Der Löffler in Brehms Tierleben

Löffler (Brehms Tierleben)

In Holland, den Donautiefländern, Südeuropa, ganz Mittelasien, selbst Mittelindien noch, sowie auf den Kanaren und Azoren lebt und brütet der Löffler, Löffelreiher, Schufler, die Löffel- oder Spatelgans (Platalea leucorodia, nivea und pyrrhops, Platea leucorodia und leucopodius), welcher uns die Lebensweise seiner Sippschaft kennen lehren mag. Er ist, mit Ausnahme eines gelblichen Gürtels um den Kropf, rein weiß, das Auge karminroth, der Schnabel schwarz, an der Spitze gelb, der Fuß schwarz, der Augenring gelblichgrün, die Kehle grünlichgelb. Das Weibchen unterscheidet sich durch etwas geringere Größe, der junge Vogel durch den Mangel des Federbusches und des gelben Brustgürtels. Die Länge beträgt achtzig, die Breite einhundertundvierzig, die Fittiglänge vierundvierzig, die Schwanzlänge dreizehn Centimeter.
Auffallenderweise ist der Löffler, welcher auf seinem Zuge regelmäßig Griechenland berührt, dort noch nicht als Brutvogel bemerkt worden, und ebensowenig scheint er in Indien, Südfrankreich und Spanien der Fortpflanzung obzuliegen.

Radde fand ihn in den Theilen Sibiriens, welche er besuchte, und stellte fest, daß er im ganzen südlichen Sibirien, mit Ausnahme der mittleren, hochgelegenen Gebiete, gefunden wurde; wir sahen ihn am Alakul oder Alasee in Turkestan; Swinhoe lernte ihn als Wintergast Südchinas, Jerdon als einen regelmäßigen Bewohner Indiens kennen; ich traf ihn häufig an den Seen Egyptens und südlich bis Derr in Nubien. Einzelne haben sich weit nach Norden verflogen und ältere Naturforscher zu der Ansicht verleitet, daß die Art eigentlich dem Norden angehöre, während wir jetzt annehmen dürfen, daß das regelmäßige Vorkommen unseres Vogels in Holland als in jeder Hinsicht auffallend erscheinen muß.

In Indien oder Südasien überhaupt und in Egypten gehört der Löffler wahrscheinlich unter die Standvögel; in nördlicheren Ländern erscheint er mit den Störchen, also im März und April, und verläßt das Land im August und September wieder. Er wandert bei Tage, meist in einer langen Querreihe, scheint aber nicht besonders zu eilen, sondern sich während der Reise allerorts aufzuhalten, wo er Nahrung findet. In Griechenland trifft er mit den übrigen Reihern nach der Tag- und Nachtgleiche ein, hält sich kurze Zeit in den Sümpfen auf und reist dann weiter, benutzt aber im Herbste einen anderen Weg als im Frühlinge. Im Brutlande wie in der Fremde zieht er Strandseen und Sümpfe dem Meere entschieden vor, ist also keineswegs ein Seevogel, wie man oft angenommen hat, sondern ähnelt auch hinsichtlich seines Aufenthaltes den Ibissen. Da, wo das Meer seicht und schlammig ist, fehlt er freilich nicht; die Meeresküste ähnelt hier aber, streng genommen, einem großen Sumpfe. Uferstellen und Brüche, welche mit höheren Pflanzen bestanden sind, vermeidet er unter allen Umständen: sein eigentliches Weidegebiet sind die schlammigen Uferränder der Gewässer. Hier schreitet er, meist wadend, mit gemessenen Schritten dahin, so lange er Nahrung sucht, mit tief herabgebeugtem Oberkörper, den Schnabel beständig seitlich hin- und herschwingend und so, in ähnlicher Weise wie der Säbelschnäbler, Wasser und Schlamm durchsuchend. Selten sieht man ihn mit gerade ausgestrecktem Halse stehen; wenn er nicht arbeitet, biegt er denselben vielmehr so tief herab, daß der Kopf fast auf den Schultern ruht und der Hals vorn weit hervortritt; nur beim Sichern streckt er den Kopf gerade empor. Der Gang ist ernst und gemessen, jedoch zierlicher als der des Storches, der Flug sehr leicht und schön, oft schwebend und kreisend. Von dem fliegenden Reiher unterscheidet sich der Löffler dadurch, daß er den Hals stets gerade auszustrecken pflegt, vom fliegenden Storche dadurch, daß er öfter und schneller mit den Flügeln schlägt. Die Stimme, ein einfacher, quakender Laut, welchen man schwer durch Silben wiedergeben kann, wird selten und bloß auf geringe Entfernung hin vernommen. Unter den Sinnen steht das Auge obenan; das Gehör ist gut; das Gefühl scheint aber ebenfalls wohl entwickelt, der Schnabel in ziemlich hohem Grade tastfähig zu sein.

In seinem Wesen und Gebaren zeigt der Löffler mit Störchen und Reihern keine Verwandtschaft. Er gehört zu den vorsichtigen und klugen Vögeln, welche sich in die Verhältnisse zu fügen wissen und jedes Ereignis bald nach seinem Werthe abzuschätzen lernen, zeigt sich da verhältnismäßig zutraulich, wo er nichts zu fürchten hat, äußerst scheu hingegen an allen Orten, wo dem Sumpfgeflügel überhaupt nachgestellt wird. Unter sich leben diese Vögel im hohen Grade gesellig und friedlich. Mit wahrem Vergnügen habe ich gesehen, wie sich zwei Löffler gegenseitig Liebesdienste erwiesen, indem der eine dem anderen das Gefieder des Halses mit dem Schnabel putzte und ordnete, selbstverständlich nur diejenigen Stellen, welche mit dem eigenen Schnabel nicht bearbeitet werden können. Viele Minuten lang stehen sie dicht neben einander, und der Dienst erscheint gewissermaßen als eine Liebkosung, welche der eine dem anderen spendet. Streit und Zank unter einer Herde Löffelreiher kommt wohl niemals vor. Es kann geschehen, daß auch unter ihnen der Neid sich regt, und der Hungrige demjenigen, welcher eben Nahrung erbeutete, eine Strecke weit nachläuft; diese Verfolgung nimmt aber nie das Gepräge einer Drohung an, sondern erscheint eher als eine Bettelei. Unter dem anderen Geflügel, welches mit ihm dieselben Aufenthaltsorte theilt, bewegt sich der Löffler mit einer liebenswürdigen Harmlosigkeit und gutmüthigen Friedfertigkeit, hält mit allen Freundschaft und scheint froh zu sein, wenn ihn andere nicht behelligen; sein unschuldiges Gemüth läßt nicht einmal einen Gedanken an Neckereien aufkommen.

Wie die Mehrzahl der Reihervögel überhaupt, gehört auch der Löffler zu den Tagvögeln; in mondhellen Nächten läßt er sich aber doch gern verleiten, noch ein wenig auf Nahrung auszugehen: ich sah ihn am Mensaleh-See zu meiner nicht geringen Verwunderung noch in der elften Nachtstunde eifrig Nahrung suchen. Gewöhnlich eilt er schon vor Sonnenuntergange den Schlafplätzen zu und verläßt sie bis zum Morgen nicht wieder. Sehr gern hält er auf den Bäumen, welche ihm Nachtruhe gewähren, auch ein kurzes Mittagsschläfchen, während er, so lange er am Boden, bezüglich im Wasser umherläuft, sich beständig mit seinem Nahrungserwerbe zu beschäftigen scheint.

Fische bilden wohl seine hauptsächliche Nahrung. Er ist im Stande, solche von zehn bis funfzehn Centimeter Länge zu verschlingen, packt sie sehr geschickt mit dem Schnabel, dreht sie, bis sie in die rechte Lage kommen, und schluckt sie, den Kopf nach vorn, hinab. Nebenbei werden unzweifelhaft alle übrigen kleineren Wasserthiere, Krebse, Muscheln und Schnecken sammt den Gehäusen, Wasserlurche usw. und ebensowohl auch Kerbthiere in allen Lebenszuständen verzehrt.

Wo Löffler häufig vorkommen, bilden sie Siedelungen und legen auf einem und demselben Baume so viele Nester an, wie sie eben können. In Gegenden, in denen es weit und breit keine Bäume gibt, sollen sie auch im Rohre nisten. Die Nester selbst sind breit, locker und schlecht aus dürren Reisern und Rohrstengeln zusammengefügt, inwendig mit trockenen Schilfblättern, Binsen und Rispen ausgekleidet. Das Gelege zählt zwei bis drei, seltener vier verhältnismäßig große, etwa siebzig Millimeter lange, fünfundvierzig Millimeter dicke, starkschalige, grobkörnige, glanzlose, auf weißem Grunde mit vielen röthlichgrauen und gelben Flecken gezeichnete Eier, welche übrigens mannigfach abändern. Wahrscheinlich brüten beide Eltern abwechselnd; beide füttern mindestens die Jungen groß. Letztere werden nach dem Ausfliegen den Sümpfen zugeführt, verweilen nicht bloß auf dem Zuge, sondern auch in der Winterherberge in Gesellschaft der Alten, kehren mit diesen zurück und schlagen sich erst dann in abgesonderte Trupps zusammen, da sie nicht vor dem dritten Jahre fortpflanzungsfähig werden.

In früheren Zeiten wurde auch der Löffler gebaizt; gegenwärtig jagt man ihn hier und da seines genießbaren, wenn auch nicht gerade wohlschmeckenden Fleisches halber. Rechtzeitig ausgehobene Nestvögel gewöhnen sich leicht an die Gefangenschaft, auch an allerlei Nahrung, pflanzliche ebenso wie thierische, lernen ihren Herrn kennen, begrüßen ihn mit freudigem Schnabelgeklapper, wenn sie ihn sehen, können zum Aus- und Einfliegen gebracht und wegen ihres sanften, friedfertigen Wesens unter allem Hofgeflügel gehalten werden.

Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert