15.08.2024, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Lebende Konserven: Historische Verschleppung erleichtert Schutz bedrohter Schildkröten
Gelbkopfschildkröten unterscheiden sich genetisch kaum und sind daher leichter zu schützen, wie Senckenberg-Forschende heute gemeinsam mit einem internationalen Team im Fachjournal „Salamandra“ veröffentlichten. Trotz ihrer weiten Verbreitung in Südostasien zeigen die Schildkröten kaum genetische Unterschiede. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Menschen die Art frühzeitig in neue Gebiete verschleppten, um sie als Nahrung zu nutzen. Heute gelten die Schildkröten aufgrund von Lebensraumverlust und Handel als stark gefährdet. Die genetische Einheitlichkeit erleichtert jedoch Erhaltungsmaßnahmen wie Zuchtprogramme und Wiederansiedlungen erheblich.
Die Indo-Burma-Region beherbergt eine Vielzahl terrestrischer Ökoregionen – von subtropischen feuchten Laubwäldern über tropische Nadelwälder und Laub- und Mischwälder der gemäßigten Zonen bis zu Mangroven. „Dieser Biodiversitäts-Hotspot ist weltweit einzigartig“, erklärt Dr. Flora Ihlow, die als Postdoktorandin an den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden arbeitete und inzwischen an der Technischen Universität Dresden tätig ist. Sie fährt fort: „In dieser Region existiert eine beeindruckende Artenvielfalt, die das Resultat einer komplexen tektonischen, klimatischen und geologischen Vergangenheit ist.“
Eine der dort lebenden Arten ist die weit verbreitete Gelbkopfschildkröte (Indotestudo elongata), die Flora Ihlow zusammen mit Professor Uwe Fritz von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen und einem internationalen Team nun genauer unter die Lupe genommen hat. Die Gelbkopfschildkröte erreicht eine Panzerlänge von etwa 30 Zentimetern und gilt als die häufigste Landschildkrötenart in der Indo-Burma-Region. „Über das Verbreitungsgebiet gibt es vielfältige Unterschiede bezüglich der Größe, Form und Färbung. Uns hat interessiert, ob sich die Individuen der Art auch genetisch je nach Ursprungsregion unterscheiden“, erläutert Ihlow den Ansatz der Untersuchung.
Das Team analysierte zu diesem Zweck drei mitochondriale Genfragmente von 52 Individuen. Darüber hinaus untersuchten sie 166 erwachsene Schildkröten, davon 79 Männchen und 87 Weibchen, aus Vietnam, Kambodscha, Myanmar und Thailand auf 42 morphometrische und zwei farbliche Merkmale.
„Überraschenderweise konnten wir trotz der weiten Verbreitung der Schildkröten über biogeografische Barrieren hinweg keine genetische Differenzierung bei den Panzerträgern aus unterschiedlichen Herkunftsgebieten feststellen – dies ist für ein terrestrisches und nicht sonderlich mobiles Wirbeltier aus der Indo-Burma-Region sehr ungewöhnlich“, so Fritz und weiter: „Unsere zentralen Fragen lauteten daher: Wie konnten die Gelbkopfschildkröten die genetische Verbindung in ihrem großen Verbreitungsgebiet aufrechterhalten, oder warum hat sich die Art nicht zu regional unterschiedlichen Populationen entwickelt?“
Die Forschenden vermuten, dass Menschen bei der Verbreitung der Schildkröten – auch über natürliche biogeografische Grenzen – eine entscheidende Rolle spielten. Fossile Überreste von Indotestudo elongata belegen, dass der Mensch die Tiere schon vor etwa 40.000 Jahren, während des späten Pleistozäns, intensiv als Nahrungsquelle nutzte.
Heute gilt die omnivore Schildkröte aufgrund des Verlusts ihres Lebensraums und des intensiven Handels – sowohl national als auch international – als stark gefährdet. Die Schildkrötenart ist eine der am häufigsten gehandelten und wird hauptsächlich zum Verzehr verkauft. In den letzten 90 Jahren wurde ein Rückgang von mindestens 80 Prozent beobachtet. „Die Gelbkopfschildkröten benötigen daher dringend wirksame Schutzmaßnahmen. Die fehlende genetische Struktur ist dabei interessanterweise von Vorteil, da keine Gefahr besteht, dass verschiedene genetische Linien miteinander vermischt werden. Das erleichtert Erhaltungsmaßnahmen wie Erhaltungszucht, Wiederansiedlung und Populationsverstärkung erheblich. Die damalige Verschleppung durch den Menschen war demnach hilfreich für den heutigen Schutz der Art“, resümiert Fritz.
