Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

05.05.2025, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Kürzere und wärmere Winter könnten Überwinterungsgebiete von Fledermäusen in Europa vergrößern
Ein Forschungsteam untersuchte, wie der Energieverbrauch der Fledermausart Großer Abendsegler von der Temperatur beeinflusst wird, und erstellte ein Modell, mit dem sich vorhersagen lässt, in welchen geographischen Breiten sie den Winterschlaf überleben und wie sich ihre Überwinterungsgebiete im Laufe der Zeit verändern könnten. Es zeichnet die Verschiebung der Überwinterungsgebiete in den letzten 50 Jahren exakt nach und sagt eine weitere Ausdehnung nach Nordosten um bis zu 14 Prozent des derzeitigen Verbreitungsgebiets bis zum Jahr 2100 voraus – bedingt durch kürzere und wärmere Winter in Europa.
Die Umgebungstemperatur hat einen großen Einfluss auf die Physiologie und das Verhalten vieler Wildtierarten. Wo diese für einen effektiven Winterschlaf auf niedrige Temperaturen angewiesen sind, könnte die globale Erwärmung ihr Überleben beeinträchtigen. Die neue Studie wurde am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) von einem wissenschaftlichen Team der Abteilungen für Evolutionäre Ökologie und Evolutionsgenetik durchgeführt. Die Erstautorin Dr. Kseniia Kravchenko ist jetzt Postdoktorandin an der Universität Luxemburg und die Seniorautorin Dr. Shannon Currie ist jetzt Dozentin an der Universität Melbourne. Die Arbeit wurde in der Fachzeitschrift „Ecology Letters“ veröffentlicht.
Der Energieverbrauch von Wildtieren ist eng mit der Umgebungstemperatur verknüpft. Wenn die Bedingungen ungünstig werden, können viele Säugetiere wie Fledermäuse Winterschlaf halten, um Energie zu sparen. „Winterschläfer werden in biophysikalischen Modellen oft übersehen, weil sie während des Winterschlafs zwischen zwei physiologischen Zuständen wechseln, was die Modellierung erschwert“, erklärt Shannon Currie. „Es ist also noch unklar, wie sich der Klimawandel auf diese Arten auswirken wird“.
Um zu untersuchen, wie sich der Klimawandel auf diesen wichtigen evolutionären Mechanismus auswirken könnte, führten Kseniia Kravchenko und ihre Kolleg:innen zwei Experimente durch: „Wir untersuchten, wie viel Zeit die etwa 30 Gramm schweren Großen Abendsegler bei verschiedenen Umgebungstemperaturen im Torpor – dem physiologischen Zustand, in dem sich die Tiere während des Winterschlafs befinden – verbrachten. Um den Torpor festzustellen, maßen wir die Hauttemperatur, denn die Tiere senken ihre Körpertemperatur, um Energie zu sparen“, erklärt Kravchenko. In einem zweiten Experiment maßen die Forschenden die CO2-Produktion als Indikator für den Energieverbrauch der Fledermäuse bei unterschiedlichen Umgebungstemperaturen.
Modelle zeichnen historische Verschiebung der Überwinterungsgebiete exakt nach
Die Ergebnisse der Experimente kombinierte das Team mit Prognosen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung für die tägliche Temperatur in verschiedenen Szenarien des Klimawandels. Auf diese Weise konnten sie das Energiebudget, das zum Überleben des Winters erforderlich ist, für mehr als 12.000 Standorte in ganz Europa berechnen. Sie verglichen die Energiebudgets auf der Grundlage historischer Daten (1901-2019) und mittels Prognosen für die Zukunft (2019-2100) in vier verschiedenen Klimawandel-Szenarien. „Unsere Berechnungen für aktuelle Temperaturdaten ergaben ein Überwinterungsgebiet, das der tatsächlichen räumlichen Verteilung dieser Gebiete sehr nahekommt. Das war beruhigend, denn unsere Modellierung erwies sich damit als sehr exakt, nur auf der Grundlage der Umgebungstemperatur und physiologischer Parameter. Wir waren auch deshalb zufrieden, weil es nach all den experimentellen Arbeiten und dem Programmieraufwand zeigte, dass unser Ansatz tatsächlich funktioniert“, sagt Dr. Alexandre Courtiol, Wissenschaftler und Modellierungsexperte am Leibniz-IZW. „Weitere Berechnungen ergaben, dass sich das Überwinterungsgebiet zwischen 1901 und 2018 in den Nordosten Europas verschob und damit um 6,3 Prozent seiner ursprünglichen Größe vergrößerte.“
Überwinterungsgebiete werden sich voraussichtlich weiter nach Norden und Osten verlagern und ausdehnen
Die Eingabe von verschiedenen Projektionen zukünftiger Klimaszenarien in das Modell zeigt, dass sich sowohl die südliche als auch die nördliche Grenze des potenziellen Überwinterungsgebiets weiter nach Norden verschieben könnte – die südliche Grenze sogar noch stärker als die nördliche. Seit 1901 haben sich die geeigneten Überwinterungsgebiete bereits um 260 Kilometer nach Norden verschoben. „Die derzeitige Ausbreitung nach Nordosten wird sich im Durchschnitt der Modelle um etwa 80 Kilometer fortsetzen, wodurch sich das potenzielle Überwinterungsgebiet zwischen 2019 und 2099 je nach Klimawandelszenario um 5,8 bis 14,2 Prozent vergrößern wird“, so die Forschenden. Im weitreichendsten Szenario des Klimawandels – bei dem mit einem Anstieg der Emissionen, einem Anstieg der Wintertemperaturen um 2,35 °C und einer Verkürzung der durchschnittlichen Winterschlafzeit um 41 Tage gerechnet wird – dürfte diese Nordverschiebung etwa 730 km betragen, sodass eine Gesamtverschiebung von etwa 990 km nach Norden innerhalb von 200 Jahren vorhergesagt wird.
Wie frühere Studien von Kravchenko und Kolleg:innen zeigten, sind Große Abendsegler in der Lage, ihr Verbreitungsgebiet innerhalb weniger Jahrzehnte um mehrere hundert Kilometer zu verlagern. Es ist also möglich, dass diese Art bei weiter steigenden Temperaturen den Veränderungen im potenziellen Überwinterungsgebiet in Europa folgt und dieses kontinuierlich in Richtung Nordosten erweitert. Dies könnte jedoch zu Problemen führen, wenn andere für den Winterschlaf erforderliche Faktoren wie ein geeigneter Winterschlafquartiere und das Vorhandensein von Nahrung vor Beginn des Winters in den neu erschlossenen Gebieten mit geeigneten Temperaturen nicht erfüllt sind.
Das wissenschaftliche Team fand heraus, dass die Winterschlafnische der Großen Abendsegler durch nur zwei einfache statistische Parameter angemessen erklärt und genau modelliert werden kann: die mittlere tägliche Umgebungstemperatur während der Winterschlafzeit und die Dauer des Winterschlafs. „Das bedeutet, dass wir möglicherweise die geeigneten Winterschlafgebiete anderer Arten anhand der gleichen Parameter kartieren könnten. Dennoch müssen wir die Auswirkungen des Klimawandels auf die Physiologie der Wildtiere noch genauer untersuchen und überwachen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Umweltfaktoren für erfolgreichen Winterschlaf und letztlich das Überleben von Arten vielfältiger und komplexer sind als nur die Umgebungstemperatur“, fasst Prof. Dr. Christian Voigt, Leiter der Leibniz-IZW-Abteilung für Evolutionäre Ökologie, zusammen. Diese ökophysiologische Forschung ist von entscheidender Bedeutung, um in Zeiten des Umweltwandels Naturschutzmaßnahmen und Maßnahmen zum Schutz von Wildtieren anzupassen.
Originalpublikation:
Kravchenko K, Voigt CC, Volkholz J, Courtiol A, Currie SE (2025): Shorter and warmer winters expand the hibernation area of bats in Europe. Ecology Letters 28/5, e70119. DOI: 10.1111/ele.70119

06.05.2025, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Die versteckten Kosten der Wasserkraft: Gefährdung der Biodiversität
Zwei kürzlich veröffentlichte Übersichsstudien unter Federführung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und des Northeast Institute of Geography and Agroecology der Chinesischen Akademie der Wissenschaften zeigen die tiefgreifenden Auswirkungen der Wasserkraft auf die biologische Vielfalt in Fließgewässern und an der Land-Wasser-Grenze. Die Autorinnen und Autoren geben einen Überblick über Maßnahmen zur Minderung dieser negativen Auswirkungen. Sie plädieren dafür, den Stellenwert der Wasserkraft als umweltfreundliche Energiequelle zu hinterfragen.
Weltweit werden Flüsse immer weiter fragmentiert und aufgestaut, statt frei zu fließen. Einer der Hauptgründe ist die Energiegewinnung durch Wasserkraft. Mehr als 2.800 Stauseen mit einer Fläche von über 10 Quadratkilometern sind bekannt, oft sind sie mit großen Wasserkraftwerken verbunden. Kleine Wasserkraftanlagen bilden häufig keine großen Stauseen und ihre Anzahl bleibt daher weitgehend unberücksichtigt. Weltweit sind schätzungsweise mehr als 80.000 Kleinwasserkraftwerke in Betrieb oder im Bau – Tendenz steigend. Viele der Wasserkraftanlagen befinden sich in Hotspots der Süßwasserbiodiversität, darunter die Flusseinzugsgebiete des Amazonas, des Kongo, des Ganges und des Mekong.
„Wir beobachten sehr unterschiedliche Typen von Wasserkraftanlagen und regional unterschiedliche Entwicklungen“, sagt Prof. Sonja Jähnig, Abteilungsleiterin am IGB und Autorin der beiden Studien. „In Deutschland, in der Alpenregion und in Europa insgesamt dominieren kleine Wasserkraftwerke. Viele von ihnen tragen nur wenig zur Energieerzeugung bei, haben aber erhebliche Auswirkungen auf die Flussökosysteme. Flüsse in Asien und Südamerika, die besonders artenreich sind und viele wandernde Arten beherbergen, sind zunehmend auch durch große Wasserkraftprojekte bedroht.“
Laut der Roten Liste gefährdeter Arten der Weltnaturschutzunion (IUCN) stellen Staudämme eine Bedrohung für fast 4.000 aquatische, semiaquatische und terrestrische Arten dar. Diese breite Gefährdung ergibt sich aus einer Vielzahl negativer Auswirkungen, die mit dem Bau von Wasserkraftanlagen verbunden sind. Besonders gravierend ist der Verlust der Konnektivität.
Zerstückelte Lebensadern und unterbrochene Migrationsrouten aquatischer Arten:
Die Flusskonnektivität umfasst mehrere Dimensionen: die drei räumlichen Dimensionen – die longitudinale Vernetzung entlang des Flusslaufs, die seitliche Vernetzung mit den Auen sowie der vertikale Austausch mit dem Grundwasser und der Atmosphäre. Hinzu kommt die zeitliche Dimension, die sich auf natürliche Abfluss-, Sediment- und Temperaturregime bezieht.
„Wasserkraftwerke können alle vier Dimensionen dieser Konnektivität verändern und verschiedenste Auswirkungen auf die Biodiversität haben, etwa Lebensraumverlust durch Stauung, Beeinträchtigung von Migration, sowie erhöhte Verletzungs- und Sterberaten durch Turbinen oder sogenannte Schwall-Sunk-Effekte“, erklärt Prof. Fengzhi He vom Northeast Institute of Geography and Agroecology der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, der beide Studien geleitet hat und Gastwissenschaftler am IGB ist.
Die Auswirkungen der Wasserkraft auf aquatische Arten, insbesondere Fische, sind gut dokumentiert. Besonders betroffen sind wandernde Fischarten. Weltweit sind ausgewählte Populationen wandernder Süßwasserfische zwischen 1970 und 2020 im Durchschnitt um 81 Prozent zurückgegangen – einer der Hauptgründe dafür ist die Flussverbauung. Dämme behindern nicht nur den Lebenszyklus dieser Tiere, sondern verursachen beim Passieren der Infrastruktur auch erhöhte Verletzungs- und Sterberaten. Eine IGB-Studie mit Daten von 122 Wasserkraftwerken ergab, dass etwa jeder fünfte Fisch beim Abstieg durch Turbinen stirbt oder schwer verletzt wird – bei mehreren Anlagen entlang eines Flusses steigt dieses Risiko. Zwar wurden an vielen Wasserkraftwerken Fischaufstiegsanlagen gebaut, ihre Wirksamkeit ist jedoch oft begrenzt.
Flussaufwärts: Stausee statt Fließgewässer, heimische Fischarten verschwinden:
Nicht nur die fehlende Längsdurchgängigkeit macht den Fischen und anderen Tierarten im Fluss zu schaffen. Wehre und Dämme sorgen immer für einen Staueffekt. Dadurch verliert ein Fluss eine seiner ureigensten Eigenschaften: Er hört auf zu fließen. Es verändern sich die hydrologischen, chemischen und biologischen Lebensbedingungen – die Lebensräume sind also für viele flusstypische Tier- und Pflanzenarten nicht mehr geeignet. Vor allem strömungs- und kälteliebende sowie sauerstoffbedürftige Fischarten und Wirbellose verschwinden, ebenso die Langdistanzwanderer unter den Fischen und solche, die ihre Eier ins frei fließende Wasser abgeben. Dies belegt auch eine globale Analyse der Reaktionen von 539 Fischarten auf Stauhaltungen. Aufstauungen begünstigen auch die Ansiedlung gebietsfremder, an Stillgewässer angepasster oder omnivorer, eher anspruchsloser Arten.
Störungen im Abfluss- und Temperaturregime:
Unterhalb von Dämmen kommt es durch das unregelmäßige Ablassen von Wasser häufig zu schnellen Wasserstandsschwankungen, was zu Verletzungen und Todesfällen bei aquatischen Arten führen kann. Auch das Temperaturregime ändert sich: Wird Wasser aus tieferen Reservoirschichten abgelassen, kann es im Sommer zu Abkühlung und im Winter zu Erwärmung des unterhalb gelegenen Flussabschnitts kommen – die natürliche saisonale Temperaturvariation wird reduziert. Solche Veränderungen führen zu einem zeitlichen Auseinanderfallen von Lebenszyklen und Umweltbedingungen. Im Jangtse hat sich beispielsweise die Laichzeit von vier bedeutenden Karpfenarten durch den Drei-Schluchten-Damm sowohl verzögert als auch verkürzt, was zu einem Rückgang der jährlichen Jungfische um fast 90 Prozent führte.
Mehr Forschung und Monitoring nötig zu Auswirkungen auf semiaquatische Tiere:
„Im Vergleich zu aquatischen Arten wurde den Auswirkungen der Wasserkraft auf semiaquatische Tiere wie Krokodile, Schildkröten und Otter bisher deutlich weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Der Mangel an wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema bedeutet jedoch nicht, dass diese Tiere unbeeinflusst bleiben“, sagt IGB-Forscher Vassil Altanov, Erstautor der in Biological Conservation veröffentlichten Studie. „Wir haben große semiaquatische Arten mit einem Maximalgewicht von 30 kg als Beispiel herangezogen, um diese Auswirkungen zu verdeutlichen.“
Die Entstehung von Stauseen kann zu größeren Wasserflächen und längeren Uferlinien führen. Diese neuen Flächen sind jedoch nicht zwangsläufig geeignete Lebensräume für semiaquatische Arten. So vervielfachte sich am Balbina-Damm in Brasilien die Wasseroberfläche um das 63-Fache, doch die Population des Riesenotters (Pteronura brasiliensis) verdoppelte sich lediglich – aufgrund von Nahrungsmangel und dem Verlust geeigneter Aufzuchttplätze. Brutplätze von Krokodilen und Schildkröten können durch die Stauung oberhalb oder durch erhöhten Wasserstand unterhalb des Damms überschwemmt werden, was ihre Fortpflanzung beeinträchtigt. Zudem führen Sedimentrückhalt und unnatürliche Wasserstandsschwankungen zu Eintiefungen im Flussbett, wodurch wichtige Lebensräume wie Sandbänke zunehmend verschwinden.
Auch semiaquatische Säugetiere reagieren empfindlich auf veränderte Umweltbedingungen durch Wasserkraft. So wurde beispielsweise das Abflussregime unterhalb des Kafue-Gorge-Wasserkraftwerks in Sambia verändert und dadurch das Pflanzenwachstum in den Auen beeinflusst. Dadurch verringerte sich das Nahrungsangebot für den Kafue-Lechwe (Kobus leche ssp. kafuensis), eine afrikanische Antilopenart, während seiner Paarungs- und Kalbungszeit – mit der Folge, dass die Tiere ihre Fortpflanzungsperioden verschieben mussten, um zu überleben.
Negative Effekte summieren und verstärken sich:
Wenn mehrere Wasserkraftwerke entlang eines Flusses betrieben werden, summieren sich ihre negativen Umweltauswirkungen. „Das ist besorgniserregend, da weltweit über 3.000 Wasserkraftwerke mit einer Leistung über einem Megawatt geplant oder im Bau sind – zusätzlich zu mehr als 4.600 potenziell wirtschaftlich nutzbaren Standorten, von denen viele in Schutzgebieten liegen. Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Wasserkraftanlagen sind immer mit negativen Auswirkungen auf Fließgewässer verbunden. Wo sie bereits bestehen, müssen ihre negativen Effekte besser abgemildert werden“, erklärt Prof. Sonja Jähnig.
Die Autor*innen nennen verschiedene Maßnahmen zur Minderung dieser Auswirkungen, etwa die Einhaltung von Mindestabflüssen, um das natürliche Flussregime funktional zu simulieren, oder die Gestaltung effektiver Passagen zur Förderung der Wanderung von Arten stromauf- und -abwärts. Sie schlagen zudem das STREAM-Konzept vor, um Energiegewinnung mit dem Erhalt der Biodiversität besser in Einklang zu bringen. STREAM steht für: Systematische Planung von Infrastruktur für erneuerbare Energien; Tracking (Überwachung) der Auswirkungen durch Langzeitmonitoring und Forschung; Responsives, adaptives Management; Eliminierung von Infrastruktur, wo notwendig; Abschätzung sozio-ökologischer Zielkonflikte; Mehrakteurige Entscheidungsfindung.
Für Deutschland ist im Oktober 2024 die neue Erneuerbare-Energien-Statistik der entsprechenden Arbeitsgruppe (AGEE-Stat) des Umweltbundesamtes erschienen. Sie zeigt, dass die jährliche Einspeisung je nach Witterung seit vielen Jahren relativ konstant bei bis zu 22 Terrawattstunden (TWh) liegt. Das Ausbaupotenzial der Wasserkraft ist weitgehend ausgeschöpft, so dass sich die installierte Leistung seit einigen Jahren nur wenig verändert.
Originalpublikation:
Vassil Y. Altanov, Sonja C. Jähnig, Fengzhi He, A systematic map of hydropower impacts on megafauna at the land-water interface, Biological Conservation, Volume 305, 2025, 111092, ISSN 0006-3207, https://doi.org/10.1016/j.biocon.2025.111092.
(https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0006320725001296)

08.05.2025, Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung
Alarmstufe Rot für unsere nächsten Verwandten
Neuer Bericht zeigt drastischen Rückgang bedrohter Primaten und fordert Schutzmaßnahmen
Ein internationales Team von Primatenforscher*innen hat die 25 am stärksten bedrohten Primatenarten in Asien, Afrika, Madagaskar und Südamerika für die Jahre 2023 bis 2025 veröffentlicht. Die vom Deutschen Primatenzentrum (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen unterstützte Veröffentlichung betont, wie dringend globale Schutzmaßnahmen jetzt umgesetzt werden müssen, um die unersetzliche biologische Vielfalt zu retten.
„Die Situation ist dramatisch. Wenn wir nicht jetzt handeln, werden wir einige dieser Arten für immer verlieren“, warnt Christian Roos, Genetiker am Deutschen Primatenzentrum. „Aber es gibt Hoffnung – wenn Wissenschaft, Politik und Gesellschaft gemeinsam aktiv werden.“ Der von führenden Primatolog*innen und Naturschützer*innen zusammengestellte Bericht unterstreicht die dringende Notwendigkeit gezielter Schutzbemühungen, um das endgültige Aussterben dieser Arten zu verhindern.
Die wichtigsten Ergebnisse des Berichts
Eine Expert*innengruppe aus Mitgliedern der Naturschutzorganisationen International Union for Conservation of Nature (IUCN) und Conservation International (CI) sowie der Internationalen Primatologischen Gesellschaft (IPS) hat die Liste der 25 am stärksten bedrohten Primatenarten der Welt zusammengestellt. Die Zerstörung der Lebensräume, Jagd, Klimawandel und illegaler Handel mit Wildtieren stellen die größten Bedrohungen für die Tiere da.
Zu den am stärksten bedrohten Arten gehören unter anderem der Tapanuli-Orang-Utan (Pongo tapanuliensis) auf Sumatra mit nur noch rund 800 Individuen. Er gilt somit als die am stärksten bedrohte Menschenaffenart überhaupt. Er wurde erst 2017 unter anderem von Wissenschaftler*innen des DPZ mitentdeckt. Seine Schädelform, sein Gebiss und seine Gene sind anders als die der anderen Orang-Utan Arten. Dies haben umfangreiche morphologische und genetische Analysen an Orang-Utans ergeben, an denen auch Christian Roos beteiligt war.
Auch viele Lemuren auf Madagaskar sind vom Aussterben bedroht, auf der Liste wird unter anderem der Madame Berthe’s Mausmaki (Microcebus berthae) aufgeführt. Der nur 30 Gramm schwere, kleinste Primat der Welt, wurde 1993 von Wissenschaftler*innen des DPZ in der Nähe der Feldstation im Forêt de Kirindy entdeckt. Sein Bestand ist gerade in den letzten drei Jahren deutlich zurückgegangen. „Diese Art ist auch aus den meisten der verbleibenden intakten Wälder verschwunden, was auf erschreckende Konsequenzen für mögliche Schutzmaßnahmen hindeutet. Dies könnte der erste Primat sein, den wir im 21. Jahrhundert für immer verlieren, da es auch keine Gefangenschaftspopulationen gibt“, sagt Peter Kappeler, Leiter der Feldstation im Forêt de Kirindy.
Maßnahmen zum Schutz der Primaten
Der Bericht ruft eindringlich dazu auf, entscheidende Schutzmaßnahmen der Gebiete auszuweiten und diese Maßnahmen konsequent durchzusetzen, um kritische Lebensräume dauerhaft zu bewahren. Gleichzeitig hebt der Bericht hervor, wie wichtig es ist, indigene und lokale Gemeinschaften aktiv einzubinden und sie als Verwalter*innen ihrer eigenen Regionen zu stärken. Darüber hinaus wird eine umfassende Reform der Politik gefordert, insbesondere durch eine Verschärfung der Gesetze gegen den illegalen Handel mit Wildtieren sowie gegen die fortschreitende Abholzung der Wälder. Schließlich unterstreicht der Bericht die Dringlichkeit, ausreichende finanzielle Mittel zu mobilisieren, um langfristige Erhaltungsprogramme erfolgreich umzusetzen. „Jede Primatenart, die wir verlieren, bedeutet nicht nur einen unwiederbringlichen Verlust für die Natur, sondern auch für uns Menschen“, sagt Roos. „Denn Primaten sind nicht nur faszinierende Tiere – sie sind auch Schlüsselarten unserer Ökosysteme.“ Wenn eine Schlüsselart aufhört zu existieren, ist keine andere Art in der Lage, ihre ökologische Nische zu besetzen und das entsprechende Ökosystem verändert sich radikal.
Die 25 am stärksten gefährdeten Primaten der Welt
Alle zwei Jahre werden im Rahmen der Tagung der Internationalen Primatologischen Gesellschaft die 25 am stärksten bedrohten Affenarten der Welt bekannt gegeben, um die Öffentlichkeit für die kritische Situation der Primaten zu sensibilisieren. Mit ihrer Aufstellung der bedrohten Primaten wollen die Forschenden weltweit auf das Schicksal unserer nächsten Verwandten aufmerksam machen und Gelder einwerben für Forschung und Naturschutzmaßnahmen. Der Bericht basiert auf der Expertise von über 100 Wissenschaftler*innen weltweit.
Originalpublikation:
Mittermeier, R.A. Reuter, K.E., Rylands, A.B., Ang, A., Jerusalinsky, L., Nash, S.D., Schwitzer, C., Ratsimbazafy, J., & Humle, T. (eds). 2025. Primates in Peril: The World’s 25 Most Endangered Primates 2023-2025. IUCN SSC Primate Specialist Group, International Primatological Society and Re:wild, Austin, TX.

08.05.2025, Universität Bayreuth
Erstmals Genschere bei Spinnen eingesetzt
Forscher am Lehrstuhl für Biomaterialien der Universität Bayreuth haben erstmals erfolgreich die „Genschere“ CRISPR-Cas9 bei Spinnen eingesetzt. Die Spinnen produzierten nach der Gen-Editierung rot fluoreszierende Spinnenseide. Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher im Fachjournal Angewandte Chemie.

What for?
Spinnenseide ist eine der interessantesten Fasern im Bereich der Materialwissenschaften: Insbesondere ihr Abseilfaden ist enorm reißfest, dabei jedoch elastisch, leicht und biologisch abbaubar. Wenn es gelingt, die Produktion der Spinnenseide in vivo – im lebenden Tier – zu beeinflussen und damit Einblicke in den Bauplan des Abseilfadens der Spinne zu erlangen, können darauf aufbauend neue Faserfunktionalitäten für ein breites Spektrum an Anwendungen entwickelt werden.

In den letzten zehn Jahren hat die Genschere CRISPR-Cas9 das Fachgebiet der Biologie revolutioniert. Mit diesem molekularen Werkzeug können Forschende gezielt bestimmte Stellen in der DNA aufspüren und durchtrennen. Danach kann der natürliche Reparaturmechanismus der Zelle genutzt werden, um ein Gen entweder auszuschalten (Knock-out) oder ein neues Gen einzubauen (Knock-in). Aufgrund seiner Effizienz wurde CRISPR-Cas9 bereits in einer Vielzahl von Studien in der Entwicklungs- und Evolutionsbiologie, jedoch auch in den Materialwissenschaften, der Schädlingsbekämpfung und der Landwirtschaft eingesetzt. „In Anbetracht der breiten Anwendungsmöglichkeiten ist es überraschend, dass es bislang noch keine Studien zu Gen-Editierung mit CRISPR-Cas9 in Zusammenhang mit Spinnen gibt“, sagt Prof. Dr. Thomas Scheibel, Inhaber des Lehrstuhls für Biomaterialien an der Universität Bayreuth und Letztautor der Studie.
