Die Waldschildkröte in Brehms Tierleben

Waldschildkröte (Brehms Tierleben)

Aus Südamerika gelangt gegenwärtig sehr häufig eine Landschildkröte lebend zu uns, welche in Brasilien Schabuti heißt: die Waldschildkröte (Testudo tabulata, T. sculpta). Ihre Gestalt ist ziemlich plump, der Panzer hoch gewölbt, sehr stark und merklich verlängert oder seitlich zusammengedrückt, der Kopf ziemlich groß, der Rand der hornigen Kiefer scharf und fein gezähnelt, der Hals mäßig lang und dick, der Schwanz sehr kurz; die plumpen Füße fallen auf durch ihre Länge.

Auf dem Oberpanzer bilden wie gewöhnlich fünf breite Platten die mittlere, vier jederseits die seitliche, und dreiundzwanzig kleinere Randplatten die äußere Betäfelung; die Wirbelplatten haben einen erhöhten Mittelpunkt, welcher besonders an den Vorderseiten einen dick vortretenden Knopf bildet. Der Brustpanzer ist viel schmäler als der obere, hinten und vorn schwach stumpfwinkelig ausgeschnitten und mit zwölf Platten bedeckt. Alle Platten sind einfarbig schmutziggelb oder graubräunlich, an ihren Rändern gewöhnlich etwas dunkel gefärbt; die unbedeckten Theile haben schwärzliche Färbung und sind durch mancherlei orangegelbe Flecke gezeichnet; der Scheitel ist blaßgelb, schwärzlich gefleckt und gestrichelt, der übrige Kopf schwärzlich; über der Nase stehen ein paar runde gelbe Flecken neben einander, über dem Ohrfelle zwei ähnliche und einer am hinteren Ende des Unterkiefers; vom schwärzlichen Grunde des Vorderbeines heben sich die hoch orangefarben gefärbten Schuppen lebhaft ab, wogegen die Hinterbeine nur an den Schenkeln einzelne Schuppen tragen und außerdem an der Ferse einige gelbe Flecken zeigen. Die Länge des ganzen Thieres mit ausgestrecktem Halse beträgt etwa 37, die des Oberpanzers 25 Centim. Das Männchen unterscheidet sich von dem Weibchen durch einen etwas schlankeren Schwanz und den auf der unteren Fläche flach gewölbten Unterpanzer; beim jungen Thiere ist das Gehäuse höher gewölbt als bei dem alten und die Färbung lebhafter. – Eine nahe Verwandte, die Köhlerschildkröte (Testudo carbonaria), welche häufig mit dem Schabuti verwechselt wird, sich jedoch ständig zu unterscheiden scheint, hat denselben Aufenthalt und annähernd gleiche Lebensweise.

Der Schabuti verbreitet sich, nach Prinz von Wied, über den größten Theil von Brasilien, bewohnt, laut Schomburgk, alle Waldungen Guayanas bis zu 600 Meter über dem Meere, laut Gachet in großer Anzahl ganz Venezuela, kommt auch in Westindien vor. An geeigneten Orten scheint er sehr häufig zu sein. »Ich fand«, sagt der Prinz, »ausgeleerte Panzer in den Wäldern von Tapebucu, einen halben Grad nördlich von Cabo Frio, und, von hier nach dieser Himmelsgegend fortgehend, die Thiere selbst überall in den großen Waldungen des östlichen Brasilien. Am Belmonte waren sie nicht selten, und in den Reisesäcken der Botokuden bemerkten wir ganze Panzer von ihnen, sowie den Oberschild der Flußschildkröte, in welchem diese Wilden ihre Farben anreiben. Am Flusse Ilheos endlich, auf der ununterbrochenen Waldreise, haben wir sie häufig im dichtesten Walde angetroffen. Sie sollen bloß auf dem trockenen Lande und zwar im Walde leben, auch habe ich sie nur da beobachtet. Man sieht sie langsam auf ihren dicken Stelzfüßen einhergehen, auch ihre Glieder einziehen, wenn etwas Fremdes sich zeigt. Ihre Nahrung nimmt auch diese Art aus dem Pflanzenreiche. Sie frißt vorzüglich abgefallene reife Baumfrüchte, deren Mannigfaltigkeit sehr groß ist.

In der heißen Jahreszeit bildet sie einen Haufen von trockenen Baumblättern und legt zwölf oder mehr Eier hinein. Die Jungen sind, wenn sie aus dem Eie kommen, gelblich von Farbe und ihr Panzer ist noch weich.

Diese jungen Thiere, aber auch die Alten, haben mancherlei Feinde. Das alte Thier soll ungeachtet seines starken Panzers von den großen Katzenarten häufig aufgesucht und verzehrt werden. Die der Wälder und ihrer Naturerscheinungen kundigen Indianer versichern, daß die Unze, wenn sie eine solche Schildkröte findet, dieselbe auf die Spitze stelle und mit den langen Klauen das Fleisch nach und nach aus dem Panzer hervorziehe. Davon sollen die im Walde einzeln zerstreuten Gehäuse herrühren, welche wir selbst öfters fanden; auch schien uns die Angabe sehr wahrscheinlich, weil diese ausgeleerten Panzer an ihrer Spitze oft etwas abgebissen und eröffnet waren. Da diese Schildkröten keinen unangenehmen Geruch haben, werden sie von den Portugiesen, Negern und Indianern gegessen, sind auch zu gewissen Zeiten sehr fett. In manchen Gegenden, z.B. am Flusse Ilheos, hält man sie deshalb in kleinen runden, mit senkrecht eingeschlagenen Pfählen eingefaßten Zwingern, um sie bei Gelegenheit zu benutzen. Man kann sie im Hause mehrere Jahre lebend erhalten; in einen Kasten gesetzt fressen sie sogleich Bananen, die sie besonders lieben, Blätter und mancherlei Früchte. Berührt man sie, so ziehen sie sich in den Panzer zurück und blasen wie die Gänse aus der Kehle: eine andere Stimme habe ich nie von ihnen gehört.

Obgleich man nicht nöthig hat, besondere Fanganstalten auf diese hülflosen Thiere einzurichten, da man sie im Walde ohne alle Mühe auflesen kann, so fügt es sich doch nicht selten, daß man sie in den für die jagdbaren Thiere gestellten Schlagfallen von schweren Hölzern fängt; der Schlagbaum fällt auf die Schildkröte herab, kann sie aber nicht zerschmettern, sondern hält sie bloß fest, und die Indianer versichern, daß solche Thiere jahrelang in dieser Lage am Leben geblieben seien.«

Der Schabuti wird neuerdings oft lebend nach Europa gebracht und hält hier, falls man ihm im Winter einen warmen Wohnraum anweist, mehrere Jahre aus. In seinem Wesen unterscheidet er sich von anderen Landschildkröten wenig. Entsprechend seinen hohen Beinen, bewegt er sich etwas rascher als andere Arten der Sippe. »Bei mir«, schildert Fischer, »läuft diese und die verwandte Köhlerschildkröte frei in den Stuben umher. Mit den ersten Strahlen der Morgensonne wachen sie auf und beginnen durch die Zimmer zu schreiten. Den ganzen Tag über sind sie in Bewegung, beriechen alles auf dem Boden liegende, saufen Wasser und Milch aus ihrer Schale, welche für sie bereit steht, und fressen einmal sehr viel, dann plötzlich, namentlich bei trübem regnerischem Wetter fast gar nichts. Wenn z.B. ein unangeschnittener Apfel auf dem Boden liegt, versuchen sie hineinzubeißen, rollen denselben jedoch immer fort, da sie beim Bücken des Kopfes jedesmal mit der Schnauze anstoßen. Dieses Spiel dauert manchmal sehr lange, und sie geben schließlich ihr Vorhaben auf, indem sie weiter gehen. Ich habe bemerkt, daß sie nachher unangeschnittene Aepfel unberücksichtigt ließen, als ob sie die Nutzlosigkeit ihrer Anstrengungen erkannt hätten.

Sobald es dunkel wird, verkriechen sie sich unter Betten, Sopha’s, Vorhänge usw., kriechen aber wieder hervor, sobald man ein Licht oder eine Lampe in ihre Nähe bringt. Dann beginnen sie wiederum auf ihren Stelzbeinen zu schreiten. Wenn der Ofen in meiner Stube geheizt wird, kommen sie aus ihren Verstecken hervor, bleiben eine Zeitlang stehen und lassen sich dann langsam von ihren Stelzfüßen herab, um sich um den Ofen zu lagern. Hier bleiben sie mit Wohlbehagen liegen und strecken den Hals und die Hinterbeine in ihrer ganzen Länge hervor.

Ihre Nahrung, welche sie fast täglich zu sich nehmen, besteht aus Weißbrod, in Milch oder Wasser geweicht, Citronen, welche sie sehr zu lieben scheinen, Aepfeln, Birnen, Salat, Kohl, Kürbisse und Fleisch. Merkwürdig ist, daß die Männchen fast ausschließlich Fleisch fressen, wogegen sich die Weibchen nur von Pflanzenstoffen ernähren.

Als ich sie erhielt, waren sie sehr scheu, so daß sie sich bei der geringsten Annäherung zischend in die Schale zurückzogen. Jetzt lassen sie sich nicht einmal beim Fressen stören, wenn man ihren Kopf leicht mit der Hand berührt; auch fressen sie aus der Hand.«

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