02.07.2018, Universität Hamburg
Studie zeigt: Landschnecken überwinden biogeographische Grenzen
Die australische Fauna unterscheidet sich aufgrund der Isolation des Kontinents bis vor etwa 25 Millionen Jahren erheblich von der Fauna Asiens. Die Grenze verläuft durch den Malaiischen Archipel, entlang der Meerenge zwischen den Inseln Bali und Lombok, und wird als „Wallace-Linie“ bezeichnet. Prof. Dr. Bernhard Hausdorf, Abteilungsleiter Malakologie im Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg, hat in einer Studie herausgefunden, dass Landschnecken diese Barriere durchaus überschritten haben. Die Ergebnisse, die im „Zoological Journal of the Linnean Society“ veröffentlicht wurden, zeigen, dass keine klare Abgrenzung der biogeographischen Regionen möglich ist.
In einer quantitativen Studie der Verbreitung von mehr als 1.800 Landschneckenarten auf den Inseln des Malaiischen Archipels hat Prof. Hausdorf nachgewiesen, dass die „Wallace-Linie“, die als eine der schärfsten Grenzen zwischen zwei biogeographischen Regionen in der Welt gilt, für Landschnecken keine größere Barriere als andere Meeresstraßen durch den Archipel darstellt. So überwiegen auch auf den Kleinen Sunda-Inseln östlich der Wallace-Linie die asiatischen Gruppen zahlenmäßig, obwohl die Gegend auf der australischen Seite der Grenze liegt. Einige australische Gruppen haben die Wallace-Linie zudem nach Westen überschritten.
Die Grenze geht zurück auf den Forschungsreisenden Alfred Russel Wallace, der zwischen 1854 und 1862 den Malaiischen Archipel in Südostasien erkundete. Auf der indonesischen Insel Lombok stieß er dabei unter anderem auf Kakadus und das Reinwardthuhn. Diese sind für die australische Fauna charakteristisch, fehlen aber auf Bali. Zwischen den Inseln liegt eine weniger als 40 Kilometer weite Meerenge, die Wallace zur Grenze zwischen der asiatischen und australischen Fauna bestimmte. Ihm zu Ehren wurde sie später „Wallace-Linie“ genannt. Es gibt bisher jedoch nur wenige Studien, die Daten über die Verbreitung von artenreichen Tiergruppen in dieser Region analysieren.
„Unsere Studie zeigt die Durchlässigkeit von Ausbreitungsbarrieren wie Meeresstraßen“, erklärt Hausdorf. Biogeographische Regionen könnten nicht durch scharfe Linien gegeneinander abgegrenzt werden. „Der Austausch von Tiergruppen zwischen Asien und Australien war nach der Annäherung der Kontinente seit dem Miozän möglich – auch bei Tieren mit geringen Ausbreitungsvermögen wie den Landschnecken.“ So sei es zu einem graduellen Übergang zwischen der asiatischen und australischen Fauna im Malaiischen Archipel gekommen.
Studie: Beyond Wallace’s line – dispersal of Oriental and Australo-Papuan land-snails across the Indo-Australian Archipelago. Zoological Journal of the Linnean Society: https://doi.org/10.1093/zoolinnean/zly031
04.07.2018, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Schnecken-Shuttle-Service – Milben werden gefressen, überleben, und breiten sich so schneller aus
Auf der Speisekarte von Nacktschnecken stehen nicht nur Moose, Flechten und Gartengemüse, sondern auch winzig kleine Hornmilben, die sie unweigerlich mit ihrer Nahrung aufnehmen. Erstaunlicherweise überstehen die meisten der kleinen Spinnentiere die Reise durch den Schneckendarm unbeschadet und werden an einem anderen Ort im Ökosystem wieder lebend ausgeschieden. Wissenschaftler um Dr. Manfred Türke vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Universität Leipzig haben erstmalig bei Milben diese Ausbreitungsstrategie entdeckt, die in der Fachwelt als Endozoochorie („Verdauungsausbreitung“) vor allem bei Pflanzen bekannt ist. Ihre Forschungsergebnisse haben die Forscher in der Fachzeitschrift Oecologia veröffentlicht.
