Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

10.02.2025, Universität Konstanz
Wohin das Fischauge wandert
In der Schwarmforschung ermöglicht ein neues Verfahren, die Augenbewegungen von Fischen automatisiert auszuwerten – ohne Eingriffe am Tier und in 3D. Warum das wichtig ist, um die „Regeln des Schwarms“ zu ergründen, verraten die Konstanzer Forscher des Exzellenzclusters Kollektives Verhalten und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie.
Fischschwärme sind faszinierende Beispiele für kollektives Tierverhalten. Tausende von Fischen bewegen sich in nahezu perfekter Übereinstimmung, und das obwohl jeder einzelne Fisch nur ein sehr begrenztes Bild seiner Umgebung hat. Wie gelingt ihnen diese scheinbar mühelose Koordination mit solch minimaler Information über ihr Umfeld? Und welche visuellen Anhaltspunkte nimmt ein einzelner Fisch überhaupt wahr, inmitten dieses hochdynamischen Schwarms?
Um dies zu erforschen, entwickelten Wissenschaftler des Exzellenzclusters Kollektives Verhalten und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie nun eine neue Technologie, die dem Fisch ganz tief ins Auge schaut: Ihre neue 3D-Eyetracking-Methode erlaubt es, die Augenbewegungen von frei schwimmenden Fischen automatisiert nachzuvollziehen – und das nur anhand von Videoaufnahmen der Fische, ganz ohne dass Eingriffe am Tier nötig wären.
Warum es auf das Fischauge ankommt
Warum aber ist es wichtig, das Sichtfeld von Fischen zu kennen, als Netzhautbild und in 3D? Ganz einfach: Um die „Regeln des kollektiven Verhaltens“ zu verstehen, müssen wir einschätzen können, welche Informationen den einzelnen Mitgliedern des Schwarms vorliegen. Ein Beispiel: Die Bewegungen eines Schwarms basieren auf tausenden Entscheidungen seiner einzelnen Fische. Wenn nun ein Fisch seine Bewegungsrichtung ändert – welche Faktoren haben diese Entscheidung beeinflusst? Welche anderen Fische hatte er im Blickfeld, an denen er sich orientierte? Welche weiteren Fische reagieren nun wiederum auf ihn? Welchen Verhaltensregeln folgen die Fischschwärme und auf welchen Sinneswahrnehmungen beruhen diese Entscheidungen?
Die Wissenschaftler*innen des Exzellenzclusters Kollektives Verhalten erforschen die Interaktionen zwischen den Individuen eines Kollektivs, von Fischen bis zu Vogelschwärmen, von Heuschrecken bis hin zu den großen Tierherden, die über die Kontinente ziehen. In ihrer Forschung werden die Tiergruppen typischerweise per Kamera gefilmt, im Labor wie auch in freier Wildbahn. Anschließend werden die Aufzeichnungen per Computer Vision analysiert: Die Position und die Körperpose jedes einzelnen Individuums der Tiergruppe werden von einem Computeralgorithmus im Millisekundentakt ausgewertet und zueinander ins Verhältnis gesetzt. Hierfür ist es wichtig, das Sehfeld jedes einzelnen Fisches zu rekonstruieren – denn nur so können wir verstehen, was jedes Tier tatsächlich wahrnahm und ob dies seine folgenden Bewegungen beeinflusste. Hier kommt nun das neue Eyetracking-Verfahren ins Spiel.
Rekonstruktion des Sehfelds
Die Rekonstruktion des Sehfelds von frei schwimmenden Fischen ist nicht ganz trivial. Einfach nur die Position der Augen zu „tracken“ reicht nicht; vielmehr muss man die Augen stets ins Verhältnis zur Körperlage der Tiere setzen. Besonders wichtig war es den Wissenschaftlern, dass keine Eingriffe an den Tieren nötig sind, dass ihnen also nicht etwa ein Okular aufgesetzt werden muss.
