07.04.2025, Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz
Bunte Vögel in der Stadt: Vogelarten, die erfolgreich Städte besiedeln, sind farbenfroher und weniger braun
Forschende der Universität Granada und des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen der Urbanisierung und der Gefiederfarbe von Vögeln besteht. Vogelarten, die sich in der Stadt behaupten, sind weniger braun und tragen auffälligere Farben in ihrem Gefieder. Dies ist vermutlich auf die urbane Lebensraumstruktur (weniger Wald), andere Hintergrundfarben und die geringere Anzahl von Raubvogelarten in der Stadt zurückzuführen. Die Studie basiert auf Daten von mehr als 1200 Vogelarten und ist ein anschauliches Beispiel dafür, welche Auswirkungen die Urbanisierung auf Wildtiere haben kann.
Die Urbanisierung hat enorme Auswirkungen auf das Ökosystem und stellt Tiere und Pflanzen vor große Herausforderungen. Die weltweit fortschreitende Verstädterung gilt als eine der Hauptursachen für den anhaltenden Rückgang der biologischen Vielfalt.
Ein eigenes Forschungsgebiet, die Stadtökologie, widmet sich der Frage, welchen Einfluss die Urbanisierung auf verschiedene Organismen hat. So haben beispielsweise viele Studien untersucht, wie sich der Stadtlärm auf die Kommunikation von Vögeln auswirkt. Bisher wissen wir jedoch immer noch wenig darüber, ob und wie die Farbe von Tieren mit der Urbanisierung zusammenhängt.
Dabei erfüllt Farbe im Tierreich zahlreiche, wichtige Funktionen: Sie hilft zum Beispiel dabei, Tiere warm zu halten oder sie vor Überhitzung zu schützen (Thermoregulation). Außerdem kann sie eine Rolle bei der Tarnung, der Partnerwahl und im Konkurrenzkampf spielen. In Städten ist es in der Regel wärmer, es gibt weniger Fressfeinde, dafür mehr künstliches Licht und andere Hintergrundfarben zum Beispiel durch Beton und Asphalt. Es ist also durchaus denkbar, dass die städtische Umgebung einen Einfluss auf die Färbung von Tieren hat.
Unter Leitung von Bart Kempenaers gingen Forschende am MPI für biologische Intelligenz und der Universität Granada diesem Thema auf den Grund. Dazu nutzten sie einen globalen Datensatz mit den Häufigkeiten von über 1200 Vogelarten in Lebensräumen mit unterschiedlichem Urbanisierungsgrad. Diesen kombinierte das Team mit Daten zur Gefiederfarbe und analysierte, inwiefern sich die relative Häufigkeit der Arten in städtischen Gebieten an der Farbe ablesen lässt.
Dabei zeigte sich, dass die in der Stadt erfolgreichen Vogelarten weniger braun sind. „Brauntöne kommen häufiger in der Natur vor als in der Stadt. Wir vermuten daher, dass braune Vögel in einer eher grauen Stadt Nachteile haben. Die vorherrschenden Stadtfarben und das Fehlen geeigneter Lebensräume kann also entscheidend dafür sein, welche Vogelarten dort gut klarkommen“, erklärt Kaspar Delhey, einer der beiden Erstautoren der Studie.
In der Stadt finden sich zudem vermehrt Vogelarten, die auffällige Farben in ihrem Gefieder tragen – insbesondere trifft dies für Weibchen zu. Urbane Lebensräume scheinen demnach farbenfrohere Vogelarten zu begünstigen. Dies könnte daran liegen, dass es in städtischen Regionen weniger Fressfeinde gibt und das „Gesehen werden“ ein geringeres Risiko darstellt als auf dem Land.
Frühere Studien deuteten darauf hin, dass die Farbvielfalt unter städtischen Vögeln geringer ist – das Team konnte aber zeigen, dass das Gegenteil der Fall ist. „In städtischen Regionen gibt es weniger Arten als auf dem Land. Wenn wir dies in unserer Auswertung berücksichtigen, haben die Vogelbestände in der Stadt sogar eine größere Farbvielfalt“, sagt Juan Diego Ibáñez-Álamo, Erstautor der Studie.
Die Studie zeigt damit, dass sich erfolgreiche Stadtvögel farblich von denjenigen unterscheiden, die in der Stadt nicht zurechtkommen – die Urbanisierung und die Färbung von Vögeln sind demnach miteinander verknüpft. Zukünftige Untersuchungen müssen nun zeigen, ob dies auch für andere Tiergruppen zutrifft.
Originalpublikation:
Colourful Urban Birds: Bird Species Successful in Urban Environments Have More Elaborate Colours and Less Brown
Juan Diego Ibáñez-Álamo*, Kaspar Delhey*, Lucía Izquierdo, Mihai Valcu, Bart Kempenaers
* shared first authors
Ecology Letters, online 4 April 2025
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ele.70106
07.04.2025, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Insekten-Oasen in Städten: Brachflächen haben großes Potenzial für den Artenschutz
Auf städtischen Brachflächen gibt es genauso viele Insekten wie in Naturschutzgebieten. Bei Wildbienen sind die ungenutzten Flächen sogar beliebter als die Schutzgebiete. Das zeigt eine neue Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) im Fachjournal „Basic and Applied Ecology“ am Beispiel von 18 Untersuchungsgebieten in Sachsen-Anhalt. Die Ergebnisse liefern wichtige Hinweise für einen effizienteren Artenschutz.
Die Forschenden verglichen neun blütenreiche Flächen in Schutzgebieten mit neun blütenreichen städtischen Brachflächen. „Es gibt viele Naturschutzgebiete und -flächen. Bisher weiß man aber relativ wenig darüber, wie effizient diese sind und wie sie sich womöglich weiter verbessern lassen. Gleichzeitig gibt es in der Forschung Hinweise darauf, dass Brachflächen ein großes Potenzial für den Artenschutz haben können“, sagt der Bienenforscher Prof. Dr. Robert Paxton von der MLU. In allen Untersuchungsgebieten stellten die Forschenden Fangfallen auf und erfassten zu festgelegten Zeiten Insektenbesuche an Pflanzen. So konnten sie bestimmen, welche und wie viele Insekten es in den Gebieten gibt. Um die Bestäubungsleistung zu messen, setzten sie im Gewächshaus gezüchtete Pflanzen aus, die zuvor keinen Kontakt mit Insekten hatten. Später zählten sie die von den Pflanzen produzierten Samen.
Die Ergebnisse: Auf städtischen Brachflächen leben viele Insekten und auch viele verschiedene Insektenarten. Fliegen und Käfer kommen dort genauso häufig vor wie in Schutzgebieten, Wildbienen sogar noch häufiger. Die Bestäubung funktionierte in den Stadtgebieten besser: Dort produzierten die Pflanzen mehr Samen. Dagegen fanden die Forschenden in den Naturschutzgebieten mehr Schmetterlinge. „Stadtbrachen bieten vielen Bestäubern also mindestens genauso gute Bedingungen wie ausgewiesene Schutzgebiete“, sagt der MLU-Biologe Dr. Panagiotis Theodorou. Der Forscher geht davon aus, dass sich die Ergebnisse auf viele andere Regionen in Mitteleuropa übertragen lassen.
Bei den untersuchten Naturschutzgebieten handelt es sich um Natura 2000-Flächen. Diese Schutzgebiete umfassen 18 Prozent der Landfläche der Europäischen Union und dienen dem grenzüberschreitenden Erhalt von Tier- und Pflanzenarten. Die Brachflächen waren überwucherte Parkplätze, alte Industrieanlagen und andere Grünflächen. Diese bieten den Insekten neben Nahrung durch offene Bodenflächen und Totholz auch Nistplätze, was sie vermutlich attraktiv für Wildbienen macht. „In den Schutzplänen der Natura 2000-Gebiete spielen Wildbienen bislang keine Rolle. Durch einfache Maßnahmen könnten diese Flächen noch deutlich attraktiver für Bienen und weitere Insekten werden“, sagt Paxton.
Originalpublikation:
Studie: Theodorou P. et al. Protected areas do not outperform urban wastelands in supporting insect pollinators and pollination in central Germany. Basic and Applied Ecology (2025).
doi: 10.1016/j.baae.2025.02.001
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1439179125000167?via%3Dihub
08.04.2025, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Wenn Bakterien die Fortpflanzung von Quallen steuern
Quallen gehören zu den ältesten Tieren der Erde, kommen in allen Ozeanen vor und sind wertvolle Modellsysteme für die biologische Forschung. Mikrobiologinnen der Uni Kiel haben jetzt nachgewiesen, dass die asexuelle Fortpflanzung der Ohrenqualle maßgeblich durch bakterielle Produkte gesteuert wird. Dabei spielt Beta-Carotin, das von Mikroben im natürlichen Mikrobiom der Qualle produziert wird, eine Schlüsselrolle. Fehlen diese Mikroorganismen kommt der so genannte Strobilationsprozess – die Verwandlung des Polypen bis hin zu jungen Medusen – zum Stillstand. Die Folge sind Entwicklungsstörungen und eine stark reduzierte Fortpflanzung. Ihre Ergebnisse wurden im Journal iScience veröffentlicht.
Mikrobiom als zentraler Faktor im Lebenszyklus von Quallen
Das Mikrobiom, also die Gemeinschaft der Bakterien, die in und auf einem vielzelligen Organismus leben, spielt eine entscheidende Rolle für die Fitness und Gesundheit vieler Meerestiere. Die Ohrenqualle besitzt ein besonders vielseitiges Mikrobiom, das sich an unterschiedliche Umweltbedingungen anpassen kann und den Übergang zwischen verschiedenen Lebensstadien beeinflusst. Der mehrstufige Lebenszyklus der Ohrenqualle beginnt mit winzigen Larven, die sich auf festem Untergrund ansiedeln und zu festsitzenden Polypen heranwachsen. In der so genannten Strobilation entstehen aus dem Polypen schwimmende Vorstufen von Quallen (Ephyren), die sich zu frei schwimmenden ausgewachsenen Medusen, entwickeln – ein komplexer asexueller Reproduktionsprozess. Die Forschenden konnten zeigen, dass dieser Entwicklungsprozess entscheidend vom Mikrobiom beeinflusst wird.
„Unsere Ergebnisse belegen, dass nicht nur Umweltfaktoren wie Temperatur oder Salzgehalt eine Rolle spielen, sondern dass das natürliche Mikrobiom der Qualle wesentlich für ihre Fortpflanzung ist. Der Einfluss der Mikroben ist besonders wichtig, bevor die Strobilation einsetzt“, sagt Erstautorin Dr. Nadin Jensen, die zu diesem Thema in der Arbeitsgruppe von Professorin Ruth Schmitz-Streit am Institut für Allgemeine Mikrobiologie der CAU promoviert hat.
Beta-Carotin als Schlüssel zur Metamorphose
Die Strobilation, die Umwandlung vom Polypen zu frei schwimmenden Quallen, ist ein komplexer Prozess: Bakterien im Polypen produzieren zunächst Beta-Carotin, ein Provitamin. Dieses wird im Körper der Qualle in mehrere Produkte umgewandelt – darunter Retinsäure (9-cis-Retinsäure). Sie wirkt als biologisches Signal, das zentrale Gene für die Strobilation aktiviert und so die Metamorphose einleitet. „Ohne das natürliche Mikrobiom entwickeln die Polypen auffällige Fehlbildungen. Sie segmentieren sich nur unvollständig und setzen kaum Ephyren frei,“ erklärt Professorin Ruth Schmitz-Streit, Leiterin der CAU-Arbeitsgruppe Molekularbiologie der Mikroorganismen am Institut für Allgemeine Mikrobiologie (IfAM).
In Laborexperimenten zeigten sterile Polypen, denen das natürliche Mikrobiom fehlte, deutliche Entwicklungsstörungen wie verkürzte Körper, deformierte Segmente, fehlende Tentakeln und eine geringe Freisetzung von Ephyren. Gaben die Forschenden jedoch Beta-Carotin oder 9-cis-Retinsäure in das Umgebungswasser hinzu, konnten die Defekte der Polypen vollständig behoben werden. Umgekehrt konnten die Forschenden den Retinsäure-Signalweg durch bestimmte Hemmstoffe gezielt blockieren und so die Metamorphose verhindern. Auch bei gesunden Polypen mit natürlichem Mikrobiom wurde dadurch die Metamorphose gestört. Die Forschenden, die die aktiven bakteriellen Gene ausschließlich im natürlichen Mikrobiom und nicht im Wirt nachwiesen, konnten damit zeigen, dass das natürliche Mikrobiom den Prozess steuert, die Qualle selbst kann kein Beta-Carotin produzieren.
„Unsere Experimente bestätigen, dass der Retinsäure-Signalweg entscheidend für die Strobilation der Qualle ist. Ohne ihn bleibt der Polyp in einem frühen Entwicklungsstadium stecken,“ sagt Dr. Nadin Jensen. „Allerdings stehen wir mit unseren Untersuchungen noch am Anfang unserer Forschung. Wir konnten bisher noch nicht die genaue Konzentration des Beta-Carotins bestimmen und haben uns zunächst auf vier Schlüsselgene konzentriert.“
Einblicke in die Anpassungsmechanismen mariner Organismen
Die neue Studie zeigt, wie eng die Entwicklung eines marinen Organismus mit seinen bakteriellen Partnern verknüpft ist. Fehlt das natürliche Mikrobiom, können zentrale Entwicklungsprozesse nicht vollständig ablaufen. Die neuen Erkenntnisse helfen dabei nicht nur, das Wachstum von Quallen besser zu verstehen, sondern liefern auch Einblicke in die Anpassungsfähigkeit von Meereslebewesen. Die Erkenntnisse können darüber hinaus helfen, Phänomene wie Quallenblüten in den Weltmeeren besser zu erklären. „Quallen sind ein wichtiger Bestandteil mariner Ökosysteme und haben eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit an veränderte Umweltbedingungen. Ein besseres Verständnis ihrer Fortpflanzung könnte dazu beitragen, ihre Verbreitung in den Ozeanen besser zu verstehen und zukünftig vielleicht. auch entgegenzusteuern,“ resümiert Mikrobiologin Schmitz-Streit.
Die Forschungsergebnisse sind im DFG geförderten Sonderforschungsbereiches (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ entstanden.
Originalpublikation:
Nadin Jensen, Nancy Weiland-Bräuer, Cynthia Maria Chibani, Ruth Anne Schmitz, Microbiota-derived β carotene is required for strobilation of Aurelia aurita by impacting host retinoic acid signaling, iScience, Volume 28, Issue 2, 2025, 111729, ISSN 2589-0042, https://doi.org/10.1016/j.isci.2024.111729
9.04.2025, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)
Neue Fischart im Golf von Mexiko entdeckt
Forschende des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen haben gemeinsam mit Kollegen aus Mittelamerika eine neue Fischart im Golf von Mexiko beschrieben. Hypoplectrus espinosai gehört zu den Hamletbarschen und wurde im Alacranes-Riff entdeckt, einem Riffkomplex in der Campeche Bank im südlichen Golf von Mexiko. Die Wissenschaftler aus Deutschland, Mexiko und Panama konnten die neue Art anhand genetischer Daten, geografischer Aufzeichnungen und Fotos bestimmen. Ihre Studie wurde jetzt in der Fachzeitschrift Zootaxa veröffentlicht.
Hamletbarsche (Hypoplectrus) leben in Korallenriffen der Karibik und des tropischen Nordwest-Atlantiks. Sie zählen zu den Raubfischen und ernähren sich von kleinen Fischen und wirbellosen Tieren. Derzeit sind 18 Arten anerkannt, von denen sieben in den letzten 14 Jahren beschrieben wurden. Hamletbarsche unterscheiden sich im Wesentlichen durch ihre Farbmuster, die von Art zu Art verschieden und größtenteils genetisch bedingt sind. Die Fische können zehn bis 15 Zentimeter groß werden.
Mit einer Größe von durchschnittlich 11 Zentimetern zählt die neu entdeckte Art Hypoplectrus espinosai, umgangssprachlich „Campeche Bank Hamletbarsch“, eher zu den kleinen Exemplaren. Sein Schwanzansatz, der die Schwanzflosse mit dem Körper des Fisches verbindet, ist vollständig von einem schwarzen Sattelfleck bedeckt. Diese Markierung erstreckt sich über den hinteren Teil des Körpers und manchmal auch über den Bereich der Rückenflosse.
+++ Wie kam es zur Entdeckung der neuen Art? +++
„Mein mexikanischer Kollege Alfonso Aguilar-Perera von der Autonomen Universität Yucatán wandte sich vor einiger Zeit an mich, weil er bei Tauchgängen im Alacranes-Riff in der Campeche Bank einen merkwürdigen Fisch beobachtet hatte“, erzählt Erstautor Oscar Puebla, Meeresbiologe am ZMT und Professor für Fischökologie und -evolution am Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) der Universität Oldenburg.
Das Farbmuster dieses „merkwürdigen“ Fisches ähnelte zwei bekannten Hamletbarsch-Arten, dem Butter-Hamletbarsch (Hypoplectrus unicolor), der in der Karibik weit verbreitet ist, und dem Veracruz-Hamlet (Hypoplectrus castroaguirrei), der im westlichen Golf von Mexiko lebt. Trotz der Ähnlichkeit wies der neu entdeckte Fisch in seiner Markierung jedoch deutliche Unterschiede zu diesen beiden Arten auf.
„Das machte uns neugierig. Wir waren beide der Meinung, dass es sich um einen hochinteressanten Fund handelte, wussten aber auch, dass wir genetische Daten und eine breitere geografische Perspektive benötigten, um diesen Fisch genau zu bestimmen“, so Puebla weiter.
Um Daten für die Identifizierung der Art zu sammeln, holten die beiden Wissenschaftler weitere Kollegen an Bord: die Ichthyologen Omar Domínguez Domínguez (Universität Michoacana de San Nicolás de Hidalgo in Mexiko) und Ross Robertson vom Smithsonian Tropical Research Institute in Panama sowie den Bioinformatiker Martin Helmkampf vom ZMT. Die professionellen Unterwasserfotografen Allison und Carlos Estapé vervollständigten das Team und steuerten zahlreiche Aufnahmen von Hamletbarschen in der Campeche-Bank bei.
Gemeinsam konnten die Forschenden so einen umfassenden Datensatz zusammenstellen, der genetische Daten, geografische Aufzeichnungen und Fotos enthielt.
„Für ein laufendes Projekt hatten wir bereits mehrere Genome von Hamletbarschen sequenziert – darunter auch die des Butter-Hamletbarsch (Hypoplectrus unicolor) und des Veracruz-Hamlet (Hypoplectrus castroaguirrei)“, erklärt Mitautor Martin Helmkampf, der die genomischen Daten analysierte. „Die genetischen Daten zeigten, dass es sich bei dem Fisch, den unser Kollege Alfonso Aguilar-Perera beobachtet hatte, tatsächlich um eine neue Art handelt.“
„Wir haben den Fisch dann anhand von weiteren Exemplaren beschrieben, die von den Kollegen Omar Domínguez Domínguez und Ross Roberston gesammelt wurden“, ergänzt Oscar Pubela. „Der schwarze Sattelfleck am Schwanzansatz der neuen Art unterscheidet sie vom Butter-Hamlet, bei dem dieser Fleck weniger umfangreich ist und nur einen Teil des Schwanzansatzes bedeckt. Außerdem fehlt bei der neuen Art die schwarze Augenmaske, die für den Veracruz-Hamlet charakteristisch ist.“
+++ Warum entdeckt man noch neue Arten bei den Hamlet-Barschen? +++
„Früher hielt man verschiedene Hamletbarsche für unterschiedliche Farbvarianten einer Art, heute weiß man, dass es sich um einzelne Arten handelt. Der Artbildungsprozess bei den Hamletbarschen ist noch nicht abgeschlossen, deshalb bietet diese Spezies eine hervorragende Möglichkeit, um die genetischen Triebkräfte einer schnellen Artenaufspaltung zu untersuchen“, so Puebla weiter. „Wie viele Arten es auf der Welt gibt, hängt davon ab, wie schnell neue Arten entstehen und wie viele aussterben. Das Beispiel der Hamletbarsche zeigt, wie ein natürlicher Evolutionsprozess dem Verlust der biologischen Vielfalt entgegenwirken kann.“
+++ Neue Art nach mexikanischem Ichthyologen benannt +++
Die Forschenden nannten die neue Art Hypoplectrus espinosai zu Ehren von Héctor Salvador Espinosa Pérez (1954 – 2022), einem engagierten mexikanischen Ichthyologen. Er gründete die Mexikanische Ichthyologische Gesellschaft und war Kurator der Mexikanischen Nationalen Fischsammlung.
Der umgangssprachliche Name „Campeche Bank Hamletbarsch“ bezieht sich auf das geografische Verbreitungsgebiet der Art – die Campeche Bank vor der Nordküste der Halbinsel Yucatán im Südwesten des Golfs von Mexiko. Diese Artbeschreibung hebt die Campeche Bank im Besonderen und den Golf von Südmexiko im Allgemeinen als ein Gebiet von Interesse hervor, das endemische Rifffische beherbergt und daher besonders geschützt werden muss.
Originalpublikation:
Puebla, O., Aguilar-Perera, A., Helmkampf, M., Robertson, D.R., Estapé, C.J., Estapé, A.M. & Domínguez-Domínguez, O. (2025) Hypoplectrus espinosai sp. nov. (Teleostei: Serranidae), a new hamlet on coral reefs in the southwestern Gulf of Mexico. Zootaxa, 5618 (4), 509–524. https://doi.org/10.11646/zootaxa.5618.4.3
09.04.2025, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Eingeschränkte Bewegung von Staren mit Parasiten-Infektionen wirkt sich negativ auf deren Nachwuchs aus
Infektionen mit Parasiten sind bei vielen Tieren äußerlich oft nicht sichtbar, können aber negative Auswirkungen über Generationen hinweg haben. Infizierte Tiere weisen häufig verringerte Körpermaße auf und ihr Nachwuchs hat einen schwierigeren Start ins Leben. Dies kann damit zusammenhängen, dass infizierte Tiere ein verändertes Bewegungsverhalten zeigen, ihr Aktionsradius eingeschränkt ist und sie damit bei der Nahrungssuche weniger Zugang zu beutereichen Gebieten haben. Ein Team von Forschenden des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), der Technischen Universität Berlin und der Universität Potsdam konnte dies nun erstmalig belegen.
