Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

07.01.2025, Universität Greifswald
Riechen mit den Beinen – Spinnen nutzen haarähnliche Sinnesorgane, um Duftstoffe zu erkennen
Spinnen können riechen: Sie verwenden haarähnliche Sensillen mit Poren, um flüchtige Substanzen aufzuspüren. Dies ist die Erkenntnis einer Studie, die jetzt (Januar 2025) in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (DOI: www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2415468121) veröffentlicht wurde. Das internationale Autor*innenteam um die die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Gabriele Uhl von der Universität Greifswald fand heraus, dass Spinnenmännchen an allen Beinen Tausende von Sensillen haben, mit denen sie Sexuallockstoffe wahrnehmen. Das Projekt wurde von der DFG gefördert.
Der Geruchssinn oder Chemosensing ist für das Überleben und den Fortpflanzungserfolg von Tieren von zentraler Bedeutung. Er hilft ihnen beispielsweise, Beute- oder Raubtiere zu erkennen oder Paarungspartner aufzuspüren. Bisher wurde hauptsächlich zur Chemosensorik bei Insekten geforscht, vor allem im Rahmen der Pheromonforschung zur Schädlingsbekämpfung. Obwohl Spinnen als die wichtigste Gruppe natürlicher Feinde von Insekten gelten, da sie schätzungsweise 400 bis 800 Millionen Tonnen Insekten pro Jahr fressen, ist nur wenig über die chemosensorische Welt der Spinnen bekannt.
Das Greifswalder Team der Arbeitsgruppe Allgemeine und Systematische Zoologie am Zoologischen Institut und Museum https://zoologie.uni-greifswald.de/ an der Universität Greifswald wies mit Hilfe eines hochauflösenden Feldemissions-REM (1) Sensillen mit Poren in der Haarwand bei Männchen der Wespenspinne Argiope bruennichi nach. Sie ist eine der wenigen Spinnenarten, für die das Sexualpheromon bekannt ist, das Weibchen produzieren, um Männchen anzulocken. Ähnlich wie die Wand-Poren-Sensillen bei Insekten sind diese Haare innen nicht kompakt, sondern mit Lymphe gefüllt, die wiederum Fortsätze von Neuronen enthält. Dr. Hong-Lei Wang von der Pheromongruppe der Universität Lund testete, ob diese Sensillen, die ausschließlich bei männlichen Spinnen vorkommen, auf das artspezifische Sexualpheromon der Weibchen reagieren. Er konnte eine deutliche und konzentrationsabhängige neuronale Reaktion auf das Pheromon nachweisen.
In einer vergleichenden Untersuchung von 19 Spinnenarten wurden diese nur bei Männchen vorhandenen Sensillen bei den meisten, aber nicht bei allen Arten gefunden. Die vorläufigen Daten deuten darauf hin, dass die Geruchswahrnehmung mit diesen Sensillen nicht das Grundmuster bei Spinnen ist, sondern sich bei Spinnen unabhängig von anderen Spinnentiergruppen und Insekten entwickelt hat.
Die Forschenden werden nun die Bedeutung des Geruchssinns bei Spinnengruppen mit und ohne diese Sensillen im Kontext von Partnerwahl, Beutefang und Fressfeindvermeidung vergleichen und die morphologischen Unterschiede und die molekulare Ausstattung des Geruchssinns zwischen Insekten und Spinnen erforschen. Diese Untersuchungen und Forschungsergebnisse erweitern das Wissen über die Ökologie von Spinnen und führen zu einem besseren Verständnis der Evolution des Geruchssinns bei landlebenden Gliederfüßern.
Weitere Informationen
„Olfaction with legs – spiders use wall-pore sensilla for pheromone detection“ wurde veröffentlicht und ist erhältlich unter http://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2415468121 (DOI: 10.1073/pnas.2415468121).
(1) Ein Feldemissions-REM ist ein spezielles Rasterelektronenmikroskop. Mit ihm war die 50 000-fache Vergrößerung möglich, um die Poren erkennen zu können.

08.01.2025, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau
Evolutionsbiologie: Ameisen können nachtragend sein
• Team um Evolutionsbiologe Volker Nehring untersucht, inwieweit Ameisen aus bisherigen Erfahrungen lernen.
• Nachdem sie von Artgenossinnen aus einem bestimmten Nest attackiert wurden, verhalten sich Ameisen anderen aus diesem Nest gegenüber aggressiver.
• Nehring: „Ameisen sind keine vorprogrammierten Maschinen. Sie können auch nachtragend sein.“
Ameisen lernen aus Erfahrungen. Das zeigen Evolutionsbiolog*innen der Universität Freiburg um Dr. Volker Nehring, Akademischer Rat in der Abteilung Evolution und Ökologie, und Doktorandin Mélanie Bey. Die Forschenden konfrontierten Ameisen mehrmals hintereinander mit Konkurrentinnen aus einem anderen Nest. Die negativen Erfahrungen, die die Test-Ameisen in diesen Begegnungen gemacht hatten, merkten sie sich: Trafen sie auf Ameisen eines Nests, das sie zuvor bereits als aggressiv erlebt hatten, verhielten sie sich ihnen gegenüber aggressiver als bei Ameisen aus ihnen unbekannten Nestern. Weniger aggressiv zeigten sich Ameisen, die auf Mitglieder eines Nests trafen, aus dem sie zuvor nur passive Ameisen getroffen hatten. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Biolog*innen im Fachjournal Current Biology.
Ameisen sind ihren Nachbarinnen gegenüber aggressiv
Anhand von Gerüchen unterscheiden Ameisen zwischen Mitgliedern ihres eigenen Nests und solchen aus fremden Nestern. Jedes Nest hat seinen spezifischen Duft. In früheren Studien wurde bereits beobachtet, dass Ameisen sich vor allem ihren nächsten Nachbarinnen gegenüber aggressiv verhalten. Besonders bei ihnen öffnen sie ihre Beißzangen, die sogenannten Mandibeln, und beißen zu, oder versprühen Säure, um die Konkurrentinnen damit zu töten. Seltener zeigen sie solche Angriffsmanöver gegenüber Nestern, die weiter von ihren eigenen entfernt liegen. Bisher war unklar, warum das so ist. Das Team um Nehring stellte nun fest, dass Ameisen sich den Geruch von Angreiferinnen merken. Deshalb sind sie bei Konfrontationen mit Konkurrentinnen aus ihnen bekannten Nestern aggressiver.
Aggressiveres Verhalten bei Konkurrentinnen aus bekannten Nestern
Ein Experiment der Wissenschaftler*innen bestand aus zwei Phasen. In der ersten Phase sammelten Ameisen verschiedene Erfahrungen: Eine Gruppe begegnete Ameisen aus ihrem eigenen Nest, die zweite Gruppe traf auf aggressive Ameisen aus einem Konkurrenznest A und die dritte auf aggressive Ameisen aus Konkurrenznest B. Insgesamt fanden fünf Begegnungen an aufeinanderfolgenden Tagen statt, wobei jede Begegnung je eine Minute dauerte.
In der anschließenden Testphase überprüften die Forschenden, wie sich die Ameisen der verschiedenen Gruppen verhielten, wenn sie auf Konkurrentinnen aus Nest A trafen. Die Ameisen, die schon in der ersten Phase mit Artgenossinnen aus diesem Nest konfrontiert gewesen waren, verhielten sich signifikant aggressiver als die aus den anderen beiden Gruppen.
Um zu prüfen, inwiefern die höhere Aggression durch das erfahrene Verhalten der Ameisen eines bestimmten Nests entsteht, wiederholten die Wissenschaftler*innen das Experiment in leicht veränderter Form. In der ersten Phase unterschieden sie nun zwischen Begegnungen mit aggressiven und passiven Ameisen. Dass eine Ameise sich passiv verhielt stellten sie sicher, indem sie ihr die Antennen kappten. In Phase zwei des Experiments verhielten sich Ameisen deutlich weniger aggressiv, die zuvor nur passive Konkurrentinnen kennengelernt hatten.
„Wir haben häufig die Vorstellung, dass Insekten wie vorprogrammierte Maschinen funktionieren“, sagt Nehring. „Unsere Studie liefert einen neuen Hinweis darauf, dass im Gegenteil auch Ameisen aus ihren Erfahrungen lernen und nachtragend sein können.“ Als nächstes gehen Nehring und sein Team nun der Frage nach, ob und inwiefern Ameisen ihre Duftrezeptoren an ihre Erfahrungen anpassen und sich so das Gelernte auch auf dieser Ebene widerspiegelt.
