Die Europäische Sumpfschildkröte in Brehms Tierleben

Europäische Sumpfschildkröte (Brehms Tierleben)

Unsere Teichschildkröte (Emys lutaria, E. europaea, Testudo lutaria, europaea und pulchella, Cistudo europaea und hellenica) erreicht eine Gesammtlänge von 35 Centimeter, wovon 10 Centimeter auf den Schwanz zu rechnen sind, der Panzer hat eine Länge von 20 Centimeter. Die ungepanzerten Theile sind auf schwärzlichem Grunde hin und wieder mit gelben Punkten, die Platten des Rückenpanzers auf schwarzgrünem Grunde durch strahlig verlaufende, gleichsam gespritzte Punktreihen von gelber Färbung gezeichnet, die des Brustschildes schmutzig gelb, unregelmäßig und spärlich braun gepunktet oder strahlig geflammt, alle in Färbung und Zeichnung vielfachen Abänderungen unterworfen.

Als die wahre und vielleicht ursprüngliche Heimat der Teichschildkröte muß man den Osten und Südosten unseres Erdtheiles ansehen. Sie ist gemein in Griechenland, Dalmatien und der Türkei, in Italien, einschließlich seiner Inseln, sowie in der südlichen Schweiz, in den Donautiefländern und Ungarn, aber auch in Südfrankreich, kommt ebenso in Spanien, Portugal und Algerien und nicht minder in einem ausgedehnten Theile des russischen Reiches, nach Osten hin bis zum Syr-Darja, ja selbst in Persien vor. In Deutschland bewohnt sie fließende und stehende Gewässer in Brandenburg, Schlesien, Posen, West- und Ostpreußen, Mecklenburg, Sachsen und Bayern, namentlich das Gebiet der Elbe, Oder und Weichsel, in Bayern aber die Donau bis Passau.

In der Havel und Spree ist sie, obgleich sie meist nur stellenweise regelmäßig beobachtet wird, nicht selten, in der südlichen Oder und Weichsel ebensowenig; der Ostsee dagegen nähert sie sich nicht. Im Rheingebiete wird dann und wann ein Stück gefangen; es läßt sich jedoch zur Zeit noch nicht bestimmen, ob sie hier ständig auftritt oder dahin verschleppt wurde. Strauch erfuhr, daß sie in der Gegend von Kreuznach vorkomme, und mir theilte Dr. Leimbach mit, daß man neuerdings ein Stück in der Nähe von Krefeld gefangen, gleiche Funde jedoch früher zu wiederholten Malen gemacht habe; auf so vereinzelte Fälle ist aber kein Gewicht zu legen. Unter allen Schildkröten dringt sie am weitesten nach Norden vor, verbreitet sich auch über ein ausgedehnteres Gebiet als irgend eine ihrer Verwandten; denn ihre Wohnsitze liegen zwischen dem fünfunddreißigsten und sechsundfunfzigsten Grade nördlicher Breite und dem neunten und zweiunddreißigsten Grade östlicher Länge von Ferro oder zwischen Algerien und Kurland, Portugal und dem Syr-Darja.