Für ihren neuartigen Ansatz haben Prof. Scheibel und sein Doktorand Edgardo Santiago-Rivera eine Injektionslösung eingesetzt, die neben den Komponenten der Genschere eine Gensequenz für ein rot fluoreszierendes Protein enthält. Diese Kombination wurde in die Eizellen unbefruchteter weiblicher Webspinnen injiziert und die Spinnen wurden anschließend mit artgleichen Männchen verpaart. Im Ergebnis zeigten die Nachkommen der geneditierten Spinnen rote Fluoreszenz in ihrem Abseilfaden auf und damit den erfolgreichen Knock-in der Gensequenz in ein Spinnenseidenprotein.
„Wir haben weltweit erstmals gezeigt, dass CRISPR-Cas9 eingesetzt werden kann, um eine gewünschte Sequenz in Spinnenseidenproteine einzubauen, was die Funktionalisierung der entsprechenden Seidenfasern ermöglicht. Die Möglichkeit, die CRISPR-Gen-Editierung in Spinnenseide einzusetzen, ist für die Forschung im Bereich der Materialwissenschaften vielversprechend: Man könnte beispielsweise deren schon sehr hohe Reißfestigkeit noch weiter erhöhen“, sagt Scheibel. Das hier manipulierte Protein der Spinnenseide des Abseilfadens diene damit als erstes Modell für die Entwicklung von Seidenfasern mit neuen Eigenschaften, was dabei helfe, ihre Funktionalisierung für künftige Anwendungen zu ermöglichen.
Originalpublikation:
Spider Eye Development Editing and Silk Fiber Engineering Using CRISPR-Cas. Edgardo Santiago-Rivera &Thomas Scheibel . Angewandte Chemie (2025) e202502068
DOI: https://doi.org/10.1002/anie.202502068

08.05.2025, Deutsche Wildtier Stiftung
Für den Artenschutz: Igel und Maulwürfe zählen
Der Mai ist eine gute Zeit, um umtriebige Stachelträger und fleißige Erdwerfer zu beobachten
Die einen verraten sich durch lautes Schnaufen, die anderen durch die frische Erde, die sie vor sich herschieben: Jetzt im Mai ist eine gute Zeit, um Igel und Maulwürfe zu beobachten. Vom 16. bis 26. Mai findet deshalb ein bundesweites Igel- und Maulwurfs-Monitoring statt. Es ist die vierte Erhebung im Rahmen des Citizen Science-Projekts „Deutschland sucht Igel und Maulwurf“, zu dem gleich sechs Organisationen aufrufen. Neben der Deutschen Wildtier Stiftung sind dies NABU|naturgucker, das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung, die Deutsche Gartenbau-Gesellschaft 1822 e. V., der NABU-Bundesverband und der Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV). Wer in diesem Zeitraum Spuren der beiden Insektenfresser entdeckt, kann Fundort und Anzahl über die Web-App NABU|naturgucker www.igelsuche.de melden – möglichst mit Fotobeleg. Sichtungen in Bayern können über www.igel-in-bayern.de eingetragen werden.
Aber wie und wo stehen die Chancen am besten, die Tiere anzutreffen? „Derzeit ist Paarungszeit bei den Igeln und sie sind besonders aktiv. Wer sie entdecken möchte, sollte vor allem in der Dämmerung auf Grünflächen die Augen offenhalten“, sagt Lea-Carina Hinrichs, Artenschützerin bei der Deutschen Wildtier Stiftung. Die Paarungszeremonie – das sogenannte Igelkarussell – ist zudem meist nicht zu überhören: Schnaufend läuft das Männchen immer wieder im Kreis um das Weibchen herum, um sein Interesse an ihr zu bekunden. Treffen mehrere Männchen aufeinander, kämpfen sie miteinander und setzen dabei auch ihre Stirnstacheln ein. Auch das Weibchen kann sich wehren: Ist es nicht paarungsbereit, stößt es seinen Verehrer fauchend und mit aufgestellten Stacheln weg. Hat es sich für ihn entschieden, kommt es zur Paarung – mit angelegten Stacheln.
Auch bei den Maulwürfen steht die Familienplanung im Vordergrund. Sie richten jetzt in ihrem weitverzweigten Tunnelsystem Kinderstuben ein. Diese polstern sie mit Laub und Gras aus. Um an das Baumaterial zu gelangen, müssen sie dafür gelegentlich an die Oberfläche krabbeln. Wer sich auf die Lauer legt oder eine Wildkamera aufbaut, kann den scheuen Wühler dabei entdecken – und ihn oder seinen Erdhügel für die Zählung dokumentieren. Bei der Zählaktion im vergangenen Jahr wurden rund 10.000 Igel sowie 2.200 Maulwürfe beziehungsweise ihre Hügel gemeldet.
Regelmäßig erhobene Zahlen helfen Natur- und Artenschutzverbänden, mehr über den Bestand und die Verbreitung von Igel und Maulwurf zu erfahren – und wenn nötig entsprechende Schutzmaßnahmen umzusetzen. Bislang gibt es in Deutschland kaum verlässliche Daten zur Bestandsentwicklung der beiden Kleinsäuger. „Experten gehen davon aus, dass sowohl die Igel- als auch die Maulwurfbestände in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen sind“, sagt Hinrichs.

09.05.2025, Universität Wien
Ist Musik älter als die Menschheit? –Schimpansen trommeln rhythmisch
Verschiedene Unterarten unterscheiden sich in ihrem Trommel-Rhythmus
Musik zu machen ist grundlegender Bestandteil des Menschseins, aber seit wann gibt es eigentlich Musik? Die Ergebnisse einer aktuellen Studie deuten darauf hin, dass Musizieren bereits älter als die Menschheit sein könnte. Denn: Forscher*innen der Universität Wien, der Universität St. Andrews und der Sapienza Universität Rom konnten nun zeigen, dass auch Schimpansen beim Trommeln einem Rhythmus folgen und einzelne Gruppen sogar unterschiedliche Rhythmen verwenden. Wir Menschen teilen einen entscheidenden Baustein der Musikalität mit Schimpansen: rhythmisches Trommeln. Die Ergebnisse wurden aktuell in der renommierten Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht.
„Schimpansen trommeln, um die anderen Mitglieder ihrer Gruppe darüber zu informieren, wo sie sich gerade befinden und was sie tun – eine Art „Check-in“ im Regenwald“, erklärt Vesta Eleuteri, Studienleiterin und Verhaltensbiologin an der Universität Wien. Über einen Kilometer hinweg ist das Trommeln durch den Wald zu hören. Als Trommeln dienen die Flächen von riesigen Wurzeln der Regenwaldbäume, getrommelt wird mit Händen und Füßen. In einer früheren Studie konnten die Wissenschafter*innen bereits zeigen, dass jeder Schimpanse seinen eigenen Trommelstil hat. Nun haben die Wissenschafter*innen sich die Frage gestellt, ob die Schimpansen rhythmisch Trommeln – wie in der menschlichen Musik.
Um diese Fragen zu beantworten, sammelten die Autor*innen einen weltweit einzigartigen neuen Datensatz über das Trommeln von Schimpansen aus Regenwäldern und Savannenwäldern in ganz Afrika, mit Trommeln aus 11 Gemeinschaften aus sechs verschiedenen Populationen im Osten und Westen des Kontinents. „Diese Studie ist ein großartiges Beispiel für Teamwissenschaft. Es hat Jahre, manchmal Jahrzehnte gedauert, bis viele Teams von Wissenschafter*innen an jedem Schimpansenforschungsstandort dieses Trommeln gesammelt hatten. Insgesamt sind das weit über hundert Jahre Arbeit, die diesen Datensatz aufbauen“, sagt Cat Hobaiter von der Universität St. Andrews, Co-Seniorautorin der Studie.
Mit Hilfe dieses einzigartigen Datensatzes gelang der Nachweis: Schimpansen trommeln rhythmisch. Und nicht nur das, die Schimpansenunterarten, die in verschiedenen Teilen Afrikas leben, trommeln unterschiedliche Rhythmen. „Wir haben festgestellt, dass Schimpansen aus Westafrika – wie Menschen – oft isochron trommeln. Bei isochronen Rhythmen treten die Töne in genau gleichen Zeitabständen nacheinander auf: wie das Ticken einer Uhr oder die Kick-Drum in der elektronischen Musik. Schimpansen aus Ostafrika ziehen es vor, kurze und lange Intervalle in ihrem Trommeln abzuwechseln. Schimpansen aus Westafrika trommeln außerdem schneller als ihre östlichen Verwandten“, fasst Eleuteri zusammen.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass unsere Fähigkeit, rhythmisch zu trommeln, möglicherweise schon lange vor dem Entstehen des Menschen existierte“, sagt Hobaiter. „Unsere Studie liefert einen Teil des Puzzles zum Verständnis der Ursprünge und der Entwicklung der Musikalität“, sagt Andrea Ravignani von der Sapienza Universität Rom und ebenfalls Co-Seniorautor. „Die Daten deuten darauf hin, dass wir Menschen einen entscheidenden Baustein für Musik mit Schimpansen gemeinsam haben: perkussive, musikähnliche Rhythmen“, so Ravignani.
Originalpublikation:
Vesta Eleuteri, Catherine Hobaiter, Andrea Ravignani et al.: Chimpanzee drumming shows rhythmicity and subspecies variation. In Current Biology.
DOI: 10.1016/j.cub.2025.04.019

09.05.2025 11:15
Innere Uhren bestimmen das Auf und Ab des Antarktischen Krills
Gunnar Bartsch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Antarktischer Krill reagiert mit seinem Verhalten nicht nur auf äußere Umwelteinflüsse wie Licht oder Nahrung. Er nutzt auch seine innere Uhr, um sich an die extremen Bedingungen der polaren Umwelt anzupassen. Das zeigt eine jetzt veröffentlichte Studie eines internationalen Forschungsteams unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts und der Universität Würzburg. Die Ergebnisse sind indirekt auch von Bedeutung für Untersuchungen zur Regulierung des globalen Klimas.

Einzeln betrachtet macht Antarktischer Krill (Euphausia superba) keinen großen Eindruck. Mit einer Körperlänge von maximal sechs Zentimetern, einem Gewicht von gerade einmal zwei Gramm und seiner transparenten Haut wirkt er wenig spektakulär. Dabei spielt Krill eine zentrale Rolle für das Leben im Südpolarmeer. Milliarden dieser kleinen Krebstiere bilden nämlich riesige Schwärme, die sich über mehrere Quadratkilometer erstrecken können, und sind die wichtigste Nahrungsquelle für viele Raubtiere.
Ein Forschungsteam der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) hat jetzt in Kooperation mit dem Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), dem Helmholtz Institut für Funktionelle Marine Biodiversität (HIFMB) in Oldenburg sowie dem National Oceanography Institut in Großbritannien das Verhalten dieses Meeresbewohners genauer unter die Lupe genommen. Die Gruppe interessierte sich dabei speziell für dessen „tägliche Vertikalwanderung in der Wassersäule“, wie es in der jetzt in der Fachzeitschrift eLife veröffentlichten Studie heißt.
Nahrung an der Oberfläche, Schutz vor Räubern in der Tiefe
„Antarktischer Krill nutzt nachts den Schutz der Dunkelheit, um an der Meeresoberfläche mikroskopisch kleine Algen zu fressen. Tagsüber suchen die Tiere dann in tieferen, dunkleren Schichten Schutz vor Räubern“, beschreibt Lukas Hüppe das periodische Auf und Ab im Südpolarmeer. Hüppe ist Erstautor der Studie und Doktorand am Lehrstuhl Neurobiologie und Genetik der JMU. Betreut wurde er von Bettina Meyer (AWI und HIFMB) und Charlotte Förster, der früheren Inhaberin dieses Lehrstuhls und heute dort weiter aktiven Seniorprofessorin. Innere Uhren bilden schon seit vielen Jahren einen Schwerpunkt von Försters Forschung. Dementsprechend stand bei diesem Projekt die Frage im Mittelpunkt, inwieweit die Krill-Wanderungen von inneren Uhren bestimmt sind.
Obwohl Krill mit seiner täglichen Wanderung erheblichen Einfluss auf die Durchmischung der Wassersäule und den Kohlenstofftransport in die Tiefsee ausübt, und trotz jahrzehntelanger Beobachtungen sind die genauen Mechanismen dieses Wanderverhaltens noch nicht vollständig verstanden. Für seine Studie hat das Forschungsteam deshalb jetzt zum ersten Mal einzelne wildgefangene Tiere über verschiedene Jahreszeiten hinweg in einem speziellen Aktivitätsmonitor untersucht.
Beobachtungen mit einer neuentwickelten Technik
Diesen Monitor hatten Forscherinnen und Forscher erst im Jahr 2024 entwickelt. Das neue Gerät macht es möglich, die Schwimmaktivität einzelner Lebewesen in mit Meerwasser gefüllten Röhren aufzuzeichnen. Für seine Experimente hatte Hüppe mit einem kommerziellen Fischereischiff Krill aus dem Südpolarmeer gefangen. An Bord konnte er mithilfe der neuen Technik die Bewegungen wild gefangener Krill unter verschiedenen Lichtbedingungen und zu verschiedenen Jahreszeiten erforschen.
Seine Beobachtungen zeigten, dass die Krebse nachts am aktivsten waren, was ihren natürlichen Wanderungsmustern in der freien Natur entspricht. Diese nächtlichen Aktivitätsmuster passten sich an die wechselnde Länge der Nacht im Laufe der Jahreszeiten an. Außerdem behielt der Krill einen täglichen Aktivitätsrhythmus bei, selbst wenn er mehrere Tage lang in konstanter Dunkelheit gehalten wurde.
Typischer Rhythmus auch in völliger Dunkelheit
Die Ergebnisse sind eindeutig: „Antarktischer Krill zeigt einen täglichen Rhythmus mit erhöhter Schwimmaktivität in der Nacht, was sehr gut zu der vertikalen Wanderung in der Natur passt“, erklärt Lukas Hüppe. Selbst in völliger Dunkelheit behielten die Tiere diesen Rhythmus über mehrere Tage bei – ein Beweis dafür, dass sie eine innere Uhr nutzen, um ihr Auf und Ab dem Tag-Nacht-Rhythmus anzupassen. Darüber hinaus zeigten die Experimente, dass Krill sein Verhalten flexibel mit sehr langen oder kurzen Tagen, wie sie nur in Polarregionen vorkommen, synchronisieren kann.
Damit steht fest: „Krill reagiert mit seinem Verhalten nicht nur auf äußere Umwelteinflüsse wie Licht oder Nahrung. Er nutzt auch seine innere Uhr, um sich an die extremen Bedingungen seiner polaren Umwelt anzupassen“, fasst Charlotte Förster das zentrale Ergebnis der Studie zusammen.
Bedeutung für das Ökosystem und das Klima
Auch wenn sich die Studie vordergründig mit physiologischen Prozessen im Inneren kleiner Meeresbewohner beschäftigt, geht die Bedeutung ihrer Ergebnisse doch weit darüber hinaus. „Das Südpolarmeer spielt als Kohlenstoffspeicher eine zentrale Rolle in der Regulierung des globalen Klimas. Diese Funktion basiert auf einem funktionellen, produktiven Ökosystem, in dessen Zentrum der Antarktische Krill steht“, erklärt Bettina Meyer. Die optimale Anpassung von Krill an seine Umwelt sei eine Grundvoraussetzung für gesunde Krill-Bestände.
Da Veränderungen in Krill-Populationen weitreichende Folgen für das gesamte Ökosystem des Südpolarmeeres haben können, ist ein besseres Verständnis der Anpassungsmechanismen entscheidend, um Voraussagen über die zukünftige Entwicklung der Bestände zu machen, so die Forschungsgruppe in ihrem Fazit.
In ihrem nächsten Projekt wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler deshalb die innere Uhr genauer untersuchen. „Wir wollen verstehen, wo die Uhr im Gehirn von Krill tickt und wie der Mechanismus auf neuronaler Ebene funktioniert“, sagt Charlotte Förster. Dabei rücke auch die Frage in den Fokus, in welcher Art und Weise die innere Uhr andere wichtige Prozesse im Krill beeinflusst – beispielsweise die Fortpflanzung und seine Überwinterungsstrategien.
Originalpublikation:
„A circadian clock drives behavioral activity in Antarctic krill (Euphausia superba) and provides a potential mechanism for seasonal timing“, Lukas Hüppe, Dominik Bahlburg, Ryan Driscoll, Charlotte Helfrich-Förster and Bettina Meyer. eLife, 29. April 2025. https://doi.org/10.7554/eLife.103096.3

09.05.2025, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Gar nicht so heiß? Fossile Eidechsen und Schlangen verraten Neues über das Klima im Eozän
Ein Forschungsteam der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung hat die Entwicklung des Klimas während der Epoche des Eozäns vor etwa 56 bis 34 Millionen Jahren untersucht. Dabei nutzten sie eine neue Methode, die sich auf die Stammbaumanalyse von Fossilien stützt. Die Ergebnisse ihrer Studie, die jetzt im Fachjournal „Communications Earth and Environment“ erschienen ist, deuten darauf hin, dass das Klima in Nordamerika während dieser Zeit stabiler war als bisher angenommen. Das stellt bislang weit verbreitete Annahmen zur Klimasensitivität, also zur Temperaturreaktion auf steigenden Kohlendioxid-Gehalt, in Frage.
Wie stark erwärmt sich die Erde, wenn der CO₂-Gehalt in der Atmosphäre steigt? Diese Frage beschäftigt nicht nur die Klimaforschung, sie ist auch politisch und gesellschaftlich hoch relevant. Hinweise auf die zukünftige Entwicklung kann die Rekonstruktion des Klimas vergangener Erdzeitalter geben. Die Senckenberg-Forschenden PD Dr. Krister T. Smith und PD Dr. Angela Bruch haben jetzt einen neuen Ansatz genutzt, um das Klima der Erdvergangenheit zu rekonstruieren. Dabei analysierten sie fossile Überreste von Eidechsen und Schlangen aus drei Fundstellen in den USA, die aus verschiedenen Zeitabschnitten des Eozäns stammen. Mithilfe von Stammbäumen und den heutigen Lebensräumen verwandter Arten können sie auf die damaligen Umweltbedingungen schließen – darunter Temperatur, Niederschlag und jahreszeitliche Schwankungen.
„Bislang ging die Forschung davon aus, dass die globale Durchschnittstemperatur zu Beginn des Eozäns vor 56 Millionen Jahren sehr hoch war und sich im Laufe der folgenden Jahrmillionen deutlich abkühlte“, erläutert Studienleiter und Paläoherpetologe Smith vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt. „Dieses Bild stützte sich vor allem auf Sauerstoff-Isotopenmessungen aus fossilen Meeresorganismen. Die Daten aus unserer neuen Studie zeigen, dass es im späten Eozän in Nordamerika ähnlich warm war wie im frühen Eozän – eine Abkühlung, wie sie bisher aus marinen Daten abgeleitet wurde, sehen wir in unseren Ergebnissen nicht. Das bedeutet, dass die vielzitierte globale Abkühlung während des Eozäns möglicherweise eher ein regionales Phänomen der hohen Breiten war, in denen kaltes Tiefenwasser entsteht – vor allem rund um die Antarktis. Dieser Trend betraf möglicherweise nicht die gesamte Erde.“
Die Befunde der Studie sprechen dafür, dass das Eozän in Nordamerika über viele Millionen Jahre hinweg ein stabiles, warmes Klima aufwies – mit nur kurzzeitigen Schwankungen. Dieses Ergebnis lässt sich auch besser mit den rekonstruierten CO₂-Konzentrationen jener Zeit in Einklang bringen, die ebenfalls relativ konstant waren.
„Wenn es im frühe Eozän doch nicht so heiß war wie angenommen, muss auch die sogenannte Klimasensitivität neu bewertet werden“, ergänzt Paläobotanikerin Bruch, Co-Autorin der Studie und ebenfalls am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt tätig. „Aus den bisher angenommenen extrem heißen Temperaturen zu Beginn des Eozäns bei einer gleichzeitig relativ stabilen CO₂-Konzentration in der Atmosphäre wurde die Hypothese abgeleitet, dass die Erde in warmen Phasen besonders empfindlich auf CO₂ reagiert. Unsere Ergebnisse legen jetzt nahe, dass der Temperaturanstieg pro CO₂-Verdopplung in dieser vergangenen warmen Epoche geringer war als bisher vermutet. Das hat Auswirkungen auf heutige Klimamodelle, die zukünftige Entwicklungen auf Basis vergangener Klimaänderungen simulieren – ganz besonders im Kontext hoher CO₂-Emissionsszenarien.“
„Unsere Studie zeigt, wie wichtig es ist, Klimaveränderungen aus verschiedenen Regionen und mit unterschiedlichen Methoden zu untersuchen“, betont Smith. „Nur so können wir ein vollständigeres Bild davon gewinnen, wie das Erdklima funktioniert.“
Statt sich auf Pflanzenfossilien oder geochemische Messungen zu stützen, nutzte das Team für die neue Untersuchung eine sogenannte „phylogenetisch erweiterte Koexistenzmethode“. Dabei werden die ökologischen Toleranzen ausgestorbener Tiere anhand ihrer nächsten heutigen Verwandten abgeschätzt. So konnten die Wissenschaftler*innen erstmals für drei Fundorte im mittleren Westen der USA detaillierte Klimawerte wie durchschnittliche Jahres- und Monatstemperaturen und Niederschlagsmengen rekonstruieren.
„Zukünftig könnte unser neuer methodischer Ansatz auch auf andere Tier- und Pflanzengruppen oder geografische Regionen angewendet werden, um ein noch umfassenderes Verständnis früherer Klimaverhältnisse zu erhalten“, schließt Smith. „Unsere Studie kann neue Impulse für die Klimaforschung liefern und helfen, bestehende Klimamodelle immer weiter zu verbessern – ein wichtiger Schritt, um die Klimazukunft besser einschätzen zu können.“
Originalpublikation:
Smith, K. T., & Bruch, A. A. (2025). Persistent greenhouse conditions in Eocene North America point to lower climate sensitivity. Communications Earth and Environment.
https://doi.org/10.1038/s43247-025-02288-z

09.05.2025, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Hitze und Landnutzung: Bienen leiden besonders
In einer neuen Studie untersuchen Forschende der Universität Würzburg die Wechselwirkungen der wichtigsten Treiber des globalen Wandels auf Insekten.
Die Zahl und Vielfalt der Insekten ist weltweit rückläufig. Studien deuten darauf hin, dass sich ihre Biomasse seit den 1970er Jahren fast halbiert hat. Zu den Hauptursachen dafür gehören der Verlust von Lebensräumen – etwa durch Landwirtschaft oder Verstädterung – und der Klimawandel.
Diese Bedrohungen sind längst bekannt. Weniger bekannt ist, wie solche Faktoren des globalen Wandels zusammenwirken und wie sich ihre Auswirkungen auf diese Weise weiter verschärfen können. So könnten beispielsweise Insekten, die ihres natürlichen Lebensraums beraubt wurden, durch höhere Temperaturen in einer neuen Umgebung noch stärker beeinträchtigt werden.
Forschende der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) haben genau diese gravierende Wechselwirkung an 179 Standorten in ganz Bayern untersucht. Die Studie ist Teil des Clusters LandKlif, das von Professor Ingolf Steffan-Dewenter im Bayerischen Klimaforschungsnetzwerk koordiniert wird. Die Ergebnisse wurden jetzt im Fachjournal Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences veröffentlicht.
Bienen sind besonders betroffen
Die Studie zeigt, dass Insekten aus verschiedenen trophischen Ebenen – die also verschiedene Rollen im Nahrungsnetz einnehmen – unterschiedlich auf die Kombination aus höheren Temperaturen und intensiverer Landnutzung reagieren. Besonders betroffen zeigten sich Bienen. Während Populationen in Wäldern gut mit der Hitze zurechtkamen, brach die Population ihrer städtischen Verwandten um 65 Prozent ein.
Wie auch uns Menschen machten den Tieren nicht nur die heißen Tage, sondern auch überdurchschnittlich warme Nächte zu schaffen. Sowohl Anzahl als auch Vielfalt der Bienen litt erheblich. „Die Tatsache, dass sich die nächtlichen Temperaturen so stark auf tagaktive Insekten auswirken, ist bedeutsam. Gerade, weil die durchschnittlichen Nachttemperaturen noch schneller steigen als die Tagestemperaturen“, erklärt die Biologin Dr. Cristina Ganuza.
Insekten, die in der Nahrungskette weiter oben stehen, kamen zwar besser mit der Hitze zurecht, hatten aber etwa in offenen landwirtschaftlichen Lebensräumen zu kämpfen. „Das kann sich negativ auf die landwirtschaftliche Produktion auswirken, da Insekten, die zur natürlichen Schädlingsbekämpfung beitragen, in ähnlicher Weise betroffen sein dürften“, so Dr. Sarah Redlich weiter.
Besser erging es den Tieren dort, wo landwirtschaftliche Nutzflächen und naturbelassene Räume nebeneinander existieren.
Drei zentrale Erkenntnisse
Die Forschenden fassen ihre Ergebnisse in drei Kernpunkten zusammen:
Wärmere Tagestemperaturen führen zu einer höheren Anzahl und Vielfalt von Bienen, allerdings nur in naturbelassenen Lebensräumen wie Wäldern und Wiesen. Die Erhaltung und Schaffung zusammenhängender natürlicher Lebensräume innerhalb landwirtschaftlicher und städtischer Gebiete ist daher von großer Bedeutung.
Höhere Nachttemperaturen führen zu einem geringeren Bienenreichtum in allen untersuchten Lebensraumtypen. „Diese bisher unbekannte negative Auswirkung der wärmeren Nächte auf tagaktive Insekten stellt eine neue Bedrohung dar. Es braucht weitere Forschung, um die zugrunde liegenden physiologischen Mechanismen aufzudecken“, erklärt Steffan-Dewenter.
Der Klimawandel und die Landnutzung stehen in Wechselwirkung zueinander, wirken sich aber auf Insekten an niedrigeren oder höheren Positionen in der Nahrungskette auf unterschiedliche Weise aus. „Ihre unterschiedlichen Reaktionen könnten die Nahrungsnetze und wichtige Ökosystemfunktionen wie Schädlingsbekämpfung und Bestäubung stören“, gibt Cristina Ganuza zu bedenken.
Kooperationspartner und Finanzierung
Die JMU-Studie wurde in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München, der Fachhochschule Weihenstephan-Triesdorf und der Universität Bayreuth durchgeführt. Gefördert wurde sie durch das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst.
Originalpublikation:
Ganuza et al: “Warmer temperatures reinforce negative land-use impacts on bees, but not on higher insect trophic levels”; in: Proceedings B; doi: 10.1098/rspb.2024.3053

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