24.03.2025, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Wer ruft da? Fledermäuse lösen sensorische Konflikte und erkennen Täuschungsversuche
Würden Sie jemandem helfen, der um Hilfe ruft, wenn diese Person unversehrt direkt vor Ihnen steht? Wahrscheinlich nicht – und Fledermäuse haben ähnliche Vorbehalte, wie eine neue Studie in Current Biology zeigt. Forschende vom Museum für Naturkunde Berlin und der Universität Neapel Federico II zeigen, dass Fledermäuse visuelle oder geruchliche Eindrücke mit akustischen Signalen abgleichen, um die Realität einer Situation einzuschätzen.
Wenn Fledermäuse von Fressfeinden gefangen werden, stoßen sie sogenannte Notrufe (distress calls) aus, die den Angreifer erschrecken oder Artgenossen alarmieren können. Häufig nähern sich Fledermäuse rufenden Artgenossen in Not, vermutlich um die Gefahr abzuschätzen oder um den Fressfeind zu vertreiben. Die Wissenschaftler*innen nutzten dieses Szenario, um zu testen, ob Fledermäuse Gruppenmitglieder anhand stimmlicher Merkmale individuell erkennen können.
Das Forschungsteam, bestehend aus Mirjam Knörnschild, Martina Nagy und Danilo Russo, analysierte zunächst die akustischen Eigenschaften der distress calls wildlebender Fledermäuse der Art Saccopteryx bilineata in Panama. Sie fanden heraus, dass distress calls individuelle stimmliche Merkmale aufweisen, die es ermöglichen, einzelne Fledermäuse anhand ihrer Stimme statistisch zu unterscheiden.
Um zu überprüfen, ob diese stimmlichen Fingerabdrücke für die Fledermäuse von Bedeutung sind, spielten die Forschenden den Tieren distress calls von Gruppenmitgliedern vor. Diese Playbacks, die in unmittelbarer Nähe ihres Tagesquartiers abgespielt worden, simulierten die unmittelbare Not eines Gruppenmitglieds. Dabei setzten die Forschenden eine Methode ein, bei der die vermittelten Informationen über Gruppenmitglieder entweder übereinstimmten oder widersprüchlich waren. So konnten sie testen, wie Fledermäuse auf widersprüchliche sensorische Signale reagieren.
Im plausiblen Szenario hörten die Fledermäuse distress calls eines Gruppenmitglieds, das das Tagesquartier gerade verlassen hatte. Im unmöglichen Szenario ertönten distress calls eines Gruppenmitglieds, das sich nachweislich noch im Quartier befand, während ein anderes Gruppenmitglied das Quartier verlassen hatte. Erstaunlicherweise reagierten die Fledermäuse nur auf das plausible Szenario – im unmöglichen Szenario, bei dem die distress calls räumlich nicht zum Aufenthaltsort des Rufenden passte, ignorierten die Fledermäuse die Playbacks vollständig. Dies zeigt, dass Fledermäuse sensorische Eindrücke abgleichen und Widersprüche erkennen können – ein Hinweis auf fortgeschrittene kognitive Fähigkeiten.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass diese Fledermäuse über eine hohe kognitive Leistungsfähigkeit verfügen“, erklärt Mirjam Knörnschild. „Indem sie Informationen aus verschiedenen Sinneskanälen integrieren, können sie soziale Signale interpretieren und angemessen reagieren – eine entscheidende Fähigkeit für ihre sozialen Interaktionen.“
Die Studie liefert neue Erkenntnisse darüber, wie stimmliche Individualität komplexe soziale Strukturen bei Fledermäusen unterstützt. „Große Sackflügelfledermäuse leben in stabilen sozialen Gruppen, in denen die individuelle Erkennung vermutlich essenziell für soziale Interaktionen ist. Wir haben beobachtet, dass dominante Männchen als Erste auf distress calls reagieren – was ihre wichtige Rolle in der Kolonieverteidigung unterstreicht“, erläutert Martina Nagy. Zudem stellte das Team fest, dass größere Gruppen stärker auf distress calls reagierten, was darauf hindeutet, dass größere Gruppen eine höhere kollektive Reaktionsbereitschaft zeigen.
Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung multisensorischer Integration bei sozialen Tieren und vertiefen unser Verständnis von Tierkommunikation und Kognition. „Die Fähigkeit, sensorische Informationen zur individuellen Erkennung zu kombinieren, ist ein Kennzeichen fortgeschrittener Kognition, wie man sie bei Primaten oder Elefanten findet“, erklärt Danilo Russo. „Unsere Studie trägt zur wachsenden Forschung über Tierkommunikation bei und hebt die kognitiven Fähigkeiten von Säugetieren mit komplexem Sozialverhalten hervor.“
Die Forschungsarbeiten wurden mit wildlebenden Großen Sackflügelfledermäusen auf Barro Colorado Island, einer Forschungsstation des Smithsonian Tropical Research Institute in Panama, durchgeführt. Das Projekt wurde durch Fördermittel der Baden-Württemberg Stiftung sowie des Europäischen Forschungsrats (ERC) im Rahmen des Horizon 2020-Programms der Europäischen Union (2014–2020) / ERC GA 804352 unterstützt.
24.03.2025, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Das älteste Gesicht Europas: Fossil-Fund schreibt Geschichte unserer Vorfahren neu
Vor 1,4 Millionen Jahren lebten mindestens zwei verschiedene Homininenarten in West-Europa, zeigt neue Studie. Ein internationales Forschungsteam, darunter Senckenberg-Wissenschaftlerin Dr. Julia Galán García, hat im Jahr 2022 entdeckte fossile menschliche Gesichtsknochen auf ein Alter von bis zu 1,4 Millionen Jahren datiert. Die fossilen Fragmente einer linken Gesichtshälfte aus der spanischen Fundstätte Sima del Elefante stellen damit das älteste bekannte Gesicht in Westeuropa dar.
Die jetzt im renommierten Fachjournal „Nature“ erschienene Studie unter Leitung von Dr. Rosa Huguet vom Catalan Institute of Human Paleoecology and Social Evolution (IPHES) und Dr. Xosé Pedro Rodríguez-Álvarez von der Universität Rovira i Virgili, Tarragona, liefert damit entscheidende Erkenntnisse zu frühen Wanderungen und der Evolution von Homininen in Europa während des frühen Pleistozäns.
Die Sima del Elefante in der spanischen Sierra de Atapuerca, einem Gebirgszug in der Provinz Burgos, ist eine der bedeutendsten archäologischen Fundstellen Europas. Sie gehört zu den ältesten bekannten Stätten menschlicher Besiedlung auf dem europäischen Kontinent und liefert entscheidende Erkenntnisse über die Frühgeschichte des Menschen. In der tiefen, höhlenartigen Erdspalte mit einer bis zu 21 Meter mächtigen Sedimentschicht wurden die ältesten menschlichen Überreste Westeuropas gefunden. Ein 2007 entdeckter Unterkiefer eines Frühmenschen, datiert auf etwa 1,2 Millionen Jahre, galt lange als ältester Beleg für die Anwesenheit früher Menschen in Europa.
Während der Ausgrabungskampagne 2022 entdeckte das Atapuerca-Forschungsteam in der Sima del Elefante mehrere Fragmente der linken Gesichtshälfte eines erwachsenen Individuums. Die Fragmente wurden mit Hilfe traditioneller Konservierungs- und Restaurierungstechniken sowie modernster Bildgebungsverfahren und 3D-Analyse rekonstruiert. Nach zwei Jahren intensiver Forschung hat das Team die Ergebnisse in der jetzt in „Nature“ veröffentlichten Studie vorgestellt. „Das als ATE7-1 katalogisierte Fossil – kurz ‚Pink‘ genannt – wurde auf ein Alter von 1,1 bis 1,4 Millionen Jahren datiert. Damit stellt es das älteste bekannte Gesicht in Westeuropa dar“, berichtet Studienleiterin Dr. Rosa Huguet vom IPHES. „Die detaillierte Analyse hat ergeben, dass ‚Pink‘ nicht zur Frühmenschenart Homo antecessor gehört, die an der benachbarten Fundstätte Gran Dolina identifiziert wurde, sondern zu einem primitiveren Homininen. Homo antecessor weist Merkmale eines moderneren Gesichts auf, ähnlich wie Homo sapiens, mit einer ausgeprägten Nasenstruktur. Im Gegensatz dazu sind die Gesichtszüge von ‚Pink‘ primitiver und erinnern an Homo erectus, insbesondere durch die flache und wenig entwickelte Nasenstruktur. Aktuell reicht die Beweislage noch nicht aus, um eine endgültige taxonomische Klassifikation vorzunehmen, deshalb wurde das Fossil vorläufig Homo affinis erectus zugeordnet. Diese Bezeichnung zeigt die Nähe zu Homo erectus, hält aber offen, ob es sich um eine eigene Art handeln könnte.“
Mit einem Alter von bis zu 1,4 Millionen Jahren ist „Pink“ deutlich älter als die auf etwa 860.000 Jahre datierten Funde von Homo antecessor. Das deutet darauf hin, dass der Hominin zu einer Population gehörte, die Europa während einer früheren Migrationswelle erreichte, lange vor Homo antecessor.
Die Schicht TE7 der Sima del Elefante, in der „Pink“ entdeckt wurde, enthält zahlreiche Hinweise auf die Anwesenheit und Aktivitäten von Homininen im frühen Pleistozän. Unter den Funden befinden sich Steinwerkzeuge und Tierknochen mit Schnittspuren. Dr. Xosé Pedro Rodríguez-Álvarez von der Universität Rovira i Virgili erklärt: „Die gefundenen Quarz- und Feuersteinwerkzeuge sind zwar einfach, deuten aber auf eine effiziente Ernährungsstrategie hin und belegen die Fähigkeit der Homininen, die Ressourcen ihrer Umgebung optimal zu nutzen. Schnittspuren an Tierknochen liefern den eindeutigen Beweis, dass diese Werkzeuge zur Zerlegung von Tierkadavern verwendet wurden.“ Huguet ergänzt: „Diese Praktiken zeigen, dass die ersten Europäer ein tiefgehendes Verständnis der verfügbaren tierischen Ressourcen besaßen und diese systematisch nutzten.“
„Paläoökologische Daten deuten darauf hin, dass die Sierra de Atapuerca während des frühen Pleistozäns eine dynamische Landschaft mit einer Mischung aus bewaldeten Gebieten, feuchten Graslandschaften und saisonalen Wasserquellen war – ein ressourcenreicher Lebensraum für frühe menschliche Populationen“, erläutert Co-Autorin Dr. Julia Galán García, Humboldt-Stipendiatin am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und schließt: „Die neuen Erkenntnisse aus Atapuerca belegen nicht nur, dass Europa bereits vor 1,4 Millionen Jahren besiedelt war, sondern auch, dass verschiedene Frühmenschenarten parallel existierten. Das Fossil ‚Pink‘ erweitert das Wissen über unsere frühesten Vorfahren in Europa und wirft gleichzeitig neue Fragen zur Herkunft und Vielfalt der dort lebenden Homininen auf. Woher kamen sie? Wie verlief ihre Entwicklung? Weitere Forschungen in Atapuerca und an anderen Fundstätten können dazu beitragen, diese Fragen zu beantworten und unser Bild der frühen Besiedlung Europas weiter zu präzisieren.“
Originalpublikation:
Huguet, R., Rodríguez-Álvarez, X.P., Martinón-Torres, M. et al. The earliest human face of Western Europe. Nature (2025). https://doi.org/10.1038/s41586-025-08681-0
26.03.2025, Universität Zürich
Der verheerende Einfluss des Menschen auf die Biodiversität
Der Mensch beeinträchtigt die Biodiversität weltweit und in hohem Ausmass. Nicht nur die Artenzahlen nehmen ab, auch die Zusammensetzung der Artengemeinschaften verändert sich. Das zeigt eine im Fachmagazin «Nature» erschienene Studie der Universität Zürich und der Eawag. Es handelt sich um eine der grössten je durchgeführten Untersuchungen zu diesem Thema.
Die biologische Vielfalt ist bedroht. Weltweit verschwinden mehr und mehr Pflanzen- und Tierarten. Verantwortlich dafür ist der Mensch. Bisher fehlte aber eine Synthese dazu, welche menschlichen Eingriffe in die Natur wie schwerwiegend sind, und ob die Auswirkungen überall auf der Welt und bei allen Organismengruppen zu finden sind. Das liegt daran, dass die meisten bisherigen Studien jeweils nur einzelne Aspekte betrachteten. Sie untersuchten entweder die Veränderung der Artenvielfalt über die Zeit oder beschränkten sich auf einen Ort oder auf spezifische menschliche Einflüsse. Eine Verallgemeinerung der Effekte und Auswirkungen des Menschen auf die Biodiversität ist daraus schwer herauslesbar.
Um diese Forschungslücken zu schliessen, hat nun ein Team der Universität Zürich (UZH) und des Wasserforschungsinstituts Eawag eine Synthesestudie durchgeführt, die ihresgleichen sucht. Die Forschenden trugen Daten aus rund 2’100 Studien zusammen, welche die Biodiversität an fast 50‘000 vom Menschen beeinträchtigten Standorten mit ebenso vielen unbeeinflussten Referenz-Standorten verglichen. Die Studien decken Land-, Süsswasser- und Meereslebensräume auf der ganzen Welt ab sowie sämtliche Organismengruppen: von Mikroben und Pilzen über Pflanzen und wirbellose Tiere bis zu Fischen, Vögeln und Säugetieren. «Es ist eine der weltweit grössten je durchgeführten Synthesen zu den Effekten des Menschen auf die Biodiversität», sagt Florian Altermatt, UZH-Professor für Aquatische Ökologie und Leiter einer Forschungsgruppe an der Eawag.
Artenzahlen nehmen deutlich ab
Die Resultate der eben im Fachmagazin «Nature» publizierten Studie sind eindeutig – und lassen keinen Zweifel daran, wie verheerend der Mensch weltweit auf die Biodiversität einwirkt. «Wir haben die Effekte der fünf wichtigsten menschlichen Einflussfaktoren auf die Biodiversität untersucht: Lebensraumveränderungen, direkte Ausbeutung wie Jagd oder Fischerei, Klimawandel, Umweltverschmutzung und invasive Arten», sagt François Keck, Postdoktorand in Altermatts Forschungsgruppe und Erstautor der Studie. «Unsere Ergebnisse zeigen, dass alle fünf Faktoren starke negative Einflüsse auf die Biodiversität haben – und zwar weltweit, in allen Organismengruppen und sämtlichen Ökosystemen.»
Im Durchschnitt war die Artenzahl an beeinträchtigten Standorten nahezu um ein Fünftel tiefer als an unbeeinflussten Vergleichsstandorten. Besonders starke Artenverluste über alle biogeografischen Regionen hinweg finden sich bei Wirbeltieren wie Reptilien, Amphibien oder Säugetieren. Ihre Populationen sind meist viel kleiner als jene von Wirbellosen; das erhöht die Aussterbewahrscheinlichkeit.
Artengemeinschaften verschieben sich
Die Auswirkungen gehen aber weit über den Verlust von Arten hinaus. «Es nehmen nicht nur die Artenzahlen ab», sagt Keck. «Aufgrund des menschlichen Drucks verändert sich auch die Zusammensetzung der Artengemeinschaften.» Die Artenzusammensetzung an einem Standort ist neben der reinen Artenzahl ein zweiter Schlüsselaspekt der Biodiversität. In Hochgebirgsregionen beispielsweise drohen spezialisierte Pflanzen wegen der Klimaerwärmung von Arten aus tieferen Lagen verdrängt zu werden. Unter Umständen bleiben dadurch die Artenzahlen an einem bestimmten Standort gleich – gleichwohl sind die Biodiversität und ihre Ökosystemfunktionen beeinträchtigt, wenn zum Beispiel eine Art verschwindet, die mit ihren Wurzeln den Boden besonders gut vor Erosion schützt. Die stärksten Verschiebungen in den Artengemeinschaften gibt es bei den winzigen Mikroben und den Pilzen. «Das könnte daran liegen, dass diese Organismen kurze Lebenszyklen und hohe Ausbreitungsraten haben und darum rascher reagieren», sagt Ökologe Keck.
Besonders negativ auf die Artenzahl und die Zusammensetzung der Artengemeinschaften wirken laut der Studie Umweltverschmutzungen und Lebensraumveränderungen. Das sei nicht überraschend, sagt Florian Altermatt. Lebensraumveränderungen – etwa, wenn Menschen einen Wald fällen oder eine Wiese planieren – sind oft sehr einschneidend. Bei Verschmutzungen wiederum werden – sei es ungewollt wie bei einer Öltanker-Havarie oder beabsichtigt wie beim Spritzen von Pestiziden – neuartige Stoffe in einen Lebensraum eingebracht, welche dort lebende Organismen vernichten oder schwächen. Der Befund bedeute nicht, dass der Klimawandel im Vergleich weniger problematisch für die Biodiversität sei, sagt Altermatt. «Seine Auswirkungen sind aber wahrscheinlich heute noch nicht in ihrem vollen Ausmass nachweisbar.»
Resultate sind ein Alarmzeichen
Als dritten Schlüsselaspekt der Biodiversität untersuchte das Forschungsteam die sogenannte Homogenität – also wie stark sich Artengemeinschaften an unterschiedlichen Standorten ähneln. Eine grossflächige, intensive Landwirtschaft beispielsweise führt dazu, dass Landschaften – und die darin vorkommenden Artengemeinschaften – homogener, also ähnlicher werden. Bei diesem Aspekt waren die Effekte uneinheitlich: In manchen Studien findet sich eine sehr starke Angleichung, in anderen werden Artengemeinschaften sogar eher verschiedener – vor allem auf lokaler Ebene.
Die Forschenden zweifeln jedoch daran, dass letzteres ein gutes Zeichen ist. Zunehmende Unähnlichkeiten, so spekulieren sie, könnten auch ein vorübergehender Effekt in stark beeinträchtigten Habitaten sein. «Der menschliche Einfluss, den wir finden, ist teilweise derart stark, dass sogar Anzeichen zu sehen sind, die auf einen völligen Zusammenbruch der Artengemeinschaften hindeuten könnten», sagt Altermatt.
Die Studie zeigt laut den Autoren einerseits auf, dass Biodiversitätsveränderungen nicht allein auf reine Änderungen der Artenzahlen abgestützt werden sollten. Andererseits sind die Resultate aufgrund ihrer Deutlichkeit und ihrer weltweiten Gültigkeit ein Alarmzeichen. Und sie können als Richtwerte für zukünftige Biodiversitätsforschung und Naturschutzbemühungen dienen. «Unsere Resultate geben klare Hinweise darauf, welche menschlichen Einflüsse die Biodiversität wie stark beeinträchtigen», sagt François Keck. «Daraus lässt sich auch ablesen, welche Ziele man sich setzen muss, wenn man diese Trends umkehren will.»
Originalpublikation:
François Keck et al. The global human impact on biodiversity. Nature. 26 March 2025. DOI: 10.1038/s41586-025-08752-2
26.03.2025, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Wie Elefanten ihre Reisen planen: Energiesparen, wo es geht
Eine neue Studie zeigt, dass afrikanische Elefanten eine außergewöhnliche Fähigkeit haben, mit der sie ihren enormen Nahrungsbedarf so effizient wie möglich decken. Daten von über 150 Elefanten zeigten, dass die Riesen ihre Reisen auf der Grundlage von Energieverbrauch und Ressourcenverfügbarkeit planen. Die Ergebnisse, die im Journal of Animal Ecology veröffentlicht wurden, könnten wichtige Informationen für den Schutz dieser ikonischen Tiere und ihrer Lebensräume liefern.
Basierend auf einer Pressemitteilung der Universität Oxford
Ein Elefant zu sein ist nicht leicht: Als tonnenschwere Pflanzenfresser müssen sie täglich Unmengen an kalorienarmer Vegetation zu sich nehmen. Aufgrund ihrer schieren Größe bedeutet die Nahrungssuche selbst jedoch bereits erhebliche körperliche Anstrengungen. Buchstäblich jeder Schritt zählt – vor allem in den weiten, oft rauen Landschaften, die sie durchqueren.
Zu verstehen, wie sich Elefanten durch die Landschaft bewegen, ist für die Entwicklung wirksamer Schutzstrategien unerlässlich, insbesondere da die Fragmentierung von Lebensräumen und die Menschen die Populationen weiterhin bedrohen. Bisher war jedoch unklar, welche wesentlichen Faktoren die Bewegungsmuster der Elefanten beeinflussen.
Die neue Studie, die von Forschenden der Universität Oxford, des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena geleitet wurde, basiert auf GPS-Tracking-Daten von 157 afrikanischen Elefanten, die über einen Zeitraum von 22 Jahren (1998-2020) im Norden Kenias gesammelt wurden. Die Daten wurden von Save the Elephants gesammelt, einer in Großbritannien registrierten Forschungs- und Naturschutzorganisation mit Sitz in Kenia.
Energie sparen, wann immer möglich
Die Analyse der Forschenden zeigt, dass Elefanten Landschaften bevorzugen, in der sie ihren Energieverbrauch niedrig halten können – 94 % der untersuchten Elefanten mieden steile Hänge und unwegsames Gelände. Dies deute darauf hin, dass sie sich ihrer Umgebung bewusst sind und Kosten-Nutzen-Entscheidungen treffen, um die energieeffizientesten Wege zu wählen.
Die Elefanten wählten zudem aktiv Gebiete mit höherer Vegetationsproduktivität aus: 93 % zeigten eine Präferenz für eine ressourcenreiche Umgebungen, in der auch Wasser zu finden war. Doch gerade in Hinblick auf Wasser zeigen sich auch individuelle Unterschiede zwischen den einzelnen Elefanten: Einige bleiben in der Nähe von Wasserstellen, während andere weiterziehen. Das zeigt, dass ihre Bewegungsentscheidungen komplexer sind als nur der Weg zum nächsten Gewässer.
Bewegen sich die Elefanten mit höherer Geschwindigkeit fort, meiden sie schwieriges und energieintensiveres Gelände umso mehr. 74 % der Elefanten mieden Routen mit höherem Energieaufwand, wenn sie sich langsam bewegen, bei mittlerer Geschwindigkeit stieg der Anteil auf 87 % und bei schnellem Tempo auf 93 % an. Dies deutet darauf hin, dass die Tiere Anstrengung und Energieeffizienz sorgfältig abwägen, insbesondere bei langen Strecken.
„Es werden noch weitere Untersuchungen nötig sein, um vollständig zu verstehen, wie ein Elefant seinen Lebensraum nutzt. Aber durch diese Studie kennen wir nun ein wesentliches Entscheidungskriterium für die Bewegungsmuster von Elefanten: Energie zu sparen, wann immer es möglich ist“, erklärt Co-Autor Professor Fritz Vollrath von der Universität Oxford.
Die Bewegungsenergie von Elefanten analysieren
Um die Tracking-Daten der Elefanten zu analysieren, verwendete das Forschungsteam eine innovative Modellierungsmethode namens ENERSCAPE, die den Bewegungsenergie auf Grundlage der Körpermasse und der Geländeneigung abschätzt. Durch die Integration dieser Schätzungen mit Satellitendaten über die Produktivität der Vegetation und die Wasserverfügbarkeit erstellten sie detaillierte Energielandschaften, die helfen, die Bewegungsentscheidungen der Elefanten zu erklären.
Mithilfe eines statistischen Ansatzes namens Stufenauswahlfunktionen konnten die Forschenden beurteilen, wie die Elefanten ihre Wege wählten. Diese Technik vergleicht die Orte, an denen die Elefanten tatsächlich waren, mit anderen nahen gelegenen Gebieten, die sie hätten aufsuchen können, dies aber nicht getan haben. Auf diese Weise fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heraus, welche Umweltfaktoren bei den Bewegungsentscheidungen der Elefanten und der Wahl ihres Lebensraums eine Rolle spielen.
Diese Erkenntnisse haben unmittelbare Auswirkungen auf den Artenschutz und könnten dazu beitragen, bei der Ausweisung von Schutzgebieten und Migrationskorridoren Konflikte mit dem Menschen zu reduzieren. Die Studie legt auch nahe, dass Schutzstrategien individuelle Unterschiede in den Lebensraumpräferenzen berücksichtigen sollten, insbesondere in Bezug auf den Zugang zu Wasser.
Die Ergebnisse könnten auch dazu beitragen, vorherzusagen, wie sich der Klimawandel auf die Bewegungsmuster von Elefanten auswirken könnte, der sowohl Einfluss auf die nötige Bewegungsenergie als auch auf die Verfügbarkeit von Nahrung und Wasser hat.
„Diese neuen Ergebnisse haben erhebliche Auswirkungen darauf, wie Naturschutz- und Renaturierungsmaßnahmen, wie z. B. Wildtierkorridore, geplant und bewertet werden, indem sie die Bewegungsenergie explizit berücksichtigen“, fügt Erstautor Dr. Emilio Berti, Forscher an iDiv und der Friedrich-Schiller-Universität Jena, hinzu.
In Zukunft wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Modelle der Energielandschaften weiter verfeinern, indem sie zusätzliche Faktoren wie saisonale Veränderungen, menschliche Störungen und die Auswirkungen des Klimawandels einbeziehen, die sich auf die Elefantenbewegungen auswirken.
Originalpublikation:
Berti, E., Rosenbaum, B., and Vollrath, F. (2025) Energy landscapes direct the movement preferences of elephants, Journal of Animal Ecology. DOI: 10.1111/1365-2656.70023
26.03.2025, Veterinärmedizinische Universität Wien
Überraschende Entdeckung: Singvögel haben Hungerhormon Ghrelin verloren
Bei Säugetieren reduziert das Hormon Leptin zum Beispiel den Appetit, und eine Störung dieses Rückkopplungssystems kann zu Stoffwechselkrankheiten und Fettleibigkeit führen. Vor einigen Jahren entdeckten Forscher:innen, dass Vögel genau dieses Leptin-System im Laufe der Evolution verloren haben. Nun hat eine vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierte Studie unter der Leitung der Veterinärmedizinischen Universität Wien und der Abteilung für Verhaltens- und Kognitionsbiologie der Universität Wien (Erstautor Stefan Prost) herausgefunden, dass Singvögel mit Ghrelin auch das andere Haupthormon dieses Systems verloren haben.
Die Forscher:innen konzentrierten sich in ihrer Studie auf Ghrelin. Dieses – auch als „Hungerhormon“ bekannte – Peptid wird vom Magen-Darm-Trakt ausgeschüttet, um z. B. die Nahrungsaufnahme und die Körpermasse bei Wirbeltieren zu regulieren. Studien an heimischen Tierarten haben gezeigt, dass Ghrelin bei Vögeln allerdings entgegengesetzte Wirkungen hat als bei Säugetieren, und zwar, indem es die Nahrungsaufnahme hemmt, anstatt sie zu fördern. Laut Leonida Fusani vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni legten zudem „einige Studien unseres Teams nahe, dass Ghrelin eine Schlüsselrolle bei der Steuerung des Zugverhaltens spielen könnte. Daher waren wir verblüfft, als wir im Genom der Gartengrasmücke, einem Sperlingsvogel, kein Ghrelin finden konnten.“
Hungerhormon Ghrelin bei Singvögeln gesucht – und nirgends gefunden
Das Forschungsteam führte aufgrund dieser Erkenntnis eine gründliche Suche nach Ghrelin durch, sowohl mit bioinformatischen Werkzeugen, indem es die Genome anderer Vogelarten durchsuchte, als auch mit biochemischen Werkzeugen, indem es Proben von Sperlingsvögeln analysierte und sie mit denen von Wachteln und Tauben verglich, die Ghrelin besitzen. „Wir waren sehr überrascht, als wir feststellten, dass die Passeri (Singvögel) – die größte Gruppe von Vögeln, die 60 % aller Vogelarten umfasst – auch dieses Hormon verloren haben“, so Fusani. Unter Verwendung aller verfügbaren Quellen und Untersuchungsmethoden konnten von den Wissenschafter:innen die Gene, die für Ghrelin kodieren, in der DNA keines einzigen Singvogels gefunden werden.
Wegweisende Arbeit zur Vogelphysiologie mit wichtigen Erkenntnissen für den Menschen
Laut Fusani sind diese Studienergebnisse ein Durchbruch in der Erforschung der Vogelphysiologie und eröffnen der biomedizinischen Forschung wichtige neue Wege: „Sperlingsvögel sind insofern einzigartig, als sie ihr Körpergewicht um 100 % erhöhen, indem sie vor dem Vogelzug enorme Mengen an Fett ansammeln, aber nach dem Ende ihrer langen Reisen innerhalb weniger Tage wieder auf ihr Normalgewicht zurückkehren“, erklärt Fusani. Der Verlust von Leptin und Ghrelin scheint laut Fusani mit dieser außergewöhnlichen Plastizität zusammenzuhängen.
Dieses neue Wissen könnte auch in einem weiteren Kontext von Vorteil sein: „Besser zu verstehen, wie Vögel es schaffen, ihr Körperfett zu kontrollieren, könnte für den Menschen sehr nützlich sein, um häufige Gesundheitsprobleme wie Fettleibigkeit und Essstörungen anzugehen“, betont Fusani.
Originalpublikation:
Der Artikel „The unexpected loss of the ‚hunger hormone‘ ghrelin in true passerines: a game changer in migration physiology“ von Stefan Prost, Jean P. Elbers, Julia Slezacek, Alba Hykollari, Silvia Fuselli, Steve Smith und Leonida Fusani wurde in „Royal Society Open Science“ veröffentlicht.
https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rsos.242107
27.03.2025, Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ)
Unerwartete Allianz unter der Erde: Nematoden begünstigen Kohlfliegenlarven
Pflanzenvermittelte Interaktionen zwischen zwei bodenbewohnenden Schadinsekten entdeckt: Werden Rübsen-Pflanzen von Wurzelgallennematoden befallen, verändern sie ihre Abwehrstrategie auf eine Weise, die unbeabsichtigt einem anderen unterirdischen Fraßschädling zugutekommt:der Kohlfliege. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie unter der Leitung eines IGZ-Forschungsteams, die in der März-Ausgabe von Plant Physiology veröffentlicht wurde. Mithilfe der Kombination aus Bioassays und ökometabolomischen Analysen fanden die Forschenden heraus, dass Wurzelgallennematoden die chemischen Abwehrmechanismen der Pflanze verändern und damit ihre natürliche Resistenz gegen weitere Angreifer beeinflussen.
Axel Touw, Jessil Pajar, Nicole van Dam und Kolleg*innen stellten fest, dass fast 1,5-mal mehr erwachsene Kohlfliegen (Delia radicum) aus Rübsen-Pflanzen (Brassica rapa) schlüpften, die mit Wurzelgallennematoden (Meloidogyne incognita) infiziert waren, als aus nicht infizierten Pflanzen. Obwohl sich die Nematoden und Fliegen nicht direkt begegnen, zeigen die Ergebnisse der Studie, dass sie sich indirekt über die Pflanze, von der sie sich ernähren, gegenseitig beeinflussen können. Dieser Effekt hängt mit der chemischen Abwehr der Pflanze zusammen, insbesondere mit der Produktion bestimmter Glucosinolatklassen – schwefelhaltige Verbindungen, die für Kreuzblütler typisch sind. In den infizierten Pflanzen wurde eine erhöhte Produktion von Indol-Glucosinolaten festgestellt, während die Konzentration aliphatischer Glucosinolate – Verbindungen, die für die Entwicklung der Kohlfliege hemmend wirken – um 10 bis 25 % sank. Die Forschenden vermuten, dass eine antagonistische Wechselwirkung zwischen den Biosynthesewegen dieser Stoffe die Ursache für diese Verschiebung sein könnte.
„Unsere Studie zeigt, dass komplexe Wechselwirkungen zwischen unterirdischen, pflanzenfressenden Organismen die Chemie der Pflanzen erheblich verändern können“, sagt Dr. Axel Touw. „Solche indirekten Effekte könnten Schädlingsschäden in Nutzpflanzen verstärken oder abschwächen – ein hochrelevanter Aspekt für eine nachhaltige Landwirtschaft, insbesondere für Strategien des integrierten Pflanzenschutzes.“
Die Ergebnisse belegen, dass pflanzenvermittelte Wechselwirkungen zwischen bodenbewohnenden Organismen weitreichender sind als bisher angenommen. Da Wurzelgallennematoden in Böden sehr häufig vorkommen, gehören sie oft zu den ersten Organismen, die mit einer Pflanze in Kontakt treten. Durch die Veränderung der chemischen Abwehrmechanismen können diese Interaktionen die natürliche Resistenz der Pflanze gegen künftige Herbivoren beeinflussen – darunter auch Fraßschädlinge wie die Kohlfliege. Diese Erkenntnisse könnten zur Entwicklung effektiverer Strategien für das Schädlingsmanagement beitragen, insbesondere in Agrarökosystemen mit mehreren Wurzelschädlingen.
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1093/plphys/kiaf109
Axel J Touw, Nhu Tran, Andreas Schedl, Jessil A Pajar, Cong Van Doan, Henriette Uthe, Nicole M van Dam, Root-knot nematode infection enhances the performance of a specialist root herbivore via plant-mediated interactions, Plant Physiology, 2025.
27.03.2025, Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV) e. V.
Geburtstagsparty in den Bergen: Ausgewilderte Bartgeier kehren in den Nationalpark Berchtesgaden zurück
LBV und Nationalpark beobachten fünf Geier im Auswilderungsgebiet – Wilder Bartgeier gesichtet
Passend zum fünften Jahr des gemeinsamen Auswilderungsprojekts des bayerischen Naturschutzverbands LBV (Landesbund für Vogel- und Naturschutz) und des Nationalparks Berchtesgaden ist aktuell der Großteil der bayerischen Bartgeier wieder im unmittelbaren Umfeld des Nationalparks versammelt. „Fünf von sieben Geiern halten sich seit Anfang März im Umkreis von wenigen Kilometern um den Königssee auf und fliegen gemeinsam in wechselnden Konstellationen durch die Bergwelt“, freut sich LBV-Bartgeierexperte Toni Wegscheider. Mit Bavaria, Recka, Nepomuk, Wiggerl und Vinzenz ist ein Vogel aus jeder bisherigen Auswilderung wieder zurück im Gebiet. „Die Tatsache, dass alle fünf Geier in den ersten Märztagen der verschiedenen Jahre von 2021 bis 2024 geschlüpft sind, lässt das Aufeinandertreffen fast wie eine gemeinsame Geburtstagsparty wirken“, schmunzelt Wegscheider.
In den ersten Lebensjahren haben junge Bartgeier einen ausgeprägten Wandertrieb und fliegen weite Strecken durch den gesamten Alpenraum, um nach Artgenossen und Nahrung zu suchen. „Die meisten der jetzt zeitweilig wieder heimgekehrten Vögel haben bereits entfernte Regionen wie die Schweiz, Südtirol oder Slowenien besucht“, erklärt Nationalparkleiter Dr. Roland Baier. Während der Lebensphase in der Auswilderungsnische entwickeln die Bartgeier eine starke Prägung auf die umliegende Bergwelt. Deshalb kehren etwa zwei Drittel der Geier nach ihren Wanderungen langfristig wieder in ihre gefühlte Heimatregion zurück.
Der älteste Projekt-Vogel, die 2021 ausgewilderte Bavaria, ist schon länger im an der Südostgrenze des Nationalparks liegenden Salzburger Blühnbachtal sesshaft. Dort leisten ihr nun auch vier der jüngeren ausgewilderten Vögel Gesellschaft, die sich immer wieder neu in Zweier- und Dreierteams für gemeinsame Erkundungsflüge zusammentun. Zudem lockt die Präsenz der Bartgeier auch wandernde, wild geschlüpfte Artgenossen aus anderen Alpenteilen an, die auf ihren Flügen durch die Berge nach anderen Geiern Ausschau halten. Neben den fünf Vögeln aus dem europäischen Erhaltungszuchtprogramm wurde auch ein zweijähriger Wildvogel in der Nähe gesichtet. „Die erhoffte Brückenbildung von unseren Auswilderungen zu Wildpopulationen scheint damit ebenfalls aufzugehen“, freut sich Roland Baier.
Während ältere Bartgeier vor allem in Horstnähe sehr aggressiv auf Artgenossen reagieren, sind junge Vögel noch deutlich sozialer und unterstützen sich gegenseitig, zum Beispiel bei der Nahrungssuche. Auch für spätere Paarbildungen sind solche Kontakte wichtig, um geeignete Artgenossen für Brutversuche kennenzulernen. „Der nun zweijährige Nepomuk lässt bereits Interesse an Recka und Bavaria erkennen, auch wenn alle in Berchtesgaden ausgewilderten Vögel noch zu jung für ernsthafte Verpaarungen sind“, sagt Toni Wegscheider. Mit den bisherigen Erfolgen bei der Auswilderung macht sich das Projektteam berechtigte Hoffnungen, dass sich in naher Zukunft Paare aus ausgewilderten Vögeln und Wildvögeln im Umfeld des Nationalparks Berchtesgaden bilden werden. So könnte in einigen Jahren das erste Küken seit Jahrhunderten in der Region das Licht der Welt erblicken.
Zum Projekt:
Der Bartgeier (Gypaetus barbatus) zählt mit einer Flügelspannweite von bis zu 2,90 Metern zu den größten, flugfähigen Vögeln der Welt. Anfang des 20. Jahrhunderts war der majestätische Greifvogel in den Alpen ausgerottet. Im Rahmen eines großangelegten Zuchtprojekts werden seit 1986 im Alpenraum in enger Zusammenarbeit mit dem in den 1970er Jahren gegründeten EEP (Europäisches Erhaltungszuchtprogramm) der Zoos junge Bartgeier ausgewildert. Das europäische Bartgeier-Zuchtnetzwerk wird von der Vulture Conservation Foundation (VCF) mit Sitz in Zürich geleitet. Während sich die Vögel in den West- und Zentralalpen seit 1997 auch durch Freilandbruten wieder selbstständig vermehren, kommt die natürliche Reproduktion in den Ostalpen nur schleppend voran. Ein vom bayerischen Naturschutzverband LBV (Landesbund für Vogel- und Naturschutz) und dem Nationalpark Berchtesgaden gemeinsam initiiertes und betreutes Projekt zur Auswilderung von jungen Bartgeiern im bayerischen Teil der deutschen Alpen greift dies auf und unterstützt in Kooperation mit dem Tiergarten Nürnberg die alpenweite Wiederansiedelung. Dafür werden in den kommenden Jahren im Klausbachtal junge Bartgeier ausgewildert – im Jahr 2021 erstmals in Deutschland. Der Nationalpark Berchtesgaden eignet sich aufgrund einer Vielzahl von Faktoren als idealer Auswilderungsort in den Ostalpen. Mehr Informationen zum Projekt unter www.lbv.de/bartgeier-auswilderung.