Die Teichschildkröte zieht stehende oder langsam fließende, seichte und trübe Gewässer raschströmenden Flüssen und klaren Seen vor. Uebertages verläßt sie, um sich zu sonnen, das Wasser nur an gänzlich ungestörten, ruhigen Orten, hält sich auch still und lautlos mehr oder weniger auf einer und derselben Stelle auf; kurz vor Sonnenuntergang wird sie rege und scheint von jetzt ab während der ganzen Nacht thätig zu sein. Während der Wintermonate vergräbt sie sich im Schlamme; Mitte April kommt sie, falls die Witterung nur einigermaßen günstig ist, wieder zum Vorscheine und macht sich mehr als sonst durch ein sonderbares Pfeifen, welches wohl der Paarungsruf sein mag, bemerklich. Auch ist sie vorsichtig und taucht, wenn sie im Wasser schwimmt, beim geringsten Geräusche sofort unter. In ihrem heimischen Elemente zeigt sie sich sehr behend, aber auch auf dem Lande keineswegs tölpelhaft, bewegt sich wenigstens hier viel schneller als die Landschildkröten. Ihre Nahrung besteht in Regenwürmern, Wasserkerfen, Schnecken; sie stellt jedoch auch den Fischen nach und wagt sich selbst an ziemlich große, denen sie Bisse in den Unterleib versetzt, bis das Opfer entkräftet und dann vollends von ihr bewältigt wird. An Gefangenen beobachtete Marcgrave, daß sie den getödteten Fisch sodann ins Wasser zogen und ihn bis auf die Gräten auffraßen. Bei dieser Zerlegung der Beute wird oft deren Schwimmblase abgebissen und kommt zur Oberfläche des Wassers empor: findet man also auf einem Gewässer die Schwimmblasen von Fischen umhertreiben, so darf man mit aller Sicherheit annehmen, daß Teichschildkröten vorhanden sind. Neben der Fleischkost fressen diese auch verschiedene Wasserpflanzen, ob gern oder im Nothfalle, ist zur Zeit noch fraglich. In der Gefangenschaft erhält man sie bei gutem Wohlsein viele Jahre lang, wenn man ihnen Fische, Schnecken und Regenwürmer füttert; sie werden auch bald so zahm, daß sie aus der Hand fressen, gewöhnen sich an bestimmte Lagerplätze und fallen im erwärmten Raume nicht in Winterschlaf; während sie, wenn man ihnen einen kleinen Teich in einem umschlossenen Garten anweist, mit Beginn der kühlen Jahreszeit sich vergraben.

Ueber die Fortpflanzung der Pfuhlschildkröten, zumal über das Eierlegen, hat Miram in sehr eingehender Weise berichtet. Zwar sind die Ergebnisse seiner Beobachtungen im wesentlichen dieselben, welche auch bei anderen Schildkröten gewonnen wurden, Miram schildert jedoch so ausführlich, wie keiner vor ihm, und verdient, daß seine Mittheilungen vollständig wiedergegeben werden. Behufs wissenschaftlicher Untersuchungen hielt gedachter Forscher geraume Zeit viele lebende Schildkröten in seinem durch eine Mauer abgeschlossenen Garten, welcher in Ermangelung eines Teiches mit einer in die Erde eingegrabenen, als Wasserbecken dienenden Mulde versehen war. Bauern der Umgegend von Kiew brachten ihm aus nahen Seen und Teichen so viele Pfuhlschildkröten als er wünschte, jedoch fast nur erwachsene, höchst selten junge, die meisten immer im April und Mai. Häufig kam es vor, daß die eingelieferten Thiere im Garten Eier fallen ließen; Miram gewährte ihnen deshalb Freiheit und konnte bald beobachten, daß die trächtigen Weibchen die höchste Stelle des Gartens, dessen Boden mit Sand gemischter Lehm war, aussuchten, um hier ihre Nester zu graben.

Das Eierlegen findet immer abends vor Sonnenuntergang, gegen sieben oder acht Uhr statt; da aber gleichzeitig das Graben und Zudecken des Nestes vor sich geht, so dauert dasselbe fast die ganze Nacht hindurch. Am 28. Mai 1849, einem sehr warmen, schönen Sommertage, nach anhaltender Dürre, legten zu gleicher Zeit fünf Schildkröten ihre Eier und fanden sich an besagter Stelle schon um sieben Uhr abends ein. Sie versammelten sich nicht innerhalb eines engen Raumes, sondern hielten sich in sehr bedeutender Entfernung von einander. Nachdem sie sich einen bequemen, von allen Pflanzen freien Platz erwählt, entleerten sie eine ziemlich beträchtliche Menge Harn, wodurch der Erdboden, wenn auch oberflächlich, doch einigermaßen erweicht wurde, und fingen nun an, mit dem Schwanze, dessen Muskeln straff angezogen waren, eine Oeffnung in die Erde zu bohren und zwar so, daß die Spitze des Schwanzes fest gegen den Boden gedrückt wurde, während der obere Theil desselben kreisförmige Bewegungen ausführte. Durch dieses Bohren entstand eine kegelförmige, oben weitere, unten engere Oeffnung, in welche die Schildkröten, um den Boden zu erweichen, noch mehrmals kleine Mengen von Harn fließen ließen. Nachdem diese Oeffnung ausgebohrt war und eine Tiefe erlangt hatte, welche fast den ganzen Schwanz aufnahm, begannen sie mit den Hinterfüßen das Loch weiter zu graben. Zu diesem Zwecke schaufelten sie abwechselnd bald mit dem rechten, bald mit dem linken Hinterfuße die Erde heraus, wobei sie dieselbe jedesmal an dem Rand der Grube nach Art eines Walles aufhäuften. Bei diesem Vorgange wirkten die Füße ganz wie Menschenhände; die Schildkröten kratzten mit dem rechten Fuße von rechts nach links und mit dem linken Fuße von links nach rechts abwechselnd, sozusagen, jedesmal eine Hand voll Erde aus, legten sie sorgfältig in einiger Entfernung vom Rande der Grube im Kreise nieder und arbeiteten so lange fort, als die Füße noch Erde erreichen konnten. Der Körper war während dieser ganzen Zeit fast unbeweglich, der Kopf nur zum kleineren Theile aus dem Brust- und Rückenschilde herausgetreten. Auf diese Weise brachte jede Schildkröte eine Höhle zu Stande, welche etwa zwölf Centimeter Durchmesser hatte, im Inneren aber bedeutend weiter wurde und daher beinahe eiförmig sich gestaltete. Nach einigen vergeblichen Versuchen, noch mehr Erde aus der Höhle herauszuholen, schien das Thier sich überzeugt zu haben, daß das Nest fertig sei. Der ganze Vorgang hatte bis dahin wohl eine Stunde und darüber gedauert.

Ohne ihre Stellung zu verändern, begann die Schildkröte unmittelbar darauf mit dem Eierlegen, welches ebenso merkwürdig war wie der vorhergehende Akt. Es trat nämlich aus der Afteröffnung ein Ei hervor, welches von der, man möchte sagen, Handfläche des Hinterfußes vorsichtig aufgefangen wurde, die es, indem der Fuß in die Höhle hinablangte, auf den Boden derselben herabgleiten ließ. Hierauf zog sich der eben in Thätigkeit gewesene Fuß zurück, und der andere fing auf dieselbe Art ein zweites aus dem After heraustretendes Ei auf, es ebenso wie das vorhergehende in der Höhle bergend; so abwechselnd nahm bald der eine, bald der andere Hinterfuß ein Ei ab, um es in das Nest hinabzuführen. Die Schale der Eier war beim Hervortreten zum Theil noch weich, erhärtete aber rasch an der Luft. Ihre gewöhnliche Anzahl war neun, sehr selten weniger; einmal nur hat Miram ihrer elf von einer Schildkröte legen sehen. Da die Eier sehr schnell aufeinander folgten, oft schon nach einer Minute, seltener nach einer Pause von zwei bis drei Minuten, so dauerte das Eierlegen ungefähr eine Viertel-, selten eine halbe Stunde.

Nach dem Eierlegen schien das Thier sich etwas zu erholen; ohne irgend eine Bewegung auszuführen lag es da. Oft blieb der zuletzt in Thätigkeit gewesene Fuß erschlafft in der Höhle hängen; der Schwanz, welcher während des Ausscharrens der Grube und des Eierlegens seitwärts lag, hing zuletzt ebenso ermattet herab. So mochte wohl eine halbe Stunde vergehen, bis die Schildkröte ihre letzte, wie es scheint aber auch angestrengteste Thätigkeit begann, welche darin bestand, die Höhle zu verschütten und dem Erdboden gleich zu machen.