„Unsere neue und nicht-invasive Methode kann all diese Anforderungen leisten“, schildert Liang Li, der die Technologie maßgeblich mitentwickelte. „Anhand der Kameraaufnahmen rekonstruieren wir erstens die 3D-Körperpose der Fische, zweitens die exakte Position des Auges – das sich, wie beim Menschen, in der Augenhöhle bewegen kann – und drittens ihr Netzhautbild, so dass wir sehen, was sie sehen.“
Ein weiterer großer Vorteil des neuen Verfahrens ist, dass das Verhalten der Fische in 3D analysiert wird. Bisherige Verfahren basierten in der Regel auf 2D-Aufnahmen und bildeten somit das dreidimensionale Geschehen im Fischschwarm nicht vollständig ab. Zudem sind keinerlei Eingriffe an den Fischen erforderlich, sie schwimmen einfach frei im Becken und werden dabei von Kameras aufgenommen. Mindestens zwei Kameras sind dafür nötig, aber durch die Verwendung von zusätzlichen Kameras kann das System auf große Fischbecken ausgeweitet werden – je mehr Kameras, desto präziser ist die Analyse.
„Zu verstehen, wie Tiere ihre Umgebung wahrnehmen und mit sozialen Partnern interagieren, ist entscheidend für die Entschlüsselung der Mechanismen hinter kollektivem Verhalten“, unterstreicht Liang Li. „Unsere Eyetracking-Methode ermöglicht uns einen präzisen Zugang zur visuellen Wahrnehmung von Fischen, die sich frei bewegen.“
Das neue Verfahren im Einsatz
Das neue Verfahren kam bereits in ersten Verhaltensexperimenten mit Goldfischen zum Einsatz. Hierbei wurde das Sichtfeld eines Goldfisches geprüft, der einem vorausschwimmenden Artgenossen folgt. „Die Rekonstruktion des Netzhautbilds zeigt: Goldfische passen ihre Augenbewegungen dynamisch so an, dass das Bild des voranschwimmenden Fisches konstant im Zentrum ihrer Netzhaut bleibt“, schildert Ruiheng Wu, Erstautor der zugehörigen Publikation im Fachjournal Communications Biology.
Zudem bemerkten die Forscher Anzeichen für eine „negative Synchronisierung“ der Augen, also dass sich die Augen in entgegengesetzte Richtungen drehen, anstatt sich parallel auszurichten: Wenn das linke Auge etwa den Nachbarfisch in den Fokus nimmt und dessen Bewegungen verfolgt, dreht sich das rechte Auge häufig in die genau entgegengesetzte Richtung. In künftigen Experimenten will Liang Li eruieren, ob dies bei anderen Fischarten ebenfalls so ist – und ob sich bei Raubfischen beide Augen dann letzten Endes doch gemeinsam ausrichten, wenn sie ihre Beute in den Fokus nehmen.
• Originalpublikation: Wu, R., Deussen, O., Couzin, I.D., Li, L. Non-invasive eye tracking and retinal view reconstruction in free swimming schooling fish. Commun Biol 7, 1636 (2024). https://doi.org/10.1038/s42003-024-07322-y

10.02.2025, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Evolution im Zeitraffer: Wie der Mensch unbeabsichtigt den Schädel von Schweinen veränderte
Kurze Schnauzen und ein flaches Profil: Innerhalb von 100 Jahren hat der Mensch die Schädelform des deutschen Hausschweins stark verändert. Das ist wahrscheinlich ein Nebeneffekt neuer Zuchtpraktiken zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wie ein Team der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) im Fachjournal „Royal Society Open Science“ schreibt. Die Forschenden analysierten 3D-Scans von 135 Schädeln von Wild- und Hausschweinen aus dem frühen 20. und dem 21. Jahrhundert. Überraschend ist, dass sich die gleichen Effekte sogar bei getrennt gehaltenen Rassen beobachten lassen.
Der Mensch hält Schweine schon seit mehreren Jahrhunderten als Nutztiere. Seitdem haben sich die Tiere stark verändert: Sie wurden größer und verloren zum Beispiel ihre schwarzbraunen Borsten und ihre eher dunkle Haut. „Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stieg die Nachfrage nach Schweinefleisch in Deutschland deutlich. Züchter waren angehalten, ihre Tiere zu optimieren: Sie sollten schnell wachsen, gutes Fleisch haben und fruchtbar sein“, sagt Dr. Renate Schafberg, Leiterin der Haustierkundlichen Sammlung der MLU. Für die aktuelle Arbeit analysierte sie gemeinsam mit Dr. Ashleigh Haruda von der Oxford University 135 Schweineschädel von drei Rassen: Deutsches Edelschwein und Deutsches Landschwein sowie Wildschwein als Vergleichsgruppe. Untersucht wurden jeweils Schädel, die entweder aus dem frühen 20. Jahrhundert stammen oder solche, die nur wenige Jahre alt sind.