Originalpublikation: M. Bey, R. Endermann, C. Raudies, J. Steinle, V. Nehring: Associative learning of non-nestmate cues improves enemy recognition in ants. Current Biology, 2024. DOI: 10.1016/j.cub.2024.11.054

08.01.2025, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Pflanzenfresser oder Fleischfresser? Neues Instrumentarium für die Erforschung ausgestorbener Reptilien
Kalzium- und Strontiumisotope aus Knochen und Zähnen heutiger Reptilien liefern Vergleichsdaten für die Nahrungsrekonstruktion fossiler Arten
Wie kam es in der Evolution zur Ausbildung von Fleischfressern und Pflanzenfressern? Wie haben sich ausgestorbene Wirbeltiere ernährt? Und wie können wir etwas über ihre Ernährung in Erfahrung bringen? Bei lebenden Tieren können wir beobachten, wovon sie sich genau ernähren. Bei ausgestorbenen Arten ist die Wissenschaft auf morphologische oder chemische Informationen aus den Fossilien angewiesen. Forschende um Prof. Dr. Thomas Tütken von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben einen Referenzrahmen nahrungsanzeigender Isotopenzusammensetzungen für heute lebende Reptilien erstellt, der für die Arbeit mit Fossilien wertvolle Hilfestellung bietet. „Mit dem Reptilienreferenzrahmen haben wir ein Instrumentarium zur Hand, um die Ernährung ausgestorbener Tiere wie zum Beispiel Dinosaurier besser als bisher zu rekonstruieren“, sagt Thomas Tütken. „Ein solcher Vergleichsdatensatz hat bisher gefehlt.“ Die Forschungsarbeit wurde in dem renommierten Fachmagazin Proceedings of the Royal Society B veröffentlicht.
Reptilien haben ganz unterschiedliche Ernährungsgewohnheiten
Reptilien zeigen heute eine breite Palette von Ernährungspräferenzen, die von pflanzen- bis zu tierfressenden Gewohnheiten reicht. Aber auch Ernährungsspezialisierungen kommen vor: Meerechsen, die sich von Algen ernähren, insektenfressende Chamäleons, Krustenechsen, die Eier bevorzugen, oder Spitzenprädatoren wie das Leistenkrokodil und der Komodowaran, die komplett auf Fleisch setzen. „Diese Vielfalt erschwert die Rekonstruktion von Ernährungspräferenzen bei ausgestorbenen Tieren“, sagt Tütken, Paläontologe am Institut für Geowissenschaften der JGU.
Die ältesten bekannten Vorfahren unserer heutigen Reptilien haben vor über 300 Millionen Jahren gelebt. Das früheste bekannte Reptil ist Hylonomus, es ähnelt einer Eidechse und lebte vor rund 315 Millionen Jahren im heutigen Kanada. Die frühen Reptilien weisen häufig gemeinsame Merkmale in der Morphologie ihres Schädels, Kiefers und der Zähne auf, die auf eine Tendenz zur insektenfressenden Ernährung hindeuten. Der genaue Zeitpunkt der Ernährungsumstellung von Insekten- zu Fleisch- und Pflanzenfressern in der Erdgeschichte ist jedoch unklar.
28 Reptilienarten legen die Basis für den geochemischen Referenzrahmen
Für die Rekonstruktion der Ernährung sowohl bei ausgestorbenen als auch bei lebenden Wirbeltierarten kann nun der Referenzrahmen genutzt werden. Dazu hat die Gruppe um Tütken 28 lebende Reptilienarten herangezogen und Kalzium- sowie Strontiumisotope in deren Knochen und Zähnen analysiert, die mit der Ernährungsweise systematisch variieren. „Um einen umfassenden Bezugsrahmen zu schaffen, haben wir Reptilien mit ausgeprägtem pflanzen- beziehungsweise tierfressendem Verhalten ausgewählt, aber auch Nahrungsspezialisten“, sagt Tütken. Der Wissenschaftler nennt als Beispiele Alligatoren, Warane, Leguane und Chamäleons. Im Falle von Kalzium wurden insbesondere die Isotope Kalzium-44 und Kalzium-42 bestimmt. Es zeigte sich, dass mit jedem Schritt in der Nahrungskette das Verhältnis von Kalzium-44 zu Kalzium-42 abnimmt. „Das heißt, Insektenfresser weisen die höchsten Werte auf und unterscheiden sich deutlich von anderen Ernährungskategorien“, sagt Dr. Michael Weber, Erstautor der Studie. In der Rangliste folgen Pflanzenfresser und Fleischfresser mit dem niedrigsten Isotopenverhältnis. Besondere Ernährungsweisen etwa von marinen Leguanen oder von Eierfressern können ebenfalls detektiert werden.
Die Ergebnisse zeigen für das Isotopenverhältnis von stabilem Strontium-88 zu Strontium-86 derselben Arten ein vergleichbares Bild, liefern aber noch verfeinerte Informationen über die Ernährung. „Wir haben erstmals einen umfangreichen Referenzrahmen für stabile Strontiumisotope als Ernährungsproxy erstellt. Er deckt sich weitgehend mit den aus den Kalziumisotopen bestimmten Ernährungsformen“, sagt Dr. Katrin Weber, Mitautorin und ehemalige Doktorandin der AG Tütken. „Allerdings sind im Gegensatz zu Kalzium von Strontium nur sehr geringe Mengen in Zähnen oder Knochen enthalten, die der Veränderung bei Bodenlagerungsprozessen unterliegen, sodass die Anwendung bei Fossilien ausgestorbener Arten zum Teil problematisch ist und Kalzium hier eine bessere Perspektive bietet.“
Ein weiteres Ergebnis der Analysen ergab, dass das Kalziumisotopenverhältnis für Reptilien im Vergleich zu Säugetieren – hier besteht bereits ein Referenzrahmen – bei gleicher Ernährungsweise höher ausfällt, was eventuell mit verschiedenen physiologischen Faktoren erklärt werden könnte. Das zeigt allerdings auch, dass die Daten für Säugetiere nicht ohne Weiteres zum Vergleich mit ausgestorbenen Reptilienarten wie Dinosaurier herangezogen werden können.
Mechanische Abnutzungsspuren an den Zähnen liefern zusätzliche Ernährungshinweise
Neben den chemischen Nahrungsspuren wurde ein weiterer Baustein hinzugezogen, um künftige Rekonstruktionen zu ergänzen: Mechanische Abnutzungsspuren an den Zähnen, die durch die Nahrung entstanden sind. Ob ein Tier hartes oder weiches Futter zu sich genommen hat, kann anhand von Kratzspuren an der Zahnoberfläche unterschieden werden und damit zusätzlich Auskunft über die Ernährung von ausgestorbenen Arten liefern. Diese Daten wurden zuvor im Rahmen einer Kooperation mit Dr. Daniela Winkler, heute an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, an Zähnen derselben modernen Reptilien erhoben und mit den Isotopendaten kombiniert. Sie erlauben es, Tierfresser, die größere Mengen an abrasiven Hartgeweben wie zum Beispiel Schalen oder Knochen mitfressen, von solchen Tieren, die überwiegend Weichgewebe fressen, zu unterscheiden.
„Um die Daten chemischer und mechanischer Nahrungsspuren von fossilen Exemplaren vollständig zu verstehen und zu interpretieren, mussten wir zunächst heute lebende, eng verwandte Arten mit ihren bekannten Ernährungsgewohnheiten untersuchen. So haben wir einen Referenzrahmen für den Vergleich und die genaue Zuordnung der Ernährung erhalten, damit wir in Zukunft das Ernährungsverhalten ausgestorbener Arten noch präziser rekonstruieren können“, fasst Thomas Tütken zusammen. Der Wissenschaftler hat 2016 einen ERC Consolidator Grant für sein Forschungsprojekt zur Ernährung der ersten Landwirbeltiere erhalten, mit dem auch die jetzt vorgelegte Arbeit unterstützt wurde.
Originalpublikation:
Michael Weber, Katrin Weber et al.
Calcium and strontium isotopes in extant diapsid reptiles reflect dietary tendencies – a reference frame for diet reconstructions in the fossil record
Proceedings of the Royal Society B, 8. Januar 2025
DOI: 10.1098/rspb.2024.2002
https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rspb.2024.2002

08.01.2025, Universität Zürich
Umdenken bei der Regulierung von Zoopopulationen
Was passiert mit überzähligen Tieren in Zoos? Bislang wurde meist die Fortpflanzung der Tiere kontrolliert. Nun plädieren Forschende für ein Umdenken: Durch fachgerecht durchgeführte Tötungen können Zoos ihre fortpflanzungsfähigen Populationen erhalten, das Bewusstsein für die Herausforderungen des Artenschutzes schärfen – und Tierwohl sowie Klimabilanz verbessern.
Im Gegensatz zu Tieren in der Wildnis stehen Tiere im Zoo weniger stark unter Druck. Sie haben ausreichend Nahrung zur Verfügung und werden nicht von Fressfeinden gejagt. Daher leben Tiere in Zoos meist viel länger als in der Wildnis. Dies stellt Zoos wiederum vor die Herausforderung, die begrenzten Aufnahmekapazitäten optimal zu managen.
Aus logistischen und finanziellen Gründen beschränken viele Zoos die Nachzucht ihrer Tiere. Andere Zoos gehen einen anderen Weg und töten überzählige Tiere – und riskieren damit öffentliche Reaktionen: So löste die Verfütterung von Marius, einer gesunden, zweijährigen Giraffe, vor zehn Jahren eine internationale Debatte darüber aus, was Zoos mit ihren überzähligen Tieren tun sollen.
Zoopopulationen werden immer älter
In einer Stellungnahme unter der Leitung der Universität Zürich argumentieren Forschende nun, dass die weit verbreiteten Verhütungspraktiken das Altersprofil von Zoopopulationen verändern – und zwar nicht zum Besseren. «Fortpflanzung ist ein Grundbedürfnis von Tieren. Ohne Reproduktion wird ihnen einer ihrer wichtigsten evolutionären Antriebe genommen», sagt Marcus Clauss vom Universitären Tierspital der UZH und Erstautor der Studie. «Mit der Zeit werden die Zoopopulationen immer älter, was eines der Grundprinzipien von Zoos gefährdet: die Erhaltung der eigenen Populationen.»
Überzählige Tiere können oft nicht anderweitig untergebracht werden, da der Platz in Zoos begrenzt ist und eine Auswilderung von Tieren spezielle Programme und einen geeigneten Lebensraum erfordert. Daher plädieren die Forschenden für eine geplante und fachgerechte Tötung überzähliger Zootiere. «Wir halten dies für ein rationales und verantwortungsvolles Populationsmanagement. Zudem kann dieser Ansatz den Zoos dabei helfen, ihren Bildungsauftrag zu erfüllen», so Clauss.
Natürlicher Lebenszyklus der Tiere als Bildungsauftrag
Jedes Jahr besuchen mehr als 700 Millionen Menschen zoologische Einrichtungen auf der ganzen Welt. «Zoos können dazu beitragen, das öffentliche Verständnis für den natürlichen Lebenszyklus von Tieren zu fördern. Indem sie den Tod von Tieren an den Rand drängen, halten Zoos jedoch unrealistische Erwartungen an das Leben in der Wildnis aufrecht», erklärt Mitautor Andrew Abraham von der Universität Aarhus.
Zoos haben aber auch die Pflicht, die Tierpopulation zu erhalten. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz. «Schon heute sind viele Tierarten vom Aussterben bedroht, und in den kommenden Jahrzehnten werden zahlreiche weitere Tierarten dazukommen. Es ist daher entscheidend, dass die Zoos fortpflanzungsfähige Populationen und das Wissen über die Aufzucht von Jungtieren erhalten. Was wir nicht brauchen, ist eine Sammlung geriatrischer Tiere – und Tierärzt:innen, die sich mit Palliativpflege beschäftigen», fügt Abraham hinzu.
Eigene Fleischversorgung verbessert Klimabilanz
Soll es mehr Geburten in den Zoos geben, müssen überzählige Tiere getötet werden dürfen. Ein Zoo in Deutschland ist so in der Lage, seine Raubtiere mit bis zu 30 Prozent des Fleisches von Tieren aus der eigenen Einrichtung zu füttern und seine Kohlenstoffemissionen und den Bedarf an kommerziell geschlachtetem Vieh zu reduzieren.
Auch wenn die Tötung von Säugetieren wie etwa der Giraffe Marius oft Kontroversen auslöst, gibt es Hinweise darauf, dass die öffentliche Meinung ausgewogener ist, als in den Medien dargestellt. «Zoos haben die Verantwortung, ihre Gäste über die Realitäten von Leben und Tod in der Tierhaltung aufzuklären», sagt Clauss. «Eine transparente Kommunikation kann dazu beitragen, die öffentliche Wahrnehmung zu verändern und die Akzeptanz von langfristigen, nachhaltigen Ansätzen zu erhöhen.»
Literatur
M. Clauss, M. Roller, M.F. Bertelsen, C. Rudolf von Rohr, D.W.H. Müller, C. Schiffmann, M. Kummrow, D. Encke, S. Ferreira, E.S. Duvall, C. Maré, A.J. Abraham. Zoos must embrace animal death for education and conservation. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. 30 December 2024. DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.241456512

09.01.2025, Ludwig-Maximilians-Universität München
Fossile Killifische: Neue Funde zeigen ungeahnte Vielfalt
LMU-Paläontologen haben 15 Millionen Jahre alte Fossilien untersucht und neue Einblicke in die Artenvielfalt und Lebensweise der Killifische gewonnen.
Killifische, die oft auch als Eierlegende Zahnkarpfen bezeichnet werden, sind für ihre ökologische Anpassungsfähigkeit und Artenvielfalt bekannt. In Europa existieren heute zwei Familien: die sehr artenreichen Aphaniidae und die mit nur drei Arten relativ artenarmen Valenciidae. Wie diese Unterschiede in der Artenvielfalt entstanden sind, ist eine der Fragen, die die Gruppe von Professorin Bettina Reichenbacher untersucht. Mit einem internationalen Team hat die LMU-Paläontologin nun anhand fossiler Killifische gezeigt, dass die Valenciidae einst deutlich artenreicher waren, und hat mögliche Ursachen für deren Schwund aufgedeckt.
Die Forschenden analysierten fossile Killifische von einer neuen Fundstelle im Dinariden-Gebirge (Bosnien-Herzegowina). In dieser Gegend, aus der fossile Killifische bisher nahezu unbekannt waren, existierte im Mittel-Miozän – vor etwa 14.8 Millionen Jahren – über einen Zeitraum von etwa 250.000 Jahren ein Süßwassersee, der den 3-4 cm großen Fischen einen idealen Lebensraum bot. Insgesamt gelang es dem Forschungsteam, Skelette von 179 Fischen zu bergen, von denen bei 94 sogar die Gehörsteinchen (Otolithen) im Schädel erhalten waren. „Funde von Skeletten mit erhaltenen Otolithen sind extrem selten und gelten als Schlüsselfossilien“, sagt Reichenbacher.
Zwei neue Gattungen identifiziert
Anhand der typischen Form der Otolithen kann die Art bestimmt werden, während die Skelettmerkmale unter anderem die Rekonstruktion der Verwandtschaftsverhältnisse des Fisches ermöglichen. Die neuen Funde aus Bosnien-Herzegowina konnten die Forschenden der Familie Valenciidae zuordnen und dabei zwei neue fossile Gattungen identifizieren: Miovalencia und Wilsonilebias, die jeweils mit zwei Arten vertreten waren. Drei dieser Arten waren bisher unbekannt, die vierte war aus früheren Otolithenfunden bereits identifiziert, jedoch nicht als Valenciidae erkannt worden.
Das Skelett von Wilsonilebias wies zudem zur Überraschung der Forschenden ein spezialisiertes Stützskelett der Afterflosse auf. Das lässt darauf schließen, dass die Fortpflanzung von Wilsonilebias mittels innerer Befruchtung erfolgte, so wie bei heutigen ‚lebendgebärenden‘ Zahnkarpfen. „Das muss allerdings nicht unbedingt heißen, dass Wilsonilebias lebenden Nachwuchs zur Welt brachte, denn auch nach erfolgter innerer Befruchtung legen manche heutigen Fische dennoch Eier ab“, sagt Reichenbacher. „Trotzdem zeigen unsere Ergebnisse, dass einige Valenciidae in der Vergangenheit andere Reproduktionsmethoden nutzten als ihre heutigen Nachfahren, die sich ausschließlich durch äußere Befruchtung reproduzieren. Vielleicht war das sogar eines der Geheimnisse ihres Erfolgs zu der damaligen Zeit.“
Vier Killifisch-Arten in einem einzigen See erscheint eine relativ hohe Artenzahl. Andrea Herbert Mainero, Doktorandin und Erstautorin der Studie vermutet, dass die Arten sich ihren Lebensraum und damit auch ihre Nahrungsquellen aufgeteilt haben: Die beiden Wilsonilebias-Arten hielten sich wahrscheinlich im tieferen Wasser auf, wo sie sich möglicherweise von Plankton ernährten. Die rundlichen Otolithen von Wilsonilebias unterstützen diese Vermutung, denn viele heutige Fischarten des tieferen Wassers sind durch rundliche Otolithen charakterisiert. Hingegen könnten die zwei Arten von Miovalencia den flachen, strandnahen Bereich bewohnt haben, wo sie von einem reichen Angebot an Algen und bodenbewohnenden Mikroorganismen profitierten.
Relikte einer größeren Vielfalt
Darüber hinaus belegen die Funde, dass die Valenciidae im Miozän mit sechs Gattungen und 17 Arten vertreten waren, während heute nur noch eine Gattung mit drei Arten existiert. Vor 14.8 Mio Jahren, am Ende des sogenannten miozänen Klimaoptimum, herrschte ein warmes und feuchtes Klima, sodass es genügend kleinere und größere Seen gab, in denen sich die Killifische entfalten konnten. Im weiteren Verlauf des Miozän wurde das Klima trockener, und viele der Seen verschwanden. „Wir vermuten, dass die Valenciidae sich an diese Klimaänderung nicht anpassen konnten, was den Rückgang ihrer einstigen Vielfalt verursachte“, sagt Andrea Herbert Mainero. „Die drei heutigen Arten repräsentieren somit Relikte einer einst viel größeren Vielfalt“, fügt Reichenbacher hinzu. Die neuen Forschungsergebnisse bieten wertvolle Einblicke in die historische Entwicklung der eurasischen Fauna und unterstreichen, wie wichtig es ist, die drei heutigen Valencia Arten zu schützen, von denen eine als gefährdet gilt und die beiden anderen sogar vom Aussterben bedroht sind.