Originalpublikation:
Ihlow F, Spitzweg C, Flecks M, Poyarkov NA, Mohapatra PP, V. Deepak, Fritz U (2024): Unexpected lack of genetic and morphological divergence in a widespread tortoise – Phylogeography of Indotestudo elongata. Salamandra 60(3): 183–194.
16.08.2024, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Mit Federn im Ölschiefer: Neue Vogelfossilien aus der Grube Messel
Das Senckenberg-Grabungsteam hat im hessischen UNESCO Welterbe Grube Messel im Juni und Juli bereits zahlreiche Funde gemacht: Es wurden über 800 Einträge – hauptsächlich Pflanzen, Insekten und Fische – im Grabungsprotokoll registriert. Zu den besonderen Entdeckungen gehören zwei gut erhaltene Schmetterlinge und zwei kleine Vögel, die innerhalb einer Woche entdeckt wurden. Beide Vögel sind gut erhalten, einschließlich ihrer Federstruktur. Die Forscher*innen vermuten, dass es sich bei den meisengroßen Tieren um Baumvögel handelt. Am Sonntag, den 18. August können Besucher*innen des Messeler Grubenfests den Senckenberg-Forschenden live zuschauen und die neuen Vogel-Funde bestaunen.
Gemeinsam mit Studierenden sowie Schüler*innen der Senckenberg-Schule hat das Senckenberg-Grabungsteam in der ersten diesjährigen Grabungskampagne bereits über 800 neue Funde aus dem UNESCO Welterbe Grube Messel im Grabungsprotokoll verzeichnet. „Eine großartige Ausbeute!“, freut sich Grabungsleiterin Dr. Sonja Wedmann vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und fährt fort: „Die Mehrzahl der Fossilien aus den 47 Millionen Jahre alten Ölschiefern sind Pflanzen und Insekten, gefolgt von Fischen.“
Zu den besonderen Entdeckungen gehören in diesem Jahr zwei relativ gut erhaltene Schmetterlinge. Eine Seltenheit in der Fossilwelt, wie Wedmann erklärt: „Aufgrund der wasserabweisenden Schuppen auf ihren Flügeln gehen Schmetterlinge selten im Wasser unter. Die einzigartige Erhaltung in Messel ist auf die sauerstoffarmen Verhältnisse im damaligen Messelsee zurückzuführen. In diesem Fall konnten die Falter die Oberflächenspannung des Seewassers durchbrechen, sie sind dann auf den Grund des Sees gesunken und fossilisiert.“
Innerhalb weniger Tage konnte das Team rund um Wedmann zudem zwei fossile Vögel – einer mit einer Körperlänge von etwa acht Zentimetern, der andere etwas größer – aus dem Gestein bergen. Beide Vögel zeichnen sich durch eine gute Erhaltung aus – sogar die Federstruktur ist erkennbar. Wedmann hierzu: „Das schnelle Aufeinanderfolgen dieser Entdeckungen – ein Tier am Freitag, den 19. Juli, das zweite am Donnerstag, 25. Juli – ist ein erstaunlicher Zufall und sehr ungewöhnlich in der bisherigen Grabungshistorie.“
Ornithologe Dr. Gerald Mayr vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt identifiziert beide als kleine baumbewohnende Vögel. „Der kleinere der beiden Vögel könnte möglicherweise ein Vertreter der ausgestorbenen Zygodactylidae sein – bei diesen Vögeln handelt es sich um sehr ursprüngliche Verwandte der Sperlingsvögel; der andere ist eine Art aus der Verwandtschaft der Rackenartigen. Diese vorläufigen Bestimmungen müssen aber noch durch weitere Präparationen in den kommenden Wochen bestätigt werden, da im Moment noch nicht alle Bereiche der Skelette sichtbar sind“, erklärt Mayr.
Die nächste Grabungskampagne ist zusammen mit fünf Studierenden vom 26. August bis 20. September geplant. Vorher kann die Arbeit des Grabungsteams und auch die neuen Vogel- und Insekten-Funde beim zweiten Messeler Grubenfest am Sonntag, den 18. August 2024, von 10 bis 17 Uhr im Rahmen von speziellen Führungen, angesehen werden. Organisiert vom Welterbe Grube Messel bietet die Veranstaltung ein vielseitiges Programm für Groß und Klein mit allen am UNESCO Weltnaturerbe aktiven Institutionen. Angeboten werden auch verschiedene Führungen in die Grube, unter anderem zu den aktiven Grabungsstellen der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und des Hessischen Landesmuseums Darmstadt. Um an den Führungen teilzunehmen ist eine Anmeldung ausschließlich während des Grubenfestes am Anmeldestand der Grube Messel erforderlich. Der Eintritt ist an diesem Tag frei.
http://www.grube-messel.de/grubenfest.html