Dabei zeigten sich bei den beiden Hausschweinen gravierende Veränderungen: Die Schnauzen der Tiere wurden deutlich kürzer und flacher. Auch die einst leicht nach außen gewölbte Stirn verschwand bei den neueren Schädeln. „Dass sich diese Unterschiede bereits in einem Zeitraum von 100 Jahren so deutlich zeigen, hatten wir nicht erwartet“, sagt Schafberg. Bemerkenswert sei zudem, dass sich die gleichen Veränderungen bei beiden Hausschweinrassen manifestierten, obwohl diese getrennt voneinander gehalten wurden. „Diese Veränderungen traten auf, obwohl Züchter die Tiere nicht speziell nach ihrer Schädelform auswählten. Für die Züchtung waren diese Merkmale unwichtig. Die Veränderungen scheinen vielmehr ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt der Auswahl der gewünschten Eigenschaften zu sein“, sagt Schafberg.
Ein weiterer Grund für die Veränderungen liegt womöglich in der veränderten Ernährung der Tiere. Es ist bekannt, dass die Ernährung das Wachstum und die Entwicklung von Tieren beeinflussen kann. Heute erhalten Schweine vor allem proteinreiche Kraftfutter-Pellets. Im Gegensatz dazu wiesen die Schädel freilebender Wildschweine, die weiterhin Allesfresser sind, keine derartigen Veränderungen auf.
Die Ergebnisse zeigen, wie stark der Mensch Einfluss auf die Evolution von Tieren hat. „Charles Darwin ging davon aus, dass große Veränderungen nur über sehr lange Zeiträume ablaufen können – über Millionen von Jahren. Unsere Arbeit ist ein weiterer Beleg dafür, dass der Mensch diesen Prozess durch gezielte Zucht extrem beschleunigen kann“, sagt Co-Autor Dr. Frank Steinheimer, der Leiter des Zentralmagazins Naturwissenschaftlicher Sammlungen an der MLU.
Originalpublikation:
Studie: Haruda A., Evin A., Steinheimer F., Schafberg R. Evolution under intensive industrial breeding: skull size and shape comparison between historic and modern pig lineages. Royal Society Open Science (2025). doi: 10.1098/rsos.241039
https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rsos.241039

10.02.2025, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Fledermäuse spielen in Südostasien Schlüsselrolle bei der Bekämpfung von Reisschädlingen
Forschende des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) und der Prince of Songkla University in Thailand wiesen im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojekts zum Flug- und Jagdverhalten der Bulldoggfledermaus nach, dass diese Art nicht nur große Distanzen zurücklegt, sondern auch in beeindruckenden Höhen von bis zu 1.600 Metern über dem Boden jagt – der Höhe, in der viele Reiszikaden fliegen, gefürchtete Schadinsekten der Reispflanzen. Herkömmliche Methoden zur Schädlingsbekämpfung wie Insektizide greifen in diesen luftigen Höhen nicht.
Reis ist das Grundnahrungsmittel für mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung und Süd-und Ostasien zusammen ist eine der wichtigsten Regionen für seine Produktion. Reiszikaden verursachen massive Schäden in den dortigen Reisfeldern, was zu Ernteverlusten und somit erheblichen finanziellen Verlusten für Bauern und sogar für ganze Volkswirtschaften führt. Die Schädlinge sind während ihrer Ausbreitungsphase sehr mobil und nutzen den Wind in Höhen zwischen 300 und 1.000 Metern, um weite Strecken zurückzulegen. Indem Bulldoggfledermäuse die Ausbreitung hochfliegender Reiszikaden einschränken, leistet diese Fledermausart einen wichtigen Beitrag zur Schädlingsbekämpfung und damit auch zur Ernährungssicherheit in Süd- und Ostasien. Der in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Oecologia“ erschienene Artikel betont deshalb, wie wichtig es ist, diese Fledermausart schützen.
