Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

15.11.2021, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Über 50 Prozent aller Schildkröten bedroht
Ein Team internationaler Wissenschaftler aus den USA, Frankreich, Australien und Deutschland, unter ihnen Senckenberger Uwe Fritz, hat heute die 9. Auflage des Atlas „Turtles of the World“ veröffentlicht. In der Publikation finden sich nicht nur detaillierte Beschreibungen aller 357 Schildkrötenarten, sondern auch Informationen zum Gefährdungsstatus aller Arten sowie ein Vergleich ihrer heutigen und ursprünglichen Verbreitungsgebiete. Die Ergebnisse der Forscher rund um Erstautor Anders G.J. Rhodin sind alarmierend: Etwa die Hälfte der Schildkrötenarten sind vom Aussterben bedroht.
Mit 226 Zentimetern Panzerlänge ist die Lederschildkröte Dermochelys coriacea die größte Meeresschildkröte weltweit, am Land beeindruckt die Seychellen-Riesenschildkröte Aldabrachelys gigantea mit einem Panzer von bis zu 138 Zentimetern Länge. Viel kleiner geht es bei der Vallarta-Schlammschildkröte Kinosternon vogti zu – nur 10,2 Zentimeter werden die Panzer dieser weltweit kleinsten Sumpfschildkröte lang. Diese tierischen Rekorde finden sich allesamt in der neunten Auflage des Atlas „Turtles of the World“, die heute erschien. „Wir liefern hier eine Zusammenstellung aller 357 wissenschaftlich anerkannten und heute noch lebenden Schildkrötenarten der Welt“, erläutert Prof. Dr. Uwe Fritz von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden und fährt fort: „Aber damit nicht genug: In der neuen Auflage beleuchten wir auch den Gefährdungszustand der Schildkröten und vergleichen deren ursprüngliche Lebensräume mit der heutigen Verbreitung. Damit bieten wir der nationalen und internationalen Gesetzgebung und dem Natur- und Artenschutz eine solide Handlungsgrundlage.“
Nicht weniger als 171 Schildkrötenarten sind als bedroht anzusehen – je fünf Arten und Unterarten wurden bereits in historischer Zeit und der jüngeren Vergangenheit ausgerottet. „Besonders große Arten, die auf spezielle Lebensräume angewiesen sind, sind betroffen. So sind alle großen asiatischen Schildkrötenarten von der Ausrottung bedroht, die ursprünglich in Flussmündungen oder Flüssen verbreitet waren. Ihre Lebensräume werden immer kleiner, die Eier werden von Menschen geplündert und die großen Tiere selbst heute noch geschlachtet, um sie zu essen“, so der Dresdner Herpetologe. Laut der Studie gehören Schildkröten zu den am stärksten gefährdeten Wirbeltieren weltweit – alleine Primaten tauchen prozentual häufiger in der Liste bedrohter Tierarten auf.
Die Verbreitungsgebiete nahezu aller Schildkrötenarten haben sich gegenüber ihrer ursprünglichen Lebensräume drastisch verkleinert. Gründe hierfür sind Lebensraumverlust und Degradation der bisherigen Habitate durch Übernutzung. Die Verbreitungsgebiete der großen asiatischen Flussschildkröte Batagur trivittata und der Burma-Sternschildkröte Geochelone platynota in Myanmar sowie die Lebensräume der südafrikanischen Geometrischen Landschildkröte Psammobates geometricus sind um mindestens 90 Prozent geschrumpft.
„Das sind dramatische Zahlen, die schnellstmöglich zu einem umfassenden Schutz der Schildkröten führen müssen. Sonst sind diese Tiere, die den Aufstieg und Untergang der Dinosaurier erlebt haben, für immer verloren!“, warnt Fritz.
Originalpublikation:
Turtles of the World: Annotated Checklist and Atlas of Taxonomy, Synonymy, Distribution, and Conservation Status (9th Ed.). In: Conservation Biology of Freshwater Turtles and Tortoises: A Compilation Project of the IUCN/SSC Tortoise and Freshwater Turtle Specialist Group. ISSN (monograph series): 1088-7105. ISBN: 978-0-9910368-3-7

18.11.2021, NABU
Hup, Hup, Hurra: Der Wiedehopf ist der Vogel des Jahres 2022
Fast 143.000 Menschen haben bei der öffentlichen Wahl von NABU und LBV abgestimmt
Der Sieger der zweiten öffentlichen Wahl zum Vogel des Jahres vom NABU und seinem bayerischen Partner LBV (Landesbund für Vogelschutz) steht fest: Der Wiedehopf (Upupa epops) hat mit 45.523 und 31,9 Prozent die meisten Stimmen erhalten. Damit ist er nach dem Rotkehlchen der zweite Jahresvogel, der von allen Menschen in Deutschland gewählt werden konnte.
„Der Wiedehopf ist mit seinem orangeroten Gefieder und seiner markanten Federhaube auch wegen seiner spektakulären Erscheinung gewählt worden – er ist einer der auffälligsten heimischen Vögel“, so NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. „Viele Wähler konnten sich aber sicher auch mit seinem Wahlslogan: ,Gift ist keine Lösung‘ identifizieren. Der Wiedehopf benötigt halboffene bis offene insektenreiche Landschaften – viele Insekten gibt es nur ohne Pestizideinsatz.“
Auf Platz zwei landete die Mehlschwalbe mit 34.773 Stimmen (24,4 Prozent). Auf Platz drei flatterte der Bluthänfling mit 28.442 Stimmen (19,9 Prozent) vor dem Feldsperling mit 23.259 Stimmen (16,3 Prozent). Der letzte Platz ging an den Steinschmätzer (10.801 Stimmen, 7,6 Prozent).
Die wenigsten, die den Wiedehopf zum Jahresvogel gewählt haben, dürften ihn selbst einmal in der Natur gesehen haben. Denn er kommt nur in einigen Regionen Deutschlands vor, wie zum Beispiel dem Kaiserstuhl in Baden-Württemberg, in Rheinhessen oder den Bergbaufolgelandschaften der Lausitz in Brandenburg und Sachsen. Dort ist das Klima für den wärmeliebenden Vogel geeignet. Der Wiedehopf lebt von größeren Insekten und ihren Larven. Er frisst gerne Käfer, Grillen, Heuschrecken und Schmetterlingsraupen. Es darf auch mal eine Spinne oder sogar eine kleine Eidechse sein. Als Zugvogel verbringt er den Winter in Afrika. Der wissenschaftliche Gattungsname „Upupa“ ist eine Nachahmung des Klangs seines dreisilbigen „upupup“-Balzrufes. Viele Menschen dürften den neuen Jahresvogel aus der „Vogelhochzeit“ von Hoffmann von Fallersleben kennen. In dem Kinderlied bringt der Wiedehopf „der Braut den Blumentopf“. Mancher kennt vielleicht auch die Redewendung „Du stinkst wie ein Wiedehopf“. Sie kommt daher, weil Weibchen und Jungvögel mit einem stark riechenden Sekret Feinde vom Nest vertreiben.
„Die Population des Wiedehopfes gilt in Deutschland als gefährdet, da es aufgrund fehlender Lebensräume immer noch wenige Brutpaare gibt – zurzeit sind es 800 bis 950“, sagt Miller, „Doch das Verbreitungsgebiet dieses wärmeliebenden Vogels wächst, was ein klares Anzeichen des Klimawandels ist.“
Der „Vogel des Jahres“ wurde in Deutschland erstmals im Jahr 1971 gekürt. Seit 2021 wird er durch eine öffentliche Wahl bestimmt.
Der Wiedehopf auf dem Beutelwolf-Blog

18.11.2021, Dachverband Deutscher Avifaunisten
600 Millionen Vögel weniger – Neue Studie zeigt starke Rückgänge bei europäischen Brutvogelarten
Eine neue Studie des European Bird Census Council zeigt, dass in der europäischen Union in den letzten 40 Jahren ca. 600 Millionen Brutvögel verloren gegangen sind. Insbesondere häufige und weit verbreitete Vogelarten haben stark abgenommen, es gibt aber v.a. bei Waldarten auch positive Entwicklungen. Das pan-europäische Brutvogelmonitoring (PECBMS) und die Berichte zur Vogelschutzrichtlinie wurden als Datengrundlage genutzt, die in Deutschland vom Dachverband Deutscher Avifaunisten zusammengetragen wird.
Wissenschaftler der Royal Society for the Protection of Birds, von BirdLife International und der Czech Society for Ornithology analysierten für eine wissenschaftliche Studie Daten von 378 der 445 in Europa einheimischen Brutvogelarten. Zwischen 1980 und 2017 haben die Vogelbestände um 17 bis 19 % abgenommen, was einem Verlust zwischen 560 und 620 Millionen Vögel entspricht.
Verluste konzentrieren sich auf wenige Arten
Nicht alle Arten zeigen negative Bestandsentwicklungen. Jedoch stehen Zunahmen einiger Arten um 340 Millionen Vögel Abnahmen anderer Arten um bis zu 900 Millionen Vögel gegenüber. Insbesondere die überproportionale Abnahme einer kleineren Anzahl häufiger Vogelarten beeinflusst die insgesamt starken Verluste. So entfallen 69 Prozent der Rückgänge auf gerade einmal acht Arten, die überwiegend in ländlich geprägten Lebensräumen brüten bzw. dort Nahrung suchen:
1. Haussperling -247 Mio. Ind.
2. Schafstelze -97 Mio. Ind.
3. Star -75 Mio. Ind.
4. Feldlerche -68 Mio. Ind.
5. Fitis -37 Mio. Ind.
6. Girlitz -35 Mio. Ind.
7. Bluthänfling -34 Mio. Ind.
8. Feldsperling -30 Mio. Ind.
Ähnliche Entwicklungen in Deutschland
Der größte Teil dieser Arten nimmt auch in Deutschland ab. So gibt es beispielsweise in Deutschland im Vergleich mit 1980 je 55 Prozent weniger Stare und Feldlerchen. Die Rückgänge in Deutschland tragen beim Star mit ca. 5 Prozent, bei der Feldlerche mit ca. 3 Prozent zur europaweiten Entwicklung bei. Die Verluste aller acht vorgenannten Arten summieren sich allein zwischen 1992 und 2016 auf 14,2 verlorenen Vogelindividuen in Deutschland. Das sind 87 Prozent der insgesamt ca. 16,4 Millionen verlorenen Vogelindividuen.
Mit dem Haussperling und der Wiesenschafstelze nehmen in Europa aber zwei Arten am stärksten ab, die hierzulande seit 1980 insgesamt stabile Bestandsentwicklungen aufweisen. Bei beiden Arten zeigen sich allerdings in der jüngeren Vergangenheit Trendänderungen, so dass der Haussperling in Deutschland seit 2004 sogar um 24 Prozent im Bestand zugenommen hat, während die Schafstelze seitdem in Deutschland um 21 Prozent zurückgegangen ist.
Beim Haussperling vermuten die Autoren der Studie als Ursachen der europaweit negativen Entwicklungen mangelnde Nahrungsressourcen, Infektionskrankheiten oder auch Luftverschmutzung. Für Deutschland besteht bezüglich der Ursachen der Zunahmen des letzten Jahrzehnts noch Forschungsbedarf.
In einzelnen Habitaten zeigen sich durchaus sehr unterschiedliche Entwicklungen. Die stärksten Verluste finden sich deutschland- ebenso wie europaweit bei den Agrarvogelarten. Als Ursachen wurden bereits die Intensivierung der Bewirtschaftungsweise, u.a. mit Monokulturen, hoher Bearbeitungsfrequenz und starkem Pestizideinsatz ermittelt.
Zu den Gewinnern gehören hingegen Arten, die in Wäldern, Parks und Grüngürteln der Siedlungen vorkommen. Dazu gehören beispielsweise Mönchsgrasmücke, Ringeltaube und Zilpzalp, die auch in Deutschland positive Bestandstrends aufweisen.
Monitoring liefert wichtige Daten
Das Monitoring häufiger Brutvögel und das Monitoring seltener Brutvögel liefern durch starke ehrenamtliche Beteiligung die Datenbasis für solch umfassende Auswertungen. Den zahlreichen Ehrenamtlichen sei an dieser Stelle ganz herzlich für ihr Engagement gedankt.
Die Monitoringprogramme werden außerdem durch Finanzmittel des Bundes und der Länder über das Bundesamt von Naturschutz gefördert und von den Länderfachverbänden und –behörden in den einzelnen Bundesländern insbesondere koordinativ unterstützt, auch hierfür möchte sich der DDA gerne bedanken.
Mitmachen beim Vogelmonitoring
Der Winter steht vor der Tür, aber auch das nächste Frühjahr ist nicht mehr allzu fern. Falls Sie sich also überlegen, im kommenden Jahr an einem der Programme zur Erfassung der Brutvögel mitzuwirken, finden Sie unter https://dda-web.de/monitoring Links zu den einzelnen Programmen, deren Aufbau und fachlichen Anforderungen. Weitere Informationen finden sich in der Publikation „Vögel in Deutschland – Erfassung von Brutvögeln“. Für alle Programme besteht mittlerweile auch die Möglichkeit, digital zu kartieren und damit den Aufwand bei Erfassung und Auswertung zu minimieren.

18.11.2021, Universität Osnabrück
Stachelmäuse erholen sich besonders effizient von einem Herzinfarkt
Die Stachelmaus kann im Gegensatz zum Menschen tiefe Hautwunden heilen, ohne dabei eine Narbe zu hinterlassen. Ob dieser narbenfreie Heilungsmechanismus auch beim Herzen, dem am schwersten zu reparierenden Organ greift, hat das Forschungsteam um die Tierphysiologin Prof. Dr. Kerstin Bartscherer von der Universität Osnabrück gemeinsam mit Wissenschaftlern aus den Niederlanden untersucht. Die Erkenntnisse sind in der Fachzeitschrift „Npj Regenerative Medizin“ veröffentlicht: https://rdcu.be/cBwi6
Ausgangsbasis war die Beobachtung, dass erwachsene Säugetiere, einschließlich des Menschen, Herzgewebe nach einem Infarkt nicht reparieren können. In Zusammenarbeit mit der Gruppe von Eva van Rooij (Hubrecht Institut, Utrecht) wurde nun mit der Stachelmaus ein Säugetier gefunden, das scheinbar anderen Mechanismen unterliegt.
„Wir konnten zeigen, dass die Stachelmaus ein neuer, extrem leistungsfähiger Modellorganismus für die Regenerationsforschung ist. Die Stachelmaus repariert ihr Herz nach einem Infarkt viel effizienter als gewöhnliche Mäuse, die als Modellorganismen in biologischen Fragestellungen ja weit verbreitet sind“, erklärt Bartscherer.
In ihrer aktuellen Studie ging die Gruppe der Frage nach, ob sich die erstaunliche Regenerationsfähigkeit der Stachelmaus auch auf das Herz erstreckt, eines der am schwersten zu reparierenden Organe. Die Forscherinnen und Forscher aus Osnabrück und Utrecht verglichen dazu eine Gruppe von Stachelmäusen und eine Gruppe von gewöhnlichen Labormäusen. Bei beiden Gruppen konnten sie durch das operative Abschnüren einer Herzarterie einen Herzinfarkt erzeugen.
Obwohl die akute Reaktion auf die Verletzung bei beiden Arten von Mäusen ähnlich ausfiel, und beide Gruppen wie beim Menschen im umliegenden Herzgewebe eine Narbe bildeten, zeigten die Stachelmäuse wenig bis gar keine Anzeichen von krankhafte Veränderungen des Herzens. „Die Stachelmäuse bildeten neue Blutgefäße, die voll funktionsfähig waren, veränderten die strukturelle Organisation der Narbe und stellten teilweise einige Zelltypen wieder her“, beschreibt Bartscherer den Befund. „Am faszinierendsten war, dass sich die Stachelmäuse trotz der Narbe im Herzen in ihrem normalen Verhalten nichts anmerken ließen und weiterhin ihren sportlichen Aktivitäten wie Flic-Flac rückwärts nachgingen.“
Forschungsergebnisse mit bisher gängigen Modellorganismen, die ihr Herz auf natürliche Art und Weise regenerieren können, wie z.B. Fische und Salamander, lassen sich aufgrund der Unterschiede in der Physiologie des Körpers nur schwer in erfolgreiche Therapien für den Menschen umsetzen, erläutert Tim Koopmanns, Erstautor der Studie: „Mit der Stachelmaus haben wir ein Säugetier gefunden, das sein Herz auf natürliche Weise repariert und daher als Vorbild für den Menschen dienen kann. Unsere Studie hat gezeigt, dass die Stachelmaus aufgrund ihrer menschenähnlichen Physiologie die Übertragung von Forschungsergebnissen auf den Menschen in der Zukunft erleichtern könnte.“
Obwohl die Stachelmaus ihr Herz zwar nicht wie ihre Haut ohne Narbenbildung regenerieren kann, bietet ihre Reaktion auf Herzverletzungen ein enormes Potenzial für weiterführende Forschungen: „Wir müssen tiefer in die molekularen Mechanismen eintauchen, damit wir verstehen können, wie die Stachelmaus ihr Herz so effizient reparieren kann, um dann hoffentlich Angriffspunkte für neue Therapien am menschlichen Herzen zu finden“, resümiert Kerstin Bartscherer.
