Frank: „Better Safe Than Sorry: Leg Amputations as a Prophylactic Wound Care Behaviour in Carpenter Ants“; in Proceedings of the Royal Society B, doi: 10.1098/rspb.2025.1688

23.10.2025, Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung
Guineapaviane teilen Fleisch nach festen sozialen Regeln
Studie des Deutschen Primatenzentrums zeigt Parallelen zwischen Guineapavianen und menschlichen Jäger- und Sammlergesellschaften
Die Beziehungsqualität und die soziale Organisation einer Gesellschaft beeinflussen nicht nur bei Menschen, sondern auch bei anderen Primaten die Weitergabe wertvoller Ressourcen. Dies haben Forschende am Deutschen Primatenzentrum (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen am Beispiel der Guineapaviane (Papio papio) herausgefunden, die Fleisch nach ähnlichen Mustern weitergeben wie menschliche Jäger- und Sammlergesellschaften. Das Team analysierte 109 Ereignisse, in denen die Paviane Fleisch teilten, und kombinierte diese Aufzeichnungen mit Verhaltensdaten aus fast einem Jahrzehnt Freilandforschung. Je enger die Beziehung zwischen zwei Tieren war, desto wahrscheinlicher und friedlicher war der Fleischtransfer. Bei weniger eng verbundenen Gruppenmitgliedern kam es dagegen auch zu Diebstahl (iScience).
Das Teilen einer wertvollen Ressource wie Fleisch gilt bei Menschen als wichtiger Treiber für die Entwicklung komplexer, mehrschichtiger Gesellschaften. Der unterschiedliche Erfolg der Jagd in Verbindung mit dem hohen Nährwert erlegter Tiere hat frühe Menschen dazu veranlasst, Netzwerke zwischen Haushalten aufzubauen, um eine regelmäßige Versorgung mit Fleisch sicherzustellen. In menschlichen Jäger- und Sammlergesellschaften ist Fleisch eine wichtige Nahrungsquelle, die nur selten verfügbar ist und entsprechend der Hierarchie der Gemeinschaft innerhalb der Haushalte und Camps geteilt wird. Das Weitergeben essentieller Güter innerhalb komplexer menschlicher Sozialstrukturen geht jedoch mit kulturell bedingten sozialen Normen und Traditionen einher. Um besser zu verstehen, wie eine mehrstufige soziale Organisation das Teilen von Ressourcen innerhalb einer Gesellschaft ohne solche Normen beeinflusst, sind vergleichbare Studien anderer ähnlich strukturierter Sozialsysteme bei unseren nächsten Verwandten deshalb von großem Wert.
Tolerantes Teilen an der Basis
Um sich der Frage des Zusammenhangs zwischen Gesellschaftsaufbau und Ressourcenverteilung zu nähern, haben Forschende der Abteilung Kognitive Ethologie am Deutschen Primatenzentrum Guineapaviane im Senegal neun Jahre lang beobachtet. Die Tiere leben in einem mehrschichtigen Sozialsystem. Die Basis der Gesellschaft ist die „Einheit“, die aus einem Männchen, mehreren assoziierten Weibchen und Jungtieren besteht. Drei bis vier „Einheiten“ bilden zusammen eine „Clique“, die durch dauerhafte Beziehungen zwischen miteinander verwandten Männchen verbunden ist. Die dritte Ebene bildet schließlich die „Gang“, die aus zwei bis drei Cliquen besteht. Sozialbeziehungen an der Basis der Gesellschaft sind enger als auf der Ebene der Gang.
Die Wissenschaftler*innen analysierten an der DPZ-Freilandstation Simenti insgesamt 109 Ereignisse, in denen Fleisch auch von anderen Gruppenmitgliedern verspeist wurde, die die Beute selbst nicht getötet hatten. Dabei kam es insgesamt zu 320 Fleischtransfers. Beim Transfer der Beute spielt die Beziehungsqualität eine wichtige Rolle: Je enger zwei Tiere sozial verbunden waren, desto größer war die Chance, Fleisch zu erhalten. Besonders tolerante Übergaben, bei denen Tiere ohne Streit Fleischstücke nahmen („passive sharing“), traten fast ausschließlich innerhalb der eigenen Einheit auf. Weiter oben in der Hierarchie – zwischen verschiedenen Einheiten oder innerhalb der Gang – waren Transfers seltener und weniger tolerant.
„Wir konnten zeigen, dass Guineapaviane Fleisch entlang ihrer sozialen Bindungen weitergeben“, erklärt William J. O’Hearn, Erstautor der Studie. „Diese Form des toleranten Teilens erinnert an das Verhalten menschlicher Jäger- und Sammlergruppen, bei denen Fleisch zunächst innerhalb der Familie verteilt wird und erst danach an entferntere Bekannte oder Nachbarn gelangt.“
Soziale Nähe bestimmt, wer was bekommt
Für ihre Analyse kombinierten die Forschenden direkte Verhaltensbeobachtungen mit statistischen Modellen, um die Stärke der Beziehungen zwischen den Tieren zu berechnen. Dabei zeigte sich, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Stück Fleisch zu bekommen, mit der sozialen Nähe zum „Besitzer“ deutlich stieg.
Interessanterweise teilen Guineapaviane ihr Fleisch nicht aktiv – niemand bietet es anderen an. Stattdessen wird Fleisch meist passiv weitergereicht: Ein Tier isst, lässt die Beute zurück und das nächste, sozial eng verbundene Tier, übernimmt. Diese Beobachtung legt nahe, dass auch bei Pavianen gegenseitiges Vertrauen und soziale Toleranz entscheidende Voraussetzungen für Kooperation sind.
Bedeutung für das Verständnis sozialer Evolution
Die Studie liefert wichtige Hinweise darauf, dass komplexe soziale Strukturen – also Gesellschaften mit mehreren, ineinander verschachtelten Ebenen – ähnliche Auswirkungen auf die Weitergabe von Ressourcen haben können, unabhängig von der Art. „Das deutet darauf hin, dass sich bestimmte soziale Prinzipien bei Menschen und nicht-menschlichen Primaten unabhängig voneinander, aber vergleichbar entwickelt haben könnten“, sagt Julia Fischer, Leiterin der Abteilung Kognitive Ethologie am DPZ.
Originalpublikation:
O’Hearn WJ, Neuman C, Mundry R, Dal Pesco F, Fischer J (2025): Meat transfer patterns reflect the multi-level social system of Guinea baboons. iScience 28(11), 113619, https://doi.org/10.1016/j.isci.2025.113619

24.10.2025, Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin
Alte Mücke, neue Geschichte: Ursprung des „London Underground Mosquito“ liegt im alten Nahen Osten
Ein internationales Forschungskonsortium mit Beteiligung des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM) hat das Geheimnis um den Ursprung einer der ungewöhnlichsten Stadtbewohnerinnen gelüftet: der Mücke Culex pipiens molestus, besser bekannt als „London Underground Mosquito“. Entgegen der langjährigen Annahme, dass sich diese unterirdisch lebende Stechmücke erst vor rund 200 Jahren in Londons U-Bahn entwickelte, zeigen neue genomische Analysen: molestus entstand bereits vor mehr als 1.000 Jahren im Mittelmeerraum oder Nahen Osten, vermutlich im Zusammenhang mit der Sesshaftwerdung früher Agrarkulturen. Die Studie ist im Fachjournal Science erschienen.
Seit Jahrzehnten kursiert die Geschichte der „U-Bahn-Mücke“, die während des Zweiten Weltkriegs in Londons Tunneln aufgetaucht sei. Menschen lagen dort nachts auf Bahnsteigen, um Schutz vor Bombenangriffen zu suchen und wurden gestochen. Forschende nahmen lange an, eine neue Mücke hätte sich innerhalb weniger Generationen an das Leben unter der Erde angepasst. Doch das stimmt nicht. Die neue Studie zeigt: Evolution verläuft langfristiger.
Die untersuchte Mückenform Culex pipiens molestus lebt vor allem in warmen, feuchten, oft unterirdischen Lebensräumen in Städten. Sie paart sich auf engem Raum, bleibt im Winter aktiv und sticht Menschen. Weibchen entwickeln ihre erste Eierladung auch ohne Blutmahlzeit, eine seltene Fähigkeit namens Autogenie. Doch auch wenn sie nicht zum Stechen gezwungen sind, tun sie es dennoch: Für weitere Gelege benötigen sie Blut; der Stichtrieb bleibt also erhalten. Ihre nahe Verwandte, die oberirdische Form Cx. pipiens pipiens, bevorzugt Vögel, benötigt offene Flächen zur Paarung und hält Winterschlaf. Morphologisch lassen sich beide nicht unterscheiden.
Genomdaten und historische Proben widerlegen den Mythos
Das Forschungskonsortium unter der Leitung von Prof. Lindy McBride und Yuki Haba (Princeton University) sequenzierte die Genome von mehr als 800 Stechmücken aus 44 Ländern, darunter auch historische Exemplare aus Londoner Museen. Die umfassende Analyse zeigt: molestus ist nicht im Untergrund entstanden, sondern oberirdisch im Mittelmeerraum. Zudem fanden die Forschenden Hinweise darauf, dass sich diese Mückenform bereits vor über 1.000 Jahren an vom Menschen geprägte Lebensräume anpasste, lange bevor moderne Städte entstanden.
„Am bemerkenswertesten finde ich, dass sich diese Mücken schon vor Tausenden von Jahren oberirdisch in frühen Siedlungen an den Menschen anpassten“, sagt Dr. Mine Altinli vom BNITM, die ebenso wie Dr. Tatiana Sulesco (BNITM) Mückenproben zu der Studie beisteuerte. „Eigenschaften, die vermutlich als Reaktion auf jene frühen Lebensräume entstanden sind, ermöglichen es ihnen heute, in modernen Städten und unterirdischen Räumen zu gedeihen. Diese langfristige Beziehung zu verstehen, ist entscheidend, um die heutigen Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit anzugehen.“
Erkenntnisse für die öffentliche Gesundheit
Die Studie liefert nicht nur eine überraschende Evolutionsgeschichte, sie hat auch aktuelle Relevanz. Cx. pipiens molestus ist ein effizienter Überträger von Viren wie dem West-Nil-Virus. Die Erkenntnis, dass diese Mückenform weit verbreitet und genetisch vielfältig ist, hilft, Übertragungswege besser zu verstehen und liefert Hinweise darauf, wie sich Krankheitsüberträger künftig in städtischen Räumen verhalten könnten.
Originalpublikation:
Yuki Haba et al.: Ancient origin of an urban underground mosquito. Science 23 Oct 2025. Vol 390, Issue 6771
doi.org/10.1126/science.ady4515

24.10.2025, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Leguane auf Clarion Island lebten schon vor der Ankunft des Menschen in Amerika
Ein internationales Team von Forschenden mit Beteiligung des Museums für Naturkunde Berlin, hat eine überraschende Entdeckung gemacht: Die Stachelschwanzleguane (Ctenosaura sp.) auf der mexikanischen Insel Clarion sind keine vom Menschen eingeführte Art, wie bisher angenommen wurde. Genetische Analysen zeigen, dass ihre Vorfahren bereits vor rund 425.000 Jahren – also lange vor der Ankunft des Menschen auf dem amerikanischen Kontinent – die Insel besiedelten. Dies hat signifikante Auswirkungen auf den Schutz der Tiere, die bisher als invasive Art galten und ausgerottet werden sollten.
Clarion Island ist die älteste Insel des Revillagigedo-Archipels im Pazifik, etwa 700 Kilometer vor der Westküste Mexikos. Das Eiland entstand vor etwa fünf Millionen Jahren durch vulkanische Aktivität und war nie mit dem Festland verbunden. Ähnlich wie die Galapagos- oder Hawaii-Inseln beherbergt der Archipel eine einzigartige, endemische Tier- und Pflanzenwelt.
Die neuen genetischen Untersuchungen belegen, dass sich die Clarion-Leguane vor fast einer halben Million Jahren von ihren Verwandten auf dem mexikanischen Festland trennten – weit vor der menschlichen Besiedlung Amerikas, die frühestens vor rund 26.000 Jahren begann. Damit sind die Leguane natürliche Bewohner der Insel und gelangten vermutlich auf Treibholz oder Vegetationsmatten über das Meer.
Diese Erkenntnis hat unmittelbare Auswirkungen auf den Naturschutz: Bisherige Managementpläne sahen die Ausrottung der Leguane vor, da sie als invasive, vom Menschen eingeführte Art galten. Aufgrund der neuen Forschungsergebnisse müssen die Tiere nun als Teil der einheimischen Fauna von Clarion Island betrachtet werden.
Die Geschichte der Insel verdeutlicht, wie stark menschliche Eingriffe Inselökosysteme verändern können. Seit den 1970er Jahren wurden durch die Einführung von Schafen, Schweinen und Kaninchen weite Teile der einst dichten Vegetation zerstört. Erst nach dieser Entwaldung wurden die scheuen Leguane regelmäßig beobachtet – was fälschlicherweise als Hinweis auf ihre Einführung interpretiert wurde.
„Unsere Studie zeigt, wie wichtig genetische und naturhistorische Forschung für den Naturschutz ist“, sagt Daniel G. Mulcahy vom Museum für Naturkunde Berlin. „Nur durch genaue Analysen verstehen wir, welche Arten wirklich zu einem Ökosystem gehören – und wie wir sie effektiv schützen können.“ Die Forschung unterstreicht die Bedeutung evidenzbasierter Strategien für den Schutz sensibler Inselökosysteme und liefert neue Impulse für die Erforschung der Inselbiogeographie und Biodiversität.
Originalpublikation:
Mulcahy DG, Reyes-Velasco J, Vázquez-Arce DI, Cervantes-Pasqualli JA, Martínez-Gómez JE, and K de Queiroz. 2025. Anthropogenic or natural dispersal: Case of the Spiny-tailed Iguanas (Ctenosaura) on Clarion Island, Mexico. Ecology and Evolution, in press. DOI: 10.1002/ece3.72366

23.10.2025, Universität Bern
Studie zeigt Dynamik und Auswirkungen invasiver Arten
Eine internationale Studie unter Leitung der Universität Bern zeigt erstmals, dass biologische Invasionen Ökosysteme nicht auf einheitliche Weise verändern. Einige Auswirkungen, insbesondere der durch invasive Arten verursachte Verlust einheimischer Pflanzenvielfalt, sind anhaltend und verstärken sich mit der Zeit. Andere Auswirkungen, wie etwa Änderungen des Nährstoffgehalts im Boden, klingen mit zunehmender Dauer der Invasionen oft ab. Die Ergebnisse könnten bei der Entscheidung helfen, wann schnell gehandelt werden sollte und wann eine kontinuierliche Überwachung sinnvoller ist.
Biologische Invasionen treten auf, wenn nicht heimische oder exotische Arten neue geografische Regionen besiedeln – oft zum Nachteil der einheimischen Pflanzen und Tiere. Heutzutage trägt der Mensch in erheblichem Masse zu Invasionsprozessen bei, indem er es Arten ermöglicht, grosse Entfernungen zu überbrücken und mit hoher Geschwindigkeit in neue Lebensräume vorzudringen. Daher wird es immer wichtiger, die Auswirkungen von Invasionen auf Ökosysteme besser zu verstehen.
Forschende der Universität Bern, der Universität Konstanz (Deutschland) und der Northeast Forestry University (China) haben nun gezeigt, wie sich die Auswirkungen verschiedener Arten von Invasionen im Laufe der Zeit verändern können. «Die Auswirkungen von Invasionen sind kein ökologisches Rauschen, sie haben einen zeitlichen Fingerabdruck», sagt Prof. Madhav P. Thakur vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern, Erstautor der kürzlich in Science veröffentlichten Studie. «Unsere Analyse zeigt, welche Effekte anhalten, welche sich abschwächen und wie das Alter einer Invasion die Prioritäten im Handeln bestimmen sollte».
Eine globale Synthese
Um über einfache Fallstudien hinauszugehen, führte das Team eine erstmalige globale Metaanalyse durch, die Pflanzen, Tiere, Mikroben und 15 Ökosystemeigenschaften umfasst. Die Analyse fasst 2’223 Ergebnisse aus 775 Studien zusammen, die terrestrische Ökosysteme weltweit einschliessen. Sie zeigt auf, wie ökologische Zusammenhänge – Aufenthaltsdauer von Eindringlingen, einheimische und nicht einheimische Vielfalt, Breitengrad und Artenmerkmale – die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt sowie wichtige Ökosystemprozesse, einschliesslich von Treibhausgasemissionen, beeinflussen.
Das deutlichste Muster, das die Forschenden feststellten: Invasive Pflanzen verringern die Vielfalt der einheimischen Pflanzen, und dieser Verlust nimmt mit der Aufenthaltsdauer invasiver Arten zu. Im Gegensatz dazu schwächen sich verschiedene abiotische Auswirkungen – wie Veränderungen des organischen Kohlenstoffs und des Gesamtstickstoffs im Boden – oft nach etwa 6-10 Jahren ab. Die Synthese deutet auch darauf hin, dass invasive Pflanzen und Tiere oft mit höheren Bodenemissionen von Treibhausgasen (CO₂, N₂O und bei Pflanzen auch CH₄) verbunden sind, aber diese Erkenntnisse sind noch vorläufig. Die Forschenden fordern daher weitere langfristige Untersuchungen dazu, wie biologische Invasionen Emissionen verändern. «Wenn zukünftige Studien bestätigen, dass biologische Invasionen mit einer erhöhten Treibhausgasproduktion verbunden sind, könnte die Abwehr invasiver Arten uns im Kampf gegen den Klimawandel helfen», erklärt Prof. Mark van Kleunen von der Universität Konstanz.
Ergebnisse, die herkömliche Annahmen in Frage stellen
Mehrere Ergebnisse der Metaanalyse hinterfragen gängige Meinungen. So konnte beispielsweise entgegen der weit verbreiteten Annahme «biotischer Resistenz» ein hoher Reichtum an einheimischen Pflanzen oder Tieren die Auswirkungen von invasiven Arten auf Ökosystemebene nicht durchgängig einschränken. Ebenso konnten Merkmale, die gemeinhin mit invasiven Pflanzen in Verbindung gebracht werden (z. B. die Blattdicke), weder das Ausmass noch die Richtung der Veränderungen im Ökosystem als Reaktion auf eine Invasion vorhersagen. Auch der Breitengrad zeigte wenig konsistente Signale.
«Diese Studie schliesst eine grosse Lücke zwischen der Vorhersage des Erfolgs einer Invasion und der Vorhersage ihrer Auswirkungen», erklärt Thakur. «Wir haben die wichtigsten Ideen verglichen und festgestellt, dass die Verweildauer einer invasiven Art die klassischen Prädiktoren wie den Breitengrad oder einfache Stellvertretereigenschaften übertrifft, wenn es darum geht, reale Ökosystemveränderungen zu erklären.» Die Analyse der Forschenden setzt somit einen neuen Massstab und könnte der weltweiten Forschungsgemeinschaft, die die Auswirkungen biologischer Invasionen untersucht, als Bezugspunkt dienen. «Das Institut für Ökologie und Evolution und das Institut für Pflanzenwissenschaften verfügen beide über langjährige Erfahrung in der Biodiversitäts- und Invasionsforschung, was eine starke Grundlage für dieses Projekt bereitstellte und es der Universität Bern ermöglicht, eine führende Rolle in der Invasionsbiologie einzunehmen», so Thakur.
Was die Resultate für Vielfalt und Klimaschutz bedeuten
Die Botschaft der Studie für Naturschutz und Politik ist pragmatisch: «Handeln Sie frühzeitig, um invasive Pflanzen zu verhindern oder zu entfernen, wenn die einheimische Vielfalt gefährdet ist – Artenverluste häufen sich mit der Zeit an», sagt Thakur. Bei abiotischen Bodenveränderungen, die sich tendenziell abschwächen, sollte man eher auf eine adaptive Überwachung und gezielte Massnahmen setzen als auf pauschale Eingriffe. «Umweltmanagerinnen und -manager sollten nicht davon ausgehen, dass vielfältige Lebensräume oder resiliente Merkmale das Funktionieren von Ökosystemen sichern, sobald sich Invasionen durchsetzen», fügt Prof. Xuhui Zhou von der Northeast Forestry University hinzu. «Unsere Ergebnisse unterstreichen, dass es wichtig ist, zu untersuchen, welche invasiven Arten bereits wie lange präsent sind und welche Ökosystemeigenschaften am empfindlichsten auf sie reagieren.»
Da die Evidenz für Tiere und Mikroorganismen, insbesondere ausserhalb des globalen Nordens, nach wie vor spärlich sind, fordern die Forschenden langfristige Experimente und eine breitere geografische Abdeckung. Die Beseitigung dieser blinden Flecken ist entscheidend für den Aufbau einer global relevanten Invasionswissenschaft: «Zeit ist die unterschätzte Achse der Auswirkungen von Invasionen», schliesst Thakur. «Wir müssen die einheimische Vielfalt frühzeitig schützen und auf Bodenveränderungen achten, die sich mit der Zeit stabilisieren können. Wenn wir dieses Tempo erkennen, kann die Invasionspolitik strategischer – und effektiver – werden.»
Originalpublikation:
Thakur, M. P., Gu, Z., van Kleunen, M. & Zhou, X. (2025). Invasion impacts in terrestrial ecosystems: global patterns and predictors. Science.
DOI: 10.1126/science.adq3101

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