Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

09.06.2020, Universität Zürich
Menschen beeinträchtigen das Sozialleben von Giraffen
Wenn Giraffen in der Nähe von Dörfern leben, so verändert dies ihr soziales Netzwerk. Die Tiere reduzieren die Stärke der Bindung untereinander und interagieren mit weniger Artgenossen. Dies zeigt eine Studie zur Gruppenstruktur von über 500 weiblichen Giraffen in Tansania eines internationalen Forscherteams unter Leitung der Universität Zürich.
Bis jetzt ist nur wenig erforscht, wie sich die Anwesenheit von Menschen auf die sozialen Beziehungen von Wildtieren auswirkt. Auch wenn die Tiere nicht getötet oder anderweitig verfolgt werden, könnte der zunehmende Kontakt zu Menschen indirekte tiefgreifende Auswirkungen haben. Denn möglicherweise werden dadurch überlebenswichtige Funktionen von sozialen Gruppen beeinträchtigt – etwa das gemeinsame Fressen oder die Aufzucht der Jungen.
Am Beispiel der Massai-Giraffen in Tansania haben dies Forschende vom Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften der Universität Zürich (UZH) genauer untersucht. Die Studie liefert den ersten robusten Beweis dafür, dass der Mensch die Sozialstruktur dieser charismatischen riesigen Pflanzenfresser verändert. Ebenfalls an dem Projekt beteiligt waren Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Tierverhalten, der Universität Konstanz sowie von der Pennsylvania State University in den USA.
Soziale Netzwerke der Giraffen kartieren
Für die Analyse brauchte es zunächst eine grosse Menge an Daten aus der Feldforschung: «Es ist eine Herausforderung, zwischen natürlichen und vom Menschen verursachten Einflüssen auf die sozialen Beziehungen zwischen Wildtieren zu unterscheiden», sagt Monica Bond, UZH-Doktorandin und Erstautorin der Studie.
Gemeinsam mit einem Kollegen dokumentierte sie deshalb über einen Zeitraum von sechs Jahren 540 Giraffenweibchen in zahlreichen sozialen Gruppen. Die Tiere leben im grossen Tarangire-Ökosystem in Tansania in unterschiedlicher Nähe zu menschlichen Siedlungen. Die Forschenden identifizierten die einzelnen Giraffen anhand ihrer einzigartigen und unveränderlichen Fleckenmuster. Daraus resultierte das grösste soziale Netzwerk, das je für eine grosse Population wildlebender Säugetiere untersucht wurde.
Weibchen leben in Gruppen
Die Auswertung lieferte neue Erkenntnisse über die sozialen Beziehungen von Giraffen: Die Weibchen leben in einer komplexen mehrschichtigen Gesellschaft – wobei jedes Tier die Gesellschaft einiger Artgenossinnen vorzieht, während es andere meidet. Das resultiert in klar voneinander abgegrenzten sozialen Gruppen, die etwa 60 bis 90 Weibchen umfassen und sich kaum durchmischen, selbst wenn sie im selben Gebiet leben. «Die Studie zeigt, dass die soziale Strukturierung ein wichtiges Merkmal weiblicher Giraffenpopulationen ist», sagt Barbara König, UZH-Professorin und Mitautorin der Studie.
Menschen beeinträchtigen die Gemeinschaft
Die Analyse ergab aber auch, dass die sozialen Netzwerke Anzeichen von Störungen aufweisen, wenn die Giraffengruppen in Kontakt mit Menschen kommen: In der Nähe von traditionellen Dörfern der einheimischen Massai bildeten die einzelnen Giraffen weniger starke Bindungen untereinander aus und interagierten mit insgesamt weniger Individuen.
Die Forschenden vermuten, dass die Giraffen in der Nähe der Dörfer öfter auf Vieh und Menschen treffen, was zur vermehrten Aufsplitterung der Gruppen führen könnte, obwohl die Massai die Giraffen tolerieren. Diese Störung der Sozialstruktur könnte – neben der Wilderei und dem Verlust von Lebensraum und Nahrungsangebot – mit ein Grund dafür sein, dass die Population der Massai-Giraffen in den letzten Jahren um 50 Prozent zurückgegangen ist.
Kälbchen besser geschützt
Weitere Untersuchungen zeigten, dass sich Weibchen mit Kälbern eher in der Nähe der traditionellen Dörfer aufhielten – möglicherweise, weil die Jungen dort besser vor Angriffen durch Löwen und Hyänen geschützt sind. «Es scheint, dass weibliche Giraffen mit einem Kompromiss zwischen der Aufrechterhaltung wichtiger sozialer Bindungen und der Verringerung des Risikos für ihre Kälber konfrontiert sind», erklärt Bond.
Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Anwesenheit des Menschen eine wichtige Rolle beim zukünftigen Erhalt dieser Giraffenart spielt. Darüber hinaus unterstreicht die Studie, wie die hochmoderne Analyse von sozialen Netzwerken helfen kann, bislang verborgene Ursachen für den Rückgang von Populationen aufzudecken.
Originalpublikation:
Monica L. Bond, Barbara König, Derek E. Lee, Arpat Ozgul, and Damien R. Farine. Proximity to humans affects local social structure in a giraffe metapopulation. Journal of Animal Ecology. 9 June 2020. DOI: 10.1111/1365-2656.13247

09.06.2020, ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung
Biodiversitätsforschung: Studie zu Konfliktlinien beim Thema Insektenschutz
Das Insektensterben hat gravierende Folgen für die Ökosysteme und damit auch für die Lebensgrundlagen der Menschen. Dieser Befund hat eine wissenschaftliche, politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung über Ursachen, Folgen und Gegenmaßnahmen ausgelöst. Aber wo genau verlaufen die Konfliktlinien? Auf welchem Wissen beruhen unterschiedliche Bewertungen? Wissenschaftler*innen des ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung haben Positionen und Konflikte im Zusammenhang mit dem Insektenrückgang und landwirtschaftlicher Praxis systematisch erfasst. Ihre Studie dient der Vorbereitung auf einen erfolgreichen Dialogprozesses im Forschungsprojekt DINA.
Die Suche nach Lösungen für komplexe Probleme scheitert häufig daran, dass unterschiedliche Beteiligte so grundverschiedene Vorstellungen haben – von Ursachen, Folgen und Maßnahmen –, weshalb eine gemeinsame Bewertung geeigneter Lösungswege nicht gelingt. „Der drastische Rückgang von Insekten, selbst in Naturschutzgebieten, ist solch ein komplexes wie auch drängendes Problem, und die Debatte um mehr Insektenschutz hat sich in jüngster Zeit deutlich zugespitzt, beobachtet ISOE-Forscherin Alexandra Lux. Es handele sich um mehr als nur eine wissenschaftliche oder naturschutzfachliche Debatte. „In der Diskussion steht die Landwirtschaft besonders im Fokus und ist zugleich in besonderer Weise betroffen. Landwirtschaftliche Betriebe kämpfen ohnehin schon mit strukturellen Veränderungen, jetzt kommt der Befund des Insektensterbens noch hinzu.“
Aber während die Zielkonflikte zwischen – vor allem konventioneller – Landwirtschaft und Naturschutz offensichtlich seien, ließen sich die verschiedenen Positionen der politischen Akteure und Wissenschaftler*innen nicht so eindeutig erkennen. Mit ihren Kollegen Thomas Fickel und Florian Dirk Schneider hat Alexandra Lux deshalb in einer Diskursfeldanalyse herausgearbeitet, welche Positionen und Konflikte seit 2016 zum Thema Insektensterben besonders dominant sind. Dafür haben die ISOE-Forscher*innen die vier „Diskursarenen“ Landwirtschaft, Naturschutz, Politik und Wissenschaft untersucht. Das Ziel: „Mithilfe der Studienergebnisse wollen wir einen konstruktiven Dialog auf lokaler Ebene zwischen den Beteiligten vorbereiten und unterstützen. Nur so lassen sich praxistaugliche Lösungsansätze zum besseren Schutz der Artenvielfalt entwickeln. Und wir wollen zeigen, wie weit in solchen Dialogprozessen konkrete Empfehlungen für Politik, Landwirtschaft und Kommunen erarbeitet werden können“, sagt Alexandra Lux. Die Diskursfeldanalyse ist Teil des Forschungsprojektes DINA – Diversität von Insekten in Naturschutzarealen unter der Leitung des NABU.
Befund des Insektenrückgangs gilt als unstrittig – die Ursachen dafür schon
Die Diskursfeldanalyse des ISOE zeigt, dass es eine große Übereinstimmung der Akteure gibt bei der Einschätzung, dass sich der Insektenrückgang vollzieht. „Wir haben gesehen, dass es für die wenigsten Akteure strittig ist, dass der Rückgang von Insekten flächendeckend ist, wie es der Weltbiodiversitätsrat IPBES 2019 beschrieben hat“, berichtet Alexandra Lux. Aber alle Akteure forderten eine bessere, objektive Datenlage im Rahmen eines umfassenden Insektenmonitorings. Bei der Umsetzung gingen die Meinungen jedoch auseinander. „Es gibt zum Beispiel sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, wer die Finanzierung eines Monitorings übernehmen sollte.“
Eine stark unterschiedliche Bewertung zeigt sich auch bei der Frage nach den wesentlichen Ursachen des Insektenrückgangs. Dazu lassen sich unterschiedliche Diskursstränge ausmachen. Zentral darunter sind die Ursachen Einsatz von Pflanzenschutzmittel, Einträge von Stickstoff, Verlust von Habitaten und ein nicht zielführendes Naturschutzgebietsmanagement. Weitgehend Konsens besteht aber über die Einschätzung, dass die Ursachenfaktoren sehr komplex miteinander verflochten sind, und dass weitere Forschung dazu nötig ist.
Großes Interesse an Insekten- und Umweltschutz vonseiten der Landwirtschaft
Tendenziell werden landwirtschaftliche Ursachen von Naturschutzakteuren und wissenschaftlichen Akteuren herausgestellt, während gerade diese von Landwirtschaftsakteuren mit Bezugnahme auf außerhalb der Landwirtschaft liegende Ursachen relativiert werden. „Die interessengetriebene Gewichtung wird im Untersuchungszeitraum 2016 bis 2019 aber zunehmend differenzierter,“ sagt Alexandra Lux. Die verschiedenen Akteure zeigten Verständnis und wachsende Anerkennung der unterschiedlichen Perspektiven. „Diese wichtige Dynamik im Diskurs ist für die weitere Zusammenarbeit mit Akteuren aus Landwirtschaft, Naturschutz, Politik und Wissenschaft auf lokaler wie auch auf Bundes- und Landesebene zentral, denn sie bietet Ansatzpunkte zur Kontrastierung und Vermittlung von gegensätzlichen Positionen.“
Von großer Bedeutung dürfte nach Einschätzung der ISOE-Autor*innen sein, dass viele landwirtschaftliche Akteure inzwischen ein großes Interesse an Insektenschutz und Naturschutz zeigen. Unter den gegebenen wirtschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen sind sie jedoch mit der schwierigen Abwägung zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Sicherung der bäuerlichen Existenz einerseits und Umwelt- und Insektenschutz andererseits konfrontiert. „Viele Akteure im Naturschutz teilen die Haltung von landwirtschaftlichen Vertreter*innen, dass die Lasten des Wandels nicht auf den Schultern der landwirtschaftlichen Betriebe allein liegen, sondern gesellschaftlich mitgetragen werden sollten,“ berichtet Alexandra Lux.
Forschungsprojekt DINA: Umwelteinflüsse auf Fluginsekten in Naturschutzgebieten
Die Diskursfeldanalyse ist Teil des Forschungsprojekts „DINA – Diversität von Insekten in Naturschutzgebieten“. Acht Projektpartner arbeiten in diesem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt an der Verbesserung der Datengrundlage zu Anzahl und Diversität von Fluginsekten in Naturschutzgebieten und angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen. Dazu erfasst das Forschungsteam bundesweit in 21 repräsentativen Gebieten Insektenpopulationen und erforscht Umwelteinflüsse auf die Tiere. Im Ergebnis entsteht die bislang größte Studie zu Fluginsekten in Schutzgebieten, die Auskunft darüber geben kann, welche Faktoren zum Insektensterben in welchem Umfang beitragen, und was notwendig und möglich ist, um den Trend umzukehren.
Projektpartner in DINA unter der Leitung des Naturschutzbund Deutschland (NABU) sind neben dem ISOE der Entomologische Verein Krefeld e.V. (EVK), das Internationale Zentrum für Nachhaltige Entwicklung der Bonn-Rhein-Sieg University of Applied Sciences (IZNE), die AG Spezielle Botanik an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR), das Institut für Umweltwissenschaften der Universität Koblenz-Landau sowie das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig des Leibniz-Instituts für Biodiversität der Tiere (ZFMK).
Originalpublikation:
Fickel, Thomas/Alexandra Lux/Florian D. Schneider (2020): Insektenschutz in agrarischen Kulturlandschaften Deutschlands. Eine Diskursfeldanalyse. ISOE-Materialien Soziale Ökologie, 59. Frankfurt am Main: ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung

09.06.2020, Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
Im Kopf des Dinosauriers
SNSB-Paläontologe Oliver Rauhut konnte zusammen mit Kollegen der Universität Greifswald und der Université de Fribourg zeigen, dass sich Spinosaurier wohl vorwiegend von kleinen Beutetieren wie Fischen ernährten. Auf diese Ernährungsweise deuten die inneren Strukturen eines Spinosaurier-Schädels hin. Mittels computertomographischer Analysen gelang es, die Form des Gehirns sowie die Bogengänge des Innenohrs zu rekonstruieren. Die Ergebnisse der neuen Studie veröffentlichten die Paläontologen nun in der wissenschaftlichen Zeitschrift Scientific Reports.
Die Spinosaurier sind eine Gruppe von großen bis gigantischen Raubdinosauriern, die in der Kreidezeit (von vor etwa 145 bis vor etwa 66 Mio. Jahren) insbesondere auf der Südhalbkugel weit verbreitet waren. Obwohl die größten Formen, wie etwa der bekannte Spinosaurus, mit bis zu 18 Metern Länge selbst den berühmten Tyrannosaurus (der etwa 12 m erreichte) noch klein aussehen lassen, entsprechen die Spinosaurier nicht so ganz unserem typischen Bild eines Raubdinosauriers. Im Gegensatz zu den mächtigen, kräftig gebauten Schädeln eines Tyrannosaurus oder eines Allosaurus war ihr Schädel eher niedrig und langgestreckt, und es wird seit einiger Zeit vermutet, dass diese Tiere sich hauptsächlich von Fischen und ähnlicher, eher kleiner Beute ernährt haben.
Einen wichtigen Einblick in die Lebensweise eines Tieres können die Sinnesorgane und die Hirnstruktur geben. Bei Tyrannosaurus hat man durch solche Studien zum Beispiel herausfinden können, dass diese Tiere einen hervorragenden Geruchsinn hatten, was für ein großes Raubtier mit Sicherheit ein großer Vorteil war. Leider sind jedoch von Spinosauriern bisher wenige Schädelreste bekannt, und viele Aspekte der Schädelanatomie dieser Tiere sind daher noch unklar.
Eine erste Untersuchung des Hirnraumes und der damit assoziierten Sinnesorgane eines Spinosauriers haben nun Marco Schade von der Universität Greifswald zusammen mit Oliver Rauhut von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie in München (SNSB-BSPG) und Serjoscha Evers von der Université de Fribourg durchgeführt. Dafür untersuchten sie den Schädel des mittelgroßen Spinosauriers Irritator aus der unteren Kreide (vor ca. 115 Mio. Jahren) von Brasilien. Um die inneren Strukturen des Schädels, wie etwa den Hirnraum und das Innenohr, sichtbar zu machen, wurde der versteinerte Schädel am Deutschen Herzzentrum München und bei Zeiss Messtechnik in Essingen mit hochauflösenden Computertomographen durchleuchtet. Die so gewonnenen Daten erlaubten es, die Form des Gehirns und seiner umgebenden Gewebe sowie die Bogengänge des Innenohrs zu rekonstruieren, die für die Balance und Bewegung eines Tieres eine große Rolle spielen.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Form des Gehirns bei Spinosauriern durchaus der anderer großer Raubdinosaurier entsprach. Interessant waren jedoch die Befunde am Innenohr und einer assoziierten Gehirnregion, dem sogenannten Flocculus. Letzterer ist bei heutigen Tieren hauptsächlich für die Fixierung der Augen bei Bewegungen wichtig und war bei Irritator deutlich stärker ausgeprägt als bei anderen großen Raubdinosauriern. Zusammen mit der Struktur des Innenohres deutet dies darauf hin, dass dieses Tier schnelle, sehr präzise Bewegungen mit dem Schädel durchführen konnte, ohne dabei eine potentielle Beute aus den Augen zu verlieren. Gleichzeitig zeigt die Struktur des Innenohres, dass der Schädel normalerweise wohl mit relativ stark nach unten gerichteter Schnauze gehalten wurde, ähnlich wie bei Störchen. Dadurch wurde das Sichtfeld über der Schnauze frei, was dem Tier eine bessere Fixierung von möglichen Beutetieren erlaubte. Diese Eigenschaften waren für ein Tier, das sich darauf spezialisiert hat, kleinere Beutetiere mit schnellen Bewegungen des Kopfes zu packen sicherlich von großem Vorteil und unterstützen somit die Interpretation der Spinosaurier als Raubtiere, die eher auf die Ergreifung kleinerer Beutetiere, wie eben Fische, spezialisiert waren.
Originalpublikation:
Schade M, Rauhut OMW, Evers SW (2020) Neuroanatomy of the spinosaurid Irritator
challengeri (Dinosauria: Theropoda) indicates potential adaptations for piscivory. Scientific Reports https://www.nature.com/articles/s41598-020-66261-w

10.06.2020, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Chagas-Wanzen finden auch in Europa geeignete klimatische Bedingungen
Frankfurter Forscher projizieren mithilfe ökologischer Modelle die Verbreitungsgebiete der Überträger der Chagas-Krankheit
Mit der Chagas-Krankheit kann man sich eigentlich nur in Lateinamerika infizieren, denn die Wanzenarten, die die Krankheit übertragen, kommen nur dort vor. Wissenschaftler der Goethe-Universität und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung haben jetzt anhand ökologischer Modellrechnungen getestet, inwieweit sich Habitate auch außerhalb Amerikas für die Wanzen eignen. Das Ergebnis: Für zwei Chagas-Wanzenarten herrschen auch im südlichen Europa günstige klimatische Lebensbedingungen, für eine weitere entlang der Küsten Afrikas und Südostasiens. Die Frankfurter Wissenschaftler fordern daher ein aufmerksames Beobachten der aktuellen Verbreitung der Chagas-Wanzen. (eLife DOI: 10.7554/eLife.52072)
Meist verläuft die akute Phase der Tropenkrankheit Chagas (Amerikanische Trypanosomiasis) unauffällig: Nur in jedem dritten Fall verursachen die infizierenden Parasiten (Trypanosoma cruzi) überhaupt Symptome, die dann auch noch unspezifisch sein können, wie Fieber, Nesselsucht und geschwollene Lymphknoten. Doch die Parasiten bleiben im Körper, und mehrere Jahre später kann die chronische Chagas-Krankheit lebensbedrohlich werden, mit einer krankhaften Vergrößerung des Herzens und einer fortschreitenden Lähmung des Magen-Darm-Trakts. Eine Impfung gegen die Chagas-Krankheit gibt es nicht. Weltweit sind nach Schätzungen der WHO etwa 6 bis 7 Millionen Menschen infiziert, wobei der Großteil in Lateinamerika lebt (ca. 4,6 Millionen), gefolgt von den USA mit über 300.000 und Europa mit ca. 80.000 infizierten Menschen.
Die Chagas-Parasiten werden durch Blut saugende Raubwanzen übertragen, die den Erreger mit dem Blut aufnehmen. Nach einer Entwicklungszeit im Darm der Raubwanzen werden die Parasiten mit dem Kot ausgeschieden. Durch den starken Juckreiz, den der Stich der Wanzen auslöst, wird der hochinfektiöse Kot versehentlich in die Wunde gerieben. Auch eine Übertragung durch orale Aufnahme von mit Raubwanzenkot kontaminiertem Essen ist möglich.
Forscher um die Frankfurter Parasitologen und Infektionsbiologen Fanny Eberhard und Prof. Dr. Sven Klimpel haben in Modellrechnungen untersucht, welche klimatischen Bedingungen auf der Welt günstig für lateinamerikanische Chagas-Wanzen sind. Dabei flossen insbesondere Temperatur und Niederschlagsmuster in die Berechnung der klimatischen Eignung eines Gebiets ein. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass heute neben Lateinamerika auch Zentralafrika und Südostasien geeignete Lebensbedingungen für Chagas-Wanzen bieten. Zwei der Chagas-Wanzenarten, Triatoma sordida und Triatoma infestans, finden mittlerweile in klimatisch gemäßigten Regionen im südlichen Europa gute Lebensumstände, wie zum Beispiel in Portugal, Spanien, Frankreich und Italien. Beide Wanzenarten übertragen in Lateinamerika sehr häufig die gefährlichen Parasiten und sind dort innerhalb oder in der Nähe von Häusern und Ställen zu finden, wo sie ihre nächtlichen Blutmahlzeiten bevorzugt von Hunden, Hühnern oder Menschen einnehmen.
Eine andere Chagas-Wanzenart, Triatoma rubrofasciata, ist bereits außerhalb Lateinamerikas nachgewiesen worden. Die Modellrechnungen der Frankfurter Wissenschaftler sehen geeignete Lebensbedingungen an weiten Teilen der afrikanischen und südostasiatischen Küsten.
Prof. Dr. Sven Kimpel erklärt: „Es leben in Europa zwar Menschen, die in Lateinamerika mit Chagas infiziert wurden und unwissentlich Träger von Trypanosoma cruzi sind. Auf andere Menschen übertragen werden kann der Parasit jedoch derzeit nur zum Beispiel über ungetestete Blutkonserven oder von einer Mutter auf ihr ungeborenes Kind. Ansonsten benötigt Trypanosoma cruzi Chagas-Wanzen als Zwischenwirt. Und diese Wanzen finden zunehmend günstige klimatische Bedingungen auch außerhalb Lateinamerikas. Ausgehend von unseren Daten wären daher Monitoring-Programme für die Verbreitung der Chagas-Wanzen denkbar. Ebenso könnte eine Meldepflicht für die Chagas-Krankheit hilfreich sein.“
Publikation: Fanny E. Eberhard, Sarah Cunze, Judith Kochmann, Sven Klimpel. Modelling the climatic suitability of Chagas disease vectors on a global scale. eLife 2020;9:e52072 doi: 10.7554/eLife.52072, https://elifesciences.org/articles/52072

10.06.2020, Veterinärmedizinische Universität Wien
Anders als Wölfe, sind Hunde in den Menschen vernarrt
Hunde sind der „beste Freund des Menschen“. Eine aktuelle Studie des Domestikation Labs der Vetmeduni Vienna erbrachte nun den Nachweis, dass die Domestizierung dafür verantwortlich ist. Hunde scheinen sich demnach mehr als Wölfe zum Menschen hingezogen zu fühlen und zwar unabhängig von ihrer Sozialisierung.
Aktuelle Vergleichsstudien zu auf Menschen gerichtetem Verhalten von Hunden und Wölfen deuten darauf hin, dass die Domestizierung die allgemeinen Einstellungen von Hunden und nicht spezifische soziokognitive Fähigkeiten beeinflusst hat. Vor diesem Hintergrund legt eine aktuelle Hypothese – die sogenannte Hypersozialitätshypothese – nahe, dass die Domestizierung die allgemeine Geselligkeit von Hunden erhöht haben könnte.
Domestizierung erhöhte das soziale Interesse am Menschen
In einer nun präsentierten Studie gingen ForscherInnen des Domestikation Labs der Vetmeduni Vienna diesem Ansatz genauer nach und testeten einen Aspekt der Hypersozialitätshypothese – und zwar, was Hunde im Vergleich zu Wölfen zur Interaktion mit Menschen motiviert: Futter oder Streicheleinheiten. Und weiters, wie Erfahrungen mit Menschen die Motivation mit Menschen zu interagieren beeinflusst. Das zentrale Ergebnis der Studie: Die Domestizierung der Hunde hat ihr allgemeines Interesse an Menschen erhöht. Im Vergleich zu Wölfen haben Hunde ein deutliches höheres Interesse, in der Nähe des Menschen zu sein.
Treibende Motivation für die Interaktion mit Menschen weiterhin unklar
Dazu Martina Lazzaroni: „Unsere Studie stützt die Idee, dass die Domestizierung das Interesse von Hunden an der Nähe zu einem menschlichen Partner, der Futter oder Streicheleinheiten anbietet, beeinflusst hat. Dies scheint auch bei Hunden mit einer eher spärlichen Sozialisationserfahrung der Fall zu sein.“ Derzeit ist laut den ForscherInnen jedoch nicht klar, was genau die treibende Motivation für die Interaktion mit dem Menschen ist. „Zukünftige Studien, die Hunde mit unterschiedlichen Erfahrungen in unterschiedlichen Kontexten testen, und detailliertere Analysen der gezeigten Verhaltensweisen könnten helfen, diese spannende Frage zu beantworten“, so Lazzaroni weiter.
Versuchsanordnung: Wahlaufgabe für Wölfe und Hunde
Im Rahmen ihrer Studie verglichen die ForscherInnen Wölfe und Hunde, die im Wolf Science Center (WSC) der Vetmeduni Vienna leben, mit Haushunden und mit Straßenhunden in Marokko, die freilebend sind. Getestet wurde das Verhalten der Tiere mit einer zweistufigen Versuchsanordnung: In Phase 1 – dem Vortest – wurden die Tiere nacheinander mit zwei Personen konfrontiert. Eine Person lud das Tier zum Streicheln ein (Kontaktanbieter), die andere fütterte das Tier (Futteranbieter). In der daran anschließenden Phase 2 – der Testphase – konnten die Tiere wählen, welcher der beiden Personen sie sich nähern wollten, wobei sich beide in einer neutralen Haltung präsentierten. Überraschenderweise verbrachten die Straßenhunde in Phase 1 mehr Zeit mit dem Kontaktanbieter als Haushunde. Daher führten die ForscherInnen einen Folgetest für Hunde in einem vertrauten, ablenkungsfreien Bereich durch. Straßenhunde und Haushunde zeigten hier keine Unterschiede beim Ausmaß der Kuschelzeit.
Test zeigt keine klare Präferenz für einzelne Personen
In der Testphase (Phase 2) trafen die am WSC gehaltenen Hunde eher als Wölfe eine Entscheidung zwischen den beiden Experimentatoren. Allerdings konnten die ForscherInnen weder beim Vergleich der im WSC gehaltenen Hunde und Wölfe noch beim Vergleich zwischen Haushunden und den Straßenhunden eine klare Präferenz für eine Person feststellen. Damit stützen die Ergebnisse der Studie zwar die Hypothese, dass die Domestizierung das Verhalten von Hunden im Hinblick auf ihr allgemeines Interesse an der Nähe zu einem menschlichen Partner beeinflusst hat – und zwar auch bei Hunden mit einer eher spärlichen Sozialisationserfahrung, wie bei den Straßenhunden.
Service: Der Artikel „The Effect of Domestication and Experience on the Social Interaction of Dogs and Wolves With a Human Companion“ von Martina Lazzaroni, Friederike Range, Jessica Backes, Katrin Portele, Katharina Scheck and Sarah Marshall-Pescini wurde in Frontiers in Psychology veröffentlicht.
https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2020.00785/full

12.06.2020, Karlsruher Institut für Technologie
Maximal 20 pro Jahr: Ein klares Ziel für den Artenschutz
Der in der internationalen Biodiversitätskonvention beschlossene Zehnjahresplan für den Erhalt der biologischen Vielfalt hat seine Ziele zum Jahr 2020 verfehlt. Ein Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) setzt sich deshalb für eine übergeordnete politische Vorgabe ein, um den Diskussionen zum Artenschutz mehr Kraft zu verleihen: Zusammen mit einer Gruppe von Expertinnen und Experten anderer Forschungseinrichtungen engagiert er sich dafür, das Artensterben auf 20 verschwundene Spezies pro Jahr zu begrenzen. Darüber berichten sie aktuell in der Zeitschrift Science. (DOI: 10.1126/science.aba6592).
Der in der internationalen Biodiversitätskonvention beschlossene Zehnjahresplan für den Erhalt der biologischen Vielfalt hat seine Ziele zum Jahr 2020 verfehlt. Ein Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) setzt sich deshalb für eine übergeordnete politische Vorgabe ein, um den Diskussionen zum Artenschutz mehr Kraft zu verleihen: Zusammen mit einer Gruppe von Expertinnen und Experten anderer Forschungseinrichtungen engagiert er sich dafür, das Artensterben auf 20 verschwundene Spezies pro Jahr zu begrenzen. Darüber berichten sie aktuell in der Zeitschrift Science. (DOI: 10.1126/science.aba6592).
Das Zwei-Grad-Ziel des Übereinkommens von Paris dient der Klimapolitik als Fokus für notwendige Maßnahmen, um den Klimawandel aufzuhalten. Doch auch für den Artenschutz besteht dringender Handlungsbedarf. „Die Menschheit ist von der Biodiversität abhängig“, sagt Professor Mark Rounsevell, Leiter der Forschungsgruppe Landnutzungsänderung und Klima am Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Umweltforschung des KIT. „Ohne die Dienstleistungen unserer Ökosysteme, wie etwa das Bestäuben von Nutzpflanzen durch verschiedene Insekten, fehlt uns die Lebensgrundlage. Die Politik braucht daher ein klares Ziel, um die biologische Vielfalt zu erhalten.“ Ihre Forderung, das Aussterben von Spezies langfristig auf 20 pro Jahr zu begrenzen, ist nach Ansicht von Rounsevell und einer Gruppe weiterer Forscherinnen und Forscher ein sowohl leicht zu vermittelndes als auch messbares Ziel. Die Wissenschaftler wollen erreichen, dass die Vorgabe in die im kommenden Jahr stattfindenden Neuverhandlungen zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt mit einfließt. Die zuletzt von den Vertragsstaaten des Biodiversitätsabkommens beschlossenen sogenannten Aichi-Ziele enthielten 20 Kernziele unter anderem zum weltweiten Schutz von Ökosystemen und zur Förderung von Nachhaltigkeit.
Der Vorschlag von Rounsevell und der weiteren Experten basiert unter anderem auf Studien zur Belastungsgrenze des Planeten. Neben der Versauerung der Meere, der Luftverschmutzung oder dem Verbrauch von Süßwasser ist der Verlust von Biodiversität ein wesentlicher Parameter, welcher die Stabilität der weltweiten Ökosysteme unwiderruflich gefährden könnte. Beim Überschreiten eines bestimmten Schwellenwerts rechnen Forschende mit langfristigen negativen Folgen für die Umwelt. Um dies zu verhindern, sollte der Artenschwund aktuellen Erkenntnissen zufolge nicht mehr als das Zehnfache seines natürlichen Werts betragen. „Bei momentan rund zwei Millionen beschriebenen Spezies sind das rund 20 aussterbende Arten pro Jahr“, sagt Rounsevell. „Dabei schließen wir alle Pilz-, Pflanzen-, wirbellose sowie Wirbeltierarten mit ein, welche an Land, in Süß- oder in Salzwasserhabitaten leben.“
Notwendige Maßnahmen verbessern Gesamtzustand
Da die Geschwindigkeit des Artenschwunds bis heute immer weiter zunimmt, wären weitreichende umweltpolitische Maßnahmen erforderlich, um das Ziel der Biodiversitätsforscher umzusetzen. Damit würde sich die Vorgabe auch insgesamt positiv auf den Zustand der Ökosysteme auswirken. Analog dazu funktioniert das Zwei-Grad-Ziel im Klimaschutz: Obwohl die Temperatur nur einer von vielen Faktoren des komplexen Klimasystems ist, verbessern die für das Erreichen des Ziels notwendigen Maßnahmen den Klimaschutz insgesamt. Ein geringerer Temperaturanstieg wirkt sich indirekt etwa auch auf den Anstieg des Meeresspiegels oder das Auftreten von Wetterextremen wie Stürmen oder starken Regenfällen aus.
Als mögliche Handlungsoptionen schlagen Rounsevell und die Forschungsgruppe auf Grundlage der Empfehlungen des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) etwa vor, Naturschutzgebiete auszuweiten, den Artenschutz stärker finanziell zu fördern, Öko-Labels weiterzuentwickeln oder den Handel mit Wildtieren strafrechtlich konsequent zu verfolgen. Da Biodiversität auf regionaler Ebene unterschiedliche Formen annimmt, ist es nach Rounsevell notwendig, politische Maßnahmen auf lokale und regionale Gegebenheiten anzupassen. „Jedes Land muss einen eigenen Maßnahmenkatalog ausarbeiten und damit selbst Verantwortung übernehmen, um das Ziel zu erreichen“, sagt der Umweltforscher. Ob der neue Ansatz für den Artenschutz erfolgreich ist, solle kontinuierlich überprüft werden. „Um festzustellen, wie sich die Geschwindigkeit des Artensterbens entwickelt, sind umfangreiche Monitoringprojekte notwendig“, erklärt Rounsevell. Sind die Anstrengungen zum Schutz der Biodiversität erfolgreich, könne der Grenzwert für die Zahl pro Jahr verschwundener Spezies später weiter nach unten korrigiert werden.
Originalpublikation:
Mark D. A. Rounsevell, Mike Harfoot, Paula A. Harrison, Tim Newbold, Richard D. Gregory, Georgina M. Mace: A biodiversity target based on species extinctions. Science, 2020. (DOI: 10.1126/science.aba6592)

12.06.2020, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Neue Spinnengattung zu Ehren Greta Thunbergs beschrieben
Senckenberg-Arachnologe Peter Jäger hat eine neue Spinnengattung auf Madagaskar benannt: Unter dem Namen Thunberga werden nun fünf Arten innerhalb der Riesenkrabbenspinnen zusammengefasst. Der Name soll dabei bewusst an die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg und ihr Engagement gegen den Klimawandel erinnern. Jäger will damit auf die Bedrohung der madagassischen und globalen Artenvielfalt aufmerksam machen. Die Studie erschien gestern im Fachjournal „Zootaxa“.
Riesenkrabbenspinnen bauen keine Netze, sondern sind als aktive Jäger bekannt. „Schon lange wird ein großer Artenreichtum innerhalb dieser Gruppe vermutet“, erklärt Dr. Peter Jäger vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt und fährt fort: „Bislang wurde den afrikanischen Vertretern der Sparassidae aber wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Nun konnte ich dort eine bislang unbekannte Gattung beschreiben“.
Insgesamt vier Arten aus Madagaskar konnte Jäger der – von ihm neu beschriebenen und benannten – Gattung Thunberga zuordnen. Die Vertreter dieser Gruppe unterscheiden sich von anderen Riesenkrabbenspinnen vor allem durch die einzigartige Bezahnung ihrer Kieferklauen (Cheliceren) sowie ihren außergewöhnlich gepunkteten Vorderleib.
Auch eine gänzlich neue Art entdeckte er auf der afrikanischen Insel: Thunberga greta. Bei der Namenswahl hat die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg den Frankfurter Arachnologen inspiriert: „Ihr Einsatz im Kampf gegen den Klimawandel ist beeindruckend“, findet Jäger. Im Sommer 2018 streikte die mittlerweile 17-jährige zum ersten Mal vor dem schwedischen Parlament und setzte damit den Grundstein für die Fridays For Future-Bewegung, die mittlerweile in über 100 Ländern vertreten ist. Die Benennung der neuen Spinnengattung soll laut Jäger, der bereits an mehreren Demonstrationen teilgenommen hat, auch ein Weckruf sein, damit die Forderungen der Protestierenden vonseiten der Politik und Wirtschaft gehört werden: „Die steigenden Temperaturen beeinflussen alle Bereiche der Natur – die madagassische Endemitenvielfalt und Spinnenfauna eingeschlossen.“
Peter Jäger hat in den letzten 20 Jahren viele neue Spinnenarten beschrieben. Thunberga greta ist genau die 400. Art, die er entdeckt hat. Immer wieder macht er mit prominenten Namen auf Probleme aufmerksam, die die Natur unseres Planeten betreffen. Das bekannteste Beispiel war die südostasiatische Riesenkrabbenspinne Heteropoda davidbowie.
Originalpublikation:
Jäger, P. (2020) Thunberga gen. nov., a new genus of huntsman spiders from Madagascar (Araneae: Sparassidae: Heteropodinae). Zootaxa, 4790 (2), 245–260. Doi: 10.11646/zootaxa.4790.2.3

12.06.2020, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Vielseitige Symbionten: Schilfkäfer profitieren in allen Lebensstadien von bakteriellen Helfern
Bakterielle Symbionten unterstützen Larven und adulte Tiere ihres Wirts auf unterschiedliche Weise
Insekten, die sich nur von Pflanzen ernähren, haben einige Herausforderungen zu bewältigen. Sie haben aber auch tatkräftige Helfer, die ihnen bei der Versorgung mit wichtigen Nährstoffen zur Seite stehen: Symbiotische Mikroorganismen stellen essenzielle Aminosäuren, Vitamine oder Enzyme bereit und ergänzen so den eingeschränkten Speiseplan ihrer Wirtsinsekten und werten ihn auf. Auch die semiaquatisch lebenden Schilfkäfer haben solche Helfer, die das Angebot an Nährstoffen verbessern. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben in Zusammenarbeit mit Forschern am Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena sowie Kooperationspartnern in Hamburg und Japan die Beiträge der symbiotischen Bakterien zur ungewöhnlichen Lebens- und Ernährungsweise der Schilfkäfer untersucht. „Die Schilfkäfer konnten dank der Symbiose-Bakterien neue Nischen erschließen. Symbionten erweitern also das ökologische Potenzial ihres Wirts, aber noch spannender ist, dass sie die Anpassungsfähigkeit auch einschränken können“, erklärt Prof. Dr. Martin Kaltenpoth, Leiter der Abteilung Evolutionäre Ökologie an der JGU.
Symbionten unterstützen die Ernährung der Schilfkäferlarven unter Wasser
Schilfkäfer sind eine in ökologischer Hinsicht ungewöhnliche Gruppe von Blattkäfern mit ungefähr 165 Arten, die vollständig oder teilweise im Wasser leben. Die Larven der Schilfkäfer befinden sich unter Wasser und ernähren sich von Pflanzensaft, den sie aus den Wurzeln saugen. Die erwachsenen Käfer der meisten Arten leben über Wasser und fressen die Blätter von Pflanzen wie Gräsern und Seggen oder Seerosen. Im Gegensatz zu vielen anderen Blattkäfern unterscheidet sich also die Nahrungsquelle von Larven und adulten Tieren ein und derselben Art beträchtlich. „Das aquatische Lebensstadium der Larven ist ungewöhnlich“, erklärt Kaltenpoth und weist darauf hin, dass die Larven unter Wasser auch einen Kokon herstellen, aus dem die erwachsenen Käfer schlüpfen. Bereits seit Anfang der 1930er-Jahre ist bekannt, dass Schilfkäfer in enger Symbiose mit Bakterien leben, die bei den Larven in Blindsäcken am Mitteldarm siedeln, bei den erwachsenen Käfern aber in den sogenannten Malpighischen Gefäßen, die mit unseren Nieren vergleichbar sind. Außerdem war bekannt, dass Larven ohne diese Symbionten keinen Kokon bilden können. Wie genau die symbiotischen Bakterien zur Versorgung ihrer Wirte beitragen, blieb aber rätselhaft.
Die Arbeitsgruppe um Kaltenpoth hat mithilfe von Hochdurchsatz-Sequenzier-Technologien die Erbsubstanz der Symbionten von 26 Schilfkäferarten aus Nordamerika, Asien und Europa aufgeschlüsselt und die Komplettgenome der Symbionten rekonstruiert. Auf dieser Basis konnten Vorhersagen gemacht werden, was diese Mikroben für ihren Käfer-Wirt tun. Demnach können die Bakterien fast sämtliche essenziellen Aminosäuren produzieren, also die zehn lebensnotwendigen Eiweißbausteine, die die Käfer nicht selbst herstellen können. Dies dürfte gerade für die Larven besonders wichtig sein, weil der Pflanzensaft aus den Wurzeln nicht genügend Aminosäuren liefert – und vor allem nicht genug, um den eiweißreichen Kokon zu bauen. „Wir kennen diese Kooperation zur Versorgung mit allen oder den meisten essenziellen Aminosäuren zum Beispiel von Blattläusen und Zikaden, für Käfer ist das allerdings ungewöhnlich“, merkt Evolutionsbiologe Kaltenpoth an.
Einige Symbionten helfen erwachsenen Käfern beim Abbau von Pektinen
Noch interessanter ist jedoch der zweite Aspekt des Zusammenlebens von adulten Schilfkäfern und Bakterien. Einige Symbionten stellen ein oder zwei Enzyme bereit, die Pektine abbauen können. Pektine kommen in den Zellwänden von Pflanzen vor und sind schwer verdaulich. Sie können von Pektinasen aufgeschlossen werden und tragen dann zur Kohlenhydrat- und Energieversorgung der pflanzenfressenden Insekten bei.
In einem weiteren Schritt hat die Arbeitsgruppe einen Stammbaum der symbiotischen Bakterien erstellt und ihre evolutionäre Vergangenheit nachgezeichnet. Es zeigte sich, dass im Laufe der Evolution viermal unabhängig voneinander die Pektinasen aus dem Symbionten-Genom verschwunden sind. Käfer, die über ihre Symbionten keine Pektinasen erhalten, sind auf Gräser und Seggen spezialisiert – also Pflanzen mit wenig Pektin. „Diese Käfer haben die Wirtspflanze gewechselt und weil Gräser und Seggen nur wenig Pektin in der Zellwand aufweisen, waren die Pektinasen der Symbionten offenbar nicht länger hilfreich und sind verloren gegangen“, so Kaltenpoth. Käfer, die sich weiterhin von Seerosen, Schwanenblume oder Laichkraut ernähren, besitzen noch mindestens eine Pektinase.
Mikrobielle Symbionten können beides: Ökologische Nischen erweitern und einschränken
Die Arbeiten zeigen zum einen, dass Symbionten das ökologische Potenzial ihres Wirts verbreitern können und die Anpassung an eine neue Nische ermöglichen. Sie zeigen aber auch, dass symbiotische Mikroben die Auswahl an Wirtspflanzen einschränken können, wenn ihre enzymatischen Fähigkeiten verloren gehen. „Wir denken, dass diese Schilfkäferarten von Gräsern und Seggen nicht mehr auf pektinreiche Wirtspflanzen zurückwechseln können“, so Prof. Dr. Martin Kaltenpoth.
Schilfkäfer gehören zu den wenigen Käfergruppen, die von einer terrestrischen auf eine aquatische Lebensweise umgestiegen sind. Zu diesem Wechsel vom Land ins Wasser haben symbiotische Mikroorganismen einen maßgeblichen Beitrag geleistet, indem sie die Nährstoffversorgung der Larven und der adulten Käfer unterstützen. Sie sind jedoch nach dem Verlust der Pektinasen bei bestimmten Schilfkäferarten auch für die Einschränkung der ökologischen Nische ihrer Wirte verantwortlich.
Forschung mit ERC Consolidator Grant gefördert
Die Forschungsarbeiten zur mikrobiellen Ökologie von Schilfkäfern wurden durch einen ERC Consolidator Grant unterstützt, den Prof. Dr. Martin Kaltenpoth im Jahr 2018 zur Erforschung von Symbiosen zwischen Käfern und Bakterien erhalten hatte. Der Biologe ist seit 2015 Professor für Evolutionäre Ökologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er wird neuer Direktor am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena und dort ab Februar 2021 die neue Abteilung Ökologie und Evolution der Insekten aufbauen.
Originalpublikation:
F. Reis et al., Bacterial symbionts support larval sap feeding and adult folivory in (semi-)aquatic reed beetles, Nature Communications 11:2964, 11. Juni 2020,
DOI: 10.1038/s41467-020-16687-7
https://www.nature.com/articles/s41467-020-16687-7

16.06.2020, Deutsche Wildtier Stiftung
Hoffnungsträger aus dem Ei geschlüpft
Deutsche Wildtier Stiftung: Schreiadlerküken brauchen Mäuse statt großer Worte
In einem Adlerhorst in Lettland ist ein kleines Juwel aus dem Ei geschlüpft: Ein Schreiadlerküken hockt unter einem dichten Blätterdach im Nest und wartet auf Nahrung. Gibt es heute Frosch oder Maulwurf zum Frühstück? Per Webcam können Sie auf www.Schreiadler.org live verfolgen, ob Mama- und Papa-Schreiadler genug Nahrung finden oder nicht. Wenn Sie das Küken beobachten, hören Sie manchmal die Motorsägen der Forstarbeiter in der Ferne. Gehört der kleine Hoffnungsträger am Ende zu den Verlierern? Bei uns in Deutschland ist sein ursprünglicher Lebensraum bereits auf wenige Relikte zusammengeschrumpft. Nehmen auch hier Störungen und Nahrungsmangel weiter zu, wird es im nächsten Jahr keinen Nachwuchs im Adlerhorst mehr geben.
Der Rückgang der Biologischen Vielfalt ruft gerade Staats- und Regierungschefs auf den Plan. Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) veröffentlicht alarmierende Berichte, Brüssel will den „Green Deal“ mit einer ehrgeizigen Biodiversitätsstrategie bis 2030 und Bundesumweltministerin Svenja Schulze spricht von Biologischer Vielfalt als Lebensgrundlage und Schutzschirm vor Pandemien. „In der Umweltpolitik ist gerade die Zeit der großen Worte und Versprechen“, sagt Dr. Andreas Kinser, stellvertretender Leiter Natur- und Artenschutz der Deutschen Wildtier Stiftung. „Wir hoffen, dass am Ende nicht nur heiße Luft produziert wird, denn es geht um das Überleben unzähliger Arten.“
Zu ihnen zählt der Schreiadler. Intensive Land- und Forstwirtschaft vernichten in Deutschland ebenso wie in Lettland dichte Wälder, in denen er brüten kann, und Wiesen und Brachflächen, auf denen er seine Beutetiere findet. Der fortschreitende Ausbau von Windenergieanlagen verändert das Landschaftsbild und die störanfälligen Vögel geben angestammte Brutplätze auf. Deshalb fordert die Deutsche Wildtier Stiftung, dass Windkraftanlagen nur in einem Abstand von sechstausend Metern zu einem Schreiadler-Horst errichtet werden dürfen.
Der Bestand der Schreiadler hat sich in Deutschland zwar leicht erholt – die Zahlen stiegen in den letzten Jahren auf etwa 130 Brutpaare – doch das reicht bei Weitem nicht für das langfristige Überleben der Art. Deshalb hat die Deutsche Wildtier Stiftung gemeinsam mit Land- und Forstwirten eine schreiadlerfreundliche Landbewirtschaftung entwickelt, um den Lebensraum für den bedrohten Vogel zu verbessern. „Denn jedes einzelne Küken ist für den Erhalt der Art enorm wichtig“, sagt der Schreiadler-Experte der Deutschen Wildtier Stiftung. „Und am Ende helfen dem Küken keine großen Versprechungen, sondern ein paar Hektar mehr Wiesen, auf denen ihm seine Eltern sein Frühstück erjagen können.“

16.06.2020, NABU
Die Blaue Holzbiene brummt nach Norden
Großes Interesse an Insekten: Bei der Insektenzählung vom NABU haben deutlich mehr Menschen mitgemacht
Steinhummel auf Platz eins
Die Steinhummel ist das am häufigsten gesichtete Insekt in deutschen Gärten. Das zeigen die Halbzeitergebnisse des Insektensommers. Der NABU hatte dazu aufgerufen, vom 29. Mai bis zum 7. Juni Insekten zu zählen und online zu melden. Mehr als 8.300 Naturfreundinnen und -freunde haben in diesem Zeitraum mitgezählt und 4.948 Beobachtungen gemeldet. 2019 waren es 3.784 Beobachtungen.
„Von der Ameise bis zum Zitronenfalter, Insekten sind systemrelevant – wir freuen uns, dass viele Menschen das offenbar erkannt und sich am Insektensommer beteiligt haben“, so NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. „Bei der großen Vielfalt an Insekten – allein Deutschland leben rund 33.000 Arten – ist das Entdecken der so unterschiedlich gestalteten Sechsbeiner ein kleines Abenteuer.“
Die Top Ten sind in den bisher drei Zähljahren fast gleich geblieben: „Nach Steinhummel folgen Hainschwebfliege, Asiatischer Marienkäfer, Westliche Honigbiene, Siebenpunkt-Marienkäfer, Lederwanze, Ackerhummel, Fliege und Ameise. „Nur der Siebenpunkt-Marienkäfer ist ein Neueinstieg in die Top Ten“, so NABU-Insektenexpertin Laura Breitkreuz. „Das liegt sicher an unserer in diesem Jahr erstmals gestellten Entdeckungsfrage: Es sollte herausgefunden werden, ob Siebenpunkt- oder Asiatischer Marienkäfer häufiger gesichtet werden.“ Ergebnis bisher: Der vom Menschen zur Blattlausbekämpfung eingeführte Asiatische Marienkäfer liegt mit knapp 2.100 Meldungen klar vorne. Der Siebenpunkt wurde knapp 1.500 Mal gesichtet.
Da die Zählung bereits das dritte Jahr stattfindet, können auch erste Trends festgestellt werden. „Die Blaue Holzbiene, die ursprünglich nur in Südeuropa und manchen Regionen Süddeutschlands zu finden war, wandert nach und nach gen Norden“, so Breitkreuz. „Das können wir anhand unserer Daten gut nachvollziehen. Inzwischen ist die Blaue Holzbiene schon auf der Insel Rügen und in Schleswig-Holstein gesichtet worden.“ Die große Wildbiene steht in Deutschland auf der Vorwarnliste der Roten Arten, breitet sich aber derzeit weiter aus, da sie warme, trockene Bedingungen wie in den beiden vergangenen Jahren braucht. 2018 lag die Blaue Holzbiene auf Platz 46, kletterte 2019 auf Platz 24 und kam bei der jüngsten Zählung sogar auf Platz 22. Die Blaue Holzbiene ist die größte heimische Wildbienenart. Breitkreuz: „Sie wird oft für eine Hummel gehalten, ist aber nur eine entfernte Cousine.“ Im Gegensatz zu Hummeln und Honigbienen leben Holzbienen und viele andere Wildbienenarten nicht in Staaten. Für ihre Nester nagen sie lange Gänge in abgestorbenem Holz und hinterlegen Pollen als Nahrung für ihre Larven.
„Ob die Blaue Holzbiene sich in diesem Sommer weiter im Norden etabliert, wird die nächste Zählung im Hochsommer zeigen“, so Breitkreuz. Sie findet vom 31. Juli bis zum 9. August statt.
Mehr Infos und alle Ergebnisse: www.insektensommer.de

16.06.2020, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Verhaltensbiologen der Universität Münster weisen vorteilhafte hormonelle Veränderungen bei Meerschweinchen nach
Vor allem durch die Forschung mit Meerschweinchen ist seit Längerem bekannt, dass die soziale Umwelt während der Adoleszenz, also dem Zeitraum von später Kindheit über die Pubertät bis ins Erwachsenenalter, einen erheblichen Einfluss darauf hat, wie sich Individuen im späteren Leben verhalten. So sind beispielsweise Männchen, die während dieser Zeit nur mit einem Weibchen aufwuchsen, fremden Männchen gegenüber besonders aggressiv. Verhaltensbiologen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) konnten nun erstmals zeigen, dass die Männchen auch im Erwachsenenalter in der Lage sind, ihre Hormonsysteme an Veränderungen in der sozialen Umwelt anzupassen.
Wie passen Tiere ihr Verhalten im Laufe des Lebens an, um ihr Überleben und ihre Fortpflanzung zu sichern? Diese Frage beschäftigt Verhaltensbiologen weltweit. Unter anderem untersuchen sie dabei hormonelle Mechanismen, die das Verhalten der Tiere grundlegend beeinflussen und dadurch Anpassungen an verschiedene soziale Situationen ermöglichen.
Vor allem durch die Forschung mit Meerschweinchen ist seit Längerem bekannt, dass die soziale Umwelt während der Adoleszenz, also dem Zeitraum von später Kindheit über die Pubertät bis ins Erwachsenenalter, einen erheblichen Einfluss darauf hat, wie sich Individuen im späteren Leben verhalten. So sind beispielsweise Männchen, die während dieser Zeit nur mit einem Weibchen aufwuchsen, fremden Männchen gegenüber besonders aggressiv. Verhaltensbiologen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) konnten nun erstmals zeigen, dass die Männchen auch im Erwachsenenalter in der Lage sind, ihre Hormonsysteme an Veränderungen in der sozialen Umwelt anzupassen. Die Studie ist im Fachmagazin „Proceedings of the Royal Society B“ veröffentlicht.
Methodisches Vorgehen:
Die männlichen Meerschweinchen des Experiments wuchsen in verschiedenen sozialen Haltungsbedingungen auf – entweder in großen, gemischtgeschlechtlichen Kolonien mit einer Vielzahl von Artgenossen unterschiedlichen Alters oder paarweise mit einem gleichaltrigen Weibchen. Im Erwachsenenalter setzten die Wissenschaftler die Männchen individuell in eine Paarhaltung mit einem unbekannten Weibchen. So wurde für Männchen, die aus der Koloniehaltung stammten, eine Veränderung der sozialen Nische bewirkt.
Dagegen wurde für die Männchen aus der Paarhaltung zwar die weibliche Sozialpartnerin verändert – das Paarleben blieb jedoch gleich. Um unmittelbare Reaktionen der Männchen auf die neue soziale Umwelt festzustellen, beobachtete das Forscherteam das Verhalten der Männchen und bestimmte die Konzentrationen der Hormone Testosteron und Cortisol.
„Wir konnten nachweisen, dass die vorher in Kolonien gehaltenen Männchen einen Monat nach dem Umsetzen in eine Paarhaltung mit einem unbekannten Weibchen einen Abfall im Testosteron-Spiegel und einen Anstieg in der Cortisol-Antwort zeigten. Demnach glichen sich ihre Hormonsysteme denen von Männchen in der Paarhaltung an. Dadurch können die Tiere höchstwahrscheinlich auch ihr Verhalten an die neue Situation anpassen“, erläutert Alexandra Mutwill, Doktorandin bei Prof. Dr. Norbert Sachser am Institut für Neuro- und Verhaltensbiologie der WWU und Erstautorin der Studie. „Da im Fall der vorher paarweise gehaltenen Männchen zwar die Sozialpartnerin, nicht aber die soziale Nische verändert wurde, veränderten sich die Hormonsysteme nicht – der niedrige Testosteron-Spiegel und die hohe Cortisol-Antwort blieben bestehen.“
Wenn Meerschweinchen in einer großen Kolonie mit vielen anderen Tieren leben, ist ein hormoneller Status von Vorteil, der eine weniger aggressive Verhaltenstaktik begünstigt. Nach dem Umsetzen in eine Paarhaltung ist allerdings ein veränderter Hormonstatus förderlich, der es erlaubt, mit einer aggressiveren Taktik die Sozialpartnerin gegebenenfalls gegenüber fremden Männchen zu verteidigen. Die Veränderung in den Hormonsystemen schuf bei den Männchen aus der Koloniehaltung die Basis für so einen Wechsel der Taktik und repräsentiert wahrscheinlich eine evolutionäre Anpassung.
Originalpublikation:
Mutwill, A.M., Zimmermann, T.D., Hennicke, A., Richter, S.H., Kaiser, S., Sachser, N. (2020): Adaptive reshaping of the hormonal phenotype after social niche transition in adulthood. Proc. R. Soc. B Biol. Sci. 287: 20200667. https://doi.org/10.1098/rspb.2020.0667

16.06.2020, Forschungsverbund Berlin e.V.
Erfolgreiche Eizellenentnahme bei Südlichen Breitmaulnashörnern durch das BioRescue-Team im Serengeti-Park Hodenhagen
Um ein Aussterben von Tierarten wie dem Nördlichen Breitmaulnashorn zu verhindern, entwickelt das BioRescue-Konsortium Methoden und Ansätze für den Artenschutz weiter. Wichtiger Bestandteil dieser Arbeit ist die Grundlagenforschung in Kooperation mit zoologischen Einrichtungen. Diese Partnerschaft ermöglichte es dem BioRescue-Team auch zu Zeiten der Corona-Pandemie weiterzuarbeiten. Am 26. Mai 2020 wurden der Südlichen Breitmaulnashornkuh „Makena“ im Serengeti-Park in Hodenhagen Eizellen entnommen, anschließend im Avantea-Labor in Italien befruchtet und vier lebensfähige Embryos erzeugt.
Dies war der bisher erfolgreichste Einsatz des Teams und nährt die Hoffnung, dass die fortschrittlichen Methoden der assistierten Reproduktion (aART) soweit ausgereift sind, dass sie in naher Zukunft dem Nördlichen Breitmaulnashorn das Überleben sichern können.
Probleme bei der natürlichen Reproduktion sind oft ein wichtiger Faktor beim Rückgang von Wildtierbeständen, in freier Wildbahn wie in menschlicher Obhut. Daher sind Techniken und Methoden der assistierten Reproduktion von entscheidender Bedeutung für wissenschaftsbasierten Artenschutz. Das Nördliche Breitmaulnashorn ist aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage, fortzubestehen – beide noch verbliebenen lebenden Tiere sind Weibchen. Um die Art dennoch zu erhalten, wurde den beiden Eizellen entnommen, die im Labor mit zuvor eingefrorenem Sperma von bereits verstorbenen Bullen befruchtet wurden. Die erzeugten Embryos sollen in Leihmütter – verwandte Südliche Breitmaulnashörner – eingesetzt werden, damit auf diese ein Nördliches Breitmaulnashorn geboren wird.
Auch bei südlichen Breitmaulnashörnern gibt es Reproduktionsprobleme, sodass die Grundlagenforschung für diese komplizierten Methoden und Techniken als win-win-Situation für südliche und nördliche Breitmaulnashörner durchgeführt werden kann. Dafür ist die Kooperation mit zoologischen Einrichtungen essenziell: Am 26. Mai 2020 entnahm Prof. Dr. Hildebrandt mit seinem Team im Serengeti-Park in Hodenhagen der siebenjährigen Südlichen Breitmaulnashornkuh „Makena“ 12 Eizellen. Dies ist ermöglicht worden, da durch die Corona-Pandemie ein geeigneter Partner für Makena nicht in den Zoo transportiert werden konnte. Im Anschluss wurden die entnommenen Eizellen im Avantea-Labor in Italien gereift, bei sieben von ihnen war die Befruchtung mit Sperma eines Südlichen Nashornbullen aus dem Zoo Salzburg erfolgreich. Es entwickelten sich vier Embryos, die nun in Flüssigstickstoff konserviert sind. Dies ist der bislang erfolgreichste Einsatz bei diesem Vorgehen.
Durch die Beschränkung des internationalen Reiseverkehrs musste das BioRescue-Team eine für Mai geplante Prozedur in Kenia verschieben. Sie soll nachgeholt werden, sobald es die Umstände erlauben. BioRescue ist ein internationales Konsortium aus Forschungseinrichtungen, zoologischen Gärten und Artenschutzorganisationen. Es hat sich zum Ziel gesetzt, fortschrittliche Methoden der assistierten Reproduktion (aART) und Stammzell-assoziierte Techniken (SCAT) weiterzuentwickeln und sofort als neue wissenschaftsbasierte Interventionen im Artenschutz einzusetzen. Das Konsortium wird geleitet von Prof. Dr. Thomas Hildebrandt, Leiter der Abteilung Reproduktionsmanagement am Leibniz-IZW. Weitere Konsortialpartner sind das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), das AVANTEA Laboratory of Reproductive Technologies, der Safari Park Dvůr Králové, die Universita degli studi di Padua sowie Kyushu University. BioRescue wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

16.06.2020, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Rind vs. Flusspferd: Dung in Flüssen der Savanne
In vielen Regionen der Welt wurden Wildtiere durch die Viehzucht verdrängt, wie beispielsweise in Kenia die Flusspferde von großen Rinderherden. Das kann aquatische Ökosysteme aufgrund der erheblichen Unterschiede in der Menge und Art des Eintrags von Dung verändern. Forscher*innen von der University of Eldoret in Kenia, der Universität Innsbruck und dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben sich den Dung von Flusspferd und Rind deshalb genauer angeschaut.
In Binnengewässern gehört der Eintrag organischen Materials vom Umland zum natürlichen Stoffkreislauf. In den gemäßigten Breiten ist es – natürlicherweise – der Laubfall, der Nährstoffe in Gewässer einbringt, in den Flüssen der afrikanischen Savanne sind es die Flusspferde mit ihrem Dung. Dung von Tieren kann Gewässer mit Nährstoffen belasten und die ökologischen Funktionen von Gewässern beeinflussen. Die Verdrängung von Flusspferden durch Rinderherden verändert die Nährstoffeinträge in Gewässer und damit die Wasserqualität.
Professor Gabriel Singer, Dr. Frank O. Masese und Team untersuchten in Experimenten die Wirkungen der Nährstoff- und Kohlenstoffeinträge von Dung auf aquatische Ökosysteme. Die Forschenden entwickelten außerdem ein mathematisches Modell, um die Eintragsmengen an Dung durch Rinder und Flusspferde in den Mara-Fluss in Kenia zu vergleichen. Das einzelne Rind bringt zwar weniger Dung ins Gewässer als ein Flusspferd, viele Rinder führen jedoch dazu, dass der Einfluss dieser Tiergruppe stärker ins Gewicht fällt.
Rinderdung ist nährstoffreicher und regt das Wachstum von Pflanzen, Bakterien und Algen an:
Im Vergleich gelangen mit dem Rinderdung auch höhere Mengen an Nährstoffen wie Stickstoff, Phosphor und gelöster organischer Kohlenstoff in den Mara-Fluss. In den Versuchen konnten die Forschenden zeigen, dass durch den Rinderdung mehr pflanzliche Biomasse gebildet wird. Auch die Biomasse von Bakterien und Algen lag höher als beim Flusspferdedung. Das kann beispielsweise Nahrungsnetze im Fluss verändern.
„Allein durch den Austausch einer Tierart, die am Gewässerrand lebt, verändert sich der ökologische Zustand des Flusses. Wir zeigen mit unseren Ergebnissen die hohe artspezifische Bedeutung der verschiedenen großen Pflanzenfresser. Außerdem wird deutlich, wie Veränderungen in der Landnutzung oder der Zusammensetzung der Arten unbeabsichtigte Folgen haben, die bei Managementmaßnahmen erst einmal nicht im Fokus stehen, die man aber immer mitdenken muss. Insbesondere bei so wichtigen Ökosystemen wie den Gewässern der Savanne“, erklärt Gabriel Singer die Bedeutung der Untersuchung.
Originalpublikation:
Frank O. Masese; Mary J. Kiplagat; Clara Romero González-Quijano; Amanda L. Subalusky; Christopher L. Dutton; David M. Post; Gabriel A. Singer
Hippopotamus are distinct from domestic livestock in their resource subsidies to and effects on aquatic ecosystems.
Proceedings of the Royal Society of London: Ser. B, Biological Sciences. – 287(2020)1926, art. 20193000. https://doi.org/10.1098/rspb.2019.3000

17.06.2020, Dachverband Deutscher Avifaunisten
Volkszählung bei Steinkauz, Star und Stelzenläufer
Das Zwitschern und Singen der Vögel vor allem im Frühling – es ist nicht nur Allgemeinwissen, sondern auch Bestandteil unseres Lied- und Kulturgutes. Weniger bekannt ist, dass der Vogelgesang Artgenossinnen und Artgenossen zeigt: Hier ist mein Revier, hier wohnt meine Familie! Aus dem tierischen Verhalten lässt sich deshalb ableiten, wann, wo und wie viele Vögel in Deutschland jedes Jahr brüten. Mit der heute veröffentlichten Publikation „Vögel in Deutschland – Erfassung der Brutvögel“ zeigen die Herausgeber, der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA), die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten und das Bundesamt für Naturschutz (BfN), wie sich Interessierte an der Vogelerfassung auf vielfältige Weise beteiligen können. Erläutert werden sowohl die einzelnen Programme als auch die Vorgaben für die Kartierung von Brutvögeln. Jährlich beteiligen sich in Deutschland mehr als 20.000 Personen an der Erfassung von Brutvögeln, davon etwa ein Viertel an den Monitoringprogrammen.
„In kaum einem Bereich des Naturschutzes steht uns eine vergleichbar umfassende und hochwertige Datenbasis zur Verfügung wie bei den Vögeln“, resümiert BfN-Präsidentin Prof. Dr. Beate Jessel. „Die mit viel Engagement und profunden Kenntnissen erhobenen Daten sind Grundlage für die Vogelschutzberichte, die die Bundesregierung alle sechs Jahre an die EU-Kommission melden muss. Sie sind aber auch ein Indikator dafür, wie es um die biologische Vielfalt in Deutschland steht.“ Das Bundesamt für Naturschutz unterstützt den Ausbau des Vogelmonitorings und fördert die Einführung digitaler Werkzeuge zur Datenerfassung über das Online-Portal ornitho.de.
„Die Möglichkeiten, sich am Vogelmonitoring zu beteiligen, reichen von der Erfassung häufiger Arten wie dem Star bis hin zu seltenen Brutvögeln wie dem Steinkauz“, sagt Bernd Hälterlein, Vorsitzender des DDA. „Wir bieten Module zur Beobachtung einzelner Brutvogelarten wie der Uferschwalbe an, die den Einstieg in die Welt des Vogelmonitorings erleichtern.“
„Gerade in diesem Frühjahr, das von den Einschränkungen der Corona-Pandemie geprägt ist, zeigt sich das Bedürfnis vieler Mitmenschen, sich draußen in der Natur aufzuhalten und dabei Vögel zu beobachten“, stellt Dr. Kai Gedeon für die Staatlichen Vogelschutzwarten der Länder fest. „Mit unserer Veröffentlichung zeigen wir, dass das Vogelmonitoring Freude an der Beobachtung von Vögeln und immer wieder überraschende neue Einsichten in die Vogelwelt bietet. Gleichzeitig ist das Vogelmonitoring geeignet, Fakten für die Politikberatung bereitzustellen.“ Die Vogelschutzwarten der Länder sind in die Koordination des Vogelmonitorings vor Ort eingebunden und unterstützen es auch finanziell.
In der Publikation „Vögel in Deutschland – Erfassung der Brutvögel“ wird beschrieben, welche Voraussetzungen für die Mitwirkung am Vogelmonitoring erfüllt sein müssen, damit die Daten für wissenschaftliche Auswertungen genutzt werden können. Für den Einstieg in das Monitoring seltener Brutvögel kann dies zum Beispiel die sehr gute Kenntnis einer einzelnen zu kartierenden Art wie der Saatkrähe sein. Das Monitoring häufiger Brutvögel erfordert dagegen die sichere Bestimmung aller vorkommenden Arten, optisch und akustisch. Um sehr selten auftretende Arten wie den Stelzenläufer kümmern sich sogenannte Avifaunistische Kommissionen, deren Expertinnen und Experten mit ihrem Sachverstand das Auftreten neuer oder selten beobachteter Arten verifizieren. Das Online-Portal ornitho.de bietet die Möglichkeit, Vogelbeobachtungen zu dokumentieren: von den fütternden Schwanzmeisen im Garten bis hin zur Beobachtungsliste aller an einem See festgestellten Vogelarten.
Der DDA sorgt dafür, dass die ehrenamtlichen Aktivitäten bei der Vogelerfassung bundesweit koordiniert erfolgen, von Fachleuten geprüft werden und die Daten für die Beantwortung wichtiger Fragen zur Erhaltung der Artenvielfalt ausgewertet werden.
Die Publikation „Vögel in Deutschland: Erfassung der Brutvögel“ steht als PDF-Datei zum Download bereit unter https://www.dda-web.de/vid
Die gedruckte Publikation ist zum Preis von 9,80 Euro, zzgl. Versandkosten über den Schriftenversand des DDA erhältlich:
Telefon: 0251 / 21 01 40 0
E-Mail: schriftenversand@dda-web.de
Internet: https://www.dda-web.de/index.php?cat=pub&subcat=order

17.06.2020, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Ein Neandertaler aus der Tschagyrskaja-Höhle
Bisher hatten Forschende die Genome von zwei Neandertalern in einer hohen Qualität sequenziert. Einer dieser beiden Neandertaler stammte aus der Vindjia-Höhle im heutigen Kroatien, der andere aus der Denisova-Höhle im sibirischen Altai-Gebirge. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat nun das Genom eines dritten Neandertalers in einer hohen Qualität sequenziert, dessen Überreste in der etwa 106 Kilometer von der Denisova-Höhle entfernten Tschagyrskaja-Höhle gefunden worden waren.
Die Forschenden extrahierten DNA aus Knochenpulver und sequenzierten diese in einer hohen Qualität. Sie zeigen, dass die Knochen von einer Neandertaler-Frau stammen, die vor 60.000 bis 80.000 Jahren lebte, und dass sie und andere sibirische Neandertaler in kleinen Gruppen von weniger als 60 Individuen zusammenlebten. Der Vergleich mit anderen Neandertalergenomen ergab, dass die Neandertaler-Frau aus der Tschagyrskaja-Höhle enger mit dem kroatischen als mit dem sibirischen Neandertaler, der etwa 40,000 Jahre vor ihr lebte, verwandt war. Die Neandertaler-Populationen aus Westeuropa scheinen also irgendwann diejenigen aus Sibirien ersetzt zu haben.
„Außerdem fanden wir heraus, dass die Gene, die während der Adoleszenz im Striatum exprimiert wurden, mehr Veränderungen unterlegen waren, die eine Änderung der resultierenden Aminosäure zur Folge hatten, als das in anderen Bereichen des Gehirns der Fall war“, sagt Fabrizio Mafessoni, Erstautor der Studie. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Striatum – ein Teil des Gehirns, der verschiedene Aspekte der Kognition wie Planung, Entscheidungsfindung, Motivation und Belohnungswahrnehmung koordiniert – bei Neandertalern eine einzigartige Rolle gespielt haben könnte.
Originalpublikation:
Fabrizio Mafessoni et al.
A high-coverage Neandertal genome from Chagyrskaya Cave
PNAS, 16 June 2020, https://doi.org/10.1073/pnas.2004944117

17.06.2020, Forschungsverbund Berlin e.V.
Windparks am Schwarzen Meer könnten negativen Einfluss auf Fledermauspopulationen in großen Teilen Osteuropas haben
Entlang der Schwarzmeerküste Rumäniens und Bulgariens verläuft die Via Pontica, eine bedeutende Zugstrecke für Vögel in Osteuropa. Auch Fledermäuse nutzen diese Route. Genau hier wurden wegen guter Windverhältnisse in den vergangenen Jahren zahlreiche Windparks installiert, bei denen die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen zum Schutz von Fledermäusen bislang kaum umgesetzt werden. Ein rumänisches Forscherteam hat nun in Kooperation mit dem Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) nachgewiesen, dass dies zu hohen Todesraten wandernder Fledermausarten und möglicherweise erheblichen Einbrüchen auch bei weit entfernt lebenden Populationen in anderen Ländern führt.
Die Wissenschaftler*innen plädieren deshalb nachdrücklich für die flächendeckende Einführung von Abschaltzeiten während der Wanderungsmonate, die – wie das Team in einem Windpark vor Ort zeigen konnte – die Sterblichkeit der Fledertiere massiv und den Energieertrag der Turbinen nur unwesentlich reduzieren würden.
In den vergangenen zehn Jahren entwickelte sich die Küstenregion westlich des Schwarzen Meeres zu einem Hotspot für Windenergieproduktion in Osteuropa. Und das nicht ohne Grund. Denn günstige Windbedingungen machen den Betrieb von Windparks hier besonders rentabel. Außerdem ist die Region relativ dünn besiedelt, so dass Konflikte zwischen Betreibern und Anwohnern selten sind.
Genau in dieser Region verläuft eine wichtige Migrationsroute für zahlreiche Vogel- und Fledermausarten – die sogenannte Via Pontica, benannt nach der antiken römischen Straßenverbindung. Gerade hier sollte darauf geachtet werden, dass Maßnahmen wie kluge Abschaltzeiten tödliche Begegnungen von Vögeln und Fledermäusen mit Windkraftanlagen möglichst geringhalten. Internationale Übereinkünfte wie das EUROBATS-Abkommen und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union liefern dafür den rechtlichen Rahmen. Tatsächlich werden Schutzmaßnahmen und Monitoring in Osteuropa vielerorts gar nicht oder nur unzureichend umgesetzt. Entsprechend wenig sind die Zugtiere geschützt und es ist wenig über den Einfluss der Windparks auf die Fledermauspopulationen bekannt.
Ein rumänisches Forscherteam untersuchte in Kooperation mit dem Leibniz-IZW über einen Zeitraum von vier Jahren den Fledermausschlag in einem Windpark vor Ort. Der zwanzig Anlagen umfassende Park liegt im rumänischen Teil der Dobrudscha, einer historischen Küstenregion zwischen Donau und Schwarzem Meer, die das Grenzgebiet zwischen Rumänien und Bulgarien bildet. Die Wissenschaftler*innen stießen bei ihren auf vier Jahre verteilten Suchgängen im Windpark auf insgesamt 166 Fledermauskadaver 10 verschiedener Arten. Besonders häufig fanden sie Kadaver von Rauhautfledermäusen (Pipistrellus nathusii) und Großen Abendseglern (Nyctalus noctula). Viele Fledermäuse wiesen offene Wunden und/oder gebrochene Flügelknochen auf, starben also höchstwahrscheinlich in Folge direkter Kollisionen mit sich drehenden Rotorblättern. Etwa halb so viele Tiere starben ohne direkte Kollision an „Barotraumata“, also oftmals tödlichen Verletzungen der Lunge, die in Folge der gewaltigen Luftdruckunterschiede an den Rotorblättern in deren Nähe entstehen.
Da punktuelle Suchgänge jede Zeitperiode immer nur ausschnittweise wiederspiegeln, berechneten die Forscher*innen den Gesamtverlust an Tieren für die gesamte Zeit und berücksichtigten dabei das Suchmuster, die Suchzeitpunkte und weitere Faktoren, wie etwa den Abtrag von Kadavern durch Füchse und streunende Hunde. Demzufolge starben im Laufe von vier Jahren hochgerechnet 2.394 Fledermäuse im Windpark – das sind 30 Fledermäuse pro Windturbine und Jahr oder 14,2 Fledermäuse pro Megawatt und Jahr. „Diese Schlagrate ist extrem hoch“, sagt Dr. Christian Voigt, Leiter der Abteilung Evolutionäre Ökologie am IZW. „Zum Vergleich: In Mitteleuropa oder den USA liegen die höchsten Schlagraten bei gut 10 Fledermäusen pro Megawatt und Jahr.“ Eine am IZW durchgeführte Stabilisotopenanalyse von Fellproben zeigte zudem, dass 90 Prozent der Fledermäuse aus weit entfernten Regionen im Norden und Nordosten stammte – unter anderem aus der Ukraine, Weißrussland und Russland.
„Aus diesen Ergebnissen ergibt sich ein klares Bild“, erläutert Christian Voigt. „Die Schlagrate ist deshalb so hoch, weil der untersuchte Windpark mitten in einer wichtigen Migrationsroute für Fledermäuse steht. Damit hat der Windpark nicht nur einen negativen Einfluss auf lokale Fledermäuse, sondern auch auf weit entfernte Populationen. Umso wichtiger ist es, gerade an solchen Wanderungsrouten die Schlagrate mit passenden Maßnahmen so gering wie möglich zu halten.“
Dass dies relativ leicht zu erreichen ist, konnten die Wissenschaftler*innen vor Ort nachweisen. In Absprache mit ihnen erhöhte der Betreiber testweise den Schwellenwert (Anlaufgeschwindigkeit) der Windgeschwindigkeit, oberhalb der die Windturbinen in den wanderungsintensiven Sommermonaten in Betrieb gehen, auf 6,5 Meter pro Sekunde. Die Schlagrate fiel daraufhin massiv um 78 Prozent. „Der Energieertrag des Windparks sank dadurch lediglich um 0,35 Prozent pro Jahr. Der Betreiber hatte also nur einen geringen Verlust“, sagt Christian Voigt.
„Der untersuchte Windpark ist mit insgesamt 42 Megawatt Leistung eher klein“, so der IZW-Wissenschaftler weiter. „In der ganzen Dobrudscha-Region sind Windparks mit einer Gesamtleistung von mindestens 3.000 Megawatt in Betrieb, die in ihrer Gesamtheit langfristig zu einem Rückgang von Fledermauspopulationen in einem großen Teil Osteuropas führen könnten. Deshalb plädieren wir nachdrücklich für eine flächendeckende Einführung von Abschaltzeiten und höheren Schwellenwerten für Anlaufgeschwindigkeiten. Die Betreiber kostet das fast nichts. Und die Via Pontica könnte so wieder zu einer weitgehend sicheren Flugroute für Fledermäuse werden.“
Originalpublikation:
Măntoiu DS, Kravchenko K, Lehnert LS, Vlaschenko A, Moldovan OT, Mirea IC, Stanciu RC, Zaharia R, Popescu-Mirceni R, Nistorescu MC, Voigt CC (2020): Wildlife and infrastructure: impact of wind turbines on bats in the Black Sea coast region. European Journal of Wildlife Research (2020) 66:44
https://doi.org/10.1007/s10344-020-01378-x

18.06.2020, Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik
Menschliches Gehirngrößen-Gen vergrößert auch Gehirn von Affen
Dresdner und japanische Forscher zeigen, dass ein menschenspezifisches Gen einen größeren Neokortex beim Weißbüschelaffen hervorruft.
Die Vergrößerung des menschlichen Gehirns, insbesondere des Neokortex, während der Evolution steht in engem Zusammenhang mit unseren kognitiven Fähigkeiten wie Denken und Sprechen. Ein bestimmtes Gen mit dem Namen ARHGAP11B, welches nur der Mensch hat, veranlasst die Hirnstammzellen, mehr Stammzellen zu bilden, eine Voraussetzung für ein größeres Gehirn. Bisherige Studien haben gezeigt, dass ARHGAP11B, wenn es in Mäusen und Frettchen in unphysiologisch hohen Mengen gebildet wird, einen vergrößerten Neokortex hervorruft, aber seine Bedeutung für die Evolution der Primaten war bisher unklar. Forscher des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden zusammen mit Kollegen des Zentralinstituts für Versuchstiere (CIEA) in Kawasaki und der Keio-Universität in Tokio, beide in Japan, konnten nun zeigen, dass dieses menschenspezifische Gen, wenn es im Weißbüschelaffen, einem Neuweltaffen, in physiologischen Mengen gebildet wird, einen vergrößerten Neokortex hervorruft. Dies legt die Vermutung nahe, dass ARHGAP11B während der menschlichen Evolution eine Vergrößerung des Neokortex verursacht haben könnte. Die Forscher veröffentlichten ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift Science.
Der menschliche Neokortex, der evolutionär jüngste Teil der Großhirnrinde, ist etwa dreimal so groß wie der unserer nächsten Verwandten, der Schimpansen, und seine Faltenbildung nahm im Laufe der Evolution zu, um in den begrenzten Raum der Schädelhöhle zu passen. Eine zentrale Frage für Wissenschaftler ist, wie der menschliche Neokortex so groß wurde. In einer Studie aus dem Jahr 2015 hatte das Forscherteam um Wieland Huttner, Direktor und Forschungsgruppenleiter am MPI-CBG, festgestellt, dass Mausembryonen unter dem Einfluss des menschenspezifischen Gens ARHGAP11B im embryonalen Neokortex viel mehr neuronale Vorläuferzellen produzieren und sogar ihren normalerweise glatten Neokortex falten können. Diese Ergebnisse deuteten darauf hin, dass das Gen ARHGAP11B eine Schlüsselrolle bei der evolutionären Expansion des menschlichen Neokortex spielen könnte.
Die Entstehung des menschenspezifischen Gens
Das menschenspezifische Gen ARHGAP11B entstand durch teilweise Duplikation des ubiquitären Gens ARHGAP11A vor rund 5 Millionen Jahren, nachdem sich zwei Evolutionslinien voneinander getrennt hatten: die eine führte zum modernen Menschen, dem Neandertaler und dem Denisova-Menschen, die andere zum Schimpansen. In einer Anschlussstudie im Jahr 2016 entdeckte die Forschungsgruppe von Wieland Huttner eine überraschende Ursache dafür, dass das ARHGAP11B-Protein eine Sequenz von 47 Aminosäuren enthält, die für den Menschen spezifisch ist, im ARHGAP11A-Protein nicht vorkommt und für die Fähigkeit von ARHGAP11B zur Vermehrung von Hirnstammzellen essenziell ist. Es führte nämlich ein punktueller Austausch einer C- zu einer G-Base im ARHGAP11B-Gen zum Verlust von 55 Nukleotiden bei der Bildung der ARHGAP11B-Boten-RNA, was eine Verschiebung im Leseraster verursacht, die wiederum zu der menschenspezifischen, funktionell essenziellen Sequenz von 47 Aminosäuren führt. Diese Punktmutation dürfte sehr viel später erfolgt sein als die Entstehung des Gens selbst vor rund 5 Millionen Jahren, vermutlich irgendwann im Zeitraum von vor 1,5 Millionen bis rund 500.000 Jahren. Punktmutationen sind nicht unüblich, doch im Fall von ARHGAP11B scheint der Vorteil so gravierend gewesen zu sein, dass diese genetische Variante die menschliche Evolution unmittelbar beeinflusst hat.
Die Wirkung des Gens bei Affen
Bisher war jedoch ungeklärt, ob das menschenspezifische Gen ARHGAP11B auch bei nichtmenschlichen Primaten einen vergrößerten Neokortex verursachen würde. Um dies zu untersuchen, arbeiteten die Forscher in der Gruppe von Wieland Huttner mit Erika Sasaki am Zentralinstitut für Versuchstiere (CIEA) in Kawasaki und Hideyuki Okano an der Keio-Universität in Tokio, beide in Japan, zusammen. Diese japanischen Forscher sind Pioniere bei der Entwicklung einer Technologie zur Erzeugung transgener nichtmenschlicher Primaten. Der Erstautor der Studie, Postdoc Michael Heide, reiste nach Japan, um mit den Kollegen direkt vor Ort zusammenzuarbeiten. Gemeinsam erzeugten sie transgene Weißbüschelaffen (Neuweltaffen), die das menschenspezifische Gen ARHGAP11B im sich entwickelnden Neokortex exprimierten. Diese Affen haben dieses Gen normalerweise nicht. Japan hat ähnlich hohe ethische Standards und Vorschriften hinsichtlich Tierversuche und Tierschutz wie Deutschland. Die Gehirne von 101 Tage alten Föten des Weißbüschelaffen (50 Tage vor dem normalen Geburtsdatum) wurden in Japan gewonnen und zur detaillierten Analyse an das MPI-CBG in Dresden exportiert. Michael Heide erklärt: „Wir stellten in der Tat fest, dass der Neokortex des Gehirns der Weißbüschelaffen vergrößert und die Hirnoberfläche gefaltet war. Auch die sogenannte Kortikalplatte war dicker als normal. Darüber hinaus fanden wir eine höhere Anzahl bestimmter Vorläuferzellen, nämlich der basalen radialen Gliazellen, in der äußeren subventrikulären Zone, sowie eine höhere Anzahl von Neuronen in den oberen Schichten der Großhirnrinde. Letztere Neurone treten charakteristischerweise in der Primatenevolution vermehrt auf.“ Die Forscher hatten nun funktionelle Beweise dafür, dass ARHGAP11B eine Vergrößerung des Neokortex bei Primaten hervorrufen kann.
Ethische Überlegungen
Wieland Huttner, der die Studie leitete, ergänzt: „Wir haben unsere Analysen ganz bewusst auf die Föten des Weißbüschelaffen beschränkt, weil wir davon ausgegangen sind, dass dieses menschenspezifische Gen die Entwicklung des Neokortex im Weißbüschelaffen beeinflussen würde. Angesichts möglicher unvorhersehbarer Konsequenzen hinsichtlich der Hirnfunktion nach der Geburt hielten wir es deshalb für geboten – und aus ethischer Sicht für zwingend erforderlich –, zunächst die Auswirkungen von ARHGAP11B auf die Entwicklung des fötalen Neokortex des Weißbüschelaffen zu untersuchen.“
Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass diese Ergebnisse darauf hindeuten, dass das menschenspezifische ARHGAP11B-Gen im Laufe der menschlichen Evolution eine Vergrößerung des Neokortex verursacht haben könnte.
Originalpublikation:
Michael Heide, Christiane Haffner, Ayako Murayama, Yoko Kurotaki, Haruka
Shinohara, Hideyuki Okano, Erika Sasaki and Wieland B. Huttner: “Human-specific ARHGAP11B increases size and folding of primate neocortex in the fetal marmoset”, veröffentlicht von Science, via First Release, 18. Juni 2020.

18.06.2020, Forschungsverbund Berlin e.V.
Hightech-CT offenbart evolutionäre Anpassung ausgestorbener Krokodilverwandter beim Übergang vom Land ins Wasser
Der Baum des Lebens ist reich an Arten, die vom Wasser aufs Land übergegangen sind. Einige Arten nahmen jedoch die entgegengesetzte Richtung. Neue Einblicke in die Anatomie des Innenohrs des prähistorischen Reptils Thalattosuchia enthüllen jetzt Details über einen dieser Wendepunkte der Evolution. Während des Mesozoikums gingen die ausgestorbenen Krokodilverwandten nach einer langen halb-aquatischen Phase vollständig zur marinen Lebensweise über. Während dieses Prozesses passte sich das Skelett der Thalattosuchia schrittweise an den neuen Lebensraum Wasser an. Insbesondere die Anpassung des Gleichgewichtssystems im Innenohr dieses Reptils führte zu einer verbesserten Schwimmfähigkeit.
Im Vergleich zu Walen, die sich ohne längeres halb-aquatisches Stadium schnell an das Leben im Wasser anpassten, ist dies ein auffallend anderer Evolutionspfad für denselben Übergang. Diese neuen Erkenntnisse eines internationalen Forschungsteams sind durch den Einsatz eines Canon Hightech-Computertomographen (CT) des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) möglich geworden. Die Forschungsergebnisse sind in den „Proceedings of the National Acadamy of Sciences of the USA“ veröffentlicht.
Thalattosuchia-Arten existierten während des Mesozoikums vor etwa 182 bis 125 Millionen Jahren und entwickelten sich von ihren landlebenden Vorfahren zu schnell schwimmenden Raubtieren. Unter der Leitung von Wissenschaftler*innen der School of Geosciences der Universität Edinburgh untersuchte ein internationales Forschungsteam, welche evolutionären Veränderungen diese Krokodilverwandten bei ihrem Übergang vom Land ins Meer entwickelten. Dabei konzentrierte sich das Team auf eines der wichtigsten Gleichgewichtsorgane der Wirbeltiere – das Innenohr. Mithilfe hochauflösender Computertomographie (CT) wurden die Schädel von 18 Thalattosuchia aus dem Zeitraum spätes Trias bis frühe Kreidezeit gescannt, um einen Großteil der Evolutionsgeschichte der Krokodilverwandten (Crocodylomorpha) abzubilden. Die CT-Scans wurden mit den Scans von modernen Krokodilen verglichen. Ein Teil der CT-Scans wurde am Leibniz-IZW in Berlin durchgeführt. Die Röntgen-Scans offenbaren detaillierte Veränderungen im Gleichgewichtsorgan des Innenohrs, insbesondere im knöchernen Labyrinth, welches eine entscheidende Rolle bei der Wahrnehmung von Gleichgewicht und der räumlichen Orientierung spielt. „Thalattosuchia-Arten entwickelten bei ihrem Übergang vom Land zum Meer ein auffallend kompaktes, reduziertes und verdicktes knöchernes Labyrinth, welches an verkleinerte Labyrinthe anderer mariner Reptilien und solcher von Walen erinnert“, erklärt Guido Fritsch, Wissenschaftler und CT-Experte am Leibniz-IZW. „Ausgestorbene landlebende Krokodile hatten dagegen ein längeres und schmaleres Innenohrlabyrinth. Die Labyrinthe von halb-aquatischen Krokodilen, zu denen auch moderne Krokodile zählen, sind länger und kompakter als jene ihrer an Land lebenden Verwandten.“ Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass die Morphologie des Innenohrs eng mit dem Lebensraum der Tiere zusammenhängt.
Interessanterweise reduzierten die Thalattosuchia-Arten das knöcherne Labyrinth im Innenohr erst nach einer langen halb-aquatischen Phase, die mehrere zehn Millionen Jahre dauerte. Während dieser Phase veränderte sich zuerst ihr Skelett – Gliedmaße wurden zu Flossen, der Körper nahm eine stromlinienförmige Gestalt an. Dies erlaubte ihnen, sich im Wasser zu bewegen und verbesserte ihr Schwimmvermögen. Erst danach entwickelten sich die Veränderungen im Innenohr, womöglich als Reaktion auf veränderte sensorische Anforderungen, da die Thalattosuchia in tiefere, offene Gewässer vorstießen. Diese Anpassung unterscheidet sie von Walen, bei denen das Innenohrlabyrinth schon bald nach deren Übergang vom Land ins Wasser stark reduziert wurde, ohne dass es eine lange semi-aquatische Zwischenphase gab. Thalattosuchia und Wale nahmen somit unterschiedliche Entwicklungswege für dieselbe Art von Übergang.
Zukünftige Untersuchungen sollen aufdecken, welche Vorteile ein verkleinertes Innenohrlabyrinth bei einer aquatischen Lebensweise bietet, wie schnell die Thalattosuchia die Veränderungen im Innenohr beim Übergang vom Land ins Wasser entwickelten und wie sich andere Sinnesorgane während dieser Zeit veränderten.
Originalpublikation:
Inner ear sensory system changes as extinct crocodylomorphs transitioned from land to water
Julia A. Schwab, Mark T. Young, James M. Neenan, Stig A. Walsh, Lawrence M. Witmer, Yanina Herrera, Ronan Allain, Christopher A. Brochu, Jonah N. Choiniere, James M. Clark, Kathleen N. Dollman, Steve Etches, Guido Fritsch, Paul M. Gignac, Alexander Ruebenstahl, Sven Sachs, Alan H. Turner, Patrick Vignaud, Eric W. Wilberg, Xing Xu, Lindsay E. Zanno, Stephen L. Brusatte
Proceedings of the National Academy of Sciences May 2020, 117 (19) 10422-10428; DOI: 10.1073/pnas.2002146117

18.06.2020, Veterinärmedizinische Universität Wien
Das ist nicht Wurs(ch)t: Hunde schätzen von Natur aus Gerechtigkeit
Eine soeben veröffentlichte Studie der Vetmeduni Vienna zeigt: Hunde schätzen Gerechtigkeit, und zwar unabhängig von der Rasse. Demnach zeigen Vertreter von Hunderassen, die mit Fokus auf kooperative Eigenschaften mit dem Menschen gezüchtet werden, wie z.B. Hütehunde, den gleichen Gerechtigkeitssinn wie Vertreter von Hunderassen, bei denen in der Zucht andere Eigenschaften im Vordergrund stehen, wie z.B. Schlittenhunde.
Eine Aversion gegen Ungerechtigkeit wurde in Studien bereits bei einer Vielzahl von Tierarten nachgewiesen. Ein Erklärungsmodell dafür lautet, dass sich die Ungerechtigkeitsaversion gemeinsam mit der Fähigkeit zur Zusammenarbeit entwickelt hat. Insbesondere Hunde eigenen sich gut, um diese Annahme intensiv zu betrachten. ForscherInnen des Domestication Lab des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung und dem Messerli-Forschungsinstitut der Vetmeduni Vienna analysierten nun, ob Hunderassen, die mit Menschen kooperieren einen höheren Gerechtigkeitssinn haben als Artgenossen, bei denen dieses Rassemerkmal weniger stark ausgeprägt ist.
Um diese Hypothese wissenschaftlich zu testen, untersuchten die WissenschafterInnen 12 Vertreter von „kooperativ arbeitenden“ Rassen mit 12 Individuen von „unabhängig arbeitenden“ Rassen. Zentrales Ergebnis der Studie: Die Hypothese lässt sich nicht halten, Hunde lieben von Natur aus Gerechtigkeit, Rasse und Rassemerkmale haben keinen signifikanten Einfluss.
Keine Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Kooperativität und Ungerechtigkeitsaversion
Kooperativ und unabhängig arbeitende Hunderassen unterscheiden sich demnach nicht darin, inwieweit sie Ungerechtigkeit ablehnen. Allerdings liefert die Studie Hinweise dafür, dass es abhängig von den Rasseeigenschaften eine unterschiedliche Bereitschaft gibt, gegenüber Menschen ein erwünschtes Verhalten zu zeigen. Dazu Jim McGetrick vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung an der Vetmeduni Vienna: „Bei unserer “Pfotenaufgabe” waren Hunde kooperativ arbeitender Hunderassen eher bereit, auch ohne Belohnung die Pfote zu geben, als jene von nicht kooperativ arbeitenden Hunderassen. Vertreter der kooperativ arbeitenden Hunderassen waren tendenziell auch geselliger, als Hunde nicht kooperativ arbeitender Rassen und verbrachten mehr Zeit in der Nähe ihrer Hundepartner.”
Pfotenaufgabe: 20 Scheiben Wurst, aber nicht für jeden
Beim Test des Verhaltens der Tiere ging es um die sprichwörtliche Wurst: Bei der ersten Aufgabe, der sogenannten Pfotenaufgabe, wurden zwei Hunde mit drei Belohnungsvarianten getestet. In jeder der Varianten mussten beide Hunde abwechselnd auf Befehl die Pfote geben.
In Variante 1 wurden beide Hunde mit einem Stück Wurst für das Pfote-Geben belohnt. Ungerecht wurde es schließlich in Variante 2, wo nur einer der Hunde ein Stück Wurst für das Pfote-Geben bekam, während der andere Hund leer ausging. In Variante 3 erhielt einer der Hunde keine Belohnung für das Pfote-Geben, der andere Hund war allerdings nicht anwesend.
Daran anschließend wurde die sogenannte Futtertoleranz der beiden Hunde geprüft: Hier durften die Hunde gemeinsam 20 Scheiben Wurst aus einer Schüssel fressen, bis diese bis zum letzten Bissen aufgegessen war, dabei wurde ihr Verhalten beobachtet. Zum Abschluss des Tests war als dritte Aufgabe Kuscheln mit den menschlichen Partnern der Hunde angesagt, wobei auch hier ihr Verhalten wissenschaftlich beobachtet wurde.
Hinweise auf Unterschiede im Verhalten durch Zuchtselektion
„Insgesamt stützen unsere Ergebnisse nicht die Hypothese, dass sich Ungerechtigkeitsaversion und Kooperation gemeinsam entwickelt haben. Sie beleuchten jedoch mögliche Unterschiede im Selektionsdruck, den kooperativ arbeitende und unabhängig arbeitende Hunderassen während ihrer gesamten Evolutionsgeschichte erfahren haben“, so McGetrick. Vor diesem Hintergrund eröffnen sich laut den ForscherInnen spannende Ansätze für zukünftige Studien, die sich als Untersuchungsbereich auf ein besseres Verständnis der Unterschiede zwischen einzelnen Hunderassen konzentrieren könnten.
Originalpublikation:
Der Artikel „No evidence for a relationship between breed cooperativeness and inequity aversion in dogs“ von Jim McGetrick, Désirée Brucks, Sarah Marshall-Pescini, Friederike Range wurde in Plos One veröffentlicht. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0233067

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