Veröffentlichung:
Ischemic tolerance and cardiac repair in the spiny mouse (Acomys). Tim Koopmans, Henriette van Beijnum, Elke F. Roovers, Antonio Tomasso, Divyanshu Malhotra, Jochem Boeter, Olympia E. Psathaki, Danielle Versteeg, Eva van Rooij, Kerstin Bartscherer. Npj Regenerative Medizin, 2021. https://rdcu.be/cBwi6

19.11.2021, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Hunde können SARS-CoV-2 von 15 anderen viralen Atemwegsinfektionen unterscheiden.
Ein großes länderübergreifendes Forschungsteam unter der Leitung der Stiftung Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) veröffentlichte aufbauend auf der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr eine neue Studie über medizinische Spürhunde in der Fachzeitschrift Frontiers in Medicine. Die Studie zeigt erstmals, dass Hunde SARS-CoV-2 mit hoher Spezifität von 15 anderen viralen Atemwegserregern unterscheiden können. Sie bestätigt zudem nicht nur erneut, dass Hunde eine zuverlässige und schnelle Hilfe sind, um mit SARS-CoV-2 infizierte Personen zu erkennen, sondern zeigt auch, dass die Stoffe, die die Tiere bei COVID-19-Infizierten riechen, spezifisch für SARS-CoV-2 sind. Die Hunde riechen nicht die Viren selbst, sondern flüchtige organische Verbindungen, die bei Stoffwechselvorgängen nach einer Virusinfektion entstehen.
Um festzustellen, ob die Hunde SARS-CoV-2-Proben von anderen viralen Erregern der Atemwege unterscheiden können, setzte das Forschungsteam zwölf Spürhunde ein. Zu den anderen viralen Erregern gehörten Influenza A und B, das humane Respiratorische Synzytialvirus, das Metapneumovirus, das humane Parainfluenzavirus Typ 1 und 3, das Rhinovirus, das Adenovirus und mehrere humane Coronaviren, darunter SARS-CoV-1 und MERS-CoV. Für die Studie entwarfen die Forschenden drei Testszenarien: Im ersten Testszenario unterschieden die Spürhunde, die mit inaktivierten Speichelproben von SARS-CoV-2-Patienten trainiert wurden, mit einer mittleren Sensitivität von 74 Prozent und einer Spezifität von 95 Prozent zwischen SARS-CoV-2 und Abstrichproben von Patienten, die mit anderen Atemwegsviren infiziert waren. Die Sensitivität bezieht sich auf den Nachweis von positiven Proben. Die Spezifität bezieht sich auf den Nachweis negativer Kontrollproben. Da nicht alle Virusproben ohne Weiteres von infizierten Personen verfügbar waren, verwendete das Forschungsteam für das zweite Szenario Zellkulturen. Die Hunde hatten sie zuvor ebenfalls mit inaktivierten Speichelproben von SARS-CoV-2-Patienten trainiert. Sie waren auch in diesem Testszenario in der Lage, zwischen verschiedenen Atemwegsviren zu unterscheiden, schnitten aber schlechter ab, als im ersten Testszenario. Für das letzte Szenario trainierten die Forschenden die Hunde darum mit inaktiviertem Zellkulturmaterial von SARS-CoV-2. Die Hunde zeigten ähnliche Leistungen wie im ersten Szenario bei der Unterscheidung von SARS-CoV-2 und anderen viralen Erregern. Auch bei den Zellkulturen riechen die Hunde die flüchtigen organischen Stoffe. Die Zellkulturen bestehen aus menschlichen Zellen, zu denen die unterschiedlichen Erreger hinzugegeben wurden.
Dr. Esther Schalke, Oberstabsveterinär und Fachtierärztin für Verhaltenstherapie, Zentraler Sanitätsdienst der Bundeswehr, sagte: „Diese Studie ist ein weiterer Beweis für das Potenzial, das Spürhunde bei der Bekämpfung der aktuellen Pandemie haben könnten. Es ist schwer vorstellbar, aber die Geruchserkennung von Hunden ist um drei Größenordnungen empfindlicher als die derzeit verfügbaren Geräte.“
Professor Dr. Holger A. Volk, Leiter der Klinik für Kleintiere der TiHo, sagte: „Es ist bekannt, dass infektiöse Atemwegserkrankungen spezifische flüchtige organische Verbindungen freisetzen können, und diese Studie zeigt, dass Hunde diese einzigartigen Muster flüchtiger organischer Verbindungen von SARS-CoV-2 erkennen können.“
Der Geruchssinn des Hundes
Seit Beginn der Domestizierung nutzt der Mensch die außergewöhnlichen Geruchsfähigkeiten von Hunden, um Beute zu jagen, aber auch, um sich selbst vor Raubtieren zu schützen. Heutzutage werden Hunde zunehmend auch im Bereich der medizinischen Forschung zur Geruchserkennung eingesetzt. Sie sind in der Lage, infektiöse und nicht-infektiöse Krankheiten wie verschiedene Krebsarten, Malaria, bakterielle und virale Infektionen zu erkennen (Jendrny et al., 2021). Der Geruchssinn des Hundes ist unübertroffen und mit dem Geruchssinn des Menschen nicht zu vergleichen; Hunde haben mehr als 1.000 Gene für die Olfaktion, eine höhere Nasenoberfläche, einen optimierten Luftstrom zum Riechen, 40-mal mehr Riechrezeptorzellen (200 bis 300 Millionen gegenüber 5 bis 8 Millionen beim Menschen) und ein zusätzliches Geruchssystem (vomeronasales Organ) um einige Beispiele zu nennen. Ein Exempel veranschaulicht die Geruchsfähigkeit von Hunden: Ein Hund ist in der Lage den Tropfen einer Flüssigkeit in 50.000.000 Litern Wasser, das entspricht 20 Schwimmbecken olympischer Größe, zu erkennen.
Die Originalpublikation
ten Hagen, N.A., Twele, F., Meller, S. et al. Discrimination of SARS-CoV-2 Infections From Other Viral Respiratory Infections by Scent Detection Dogs Frontiers in Medicine (2021) https://doi.org/10.3389/fmed.2021.749588
Publikation zum selben Thema
Jendrny, P., Twele, F., Meller, S. et al. Canine olfactory detection and its relevance to medical detection BMC Infect Dis (2021) https://doi.org/10.1186/s12879-021-06523-8

19.11.2021, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Modelle zeigen wie sich der globale Klimawandel zukünftig auf marine Krebse auswirkt
Senckenberg-Wissenschaftlerinnen aus Frankfurt und Müncheberg haben mit einem US-amerikanischen Kollegen die zukünftigen Verbreitungsmuster von im Meer lebenden Krebstieren für die Jahre 2050 und 2100 modelliert. Sie kommen in ihrer im Fachjournal „Climatic Change“ veröffentlichten Studie zu dem Ergebnis, dass Tiere, die in Wassertiefen von oberhalb 500 Metern leben, sich in Folge des Klimawandels nach Norden bewegen. Krebse, die in Tiefen unterhalb 500 Metern zu finden sind, breiten sich dagegen zukünftig nach Süden aus.
Krebstiere (Crustaceen) sind sowohl im Flachwasser- als auch in Tiefseegemeinschaften weltweit eine der dominantesten Tiergruppen. Verschiedene Studien legen nahe, dass Krebse ihre Verbreitungsgebiete mit der Erwärmung der Ozeane polwärts oder in größere Tiefen verlagern. „Diese Annahme gilt aber hauptsächlich für Flachwasser-Organismen“, erklärt Dr. Marianna Simões vom Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut in Müncheberg und fährt fort: „Wie sich der globale Klimawandel auf die Verbreitung von Tiefsee-Gemeinschaften auswirkt und ob es hier einen Unterschied zur Flachwasserfauna gibt, ist dagegen noch unerforscht – obwohl die Tiefsee das größte Ökosystem der Erde ist!“
Simões, ihre Senckenberg-Kolleginnen Angelika Brandt und Hanieh Saeedi sowie Marlon Cobos von der Universität Kansas haben daher 12.885 Datensätze von 94 global verbreiteten, bodenlebenden Krebstierarten aus 12 Ordnungen ausgewertet und zwei Modelle für deren Verbreitung in den Jahren 2050 und 2100 entwickelt. „Wir wollten wissen wie sich die Tiere sich vor dem Hintergrund des voranschreitenden, globalen Klimawandels voraussichtlich verhalten werden. Hierzu haben wir zwei Szenarien des Weltklimarates (IPCC) für die globale Mitteltemperatur der Ozeane zu Grunde gelegt: Die Erhöhung um ein sowie 4,8 Grad Celsius bis zum Jahr 2050 und 2100“, fügt die Müncheberger Wissenschaftlerin hinzu.
Neben den möglichen horizontalen Verbreitungsverschiebungen der benthischen Flachwasser- und Tiefseekrebsen, diskutieren die Forschenden in ihrer Studie auch artspezifische Merkmale, die zu einer Ausbreitung in neue Lebensräume führen können – das sogenannte „Invasionspotential“.
Unter Einbezug aller Faktoren werden sich laut der Modellierungen im Flachwasser lebende Crustaceen bis 2050 bei einer Temperaturerhöhung um ein Grad Celsius um durchschnittlich 431 Kilometer von ihren ursprünglichen Habitaten entfernen, bei einer Erhöhung um 4,8 Grad Celsius sind es 620 Kilometer. Projiziert man die Daten auf das Jahr 2100 sind es 435 bzw. 1300 Kilometer. „Tiefseearten wandern dagegen weniger weit: Bis 2050 geht man von einer Strecke von etwa 90 Kilometern bei ein Grad Erwärmung und von 110 Kilometern bei plus 4,8 Grad aus. 2100 ist es immerhin eine Verlagerung der Lebensräume um 130 bzw. 180 Kilometern“, ergänzt Simões. Ausnahmen gibt es auch hier: Für die Garnelenart Thor paschalis (Heller, 1861) prognostizieren die Forscher*innen für 2050 bei einer nur um ein Grad erhöhten Wassertemperatur eine horizontale Verschiebung des Verbreitungsgebietes um 3715 Kilometer!
„Uns hat aber vor allem die Richtung, in welche sich die Krebstiere bewegen überrascht“, so Simões und weiter: „Die von uns untersuchten Arten, die oberhalb von 500 Metern Tiefe leben, wandern nach Norden. Krebse unterhalb dieser Grenze zieht es nach Süden.“ Eine Abnahme des Artenreichtums in den gemäßigten Klimazonen und eine potentielle Artenzunahme in den Polarregionen wäre die Folge. „Allerdings können sich nicht alle Arten an geänderte Umweltbedingungen anpassen“, schränkt Simões ein und warnt: „Mit der Zunahme anthropogener Störungen wie der Fischerei, dem Meeres-Bergbau, Ölbohrungen oder der Erwärmung und Versauerung der marinen Ökosystemen nimmt auch der Druck auf die Tiefsee-Fauna zu. Auch wenn unsere Studie nur etwa 0,3 Prozent der gesamten Crustaceenvielfalt abdeckt, können unsere Ergebnisse dazu beitragen, das zukünftige Ausmaß der Veränderungen für das Tiefseeleben besser zu verstehen, um geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen.“
Die Studie ist Teil des Projektes „Beneficial“ zur Biogeographie der nordwestpazifischen Fauna. Die Grundlagen-Studie soll helfen die Invasionen von Neobiota im Arktischen Ozean zu Zeiten des globalen Klimawandels abzuschätzen.
Originalpublikation:
Simões, M.V.P., Saeedi, H., Cobos, M.E., Brandt, A. (2021): Environmental matching reveals non-uniform range-shift patterns in benthic marine Crustacea. Climatic Change 168, 31. https://doi.org/10.1007/s10584-021-03240-8

Dieser Beitrag wurde unter Wissenschaft/Naturschutz veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert