Das Laufhühnchen in Brehms Tierleben

Laufhühnchen (Brehms Tierleben)

Das Laufhühnchen, »Torillo« der Spanier, »Semmana« der Araber und »Serkil« der Mauren (Turnix sylvatica, africana, gibraltarica, andalusica und albigularis, Tetrao sylvaticus, gibraltaricus und andalusicus, Perdix gibraltarica und andalusica, Ortygis gibraltarica und andalusica, Hemipodius tachydromus und lunatus), gehört zu den größeren Arten seiner Familie. Die Länge des Männchens beträgt funfzehn, die des merklich größeren und um ein Drittheil schwereren Weibchens neunzehn, die Fittiglänge jenes acht, dieses neun, die Schwanzlänge vier Centimeter. Beide Geschlechter unterscheiden sich nicht durch die Färbung. Die Federn des Oberkopfes sind dunkelbraun, durch lichtröthliche Ränder und breite dunkle Schaftstriche gezeichnet, die der Kopfmitte, einen Längsstreifen bildend, grauweißlichfahl, die Mantel- und Schulterfedern auf dunkelbraunem Grunde in der Mitte äußerst fein, aber unregelmäßig gewellt und zickzackförmig hellbraun oder bräunlichgelb quergebändert, seitlich durch breite schwarze Längsstreifen und meist auch durch licht fahlgelbe Ränder gezeichnet, die Federn des Unterrückens und Bürzels sowie die Oberschwanzdeckfedern ganz ähnlich gefärbt und geschmückt, die der Wangen und der Kehle auf gelblichweißem Grunde durch schmale, die der ganzen Seiten vom Halse an bis zu den Weichen auf blaß rostgilblichem Grunde durch mehr und mehr sich verbreiternde, halbmondförmige schwarze Endflecke geziert, die der Kehle ähnlich geschuppt, die der Kropfmitte einfarbig rostgelb, die der übrigen Unterseite blaß rostisabell, die Unterschwanzdeckfedern ockergelb, die Schwingen- und Schwanzfedern braun, auf der Außenfahne schmal gelblichweiß gesäumt. Das Auge ist licht gelblichbraun, der Schnabel schmutzig fleischfarben an der Wurzel, schwärzlich an der Spitze, der Fuß lichtbraun.

Man darf wohl annehmen, daß wir unser Laufhühnchen Afrika verdanken. Hier, im ganzen Nordwesten, von den Grenzen Egyptens bis zum Adriatischen Meere und von der Straße von Gibraltar bis zum Senegal, vielleicht noch weiter südlich, ist die wahre Heimat des noch heutigen Tages wenig bekannten Hühnchens zu suchen, und von hier aus wird es sich wahrscheinlich in Spanien und auf Sicilien eingebürgert haben. Weiter nach Norden hin hat man es zwar ebenfalls, jedoch nur als verflogenen Besuchsgast gefunden. So soll es nicht allzu selten in Südfrankreich vorkommen und so einmal in Oxfordshire erlegt worden sein. Südspanien und Portugal bewohnt es vielleicht in größerem Umfange, als man bis jetzt feststellen konnte, und auch auf Sicilien tritt es, soviel bis jetzt bekannt, in verschiedenen Gegenden auf. Ueber seinen Bestand kommt man nie ins klare; denn es lebt so versteckt und läßt sich so schwer zu Gesicht bringen, daß man so leicht nicht sagen kann, ob es selten oder häufig ist. Man weiß nicht einmal, ob es wandert oder nicht. Letzteres glauben die englischen Forscher, welche neuerdings in Spanien beobachtet haben, ersteres behaupten die Andalusier, freilich mit dem Hinzufügen, daß das Laufhühnchen den Wachteln als Führer diene, sie nach Afrika geleite und für deren Wanderung von solcher Bedeutung sei, daß der Tod des Führers die Wachteln verhindere, überhaupt nach Afrika zu reisen.

Derartige Angaben sind selbstverständlich als gänzlich aus der Luft gegriffen zu bezeichnen; sie beweisen aber, daß die Spanier über die Lebensweise unseres Vogels nicht das geringste wissen. Nach den verläßlichen Beobachtungen Irby’s ist das Laufhühnchen in der Nähe von Gibraltar nur sehr lückenhaft verbreitet und nirgends gemein; doch mag es sein, daß es häufiger vorkommt, als man glaubt. Zu seinen Wohnsitzen erwählt es sich am liebsten wüste, mit Zwergpalmengestrüppe dicht bedeckte Ländereien, gleichviel ob dieselben unmittelbar an der Seeküste oder tiefer im Lande oder am Gebirge gelegen sind, und diese Wohnplätze entsprechen auch vollständig den Sitten und Gewohnheiten, wie sie in Afrika beobachtet worden sind. Lilford glaubt, daß die hauptsächlichste Herberge unseres Hühnchens innerhalb der europäischen Grenze auf Sicilien zu suchen sei, weil ihm Doderlein mitgetheilt habe, daß er in der Nachbarschaft von Alicata, Girgenti und Sciacca zehn bis funfzehn Stück im Laufe eines Tages erlegen konnte; Doderlein selbst bemerkt, daß es vorzugsweise im Süden vorkomme und im September und Oktober in Gesellschaften, im Laufe des übrigen Jahres einzeln gefunden werde und auch hier unbebaute, wellenförmig bewegte, mit dichtem, filzigem, niederem Gestrüppe bestandene Oertlichkeiten bewohne.

Seine Lebensweise schildert am besten Major Loche, welcher als langjähriger Bewohner Algeriens die meiste Gelegenheit hatte, das Vögelchen zu beobachten. Auch hier bewohnt das Laufhühnchen dicht bebuschte Oertlichkeiten. Jedes Paar lebt nur für sich und vereinigt sich nie mit anderen seinesgleichen; wenigstens sieht man es in der Regel allein. Scheu und vorsichtig versucht es, ihm geltenden Nachstellungen immer rechtzeitig zu entrinnen, bedient sich jedoch hierzu im äußersten Nothfalle seiner Schwingen und läuft so lange, als es vermag, zuletzt einem so gut wie undurchdringlichen Gebüsche zu, in welchem es, namentlich wenn es bereits einmal aufgetrieben [121] wurde, so fest liegt, daß es sich eher von der Hand oder einem geschickten Hunde ergreifen läßt, als daß es zum zweiten Male fliegend aufstehe. Kerbthiere und Sämereien in annähernd gleicher Menge bilden seine Nahrung. Loche fand in vielen von ihm zergliederten Stücken Sämereien und sonstige Pflanzenstoffe, Ueberbleibsel von Ameisen und anderer und kleine Kiesel in buntem Durcheinander. Sein Nest legt das Weibchen in einem Grasbüschel oder einem dichten Busche an. Es ist nichts anderes als eine kleine Vertiefung im Boden, welche mit trockenem Grase, zuweilen auch gar nicht ausgelegt, immer aber in einem so vortrefflichen Verstecke angebracht wird, daß man es nur selten findet. Wie es scheint, brütet das Paar zweimal im Jahre; ältere Weibchen legen, nach Loche’s Ansicht, zuerst im Mai und das zweite Mal im August, jüngere im Juni und beziehentlich im September. Das Gelege besteht aus vier bis fünf Eiern von durchschnittlich vierundzwanzig Millimeter Längs- und achtzehn Millimeter Querdurchmesser, graulich- oder gilblichweißer Grundfärbung und ziemlich dichter blaßpurpurner oder dunkelbrauner Fleckenzeichnung. Beide Geschlechter wechseln im Brüten ab, und wenn das Weibchen getödtet wird, übernimmt das Männchen allein die mütterlichen Sorgen. Sobald die Jungen selbständig geworden sind, wandeln sie ihre eigenen Wege, und die Eltern schreiten zur zweiten Brut. Wie die meisten Scharrvögel entlaufen jene dem Neste, nachdem sie trocken geworden sind, und ebenso wie ihre Verwandten werden sie anfänglich mit zärtlichster Sorge von beiden Eltern behütet und durch ein sanftes »Kru« zusammengerufen. Abgesehen von diesem Stimmlaute vernimmt man, namentlich in der Morgen- und Abenddämmerung, einen höchst eigenthümlichen, tiefen, dröhnenden Laut, den man mit dem bekannten brüllenden Schrei der Rohrdommel vergleichen kann, nur daß er bei weitem schwächer und leiser ist. An gefangenen beobachtete Loche, daß sie beim Ausstoßen des letzterwähnten Lautes den Bauch ein- und den Kopf zwischen die Schultern ziehen und nunmehr, ohne den Schnabel zu öffnen, nach Art eines Bauchredners jenen Laut ausstoßen.

Gefangene Laufhühnchen, welche zuweilen, obwohl recht selten, auch in unsere Käfige gelangen, dauern bei einigermaßen entsprechender Pflege vortrefflich im Käfige aus und schreiten in ihm, wie Loche erfuhr, selbst zur Fortpflanzung.

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