Der Aufsatz ist in der Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences“ erschienen. Das wissenschaftliche Team um Marius Grabow und Stephanie Kramer-Schadt aus der Abteilung für Ökologische Dynamik des Leibniz-IZW und der Technischen Universität Berlin stattete 29 Stare (Sturnus vulgaris) in zwei Kolonien in der Uckermark mit hochauflösenden Leichtgewicht-Sendern des Telemetrie-Systems ATLAS aus, vermaß ihre Körper und entnahm jeweils eine kleine Menge Blut. Zugleich kontrollierten sie systematisch die Nester der Kolonien während der Brutzeit im Frühjahr, erhoben Zeitpunkt und Anzahl der gelegten Eier, der geschlüpften Küken und der flügge gewordenen Jungvögel und nahmen deren Körpermaße im Alter von 15 Tagen auf. Durch die räumlich und zeitlich sehr hochauflösenden Daten des ATLAS-Systems konnten die Forschenden die Bewegungen der Elterntiere genau verfolgen, beispielsweise wie oft und wohin die Eltern in den 15 ersten Lebenstagen des Nachwuchses zur Nahrungssuche flogen. Damit konnte das Team die Auswirkungen des Bewegungsverhaltens auf den Fortpflanzungserfolg untersuchen.
Analysen des Bluts durch Prof. Ralph Tiedemann, Lehrstuhl für Evolutionsbiologie / Spezielle Zoologie der Universität Potsdam, zeigten, dass 11 der 29 erwachsenen Stare Infektionen mit Blutparasiten (Haemosporidia) aufwiesen, welche die sogenannte Vogelmalaria auslösen. Typischerweise vermindern diese Infektionen die Leistungsfähigkeit von Individuen, was die eingeschränkten Bewegungsmuster der infizierten Tiere erklären kann. Grabow, Kramer-Schadt und ihre Kolleg:innen konnten nun erstmals an Tieren im Freiland zeigen, welche Auswirkungen diese Leistungseinschränkung auf die Futtersuche während der Fortpflanzungszeit und damit auf den Nachwuchs hat.
Nachwuchs infizierter Vögel ist 12 Prozent leichter
Statistische Analysen zeigten einen klaren Zusammenhang zwischen dem Körperzustand der Jung-Stare und der Infektion der Eltern. Infizierte Vögel verbrachten weniger Zeit mit der Nahrungssuche und blieben im Schnitt näher beim Nest. Dadurch waren sie gezwungen, bei der Auswahl der Gebiete, in denen sie Nahrung finden, deutlich weniger wählerisch zu sein als nicht infizierte Artgenossen. Sie suchten häufiger in für Stare weniger ergiebigen Ackerflächen als in Wiesenflächen, wo Stare besser Nahrung wie zum Beispiel Engerlinge finden. Vermutlich konnten sie daher nur seltener und weniger lohnende Beute machen, was sich in einem schlechteren körperlichen Allgemeinzustand der infizierten erwachsenen Stare niederschlug. Dies hatte zwar keinen nachweisbaren Effekt auf die Anzahl der gelegten Eier und der geschlüpften Küken – aber einen deutlichen negativen Effekt auf den Körperzustand und damit die Überlebenswahrscheinlichkeit der jungen Stare. Der Nachwuchs infizierter Eltern war im Schnitt 12 Prozent leichter als der Nachwuchs gesunder Eltern.
Plausible Erklärung für geringeren Fortpflanzungserfolg und Überlebenschancen
Mit Blutparasiten infizierte Tiere zeigen häufig keine erkennbaren Symptome und Tierpopulationen erscheinen gesund, obgleich die Infektionen trotzdem negative Auswirkungen auf die Wirte haben. Typische Symptome dieser sogenannten sub-klinischen Infektionen sind Lethargie oder ein eingeschränkter Aktionsradius. Die Folgen sind häufig subtil, haben aber entscheidende Folgen für die Nahrungssuche einzelner Individuen und damit für ihre Fortpflanzung oder ihr Überleben. „Wir konnten hier erstmals eine logisch schlüssige Kette an Faktoren herstellen und statistisch klare Zusammenhänge und Wirkungsgefüge aufzeigen“, sagt Grabow, Erstautor des Aufsatzes und Doktorand am Leibniz-IZW in der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten und von Prof. Florian Jeltsch an der Universität Potsdam geleiteten Graduiertenschule „BioMove“. „Die belastbaren Zusammenhänge zwischen Infektion, Aktionsradius, Habitatauswahl bei der Nahrungssuche und der schlechteren körperlichen Fitness von Eltern und Jungtieren liefern eine plausible Erklärung für Nachteile der Jung-Stare bei ihrem Start ins Leben und damit für geringere Überlebenschancen. Damit können wir zeigen, dass auch nicht unmittelbar sichtbare Infektionen gravierende Folgen haben können – über Generationen hinweg.“
Trackingsystem ATLAS ermöglicht genaue Einblicke in Bewegung und Verhalten
Das hochauflösende Telemetriesystem ATLAS wurde an der Hebrew University of Jerusalem und der Universität Tel Aviv entwickelt und zeichnet im Sekundentakt präzise Positionsdaten von Tieren mit ultraleichten Sendern auf. ATLAS steht für „Advanced Tracking and Localization of Animals in real-life Systems“ und ist ein sogenanntes „reverse GPS tracking system“. Das bedeutet, dass die Tiersender nur ein einfaches Signal senden und die Position durch lokale Antennen vor Ort erfasst und berechnet wird. Dadurch können die Sender kleiner und leichter sein. Auf der anderen Seite setzt dieses System eine Antenneninfrastruktur auf lokaler Ebene voraus. Diese wird bei aktuellen Studien innerhalb des Graduiertenkollegs durch eine Vielzahl lokaler Unterstützer:innen in der Uckermark getragen, die Antennenstandorte für das System sowie den Fang der Stare möglich gemacht haben.
Originalpublikation:
Grabow M, Landgraf C, Niedballa J, Scholz C, Pufelski J, Nathan R, Toledo S, Jeltsch F, Blaum N, Radchuk V, Tiedemann R, Kramer-Schadt S (2025): Pathogen-induced alterations in fine-scale movement behaviour predict impaired reproductive success. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences. DOI: 10.1098/rspb.2025.0238
09.04.2025, Museum Wiesbaden
Neueröffnung Wandel
Vom Klimawandel bis hin zu Maria Sibylla Merian
Der neue Themenraum in der Dauerausstellung „Ästhetik der Natur“ im Museum Wiesbaden widmet sich den Transformationsprozessen in der Natur und deren Einfluss auf unser Leben.
Am 1. April 2025 hat das Museum Wiesbaden den Themenraum „Wandel“ eröffnet. Die Natur unterliegt ständiger Veränderung, dem Wechsel von Zerstörung, Erneuerung und Umwandlung. Vom kleinen Schmetterling, der in seinem Leben eine Verwandlung von der Raupe zum Falter durchläuft bis zu den gewaltigen geologischen Prozessen, die die Erde formen – alles unterliegt einem unaufhörlichen Wandel. Die Ausstellung lädt ein, die unterschiedlichen Aspekte dieser Veränderungen zu entdecken und ihre Triebkräfte und Dynamiken zu verstehen.
Die Vielgestaltigkeit der Minerale, der Kreislauf der Gesteine, der Wandel von Energieformen und die Evolution am Beispiel von Äpfeln und Vogeleiern bilden ab 1. April 2025 den Auftakt in einer deutschlandweit einmaligen Präsentation. Eingeleitet wird die Schau durch einen interaktiven Globus, der Möglichkeiten bietet in der Zeit zu reisen, den Drift der Kontinente zu verfolgen und Daten des Klimawandels abzurufen.
Neben originalen Sammlungsstücken vom Ende des 17. Jahrhunderts und dreidimensionalen Nachbauten ihrer Kupferstiche – sogenannter Dioramen – wird die Sammlung von Naturwissenschaftlerin und Künstlerin Maria Sibylla Merian, deren Südamerika-Sammlung im Museum Wiesbaden lagert, vorgestellt. „Beim Betrachten der Dioramen, die Merians Kupferstichen nachempfunden wurden, können wir uns in Merian hineinversetzen. So können wir – wie sie – auf europäischen Wiesen auf Entdeckungstour gehen“, freut sich Kurator Dr. Hannes Lerp über die Arbeit der Präparation.
Zudem lobt das Museum Wiesbaden gemeinsam mit der Alfred-Weigle-Stiftung ab dem Jahr 2025 den Maria Sibylla Merian-Preis für angehende Künstlerinnen und Naturwissenschaftlerinnen aus. Der Preis soll eine Publikation ermöglichen, die die eigene Arbeit einer breiten Öffentlichkeit vorstellt – ganz im Geist des Werks von Merian.
Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Mineraliensammlung des Museums, die nun dauerhaft dem Publikum vorgestellt wird. Und schließlich wird der Mensch selbst in dem Mittelpunkt gerückt. Denn die Entdeckungen von Elektrizität und Radioaktivitäten und deren anschließende Nutzung veränderten nicht nur unser Leben radikal, sondern auch unseren Blick auf die Welt.
Die Naturhistorischen Sammlungen
Das Museum Wiesbaden beherbergt eine der größten naturhistorischen Sammlungen Deutschlands. Mit dem Themenraum „Wandel“ wird die bestehende Dauerausstellung mit den Themenräumen Form, Farbe, Bewegung und Zeit vervollständigt. In einem sinnlichen Erlebnis vermittelt die dauerhafte Präsentation Ästhetik der Natur die Schätze der Natur. Von einem lebensgroßen Eisbären bis zu hunderten von farbenprächtigen Schmetterlingen – mit mehr als 6.000 Naturobjekten aller Kontinente und vergangenen Erdzeitaltern werden die Besuchenden auf den Spuren der Erd- und Evolutionsgeschichte in die formenreiche und farbprächtige Vielfalt der Natur eingeladen.
Das Hessisches Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt, Weinbau, Forsten, Jagd und Heimat unterstützte die Umsetzung des Themenraums „Wandel“ durch substanzielle finanzielle Förderung. Die Nassauische Sparkasse ist Partner der Dauerausstellung Ästhetik der Natur.
10.04.2025, Helmholtz-Zentrum Hereon
Wer frisst wen? Neues Modell für Nahrungsnetze im Meer
Hereon-Forscher entwickeln innovative Methode, um Räuber-Beute-Beziehungen präziser zu berechnen
Die Nahrungsnetze der Meere sind höchst komplex. Bislang konnten Forschende nicht genau erfassen, wie sie sich Klimawandel, Überfischung und andere Bedrohungen auf sie auswirken. Wissenschaftlern des Helmholtz-Zentrums Hereon in Geesthacht ist nun ein Durchbruch gelungen. Sie haben ein neues Computermodell entwickelt, mit dem sich Nahrungsnetze genauer denn je simulieren lassen. Die Arbeit, die im Magazin Nature Ecology & Evolution erschienen ist, eröffnet neue Perspektiven für den Meeresschutz.
„Es fehlte bis jetzt an Computermodellen, die mit einem überschaubaren Aufwand die Reaktion der Nahrungsnetze auf Fischerei, Klimawandel und andere Einflüsse realistisch abbilden“, sagt Dr. Ovidio Fernando García-Oliva, Ökosystemmodellierer am Hereon und Erstautor der Studie. Zwar gebe es bereits Computermodelle, die die komplizierten Verflechtungen der Nahrungsnetze nach dem Prinzip „wer frisst wen“ simulieren sollen. Doch sie seien zu ungenau. Deshalb hat García-Oliva zusammen mit dem Leiter der Arbeitsgruppe Ökosystemmodellierung am Hereon, Prof. Kai Wirtz, eine neue Methode entwickelt.
Herkömmliche Modelle sind zu ungenau
Um nachzuvollziehen, was dieses neue Computermodell leistet, muss man die Grenzen der bisherigen Ansätze kennen. Es gibt artenspezifische und größenbasierte Modelle. Erstere stellen die einzelnen Beziehungen zwischen Hunderten und Tausenden von Algen- und Tierarten her. Heringe zum Beispiel fressen Fischlarven und Kleinkrebse, Kleinkrebse fressen verschiedene Algen, und so weiter. „Das Wissen für eine so komplexe Darstellung ist aber noch viel zu lückenhaft. Von vielen Organismen im Meer wissen wir noch gar nicht, was sie fressen, wie viel oder von wem sie gefressen werden”, sagt Wirtz. Größenbasierte Modelle gehen hingegen meist von nur einer einzigen simplen Regel aus: „Räuber fressen Beute, die im Durchmesser etwa fünf bis zehnmal kleiner ist als sie selbst.“ Doch diese Regel, sagt García-Oliva, treffe nur auf etwa 50 Prozent aller Meereslebewesen zu. Sie reiche also nicht aus, um Nahrungsnetze in Gänze zu simulieren.
Hereon-Forscher entdecken neue Beutestrategien
Die Wissenschaftler aus Geesthacht haben zwei weitere, wesentliche Ernährungsstrategien von Meereslebewesen in ein größenbasiertes Modell integriert. Erstens: „Räuber fressen deutlich größere Beute, unabhängig von der eigenen Größe“. Dazu gehören zum Beispiel Orcas, die deutlich größere Wale angreifen. Zweitens: „Räuber fressen deutlich kleinere Beute, deren Größenspektrum nicht mit der eigenen Größe variiert“. Das sind zum Beispiel Bartenwale, die unabhängig von Alter, Größe oder Art den Krill filtern, oder Kleinkrebse, die sich von den winzigen Partikel-Überresten abgestorbener Tiere und Algen ernähren. Diese beiden Ernährungsmuster finden sich bei Krustentieren, Fischen, Quallen und auch Meeressäugern – also in jeder Artengruppe. Sie eignen sich daher gut, um Nahrungsnetze umfassend zu beschreiben.
Ozeane als komplexe Systeme besser verstehen
Diese beiden Beutestrategien sind bislang nur teilweise in artenspezifischen Modellen berücksichtigt worden. Nämlich dann, wenn Arten explizit bekannt sind, die größere Arten fressen, wie Orcas. García-Oliva und Wirtz haben die beiden Strategien erstmals in Regeln zusammengefasst, sie formal und quantitativ beschrieben und dann in ein größenbasiertes Modell integriert. Sie können damit 85 bis 90 Prozent aller Räuber-Beute-Beziehungen im Meer abbilden. Das ist laut Wirtz genau genug, um das Modell für künftige Simulationen zu verwenden – zum Beispiel, um zu verstehen, wie die Meereslebensräume auf den Klimawandel reagieren. Darüber hinaus eigne sich das Modell auch, um vorherzusagen, wie sich ein Meereslebensraum verändert, wenn er unter Schutz gestellt und Fischerei verboten wird. „Solche Erkenntnisse sind für das künftige Management von Meeresschutzgebieten extrem wichtig“, sagt Wirtz. Und sie helfen Forscherinnen und Forschern, die Küsten und Ozeane als komplexe Systeme besser zu verstehen und digital abzubilden.
Originalpublikation:
https://www.nature.com/articles/s41559-025-02647-1
10.04.2025, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Invasion der Vielfresser: Den Kampf ums Futter gewinnen die Neozoen
Eine Metaanalyse unter Federführung der Universidade Federal do Paraná, Brasilien, und Beteiligung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), hat untersucht, wie sich gebietsfremde von heimischen Arten in der Nutzung von Nahrungsressourcen unterscheiden. Die Analyse zeigt, dass die maximalen Fraßraten der gebietsfremden Arten durchschnittlich um 70 Prozent höher lagen als die ihrer heimischen Gegenparts. Ein weitere Studie des IGB hat den Kampf ums Futter zwischen invasiven und heimischen Süßwasserkrebsen nachempfunden. Das Ergebnis: Sieger im Ring ist – dank Schnelligkeit und aggressiverem Verhalten – der invasive Flohkrebs Gammarus tigrinus.
Um neue Lebensräume zu besiedeln müssen gebietsfremde Arten über besondere Anpassungs- und Konkurrenzfähigkeiten verfügen. Erfolgreichen invasiven Arten wird eine höhere Nutzungseffizienz von Ressourcen zugeschrieben als einheimischen Arten, die an einer ähnlichen Position im Nahrungsnetz stehen. Das Forschungsteam unter Leitung der brasilianischen Bundesuniversität von Paraná hat diese Hypothese in einer globalen Metaanalyse von so genannten vergleichenden funktionellen Reaktionsstudien quantitativ überprüft. Darunter versteht man Studien, die vergleichen, wie viel Nahrung pro Zeiteinheit bei unterschiedlichen Nahrungsdichten gefressen wird.
„Nicht alle Arten, die in neue Lebensräume eingeführt werden, richten Schaden an. Um mögliche Folgen für die Biodiversität abschätzen zu können, ist es wichtig, diejenigen gebietsfremden Arten zu identifizieren, die auch signifikante negative Auswirkungen haben. Hohe Fraßraten sind dafür ein wichtiges Maß, denn wenn gebietsfremde Arten andere Arten in großem Umfang fressen, kann dies weitreichende Folgen für die Artenzusammensetzung und die Ökosysteme haben“, sagt IGB-Forscher Prof. Jonathan Jeschke, einer der Autoren der beiden Studien.
70 Prozent höhere Verzehrraten bei invasiven Arten:
Die maximalen Verzehrraten der gebietsfremden Arten in den untersuchten Studien waren im Durchschnitt 70 Prozent höher als bei den einheimischen Arten. Die Größenordnung der maximalen Verzehrraten variierte je nach Artengruppe und funktioneller Nahrungsgruppe, also beispielsweise ob Pflanzenfresser, Fleischfresser, etc. Besonders große Unterschiede zwischen gebietsfremden und einheimischen Arten fanden die Forschenden bei Süßwasserarten. „Dies könnte die Empfindlichkeit isolierter Süßwassernahrungsnetze gegenüber neuen Konsumenten widerspiegeln“, sagt Dr. James Dickey, ebenfalls IGB-Forscher und an beiden Studien beteiligt.
Ein prominentes Beispiel ist die Einführung des Nilbarsches (Lates niloticus) in den Viktoriasee in den 1960er Jahren, die zum Aussterben von Dutzenden endemischer Buntbarscharten führte. Der Konkurrenzdruck um Ressourcen durch invasive Arten und die damit verbundene Störung ökologischer Nahrungsnetze wird voraussichtlich weltweit immer mehr zum Artensterben beitragen, insbesondere weil vielerorts die Lebensräume und damit auch die Nahrungsgrundlagen schrumpfen, so die Autor*innen.
Kampf ums Futter bei Flohkrebsen:
In einem Experiment haben die Forschenden des Teams diesen Kampf um Nahrung an zwei Gammaridenarten genauer untersucht. Einige Gammariden aus der Familie der Flohkrebse sind dominante und ökologisch wichtige Arten. Sie sind zudem besonders erfolgreich, sich neue Verbreitungsgebiete zu erschließen, vor allem in Europa. Über die Konkurrenz mit einheimischen Arten ist bisher jedoch wenig bekannt.
Die Forschenden haben den nordamerikanischen Gammarus tigrinus gegen den einheimischen europäischen Gammarus duebeni in einem Kampf um Zuckmückenlarven antreten lassen. In den inszenierten Zweikämpfen wurden Individuen des einheimischen und des invasiven Flohkrebses in die Versuchsarena mit der Nahrungsquelle gesetzt. Konkurrenten der gleichen oder der anderen Art kamen hinzu, sobald das erste Individuum die Nahrung in Beschlag genommen hatte bzw. 20 Minuten später.
Der invasive Flohkrebs sichert sich die Beute schneller und verteidigt sie stärker:
Der invasive Flohkrebs schnappte sich die Mückenlarve in den ersten 20 Minuten mit höherer Wahrscheinlichkeit und schneller als der einheimische Flohkrebs. In dieser Zeit war die invasive Tierart auch entdeckungsfreudiger und verbrachte weniger Zeit in der äußeren Zone des Beckens. Mit zunehmender Größe und Masse zeigte sie aggressivere Interaktionen und mehr Aktivität. Der invasive Gammarus tigrinus verlor seine Beute mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit an Artgenossen als an den einheimischen Gammarus duebeni. Gammarus duebeni hingegen verlor seine Beute mit ähnlicher Wahrscheinlichkeit an den invasiven Konkurrenten oder an seine Artgenossen. „Insgesamt deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass das hier gezeigte Verhalten und die Konkurrenzfähigkeit von Gammarus tigrinus seine Invasion erleichtern“, sagt Julian Zeller, der zusammen mit James Dickey Erstautor der Studie ist. Er ist Masterstudent an der Freien Universität Berlin.
Erkenntnisse für das Management invasiver Arten:
Die Einschleppung und Ausbreitung invasiver Arten zu verhindern, gilt als die wirksamste Maßnahme, um sozioökologische Auswirkungen abzumildern. Die Kosten für ein Management vor der Invasion sind bis zu 25 Mal niedriger als die Kosten für ein Management nach der Invasion. „Vergleiche zu den Verzehrraten könnten gerade bei kleineren Tieren wie Wirbellosen – deren Auswirkungen ansonsten oft schwer abzuschätzen sind – ein hilfreiches Instrument des präventiven Monitorings sein“, sagt James Dickey.
Originalpublikation:
Faria, L., Cuthbert, R.N., Dickey, J.W.E., Jeschke, J.M., Ricciardi, A., Dick, J.T.A. and Vitule, J.R.S. (2025), Non-native species have higher consumption rates than their native counterparts. Biol Rev. https://doi.org/10.1111/brv.13179
Dickey JWE, Zeller JW, Briski E, Jeschke JM, Arnott G (2025) Food fight: Gammarus tigrinus demonstrate competitive advantage over native G. duebeni. NeoBiota 97: 301-318. https://doi.org/10.3897/neobiota.97.141901
10.04.2025, Universität Hamburg
Einblick in die Evolution der Primaten: Erbgut von sechs Menschenaffenarten erstmalig vollständig entschlüsselt
Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Fachbereichs Biologie der Universität Hamburg hat die vollständigen Genome von sechs dem Menschen nah verwandten Primatenarten entschlüsselt. Die Analysen ermöglichen tiefere Einblicke in die Evolution der Menschenaffen und dienen als Grundlage für künftige genetische Studien. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Seit der ersten Sequenzierung des menschlichen Genoms im Jahr 2001 gibt es Anstrengungen, auch Primatengenome zu entschlüsseln, denn das Wissen könnte bei der Rekonstruktion der Evolutionsgeschichte wie auch bei der Erforschung von Krankheiten hilfreich sein. Allerdings blieben bei früheren Genomstudien immer noch Lücken, sowohl was die Vollständigkeit der eigentlichen Genomsequenzen als auch die Zusammenstellung der untersuchten Arten anging.
Diese Lücken sind nun von einem internationalen Forschungsteam unter Leitung von Evan E. Eichler von der Washington University geschlossen worden. Das Team hat die vollständigen Genome von gleich fünf Menschenaffenarten bestimmt: vom Schimpansen, Bonobo, Gorilla, Borneo-Orang-Utan und Sumatra-Orang-Utan sowie zusätzlich von dem den Menschenaffen nahe verwandten Siamang.
„Der besondere Erfolg dieser hervorragenden Team-Arbeit ist die Genauigkeit der Genomsequenzen von im Schnitt weniger als einem Fehler in 500.000 Basenpaaren. Hierdurch konnten insgesamt 215 lückenlose Chromosomen sequenziert werden“, sagt Prof. Dr. Tobias Lenz vom Fachbereich Biologie der Universität Hamburg und Mitautor der Studie. Der Beitrag seiner Arbeitsgruppe, insbesondere der Mitarbeiterinnen Dr. Joanna Malukiewicz und Dr. Britta Meyer, befasste sich dabei vor allem mit der Entschlüsselung von Immungenen, also Genen, die für bestimmte Proteine des Immunsystems von besonderer Bedeutung sind.
Die vollständige Sequenzierung der Genome wurde durch verbesserte Sequenziertechnologien sowie weiterentwickelte Genomanalysemethoden ermöglicht. Mit den neuen Daten können frühere Analysen erheblich verfeinert werden. Für alle künftigen evolutionären sowie genetischen Vergleiche stehen damit nun aussagekräftigere Quellen zur Verfügung. Dazu gehört unter anderem ein verbessertes Verständnis der genetischen Verwandtschaft dieser Arten, ihrer artspezifischen Eigenarten, aber auch ihrer Ähnlichkeit zum Menschen, zum Beispiel auf zellulärer Ebene.
„Mit diesen neuen Genomdaten, die ja den Bauplan aller Körperzellen darstellen, können wir nun auch besser erforschen, warum manche Krankheitserreger leichter auf andere Arten – und somit auch auf den Menschen – überspringen können“, so Lenz.
Originalpublikation:
Yoo, D., Rhie, A., Hebbar, P. et al.: Complete sequencing of ape genomes. Nature (2025)
DOI https://doi.org/10.1038/s41586-025-08816-3
10.04.2025, Deutsche Wildtier Stiftung
Weiße Hasen: nicht unschuldig, sondern kämpferisch
Was den Schneehasen mit Tizians Madonna und Ostern verbindet
Unschuldig in der Kunst, bedroht in der Natur: Das berühmte Gemälde „Madonna mit dem weißen Kaninchen“ von Tizian zeigt Maria mit dem Jesuskind, begleitet von der heiligen Katharina von Alexandrien – mit einem weißen Kaninchen im Vordergrund. Das Bild, um 1530 entstanden, hängt heute im Louvre in Paris. Doch warum ist ein Kaninchen auf einem religiösen Renaissance-Gemälde zu finden? „Hasen und Kaninchen zählen beide zur Familie der Hasenartigen. Ihre weißen Vertreter symbolisieren in der Kunst Reinheit und Unschuld“, erklärt Professor Klaus Hackländer, Wildtierbiologe und Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung. Kunsthistoriker deuten sie zudem als Symbol für die jungfräuliche Geburt – eine Vorstellung, die ihren Ursprung in der Antike hat. Die bei uns lebende Wildform der weißen Hasen, der Alpenschneehase, hat hingegen wenig mit Jungfräulichkeit zu tun.
Der Schneehase gehört mit zu den fruchtbarsten Säugetieren der Alpen: „Schneehasen bekommen zwei bis drei Mal im Jahr Nachwuchs“, sagt Hackländer. Besonders im Frühjahr, bis Ende April, ist bei Hasens Hauptpaarungszeit: Dann jagen Hase und Häsin einander und teilen gegenseitige Boxhiebe aus. Nur kräftige Rammler halten dies durch und werden anschließend von den Weibchen zur Paarung zugelassen. Häsinnen können während ihrer Tragezeit von etwa 50 Tagen in seltenen Fällen sogar nochmals befruchtet werden. Dann befinden sich Junghasen unterschiedlicher Entwicklungsstadien zeitgleich in der Gebärmutter, und der Abstand zwischen zwei Geburtsereignissen verkürzt sich deutlich – diesen Trick von Mutter Natur nennt man Superfötation oder Schachtelträchtigkeit.
Bei der Partnersuche ist die Häsin durchaus offen für die Avancen naher Verwandter: „Weibliche Schneehasen ziehen unter Umständen einen Feldhasen für die Paarung vor, weil dieser größer und stärker als ein Schneehase ist“, sagt Hackländer. Der Nachwuchs dieser Begegnungen ist fortpflanzungsfähig – mit möglicherweise gravierenden Folgen für den Artbestand des Alpenschneehasen. Wie häufig diese Hybridisierungen vorkommen, erforscht Dr. Stéphanie Schai-Braun, Trägerin des Forschungspreises 2023 der Deutschen Wildtier Stiftung. Ihre Studien sollen zeigen, wie stark der Klimawandel die genetische Reinheit und das Verbreitungsgebiet von Schnee- und Feldhasen beeinflusst. Denn mit dem klimawandelbedingten Temperaturanstieg dringt der Feldhase immer häufiger und immer weiter in Höhenlagen von 1.300 Metern und darüber – dem Revier des Alpenschneehasen – vor.
Auch die schneeweiße Weste des Schneehasen wird im Frühling weniger rein: Ab April beginnt sein Fell sich zu verfärben, um sich der schneelosen Umgebung anzupassen. Der Pelz wird scheckig und schließlich braun. Dadurch verschmelzen die Hasen optisch mit ihren steinigen Verstecken unter Wurzeln und zwischen Zwergsträuchern der Alpen und sind so gut geschützt vor Fressfeinden wie dem Steinadler oder dem Fuchs. Wegen des Klimawandels und des damit einhergehenden Rückgangs von geschlossenen Schneedecken in den Bergen kommt der Fellwechsel allerdings mittlerweile oft zu spät – und der Alpenschneehase sitzt in seiner weißen Pracht auf der grünen Wiese. Hybridisierung und Klimawandel bedrohen den Schneehasen. Es gilt ihn zumindest vor Störungen durch den Menschen zu schützen. Damit er und seine weißen Verwandten nicht bald nur noch im Museum zu sehen sind.
10.04.2025, Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV) e. V.
Die letzte ihrer Art: Uferschnepfe droht in Bayern auszusterben
Hilferuf aus dem Naturschutz: Seltener Vogel der Feuchtwiesen muss jetzt gerettet werden
Die Uferschnepfe ist bundesweit vom Aussterben bedroht. In Bayern gibt es nur noch 16 Brutpaare des langbeinigen, grau-braunen Schnepfenvogels. „Die Uferschnepfe liegt auf der Intensivstation der Artenvielfalt. Ihr Überleben hängt am seidenen Faden“, warnt Dr. Norbert Schäffer, Vorsitzender des bayerischen Naturschutzverband LBV (Landesbund für Vogel- und Naturschutz). „Die Chancen diesen spezialisierten und wunderschönen Brutvogel der Feuchtwiesen zu erhalten sind auf ein Minimum gesunken. Wenn wir jetzt nicht handeln, wird sie die nächste Art sein, die in Bayern ausstirbt.“ Der Lebensraum der Uferschnepfe verschwindet zusehends. Die letzten Vögel sind Fressfeinden außerdem nahezu schutzlos ausgeliefert.
Anfang April treffen die ersten Uferschnepfen in ihren bayerischen Brutrevieren ein. Doch ihr unverwechselbarer Gesang ist nur noch in wenigen Gebieten zu hören, denn Wiesen mit feuchten Böden finden sie immer seltener. Die Schnepfenvögel benötigen flache Regenmulden, um mit ihrem dünnen Pinzettenschnabel nach Nahrung zu suchen oder zu ruhen. Für die Aufzucht ihrer Küken sind Uferschnepfen auf strukturreiche, lückige Wiesen mit vielen Käfern, deren Larven, Schnecken und Ringelwürmern angewiesen.
Uferschnepfen leben in lockeren Brutkolonien und zeigen ein bemerkenswertes Sozialverhalten. „Um ihre Nachkommen vor Fressfeinden wie dem Fuchs zu schützen, warnen die Altvögel ihre Küken bei Gefahr und lenken potenzielle Angreifer mit lautstarkem Gezeter und Angriffsflügen ab. Die Jungvögel verstecken sich dann gut getarnt im hohen Gras“, erklärt Verena Auernhammer, LBV-Expertin für Wiesen- und Feldvogelschutz.
In vielen einst gut geeigneten Lebensräumen fehlt es mittlerweile an den passenden Voraussetzungen. So werden die Flächen wegen sinkender Grundwasserspiegel immer trockner. „Wenn es bei Starkregen zu Überflutungen kommt, gelangt mit dem Wasser zu viel Dünger auf angrenzende Flächen. Dort wachsen die Wiesen umso üppiger – selbst extensiv bewirtschaftete Flächen bleiben davon nicht verschont. Für die Uferschnepfen ist das allerdings ein Desaster. Dichte Wiesen können sie viel schwieriger durchdringen und werden nicht als Brutplatz ausgewählt“, sagt Auernhammer. Nach starkem Regen haben die Küken auch keine Chance schnell wieder trocken zu werden und kühlen aus. Die Chancen, Nachwuchs großzuziehen, werden so immer geringer.
Schutzmaßnahmen dringender denn je
Für den Erhalt der letzten Uferschnepfen in Bayern sind jetzt entschlossene Schutzmaßnahmen nötig. Moore und Feuchtwiesen müssen wieder vernässt werden. In diese Lebensräume darf nicht zu viel Dünger gelangen, damit die Wiesen nicht zu dicht bewachsen sind. „Auch die Pflege der Flächen spielt eine Rolle: Wenn Wiesen abwechslungsreich bewirtschaftet und Gehölze, die als Versteck oder Ansitz für Fressfeinde dienen, entfernt werden, steigt die Chance auf erfolgreichen Nachwuchs“, betont die LBV-Expertin. Spazierende können ebenfalls ihren Beitrag leisten, indem sie ihre Hunde anleinen und so Störungen vermeiden, durch die die Vögel ihre Nester aufgeben.
Naturschutz wirkt – das zeigt der Blick nach Niedersachsen
Wenn die Bedingungen in den Brutgebieten stimmen, kann sich die Uferschnepfe wieder erholen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Wiesenvogelschutzgebiet Dümmer in Niedersachsen. Dort haben sich die Brutpaare innerhalb von 10 Jahren verdoppelt – seit gezielte Schutzmaßnahmen konsequent umgesetzt wurden. „Arten wie die Uferschnepfe, die besonders auf einen Lebensraum spezialisiert sind, brauchen ein intaktes Ökosystem, um überleben zu können. Wenn diese Vögel verschwinden, verlieren wir ein wichtiges Stück unserer Artenvielfalt und verfehlen unser gemeinsames Ziel, sie zu bewahren“, mahnt LBV-Vorsitzender Dr. Norbert Schäffer.
11.04.2025, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
„Internet der Natur” – Einblicke in die verborgenen Netzwerke des Lebens
Neue Erkenntnisse zeigen, warum der Informationsaustausch zwischen Arten entscheidend ist für die Stabilität von Ökosystemen.
Eine Studie, geleitet von Dr. Ulrich Brose vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena eröffnet neue Perspektiven auf die Funktionsweise von Ökosystemen. Im Fokus steht das sogenannte „Internet der Natur“. Dieses Konzept zeigt, wie Lebewesen nicht nur Materie und Energie austauschen, sondern auch Informationen, die ihr Verhalten, ihre Interaktionen und die Dynamik von Ökosystemen entscheidend prägen. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature Ecology and Evolution veröffentlicht und bietet einen neuen Blick auf die verborgenen Mechanismen in der Natur.
Um Ökosysteme besser zu verstehen, nutzen Forschende Computer, mit denen sie die Interaktionen zwischen Lebewesen simulieren. Traditionell lag der Schwerpunkt ökologischer Forschung auf dem Austausch von Materie und Energie wie zum Beispiel Nahrungsketten, Bestäubung oder die Verbreitung von Samen. Die aktuelle Studie zeigt jedoch, wie wichtig der Informationsaustausch zwischen Arten für das Verständnis von Ökosystemen ist.
„Ohne Berücksichtigung der Informationsflüsse im ‚Internet der Natur‘ gleicht unser Verständnis natürlicher Prozesse dem Versuch, den globalen Warenverkehr zu erklären, ohne das Internet als Kommunikationsmedium zu berücksichtigen“, so Erstautor Ulrich Brose, Leiter der Forschungsgruppe Biodiversitätstheorie bei iDiv und der Universität Jena.
Die Forschenden identifizieren drei Ebenen des Informationsaustauschs in Ökosystemen: trophische Informationsflüsse, reine Informationsflüsse und Umweltinformationsflüsse.
Trophische Informationsflüsse umfassen Signale, die zwischen Beute und Räubern ausgetauscht werden. Ein Beispiel: Wölfe nutzen ihre Nasen, Ohren und Augen, um Elche und ihre Fährten aufzuspüren. Die Elche wiederum reagieren auf die Wölfe, indem sie sich in Gruppen sammeln und in dichte Vegetation zurückziehen.
Reine Informationsflüsse beziehen sich auf Interaktionen zwischen Arten, die nicht direkt an Nahrungsbeziehungen beteiligt sind. Zum Beispiel beobachtet eine Hyäne das Verhalten eines kreisenden Geiers, um auf die mögliche Präsenz eines nahegelegenen Kadavers zu schließen.
Umweltinformationsflüsse ermöglichen es Arten, ihr Verhalten an Umweltbedingungen wie Lärm, Licht, oder Temperatur anzupassen. Beispiele sind Motten, die nachts auf Licht reagieren, Spinnen, die ihre Netze in der Nähe von Lichtquellen bauen, oder Chamäleons, die ihre Tarnung je nach Umgebung anpassen.
Herausforderungen durch Störungen der Sinneswahrnehmung
Die Studie zeigt, wie menschliche Einflüsse – etwa künstliches Licht, Lärm oder Vibrationen – diese Informationsflüsse stören können.
„“Straßenverkehr und Industrieanlagen verschmutzen nicht nur die Luft, sondern stören auch die Vibrationssignale, mit denen sich beispielsweise Ameisen koordinieren“, erklärt Co-Autorin Dr. Myriam Hirt vom iDiv und der Universität Jena. „Das ist nur ein Beispiel dafür, wie menschliche Aktivitäten die Vibrations- oder auch Pheromonkommunikation beeinträchtigen können, die für Fortpflanzung, Nahrungssuche und sozialen Interaktionen bei Insekten essenziell ist.“
Solche Faktoren verändern die Informationslandschaften, beeinträchtigen die Signalübertragung und können es Arten erschweren, miteinander zu kommunizieren, Ressourcen zu finden oder sich an ihre Umgebung anzupassen. Dies verdeutlicht die Bedeutung von Maßnahmen gegen Lärm und Lichtverschmutzung.
„Das ‚Internet der Natur‘ zu berücksichtigen, wird unser Verständnis der Interaktionen von Tieren, Pflanzen und Mikroben grundlegend verändern“, erklärt Brose. „Wir werden sie nicht mehr als passive Partikel sehen, wie es aus der Physik oder Chemie bekannt ist, sondern als Lebewesen, die aktiv Informationen produzieren und nutzen. Diese neue Perspektive wird auch für den Naturschutz von zentraler Bedeutung sein, um nicht nur Lebensräume, sondern auch die Informationswege zwischen Arten durch verschiedene Medien wie Luft, Wasser oder Boden zu schützen.“
Originalpublikation:
Brose, U., Hirt, M. R., Ryser, R., Rosenbaum, B., Berti, E., Gauzens, B., Hein, A. M., Pawar, S., Schmidt, K., Wootton, K., Kéfi, S. Embedding information flows within ecological networks. Nature Ecology & Evolution (2025). DOI: 10.1038/s41559-025-02670-2