30.08.2025, Deutsche Wildtier Stiftung
Ein Jahr Botschaft der Wildtiere
Hamburgs wildeste Erlebniswelt feiert Geburtstag
Vor einem Jahr öffnete die Botschaft der Wildtiere in der Hamburger HafenCity ihre Türen für die ersten Gäste. Als ständige Vertretung der heimischen Tierwelt sorgt sie seitdem regelmäßig für großes Staunen und strahlende Kinderaugen. Heute blickt die Deutsche Wildtier Stiftung, die hinter der Botschaft der Wildtiere steht, auf ein erfolgreiches Jahr zurück.
„Wir hatten viele wunderbare Momente. Vor allem die durchweg positiven Reaktionen der Besucher unserer Ausstellung haben uns tagtäglich bestätigt, dass wir hier etwas richtig machen und dass die Botschaft der Wildtiere mittlerweile ein wertvoller Bestandteil der Hamburger Kultur- und Bildungslandschaft ist“, sagt Ivo Bozic, Leiter Naturbildung bei der Deutschen Wildtier Stiftung.
Die Botschaft der Wildtiere beherbergt eine 2.200 Quadratmeter große Dauerausstellung, eine Lernwerkstatt für Vor- und Grundschulklassen sowie Deutschlands einziges Naturfilmkino.
Rund 3.500 Kinder aus 163 Schulklassen haben seit der Eröffnung in der Lernwerkstatt zu verschiedenen Naturthemen geforscht und die Ausstellung erkundet. Bis zum Ende des Jahres ist das Angebot bereits ausgebucht. Und auch die Nachfrage nach den Kindergeburtstags-Programmen am Nachmittag wächst.
Im Februar fand im Kino die feierliche Gala zur Verleihung der ersten European Wildlife Film Awards statt. Seitdem ist jede Woche am Naturfilm-Mittwoch einer der 50 Filme zu sehen, die für diesen höchstdotierten europäischen Naturfilmpreis eingereicht wurden. Häufig sind die Filmemacher selbst zu Gast, um von ihrer Arbeit zu berichten und Fragen aus dem Publikum zu beantworten.
Die Zuschauer können die Dokumentationen bewerten und so über den Publikumspreis mitentscheiden. Er wurde vom NDR ausgelobt und wird bei der nächsten Preisverleihung am 7. Februar 2026 dem Sieger überreicht. „Es freut uns, dass das Kino der Wildtiere so großen Zuspruch erfährt und unter den Zuschauern schon einige Stammgäste sind“, so Bozic.
Und nicht zuletzt ist die Erlebniswelt Botschaft der Wildtiere auch ein beliebter Veranstaltungsort. Ob „Langer Tag der StadtNatur“, „Nature Writing Festival“, „elbsommer“, „SchulKinoWochen“ oder verschiedene Lesungen – in der Botschaft der Wildtiere ist immer etwas los.
02.09.2025, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Die älteste Insektenplage der Erdgeschichte
Forschende unter Beteiligung des Museums für Naturkunde Berlin hat an Pflanzenfossilien die ältesten Fraßgänge von Insektenlarven im Inneren von Blättern, auch Blattminen genannt, mit dazugehörigen Eiablagen beschrieben. Spektakulär ist die Häufigkeit des Befalls der fossilen Pflanzen mit Blattminen, was als älteste Insektenplage der Erdgeschichte bezeichnet werden kann. Die Funde, die sich u.a. in der Sammlung des Berliner Naturkundemuseums befinden zeigen, dass dieses hoch spezialisierte Verhalten von Insektenlarven bereits vor 295 Mio. Jahren existierte und damit rund 40 Mio. Jahre früher als bisher angenommen. Dies unterstreicht einmal mehr die Relevanz naturkundlicher Sammlungen.
Ob Landwirt, Gärtner oder Spaziergänger – jedem sind wahrscheinlich schon einmal die verschlungenen Fraßgänge von Insektenlarven im Inneren von Blättern aufgefallen, die auch als Blattminen bekannt sind. Ein Leben inmitten pflanzlichen Gewebes hat viele Vorteile: Gut geschützt vor Feinden, Austrocknung und störenden Umwelteinflüssen steht den Larven wie der „Made im Speck“ ein fast unerschöpflicher Nahrungsvorrat zur Verfügung.
Blattminen werden heutzutage ausschließlich von Insekten wie Käfern, Zweiflüglern, Wespen und Schmetterlingen erzeugt, die eine vollständige Umwandlung (Metamorphose) durchlaufen und daher als holometabole Insekten bezeichnet werden. Sie sind sehr anpassungsfähig und entwickelten im Laufe der Evolution schlanke, madenartige Larven ohne Körperanhänge, die optimal an ein Leben im Inneren pflanzlicher Gewebe angepasst sind. Bislang war unklar, wann diese Erfolgsstrategie bei den Insekten entstand. Die bisher ältesten sicheren Nachweise von Blattminen stammten aus der Trias, dem frühen Erdmittelalter vor etwa 250-200 Millionen Jahren.
Ein Team von Forschenden der Naturkundemuseen Chemnitz, Berlin, Münster und Osnabrück, der TU Bergakademie Freiberg und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg konnte nun mit Hilfe modernster Untersuchungsmethoden nachweisen, dass es Blattminen schon mehr als 40 Millionen Jahre früher gab als bislang angenommen. Dafür standen den Forschenden die reichhaltigen paläobotanischen Sammlungen der Naturkundemuseen Berlin, Schleusingen und der Bergakademie Freiberg zur Verfügung, die sich als wahre Schatzkammern für die Wissenschaft erwiesen.
In diesen Sammlungen befanden sich zahlreiche außergewöhnlich gut erhaltene Exemplare der fraglichen Fraßspuren Asteronomus maeandriformis an Blättchen des Farnsamers Autunia conferta, die aus ca. 295 Millionen Jahre alten Ablagerungen des ehemaligen Steinkohlenreviers in Crock in Thüringen stammen. Die perfekt erhaltenen pflanzlichen Fossilien aus dem Erdzeitalter des Perms ließen zweifelsfrei den Schluss zu, dass Insektenlarven die Fraßgänge geschützt im Inneren der Blätter erzeugten. Darüber hinaus gelang es, die zu den Fraßgängen gehörenden Eiablagen zu identifizieren, die in einigen Fällen sogar noch Reste von Insekteneiern enthielten.
„Spektakulär ist die Häufigkeit dieser Fossilien: insgesamt waren mehr als 80 % aller fossilen Autunia-Pflanzen aus Crock einem Befall mit Blattminen ausgesetzt, was zu Recht als älteste Insektenplage der Erdgeschichte bezeichnet werden kann“, so Ludwig Luthardt, Paläobotaniker am Museum für Naturkunde Berlin. „Warum genau die Autunia-Pflanzen der Lokalität Crock massenhaft befallen wurden, bleibt weitgehend rätselhaft. Jedoch trat das Phänomen zu einer Zeit globalen Wandels auf, in dessen Zuge die tropischen Landökosysteme schrittweise trockener wurden. Das zeigt, wie wichtig ein Blick in die Vergangenheit in Zeiten des aktuellen globalen Klimawandels ist.“
Originalpublikation:
Laaß, M., Luthardt, L., Trümper, S., Leipner, A., Hauschke, N. & Rößler, R. 2025: Host-specific leaf-mining behaviour of holometabolous insect larvae in the early Permian. Scientific reports 15: 31241. https://doi.org/10.1038/s41598-025-15413-x
03.09.2025, Universität Konstanz
Wie Bienen den Himmel entschlüsseln
Bienen nutzen den Stand der Sonne am Himmel zur Orientierung – selbst dann, wenn sie von Wolken verdeckt wird. Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung Konstanzer Forschender hat nun herausgefunden, wie ein spezieller Bereich im Auge sie dabei unterstützt.
Die Suche nach Nektar kann eine Honigbiene auf ihr unbekannten Routen kilometerweit von ihrem Stock wegführen – und doch findet sie immer den Weg zurück. Der Stand der Sonne dient ihr dabei sogar dann als eine Art Kompass, wenn die direkte Sicht durch Wolken oder andere Objekte verhindert ist. Diese Fähigkeit verdanken die Bienen dem speziellen Aufbau ihrer Facettenaugen, mit denen sie Muster aus polarisiertem Licht am Himmel analysieren, die dem menschlichen Auge verborgen bleiben.
Ein Forschungsteam der Universität Konstanz und der Universität Ljubljana hat nun herausgefunden, wie das Bienenauge dies ermöglicht. Dazu untersuchten sie in ihrer aktuellen Studie, veröffentlicht in Biology Letters of the Royal Society Publishing, wie einige lichtempfindliche Zellen im Auge der Bienen miteinander verknüpft sind. Sie entdeckten in dem gen Himmel gerichteten Bereich des Bienenauges, dass ein Signal, das eine Zelle aufnahm, auch in anderen registriert wurden. Diese unerwartete Verbindung erzeugt ein weniger detailliertes, aber genaueres Bild des polarisierten Lichts am Himmel.
Eine Facette unter vielen
Im Gegensatz zum menschlichen Auge, bei dem eine einzelne Linse das Licht aus der Umgebung auf unsere Sehzellen bündelt, ist das Auge der Bienen aus tausenden kleinen Einzelaugen oder „Facetten“ zusammengesetzt, von denen jedes seine eigene Linse hat. Diese Art von Auge wird daher auch als Komplex- oder Facettenauge bezeichnet. Die Facettenaugen der Biene weisen dabei zwei unterschiedliche Areale auf. „Der Großteil der Facetten erzeugt zusammen ein scharfes Bild der Umgebung. Im oberen Bereich des Auges gibt es jedoch eine Gruppe von Facetten, die anders funktionieren und für die Erfassung des polarisierten Himmelslichts zuständig sind. Die haben wir uns genauer angesehen“, sagt Georgios Kolyfetis. Er ist Doktorand in der Arbeitsgruppe des Biologen James Foster am Fachbereich Biologie der Universität Konstanz und Co-Autor der Studie.
„Jede dieser lichtempfindlichen oberen Facetten ist weniger sensibel als die im Rest des Auges. So wird die Biene nicht geblendet, wenn sie mit diesem Teil ihres Auges permanent in den Tageshimmel schaut“, erklärt er weiter. Was zunächst sinnvoll erscheint, hat jedoch seinen Preis: Die verringerte Empfindlichkeit dieser Facetten verhindert zugleich die Wahrnehmung von kleineren Veränderungen am Himmel. „Während der Rest der Welt schärfer wiedergegeben wird, sieht der Himmel für eine Biene eher wie ein Aquarellbild aus, in dem benachbarte Pinselstriche einfach ineinander übergehen und Details verschwinden“, erklärt Studienleiter James Foster das Phänomen. „Gerade dadurch ist dieser Bereich des Auges jedoch besonders gut darin, großflächige Polarisationsmuster am Himmel wahrzunehmen.“
Gemeinsamer Einsatz für ein ganzes Bild
Um das zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Funktionsweise des menschlichen Auges. Beim Betrachten der Umgebung fängt es einzelne Bildpunkte ein und baut daraus ein Gesamtbild zusammen. Bei schlechten Lichtverhältnissen oder nachts gelingt diese exakte Wahrnehmung nicht mehr. Das Auge gleicht das aus, indem es benachbarte Bildpunkte zusammenfasst. Zugunsten der Verstärkung des Lichtsignals gehen dabei Details verloren. Wissenschaftler*innen sprechen bei dieser Art der Verschaltung benachbarter Bereiche von „räumlicher Summation“. Wie die aktuelle Studie zeigt, arbeitet die oberen Facettengruppe der Bienenaugen derartig zusammen – nur eben dauerhaft statt nachts.
Ganz gleich ist die Funktion jedoch nicht. „Bei den Augen von Säugetieren oder dem Menschen fassen Nervenzellen die Signale von mehreren Lichtrezeptoren zusammen und leiten dieses Gesamtsignal dann an das Gehirn weiter. Bei Bienen hingegen sind einige der Lichtzellen direkt miteinander verbunden“, erklärt Gregor Belušič, Neurobiologe an der Universität Ljubljana und Co-Autor der Studie. „Jede einzelne Facette reagiert also auch auf das, was ihre Nachbarn sehen.“
Nur das sehen, was wichtig ist
Doch wozu das Ganze? Das unscharfe Abbild der Umgebung über ihnen könnte dazu dienen, Unwichtiges auszublenden und sich nur auf das große Ganze zu konzentrieren. „Eine Biene registriert und analysiert das Polarisationsmuster des Lichts am Himmel und schlussfolgert daraus den Stand der Sonne. Danach richtet sie dann wiederum ihren inneren Kompass aus. Störfaktoren wie Wolken oder immer wechselnde Äste über ihnen werden dabei schlicht nicht wahrgenommen“, fasst Kolyfetis zusammen.
Die Entdeckung dieser Funktionsweise von Bienenaugen ist nicht nur biologisch interessant, sondern könnte auch der Weiterentwicklung moderner Technologien dienen. „Denkbar wäre beispielsweise eine Übertragung dieser Strategie auf die Navigation autonomer Fahrweisen. Kameras könnten als eine Art Himmelskompass dienen, wenn GPS- und Magnetsignale unzuverlässig sind oder ausfallen“, nennt Foster eine Möglichkeit. Da Bienen diese Leistung mit einer kleinen Gruppe von Facetten vollbringen, könnten „künstliche Bienenaugen” eine preiswerte Ergänzung zu autonomen Navigationssystemen sein.
Originalpublikation: George E. Kolyfetis, Gregor Belušič, James J. Foster: „Electrophysiological recordings reveal photoreceptor coupling in the dorsal rim areas of honeybee and bumblebee eyes” (2025), Biol. Lett. 21: 20250234; DOI: 10.1098/rsbl.2025.0234
04.09.2025, Veterinärmedizinische Universität Wien
Römische Pferdezucht nördlich der Alpen: Neue Erkenntnisse aus Archäologie und Genetik
Mag. rer. nat. Nina Grötschl Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation
Eine Forschungsgruppe unter Federführung von Elmira Mohandesan vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni und unterstützt durch den FWF sowie die DFG, hat bahnbrechende Erkenntnisse über die Pferdezucht und Nutzung von Equiden (Pferden und Maultieren) in der Römerzeit nördlich der Alpen gewonnen. Die Studie basiert auf mehr als 400 archäologischen Funden und integriert modernste genetische Analysen mit historischen und archäologischen Belegen. Die Studie beleuchtet, wie die Römer Pferde und Maultiere für militärische, wirtschaftliche und zivile Zwecke nutzten und welche Auswirkungen dies auf die lokale Bevölkerung und Tierhaltung hatte.
Größere Pferde, neue Praktiken
Die römische Eroberung des nördlichen Alpenvorlands im Jahr 15 v. Chr. markierte einen Wendepunkt in der Geschichte der Region. Neben politischen und kulturellen Veränderungen brachten die Römer auch neue Tierarten und Zuchtstrategien mit. Die Wissenschafter:innen analysierten morphologische Proben von über 40 Pferden aus der späten Eisen- und Römerzeit. Dabei stellten sie fest, dass die römischen Pferde im Durchschnitt deutlich größer waren als ihre eisenzeitlichen Vorgänger. Historische Quellen berichten, dass die Römer die kleinen Pferde der lokalen germanischen Stämme als ungeeignet für den Einsatz in der Kavallerie betrachteten und daher größere Tiere importierten. Interessanterweise konnte die Studie keine genetische Grundlage für die größere Statur der römischen Pferde identifizieren. Dies deutet darauf hin, dass andere Faktoren wie verbesserte Ernährung, Haltung oder gezielte Zuchtpraktiken eine Rolle gespielt haben könnten. „Die Römer importierten nicht nur Tiere, sondern brachten auch ihr Fachwissen in den Bereichen Zucht und Tierhaltung mit“, erklärt Studienleiterin Elmira Mohandesan vom KLIVV der Vetmeduni.
