04.11.2024, Universität zu Köln
Erbgut des Auerochsen entschlüsselt
Forschende bestimmen das Genom aller Unterarten des ausgestorbenen Auerochsen und zeigen die Geschichte ihrer Entwicklung bis zum Hausrind / Veröffentlichung in „Nature“
Die Ergebnisse einer internationalen Studie beschreiben die genetische Entwicklung des Auerochsen (Bos primigenius), des wilden Vorfahren des Hausrindes, während und nach der Eiszeit. Die mitteleuropäische Unterart wurde dabei durch Gen-Sequenzierungen bestimmt. Für diese Untersuchung kamen Proben zum Einsatz, die im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Our Way to Europe“ an der Universität zu Köln entnommen wurden. Die Ergebnisse der Studie „The genomic natural history of the aurochs“ wurden nun in Nature präsentiert.
Bereits 2014 ließen Professor Dr. Andreas Zimmermann und seine Mitarbeiterin Dr. Birgit Gehlen vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität zu Köln zehn Auerochsindividuen am Kölner Accelerator Mass Spectrometer (CologneAMS) datieren. Die Knochen waren in den 1980er Jahren in Bedburg-Königshoven im damaligen Braunkohletagebau ausgegraben worden. „Sie waren durch das damals verwendete Konservierungsmittel verunreinigt, was zu uneinheitlichen und überwiegend falschen Daten geführt hatte“, erklärt Gehlen. „Die Neudatierungen im Rahmen des SFB ergaben ein Alter von etwa 11.700 Jahren. Damit ist Bedburg-Königshoven eine der seltenen Fundstellen des frühesten Holozäns in Mitteleuropa, ein Zeitalter, das von vor 11.700 Jahren bis heute dauert.“
Die Datierung in die früheste Mittelsteinzeit und die verhältnismäßig große Anzahl an Auerochsenknochen – darunter einige größere Schädelfragmente – erregten das Interesse von Dr. Amelie Scheu von der Paläogenetischen Arbeitsgruppe an der Universität Mainz. Sie entnahm Proben von den zehn Auerochsen. Es stellte sich heraus, dass bei zwei Individuen die aDNA (alte DNA) so gut erhalten war, dass sie sich für Tiefensequenzierungen und weiterführende Untersuchungen eigneten. Diese wurden in den darauffolgenden Jahren im Rahmen eines Projektes am Trinity College der Universität Dublin in Irland durchgeführt.
Die Studie deckte insgesamt große genomische Trennungen zwischen dem europäischen Auerochsen, dem nordasiatischen Auerochsen und dem südasiatischen Vorfahren auf, die während der gesamten letzten Eiszeit, mindestens seit dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Ost- und West-Bos primigenius vor ca. 90.000 Jahren, bestehen blieben. Nach dem Höchststand der letzten Eiszeit besiedelten Auerochsen der Iberischen Halbinsel Mitteleuropa wieder. Vor ca. 11.700 Jahren, mit den markanten Klimaverbesserungen am Beginn der Nacheiszeit, begann eine Phase von Migration und Vermischung.
Die Ergebnisse der Studie bestätigen auch ältere Vermutungen, dass Menschen in der Steinzeit nur bei sehr wenigen Gelegenheiten und innerhalb eines bestimmten historischen Zeitfensters Auerochsen einfingen und isolierten. Zudem geht das europäische domestizierte Hausrind auf eine geringe Anzahl von Individuen der wilden Vorfahren in Vorderasien vor ca. 11.000 Jahren im Nahen Osten zurück. Dieser Befund spricht für eine vom Menschen praktizierte Haltung von Auerochsen, die eine absichtliche Fütterung einschließt. Es handelte sich also nicht um einen passiven, schrittweisen Prozess, sondern um eine gezielte Domestizierung innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne.
„Mithilfe der Proben aus Bedburg-Königshoven konnte das Genom des mitteleuropäischen Auerochsen zum ersten Mal vollständig entschlüsselt und die Geschichte der europäischen und asiatischen Wildrinder und der heutigen Hausrinder besser beschrieben werden“, so Dr. Birgit Gehlen.
Originalpublikation:
https://www.nature.com/articles/s41586-024-08112-6
04.11.2024, Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg
Tiefseekorallen beherbergen bisher unbekannte Bakterien mit extrem kleinem Genom
Im Gewebe von zwei Tiefseekorallen aus dem Golf von Mexiko hat ein deutsch-amerikanisches Forschungsteam zwei erstaunliche Bakterienarten entdeckt. Die zuvor unbekannten Symbionten der Korallen besitzen ein extrem kleines Genom und sind nicht einmal in der Lage, aus Kohlenhydraten selbst Energie zu gewinnen. Das berichtet das Team in der Zeitschrift Nature Communications. Die Arten zählen zu einer neuen Familie.
Im Gewebe von zwei Tiefseekorallen aus dem Golf von Mexiko hat ein deutsch-amerikanisches Forschungsteam um Prof. Dr. Iliana Baums vom Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB) und Dr. Samuel Vohsen von der Lehigh University in den USA zwei erstaunliche Bakterienart entdeckt. Die zuvor unbekannten Symbionten der Korallen besitzen ein extrem kleines Genom und sind nicht einmal in der Lage, aus Kohlenhydraten selbst Energie zu gewinnen. Das berichtet das Team in der Zeitschrift Nature Communications. „Diese Art ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie wenige Gene es für ein funktionsfähiges Lebewesen braucht“, sagt Autorin Baums.
Das Forschungsteam untersuchte mehrere Kolonien von zwei Arten von Hornkorallen im Golf von Mexiko. Die Spezies Callogorgia delta und Callogorgia americana kommen in Wassertiefen zwischen 300 und 900 Metern vor, wo es komplett dunkel ist. Bei ihren Analysen entdeckten die Forschenden die bislang unbekannten, eng verwandten Bakterienarten aus der Klasse Mollicutes – einer Gruppe von Bakterien, die häufig als Parasiten auf oder in Zellen von Pflanzen, Tieren und auch Menschen leben und teils Krankheiten verursachen. Anhand von genetischen Analysen schlagen die Forschenden vor, die beiden Arten einer neuen Familie mit dem Namen Oceanoplasmataceae zuzuordnen.
Weitere Untersuchungen ergaben, dass die Bakterien als dominante Symbionten der Korallen in einer gallertartigen Gewebeschicht leben, durch die Nährstoffe transportiert werden und die der Immunabwehr dient. Die eine Art (Oceanoplasma callogorgiae) besitzt nur 359 Gene, die Proteine für unterschiedliche Stoffwechselfunktionen codieren, die andere (Thalassoplasma callogorgiae) 385 Gene. Zum Vergleich: Das Darmbakterium Escherichia coli besitzt mehr als 4.000 solcher Gene, der Mensch rund 21.000. Wie der Stoffwechsel der beiden neu entdeckten Mikroben mit einem so abgespeckten Genom funktionieren kann, gibt den Forschenden bislang Rätsel auf: „Diese Bakterien haben noch nicht einmal Gene für einen normalen Kohlenhydrat-Metabolismus, also um aus Kohlenhydraten Energie zu gewinnen – etwas, das eigentlich jedes Lebewesen hat“, sagt Baums. Den Untersuchungen zufolge können sie als Energiequelle lediglich die Aminosäure Arginin verwenden, die sie von der Wirtskoralle erhalten. „Aus dem Abbau der Aminosäure lässt sich jedoch nur sehr wenig Energie gewinnen. Dass den Bakterien das zum Leben reicht, ist wirklich erstaunlich“, sagt Baums. Auch andere essentielle Nährstoffe erhalten die Bakterien von ihrem Wirt.
Ob die Mikroben reine Parasiten sind oder ob auch die Korallen von ihren Symbionten profitieren, ist unklar. Der genetischen Analyse zufolge verfügen die beiden Bakterienarten über verschiedene Verteidigungsmechanismen, um fremdes Erbgut zu entfernen – sogenannte CRISPR/Cas-Systeme, die auch in der Biotechnologie zum Editieren von Genen Einsatz kommen. Diese Fähigkeiten könnten möglicherweise auch für die Wirtskorallen nützlich sein, um Krankheitserreger abzuwehren, vermuten die Forschenden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass die Bakterien ihrem Wirt durch den Abbau von Arginin Stickstoff zur Verfügung stellen.
Für Baums, die sich in ihrer Forschung sowohl mit der Ökologie als auch mit der Evolution von Korallen befasst, bieten die Symbionten eine Möglichkeit, um Einblicke in die Geschichte der vielfältigen Tiergruppe zu erhalten. „Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass Korallen so viele unterschiedliche Lebensräume besiedeln, obwohl sie vom Bauplan her sehr einfache Tiere sind“, sagt die Forscherin. Entscheidend dafür, dass Korallen sich an unterschiedliche Umweltbedingungen anpassen können, seien die Symbionten: „Sie stellen Stoffwechselfunktionen bereit, die die Korallen selbst nicht haben“, erläutert Baums. Tropische Korallen in flachen, lichtdurchfluteten Gewässern sind beispielsweise auf Algen angewiesen, die Photosynthese betreiben und den Tieren Nahrung und Energie bereitstellen. Kaltwasserkorallen, von denen viele in der dunklen und nährstoffarmen Tiefsee leben, sind wahrscheinlich auf Bakterien angewiesen, um Nährstoffe umzuwandeln oder Energie aus chemischen Verbindungen zu gewinnen.
Die Evolutionsökologin und Korallenexpertin Baums, die am Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB) forscht, hat eine gemeinsame Professur der Universität Oldenburg und des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven inne. An der aktuellen Studie waren neben Baums und Vohsen auch Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen, der Universität Kiel und der Pennsylvania State University beteiligt.
Originalpublikation:
Samuel Vohsen et al: “Discovery of deep-sea coral symbionts from a novel family of marine bacteria, Oceanoplasmataceae, with severely reduced genomes”, Nature Communications 15, 9508 (2024). doi.org/10.1038/s41467-024-53855-5
05.11.2024, Georg-August-Universität Göttingen
Tierisches Teamwork: Bienen, Fledermäuse und Vögel fördern gemeinsam die Macadamia-Produktion
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Universitäten Göttingen und Hohenheim hat neue Erkenntnisse darüber gewonnen, wie das Zusammenspiel von Bienen, Fledermäusen sowie Vögeln die Menge und Qualität von Macadamianüssen erheblich erhöht. Außerdem hängt die Wirksamkeit ihrer Ökosystemleistungen davon ab, wie hoch das Gebiet liegt und ob es dort natürliche Lebensräume gibt. An den Forschungen beteiligten sich neben den deutschen Universitäten Göttingen und Hohenheim auch die University of the Free State und die University of Venda in Südafrika. Die Ergebnisse der Studie sind in der Zeitschrift Ecological Applications veröffentlicht worden.
„Wir haben sowohl Beobachtungen als auch Experimente genutzt, um herauszufinden, wie Bestäubung und Schädlingsbekämpfung – einzeln und zusammen – die Pflanzenproduktion beeinflussen“, erklärt die Erstautorin Mina Anders von der Arbeitsgruppe Funktionale Agrobiodiversität und Agrarökologie der Universität Göttingen. Die Bestäubung durch Insekten erhöhte die Anzahl der Nüsse schon um das Vierfache im Vergleich zu Pflanzen ohne Bestäuber, was die Erträge erheblich steigerte. Gleichzeitig verringerten Fledermäuse und Vögel, die sich von Schadinsekten ernähren, den Insektenbefall um durchschnittlich 40 Prozent, wodurch sich die Gesamtqualität der Nüsse verbesserte. Prof. Dr. Ingo Grass, Leiter des Fachgebiets Ökologie tropischer Agrarsysteme an der Universität Hohenheim, hob die Bedeutung des landschaftlichen Rahmens für die Verbesserung dieser Ökosystemdienstleistungen hervor: „Macadamia-Baumreihen, die senkrecht zu natürlichen Lebensräumen ausgerichtet waren, zeigten die größten Bestäubungseffekte. Gleichzeitig sank die biologische Schädlingsbekämpfung in höheren Lagen, wurde aber durch nahe natürliche Lebensräume gestärkt“, stellte er fest.
Die Forschungsergebnisse zeigen, dass Bestäubung und biologische Schädlingsbekämpfung wichtige und sich ergänzende Ökosystemleistungen sind, die durch eine intelligente Plantagengestaltung und den Schutz natürlicher Lebensräume optimiert werden können. Prof. Dr. Catrin Westphal, Professorin für Funktionelle Agrobiodiversität und Agrarökologie an der Universität Göttingen, unterstreicht die weitreichenden Auswirkungen der Studie auf die nachhaltige Landwirtschaft: „Indem wir diese Ökosystemleistungen gemeinsam steuern, können wir zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft übergehen. Das fördert die landwirtschaftliche Produktivität und senkt gleichzeitig den Bedarf an chemischen Mitteln, welche die biologische Vielfalt gefährden.“
Originalpublikation:
Mina Anders et al. Complementary effects of pollination and biocontrol services enable ecological intensification in macadamia orchards. Ecological Applications 2024. DOI: https://doi.org/10.1002/eap.3049
05.11.2024, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Infektionen mit Parasiten beeinflussen das lokale Flugverhalten von Schwalben
Mit Parasiten infizierte Schwalben bewegen sich weniger und in kleineren Aktionsradien als gesunde – mit nachteiligen Auswirkungen auf ihre Nahrungssuche und ihr Überleben. Sie nehmen häufig mit weniger ergiebigen Gebieten wie Ackerschlägen vorlieb, die von ihren gesunden Artgenossen gemieden werden. Obwohl die infizierten Schwalben keine äußerlich erkennbaren Symptome aufweisen, konnten Forschende vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) und der Universität Potsdam die negativen Effekte dieser Infektionen mit dem hochauflösenden Trackingsystem ATLAS nachweisen, welches im Sekundentakt präzise Positionsdaten von Schwalben mit ultraleichten Sendern aufzeichnet.
Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Communications Biology“ publiziert.
Infizierte Tiere zeigen häufig keine erkennbaren Symptome und Tierpopulationen erscheinen gesund. Besonders bei parasitären Infektionen sind Individuen äußerlich oft unversehrt, obgleich diese Infektionen natürlich negative Auswirkungen auf die Wirte haben. Typische Effekte dieser sub-klinischen Infektionen sind Lethargie, Schwäche und ein eingeschränkter Aktionsradius. Diese Effekte sind häufig subtil, haben aber möglicherweise entscheidende Folgen für die Nahrungssuche einzelner Individuen und damit für ihre Fortpflanzung oder ihr Überleben. Den Effekten sub-klinischer Infektionen mit Blutparasiten bei Schwalben und deren Folgen sind Wissenschaftler*innen der Graduiertenschule „BioMove“, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird, auf der Spur. Über mehrere Jahre hinweg fingen sie Mehlschwalben (Delichon urbicum) und Rauchschwalben (Hirundo rustica), untersuchten sie auf parasitäre Infektionen und statteten sie mit Mini-Sendern aus, die zeitlich hochauflösende Daten in das ATLAS-Trackingsystem einspeisten. Zudem wurden Schwalben in einer Fang-Wiederfang-Studie untersucht, um langfristige Entwicklungen und Auswirkungen der Infektionen auf das Überleben nachzuverfolgen.
„Mit dem ATLAS-Trackingsystem konnten wir Bewegungsprofile vieler Schwalben während der Brutzeit rekonstruieren – von gesunden wie von infizierten Tieren“, sagt Marius Grabow, Doktorand im BioMove-Projekt am Leibniz-IZW und Erstautor des wissenschaftlichen Aufsatzes. „Infizierte Individuen beider Arten wiesen kleinere Aktionsradien auf als ihre nicht infizierten Artgenossen. Infizierte Vögel rasteten zudem mehr und verbrachten weniger Zeit mit Nahrungssuche.“ Diese kombinierten Effekte führten dazu, dass infizierte Schwalben immer wieder in Lebensräumen mit geringerem Vorkommen von Insekten auf Nahrungssuche gehen mussten. Insbesondere reduzierten die infizierten Vögel, wahrscheinlich aufgrund körperlicher Einschränkungen durch die Infektion, die Reichweite und Dauer ihrer Nahrungssuche und hielten sich häufig auf landwirtschaftlichen Nutzflächen in der Nähe ihrer Kolonie auf, wo erheblich weniger Nahrung zu finden ist. Im Gegensatz dazu mieden nicht-infizierte Schwalben diese Landschaftstypen bei der Futtersuche eindeutig. Diese vergleichenden Erkenntnisse wurden möglich, weil das Untersuchungsgebiet in der Uckermark nahe Prenzlau ein Mosaik aus intensiv genutzten Agrarflächen und einigen wenigen hochwertigen Lebensräumen für Insekten und Insektenfresser ist.
Damit wiesen die Forschenden nach, dass auch sub-klinische Erkrankungen relevante Verhaltensänderungen bewirken. Infizierte Tiere haben eine verringerte Überlebenswahrscheinlichkeit, wie das Team in der Fang-Wiederfang-Studie nachwies. Besonders in der Brutzeit seien die Schwalben auf hohe Energiezufuhr angewiesen, sodass reduzierte Nahrungsaufnahme vieler Vögel – in der Untersuchung hatten zwischen 11 und 76 Prozent der Schwalben Infektionen mit Blutparasiten – die Zusammensetzung der Bestände beeinflussen könne. „Es ist für das Fachgebiet der Ökologie wichtig, Krankheiten und Erreger stärker als mögliche Ursache von Variation im Bewegungsverhalten in den Blick zu nehmen, denn dies kann Rückschlüsse auf den Zustand der Populationen geben“, sagt Prof. Stephanie Kramer-Schadt, Leiterin der Abteilung für Ökologische Dynamik im Leibniz-IZW und Professorin an der Technischen Universität Berlin. „Unter günstigen Umweltbedingungen können viele Tiere zwar infiziert sein, ohne dass die Infektion negative Auswirkungen zeigt. Verschlechtern sich jedoch diese Bedingungen – etwa durch Klimawandel oder Veränderungen in der Landnutzung –, kann dies die negativen Effekte der Infektion verstärken. In extremen Fällen könnte dies sogar zum beschleunigten Rückgang oder Aussterben der betroffenen Arten führen, ohne dass die Ursache dafür sofort ersichtlich ist. Umgekehrt ist ein verändertes Bewegungsverhalten auch für die Übertragung und die Ausbreitung von Pathogenen relevant, sodass diese Forschungsergebnisse von Bedeutung für die Vorhersage der räumlichen Ausbreitung von Wildtierkrankheiten sind.“
Parasiten nutzen Ressourcen ihres Wirts. Dies hat zur Folge, dass der Wirt zusätzliche Energie für Immunfunktionen einsetzen muss. Daher sind infizierte Tiere oft lethargisch und unterdrücken Aktivitäten, die viel Energie benötigen. Die BioMove-Forschenden setzten die Hypothese auf, dass das Bewegungsverhalten unabhängig von den beteiligten Mechanismen als zuverlässiger Indikator für die Leistungsfähigkeit des Wirts dienen kann. „Um dies zu prüfen, konzentrierten wir uns auf eine weit verbreitete Gruppe von Blutparasiten, die die sogenannte Vogelmalaria hervorrufen und bei vielen Sperlingsarten natürlicherweise häufig auftreten“, sagt Prof. Dr. Ralph Tiedemann von der Universität Potsdam und Leiter des Labors für molekulare Evolutionsbiologie. „Blutparasiten bei Vögeln wie Plasmodien oder Leucocytozoen haben komplexe Lebenszyklen mit einem Zwei-Wirt-Lebenszyklus, bei dem sie die roten Blutkörperchen des Wirts infizieren. In der akuten Phase werden die roten Blutkörperchen schließlich zerstört, was zu einem verminderten Sauerstofftransport zu Muskeln und Organen führt. Dies ist ein ideales Studiensystem, um die physiologischen Effekte der Infektion auf den Wirt zu untersuchen.“
Die wissenschaftliche Untersuchung ist eine Kooperation von BioMove unter der Leitung von Professor Dr. Florian Jeltsch von der Universität Potsdam mit der Tel Aviv University und der Hebrew University of Jerusalem, wo das ATLAS-System entwickelt wurde. ATLAS steht für „Advanced Tracking and Localization of Animals in real-life Systems“ und ist ein sogenanntes reverse GPS tracking system. Das bedeutet, dass die Tiersender nur ein einfaches Signal senden und die Position durch lokale Antennen vor Ort erfasst und berechnet wird. Dadurch können die Tiersender kleiner und leichter sein, da sie nicht die Position berechnen müssen. Auf der anderen Seite setzt dieses System eine Antenneninfrastruktur auf lokaler Ebene voraus. Diese wird bei der aktuellen BioMove-Untersuchung durch eine Vielzahl lokaler Unterstützer*innen in der Uckermark getragen, die Antennenstandorte für das System sowie den Fang der Schwalben möglich gemacht haben.
Originalpublikation:
Grabow M, Ullmann W, Landgraf C, Sollmann R, Scholz C, Nathan R, Toledo S, Lühken R, Fickel J, Jeltsch F, Blaum N, Radchuk V, Tiedemann R, Kramer-Schadt S (2024): Sick without signs. Subclinical infections reduce local movements, alter habitat selection, and cause demographic shifts. Communications Biology 7:1426 DOI: 10.1038/s42003-024-07114-4
05.11.2024, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
Ungebetene Gäste: Wie der Götterbaum den Vormarsch der Stinkwanze befördert
Weltweit wachsen Pflanzen an Orten, wo sie eigentlich nicht hingehören – weil der Mensch sie absichtlich eingeführt oder verschleppt hat. Das ist ein entscheidender Faktor für das zunehmende Auftreten schädlicher, invasiver Insektenarten, die grosse Schäden an der Umwelt, der biologischen Vielfalt und der Wirtschaft verursachen können. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL.
Für die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft oder als Zierpflanzen hat der Mensch unzählige Pflanzen in Länder oder gar auf Kontinente gebracht, wo diese ursprünglich nicht vorkamen. Manche davon sind invasiv geworden und breiten sich auf Kosten der heimischen Flora immer mehr aus. Ein internationales Forschungsteam hat nun festgestellt, dass dies invasive Insekten begünstigt.
Die Expertinnen und Experten aus der Schweiz, den USA und Südafrika analysierte an weltweiten Daten, wie gebietsfremde Pflanzen die Ausbreitung von invasiven Insekten fördern. Sie haben zudem zahlreiche Fallstudien von eingeschleppten Insekten evaluiert. Ihre Ergebnisse verdeutlichen, dass die zunehmende Verbreitung solcher Pflanzen die Insekteninvasionen weltweit verstärkt. Denn Insekten siedeln sich bevorzugt in neuen Gebieten an, wenn ihre Futterpflanzen dort bereits existieren. Diese bieten ihnen quasi «Sprungbretter», die es den Insekten erleichtern, sich zu etablieren und weiterzuverbreiten.
Stinkwanzen auf Götterbäumen
Ein Beispiel aus der Schweiz ist die aus Ostasien stammende marmorierte Baumwanze (Halyomorpha halys), ein Obst- und Gemüseschädling, der 2004 erstmals für Europa in Zürich entdeckt wurde. Jetzt im Herbst dringt sie gerne in warme Wohnungen ein und ist als «Stinkwanze» bekannt, da sie ein übelriechendes Abwehrsekret absondern kann. «Die marmorierte Baumwanze konnte wahrscheinlich unter anderem einwandern, weil sie hier mehrere ihrer bevorzugten Wirtspflanzen in grossen Mengen vorfand, darunter den Götterbaum (Ailanthus altissima) und den Sommerflieder (Buddleja davidii). Das sind Gartenpflanzen, die ursprünglich ebenfalls aus Ostasien stammen», sagt Eckehard Brockerhoff, Insektenexperte an der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL und Mitautor der Studie.
Das Forschungsteam warnt, dass die Zahl der Invasionen noch weiter steigen könnte. Das liegt an der sogenannten «Invasionsschuld»: Eine Vielzahl Pflanzenarten, die heute schon ausserhalb ihrer natürlichen Verbreitungsgebiete gedeihen, könnte in Zukunft vielen weiteren Insekten aus der gleichen Region einen Startvorteil verleihen. Das Problem dürfte in Zukunft also wahrscheinlich noch schlimmer werden.
Die Forschenden betonen daher die Bedeutung von Biosicherheitsmassnahmen gegen Pflanzen und Insekten, etwa Vorschriften zum Import und zur Pestizidbehandlung von Pflanzen. «Obwohl die Schweiz und Europa viele solcher Massnahmen ergriffen haben, können diese angesichts des umfangreichen interkontinentalen Handels nicht zu 100 Prozent wirksam sein. Deshalb ist es auch wichtig, dass Gartenbesitzer einheimische Pflanzen den nicht einheimischen vorziehen, um die Ausbreitung von invasiven Pflanzen und Insekten zu verhindern», sagt Brockerhoff. Auch Massnahmen wie das jüngste Verkaufsverbot diverser nicht-einheimischer Pflanzenarten in der Schweiz wie der Chinesischen Hanfpalme (Trachycarpus fortunei), die als «Tessinerpalme» bekannt ist, dient diesem Zweck.
Originalpublikation:
Bertelsmeier, C., Bonnamour, A., Brockerhoff, E. G., Pyšek, P., Skuhrovec, J., Richardson, D. M., & Liebhold, A. M. (2024). Global proliferation of nonnative plants is a major driver of insect invasions. BioScience. https://doi.org/10.1093/biosci/biae088
05.11.2024, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Waschbärspulwurm: Waschbär-Parasiten überleben jahrelang in der Umwelt und sind potenzielle Krankheitserreger
Frankfurter Forschende zeigen im Rahmen des Verbundprojektes ZOWIAC (Zoonotische und wildtierökologische Auswirkungen invasiver Carnivoren) in einer im „International Journal for Parasitology“ erschienenen aktuellen Studie, dass der Waschbärspulwurm, Baylisascaris procyonis, in Europa besonders gute klimatische Bedingungen vorfindet, um zu überdauern. Besonders im Hinblick auf immer weiter ansteigende Waschbär-Populationen innerhalb von europäischen Städten und den globalen Klimawandel könnte dies zukünftig zu einem Problem für die Gesundheit von Mensch und Tier werden.
Durch die klimatischen Veränderungen und die kontinuierliche Ausbreitung des Waschbären in Europa und insbesondere in Deutschland, wächst nicht nur der Prädationsdruck auf heimische Arten, sondern es treten auch neue Gesundheitsrisiken auf. „So kann beispielsweise der parasitische Waschbärspulwurm Baylisascaris procyonis unter bestimmten Bedingungen auch für Menschen gefährlich werden und stellt eine derzeit unzureichend untersuchte Zoonose – eine Übertragung von Infektionskrankheiten von Tier zu Menschen oder umgekehrt – dar“, erklärt Prof. Dr. Sven Klimpel vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum (S-BiKF) und der Goethe-Universität Frankfurt und fährt fort: „Unsere aktuellen Forschungsergebnisse zeigen, dass die Ei-Entwicklung des Spulwurms außerhalb seines Wirtes stark von der Temperatur abhängig ist. Bei Temperaturen zwischen 10 und 30 Grad Celsius entwickeln sich die Eier optimal, bei Temperaturen über 35 Grad kommt es zu Entwicklungsstörungen.“
In ihrer Untersuchung haben Klimpel und sein Team die embryonale Entwicklung des Waschbärspulwurms detailliert analysiert und dabei herausgefunden, dass steigende Temperaturen bis zu einem gewissen Hitzegrad die Entwicklungsrate beschleunigen. „Dies könnte insbesondere vor dem Hintergrund des Klimawandels zu einer beschleunigten Vermehrung und somit auch zu einer stärkeren Verbreitung des humanpathogenen Parasiten führen“, so Klimpel.
Im Darm eines ausgewachsenen Waschbären können – ohne wesentliche Beeinträchtigung des Säugers – über 200 Exemplare der Spulwurmart Baylisascaris procyonis leben. Daraus resultieren Millionen von mikroskopisch kleinen Wurmeiern im Kot der Waschbären, in denen sich innerhalb weniger Tage bis Wochen infektiöse Larvenstadien entwickeln. Im Darm ihrer Zwischenwirte – meist kleine Tiere, wie Nager oder Vögel – schlüpfen die Larven aus den Eiern, können die Darmwand durchdringen und sich in unterschiedlichen Organen oder Gewebe einnisten. Im Darm des Waschbären entwickeln sich die Larven zu geschlechtsreifen adulten Spulwürmern. Die sogenannten Latrinenplätze der Waschbären – ihre bevorzugten Kotstellen – sind oft stark mit den Eiern des Spulwurms kontaminiert. Da der Waschbär zunehmend auch städtische Gebiete besiedelt, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen und Haustiere mit den infektiösen Eiern in Kontakt kommen können. „Unsere Studie verdeutlicht, dass eine weitere Ausbreitung und wachsende Populationsdichte von Waschbären dazu führt, dass auch der Waschbärspulwurm flächendeckend auftritt“, ergänzt Klimpel.
Die Eier des Waschbärspulwurms sind den klimatischen Bedingungen vor Ort ausgesetzt und können durch zu hohe oder zu niedrige Temperaturen in ihrer Entwicklung gestört oder ganz abgetötet werden und somit nicht das für weitere Wirte – Mensch, Nutz- und Haustiere – infektiöse Stadium erreichen. Haben die Embryonen das Larvenstadium erreicht, sind die derzeitigen Temperaturen in Europa jedoch nicht ausreichend, um die Larven in den Eiern des Waschbärspulwurms effektiv abzutöten. „Studien belegen, dass Temperaturen unter minus 15 Grad Celsius oder über 60 Grad Celsius für längere Zeiträume notwendig sind, um die Eier zu zerstören. Solche extremen Bedingungen sind jedoch in Europa selten“, erklärt Erstautor der Studie Robin Stutz von S-BiKF und der Goethe-Universität Frankfurt. Die meisten europäischen Winter bieten keine ausreichende Kälteperiode und auch in heißen Sommern werden punktuelle Temperaturen von über 60 Grad, die zur Abtötung der Eier führen könnten, quasi nicht oder nur sehr selten erreicht. „Zudem bieten die Latrinenhaufen, in denen die Eier abgelegt werden, Schutz vor extremen Temperaturen, was die Überlebensfähigkeit der Eier zusätzlich erhöht“, fügt Stutz hinzu.
Andere Studien belegen, dass selbst in wärmeren Regionen mit sehr heißen Sommertemperaturen, wie im US-amerikanischen Texas, die erforderlichen 60 Grad Celsius nicht lange genug erreicht werden, um die Eier effektiv abzutöten. Angesichts der zukünftigen klimatischen Bedingungen in Europa erwarten die Forschenden, dass die Zahl der infektiösen Eier in unserer Umwelt mit der zunehmenden Verbreitung der Waschbär-Population ansteigen wird. Diese Entwicklung stelle ein bisher nur unzureichend erforschtes Gesundheitsrisiko für Menschen und Tiere dar, heißt es in der Studie. „Die infektiösen Larven in den Eiern des Waschbärspulwurms können zahlreiche weitere Säugetiere, darunter auch Nutz- und Haustiere, sowie den Menschen befallen, wodurch es zu Schädigungen der Organe und des zentralen Nervensystems kommen kann“, führt Stutz aus.
„Als sehr spezifischer Endoparasit ist die regionale Verbreitung von Baylisascaris procyonis stark vom Ausbreitungsverhalten der Waschbären abhängig. Eine intensive Überwachung sowie gezielte Managementstrategien zu der invasiven Art sind daher unerlässlich, um die Verbreitung des Parasiten und die damit verbundenen Risiken einzuschätzen und präventiv vorgehen zu können. Seit nunmehr 90 Jahren breiten sich Waschbären ungebremst in Deutschland und den umliegenden europäischen Ländern aus – die deutschen Populationen gehören heute neben denen in den nordamerikanischen Ursprungsgebieten zu den größten der Welt. Wir sollten zeitnah Maßnahmen ergreifen, um die Verbreitung des Waschbären und seine zoonotischen Parasiten aufzuzeigen, zu überwachen und zu kontrollieren“, schließt Klimpel.
Originalpublikation:
Robin Stutz, Dorian D. Dörge, Anna V. Schantz, Norbert Peter, Sven Klimpel (2024): Environmental modulators on the development of the raccoon roundworm (Baylisascaris procyonis): Effects of temperature on the embryogenesis,
International Journal for Parasitology: Parasites and Wildlife, Volume 5, https://doi.org/10.1016/j.ijppaw.2024.100997