Ein Forschungsteam um Prof. Dr. Christian Voigt, Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie am Leibniz-IZW, wies nun nach, dass die Faltlippen-Bulldoggfledermaus (Mops plicatus) in der Lage ist, diese Höhen als Jagdgebiet zu nutzen. „Diese Fledermaus ist ein geschickter Jäger, der sich auf den Fang von Insekten im offenen Luftraum, also oberhalb der Vegetation, spezialisiert hat“, sagt Voigt. „Ihr Jagdverhalten war jedoch während der Ausbreitungsphase der Zikaden noch weitgehend unerforscht. Daher untersuchten wir nun das Jagdverhalten der Bulldoggfledermäuse im gesamten Luftraum mithilfe miniaturisierter GPS-Logger während dieser Zeit.“ Diese Fledermausart ist in Südostasien verbreitet und bekannt dafür, in großen Höhlen in Kolonien mit Hunderttausenden bis Millionen Individuen zu rasten.
Frühere Untersuchungen zeigten, dass sich Mops plicatus von Reiszikaden ernährt, darunter die Braune Reiszikade (Nilaparvata lugens) und die Weißrücken-Reiszikade (Sogatella furcifera). Wenn Reiszikaden in großen Mengen auftreten, machen sie sich in luftiger Höhe auf die Reise, um in anderen Regionen über Reisfelder herzufallen und sich dort fortzupflanzen. Der Untersuchungszeitraum des Teams überschnitt sich mit dem alljährlichen Massenauftreten der Reiszikaden in Thailand.
Die Forschenden fingen einige erwachsene Bulldoggfledermäuse in einer Höhle in der Provinz Lopburi, Zentralthailand, mithilfe feinmaschiger Netze. Sie brachten an jedes der Tiere einen 0,95 Gramm leichten Mini-GPS-Logger mithilfe eines medizinischen Hautklebers am Rücken der Tiere an. Die GPS-Logger wurden so programmiert, dass sie die gesamte Nacht hindurch in 10-Minuten-Intervallen die räumliche Position in allen drei Dimensionen aufzeichneten. Nach wenigen Tagen fielen die Miniaturlogger wieder ab und wurden von den Forschern am Höhlenboden aufgesammelt.
„Wir konnten so nachweisen, dass Mops plicatus große Nahrungssuchgebiete von bis zu 1.743 km² haben kann; das entspricht ungefähr der doppelten Fläche Berlins“, sagt Voigt. „Ein derartiges Streifgebiet wurde bisher noch für kein Wirbeltier mit einem Körpergewicht von lediglich 18 g berichtet. Einige Fledermäuse legten bei einem einzigen Ausflug zur Nahrungssuche Entfernungen von mehr als 200 km von der Höhle aus zurück und verbrachten in einer einzigen Nacht bis zu 690 Minuten (11,5 Stunden) im Dauerflug. Mehr als 50% der Zeit verbrachten sie in Höhen über 150 m über dem Boden, erreichten dabei auch regelmäßig mehr als 1.600 m über dem Boden.“
Dr. Supawan Srilopan, Wissenschaftlerin an der Prince of Songkla Universität und Erstautorin des Aufsatzes, ergänzt: „Unsere Untersuchung liefert detaillierte Einblicke in die Luftraumwahl, Habitatwahl und das Nahrungssuchverhalten der Bulldoggfledermaus. Diese Fledermausart nutzt Reisfelder als Jagdgebiet, auch wenn diese viel weiter von den Höhlen entfernt waren als Flächen mit anderen Anbaukulturen. Die Vorliebe für Reisfelder könnte am größeren Angebot an Beuteinsekten wie Reiszikaden liegen.“
Die Forschenden betonen die dringende Notwendigkeit, die natürlichen Lebensräume, sowie die natürlichen Rückzugsorte und Rastplätze dieser Fledermausart zu erhalten und zu schützen. Obschon es viele Millionen Individuen dieser Fledermausart gibt, sind nur knapp ein Dutzend Höhlen bekannt, die ganzjährig von den Fledermäusen besiedelt werden. Der Schutz dieser Höhlen vor Störung, wie zum Beispiel Tourismus, ist extrem wichtig, sowohl für lokale Landwirtinnen und Landwirte in Zentralthailand, als auch solche in fernen Anbaugebieten in China, Korea und Japan. „Die Ökosystemdienstleistungen, die Mops plicatus in Thailand und anderen Regionen Südostasiens für die menschliche Bevölkerung erbringt, gehen weit über die lokalen Grenzen hinaus. Ihr Beitrag zur Schädlingsbekämpfung hat das Potenzial, die Reisproduktion in Asien nachhaltig zu sichern“, fügt Prof. Sara Bumrungsri von der Prince of Songkla University, Mitautor der Studie, hinzu.
Die Forschungsarbeit wurde im Rahmen eines vierjährigen Projekts durchgeführt, welches vom National Research Council of Thailand (NRCT) gefördert wurde.
Originalpublikation:
Srilopan S, Lewanzik D, Brumrungsri S, Voigt CC (2024): Large and high-altitude foraging ranges suggests importance of Wrinkle-lipped free-tailed bats (Mops plicatus) for consuming dispersing pest insects. Oecologia 207, 33 (2025). DOI: 10.1007/s00442-025-05671-x

12.02.2025, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau
Illegale Tötung ist größte Bedrohung für Luchse
• Menschliche Einflüsse bestimmen die Überlebenswahrscheinlichkeit der europäischen Luchse insgesamt stärker als natürliche Faktoren. Die Sterblichkeitsraten von Luchsen in geschützten und in bejagten Populationen unterscheiden sich nicht signifikant.
• Das zeigte ein internationales Team von Forschenden unter Leitung der Universität Freiburg, das Telemetriedaten von 681 Eurasischen Luchsen aus ganz Europa analysierte.
• Zur Erhaltung der Luchspopulationen sind sichere Habitate mit möglichst geringem menschlichem Einfluss und ein besserer Schutz vor illegaler Tötung notwendig.
Illegale Tötung ist die Haupttodesursache für Luchse in Europa – und das selbst bei Populationen, die unter Schutz stehen. Das belegt eine internationale Studie unter Leitung der Naturschutzbiologen Prof. Dr. Marco Heurich und Dr. Joseph Premier von der Universität Freiburg, die nun in der Fachzeitschrift Conservation Biology veröffentlicht wurde. Das Forschungsteam analysierte Telemetriedaten von 681 Eurasischen Luchsen (Lynx lynx) aus ganz Europa und stellte fest, dass menschliche Einflüsse die Überlebenswahrscheinlichkeit der Tiere insgesamt stärker bestimmen als natürliche Faktoren. Zur Erhaltung der Luchspopulationen müssten den Tieren sichere Habitate geboten und sie besser vor illegaler Tötung geschützt werden, empfehlen die Forschenden.
Menschliche Einflüsse dominieren die Sterblichkeit von Luchsen
Die Studie basiert auf einer der bisher größten Datensammlungen zur Luchsmortalität in Europa. Mithilfe von Telemetriedaten aus 21 verschiedenen Forschungsprojekten konnten die Forschenden genaue Überlebensraten und Sterblichkeitsursachen ermitteln.
Das Forschungsteam fand heraus, dass über 33 Prozent der dokumentierten Todesfälle auf illegale Tötung zurückzuführen waren. Bemerkenswert war darüber hinaus, dass sich die Sterblichkeitsraten von Luchsen nicht signifikant zwischen geschützten und bejagten Populationen unterschieden. In beiden Fällen war der Einfluss des Menschen – beispielsweise durch legale oder illegale Jagd und Verkehrsunfälle – die dominante Todesursache. Die Sterblichkeit der Luchse war insgesamt erhöht, denn der Rückgang natürlicher Todesfälle konnte die durch den Menschen erhöhte Mortalität nicht vollständig ausgleichen.
Die Forschenden stellten zudem fest, dass männliche Luchse einem höheren Sterberisiko ausgesetzt sind als weibliche, insbesondere während der Wintermonate und der Jagdsaison.
Schutz von Luchshabitaten entscheidend für den Erhalt der Populationen
Die Studie deutet auch auf mögliche Lösungsansätze hin. So konnten die Forschenden nachweisen, dass Luchse, die in größerer Entfernung zu menschlicher Infrastruktur lebten, oft bessere Überlebenschancen hatten. Für die Erhaltung der Luchspopulationen sei es daher wichtig, Rückzugsgebiete zu erhalten und auszuweiten, in denen die Tiere vor menschlichen Eingriffen geschützt sind.
„Unsere Studie zeigt, dass die Überlebenschancen der Luchse stark durch illegale Tötungen und andere anthropogene Faktoren beeinträchtigt werden – ähnlich wie bei anderen großen Beutegreifern wie dem Wolf. Wenn Luchse langfristig eine Chance haben sollen, müssen wir konsequenter gegen illegale Tötung vorgehen und sicherstellen, dass sie ausreichend großflächige, ungestörte und miteinander vernetzte Lebensräume haben“, erläutert Heurich.
Originalpublikation: Premier et al.: Survival of Eurasian lynx in the human-dominated landscape of Europe. Conserv Biol. 2025 Jan 14:e14439. DOI: https://doi.org/10.1111/cobi.14439

14.02.2025, Universität Heidelberg
Komplexe Evolution: Fortgeschrittene kognitive Fähigkeiten bei Vögeln
Die Gehirne von Vögeln haben sich im Laufe der Evolution anders entwickelt als die Hirnstrukturen von Säugetieren. Wie bei einigen Vogeltierarten dennoch ähnliche kognitive Funktionen entstehen konnten, hat jetzt ein Forschungsteam am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg untersucht. Analysen der Zusammensetzung sowie der embryonalen und evolutionären Entwicklung des Palliums – der bei Vögeln und Säugetieren maßgeblichen Hirnregion für Fähigkeiten wie Gedächtnis, Lernen oder Denken – zeigen, dass einige Gehirnzelltypen über hunderte Millionen Jahre nahezu unverändert blieben, während andere sich deutlich weiterentwickelten.
Komplexe Evolution: Fortgeschrittene kognitive Fähigkeiten bei Vögeln
Heidelberger Forscher kartieren verantwortliche Gehirnregionen und gewinnen neue Erkenntnisse zu ihrer embryonalen und evolutionären Entwicklung
Die Gehirne von Vögeln haben sich im Laufe der Evolution anders entwickelt als die Hirnstrukturen von Säugetieren. Wie bei einigen Vogeltierarten dennoch ähnliche kognitive Funktionen entstehen konnten, hat jetzt ein Forschungsteam unter Leitung von Prof. Dr. Henrik Kaessmann am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg untersucht. Analysen der Zusammensetzung sowie der embryonalen und evolutionären Entwicklung des Palliums – der bei Vögeln und Säugetieren maßgeblichen Hirnregion für Fähigkeiten wie Gedächtnis, Lernen oder Denken – zeigen, dass einige Gehirnzelltypen über hunderte Millionen Jahre nahezu unverändert blieben, während andere sich deutlich weiterentwickelten.
Die Gehirne von Vögeln unterscheiden sich in grundlegenden Aspekten ihres Aufbaus von Reptilien- und insbesondere von Säugetiergehirnen. Trotzdem verfügen einige Vogelarten über ähnlich komplexe kognitive Fähigkeiten wie etwa Menschenaffen. Dabei spielt das sogenannte Pallium eine entscheidende Rolle. Dieser im Vorderhirn angesiedelte Bereich besteht beim Menschen hauptsächlich aus der gefalteten Großhirnrinde, ist jedoch in Vögeln ganz anders aufgebaut, obwohl er ähnliche Funktionen erfüllt. Die zelluläre Zusammensetzung und Evolution des Palliums hat das Team um Prof. Kaessmann an Hühnern untersucht. Dazu kartierten die Biologen mithilfe hochmoderner Einzelzelltechnologien die in dieser Hirnstruktur vertretenen Zelltypen und verglichen die Informationen mit ähnlichen Datensätzen von Mäusen und Reptilien.
Die Analysen zeigen, dass sich trotz der unterschiedlichen Gehirnarchitekturen über alle untersuchten Arten hinweg jene Nervenzellen besonders stark ähneln, die die Gehirnaktivität regulieren. Anders die für die Signalübertragung verantwortlichen Neuronen, deren Evolution dynamischer verlaufen ist, wie Dr. Bastienne Zaremba erläutert. Während sich einige von ihnen kaum veränderten, etwa in dem für die Lernfähigkeit und Gedächtnisleistung wichtigen Hippocampus, entwickelten sich andere stark auseinander oder organisierten sich anatomisch neu. Unerwartet für die Wissenschaftler: „Bestimmte erregende Neuronen besitzen artenübergreifend wahrscheinlich einen gemeinsamen evolutionären Ursprung. Dies betrifft die Nervenzellen in tieferen Schichten des Neokortex, der bei Säugetieren für höhere kognitive Fähigkeiten verantwortlich ist, und die Neuronen im sogenannten Mesopallium der Vögel. Diese Erkenntnis stellt bestehende Annahmen zur Evolution dieser Gehirnregionen infrage“, so die Wissenschaftlerin, die Mitglied in Prof. Kaessmanns Forschungsgruppe „Evolutionary Genomics“ ist.
Auch zum Hyperpallium, einer ausschließlich bei Vögeln vorkommenden Struktur innerhalb des Palliums, liefern die Forschungsarbeiten neue Erkenntnisse. Bislang ging die Wissenschaft davon aus, dass das Hyperpallium vergleichbar ist mit dem Neokortex von Säugetieren. Wie das Heidelberger Forschungsteam nun zeigen konnte, ähneln sich zwar einige Neuronen; andere unterscheiden sich jedoch grundlegend. „Unsere Ergebnisse widerlegen frühere Theorien, die davon ausgegangen sind, dass sich bestimmte Hirnregionen bei Vögeln und Säugetieren aufgrund ihrer Lage direkt entsprechen“, erklärt Dr. Zaremba. Stattdessen offenbart sich nach den Worten der Wissenschaftlerin ein wesentlich komplexeres evolutionäres Muster aus Erhaltung, Divergenz und Konvergenz. So sind einige Merkmale bemerkenswert ähnlich geblieben, andere haben sich dramatisch verändert und wieder andere sind sich im Laufe der Zeit immer ähnlicher geworden.
Die Forscherinnen und Forscher fanden zudem heraus, dass bestimmte Nervenzellen in zwei weit voneinander entfernten Regionen des Vogelgehirns große Ähnlichkeit aufweisen, obwohl sie jeweils einen anderen Ursprung im Embryo haben. „Die Vorstellung, dass die Funktion eines Neurons grundsätzlich von seiner Position im embryonalen Gehirn bestimmt wird, müssen wir damit überdenken“, betont Prof. Kaessmann. „Um ein differenzierteres Verständnis der Gehirnevolution und der Entwicklung komplexer kognitiver Fähigkeiten bei Vögeln und Säugetieren zu gewinnen, sind molekulare Daten, die auch embryonale Entwicklungsprozesse berücksichtigen, von besonderer Bedeutung“, so der Heidelberger Evolutionsbiologe.
Die Forschungsarbeiten wurden in enger Zusammenarbeit mit Dr. Fernando García-Moreno von der Universität des Baskenlandes (Spanien) durchgeführt. Beteiligt waren auch Forscher aus Schweden. Der Europäische Forschungsrat, das spanische Wissenschaftsministerium, die Regierung der Autonomen Gemeinschaft Baskenland und der Schwedische Forschungsrat haben Fördermittel zur Verfügung gestellt. Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht.
Originalpublikation:
B. Zaremba, A. Fallahshahroudi, C. Schneider, J. Schmidt, I. Sarropoulos, E. Leushkin, B. Berki, E. Van Poucke, P. Jensen, R. Senovilla-Ganzo, F. Hervas-Sotomayor, N. Trost, F. Lamanna, M. Sepp, F. García-Moreno, H. Kaessmann: Developmental origins and evolution of pallial cell types and structures in birds. Science (published online 13 February 2025), DOI: 10.1126/science.adp5182

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