24.06.2019, NABU
Steinhummel liegt zur Halbzeit beim Insektensommer vorn
Die Steinhummel liegt wie im Vorjahr zur Halbzeit der diesjährigen großen bundesweiten NABU-Insektenzählung vorn. Es folgen Honigbiene, Hainschwebfliege und auf Platz vier der Asiatische Marienkäfer. Der heimische und bekannte Siebenpunkt-Marienkäfer schafft es auch in diesem Jahr wieder nicht in die Top 20. Laut vorläufigem Auszählungsstand gingen die Schmetterlingssichtungen zum Vorjahreszeitraum um 40 Prozent zurück mit Ausnahme des Distelfalters, den Insektensommer-Teilnehmer dieses Jahr dreimal so oft gesehen haben wie 2018. Der farbenprächtige Falter ist einer der wenigen fast über den ganzen Erdball verbreiteten Schmetterlinge. Jedes Frühjahr wandern die Distelfalter aus dem Süden ein, mal sind es mehr, mal weniger.
Auch im zweiten Jahr des Insektensommers erkunden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am liebsten ihre unmittelbare Umgebung. Der am weitaus häufigste Zählort ist das nähere Wohnumfeld, wie der eigene Garten oder Balkon, gefolgt vom Park. Bislang beteiligten sich über 6.400 Insektenfans an der Aktion und gaben über 3.600 Meldungen über gesichtete Insekten ab.
„Im Zuge des Insektensommers erhalten wir zahlreiche Anfragen, was jeder direkt für den Schutz von Insekten tun kann. Es freut uns, dass es eine offensichtlich größere Sensibilität in der Bevölkerung gibt und die Bereitschaft, dieser artenreichsten Tiergruppe vor der Haustür geeignete Lebensräume zu bieten“, sagt NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Mit der Mitmachaktion will der NABU die fleißigen Helfer der Ökosysteme ins Licht der Öffentlichkeit stellen. In Deutschland gibt es etwa 33.000 Insektenarten. Fast 90 Prozent aller Wild- und Kulturpflanzen sind auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen. Wissenschaftler haben in den vergangenen Jahren einen drastischen Rückgang vor allem an Fluginsekten festgestellt.
„Große auffällige Insekten wie die Steinhummel oder Populationen wie Ameisen sind einfacher erkennbar, daher finden sie sich unter den häufig gemeldeten Arten“, so NABU-Insektenexpertin Daniela Franzisi. „Der Asiatische Marienkäfer steht in Konkurrenz zum heimischen Siebenpunkt-Marienkäfer. Insgesamt wurden weniger Schmetterlinge erfasst.“ Das zeige sich am Beispiel des weit verbreiteten Kleinen Fuchses. Obwohl es ein sehr angepasster Schmetterling ist und seine Raupe auf der Brennnessel lebt, die fast überall wächst, liegt er aktuell nur auf Platz 43 im Ranking. Im gleichen Zeitraum wurde er im Vorjahr mehr als doppelt so häufig gesehen.
Mit Spannung blickt der NABU nun auf den nächsten Zählzeitraum. Die nächste Insekten-Zählung findet im Hochsommer vom 2. bis zum 11. August statt, wenn die Heuschrecken zirpen und Libellen fliegen.
Beobachten und zählen ist fast überall möglich: Garten, Balkon, Park, Wiese, Wald, Feld, Teich, Bach oder Fluss. Das Beobachtungsgebiet soll nicht größer sein als etwa zehn Meter in jede Richtung vom eigenen Standpunkt aus. Gezählt wird eine Stunde lang. Insektenbeobachtungen melden kann man unter www.insektensommer.de oder direkt von unterwegs per Smartphone über die NABU-App „Insektenwelt“. Eine Besonderheit der App ist eine fotografische Erkennungsfunktion.
Die Daten der Aktion Insektensommer werden in Zusammenarbeit mit der Plattform www.naturgucker.de erfasst. Die Ergebnisse werden vom NABU ausgewertet und zeitnah veröffentlicht. Der Insektensommer findet dieses Jahr zum zweiten Mal statt. Im vergangenen Jahr beteiligten sich in beiden Zählräumen zusammen genommen 18.000 Menschen mit über 7.300 Beobachtungen.
24.06.2019, Deutsche Wildtier Stiftung
Warum die Gemeine Mücke gut ist
Deutsche Wildtier Stiftung: Sie ist für viele Wildtiere das Hauptgericht auf der Speisekarte
Bereits ihr Summen versetzt uns in Alarmstimmung: Mückenangriffe drohen im Schlafzimmer, im Wald und am Badesee. Die Quälgeister verschonen uns auch in diesem Sommer nicht. Das feucht-heiße Wetter ist für die Fortpflanzung der Gemeinen Mücke ideal! Nach den heftigen Sommergewittern finden sie überall Brutplätze. Jedes Mückenweibchen legt zwischen 200 und 400 Eier; der Nachwuchs schlüpft bereits nach wenigen Tagen. „Für Menschen ist die Gemeine Stechmücke – Culex pipiens – ein richtiges Biest. Für Wildtiere dagegen ein willkommener Snack“, sagt Jenifer Calvi von der Deutschen Wildtier Stiftung. „Denn bei vielen heimischen Wildtieren stehen Mücken ganz oben auf dem Speiseplan!“
Mücken sind in jedem Entwicklungsstadium – vom Ei über die Larve und Puppe bis zum fertigen Insekt – eine wichtige Nahrungsquelle für Wildtiere. Im Wasser fressen kleine Fische und Libellen bereits die Mückeneier. Die etwas größeren Larven werden gern von Vögeln aufgepickt, während Fledermäuse und anderen Insektenfresser die fertige Culex pipiens im Flug fangen und wegfuttern. Mücken erfüllen in der Natur also eine wichtige Aufgabe. „Sie sind auf der Welt, um gefressen zu werden“, so Calvi. „Der Zusatz ,gemein‘ bei der Bestimmung steht übrigens für ,gewöhnlich‘: Das Wort hat nichts damit zu tun, dass die Mücke uns sticht!“
Gute Mücke, böse Mücke? Dabei spielt das Geschlecht der Insekten eine Rolle. Jenifer Calvi: „Während die Weibchen stechen, weil sie das Blut für den Nachwuchs brauchen, piksen die Männchen nicht!“
25.06.2019, WWF World Wide Fund For Nature
Extreme Temperaturen, extreme Folgen
Hitzeperioden gefährden Pflanzen- und Tierarten in Deutschland. WWF: Klimakrise stoppen und Natur „fit“ für Veränderungen machen.
Anhaltende und durch die Klimakrise häufiger auftretende Hitzewellen und Extremwetterereignisse können drastische Auswirkungen auf unsere Tier- und Pflanzenwelt haben. Davor warnt die Naturschutzorganisation WWF Deutschland. „Studien gehen davon aus, dass in den nächsten Jahrzehnten durch die Auswirkungen der Klimakrise zwischen fünf und 30 Prozent unserer einheimischen Arten verloren gehen können“, warnt Albert Wotke, Referent Naturschutz bei WWF Deutschland. „Manche Tiere und Pflanzen können sich nicht schnell genug anpassen oder ihr Lebensraum, zum Beispiel ein Feuchtgebiet, verschwindet schlicht und ergreifend. Auch veränderter Konkurrenz- und Nahrungsbeziehungen können zum Problem werden, wenn etwa plötzlich neue Fressfeinde auftauchen oder Beutetiere verschwinden.“
Hinzu kommt: „Schon jetzt sind ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten bei uns vom Aussterben bedroht – und dann kommt auch noch die Klimakatastrophe obendrauf.“ Der WWF fordert daher, die heimische Natur möglichst rasch „fit für die Klimakrise“ und damit „zukunftssicher“ zu machen. Um die biologische Vielfalt zu erhalten brauche es umfassende Strategien zur Klimaanpassung – und deren rasche Verwirklichung. Außerdem müsse alles getan werden, um das Pariser Klimaabkommen erfolgreich in die Tat umzusetzen und die Erderhitzung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen.
Lange Phasen extremer Trockenheit in immer kürzeren Intervallen gehören für Wotke zu den zentralen Herausforderungen des Naturschutzes – aber auch der Land- und Forstwirtschaft: „Ernten verdorren, die Zahl der Waldbrände besonders in Kiefernwäldern wird zunehmen und durch den Hitzestress sind Bäume anfälliger für Schädlinge wie den Borkenkäfer.“ Auch Flüsse, Seen und Feuchtgebiete, denen in anhaltende Hitze- und Dürreperioden eine besondere Bedeutung als Wasserspeicher zukommt, sind bedroht – und das nicht nur, da sie austrocknen könnten. „Wenn die Wassertemperatur steigt, sinkt der Sauerstoffgehalt und zusätzlich erhöht sich durch die Wärme der Stoffwechsel der Tiere, was den Bedarf an Sauerstoff noch größer werden lässt. Während die Fische unter der Wärme leiden, gedeihen die Algen prächtig, was den Lebensraum für Fische zunehmend schrumpfen lässt und bei Absterben des Pflanzenmaterials Giftstoffe freisetzen kann. Solche Vorgänge können ganze Gewässer daher zum Kippen bringen“, erklärt Wotke.
Die Auswirkungen des Klimawandels sind sehr vielfältig, mögliche Maßnahmen aber auch: Es beginnt bei der gemeinschaftlichen Schaffung zusätzlicher Biotopverbünde und endet bei jedem Einzelnen, der beispielsweise durch die Schaffung von Regenwasserspeichern dabei mithelfen kann, weniger Grundwasser zu verbrauchen. Vor allem aber müssen wir alles tun, um unsere Klimaziele einzuhalten.
Beispiele für Arten, die von der Klimakrise betroffen sind:
Der Kuckuck wird sein Ei nicht los
Bei Zugvögeln zeigen sich die Auswirkungen des Klimawandels deutlich. Viele Arten fliegen im Herbst später Richtung Süden und kehren im Frühling eher wieder zurück. Der Kuckuck hat dadurch ein großes Problem: Er kommt gewöhnlich erst Ende April zurück nach Deutschland. Dann haben viele Vögel bereits gebrütet und es ist zu spät, um ihnen das Kuckucksei unterzujubeln.
Siebenschläfer wird zum Frühaufsteher
Je wärmer es ist, desto früher erwachen Siebenschläfer, Murmeltier und Co. aus ihrem Winterschlaf. Siebenschläfer suchen nach dem Aufwachen in verlassenen Höhlen und Nistkästen einen Platz für ihre Jungen. Sind sie zu früh dran, kommt es zu einer tödlichen Überschneidung: Stößt der Siebenschläfer noch auf Eier oder Jungvögel, frisst er sie. Durch die globale Erwärmung wachen Siebenschläfer nun über einen Monat früher auf – mit messbaren Auswirkungen auf den Bruterfolg bei heimischen Vogelarten.
Der Trauerschnäpper kommt lebensgefährlich zu spät Der Trauerschnäpper ist ein Zugvogel und überwintert in Zentralafrika. Seine Rückkehr nach Europa fällt normalerweise genau mit der größten Insektendichte bei uns im Frühling zusammen. Doch in den letzten Jahren findet die Insektenschwemme früher statt. Die Trauerschnäpper kommen zu spät und finden nicht mehr genug zu fressen. Einige Populationen in Europa sind deshalb schon um 90 Prozent zurückgegangen.
25.06.2019, Deutsche Wildtier Stiftung
Sahara-Hitze da – heimische Wildtiere bleiben cool
Deutsche Wildtier Stiftung: Wozu lange Löffel, Propeller-Flügel und ein sanftes Gemüt jetzt gut sind. Und: wie viel Liter Wasser pro Tag brauchen Wildtiere?
„Nach Gewittern und Unwettern wird es im Süden und Osten Deutschlands bis zu 40 Grad heiß“, warnen die Meteorologen. Da stöhnen nicht nur die Menschen, auch die Wildtiere machen jetzt „gaaaaaanz langsam“. Cool bleiben – das ist nun die Devise der Waldbewohner! Dabei ziehen sie zusätzlich den einen oder anderen Evolutionstrick aus dem Nähkästchen, weiß die Deutsche Wildtier Stiftung.
Rehe legen sich ab
Rehe stehen kurz vor der anstrengenden Paarungszeit – da geht es ohnehin in die Vollen. Sie, die jetzt noch in einer sehr „chilligen“ Stimmung sind und im Wald langsam herumbummeln, legen sich bei Hitze im Schatten des Waldes faul ab. In den kühleren Abend- und Morgenstunden geht es dann gemächlich auf Futtersuche.
Wildschweine belegen Naturbäder
So ein Waldbad ist herrlich erfrischend: Das sind die feuchten Suhlen und seichten Teiche, die im Wald zu finden und vom letzten Regen noch gefüllt sind. Da die Sauen immer im Familienverbund zusammen sind – Tanten, Schwestern, Nichten – treffen sich ganze Familien am kühlenden Nass. Das können bis zu 30 Tiere sein – alles hört dabei auf die Kommandos der Leitbachen, sie führen die Badegesellschaften an.
Der Fuchs bleibt im Bau
Er macht’s richtig und legt eine lange Siesta ein – nachmachen, wenn möglich! Bei großer Hitze verbringen Füchse den Tag im schattigen Bau oder graben sich Erdmulden, wobei die oberste warme Erdschicht entfernt wird. Wie Hunde hecheln sie dabei die Wärme über die Zunge weg.
Hummeln werden zum „Ventilator“
Hummeln bleiben bei Hitze am Nest – die Brut darf nicht austrocknen! Ihre Flügel nutzen sie jetzt wie Propeller – und erzeugen so durch hochtouriges Flügelschlagen einen Hauch Abkühlung.
Junge Feldhasen profitieren vom inneren „Wassertank“
Hasen geben die Körperwärme über ihre langen Löffel ab, ruhen in einer kleinen Kuhle auf der Wiese. Bei jungen Hasen, die noch gesäugt werden, dient das Fett in der Muttermilch im Sommer als eine Art innerer „Wasserspeicher“. Da beim Abbau von 1 Gramm Fett im Tierkörper 1,1 Gramm Wasser entstehen, haben Junghasen auch in trockenen Jahreszeiten Wasser verfügbar, mit dem sie – beispielsweise durch Hecheln und Einspeicheln – eine Überhitzung vermeiden können.
25.06.2019, Forschungsverbund Berlin e.V.
Hightech für den Artenschutz – BMBF-Forschungsprojekt BioRescue als Überlebenschance für Nördliche Breitmaulnashörner
Heute startet offiziell das Forschungsprojekt BioRescue zur Rettung des akut vom Aussterben bedrohten Nördlichen Breitmaulnashorns. Mit Hilfe modernster Reproduktions- und Stammzelltechnologie soll der Fortbestand dieser Schlüsselart gesichert werden. Das internationale Wissenschaftskonsortium unter der Leitung des Leibniz-IZW und mit maßgeblicher Beteiligung MDC wird dafür mit rund 4 Mio. Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als Teil der Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt gefördert. Mit dem erfolgreichen Transfer eines Embryos in die Gebärmutter eines Südlichen Breitmaulnashorns hat das Projekt Ende Mai 2019 bereits einen wichtigen Meilenstein erreicht.
Das internationale Wissenschaftskonsortium unter der Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) und mit maßgeblicher Beteiligung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) wird für „BioRescue“ mit rund 4 Mio. Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als Teil der BMBF-Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt gefördert. Die ethischen und gesellschaftlichen Fragen, die sich aus BioRescue ergeben, werden von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in einem Begleitforschungsprojekt adressiert.
Dr. Michael Meister, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, sagte zum Start des Projektes: „Die Artenvielfalt ist unsere Lebensgrundlage. Deshalb hat das BMBF die Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt ins Leben gerufen. Wir fördern darin schwerpunktmäßig Vorsorgeforschung, um die biologische Vielfalt zu bewahren. Parallel dazu ermöglichen wir auch Sofortmaßnahmen zum Schutz bedrohter Arten wie das ambitionierte Projekt BioRescue. Durch die eindrucksvolle Kombination verschiedener Forschungsansätze und das hohe Engagement der Beteiligten besteht die Chance und Hoffnung, das Nördliche Breitmaulnashorn und andere hochgefährdete Arten zu erhalten.“
„Das Forschungsprojekt BioRescue kann eine wichtige Rolle für den Erhalt der Artenvielfalt spielen, weil es Techniken und Verfahren für den Artenschutz maßgeblich weiterentwickelt“, sagt Projektleiter Prof. Thomas Hildebrandt vom Leibniz-IZW. Das internationale Expertenteam aus Deutschland, Italien, der Tschechischen Republik, Japan und den USA entwickelt gemeinsam Methoden und Techniken der Reproduktions- und Stammzellforschung weiter. Diese kommen erstmals zur Rettung einer bedrohten Tierart zum Einsatz.
„Das Projekt BioRescue steht exemplarisch für die exzellente und relevante Forschung der Leibniz-Gemeinschaft. Ein interdisziplinäres und internationales Forscherteam überführt seine Erkenntnisse und Methoden direkt in die Anwendung und hilft so dabei, eine wertvolle Schlüsselart wie das Nördliche Breitmaulnashorn vor dem Aussterben zu bewahren“, sagt Prof. Matthias Kleiner, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft.
Die Lage für das Nördliche Breitmaulnashorn ist dabei besonders kritisch: Nach dem Tod des letzten Bullen, Sudan, im März 2018 verblieben lediglich zwei weibliche Tiere, Najin und Fatu. Sie leben im Schutzreservat Ol Pejeta in Kenia. Das Expertenteam verfolgt zur Rettung der Art zwei Ansätze:
• Im ersten Forschungsansatz werden den beiden verbliebenen Nashornkühen Eizellen entnommen, um sie außerhalb des Körpers mit einem Spermium zu vereinen. Das Sperma von bereits verstorbenen Nördlichen Breitmaulnashörnern lagert bei minus 196 Grad Celsius im flüssigen Stickstoff am Leibniz-IZW. Der durch die Reagenzglas-Befruchtung gewonnene Embryo wird dann via Embryotransfer in die Gebärmutter eines Südlichen Breitmaulnashorns eingesetzt und von der Leihmutter ausgetragen. Najin und Fatu sind nicht mehr in der Lage, selbst Nachkommen auszutragen.
Dieser Embryotransfer ist Neuland für die assistierte Reproduktion und wurde vorher noch nie durchgeführt. Daher werden die neuartigen Verfahren im Vorfeld mit dem Transfer von Südlichen Breitmaulnashorn-Embryos getestet. Wenn alles reibungslos funktioniert, sollen Embryos der nördlichen Art eingesetzt werden. Im Rahmen von BioRescue haben Prof. Thomas Hildebrandt und sein Team am 27. Mai 2019 bereits einen Meilenstein erreicht. Es gelang ihnen, erstmals einen Embryo in die Gebärmutter eines Südlichen Breitmaulnashorns zu transferieren. Aufgrund der Größe der embryonalen Struktur gehen die Wissenschaftler aber davon aus, dass der Embryo sich trotz seines erfolgreichen Wachstums nicht in der Gebärmutterschleimhaut einnisten konnte. Das Empfängertier wird demnächst noch einmal untersucht, da es sich bisher nur um eine Momentaufnahme handelt und eine abschließende Klärung notwendig ist. In naher Zukunft werden weitere Embryotransfers durchgeführt, damit das Team für den Einsatz an den Nördlichen Breitmaulnashörnern optimal vorbereitet ist.
• Im zweiten Ansatz arbeitet das Leibniz-IZW-Team mit renommierten Stammzellexperten zusammen: Prof. Katsuhiko Hayashi (Kyushu University, Japan), Dr. Sebastian Diecke (Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin), Dr. Micha Drukker (Helmholtz Zentrum München) Prof. Cesare Galli (AVANTEA) und Prof. Vasil Galat (Reproductive Genetics Institute, USA). Ziel ist es, Hautzellen in pluripotente Stammzellen umzuwandeln und anschließend gezielt in Vorläuferzellen der Keimbahn (primordial germ cells, PGC) reifen zu lassen. In einer Probestudie konnte das Team um Dr. Drukker bereits Hautzellen in pluripotente Zellen umwandeln, das soll in Zukunft noch verbessert werden. Im Labor von Dr. Diecke wurden die Zellen eingehend charakterisiert und in verschiedene andere Gewebearten – wie zum Beispiel Herzmuskelzellen – gereift. „Diese Voruntersuchungen sind essenziell, um in weiteren Schritten aus den pluripotenten Stammzellen Keimzellen – Spermien und Eizellen – gewinnen zu können“, sagt Dr. Diecke. Am Ende soll eine sich selbst erhaltende, genetisch gesunde Population des Nördlichen Breitmaulnashorns stehen, die in der Wildnis überleben kann. Durch die geringe Anzahl verfügbarer Eizellen und Spermien ist der Stammzellen-Ansatz wichtig, um die genetische Variabilität der Population zu erhöhen.
Das Projekt BioRescue versucht, zum Wohle des Artenschutzes die Grenze des medizinisch und technisch Machbaren zu verschieben. Dies wirft ethische Fragen hinsichtlich der Nutzung der neugeschaffenen Möglichkeiten auf. Diese Fragen werden im Projekt BioRescue offensiv thematisiert: Prof. Barbara De Mori leitet an der Universität Padua (Italien) das Ethics Laboratory for Veterinary Medicine, Conservation and Animal Welfare und ist im Projekt BioRescue für Forschungen zu ethischen Fragen aus den Bereichen Medizin, Technik und Gesellschaft zuständig. In diesem Zusammenhang wird das Konsortium die gesellschaftliche Diskussion aktiv vorantreiben, um Antworten auf die ethische Verantwortung von Forschenden, Regierungen und der Öffentlichkeit für den Erhalt der Biodiversität zu finden.
Als starker afrikanischer Partner spielt die kenianische Regierung bei der Rettung des Nördlichen Breitmaulnashorns eine zentrale Rolle. Die vorbildliche Biodiversitätspolitik der Republik Kenia ist ein Rückgrat für die Nachhaltigkeit der afrikanischen Biodiversität. Dass die kenianische Regierung – als Netzwerkpartner – dem BioRescue-Projekt eine hohe Bedeutung beimisst, zeigt sich an der Teilnahme des Botschafters von Kenia, Seine Exzellenz Joseph Magutt, an der heutigen Pressekonferenz.
Das BMBF unterstützt mit seiner Förderung von BioRescue die deutschen Netzwerkpartner. Die internationalen Konsortiumspartner werden von externen Spendern und Unterstützern aus der Wirtschaft darunter das Wissenschafts- und Technologieunternehmen Merck sowie von der privaten Hand großzügig finanziell unterstützt. „Als führendes Unternehmen im Bereich Fertilität, sind wir uns unserer besonderen Verantwortung bewusst, und freuen uns, diesem ehrgeizigen Projekt durch das Bereitstellen innovativer Technologien die besten Erfolgschancen bieten zu können“, sagt Dr. Jan Kirsten, Head of Global Business Franchise for Fertility, Merck.
25.06.2019, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
(Nicht nur) der Wind zeigt den Weg
Wenn der südafrikanische Dungkäfer seine Dungkugel vor sich her rollt, muss er den Weg möglichst präzise kennen. Dass er sich dabei nicht allein am Sonnenstand orientiert, haben jetzt Wissenschaftler entdeckt.
Der südafrikanische Dungkäfer Scarabaeus lamarcki hat eine – gelinde gesagt – interessante Technik, seinem Nachwuchs den Start ins Leben zu sichern. Stößt das wenige Zentimeter große Tier beispielsweise auf Elefantenmist, formt es kleine Bälle daraus, die es anschließend rückwärts vor sich her schiebt. Den Mist stopft der Käfer in unterirdische Gänge, die ihm als Brutkammer dienen; dort legt er anschließend seine Eier ab.
Wie der Dungkäfer seinen Weg vom Elefantenhaufen hin zu den Gängen findet: Dafür interessiert sich Dr. Basil el Jundi. Der Neurobiologe leitet am Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) eine Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe und erforscht das Navigationsvermögen von Insekten.
Gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Schweden und Südafrika hat er jetzt entdeckt, dass sich der Dungkäfer – anders als bisher angenommen – auf seiner Wanderung nicht ausschließlich am Sonnenstand orientiert, sondern auch Informationen über die Windrichtung in seine Streckenplanung einbezieht. Ihre neuen Erkenntnisse haben die Forscher in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift PNAS – Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht.
Auf gerader Strecke weg von dem Dunghaufen
„Südafrikanische Dungkäfer müssen ihre Dungkugel möglichst zügig von dem Dunghaufen wegrollen, um so zu verhindern, dass die Kugel von anderen Käfern gestohlen wird“, erklärt el Jundi. Um sicher zu stellen, dass sie sich tatsächlich schnellstmöglich aus dem Gefahrraum entfernen, rollen die Käfer die Kugel entlang einer geraden Linie vom Dunghaufen weg. Um ihren Kurs zu halten, nutzen sie dabei Himmelssignale als Orientierungsmarke – beispielsweise den Stand der Sonne. Unklar war bisher allerdings, wie die Käfer ihren Weg finden, wenn die Sonne keine brauchbaren Informationen liefert, etwa wenn sie mittags im Himmelszenit steht.
Die Antwort auf diese Frage können Basil el Jundi und sein Team jetzt geben: „Wir haben herausgefunden, dass Dungkäfer zusätzlich zum Himmel auch den Wind zur Orientierung nutzen.“ Die entsprechenden Signale nehmen die Tiere über ihre Antennen wahr – zwei lange, empfindliche Fühler, die seitlich rechts und links vom Kopf abstehen. Die notwendigen Informationen liefern hohe Windstärken, die in der afrikanischen Savanne besonders um die Mittagszeit auftreten, also dann, wenn die Orientierung an der Sonne schwierig wird.
Die Kombination der Systeme erhöht die Präzision
Um allerdings einen effizienten und robusten „Kompass“ zu erzeugen, müssen die Tiere die Windinformation mit den übrigen Himmelssignalen kombinieren und in Einklang bringen. Nur so ist gewährleistet, dass sie auch bei einer plötzlichen Windstille noch ihren Weg finden, indem sie flexibel zurück auf den Sonnenkompass als Hauptorientierungssignal wechseln. Wie die Forscher zeigen konnten, erleichtert diese Kombination unterschiedlicher Orientierungssysteme dem Käfer nicht nur die Wegfindung. Tatsächlich steigert sie auch die Präzision des Käferkompasses.
Für ihre Studie haben die Wissenschaftler mit einer Laborarena gearbeitet, in der sie Sonnenstand und Wind nach Belieben simulieren und deren Auswirkungen auf das Navigieren der Käfer präzise erfassen konnten. Ihre Experimente zeigen nicht nur, dass die Käfer die Windrichtungsinformation relativ zur Sonnenposition setzen. „Vielmehr konnten wir noch zusätzlich zeigen, dass die Käfer die Richtungsinformation, die sie mit Hilfe der Sonne als einzige Referenz gesetzt haben, auf den Windkompass transferieren können“, sagt el Jundi. Dies zeige, dass sowohl der Wind- als auch der Sonnenkompass im Käfergehirn auf das gleiche räumliche Gedächtnis „zugreifen“ und demnach miteinander kommunizieren.
Eine hochplastische neuronale Maschinerie
Somit zeigt die jetzt veröffentlichte Studie, dass Dungkäfer einen weitaus dynamischeren Kompass nutzen, als es die Wissenschaft bisher für möglich gehalten hat. Der Zugriff auf verschiedene sensorische Einflüsse ermöglicht den Tieren, zu jeder Zeit mit höchster Präzision zu navigieren. Ihre Fähigkeiten übersteigen dabei menschliche Fähigkeiten deutlich – und das, obwohl sie mit einem Gehirn ausgestattet sind, das kleiner ist als ein Reiskorn. Darüber hinaus bestätigen die Ergebnisse, dass es sich bei einem Insektengehirn um kein „statisches Substrat“ handelt, sondern um eine „hochplastische neuronale Maschinerie, die sich formidabel an die Umgebung anpassen kann“, wie die Wissenschaftler schreiben.
Originalpublikation:
Multimodal cue integration in the dung beetle compass. Marie Dacke, Adrian T. A. Bell, James J. Foster, Emily J. Baird, Martin F. Strube-Bloss, Marcus J. Byrne, and Basil el Jundi. PNAS, 24. Juni 2019, DOI: 10.1073/pnas.1904308116
26.06.2019, Goethe-Universität Frankfurt am Main
(K)ein Platz für Wölfe?
Wölfe lösen beim Menschen gleichermaßen Angst und Faszination aus. Das Raubtier wird bei Nutztierhaltern, Jägern, Naturschützern und Politikern kontrovers diskutiert. Michelle Müller hat sich in ihrer Masterarbeit mit den Habitat-Ansprüchen sowie dem Konfliktpotenzial der Wölfe beschäftigt. In der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins „Forschung Frankfurt“ zeigt sie Lösungsansätze auf.
Menschen hatten den Wolf in Europa fast vollständig ausgerottet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wanderten Einzeltiere von Polen aus wieder in die Bundesrepublik ein. Doch meist wurden sie abgeschossen oder überfahren. Erst als der Wolf nach der Wiedervereinigung 1990 auch in den neuen Bundesländern unter Naturschutz gestellt wurde, konnte er sich in Deutschland langfristig wieder ansiedeln. 2017/2018 lebten in Deutschland 73 Rudel und 31 Paare, verteilt auf die Bundesländer Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Zurzeit wächst die Wolfspopulation in Deutschland jährlich um etwa 30 Prozent. „Für die Annahme, Wölfe würden ihre Scheu gegenüber Menschen verlieren, wenn sie nicht bejagt werden, gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg“, erklärt Michelle Müller, die an der Goethe-Universität Physische Geographie studierte. Während eines Praktikums bei LUPUS, dem Institut für Wolfsmonitoring und -forschung in Deutschland, lernte sie, dass das größte Konfliktpotential im Zusammenleben von Mensch und Wolf die Nutztierrisse sind.
Mit der Rückkehr der Wölfe musste die Art der Nutztierhaltung wieder an die Anwesenheit des Räubers angepasst werden. „Gezieltes Wolfsmanagement ist notwendig, um Konflikte zwischen Menschen, ihren Nutztieren und den Wölfen zu verhindern“, weiß Michelle Müller aus der Forschung für ihre Masterarbeit. Die Bundesländer erfassen Daten zum Vorkommen der Art und der von ihr verursachten Schäden. Managementpläne regeln die staatliche Förderung von Schutzmaßnahmen, die bis zu 90 Prozent beträgt. Sollte dennoch ein Tier nachweislich vom Wolf gerissen worden sein, erhält der Halter eine Ausgleichszahlung.
Den effektivsten Schutz bieten Herdenschutzhunde in Verbindung mit Elektrozäunen. Die Hunde leben hierbei dauerhaft in der Herde. Sie sind groß und kräftig genug, um Wölfe passiv durch Imponiergehabe zu vertreiben. Elektrozäune sollten straff gespannt sein und eine Stromstärke von mindestens 3 000 Volt aufweisen. Empfohlen wird eine Höhe von 120 cm. Bisher haben Wölfe nur in wenigen Fällen empfohlene Schutzmaßnahmen wiederholt überwunden. „Häufig sind Nutztierverluste auf falsch eingesetzte Schutzmaßnahmen zurückzuführen“, sagt Michelle Müller.
27.06.2019, Deutsche Umwelthilfe e.V.
Artenschutznovelle gefährdet streng geschützte Tierarten
Deutsche Umwelthilfe fordert Vertreter der Bundesländer im Bundesrat auf, geplante Änderung im Bundesnaturschutzgesetz abzulehnen – Geschützte Arten wie Fischotter und Kegelrobbe geraten ungerechtfertigt ins Fadenkreuz – DUH fordert langfristige, konstruktive Lösungen im Umgang mit Wildtieren
Am Freitag, 28. Juni 2019, berät der Bundesrat über die von der Bundesregierung geplante Artenschutznovelle. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ruft die Vertreter der Länder im Bundesrat auf, die darin enthaltene Änderung des Paragraphen 45 Absatz 7 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) abzulehnen. Durch diese Änderung sind nicht nur der Wolf, sondern auch andere streng geschützte Tierarten wie Fischotter und Kegelrobbe betroffen. Sie könnten künftig leichter „letal entnommen“, also abgeschossen werden.
In der Gesetzesbegründung der geplanten Änderung des Paragraphen 45 im BNatSchG werden andere Tierarten an keiner Stelle ausdrücklich genannt. Sie sind jedoch von der Formulierung des Paragraphen 45 Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG „zur Abwendung ernster land-, forst-, fischerei- oder wasserwirtschaftlicher oder sonstiger ernster Schäden“ miterfasst. Die DUH sieht mit dieser Öffnungsklausel geschützte Tierarten in Gefahr. Auch hat die DUH erhebliche Zweifel, dass die Formulierung ’sonstige ernste Schäden‘ die Rechtssicherheit erhöht. Der Umwelt- und Verbraucherschutzverband befürchtet, dass hiermit die Erteilung von Ausnahmen von den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten erleichtert wird.
„Die Bundesregierung ist dem Schutz von Arten und Lebensräumen verpflichtet. Mit der geplanten Gesetzesänderung würden jahrelange Erfolge des Naturschutzes wieder zunichtegemacht“, kritisiert Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner.
Im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD Gespräche über den Schutzstatus des Wolfs vereinbart, um eine aus ihrer Sicht „notwendige Bestandsreduktion“ anzugehen. Im Koalitionsvertrag waren die in vorherigen Entwürfen genannten weiteren geschützten Arten wie Fischotter und Kegelrobbe wieder gestrichen worden, die jetzt über Paragraph 45 Abs. 7 durch die Hintertür wieder erfasst werden sollen. „Wir appellieren an die Politiker, den Schutz europaweit geschützter und nach Roter Liste deutschlandweit gefährdeter Arten ernst zu nehmen und die Änderung daher nicht mitzutragen“, so Müller-Kraenner weiter.
Wo Wildtiere – oft nach langer Abwesenheit – zurückkehren, entstehen häufig Konflikte. Bei Ottern an Intensiv-Fischteichen oder bei Kegelrobben mit den Küstenfischern. Allzu schnell werden die Wildtiere dann zum Sündenbock für sinkende Fischbestände gemacht.
„Die Rückkehr von geschützten Arten wie Wolf, Kegelrobbe und Fischotter stellt uns vor Herausforderungen, die jedoch gemeinsam gemeistert werden können. Wir sollten mit diesen Wildtieren selbstbewusst und angstfrei umgehen und ihnen nach Jahrzehnten, ja teilweise Jahrhunderten Abwesenheit wieder einen Platz in unserer Kulturlandschaft einräumen, indem wir im Dialog langfristige, konstruktive Lösungen entwickeln, die für Mensch und Tier passen“, plädiert Ulrich Stöcker, Abteilungsleiter Naturschutz und Biodiversität. „Über den Europäischen Meeres- und Fischereifonds können erfreulicherweise inzwischen schon Kompensationsmaßnahmen für von Kegelrobben verursachte Schäden an Netzen gefördert werden. Genauso würden bessere Förderbedingungen für ökologisch wichtige Teichwirtschaften viel mehr helfen als Fang oder Tötung von Fischottern. Und bei Intensivteichwirtschaft kann durch Einzäunung mit Maschendrahtzaun, der mit Elektrolitzen versehen ist, Schaden vermieden werden.“
26.06.2019, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Die frühe Geschichte der Neandertaler in Europa
Forschende haben am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig Teile des Erbguts von zwei etwa 120.000 Jahre alten Neandertalern aus Deutschland und Belgien sequenziert. Die Analysen dieser Erbgut-Sequenzen ergaben, dass die letzten Neandertaler, die vor etwa 40.000 Jahren lebten, zumindest teilweise von diesen etwa 80.000 Jahre älteren europäischen Neandertalern abstammen. Im Erbgut des 120.000 Jahre alten Neandertalers aus Deutschland fanden die Forschenden außerdem Hinweise auf eine mögliche Abstammung von einer isolierten Neandertalerpopulation oder von Verwandten des modernen Menschen.
Forschende des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben Zellkern-DNA aus dem Oberschenkelknochen eines männlichen Neandertalers, der 1937 in der Hohlenstein-Stadel-Höhle in Deutschland entdeckt wurde, und aus dem Oberkieferknochen eines Neandertalermädchens gewonnen, das 1993 in der Scladina-Höhle in Belgien gefunden wurde. Beide Neandertaler lebten vor etwa 120.000 Jahren, sind also älter als die meisten anderen Neandertaler, deren Erbgut die Forschenden bisher analysiert haben.
Analysen der Zellkern-Genome der beiden Individuen ergaben, dass diese frühen Neandertaler aus Westeuropa enger mit den letzten Neandertalern verwandt waren, die rund 80.000 Jahre später in derselben Region lebten, als mit Neandertalern, die etwa zur selben Zeit wie die beiden Westeuropäer in Sibirien lebten. „Das Ergebnis ist wirklich außergewöhnlich und steht in starkem Kontrast zu der turbulenten Evolutionsgeschichte des modernen Menschen, die durch Austausch, Vermischung und Aussterben von Populationen geprägt ist“, sagt Kay Prüfer, der die Studie leitete.
Im Gegensatz zum Erbgut aus dem Zellkern unterscheidet sich das mütterlicherseits vererbte mitochondriale Erbgut des Neandertalers aus der Hohlenstein-Stadel-Höhle deutlich von dem des späteren Neandertalers aus derselben Region. Außerdem unterscheidet es sich mit mehr als 70 Mutationen von den bekannten mitochondrialen Genomen anderer Neandertaler, wie eine frühere Studie zeigte. Die Forschenden vermuten daher, dass frühe europäische Neandertaler DNA von einer bisher noch nicht beschriebenen Population geerbt haben könnten. „Bei dieser unbekannten Population könnte es sich entweder um eine isolierte Neandertalerpopulation handeln, die noch nicht entdeckt wurde, oder sie könnte von einer potenziell größeren Population aus Afrika stammen, die mit dem modernen Menschen verwandt ist“, erklärt der Leiter der Untersuchung Stéphane Peyrégne.
Originalpublikation:
Peyrégne, Stéphane, et al.
Nuclear DNA from two early Neandertals reveals 80,000 years of genetic continuity in Europe
Science Advances, 26. Juni 2019