Originalpublikation:
Andrea Herbert Mainero, Davit Vasilyan, Bettina Reichenbacher: Two new genera of killifish (Cyprinodontiformes) from the Middle Miocene of the Bugojno Basin, Bosnia and Herzegovina: insights into the lost diversity of Valenciidae. Journal of Systematic Palaeontology 2024
https://doi.org/10.1080/14772019.2024.2412539

09.01.2025, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Rebellische Fossilien: „Punk“ und „Emo“ mischen die Weichtier-Geschichte auf.
Frühe Mollusken waren komplexer asl angenommen. Ein internationales Forschungsteam mit Senckenberg-Malakologin Prof. Dr. Julia Sigwart hat zwei neu entdeckte Mollusken-Fossilien untersucht, die das bisherige Verständnis urzeitlicher Weichtiere in Frage stellen. Ihre jetzt im renommierte Fachjournal „Nature“ erschienene Studie unter Leitung von Dr. Mark Sutton vom Imperial College London zeigt: Frühe Mollusken waren komplexer und anpassungsfähiger als bisher angenommen. Damit stellen die 430 Millionen Jahre alten, von den Wissenschaftler*innen wegen ihres charakteristischen Aussehens „Punk“ und „Emo“ getauften Fossilien langjährige Annahmen über die Ursprünge dieser Tiere auf den Kopf.
Mollusken zählen zu den vielfältigsten Tiergruppen der Erde. Die jetzt untersuchten, ungewöhnlich gut erhaltenen und seltenen Fossilien lassen sich der Gruppe der Stachelweichtiere (Aculifera) zuordnen, zu denen auch Käferschnecken und wurmförmige Mollusken gehören. Sie wurden in der englischen Fossillagerstätte Herefordshire gefunden und stammen aus dem Zeitalter des Silurs. Die beiden „rebellischen“ Fossilien – Punk ferox und Emo vorticaudum –, zeigen, dass auch frühe Weichtiere spezifische Eigenschaften besaßen und in ihrer Form sowie ihren Lebensräumen überraschend komplex und vielseitig waren.
Die Forschenden vom Imperial College London, den Universitäten von Leicester, Oxford, Yale und dem Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt analysierten die Fossilien mithilfe modernster Bildgebungstechniken, darunter Röntgenscans, und erstellten digitale 3D-Modelle der Tiere. Diese machen sichtbar, dass es bei den frühen Weichtieren einen deutlich größeren Variantenreichtum bei Merkmalen wie dem Aussehen und Fortbewegungsstrategien gab, als bisher angenommen wurde.
„Über frühe Aculiferen-Mollusken wussten wir bisher deutlich weniger als über einige ihrer Verwandten. Wir sind lange davon ausgegangen, dass sie eher einfach und ‚primitiv‘ waren“, berichtet Studienleiter Dr. Mark Sutton vom Department of Earth Science and Engineering am Imperial College London. „Fossilien zu finden, die so außergewöhnlich gut erhalten sind und sogar Details der Weichteile offenbaren, ist extrem selten. Die ‚virtuellen Fossilien‘ – also die hochaufgelösten 3D-Digitalmodelle –, die wir auf ihrer Grundlage erstellen konnten, sind eine wahre Fundgrube an Informationen. Sie zeigen, dass der evolutionäre Zweig der Mollusken, zu dem ,Emo‘ und ‚Punk‘ gehören, weitaus vielfältiger und reicher war, als wir dachten – genauso vielfältig wie andere Molluskengruppen.“
Mithilfe der Röntgenscans konnte das Team zunächst die äußeren und inneren Strukturen der Fossilien im Detail sichtbar machen, ohne sie zu beschädigen. Im nächsten Schritt wurden die Fossilien in hauchdünnen Schichten abgeschliffen und jede Schicht fotografiert, um die 3D-Modelle der äußeren Merkmale zu erstellen. Dies machte unter anderem sichtbar, dass beide Fossilien glatte Unterseiten hatten, was darauf hindeutet, dass sie am Meeresboden lebten. „‚Emo‘ ist in einer gefalteten Haltung fossil erhalten – offenbar bewegte er sich wie eine Raupe, indem er sich mit seinen Stacheln festhielt und vorwärts schob“, erklärt Prof. Dr. Julia Sigwart, Leiterin der Abteilung Malakologie am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt. „Wie ‚Punk‘ sich fortbewegte, wissen wir nicht. Wir haben aber herausgefunden, dass er über eine kammartige Fußstruktur verfügte, die bei heutigen Mollusken nicht vorkommt.“
„Die Namen ‚Punk‘ und ‚Emo‘ waren ursprünglich Spitznamen, die wir den Fossilien wegen ihrer einzigartigen Merkmale und ihrer Individualität gegeben haben“, ergänzt Sutton. „Besonders ‚Punk‘ mit seinem stacheligen Aussehen erinnert deutlich an einen rebellischen Punkrocker – und der Name ‚Emo‘ passt dazu sehr gut.“ „Punks“ Äußeres ähnelt dem wurmartiger Mollusken, mit langen Stacheln, einem breiten Fuß und Kiemen, wie man sie bei Käferschnecken findet. „Emo“, ebenfalls wurmartig, besitzt Stacheln und Schalen und sein komprimierter Körper ähnelt dem von Käferschnecken.
Diese Mischung verschiedener Merkmale hilft den Forschenden, den evolutionären Stammbaum der Mollusken besser zu verstehen – und legt nahe, dass ihre Entwicklungsgeschichte komplexer und vielfältiger ist, als bisher angenommen. „Mollusken sind unglaublich vielfältig, und diese Fossilien zeigen, dass das, was wir im Fossilienarchiv finden, die beeindruckende Artenvielfalt der heute lebenden Mollusken sogar noch übertrifft“, schließt Sigwart. „Das sollte uns motivieren, die heutigen Arten zu schützen und zu bewahren – sie sind ein wertvoller Teil einer langen und faszinierenden Evolutionsgeschichte.“
Originalpublikation:
MD Sutton, JD Sigwart, DEG Briggs, P Gueriau, A King, DJ Siveter, DJ Siveter. 2025. New Silurian aculiferan fossils reveal complex early history of Molluscs. Nature. doi: 10.1038/s41586-024-08312-0

09.01.2025, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Rebellische Fossilien: „Punk“ und „Emo“ mischen die Weichtier-Geschichte auf.
Frühe Mollusken waren komplexer asl angenommen. Ein internationales Forschungsteam mit Senckenberg-Malakologin Prof. Dr. Julia Sigwart hat zwei neu entdeckte Mollusken-Fossilien untersucht, die das bisherige Verständnis urzeitlicher Weichtiere in Frage stellen. Ihre jetzt im renommierte Fachjournal „Nature“ erschienene Studie unter Leitung von Dr. Mark Sutton vom Imperial College London zeigt: Frühe Mollusken waren komplexer und anpassungsfähiger als bisher angenommen. Damit stellen die 430 Millionen Jahre alten, von den Wissenschaftler*innen wegen ihres charakteristischen Aussehens „Punk“ und „Emo“ getauften Fossilien langjährige Annahmen über die Ursprünge dieser Tiere auf den Kopf.
Mollusken zählen zu den vielfältigsten Tiergruppen der Erde. Die jetzt untersuchten, ungewöhnlich gut erhaltenen und seltenen Fossilien lassen sich der Gruppe der Stachelweichtiere (Aculifera) zuordnen, zu denen auch Käferschnecken und wurmförmige Mollusken gehören. Sie wurden in der englischen Fossillagerstätte Herefordshire gefunden und stammen aus dem Zeitalter des Silurs. Die beiden „rebellischen“ Fossilien – Punk ferox und Emo vorticaudum –, zeigen, dass auch frühe Weichtiere spezifische Eigenschaften besaßen und in ihrer Form sowie ihren Lebensräumen überraschend komplex und vielseitig waren.
Die Forschenden vom Imperial College London, den Universitäten von Leicester, Oxford, Yale und dem Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt analysierten die Fossilien mithilfe modernster Bildgebungstechniken, darunter Röntgenscans, und erstellten digitale 3D-Modelle der Tiere. Diese machen sichtbar, dass es bei den frühen Weichtieren einen deutlich größeren Variantenreichtum bei Merkmalen wie dem Aussehen und Fortbewegungsstrategien gab, als bisher angenommen wurde.
„Über frühe Aculiferen-Mollusken wussten wir bisher deutlich weniger als über einige ihrer Verwandten. Wir sind lange davon ausgegangen, dass sie eher einfach und ‚primitiv‘ waren“, berichtet Studienleiter Dr. Mark Sutton vom Department of Earth Science and Engineering am Imperial College London. „Fossilien zu finden, die so außergewöhnlich gut erhalten sind und sogar Details der Weichteile offenbaren, ist extrem selten. Die ‚virtuellen Fossilien‘ – also die hochaufgelösten 3D-Digitalmodelle –, die wir auf ihrer Grundlage erstellen konnten, sind eine wahre Fundgrube an Informationen. Sie zeigen, dass der evolutionäre Zweig der Mollusken, zu dem ,Emo‘ und ‚Punk‘ gehören, weitaus vielfältiger und reicher war, als wir dachten – genauso vielfältig wie andere Molluskengruppen.“
Mithilfe der Röntgenscans konnte das Team zunächst die äußeren und inneren Strukturen der Fossilien im Detail sichtbar machen, ohne sie zu beschädigen. Im nächsten Schritt wurden die Fossilien in hauchdünnen Schichten abgeschliffen und jede Schicht fotografiert, um die 3D-Modelle der äußeren Merkmale zu erstellen. Dies machte unter anderem sichtbar, dass beide Fossilien glatte Unterseiten hatten, was darauf hindeutet, dass sie am Meeresboden lebten. „‚Emo‘ ist in einer gefalteten Haltung fossil erhalten – offenbar bewegte er sich wie eine Raupe, indem er sich mit seinen Stacheln festhielt und vorwärts schob“, erklärt Prof. Dr. Julia Sigwart, Leiterin der Abteilung Malakologie am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt. „Wie ‚Punk‘ sich fortbewegte, wissen wir nicht. Wir haben aber herausgefunden, dass er über eine kammartige Fußstruktur verfügte, die bei heutigen Mollusken nicht vorkommt.“
„Die Namen ‚Punk‘ und ‚Emo‘ waren ursprünglich Spitznamen, die wir den Fossilien wegen ihrer einzigartigen Merkmale und ihrer Individualität gegeben haben“, ergänzt Sutton. „Besonders ‚Punk‘ mit seinem stacheligen Aussehen erinnert deutlich an einen rebellischen Punkrocker – und der Name ‚Emo‘ passt dazu sehr gut.“ „Punks“ Äußeres ähnelt dem wurmartiger Mollusken, mit langen Stacheln, einem breiten Fuß und Kiemen, wie man sie bei Käferschnecken findet. „Emo“, ebenfalls wurmartig, besitzt Stacheln und Schalen und sein komprimierter Körper ähnelt dem von Käferschnecken.
Diese Mischung verschiedener Merkmale hilft den Forschenden, den evolutionären Stammbaum der Mollusken besser zu verstehen – und legt nahe, dass ihre Entwicklungsgeschichte komplexer und vielfältiger ist, als bisher angenommen. „Mollusken sind unglaublich vielfältig, und diese Fossilien zeigen, dass das, was wir im Fossilienarchiv finden, die beeindruckende Artenvielfalt der heute lebenden Mollusken sogar noch übertrifft“, schließt Sigwart. „Das sollte uns motivieren, die heutigen Arten zu schützen und zu bewahren – sie sind ein wertvoller Teil einer langen und faszinierenden Evolutionsgeschichte.“
Originalpublikation:
MD Sutton, JD Sigwart, DEG Briggs, P Gueriau, A King, DJ Siveter, DJ Siveter. 2025. New Silurian aculiferan fossils reveal complex early history of Molluscs. Nature. doi: 10.1038/s41586-024-08312-0

09.01.2025, Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart
Unerwartete Vielfalt von Urlurchen trotz lebensfeindlicher Umweltbedingungen
238 bis 234 Millionen Jahre alte Fossilien liefern neue Erkenntnisse über die erstaunliche Anpassungsfähigkeit und Evolution der Urlurche in der späten Trias.
Vor rund 238 Millionen Jahren herrschten in Deutschland sehr lebensfeindliche Bedingungen. Eine extrem trockene Landschaft und salzhaltige Gewässer machten vor allem Amphibien das Überleben schwer. Bisher waren aus dieser Zeit vor allem Fossilien von Muscheln und vereinzelte Fischreste bekannt. Ein Forschungsteam des Stuttgarter Naturkundemuseums konnte nun durch die Untersuchung bisher unbearbeiteter Fossilien aus den Sammlungen des Hauses eine unerwartete Vielfalt von Urlurchen, so genannten Temnospondylen, aus der Obertrias nachweisen. Die Entdeckung liefert wichtige neue Erkenntnisse zur Evolution, Ökologie und Verbreitung dieser Tiere, die zum Teil früher und länger lebten als bisher angenommen. Die Forschungsergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift Fossil Record veröffentlicht.
Die Temnospondylen waren eine Gruppe ursprünglicher Landwirbeltiere und mögliche Vorfahren der heutigen Amphibien. Sie lebten vom Karbon vor etwa 340 Millionen Jahren bis zum Beginn der Kreidezeit vor etwa 110 Millionen Jahren. Die untersuchten Urlurch-Fossilien stammen aus der 238 bis 234 Millionen Jahre alten Grabfeld-Formation und wurden in der Nähe von Heilbronn und Nürnberg gefunden. Bei ihrer Untersuchung konnten die Forschenden Überreste von Gerrothorax, Plagiosternum und Metoposaurus nachweisen. Der Fund eines Metoposauriers aus der Obertrias gilt als der bisher weltweit älteste Nachweis.
„Wir konnten zeigen, dass es Metoposaurier schon deutlich früher gab als bisher angenommen und können nun eine Verbindung zwischen dem vermeintlichen Vorfahren Callistomordax und jüngeren Fossilienfunden herstellen. Außerdem vermuten wir, dass sich die Metoposaurier in Mitteleuropa entwickelt und sich dann weltweit ausgebreitet haben“, so Raphael Moreno, Erstautor der Studie und Paläontologe am Naturkundemuseum Stuttgart.
Zwei weitere Funde aus der Grabfeld-Formation konnten den beiden Plagiosaurier-Arten Gerrothorax und Plagiosternum zugeordnet werden. Auch diese Fossilien verändern die bisher angenommene zeitliche Einordnung der beiden Arten. Der Gerrothorax-Fund schließt eine Wissenslücke zwischen den bisherigen Funden aus dem Lettenkeuper und den 10 Millionen Jahre jüngeren Fossilien aus dem Schilfsandstein. Der Urlurch Plagiosternum überlebte mehrere Millionen Jahre länger als bisher angenommen.
Fossilien von Temnospondylen finden sich fast überall auf der Welt. In Baden-Württemberg wurden besonders viele Exemplare gefunden. Die Urlurche haben in ihrer mehr als 200 Millionen Jahre langen Existenz eine unglaubliche Vielfalt an Lebensformen und Anpassungen entwickelt. So gibt es eine Größenspanne von wenigen Zentimetern bis hin zum 5 Meter langen Mastodonsaurus. Die Tiere besiedelten die unterschiedlichsten Lebensräume an Land und im Wasser. Die aktuelle Studie liefert nun einen Hinweis darauf, dass Temnospondylen auch in Gewässern mit erhöhtem Salzgehalt lebten.
In einer anderen Forschungsarbeit wurde mit Hilfe von Computersimulationen untersucht, auf welchen Wegen sich die Temnospondylen wahrscheinlich weltweit ausgebreitet haben. Dazu wurden mehrere heutige Fossilfundstellen miteinander „vernetzt“. Die Kombination der realen Fundstellen mit Modellen der damaligen Klima- und Umweltbedingungen zeigt, dass geografische Barrieren einen weitaus geringeren Einfluss auf die Ausbreitung der Urlurche hatten als das Klima.
„Die verschiedenen Gruppen der amphibisch lebenden Temnospondylen folgten den besten klimatischen Bedingungen entlang der Fließgewässer. Trotz ihrer großen Anpassungsfähigkeit bevorzugten die Urlurche meist Gebiete mit hohen Temperaturen, viel Niederschlag und wenig ausgeprägten Jahreszeiten“, so Raphael Moreno.
Originalpublikation:
Moreno, R., Chakravorti, S., Cooper, S. L. A., Schoch, R. R. Unexpected temnospondyl diversity in the early Carnian Grabfeld Formation (Germany) and the palaeogeography of metoposaurids. Fossil Record.
Publikationsdatum: 30.12.2024
DOI: https://doi.org/10.3897/fr.27.121996
Moreno, R., Dunne, E.M., Mujal, E., Farnsworth, A., Valdes, P.J. and Schoch, R.R. (2024), Impact of environmental barriers on temnospondyl biogeography and dispersal during the Middle–Late Triassic. Palaeontology, 67: e12724.
Publikationsdatum: 04.09.2024
DOI: https://doi.org/10.1111/pala.12724

09.01.2025, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
BioRescue erhält wissenschaftlichen Preis und verkündet Produktion 5 weiterer Embryonen des Nördlichen Breitmaulnashorns
Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte BioRescue-Projekt entwickelt fortschrittliche Technologien der assistierten Reproduktion (aART) für den Artenschutz, insbesondere für den Erhalt der Nashörner. In einem im Oktober 2023 in der Fachzeitschrift „Reproduction“ veröffentlichten Aufsatz evaluierte das Team unter anderem die Verfahren der Eizellentnahme (OPU) und der In-vitro-Befruchtung (IVF) und zeigte, dass aART bei Breitmaulnashörnern für die Spendertiere sicher ist und zuverlässig lebensfähige Embryonen hervorbringt.
Die Arbeit ist nun von der internationalen wissenschaftlichen Gesellschaft für Fortpflanzung und Fruchtbarkeit („Society for Reproduction and Fertility“) als bester veröffentlichter Artikel in der Fachzeitschrift im Jahr 2023 ausgezeichnet worden. BioRescue gibt außerdem die Produktion von fünf weiteren Embryonen des Nördlichen Breitmaulnashorns Fatu in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 bekannt, die zur Erfolgsbilanz des Projekts seit der ersten OPU im Jahr 2019 hinzukommen.
Der Preis wurde dem gesamten Autorenteam des Aufsatzes verliehen und von Prof. Dr. Thomas Hildebrandt und Dr. Susanne Holtze vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) im Namen des Autorenteams bei einer Zeremonie am 8. Januar 2025 in Liverpool akzeptiert. Die in dem Aufsatz beschriebenen aART-Verfahren von BioRescue umfassen die hormonelle Stimulation der Eierstöcke, die Entnahme der Eizellen (OPU), die In-vitro-Reifung der Eizellen, die In-vitro-Befruchtung (IVF), die Embryokultur und die Kryokonservierung. Das Autorenteam um Hildebrandt, Holtze, Dr. Frank Göritz (alle vom Leibniz-IZW) sowie Dr. Silvia Colleoni und Prof. Cesare Galli (beide Avantea Srl.) wertete 65 dieser Prozeduren aus, die von 2015 bis 2022 sowohl bei nördlichen als auch bei südlichen Breitmaulnashörnern durchgeführt wurden. Die Analyse zeigte, dass aART eine zuverlässige Methode zur Erzeugung von Breitmaulnashorn-Embryonen ist, dass sie für die weiblichen Spendertiere sicher ist und keine negativen gesundheitlichen Auswirkungen hat, und dass regelmäßige OPUs die reproduktive Gesundheit weiblicher Nashörner fortgeschrittenen Alters begünstigten, die noch keinen Nachwuchs bekommen hatten. Die Eingriffe verbesserten ihre Eierstockfunktion, erhöhten die Follikelzahl und führten zur Rückbildung pathologischer Strukturen wie Eierstockzysten.
Die Anerkennung der wissenschaftlichen Errungenschaften von BioRescue kommt zu einem Zeitpunkt, an dem das Team eine Bilanz seiner fünfjährigen Arbeit mit dem nördlichen Breitmaulnashorn (NWR) zieht. Die erste OPU bei den Weibchen Fatu und Najin wurde im August 2019 durchgeführt; im September 2019 erzeugte das Team die ersten zwei NWR-Embryonen. Seitdem wurden insgesamt 35 NWR-Embryonen erzeugt, die aus 18 Eizellentnahmen bei Fatu bis Oktober 2024 resultierten. Im Durchschnitt konnte das Team etwa zwei Embryonen pro Eingriff erzielen (genau sind es 1,94). Es gab zwar Eizellentnahmen, aus denen kein Embryo hervorging, aber es gab auch ungewöhnlich erfolgreiche Einsätze – die größte Anzahl waren fünf Embryonen, die nach einer einzigen Eizellentnahme erzeugt wurden. Für die Erzeugung der Embryonen wurde das konservierte Sperma von zwei 2014 verstorbenen Nördlichen Breitmaulnashornbullen, Suni und Angalifu, verwendet.
In der zweiten Hälfte des Jahres 2024 konnte das BioRescue-Team insgesamt fünf neue Embryonen erzeugen. Drei Embryonen wurden im Juli nach der OPU im Juni 2024 und zwei Embryonen wurden als Ergebnis der OPU im Oktober 2024 erzeugt. Dies deutet darauf hin, dass Fatu ihre gute reproduktive Gesundheit beibehalten hat, obgleich es einen vorübergehenden Rückgang des OPU-Erfolgs infolge eines infektiösen Vorfalls Ende des Jahres 2023 gab. Eine Clostridien-Infektion, die auf die Zeiten der Ol Pejeta Conservancy als kommerzielle Rinderfarm zurückging, tauchte aufgrund starker Regenfälle Ende 2023 wieder auf und befiel einige Nashörner im Schutzgebiet. Daher mussten die geplanten Eingriffe verschoben werden. Da Fatu zum Zeitpunkt des unvorhergesehenen Bakterienausbruchs bereits hormonell stimuliert worden war, setzte das Team eine Hormonbehandlung ein, um ein ovarielles Überstimulationssyndrom zu vermeiden. Die Verabreichung dieser Medikamente führte Anfang 2024 zu einer vorübergehenden Verringerung der Follikelzahl und Eizellenqualität. Die gute Nachricht ist jedoch, dass Fatus Gesundheit und Wohlergehen, welche regelmäßig vor und nach jedem Eingriff überprüft werden, weiterhin sehr gut sind und durch die wiederholten Eingriffe nicht beeinträchtigt wurden.
Neben der Produktion von Embryonen meisterte das BioRescue-Team auch den nächsten Schritt im IVF-Programm – den erfolgreichen Transfer eines Nashorn-Embryos in eine Leihmutter. Ein in-vitro erzeugter Embryo eines südlichen Breitmaulnashorns wurde im September 2023 in eine Leihmutter des südlichen Breitmaulnashorns in der Ol Pejeta Conservancy in Kenia übertragen. Das BioRescue-Team bestätigte später eine Schwangerschaft von 70 Tagen mit einem gut entwickelten, 6,4 cm langen männlichen Embryo.
Der erfolgreiche Embryotransfer und die anschließende Schwangerschaft – eine Weltpremiere bei Nashörnern – sind der Beleg, dass ein Transfer von in-vitro erzeugten Embryonen in eine Leihmutter bei Breitmaulnashörnern möglich ist. Dies ermöglicht es dem BioRescue-Team, sicher zum Transfer von NWR-Embryonen überzugehen – ein Meilenstein in der Mission, das Nördliche Breitmaulnashorn vor dem Aussterben zu bewahren. Das Team hofft, in absehbarer Zeit die erste Schwangerschaft durch einen erfolgreichen Transfer von NWR-Embryonen zu erreichen.
Originalpublikation:
Hildebrandt TB*, Holtze S*, Colleoni S*, Hermes R, Stejskal J, Lekolool Isaac, Ndeereh D, Omondi P, Kariuki, L. Mijele, D, Mutisya, S, Ngulu S, Diecke S, Hayashi K, Lazzari G, de Mori B, Biasetti P, Quaggio A, Galli C*, Goeritz F* (2023): In vitro fertilization (IVF) program in white rhinoceros. Reproduction 166/6, 383–399. DOI: 10.1530/REP-23-008

10.01.2025, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei
Surfen auf der perfekten Welle
Der Europäische Aal ist eine gefährdete Tierart. Seine Larven wandern von der Sargassosee bis nach Europa. Forschende des Thünen-Instituts für Fischereiökologie zeigen erstmals, wie die Larven Strömungszyklen der Meerenge von Gibraltar nutzen, um vom Atlantik ins Mittelmeer zu gelangen.
Die Weidenblattlarven des Europäische Aals (Anguilla anguilla) nutzen die komplexen Gezeitenströmungen in der Straße von Gibraltar, um ihre Reise vom Atlantik ins Mittelmeer erfolgreich zu meistern. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Thünen-Instituts für Fischereiökologie konnten nun zeigen, dass die Larven durch ein Zusammenspiel aus Gezeitenströmungen und dem eigenen Schwimmverhalten dorthin gelangen. Die Studie, durchgeführt an Bord des deutschen Forschungsschiffs Meteor unter Leitung des Aalexperten Prof. Dr. Reinhold Hanel, zeigt, dass die Aallarven nachts in die oberen Wasserschichten aufsteigen. Dabei sind sie auf starke ostwärts gerichtete Strömungen während der auflaufenden Gezeiten angewiesen. Diese „perfekte Welle“ trägt die wenige Zentimeter großen Larven durch die nur 13 Kilometer breite Meeresenge zwischen Europa und Afrika.
Tagsüber, wenn die Larven in tiefere Wasserschichten wandern, strömt Tiefenwasser aus dem Mittelmeer westwärts Richtung Atlantik. Das hindert die Larven daran, am Tag die Meeresenge zu durchqueren. „Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass der Zeitpunkt und die Dynamik der Strömungen entscheidend für die Larvenmigration sind“, erklärt Dr. Marko Freese, Hauptautor der Studie. Das Mittelmeer und seine Zuflüsse gelten als wichtige, aber wenig erforschte Aufwuchshabitate für die als stark gefährdet eingestufte Art.
Die neuen Erkenntnisse tragen dazu bei, die komplexen Lebenszyklen dieser bedrohten Art besser zu verstehen. Die Forschungsergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Straße von Gibraltar als kritische Nadelöhr für die Verbreitung Europäischer Aale und wirft neues Licht auf die Bedeutung der Gezeitenkräfte für ihre Verteilung.
Originalpublikation:
Freese, M., Marohn, L., Ferrer, L. et al. Details on the transport of European eel larvae through the Strait of Gibraltar into the Mediterranean Sea. Sci Rep 15, 1006 (2025). https://doi.org/10.1038/s41598-024-82929-z

10.01.2025, Universität Münster
Internationales Forschungsteam entschlüsselt Beutelmull-Erbgut
Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Universität Münster hat erstmals das vollständige Erbgut des Beutelmulls entschlüsselt. Die Ergebnisse werfen ein neues Licht auf die Evolution des seltenen Wüstentiers. Die Vorfahren der australischen Beuteltiermaulwürfe eroberten vor etwa 60 Millionen Jahren ihre Lebensnische unter der Erde. Mit der Zeit wurden zum Beispiel ihre ungenutzten Augen überflüssig – und schließlich „abgeschafft“. Die Studie ist in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht.
„Augen zu und durch“: Nach diesem Motto könnten die Vorfahren der australischen Beutelmulle vor etwa 60 Millionen Jahren ihre neue Lebensnische unter der Erde erobert haben. Mit der Zeit wurden ihre ungenutzten Augen schlicht überflüssig – und schließlich „abgeschafft“. Diese Anpassung des Beuteltiermaulwurfes gehört zu den Erkenntnissen eines internationalen Forscherteams, das erstmals das vollständige Erbgut des seltenen Wüstentieres entschlüsselt hat. Die Ergebnisse, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Science Advances, werfen ein neues Licht auf die Evolution des Beutelmulls. Auch Forschende der Universität Münster waren an der Entschlüsselung beteiligt: Dr. Jürgen Schmitz, Dr. Liliya Doronina und Raphael Steffen vom Institut für Experimentelle Pathologie der Universität Münster widmeten sich vor allem der Frage nach den nächsten Verwandten des Beutelmulls. Ihre Analysen zeigen: Das Tier ist enger mit Nasenbeutlern verwandt als mit anderen Beuteltieren – ein Ergebnis, das den bisherigen Forschungsstand weitgehend widerlegt.
Die Beutelmulle, die in ihrer heutigen Form seit etwa 60 Millionen Jahren existieren, sind Meister der Anpassung und bezogen auf die Genfunktion auch für die humanmedizinische Forschung eine interessante Grundlage. In den trockenen Wüsten Australiens leben sie vorwiegend unterirdisch und „tauchen“ auf der Suche nach Nahrung durch den Sand. Dabei haben sie ihre Lebensweise unabhängig von den Maulwürfen anderer Kontinente entwickelt. „Dieses Tier ist in vielerlei Hinsicht einzigartig“, erklärt Jürgen Schmitz. „Bisher hatten wir kaum genetisches Material zur Verfügung, um seine Evolution und Biologie zu verstehen. Mit dem entschlüsselten Genom ändert sich das jetzt.“ Eine zentrale Erkenntnis der von Stephen Frankenberg und Andrew Pask von der Universität Melbourne geleiteten Analyse betrifft das Augenlicht: Der Beutelmull verlor seine Sehkraft schrittweise. Vor etwa 16 Millionen Jahren baute sich die Linse zurück, neun Millionen Jahre später verschwand die Fähigkeit, Farben zu erkennen, und schließlich wurde auch das Sehen in Dunkelheit vor drei Millionen Jahren eingestellt. Der Grund: In völliger „Nacht“ gibt es keinen Selektionsdruck, das Sehvermögen zu erhalten.
Auch die Hoden des Beutelmulls haben sich angepasst. „Ein Hoden, der bei Grabaktivitäten stört, ist evolutionär nachteilig“, erklärt Dr. Doronina. Durch eine genetische Veränderung bleiben die Hoden in der Körperhöhle – eine Entwicklung, die unabhängig von anderen grabenden Tieren verlief. Für das Überleben im sauerstoffarmen Wüstensand hat der Beutelmull ein weiteres Ass im Ärmel: Ein bestimmtes Gen für ein fetales Hämoglobin ist bei ihm doppelt vorhanden. Diese Anpassung verbessert den Sauerstofftransport und hilft, selbst in extremer Umgebung zu überleben.
Das Team aus Münster ging der Frage nach, wer die nächsten Verwandten des Beutelmulls sind. Mithilfe sogenannter springender Gene – das sind genetische Abschnitte, deren Anordnung im Erbgut sich bei Fortpflanzung ändern kann – untersuchten die Forschenden die DNA des seltenen Tieres. Sie stießen auf 436 identische Genabschnitte, die ausschließlich bei Nasenbeutlern und dem Beutelmull vorkommen. „Damit ist die Verwandtschaft eindeutig geklärt“, erklärt Liliya Doronina.
Das entschlüsselte Erbgut liefert jedoch weit mehr als Stammbäume. Es zeigt, wie Gene im Lauf von Millionen Jahren ihre ursprüngliche Funktion verlieren – oder neue Funktionen übernehmen, um sich an veränderte Lebensbedingungen anzupassen. „Solche Einblicke helfen, die Evolution besser zu verstehen und lassen ahnen, wie flexibel das Leben auf genetischer Ebene ist“, sinniert Jürgen Schmitz lächelnd.
Originalpublikation:
Stephen R. Frankenberg et al., Unearthing the secrets of Australia’s most enigmatic and cryptic mammal, the marsupial mole. Sci. Adv.11, eado4140(2025). DOI: https://doi.org/10.1126/sciadv.ado4140

10.01.2025, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Schimpansen: Malariaresistenz und Lebensraumanpassung
Schimpansen verfügen über genetische Anpassungen, die ihnen helfen, in unterschiedlichen Wald- und Savannenlebensräumen zu überleben. Dies ist das Ergebnis einer heute im renommierten Fachjournal „Science“ veröffentlichten Studie. Ein internationales Forschungsteam unter Federführung des University College London (UCL) zeigt, dass einige dieser Anpassungen die Tiere auch vor Malaria schützen könnten. Die Forschenden betonen, dass ihre Ergebnisse Einblicke in unsere eigene Evolutionsgeschichte geben, sowie in die Biologie der Malariainfektion beim Menschen.
Über 98 Prozent unserer DNA teilen wir uns mit Schimpansen – damit gelten die hochintelligenten Primaten als nächste lebende Verwandte des Menschen. „Es gibt aktuell nur noch einige hunderttausend wild lebende Schimpansen. Sie leben in sehr unterschiedlichen Landschaften – von Ostafrika bis in den äußersten Westen des Kontinents, in dichten tropischen Regenwäldern sowie offenen Wald- und Savannengebieten. Das macht die Tiere unter den Menschenaffen einzigartig, alle anderen Hominidae leben ausschließlich in Wäldern“, erläutert Hauptautorin der Studie Prof. Dr. Aida Andrés vom UCL Genetics Institute und fährt fort: „In unserer Studie konnten wir zeigen, dass verschiedene Schimpansen-Populationen neben Verhaltensanpassungen auch genetische Unterschiede entwickelt haben, um in ihren unterschiedlichen Lebensräumen zu überleben.“
Schimpansen sind durch Lebensraumzerstörung, Wilderei und Infektionskrankheiten gefährdet. Insbesondere das Verbreitungsgebiet des Gemeinen Schimpansen (Pan troglodytes) wird immer weiter eingeschränkt und ist stark zerstückelt. Der Bonobo (Pan paniscus) ist auf ein kleines Gebiet beschränkt. Beide Arten werden von der IUCN als stark gefährdet gelistet. „Da Schimpansen in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet von Bedrohungen wie Umweltveränderungen und menschlicher Aktivität betroffen sind, ist es wichtig, ihre genetische Vielfalt zu bewahren, um ihre Widerstandsfähigkeit zu erhalten und das langfristige Überleben dieser intelligenten und faszinierenden Spezies zu sichern“, fügt Andrés hinzu.
Um die genetischen Anpassungen der Primaten zu untersuchen, benötigte das internationale Forschungsteam DNA von wildlebenden Schimpansen, ohne diese zu stören. Dafür nutzten sie Kotproben, die im Rahmen des „Pan African Programme: The Cultured Chimpanzee (PanAf)“ gesammelt wurden. Mit modernsten Labor- und Computermethoden konnten die Forschenden die Schimpansen-DNA in diesen Proben analysieren und die bislang größte Studie zu lokalen Anpassungen bei gefährdeten wildlebenden Säugetieren durchführen. Prof. Dr. Hjalmar Kuehl vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz, Co-Autor der Studie und PanAf-Co-Direktor, kommentiert: „Diese bahnbrechende Studie über lokale Anpassungen bei Schimpansen wäre ohne die außergewöhnliche Zusammenarbeit eines internationalen Teams von Wissenschaftler*innen, die unermüdlich nicht-invasive Daten, einschließlich Kotproben, aus Ländern im gesamten Verbreitungsgebiet der Schimpansen sammelten, nicht möglich gewesen.“
Das Forschungsteam analysierte das Exom – den protein-kodierenden Teil des Genoms – von 828 wilden Schimpansen, von denen 388 in die endgültige Analyse einbezogen wurden. Diese repräsentierten 30 verschiedene Schimpansen-Populationen aus dem geografischen und ökologischen Verbreitungsgebiet der vier Unterarten. Die Wissenschaftler*innen verglichen die genetischen Informationen mit Daten zu den lokalen Umgebungen, in denen die jeweiligen Populationen leben, und identifizierten genetische Varianten, die in bestimmten Regionen deutlich häufiger vorkommen und wahrscheinlich einen Vorteil in diesen Lebensräumen bieten.
„Wir haben Hinweise auf genetische Anpassungen in Genen gefunden, die mit bestimmten Krankheitserregern – krankheitsverursachenden Mikroorganismen – in Verbindung stehen. Dies ist insbesondere bei Schimpansen in Wäldern, wo es eine hohe Konzentration an Krankheitserregern gibt, der Fall. Die stärksten Hinweise haben wir in Genen, die mit Malaria in Verbindung stehen entdeckt. Dazu gehören zwei Gene, die auch beim Menschen für Anpassung und Resistenz gegen Malaria bekannt sind: GYPA und HBB – letzteres ist für die Sichelzellenanämie beim Menschen verantwortlich“, erklärt Kühl.
Die neuen Ergebnisse legen nahe, dass Malaria eine ernstzunehmende Krankheit für wilde Waldschimpansen ist. Die Anpassung an den Malariaparasiten fand zudem – unabhängig von äußeren Veränderungen – in denselben Genen bei Schimpansen und Menschen statt. Dr. Harrison Ostridge vom UCL Genetics Institute und ebenfalls Erstautor der Studie: „Die enge genetische Verwandtschaft zwischen den großen Menschenaffen hat dazu geführt, dass Krankheiten von Affen auf Menschen überspringen bzw. unabhängig bei beiden auftreten können, wie beispielsweise HIV/AIDS und Malaria. Das Studium wilder Schimpansen ist daher äußerst nützlich, um diese und andere Infektionskrankheiten beim Menschen zu verstehen und möglicherweise neue Behandlungen oder Impfstoffe zu entwickeln. Es ist aus evolutionärer Sicht bemerkenswert, dass wir Hinweise auf eine Malaria-Anpassung bei Schimpansen gefunden haben, die mit denselben Genen verbunden ist, die auch die Malariaresistenz beim Menschen beeinflussen. Dies deutet darauf hin, dass es möglicherweise nur begrenzte Wege gibt, wie wir Resistenzen gegen den Malariaparasiten entwickeln können.“
Die Studie zeigt zusätzlich, dass sich Schimpansen gut an Lebensräume in der Savanne angepasst haben, die durch höhere Temperaturen, weniger Niederschläge und geringere Nahrungsverfügbarkeit geprägt sind. „Die Untersuchung von Savannenschimpansen könnte Aufschluss darüber geben, wie sich menschliche Vorfahren vor Millionen von Jahren an ähnliche Lebensräume genetisch angepasst haben, als sie erstmals vom afrikanischen Wald in die Savanne wechselten“, ergänzt Kühl.
Die Ergebnisse der Studie könnten auch den Naturschutz stärken, da sie darauf hindeuten, dass Klima- und Landnutzungsänderungen unterschiedliche Auswirkungen auf verschiedene Schimpansengruppen haben werden. Beim Schutz der Tiere setzen die Forschenden auch auf Bürgerwissenschaftler*innen. „Wir laden alle Interessierten ein uns zu unterstützen! Auf der Webseite ChimpandSee.org können Sie helfen, Videos mit einem Label zu versehen, die zusammen mit den genetischen Proben aus dem gesamten Verbreitungsgebiet der Schimpansen gesammelt wurden“, schließt Co-Autorin Dr. Mimi Arandjelovic vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
Originalpublikation:
Harrison J. Ostridge et al. (2025): Local genetic adaptation to habitat in wild chimpanzees. Science387,eadn7954(2025). https://www.science.org/doi/10.1126/science.adn7954

10.01.2025, Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut e.V. (FLI)
Gen zur Geschlechtsbestimmung beim Killifisch identifiziert
“Phenofemales” eröffnen neue Perspektiven für die Forschung: Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena ist in internationaler Zusammenarbeit ein wichtiger Durchbruch für die Forschung mit Killifischen gelungen. Sie identifizierten ein Gen, das bei Nothobranchius furzeri das männliche Geschlecht bestimmt. Es handelt sich um eine Y-chromosomale Version des Gens gdf6 (gdf6Y). Die Studie mit dem Titel “The master male sex determinant Gdf6Y of the turquoise killifish arose through allelic neofunctionalization” wurde jetzt im Journal Nature Communications veröffentlicht. Erstautorin der Studie ist Dr. Annekatrin Richter.
Jena. Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena ist in internationaler Zusammenarbeit ein wichtiger Durchbruch für die Forschung mit Killifischen gelungen. Sie identifizierten ein Gen, das bei Nothobranchius furzeri das männliche Geschlecht bestimmt. Es handelt sich um eine Y-chromosomale Version des Gens gdf6 (gdf6Y). Die Studie mit dem Titel “The master male sex determinant Gdf6Y of the turquoise killifish arose through allelic neofunctionalization” wurde jetzt im renommierten Journal Nature Communications veröffentlicht. Erstautorin der Studie ist Dr. Annekatrin Richter aus der Forschungsgruppe Englert.
Der afrikanische türkise Killifisch Nothobranchius furzeri ist aufgrund seiner kurzen Lebensspanne ein attraktiver Modellorganismus, insbesondere für die Alternsforschung. Vor einigen Jahren konnten die Jenaer Wissenschaftler bereits die geschlechtsbestimmende Region identifizieren. Nunmehr konnten sie eindeutig nachweisen, dass explizit das gdf6Y Gen in bestimmten Zellen der sich entwickelnden Hoden exprimiert wird und das männliche Geschlecht auslöst – und das unabhängig von den Keimzellen. Diese Entdeckung ist besonders bemerkenswert, weil sie sich von der bekannten Geschlechtsbestimmung in anderen Fischarten wie Zebrafischen und Medakas unterscheidet, bei denen die Keimzellen eine entscheidende Rolle spielen. Die Jenaer identifizierten außerdem mehrere Gene, die als neue Zielstrukturen in der Signalübertragung des Gdf6 Faktors fungieren, was die wissenschaftlichen Kenntnisse zur molekularen Basis der Geschlechtsbestimmung erweitert.
„Die genetische Geschlechtsbestimmung durch gdf6Y stellt sicher, dass Weibchen und Männchen immer zu gleichen Teilen im Lebensraum vorhanden sind, und zwar unabhängig von den Umweltbedingungen.“, sagt Dr. Annekatrin Richter. Das ist für das Überleben der Art von Bedeutung, da sich der türkise Killifisch nur während der Regenzeit in saisonalen Tümpeln fortpflanzen kann.
Durch Ausschalten des Gens entstanden in Versuchen ausschließlich weibliche Tiere, die „Phenofemales“ getauft wurden. Sie sind vollständig fruchtbar und können sich fortpflanzen. Im Gegenversuch, bei dem das gdf6Y Gen in Weibchen übertragen wurde, entwickelten sich Männchen. “Sie sehen aus wie Männchen, sie verhalten sich wie Männchen. Sie sind allerdings nicht fortpflanzungsfähig”, erläutert Forschungsgruppenleiter Prof. Dr. Christoph Englert. Der Grund für die nicht vollständige Geschlechtsumkehr könnte hier allerdings experimentell bedingt sein, weil in den genetisch modifizierten Tieren nicht in allen Zellen gdf6Y aktiv ist.
Schon einmal hat seine Forschungsgruppe mit dem Ausschalten eines Gens für Aufsehen gesorgt. Im vergangenen Jahr hatte Dr. Johannes Krug unter Verwendung der CRISPR/Cas9-Technologie einen transparenten Killifisch, Klara, entwickelt. Damit ist es Wissenschaftlern, die mit diesem Modellorganismus arbeiten, nunmehr möglich, altersbedingte Prozesse in lebenden Organismen in Echtzeit zu beobachten.
Originalpublikation:
The master male sex determinant Gdf6Y of the turquoise killifish arose through allelic neofunctionalization. Richter, A., Mörl, H., Thielemann, M. et al. The master male sex determinant Gdf6Y of the turquoise killifish arose through allelic neofunctionalization. Nat Commun 16, 540 (2025). https://doi.org/10.1038/s41467-025-55899-7

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