Genetische Vielfalt durch Import
Die Daten zeigen, dass die Römer Pferde aus ihrem gesamten Reich einführten, aus Regionen so weit entfernt wie Hispanien, Britannien und Thrakien. Dieser Zustrom förderte die genetische Vielfalt in der Alpenregion. Historische Texte und genetische Beweise bestätigen auch eine klare Unterscheidung in der Verwendung: männliche Pferde wurden in erster Linie für militärische Zwecke eingesetzt, während weibliche Pferde zivile Aufgaben wie Zucht und Transport übernahmen.
Maultiere: Unverzichtbar, aber nicht heimisch
Maultiere – die robusten Nachkommen von Pferden und Eseln – waren für die römische Logistik unverzichtbar, da sie Güter und militärische Vorräte transportierten. Die Studie fand jedoch keine Hinweise auf eine lokale Maultierzucht nördlich der Alpen. Stattdessen wurden Maultiere wahrscheinlich aus spezialisierten Zuchtzentren in Provinzen wie Gallia Belgica oder südlich in Italien importiert. „Dies unterstreicht den Umfang und die Effizienz des römischen Handels- und Logistiknetzwerks“, merkt Mohandesan an.
Ein Vermächtnis des kulturellen und technologischen Austauschs
Die Studienergebnisse verdeutlichen, wie tiefgreifend der Einfluss der Römer auf die Tierhaltung und -zucht in den eroberten Gebieten war. Die römische Armee brachte nicht nur neue Pferderassen in die Region, sondern auch fortschrittliche Zuchtmethoden und Kenntnisse der Tierhaltung. Dies führte zu dauerhaften Veränderungen in der lokalen Landwirtschaft und Infrastruktur. „Die Römerzeit war eine Ära des kulturellen und technologischen Austauschs, in der Tiere eine zentrale Rolle spielten. Durch die Kombination moderner Genetik mit Archäologie können wir diese Geschichten zum Leben erwecken und besser verstehen, wie Menschen und Tiere sich gegenseitig geprägt haben,“ sagt Mohandesan.
Originalpublikation:
Der Artikel “Late Iron Age and Roman equine breeding north of the Alps: Genetic insights and cultural implications” von Muhammad Bilal Sharif, Azadeh Fatemeh Mohaseb, Ludovic Orlando, Konstantina Saliari, Günther Karl Kunst, Sigrid Czeika, Marjan Mashkour, Thomas Cucchi, Joris Peters, Simon Trixl und Elmira Mohandesan wurde in iScience veröffentlicht.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2589004225014853?via%3Dihub
04.09.2025, Deutsche Wildtier Stiftung
Deutschland sucht Igel und Maulwurf
Deutsche Wildtier Stiftung ruft zu Meldeaktion auf
Eine Autofahrt in der Dämmerung, ein Stachelträger auf Futtersuche – ein abrupt beendetes Wildtierleben. Gegen den Straßenverkehr haben Igel meist keine Chance. Um ihnen zu helfen, braucht es mehr Erkenntnisse darüber, an welchen Stellen die nachtaktiven Gartenbewohner dem Verkehr besonders häufig zum Opfer fallen. Im Rahmen der bundesweiten Aktion „Deutschland sucht Igel und Maulwurf“ ruft die Deutsche Wildtier Stiftung gezielt dazu auf, auch Sichtungen von überfahrenen Tieren zu melden. Der Aktionszeitraum ist vom 19. bis zum 29. September 2025.
„Je mehr Sichtungen – auch traurige – uns gemeldet werden, desto besser können wir verstehen, unter welchen Bedingungen im urbanen oder ländlichen Raum Igel besonders häufig Opfer des Straßenverkehrs werden“, sagt Lea-Carina Hinrichs, Artenschützerin bei der Deutschen Wildtier Stiftung. Die gemeldeten Daten fließen in eine wissenschaftliche Studie des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung ein, die sich unter anderem mit der Frage beschäftigt, welche Faktoren Kollisionen begünstigen, zum Beispiel die Breite der Straße oder die Nähe zu Grünflächen. Die Leiter der Studie erhoffen sich außerdem Rückschlüsse darauf, ob Tempo-30-Zonen besonders sicher sind, weil der Bremsweg des Autos kürzer ist, oder ob dort das Risiko besonders hoch ist, weil diese Zonen oft in der Nähe zu urbanen Gärten liegen. „Ob lebend oder tot – jede Meldung hilft uns, mehr über das Vorkommen der Tiere und die Risiken für sie zu erfahren“, so Hinrichs.
Auch der Maulwurf wird wieder gesucht, denn bei ihm ist die Datengrundlage noch schlechter als beim Igel. Die Tiere sind selten zu sehen, doch ihre Erdhügel verraten ihre Anwesenheit. Die Auswertung der diesjährigen Frühjahrszählung ergab eine Anzahl von 930 Maulwürfen und 4.700 Igeln.
Unter Igelsuche.de kann jeder, der das Projekt unterstützen möchte, seine Beobachtungen mit Datum und Fundort eintragen, ein Foto hinzufügen und Hinweise zum Fund dokumentieren.
„Deutschland sucht Igel und Maulwurf“ ist ein gemeinsames Projekt der Deutschen Wildtier Stiftung, der NABU|naturgucker, des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung, der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e. V., des NABU Bundesverbands und des Landesbunds für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV). Ziel ist, ein langfristiges Monitoring zu Verbreitung und Vorkommen von Igel und Maulwurf in Deutschland zu etablieren. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse erlauben zukünftig eine Bewertung der Bestandssituation von Igel und Maulwurf. Darauf aufbauend können gezielte Artenschutzmaßnahmen initiiert werden.
05.09.2025, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)
Entstehung von Arten: Tropische Riffbarsche geben Forschenden Rätsel auf
In einer neuen Studie in der Fachzeitschrift Science Advances stellt ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) klassische Vorstellungen darüber in Frage, wie neue Tierarten entstehen. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen Hamletbarsche – farbenprächtige Rifffische aus der Karibik. An der Studie waren neben dem ZMT auch Forschende der Universität Oldenburg, des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt und des Smithsonian Tropical Research Institute (STRI) in Panama beteiligt. Wissenschaftler:innen aus Kolumbien, Mexiko, den USA und Großbritannien trugen ebenfalls zu der Veröffentlichung bei.
Schon Charles Darwin erkannte in seinem Werk Über die Entstehung der Arten aus dem Jahr 1859, dass sich durch den Prozess der natürlichen Selektion nicht nur neue Arten bilden können, sondern sich auch ein Netz gemeinsamer Abstammung ergibt. Spaltet sich eine Art in zwei neue auf, entwickeln diese im Laufe der Zeit Unterschiede, tragen jedoch weiterhin Merkmale ihrer Vorfahren in sich.
Auf diese Weise verzweigen sich die Abstammungslinien immer weiter, ähnlich wie Äste eines Baumes. So entstehen Gruppen von Organismen, die evolutionär näher miteinander verwandt sind als mit anderen Organismen. Diese Verwandtschaftsverhältnisse lassen sich in Form eines Stammbaums darstellen, der zeigt, wie Arten durch gemeinsame Vorfahren miteinander verbunden sind.
Heute werden vor allem genetische Unterschiede genutzt, um solche Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Organismen zu untersuchen und Stammbäume zu erstellen. Doch bei den 19 bekannten Arten der Hamletbarsche (Hypoplectrus spp.) zeigte sich etwas Unerwartetes: Trotz ihrer auffälligen Farbunterschiede und ihrer starken Präferenz, sich mit Angehörigen der eigenen Art zu paaren, lässt sich ihr Stammbaum genetisch kaum rekonstruieren.
„Die meisten Studien, die erklären, wie sich verschiedene Arten innerhalb einer Gruppe entwickeln, beginnen mit einem Stammbaum, der auf genetischen Unterschieden zwischen den Arten basiert“, so Oscar Puebla, Evolutionsforscher und Fischökologe am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen. „Aber in diesem Fall gibt es unter allen 19 Hamlet-Arten nur eine einzige genetische Aufspaltung, die klar zwischen den Arten verläuft.“
„Wir haben die gesamten Genome von 335 Fischen sequenziert und stellten zu unserer Überraschung fest, dass kein einziges Gen es uns erlaubte, einen Stammbaum für diese Gruppe zu rekonstruieren“, ergänzt Martin Helmkampf, Senior Scientist am ZMT und einer der Hauptautoren der Publikation. „Die genetischen Unterschiede zwischen den Arten sind so gering, dass selbst Vergleiche des gesamten Genoms dazu nicht ausreichen. Das stellt die gängige Auffassung infrage, was Arten sind und wie sie entstehen.“
+++ Neue Perspektiven auf Artbildung und Biodiversität +++
Auf Grundlage von Gendaten identifizierten die Wissenschaftler:innen nur ein einziges Gen, das offenbar mit den Artunterschieden zusammenhängt. Dieses Gen namens casz1 ist in den Zellen der Haut, der Augen und des Gehirns der Hamletbarsche aktiv und ist vermutlich beteiligt an der Bildung und Wahrnehmung von Farbmustern, die bei der Partnerwahl eine Rolle spielen.
Doch selbst dieses Gen erlaubte es den Forschenden nicht, einen Stammbaum der Gruppe zu rekonstruieren. „Wahrscheinlich liegt das daran, dass die Artunterschiede durch viele Gene gemeinsam und in verschiedenen Kombinationen beeinflusst werden und es somit in manchen Fällen unmöglich ist, einen Stammbaum zu rekonstruieren, der alle Arten voneinander unterscheidet“, erklärt die ehemalige ZMT-Forscherin und weitere Hauptautorin Floriane Coulmance.
Co-Autorin Iliana Bista vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt ergänzt: „Der einzigartige Fall der Hamletbarsche unterstreicht, wie wichtig es ist, umfangreiche und vollständige Genomdatensätze zu sammeln, um die Evolution von Organismen mit außergewöhnlichen Evolutionswegen vollständig zu charakterisieren. Ohne diese Daten wären wir nicht in der Lage, das Gesamtbild zu erkennen.“
Oscar Puebla fasst zusammen: „Die Ergebnisse der Studie stellen die Auffassung in Frage, dass Artbildung immer deutliche genetische Spuren hinterlässt und sich wie in einem Stammbaum durch einfache Aufspaltungsprozesse vollzieht. Stattdessen können sich neue Arten sehr schnell und durch Veränderungen in nur einer Handvoll wichtiger Gene herausbilden. Dies ist ein bemerkenswertes Zeugnis dafür, wie Evolution funktioniert und Artenvielfalt auf unserem Planeten entsteht.”
Originalpublikation:
Helmkampf M, Coulmance F, Heckwolf MJ, Acero A, Balard A, Bista I, Dominguez O, Frandsen PB, Torres-Oliva M, Santaquieteria A, Tavera J, Victor BC, Robertson DR, Betancur-R R, McMillan WO, Puebla O. 2025. Radiation with reproductive isolation in the near absence of phylogenetic signal. Science Advances, 11, eadt0973, DOI: https://doi.org/10.1126/sciadv.adt0973.