(Erstveröffentlichung am 12. März 2014)
Das bekannteste Seeungeheuer dürfte Nessie, das Ungeheuer von Loch Ness sein.
Nessie soll ein Tier oder eine Gruppe von Tieren sein, die in Loch Ness, einem See in Schottland, in der Nähe der Stadt Inverness leben. Nessie wird normalerweise als Seeschlange bezeichnet, die eine Länge von bis zu 20 Metern haben soll.
Die meisten Wissenschaftler und Experten halten die aktuellen Berichte über Nessies Existenz allerdings für unglaubwürdig und erklären sie sich als absichtliche wie unabsichtliche Falschmeldungen oder Fehlbestimmungen von gewöhnlichen Tieren. Regional ist der Mythos zu einer wichtigen Einnahmequelle geworden, da der See heute eines der Hauptziele für den Tourismus in Schottland ist. Während des Sommerlochs tritt das Ungeheuer regelmäßig als Schlagzeile in der Presse auf.
Die erste bekannte Erwähnung des Seeungeheuers stammt aus dem Jahr 565. Im „Life of St. Columba“ (lateinischer Originaltitel: „Vita Columbae“) des Abtes Adamnan (* 623/24; † 23. September 704), einer Beschreibung des Lebens des Columban von Iona, wird berichtet, wie der Heilige das Leben eines Pikten rettete, der im Fluss Ness angegriffen wurde. „Columban machte das Kreuzzeichen in die Luft und rief den Namen Gottes an, während er dem wilden Tier befahl: ‚Nicht mehr weiter! Berühre ihn nicht! Zieh dich sofort zurück!‘ Als das Tier die Worte des Heiligen hörte, floh es vor Angst, als ob es von Seilen von dort weggezogen würde, obwohl es nur eine kurze Entfernung vom Mann weg gewesen war.“
1527 will Duncan Campbell am Ufer des Loch Ness ein schreckliches Ungeheuer erblickt haben.
Einer alten Chronik aus dem 16. Jahrhundert zufolge stieg ein riesiges Tier aus dem Loch Ness und erschlug drei Männer.
Um 1650 berichtet ein englischer Chronist, das berühmte Loch Ness sei wegen seiner „schwimmenden Inseln“ bekannt.
Weitere Sichtungen gab es zwar unter anderem 1872 und 1903. Berühmt wurde das Wesen jedoch erst am 2. Mai 1933, als erstmals regionale Zeitungen von der Sichtung eines Ungeheuers berichteten. Die Zeitung Inverness Courier brachte einen Artikel über Einheimische, die „ein riesiges, im Loch tauchendes Tier“ gesichtet hätten. Der Bericht über das „Monster“ (eine vom Redakteur des Courier gewählte Bezeichnung) wurde eine Mediensensation: Londoner Zeitungen entsendeten Reporter nach Schottland, und ein Zirkus bot sogar eine Summe von 20.000 Pfund für das Einfangen des Monsters.
Im Herbst 1933 beschrieb A. H. Palmer, der Nessie angeblich am 11. August 1933 um sieben Uhr beobachtet hatte, das Wesen halte seinen Kopf, den sie von vorne sahen, niedrig im Wasser. Sein Mund, der eine Länge zwischen zwölf und achtzehn Zoll habe, habe sich geöffnet und geschlossen; seine maximale Mundöffnung wurde auf ungefähr sechs Zoll geschätzt.
Das neue Interesse an dem „Ungeheuer“ von Loch Ness wurde durch ein angeblich vom Chirurgen R.K. Wilson geschossenes Foto vom 19. April 1934 geweckt. Es scheint ein großes Tier mit einem langen Hals zu zeigen, welches durch das Wasser gleitet. Jahrzehnte später, am 12. März 1994, beanspruchte Marmaduke Wetherell für sich, das Foto gefälscht zu haben, nachdem er von der Zeitung Daily Mail angestellt worden war, Nessie zu jagen (das Foto wurde damals als „endgültiger Beweis“ gedruckt). Wetherell gab auch an, Wilson habe das Foto nicht aufgenommen, sein Name sei nur benutzt worden, um die Glaubwürdigkeit des Fotos zu erhöhen. Bereits 1993 behauptete ein anderer Mann von sich, in eine solche Fälschung verwickelt gewesen zu sein.
Nicht als einziger, aber als bekanntester „Nessie-Hoaxer“ verdient Frank Searle Erwähnung. Frank Searle, ein ehemaliger Soldat, tauchte im Juni 1969 am Loch Ness auf und beschäftigte sich zunächst in ernsthafter Weise mit der Suche nach Nessie. In seinen späteren Jahren, in denen er ein Hausboot und eine „Monster-Exhibition“ bei Lower Foyers betrieb, legte er häufiger eher zweifelhafte Beweise für die Existenz des Monsters vor. Seine Fotografien zeigten z. B. schwimmende Baumstämme oder wurden sogar für Fotomontagen gehalten. Von 1977 bis 1979 wurde Searle von einer belgischen Bewunderin als „assistant monster huntress“ unterstützt. 1985 verschwand Searle vorübergehend. Ab 1986 lebte der unverheiratet gebliebene Searle, von 1998 an durch einen Schlaganfall gelähmt, bis zu seinem Tod am 26. März 2005 allein mit seinen Katzen in Fleetwood, Lancashire.
1972 machte eine von dem US-amerikanischen Patentrichter Robert Rines geleitete Gruppe einige Unterwasserfotos. Eines war ein ungenaues Bild, vielleicht eine rhombenförmige Flosse (manche sahen darin Luftblasen oder eine Fischflosse). Auf der Basis dieses Fotos verkündete der Fotograf und Naturschützer Sir Peter Scott 1975, dass der wissenschaftliche Name des Monsters „Nessiteras rhombopteryx“ lauten solle. Das würde die Aufnahme von Nessie im „British register of officially protected wildlife“ bedeuten. Der Name ist allerdings ein Anagramm von „monster hoax by Sir Peter S.“, was möglicherweise der Skepsis von Sir Peter zuzuschreiben ist.
Am 28. Mai 2007 wurde durch Gordon Holmes aus Yorkshire ein neues Video eines vermeintlichen Ungeheuers von Loch Ness aufgenommen. Darauf zu sehen ist ein etwa zehn Kilometer pro Stunde schnelles und circa 15 Meter langes, aalähnliches Objekt.
Laut einer Zeitungsmeldung in der englischen Boulevardzeitung The Sun vom 26. August 2009 will Jason Cooke das Ungeheuer in Google Earth auf den Koordinaten ♁57° 13′ N, 4° 34′ W entdeckt haben. Bei starker Vergrößerung fällt jedoch sofort auf, dass es sich um den Umriss eines kleinen Bootes mit der dazugehörigen Hecksee handelt.
Manche Berichte vom Erscheinungsbild des Monsters, einschließlich der historischen Berichte, weisen auf eine Ähnlichkeit zum ausgestorbenen Plesiosaurus hin. Das vorliegende Material dieser Kreatur aus dem Mesozoikum zeichnet ein Bild von einem großen Tier mit einem langen Hals und einem kleinen Kopf, das sich mit Flossen fortbewegt. Die angebliche Verbindung dieser Kreatur mit dem Monster von Loch Ness wurde zu einem bekannten Thema im Feld der Kryptozoologie. Doch sowohl die meisten Wissenschaftler als auch die allermeisten ernsthaften Kryptozoologen halten die Idee, das Monster von Loch Ness sei ein Überrest des Mesozoikums, für sehr unwahrscheinlich: Es müsste eine große Kolonie solcher Tiere existieren, um die längerfristige Existenz zu sichern. Da Plesiosaurier zum Luftholen an die Oberfläche müssten, würde das viel mehr Sichtungen ergeben, als es tatsächlich der Fall ist. Viele Biologen sind auch der Meinung, dass Loch Ness nicht groß oder produktiv genug sei, um selbst eine kleine Familie dieser Tiere am Leben zu erhalten. Auch viele andere Gründe, etwa die geologische Entstehung von Loch Ness nach der letzten Kaltzeit, sprechen klar gegen ein großes Reptil im See.
Andere Sichtungen passen nicht zum Erscheinungsbild der Plesiosaurier oder zu einem anderen Wassertier: Im April 1923 behauptete Alfred Cruickshank, ein drei bis dreieinhalb Meter langes Tier mit gekrümmtem Rücken und vier elefantenartigen Füßen gesehen zu haben, welches vor seinem Fahrzeug die Straße überquert habe. Andere mutmaßliche Sichtungen sprechen eher für kamel- oder pferdeähnliche Tiere.
Die Erklärungsversuche der Wissenschaft für die Ungeheuer-Sichtungen sind sehr unterschiedlich: Fehlerkennungen von Robben, springende oder dicht an der Wasseroberfläche schwimmende Fische, Wasservögel, Holzstämme, Luftspiegelungen oder unübliche Wellenmuster, letzteres, da Loch Ness aufgrund seiner symmetrischen Topographie prädestiniert für stehende Wellen (so genannte Seiches) ist. Auch schwimmende Hirsche könnten für einige Sichtungen des Monsters mit aus dem Wasser gereckten Hals verantwortlich sein. Wahrscheinlich ist, dass jede dieser Erklärungen ihren Teil zu dem längst zum Massenphänomen gewordenen Monster-Mythos beigetragen hat.
In Flüssen in der Nähe von Loch Ness gibt es sehr große Störe, die aufgrund ihrer Größe und ihres ungewöhnlichen Erscheinungsbildes leicht für Monster gehalten werden könnten. Eine neue Theorie besagt, das Monster sei bloß eine Sinnestäuschung aufgrund des sprudelnden Wassers, das durch kleinere vulkanische Aktivität am Boden des Lochs verursacht wird. Dieses Argument wird – zu einem kleinen Teil – unterstützt von einem Zusammenhang zwischen tektonischen Bewegungen und den Sichtungen.
Ein typischer Fall für eine angebliche Sichtung mit unbefriedigenden „Fakten“ über Nessie ist der Fall vom Oktober 1871: Bei diesem Ereignis beschrieb D. Mackenzie etwas, das sich zuerst langsam bewegte und sich dann mit höherer Geschwindigkeit entfernte. Zeugen sagten, das Monster hätte einen (manchmal nicht nur einen) Buckel, der wie ein umgedrehtes Boot aussehe. Diese Geschichte wurde an vielen Stellen wiederholt, doch niemals wird eine Originalquelle aus dem Jahr 1871 zitiert, was die Artikel in ein schiefes Licht rückt.
Im Juli 2003 sprach BBC von einer ausführlichen Untersuchung von Loch Ness, die von einem BBC-Team mit 600 Sonarstrahlen durchgeführt wurde, das aber keine Spur eines „Seemonsters“ fand. Das BBC-Team schloss seinen Bericht damit, dass Nessie nicht existiere.
Das berühmte Foto von 1934 wird von manchen für eine Fälschung gehalten, basierend auf den Aussagen des Fotografen Marmaduke Wetherell kurz vor seinem Tod. Wetherell behauptete, das Foto, welches dem Monster viel Interesse zukommen ließ, sei ein Foto von Ton, den man an ein Spielzeug-U-Boot angeklebt hätte. Schon vor Wetherells Aussagen hatten manche gemutmaßt, dass das Foto gar kein Ungeheuer, sondern mehrere einander folgende Otter oder einen tauchenden Vogel zeigt. Es gibt allerdings zwei Fotos von 1934, die leicht unterschiedliche Posen zeigen, was zum Argument führt, dass die Fotos nicht auf diese Art gefälscht wurden. Andererseits sei hier auch zu bedenken, dass ein Modell aus Ton oder Plastilin sehr einfach geringfügig in der Pose abgeändert werden konnte, so dass der Eindruck einer Bewegungsserie entstünde.
Die neueste Erklärung zu den Fotos von 1933 und 1934 kommt von dem schottischen Paläontologen Neil Clark. Laut seiner Meinung sei das auf den Fotos abgebildete Tier nichts anderes als ein schwimmender Elefant des Zirkus „Olympia“ gewesen. Der damalige Direktor des Zirkus, Bertram Mills, setzte sogar ein Kopfgeld von 20.000 Pfund aus, wohl wissend, dass das „Ungeheuer“ sich in seinem Zirkus befand.
Ebenfalls für Täuschungen bzw. Fälschungen bei vielen Sichtungen und Photographien sprechen die teilweise stark voneinander abweichenden Darstellungen von Nessie. Zuweilen wird der populäre „Plesiosaurus“-Typus mit langem Hals „gesehen“, teilweise auch der nicht minder populäre Typus der sich in Vertikalwindungen fortbewegenden „Buckelseeschlange“, die beide vollkommen unterschiedlich sind. Unter allen Wirbeltieren bewegen sich lediglich einige Säugetiere wie Wale oder Otter mit vertikalen Bewegungen fort, aber keine einzige lebende oder ausgestorbene Art wäre in der Lage, nach Art der „Buckelseeschlange“ beim Schwimmen mehrere hintereinander liegende Buckel über der Wasseroberfläche zu erzeugen.
In diesem Zusammenhang wäre zu erwähnen, dass die ersten Berichte über das Aussehen von Nessie als eine Art Plesiosaurus aus dem Jahre 1933 stammen. Erst in diesem Jahr wurde Nessie richtig berühmt. Die Sichtung aus diesem Jahr wurde kurz nach dem Erscheinen des Films Die Fabel von King Kong – Ein amerikanischer Trick- und Sensationsfilm gemacht. Auffallend ist hier die Ähnlichkeit der später beschriebenen Gestalt von Nessie mit einem sehr gleichartigen Wesen, das die Hauptfiguren des Films an einem See im Dschungel angreift. Hält man sich vor Augen, dass die Zuschauer damals sicher noch mehr beeindruckt von den dargestellten fremdartigen Wesen waren, so lässt sich leicht ausmalen, dass man ein eher unbekanntes Gerücht über ein im Loch Ness lebendes Wesen gern mit der im Film gezeigten Gestalt der Kreatur verband und so eine äußerst werbewirksame und einträgliche Legende schuf.
Vielleicht existiert ein großes Lebewesen in Loch Ness. Die Sichtungen und Video-Filme könnten Indizien für die Existenz im Loch Ness sein, allerdings konnten auch hier die meisten Foto- und Filmaufnahmen als Fälschungen oder Fehlinterpretationen identifiziert werden.
Bisher gibt es noch keinen glaubwürdigen Beweis über die Existenz eines großen Lebewesen in Loch Ness, sieht man von vereinzelten Störsichtungen ab.
In den vorangegangenen Folgen wurde bereits ein weiteres, kaum bekanntes, Seeungeheuer vorgestellt: Trunko.