Zu diesem Ende zog sie den Schwanz wieder an die Seite des Leibes, auch den Fuß wieder zurück und an sich; der andere faßte eine Hand voll Erde, brachte sie vorsichtig in die Höhle hinab und streute sie ebenso sorgsam über die Eier aus. Hierauf wurde dasselbe mit jenem Fuße ausgeführt und so abwechselnd bald mit dem einen, bald mit dem anderen, so lange die Erde des aufgeworfenen Walles ausreichte. Die letzten Hände voll Erde wurden jedoch nicht mit derselben Vorsicht in die Grube gebracht wie die früheren: das Thier bemühte sich im Gegentheile, die Erde mit dem äußeren Rande des Fußes fester anzudrücken. War in ungefähr einer halben Stunde die von dem Walle genommene Erde verbraucht, so trat abermals eine Ruhepause von demselben Zeitraume ein. Hierauf erhob sich die Schildkröte, schob den Kopf zwischen den Schildern hervor und umkreiste das Nest, gleichsam um sich zu überzeugen, wie ihr Werk gelungen. Und nunmehr begann sie, mit dem Hintertheile des Brustschildes auf dem durch die aufgeworfene Erde entstandenen Hügel zu stampfen. Dabei hob sie den Hintertheil des Körpers in die Höhe und ließ ihn wieder mit einer gewissen Wucht herabfallen. Dieses Stampfen wurde in einem Kreise ausgeführt und war eine sehr anstrengende Arbeit; denn das Thier vollführte alle Bewegungen mit erstaunlicher, von einer Schildkröte kaum zu erwartenden Schnelligkeit aus und beobachtete dabei eine außerordentliche Sorgfalt, wodurch es denn auch möglich wurde, alle Spuren zu verwischen, welche auf das an dieser Stelle errichtete Nest hindeuten konnten. Dies gelang so vollständig, daß Miram am Morgen, wenn er sich nicht durch ein Zeichen die Stelle gemerkt hätte, vergebens nach den Eiern gesucht haben würde.

Die solcherart in eine Tiefe von ungefähr acht Centimeter unter der Oberfläche der Erde gelegten Eier blieben daselbst bis zum April des nächsten Jahres liegen; dann erst, gewöhnlich zwischen dem funfzehnten und zwanzigsten des Monats, schlüpften die Jungen aus. Diese haben eine Länge von funfzehn bis zwanzig Millimeter. Wenn sie nicht mit noch anhängendem Dottersacke erscheinen, bemerkt man wenigstens meist in der Mitte des Brustschildes, zwischen den Brustplatten, die Spuren des Dotterschlauches.

Sie zu erziehen, gab sich Miram viele Mühe; doch erreichte er es nie, eine länger als drei Monate am Leben zu erhalten. Marcgrave war glücklicher: ihm gelang es, mehrere neugeborene Pfuhlschildkröten aufzuziehen. Eine von ihnen hatte nach drei Jahren zwei Centimeter an Länge und ein Gewicht von sechzehn Gramm erreicht. Während des Winters fraß sie wenig und blieb meistens auf dem Boden des Wasserkübels mit eingezogenem Halse unbeweglich sitzen; an heiteren Tagen ging sie ein wenig umher. Bei Eintritt des Frühlings begann sie wieder zu fressen, war auch im dritten Jahre schon im Stande, ganze Regenwürmer zu verschlingen und kleine Fische zu tödten. Im Juni fraß sie am gierigsten, vom September an weniger und im November gar nicht mehr. Sie erreichte ein Alter von fünf Jahren.

Ob alle Pfuhlschildkröteneier über dreiviertel Jahre in der Erde liegen müssen, bevor die Jungen ausschlüpfen, oder ob sie auch in kürzerer Frist gezeitigt werden können, wage ich nicht zu entscheiden. Mirams Angaben stimmen überein mit denen Marsigli’s, nicht aber mit denen Marcgrave’s, welcher, ebenfalls in seinem Garten, die Paarung, das Eierlegen und das Auskriechen der Jungen beobachtete. Seine Mittheilungen sind jedoch ebenso kurz als unbestimmt, können daher nicht als maßgebend angesehen werden, und somit werden Mirams Beobachtungen beziehentlich der langen Liegezeit der Eier Gültigkeit haben, bis das Gegentheil erwiesen sein sollte.

Das Fleisch der Teichschildkröte ist eßbar; der geringe Nutzen, welchen sie dem Menschen hierdurch und durch Verzehren der Schnecken und Regenwürmer bringt, hebt aber den von ihr durch Raub an nützlichen Fischen verübten Schaden nicht auf

Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert