Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

22.01.2025, Christfried Dornis Hochschulkommunikation
Frühe Menschen nahmen Einfluss auf Verfügbarkeit von Fleisch und auf aasfressende Tiere
Pressemitteilung der Universität Tübingen und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung: Forschungsteam des Senckenberg Centre for Human Evolution and Pa-laeoenvironment an der Universität Tübingen untersucht Beziehungsdynamik in Ökosystemen vor rund 130.000 bis 20.000 Jahren
Durch ihr Verhalten trugen Menschen vor rund 45.000 bis 29.000 Jahren dazu bei, dass sich die Zusammensetzung der aasfressenden Tierarten in ihrem Umfeld veränderte. Während kleinere Kulturfolger unter den Tieren, wie Füchse und manche Vogelarten, von der Anwesenheit der Menschen profitierten, wurden große Aasfresser wie Hyänen und Höhlenlöwen tendenziell verdrängt. Das ergab eine umfas-sende Analyse von Daten aus archäologischen Fundstätten in Europa, die auch Überreste von Tieren bargen. Sie wurde durchgeführt von Dr. Chris Baumann vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen, Dr. Andrew W. Kandel von der Universität Tübingen und Dr. Shumon T. Hussain von der Universität Köln. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift Quaternary Science Reviews veröffentlicht.
Obwohl viele Fleischfresser nicht nur selbst erlegte Beute verzehren, wird das Fressen von Aas bei der Betrachtung der Nahrungsketten und netzwerke häufig vernachlässigt. „Auch die frühen Menschen vor mehr als 30.000 Jahren lebten nicht losgekoppelt von der Tierwelt, sondern waren in ein Beziehungsgeflecht mit Aasfressern eingebunden“, sagt Chris Baumann. Wie sich die verschiedenen Arten gegenseitig beeinflussten, sei aus heutiger Perspektive schwer nachzuvollziehen.
Umfangreicher Datenbestand
Um mehr zu erfahren, nutzten die Forscher die Datenbank ROAD der Forschungsstelle ROCEEH („The Role of Culture in Early Expansions of Humans“) der Universität Tübingen, der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, in der die Funddaten aus 2.400 prähistorischen Fundstätten in Europa, Afrika und Asien digital gespeichert sind. Sie bezogen dabei vor allem zooarchäologische Daten, die aus tierischen Überresten gewonnen werden konnten, an ehemals von Menschen besiedelten Orten in Europa in ihre Untersuchung ein.
„Wir gehen davon aus, dass frühe Menschen mit ihrem Jagdverhalten mehr Tiere erlegten, als sie selbst verzehrten, sodass mehr Aas vorhanden war“, sagt Baumann. „Zunächst profitierten davon große Aasfresser.“ Das Verhältnis zwischen Menschen und aasfressenden Tieren sei im Zeitraum vor 130.000 bis 60.000 Jahren zunehmend weniger durch Konkurrenz geprägt gewesen. Allerdings hätten die Menschen auch dafür gesorgt, dass die großen Raubtiere nicht in die Nähe der Siedlungen kamen. „Von kleinen Aasfressern wie Füchsen, Raben oder Krähen ging keine Gefahr aus, sodass sie wahrscheinlich geduldet wurden“, sagt der Forscher. „Ähnlich ist es heute in städtischer Umgebung, wo wir Füchse und Waschbären tolerieren, nicht aber Wölfe.“ Eine besondere Dynamik habe sich in den Beziehungen zwischen Menschen und Aasfressern im Zeitraum vor rund 45.000 bis 29.000 Jahren entwickelt, und es kam zu einem Umbruch.
Verdrängung großer Tierarten
„Unsere Analyse ergab, dass in diesem Zeitraum, dem späten Pleistozän, die Ver-drängung der großen Aasfresser einsetzte – zugunsten der kleineren Arten, die teilweise sogar Vorteile aus dem Zusammenleben mit Menschen zogen“, sagt Shumon Hussain. Auch archäologische Belege aus diesem Zeitraum ließen diesen Rückschluss zu. Möglicherweise hätte der Umbruch auch damit zu tun, dass in diesem Zeitraum die ersten Populationen des modernen Menschen Homo sapiens in Europa erschienen und die letzten europäischen Neandertaler verdrängten. „Die Menschen entwickelten ihre Fähigkeiten weiter und erlegten so viele Tiere, dass im Nahrungsnetz deutlich mehr Energie verfügbar wurde“, ergänzt Baumann. Das bewirkte Verhaltensanpassungen und evolutionäre Änderungen bei den aasfressenden Tieren, doch auch die Menschen selbst entwickelten neue Wege bei der Besiedlung der Landschaft. Sie formten dadurch Ökosysteme mit, die wiederum Einfluss auf ihre eigene Evolution gehabt haben könnten.
Originalpublikation:
Chris Baumann, Andrew W. Kandel, Shumon T. Hussain: Evidence for the catalytic role of humans in the assembly and evolution of European Late Pleistocene scavenger guilds. Quaternary Science Reviews, https://doi.org/10.1016/j.quascirev.2024.109148

22.01.2025, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Fossil-Fund in der Geiseltalsammlung: Forschende entdecken einmaligen Vogelschädel
Vor etwa 45 Millionen Jahren streifte der 1,40 Meter große Laufvogel Diatryma durch das Gebiet des Geiseltals im Süden Sachsen-Anhalts. Einen vollständig erhaltenen Schädel des Vogels präsentiert ein Team der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und des Senckenberg Forschungsinstitutes und Naturmuseums Frankfurt zusammen mit französischen Forscherinnen in der Fachzeitschrift „Palaeontologia Electronica“. Das Fossil wurde in den 1950er Jahren im früheren Braunkohleabbaugebiet im Geiseltal ausgegraben. Weil es zunächst falsch zugeordnet war, fristete es bis zu seiner Wiederentdeckung ein Schattendasein. Weltweit gibt es ein ähnliches Schädelfossil nur noch in den USA.
Das Geiseltal in Sachsen-Anhalt, südwestlich von Halle gelegen, war bis 1993 ein Braunkohleabbaugebiet. Hier wurden zahlreiche außergewöhnlich gut erhaltene Tierfossilien geborgen. 50.000 Objekte umfasst die als nationales Kulturgut geschützte Geiseltalsammlung der MLU. Sie geben einen einzigartigen Einblick in die Evolution der Tiere und die Zeit des Eozäns vor rund 45 Millionen Jahren. Damals war das Geiseltal ein tropisch-warmes Sumpfgebiet. Hier lebten Urpferde, frühe Tapire, große landlebende Krokodile sowie Riesenschildkröten, Eidechsen und flugunfähige Vögel. Der größte Laufvogel war Diatryma, ein etwa 1,40 Meter großer Pflanzenfresser mit gigantischem Schnabel.
Dass ein nahezu komplett erhaltener Schädel des Laufvogels zum Bestand der Sammlung gehört, war lange unbekannt. „Der Fund wurde zunächst fälschlicherweise als Krokodilschädel identifiziert“, sagt Michael Stache, Präparator am Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen der MLU. Vor einigen Jahren stieß er zufällig wieder auf das Fossil, erkannte den Fehler und begann mit seiner Arbeit. Er restaurierte und untersuchte das Schädelstück. Durch das Zusammenfügen zweier zuvor getrennter Teilstücke konnte er einen nahezu vollständigen Schädel rekonstruieren. Anschließend untersuchte der Senckenberg-Forscher Dr. Gerald Mayr den Fund genauer und erkannte dessen große Bedeutung: Der Schädel gehört eindeutig zu Diatryma. Weltweit ist nur ein weiterer vollständig erhaltener Schädel bekannt, der im American Museum of Natural History in den USA liegt.
„Das zeigt einmal mehr, dass in der Paläontologie viele der interessantesten Entdeckungen in Museumssammlungen passieren. Noch vor wenigen Jahren hätte niemand gedacht, dass die Geiseltalsammlung derartige Überraschungen bereithält“, sagt Gerald Mayr. Das wissenschaftliche Interesse an den Fossilien ist groß, berichtet auch Michael Stache. Immer wieder kommen Forschende aus dem In- und Ausland an die MLU, um die Exponate zu untersuchen. „Diese Forschungsarbeiten erweitern unser Verständnis vom eozänen Geiseltal, auch wenn die Grabungen längst abgeschlossen sind“, sagt Michael Stache. Bis vor zehn Jahren ging man zum Beispiel davon aus, dass Diatryma Urpferdchen im Geiseltal jagte. Erst damals zeigten neuere Untersuchungen, dass der Vogel ein Pflanzenfresser war.
In der Geiseltalsammlung befinden sich rund 40 Objekte des Vogels. „Diatryma war im Geiseltal wohl eher ein seltener Gast. Ansonsten würde es vermutlich mehr Fossilien geben“, sagt Stache abschließend.
Originalpublikation:
Zur Studie: Mayr G, Mourer-Chauviré C, Bourdon E, and Stache M. Resurrecting the taxon Diatryma: A review of the giant flightless Eocene Gastornithiformes (Aves), with a report of the first skull of Diatryma. Palaeontologia Electronica (2024). doi: 10.26879/1438
https://doi.org/10.26879/1438

22.01.2025, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Fossil-Fund in der Geiseltalsammlung: Forschende entdecken einmaligen Vogelschädel
Vor etwa 45 Millionen Jahren streifte der 1,40 Meter große Laufvogel Diatryma durch das Gebiet des Geiseltals im Süden Sachsen-Anhalts. Einen vollständig erhaltenen Schädel des Vogels präsentiert ein Team der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und des Senckenberg Forschungsinstitutes und Naturmuseums Frankfurt zusammen mit französischen Forscherinnen in der Fachzeitschrift „Palaeontologia Electronica“. Das Fossil wurde in den 1950er Jahren im früheren Braunkohleabbaugebiet im Geiseltal ausgegraben. Weil es zunächst falsch zugeordnet war, fristete es bis zu seiner Wiederentdeckung ein Schattendasein. Weltweit gibt es ein ähnliches Schädelfossil nur noch in den USA.
Das Geiseltal in Sachsen-Anhalt, südwestlich von Halle gelegen, war bis 1993 ein Braunkohleabbaugebiet. Hier wurden zahlreiche außergewöhnlich gut erhaltene Tierfossilien geborgen. 50.000 Objekte umfasst die als nationales Kulturgut geschützte Geiseltalsammlung der MLU. Sie geben einen einzigartigen Einblick in die Evolution der Tiere und die Zeit des Eozäns vor rund 45 Millionen Jahren. Damals war das Geiseltal ein tropisch-warmes Sumpfgebiet. Hier lebten Urpferde, frühe Tapire, große landlebende Krokodile sowie Riesenschildkröten, Eidechsen und flugunfähige Vögel. Der größte Laufvogel war Diatryma, ein etwa 1,40 Meter großer Pflanzenfresser mit gigantischem Schnabel.
Dass ein nahezu komplett erhaltener Schädel des Laufvogels zum Bestand der Sammlung gehört, war lange unbekannt. „Der Fund wurde zunächst fälschlicherweise als Krokodilschädel identifiziert“, sagt Michael Stache, Präparator am Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen der MLU. Vor einigen Jahren stieß er zufällig wieder auf das Fossil, erkannte den Fehler und begann mit seiner Arbeit. Er restaurierte und untersuchte das Schädelstück. Durch das Zusammenfügen zweier zuvor getrennter Teilstücke konnte er einen nahezu vollständigen Schädel rekonstruieren. Anschließend untersuchte der Senckenberg-Forscher Dr. Gerald Mayr den Fund genauer und erkannte dessen große Bedeutung: Der Schädel gehört eindeutig zu Diatryma. Weltweit ist nur ein weiterer vollständig erhaltener Schädel bekannt, der im American Museum of Natural History in den USA liegt.
„Das zeigt einmal mehr, dass in der Paläontologie viele der interessantesten Entdeckungen in Museumssammlungen passieren. Noch vor wenigen Jahren hätte niemand gedacht, dass die Geiseltalsammlung derartige Überraschungen bereithält“, sagt Gerald Mayr. Das wissenschaftliche Interesse an den Fossilien ist groß, berichtet auch Michael Stache. Immer wieder kommen Forschende aus dem In- und Ausland an die MLU, um die Exponate zu untersuchen. „Diese Forschungsarbeiten erweitern unser Verständnis vom eozänen Geiseltal, auch wenn die Grabungen längst abgeschlossen sind“, sagt Michael Stache. Bis vor zehn Jahren ging man zum Beispiel davon aus, dass Diatryma Urpferdchen im Geiseltal jagte. Erst damals zeigten neuere Untersuchungen, dass der Vogel ein Pflanzenfresser war.
In der Geiseltalsammlung befinden sich rund 40 Objekte des Vogels. „Diatryma war im Geiseltal wohl eher ein seltener Gast. Ansonsten würde es vermutlich mehr Fossilien geben“, sagt Stache abschließend.
Originalpublikation:
Zur Studie: Mayr G, Mourer-Chauviré C, Bourdon E, and Stache M. Resurrecting the taxon Diatryma: A review of the giant flightless Eocene Gastornithiformes (Aves), with a report of the first skull of Diatryma. Palaeontologia Electronica (2024). doi: 10.26879/1438
https://doi.org/10.26879/1438

22.01.2025, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Aufnahmen von Wildtierkameras in Vietnam zeigen, wie wichtig Artenschutz in ökologischen Übergangszonen ist
Tropische Regenwälder gehören zu den artenreichsten Lebensräumen der Welt und haben daher bei Schutzmaßnahmen oft Priorität. Ein wissenschaftliches Team aus Vietnam und Deutschland zeigte nun mit Hilfe von Wildtierkameras, dass die Vielfalt an bodenbewohnenden Säugetieren und Vögeln im Nui Chua Nationalpark (Vietnam) in einem Übergangsbereich zweier Vegetationszonen am höchsten ist: im halbtrockenen Wald zwischen trockenem Küstenwald und feuchten, immergrünen Regenwald. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung des Erhalts solcher Übergangszonen für den Artenschutz, schreiben die Forschenden in einem in der Fachzeitschrift „Biotropica“ veröffentlichten Beitrag.
Der Nui Chua-Nationalpark im Süden Vietnams ist der einzige Nationalpark in den trockeneren Küstenregionen des südostasiatischen Landes. Das Schutzgebiet weist eine einzigartige Vielfalt an Lebensräumen auf: lichten Trockenwald in geringen Höhenlagen, feuchten, immergrünen Wald in hohen Lagen und einen Übergangslebensraum aus halb-trockenem Wald dazwischen. In der Übergangszone des halbtrockenen Waldes im Nui Chua-Nationalpark wurde im Jahr 2018 das Vietnam-Kantschil (Tragulus versicolor) – ein rehähnliches, katzengroßes Huftier, das auch als „vietnamesischer Maushirsch“ bekannt ist – wiederentdeckt und erstmalig fotografiert und gefilmt.
Um grundlegende Informationen über das Vorkommen und die Verbreitung von Arten im Nui Chua-Nationalpark zu gewinnen, führte ein wissenschaftliches Team des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), des Southern Institute of Ecology in Vietnam und des Nationalparks zwischen 2018 und 2022 fünf Wildtierkamera-Erhebungen durch. „Auf der Suche nach dem Vietnam-Kantschil im Park war ich überrascht von der hohen Anzahl anderer Arten, die wir in der Übergangszone fotografieren konnten“, sagt An Nguyen, Doktorand in der Abteilung für Ökologische Dynamik des Leibniz-IZW. „Das inspirierte uns dazu, über das Vietnam-Kantschil hinauszuschauen und die Gemeinschaft der bodenbewohnenden Säugetiere und Vögel im Nui Chua-Nationalpark zu untersuchen.“ Das Team stellte Wildtierkameras an insgesamt 145 Stationen im gesamten Park auf, um die Vielfalt der bodenbewohnenden Säugetiere und Vögel systematisch zu erfassen. „Die größte Vielfalt fanden wir nicht wie erwartet in den Regenwald-Bereichen des Parks, sondern in den halbtrockenen Übergangsbereichen zwischen dem küstennahen Trockenwald und dem hochgelegenen Regenwald“, sagt An.
„Detaillierte Einblicke in das Vorkommen und die Verteilung von Wildtieren können bei der Naturschutzplanung und der Priorisierung begrenzter Ressourcen im Artenschutz helfen“, sagt Tran Van Tiep, Direktor des Nui Chua-Nationalparks. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir bei unseren Schutzbemühungen im Nui Chua-Nationalpark den Halbtrockenwaldgebieten besondere Aufmerksamkeit schenken sollten, zumal dieser Lebensraum die höchste Artenvielfalt und die größte Verbreitung des Vietnam-Kantschils, des Aushängeschildes unseres Parks, aufweist. Solange diese wichtigen Übergangslebensräume in der Pufferzone des Nationalparks liegen, sollten wir in Erwägung ziehen, sie in die strenger geschützte Kernzone des Parks aufzunehmen.“ Die Tatsache, dass sich die weltweit größte Population des stark bedrohten Vietnam-Kantschils wahrscheinlich in den halbtrockenen Wäldern von Nui Chua befindet, mache den Schutz dieses Lebensraums noch dringlicher, so die Forschenden in dem Fachzeitschriftenbeitrag. Über den Nui Chua-Nationalpark hinaus empfehlen sie, weitere Halbtrockenwaldgebiete in Küstenregionen Südostasiens zu identifizieren, deren Artenvielfalt zu erfassen und diesen Lebensraum auch dort zu schützen.
„Die Ergebnisse dieser Untersuchung stimmen mit der außergewöhnlich hohen botanischen Vielfalt überein, die wir in den halbtrockenen Küstenwäldern dokumentiert haben“, sagt Truong, Botaniker und Direktor des Southern Institute of Ecology. „Dies ist ein weiterer Beleg für die Bedeutung dieses Übergangslebensraums und für die Notwendigkeit, ihn entlang der Küstenprovinzen im Süden Vietnams zu schützen.“
Originalpublikation:
Nguyen A, Tilker A, Le QT, Nguyen M, Tran VT, Luu HT, Tran VB, Le D, Pflumm L, Niedballa J, Sollmann R, Wilting A (2025): Ecotones shape ground-dwelling mammal and bird diversity along a habitat gradient in the southern coastal dry forests of Vietnam. Biotropica 57/1 e 13422. DOI: 10.1111/btp.13422

22.01.2025, Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung
Stressbelastung während der frühen Schwangerschaft beeinflusst den Nachwuchs bis ins Erwachsenenalter
Langzeitstudie an wildlebenden Affen in Thailand zeigt Gesundheitsrisiken und Präventionsmöglichkeiten
Stresshormone der Mutter während der frühen Schwangerschaft können das Stresssystem des Nachwuchses nachhaltig beeinflussen. Die Ergebnisse einer Langzeitstudie an wildlebenden Assam-Makaken in Thailand deuten darauf hin, dass vor allem die Belastungen in der ersten Phase der Schwangerschaft eine entscheidende Rolle spielen. Hingegen hatten Stresshormone der Mutter später in der Schwangerschaft oder nach der Geburt kaum einen Einfluss auf die Nachkommen. Die von der Universität Göttingen und dem Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung durchgeführte Langzeitstudie liefert wichtige Erkenntnisse über den Einfluss früher Lebensphasen auf die Entwicklung des Stresssystems unter natürlichen Umweltbedingungen (Proceedings of the Royal Society B).
Einfluss der frühesten Lebensphase
Das Forschungsteam untersuchte, wie sich Stress der Mutter auf das Stresshormon-System der Nachkommen auswirkt. Dabei zeigte sich, dass die Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse), die eine zentrale Rolle bei der Stressbewältigung spielt, durch mütterliche Glukokortikoide entscheidend geprägt werden kann. Besonders die frühe Phase der Organbildung in der ersten Schwangerschaftshälfte erwies sich als kritischer Zeitraum. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Nachwuchs eine stärkere Aktivierung der HPA-Achse zeigte, je höher die Belastungen der Mutter in der frühen Schwangerschaft gewesen waren – möglicherweise durch Nahrungsmangel oder soziale Konflikte innerhalb der Gruppe“, sagt Simone Anzá, ehemaliger Doktorand an der Universität Göttingen und am Deutschen Primatenzentrum und Erstautor der Studie.
Untersuchung in freier Natur
Im Gegensatz zu Studien im Labor wurden die Affen in ihrem natürlichen Lebensraum beobachtet. Die Forschenden sammelten über einen Zeitraum von neun Jahren immer wieder Kotproben von schwangeren Weibchen und ermittelten darin die Konzentration von Glukokortikoidmetaboliten, um die Belastung der Tiere durch Umweltfaktoren wie Nahrungsknappheit, Temperaturschwankungen und soziale Interaktionen zu messen. Diese Werte wurden mit den Stresshormonwerten des Nachwuchses in unterschiedlichen Altersphasen verglichen. Die Effekte auf die Stressachse der Nachkommen zeigten sich vom Säuglingsalter über die Jugend bis ins Erwachsenenalter von neun bis zehn Jahren. Frühere Analysen aus derselben Studie hatten bereits nachgewiesen, dass frühe pränatale Belastungen auch mit verändertem Wachstum, negativen Veränderungen des Darmmikrobioms und einer eingeschränkten Immunfunktion verbunden waren, was den umfassenden Einfluss der Umwelt in der frühen vorgeburtlichen Phase auf verschiedene physiologische Systeme unterstreicht. Mütterliche Glukokortikoidwerte in der späten Schwangerschaft oder während der Stillzeit hatten hingegen keine oder andere Einflüsse.
Relevanz für die Gesundheitsforschung
„Unsere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass das Timing von besonderen Belastungen der Mutter während und nach der Schwangerschaft ganz wesentlich die Konsequenzen für Entwicklung und Gesundheit des Nachwuchses beeinflusst. Wichtig ist auch, dass es für diese Effekte keiner echten Katastrophen bedarf, sondern schon moderate Veränderungen der Umweltbedingungen ausreichend sind“, sagt Oliver Schülke, Wissenschaftler an der Universität Göttingen und am Deutschen Primatenzentrum und Leiter der Studie. Stress in der frühen Schwangerschaft kann sich auch bei Menschen langfristig auf die Gesundheit auswirken und das Risiko für Stressstörungen und Immunprobleme erhöhen. „Unsere Ergebnisse können helfen, den Zeitpunkt und die Mechanismen zu identifizieren, an denen präventive Maßnahmen ansetzen sollten, um langfristige gesundheitliche Risiken zu reduzieren“, sagt Oliver Schülke.
Originalpublikation:
Anzà S, Heistermann M, Ostner J, Schülke O. 2024 Early prenatal but not postnatal glucocorticoid exposure is associated with enhanced HPA axis activity into adulthood in a wild primate. Proc. R. Soc. B 291: 20242418.
https://doi.org/10.1098/rspb.2024.2418

23.01.2025, Hessisches Landesmuseum Darmstadt
Arten-Olympiade 2025 – Länderübergreifende Challenge in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Am 1. Januar 2025 ist die länderübergreifende Challenge »Arten-Olympiade« gestartet. Sie wird bis zum 31. Dezember 2025 durchgeführt. Wer findet die meisten wildlebenden Pflanzen, Pilze und Tiere, erfasst sie mit der Kamera und tritt gegen andere Naturbeobachtende an? Hier ist Mitmachen erwünscht!
Diese Challenge wird veranstaltet durch das LWL-Museum von Naturkunde in Münster des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) (Deutschland), das Haus der Natur in Salzburg (Österreich) und das Naturmuseum Solothurn (Schweiz). Zu den Partnern gehört unter anderem das Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung und angewandte Ökologie der Universität Münster. Unterstützt wird die Challenge durch eine Spende der Stiftung der Sparda-Bank Münster.
Das Hessische Landesmuseum Darmstadt und die Initiatoren der »Arten-Olympiade 2025« rufen zusammen mit der internationalen Naturbeobachtungsplattform Observation.org zum länderübergreifenden Wettkampf in der App ObsIdentify und auf der Webseite Observation.org auf. Gemeinsam soll mit viel Spaß und Neugier an der Natur ihre Vielfalt erfasst werden, um Erkenntnisse über die Verbreitung verschiedener Arten zu sammeln.
»Forschung soll Spaß machen und so darf ein Wettbewerbscharakter nicht fehlen: Unter den Teilnehmenden an der Arten-Olympiade 2025 gibt es ein Ranking und am Ende auch attraktive Preise zu gewinnen«, sagt Dr. Jan Ole Kriegs, Museumsdirektor und Biologe vom LWL-Museum für Naturkunde in Münster.
Warum eine Arten-Olympiade?
Die Natur ist unglaublich reich und vielfältig. Direkt in unmittelbarer Umgebung wachsen hunderte Pflanzen- und Pilzarten, hier leben tausende Tierarten von Insekten, Spinnen, Weichtieren oder Würmern bis hin zu Vögeln und Säugetieren. Noch unglaublicher ist die Vielfalt im mikroskopischen Bereich. Die länderübergreifende Challenge will möglichst viele Naturinteressierte in Deutschland, Österreich und der Schweiz animieren die enorme Artenvielfalt um sie herum zu erfassen und ihre Beobachtungen bei Observation.org oder in der App zu melden.
Und so geht die Challenge
Wer die meisten Arten fotografiert, gewinnt den Hauptpreis: eine kostenlose Teilnahme an einem Kurs der Wahl im Bildungs- und Forschungszentrum Heiliges Meer des LWL-Museums für Naturkunde, inklusive einer Begleitperson und Verpflegung. Weitere Preise werden von den Organisatoren in Kürze bekannt gegeben auf der Webseite: https://www.arten-olympiade.lwl.org
Gewertet werden nur wildlebende Arten, die 2025 in Deutschland, Österreich und der Schweiz fotografisch oder akustisch dokumentiert wurden. Dabei sollte immer darauf geachtet werden, dass die Organismen möglichst wenig gestört und nicht verletzt werden. Bis 31.12.2025 können die Bilder hochladen werden. Bitte keine durch Menschen gepflanzte Pflanzen oder Tiere in Gehegen melden! Bei der Meldung von Pflanzen, Pilzen und anderen schwer bestimmbaren Artengruppen bitte darauf achten, dass alle relevanten Merkmale (bei Pflanzen: Blatt, Blüte, Habitus, bei Hutpilzen
Ober- und Unterseite…) erkennbar sind.
Weitere Informationen:
https://www.arten-olympiade.lwl.org

23.01.2025, Deutsche Wildtier Stiftung
Elch, Wisent und Auerochse: Nützliche Riesen für die Artenvielfalt
Das 21. Jahrhundert könnte das Zeitalter der Rückkehr der großen Pflanzenfresser sein
Manche von ihnen waren einfach nur riesig – Auerochsen beispielsweise mit einem Stockmaß von 1,80 Meter und einem Gewicht von einer Tonne. Für vergleichsweise winzige Schmetterlinge und Wildbienen war diese Rinderart ein echter Gewinn: Denn die Riesen hielten die Weideflächen kurz, Wildpflanzen konnten sich an lichten Stellen ausbreiten und die Insekten Nektar und Pollen an ihnen sammeln. Bevor die Menschen sesshaft wurden, war Mitteleuropa von großen Pflanzenfressern wie Auerochsen, Wisenten, Elchen, Rothirschen und Wildpferden flächig besiedelt. Die Wildtiere zogen ohne Begrenzungen durch die Lande und prägten so die Ökosysteme. Mit Einzug der Industrialisierung starben zumindest die wildlebenden Rinderarten aus. Auch Wildpferde gibt es heute kaum noch, Rothirsche und Elche sind durch den Menschen stark eingeschränkt. Im Zuge dessen nahmen deren positive Effekte auf die Artenvielfalt immer weiter ab.
Aber das 21. Jahrhundert könnte endlich das Zeitalter der Rückkehr der großen Pflanzenfresser sein, oder zumindest deren Nachzüchtungen. Und damit gäbe es auch Hoffnung für eine neue Belebung der Artenvielfalt. Wildtierbiologe Prof. Dr. Klaus Hackländer, Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung, und Forstwissenschaftler Dr. Sebastian Brackhane beleuchten in ihrem von ihnen herausgegebenen, neuen Buch „Die Rückkehr der großen Pflanzenfresser. Konfliktfeld oder Chance für den Artenschutz?“ die Vorteile, aber auch die Herausforderungen, die mit der Wiederansiedlung großer Pflanzenfresser verbunden sind. „Wir wollen die großen Pflanzenfresser zurückhaben, aber natürlich können wir sie nicht einfach so in unsere Kulturlandschaft setzen. Ein gutes Management muss immer mitgedacht werden“, sagt Klaus Hackländer. Nur dann können die nützlichen Riesen nachhaltig Ökosysteme bereichern und gleichzeitig neue Perspektiven für den Natur- und Artenschutz schaffen.
Die Deutsche Wildtier Stiftung setzt sich für mehr extensive Weidesysteme und die Wiederansiedlung großer Pflanzenfresser in Deutschland ein. Um die wildtierfreundliche Landnutzung rund um das Stiftungsgut Klepelshagen in Mecklenburg-Vorpommern zu bereichern, beweiden dort bereits Konik-Ponys und ihre Fohlen eine Ganzjahresweide extensiv.
Blick ins neue Buch:
Durch die Erholung von Beständen, natürliche Einwanderung und Wiederansiedlungen in Naturschutzprojekten wächst die Zahl der großen Pflanzenfresserarten in Deutschland. Wie ist die Biologie von Wisent, Elch oder Auerochse? Welche Bedeutung haben sie heute für den Artenschutz? Und wo gibt es überhaupt Platz für sie? Wie stehen Bevölkerung, Land- und Forstbesitzer*innen zu dieser Entwicklung? Und müssen wir die Arten in unserer dicht besiedelten Kulturlandschaft nicht auch managen? 60 Wissenschaftler*innen und Expert*innen aus verschiedensten Fachgebieten gehen diesen und vielen weiteren Fragen in „Die Rückkehr der großen Pflanzenfresser. Konfliktfeld oder Chance für den Artenschutz?“ (ET 6.2.2025) auf den Grund.
Sebastian Brackhane & Klaus Hackländer (Hrsg.): „Die Rückkehr der großen Pflanzenfresser. Konfliktfeld oder Chance für den Artenschutz?„, gefördert durch die Deutsche Wildtier Stiftung, 480 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-98726-031-5, Print 39,00 Euro / 40,10 Euro (AT), ePDF 30,99 Euro / 31,99 Euro (AT)

24.01.2025, Freie Universität Berlin
Macho oder Softboy? „Science“-Studie zeigt: Ein Gen entscheidet über drei verschiedene Balzverhalten bei Kampfläufern
Hohe Testosteronwerte werden allgemein mit männlicher Dominanz und Aggression in Verbindung gebracht. Doch bei Kampfläufern – einer in Europa und Asien brütenden Watvogelart – sorgt ein einzelnes Gen dafür, dass aggressive Männchen friedfertig werden. Forschende der Freien Universität Berlin haben zusammen mit einem internationalen Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Clemens Küpper am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz herausgefunden, wie dieses Gen ein „Super-Enzym“ produziert, das Testosteron effizient abbaut und damit das Balzverhalten der Watvögel bestimmt.
Kampfläufer-Männchen treten in drei Erscheinungsformen – sogenannten Morphen – auf, die sich stark in Aussehen und Verhalten unterscheiden. Die Mehrheit, die sogenannten Independents, zeigt dunkles Gefieder und verteidigt energisch ein kleines Revier in der Balzarena, um Weibchen zu beeindrucken. Die Satelliten, etwas kleineren Männchen mit hellerem Gefieder, werben hingegen friedlich in Zusammenarbeit mit einem Independent. Die seltenen Faeder-Männchen verfolgen eine clevere Strategie: Sie tarnen sich als Weibchen, um unbemerkt in die Arenen zu gelangen. Während für die aggressiven Independents ein hoher Testosteronspiegel vorteilhaft ist, wäre dies für Satelliten und Faeder hinderlich. Frühere Studien hatten bereits gezeigt, dass diese beiden Morphen deutlich weniger Testosteron im Blut haben als die Independents.
Überraschenderweise zeigen Messungen der neuen Studie nun aber, dass Satelliten und Faeder in den Hoden mehr Testosteron produzieren als die Independents. Doch warum sinkt dann ihr Testosteronspiegel im Blut? Hier kommt das „Super-Enzym“ ins Spiel. Die Forschenden fanden in ihrer Studie heraus, dass die drei Morphen sich nur in einer DNA-Region unterscheiden, die etwa 100 Gene umfasst. „Diese Region entstand vor etwa vier Millionen Jahren, als sich ein Chromosomenfragment umkehrte und neu einfügte“, erklärt die Professorin für Humanbiologie an der Freien Universität Berlin, Katja Nowick. Ein bestimmtes Gen innerhalb dieser DNA-Region kodiert für ein Enzym, das Testosteron abbaut. Die Genexpressionsanalysen des Forschungsteams zeigten, während dieses Enzym bei Satelliten und Faedern in großen Mengen produziert wird, es bei den Independents völlig fehlt. Besonders bemerkenswert: Das „Super-Enzym“ ist nicht in den Hoden auffindbar, wo Testosteron gebildet wird. Es ist vielmehr in großen Mengen im Blut von Satelliten und Faedern vorhanden.
Testosteron reguliert jedoch nicht nur die Spermienproduktion, sondern auch Aggression und Balzverhalten. Die Forschenden stellten erhöhte Mengen des „Super-Enzyms“ interessanterweise auch im Gehirn der friedfertigen Satelliten und Faeder fest. „Die Studie zeigt, wie ein einzelnes Gen weitreichende Effekte haben und die Evolution komplexer Verhaltensstrategien vorantreiben kann“, betont Vladimir Jovanović, Postdoc in Katja Nowick’s Arbeitsgruppe. In künftigen Studien möchte das Forschungsteam untersuchen, wie soziale Verhaltensweisen bei Kampfläufern reguliert werden, und die Vielfalt innerhalb der Geschlechter weiter erforschen.
Weitere Informationen:
Die Studie entstand in Zusammenarbeit mit Forschenden der Freien Universität Berlin, des Max Planck Instituts für biologische Intelligenz, der Universität Wien, des Helmholtz Zentrums München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt und der Simon Fraser University, Burnaby.
https://www.science.org/doi/10.1126/science.adp5936

24.01.2025, Universität zu Köln
Evolution ohne Sex: Wie Milben seit Millionen Jahren überleben
Ein internationales Forschungsteam hat bei asexuellen Milben verschiedene Mechanismen entdeckt, die genetische Vielfalt erzeugen und so das Überleben sichern / Veröffentlichung in Science Advances
Forschende der Universität zu Köln haben zusammen mit Kolleg*innen internationaler Partnerinstitutionen die asexuelle Fortpflanzung bei Hornmilben mit modernen Techniken der Genomsequenzierung genauer untersucht. Sie zeigen, dass der mögliche Schlüssel zu einer Evolution ohne Sex bei Hornmilben in der unabhängigen Entwicklung ihrer beiden Chromosomenkopien liegt – ein Phänomen, das als „Meselson-Effekt“ bekannt ist. Das Forschungsteam hat verschiedene Mechanismen entdeckt, die zu einer genetischen Vielfalt auf den Chromosomensätzen beitragen und so die Evolution der Milbe sicherstellen.
Wie der Mensch hat die Hornmilbe einen doppelten Chromosomensatz. Doch im Gegensatz zum Menschen pflanzt sich die asexuelle Hornmilbe Platynothrus peltifer parthenogenetisch fort: Mütter produzieren Töchter aus unbefruchteten Eiern – eine reine Frauengesellschaft also. Mithilfe von Genomanalysen an einzelnen Milben konnten die Forschenden erstmals die angesammelten Unterschiede zwischen den Chromosomenkopien untersuchen und ihre Bedeutung für das Überleben der Milbe analysieren. Die Ergebnisse der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Studie wurden unter dem Titel ”Chromosome-scale genome dynamics reveal signatures of independent haplotype evolution in the ancient asexual mite Platynothrus peltifer“ im Fachjournal Science Advances veröffentlicht.
Sex ist ein zentraler Motor der Evolution: Er sorgt für genetische Vielfalt und hilft Organismen, sich schneller an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Ohne Sex hingegen drohen genetische Stagnation und das Aussterben – zumindest laut gängiger Theorie der Evolution. Doch die Milbe Platynothrus peltifer widersetzt sich diesen Regeln: Sie existiert seit über 20 Millionen Jahren – und das ganz ohne Sex. Die asexuellen Hornmilben erzeugen ihre weiblichen Nachkommen aus unbefruchteten Eiern völlig ohne Männchen. Männchen fehlen oder sind sehr selten und tragen nicht zum Genpool bei. Je nach Mechanismus, der zur Wiederherstellung des doppelten Chromosomensatzes führt, können die Nachkommen entweder alle oder einen Teil der Genvarianten (Allele) der Mutter erben. Sie können also „vollständige Klone“ der Mutter sein.
Bei der Hornmilbe entwickeln sich die beiden Kopien des Chromosomensatzes unabhängig voneinander und schaffen dabei einen experimentellen Raum, in dem neue genetische Varianten entstehen können, während gleichzeitig wichtige Informationen bewahrt bleiben. Ein besonders bemerkenswerter Unterschied zeigt sich in der Genexpression – also darin, welche Kopien der Gene wie stark aktiv sind. Diese Unterschiede ermöglichen eine schnelle Reaktion auf Umweltveränderungen und verleihen einen selektiven Vorteil.
Hinzu kommt noch Horizontaler Gentransfer (HGT). Gemeint ist damit die Weitergabe bzw. Aufnahme genetischen Materials außerhalb der sexuellen Fortpflanzungswege. “Horizontaler Gentransfer, bei dem Gene sogar von artfremden Organismen übertragen werden können, funktioniert wie das Hinzufügen neuer Werkzeuge zu einem bestehenden Werkzeugkasten. Einige dieser Gene scheinen der Milbe zu helfen, Zellwände zu verdauen und somit ihr Nahrungsspektrum zu erweitern”, erläutert die Erstautorin der Studie Dr. Hüsna Öztoprak vom Institut für Zoologie der Universität zu Köln.
Zudem spielen noch „springende Gene“, die sogenannten transponierbaren Elemente (TE), eine wichtige Rolle. TEs bewegen sich innerhalb des Genoms wie Buchkapitel, die in eine neue Geschichte eingefügt werden und den Handlungsverlauf verändern können. Besonders spannend: Die Aktivität dieser TEs unterscheidet sich zwischen den beiden Chromosomenkopien. Während sie auf einer Kopie aktiv sind und dynamische Veränderungen bewirken können, bleiben sie auf der anderen eher inaktiv.
Die Studie liefert neue Erkenntnisse über die Überlebensstrategien von asexuellen Organismen. Unterstützt wird die asexuelle Evolution durch verschiedene Quellen genetischer Vielfalt, auf die das Forschungsteam in der Studie aufmerksam macht. “In künftigen Forschungsprojekten möchten wir herausfinden, ob es noch weitere Mechanismen gibt, die für eine Evolution ohne Sex von Bedeutung sind”, so Dr. Jens Bast, Emmy Noether-Gruppenleiter an der Universität zu Köln.
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1126/sciadv.adn0817

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