Tiere und Pflanzen haben im Laufe der Evolution zahlreiche Strategien entwickelt, um neue Lebensräume zu besiedeln. Kirschen beispielsweise werden im Sommer gern von Amseln gefressen. Den Kern scheiden die Vögel unverdaut an einem anderen Ort aus, wo die Pflanze keimen kann. Wenig bekannt ist bisher über die Ausbreitungsstrategien von Bodenlebewesen wie Milben, Fadenwürmern oder anderen wirbellosen Tieren. Diese sind winzig klein und dementsprechend langsam, leben aber in fast allen Böden. Und sie sind von entscheidender Bedeutung für das Funktionieren des Ökosystems, weil sie organische Abfälle zersetzen und die Nährstoffkreisläufe im Boden aufrechterhalten.
Umso wichtiger sind die Forschungsergebnisse der Wissenschaftler um Manfred Türke. Türke sammelte über Monate im Leipziger Auwald Spanische Wegschnecken (Arion vulgaris), eine Nacktschneckenart, um ihre Exkremente unter dem Mikroskop zu untersuchen. Dabei machte der Wissenschaftler eine erstaunliche Entdeckung: Im Kot der Schnecken fand er 36 weit verbreitete Arten von winzigen Hornmilben (Oribatida). Diese Spinnentiere bewohnen den Boden und die Blattstreu der Wälder und sind nicht einmal einen Millimeter lang. Erstaunlicherweise hatten 70 Prozent der gefressenen Milben die Passage durch den Schneckendarm überlebt. Im Labor beobachtete Manfred Türke, dass die Milben durch den Transport im Schneckendarm lebend an einen neuen Ort gelangen können. Diese Ausbreitungsstrategie wird in der Fachwelt Endozoochorie („Verdauungsausbreitung“) genannt und ist bisher sehr selten bei Tieren beobachtet worden. Für die Milben, die selbst nicht nur winzig sind, sondern äußerst schwerfällig und behäbig, sind die Schnecken also ein Transport- und Ausbreitungsmittel. Denn selbst die schnellste Hornmilbe kann am Tag maximal zwei Zentimeter Strecke zurücklegen, während eine große Nacktschnecke bis zu 15 Meter Wegstrecke pro Tag problemlos meistert. „Das bedeutet eine etwa tausendfache Geschwindigkeit. Wenn eine Schnecke vorbeikriecht, ist es für eine Milbe so als würde ein ICE vorbeidonnern“, sagt Manfred Türke. Ein Zug, auf den viele Milben aufspringen.
Der Biologe vermutet sogar, dass sich eine Milbe vorsätzlich fressen lassen könnte: „Es wäre möglich, dass sie mitbekommt, wenn eine Schnecke in der Nähe ist und dann höher in die Vegetation kriecht, um gefressen zu werden. Denn in der Schnecke ist sie auch vor Feinden geschützt.“
Neben Hornmilben fanden die Wissenschaftler im Kot der gesammelten Nacktschnecken auch Pflanzensamen, Moose und vor allem andere lebende Bodentiere. Es ist also wahrscheinlich, dass sich ganze Mikroökosysteme mithilfe von Schnecken ausbreiten. Der Ausbreitungsmechanismus könnte erklären, warum winzig kleine Bodenbewohner, die selbst nur wenige Zentimeter am Tag zurücklegen, neue Habitate in einem Ökosystem erstaunlich schnell besiedeln. Ein einziger Quadratmeter Boden kann hunderttausende wirbellose Tiere beherbergen – hunderte bis tausende von verschiedenen Arten. Das bessere Verständnis dieser komplexen Lebensgemeinschaften ist von entscheidender Bedeutung für den Erhalt wichtiger Funktionen des Bodens wie Kohlenstoffspeicherung, Trinkwasserreinigung oder Bodenfruchtbarkeit.
04.07.2018, Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg
DFG fördert neue Forschungsgruppe zu Biodiversität in dynamischen Ökosystemen
Wie entstehen Nahrungsnetze und Biodiversität in Landschaften, die sich – wie das Wattenmeer – ständig ändern? Welche Rolle spielen die Ausbreitung von Organismen und die Wechselbeziehungen untereinander? Diesen Fragen wird eine neue Forschungsgruppe unter Leitung des Biodiversitätsexperten Prof. Dr. Helmut Hillebrand vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres der Universität Oldenburg auf den Grund gehen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das Vorhaben in den kommenden drei Jahren mit drei Millionen Euro. Die Wissenschaftler wollen auch theoretische ökologische Modelle experimentell auf ihre Aussagekraft überprüfen, um künftige Veränderungen besser vorhersagen zu können.
„Die Oldenburger Biodiversitätsforschung verfügt über internationales Renommee. Die Bewilligung der Forschungsgruppe durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstreicht diesen Erfolg“, sagt Universitätspräsident Prof. Dr. Dr. Hans Michael Piper. „Die interdisziplinäre Zusammenarbeit der beteiligten Wissenschaftler wird unser Verständnis von den Prozessen in dynamischen Ökosystemen entscheidend voranbringen.“
An dem Vorhaben mit dem Titel DynaCom (Spatial community ecology in highly dynamic landscapes: from island biogeography to metaecosystems) sind neben Wissenschaftlern des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) auch Forscher des Instituts für Biologie und Umweltwissenschaften (IBU) der Universität beteiligt. Hinzu kommen Partner des Instituts Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven, des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums (SBiK-F), der Universitäten Frankfurt, Göttingen und Münster sowie des Deutsches Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig. Außerdem kooperieren die Wissenschaftler mit der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer in Wilhelmshaven.
Vor gut 50 Jahren etablierten Wissenschaftler mit der sogenannten Theorie der Inselbiogeographie ein erfolgreiches Konzept der Ökologie. Dieses ermöglicht zu analysieren, welche Rolle das dynamische Gleichgewicht zwischen Einwandern und Aussterben von Arten für die Gesamtzahl der Arten auf einer Insel spielt. „Diese Theorie hat mittlerweile große Bedeutung – auch im praktischen Naturschutz. Denn durch die Zersiedelung von Landschaften sind viele inselartige, isolierte Lebensräume entstanden“, sagt Hillebrand. „Allerdings ermöglicht die Theorie nicht vorherzusagen, welche Arten solche Inselhabitate besiedeln und wie sie interagieren.“ Genau diese Information sei jedoch nötig, um prognostizieren zu können, wie sich Umweltänderungen, beispielsweise durch den Klimawandel, auf die Dynamik von Ökosystemen auswirken, erläutert der Wissenschaftler.
Hier setzen die Forscher jetzt an: Sie wollen genauer untersuchen, welche Eigenschaften von Organismen bestimmen, dass sich die Organismen in einem Ökosystem etablieren können und welche Rolle sie in einem Nahrungsnetz spielen. Bei dieser sogenannten merkmalsbasierten ökologischen Forschung betrachten Wissenschaftler nicht einzelne Arten, sondern typische Eigenschaften oder Funktionen verschiedener Arten, zum Beispiel wie sie sich ausbreiten, fliegend, schwimmend oder passiv, oder wie sie ihre Nahrung aufnehmen. Der Vorteil dieser Vorgehensweise: Die Ergebnisse lassen sich leichter verallgemeinern und auf andere Nahrungsnetze und Ökosysteme weltweit übertragen.
Die verschiedenen Merkmale wollen die DynaCom Wissenschaftler beispielhaft am Ökosystem Wattenmeer untersuchen. Hier ändern sich die Umweltbedingungen schnell, sowohl regelmäßig durch die Gezeiten, als auch zufällig. „Da im Wattenmeer terrestrische und marine Lebewesen aufeinander treffen, können wir so die räumliche und zeitliche Dynamik beider Teile des Nahrungsnetzes analysieren und unsere theoretischen Vorstellungen überprüfen“, erläutert Hillebrand. Dabei greifen die Forscher auch auf ein grundlegendes, bereits vorhandenes Wissen über das Vorkommen von Organismen in der Region zurück. Zudem wird das Konsortium für Beobachtungen und gezielte Experimente zwölf künstliche Inseln nutzen, die bereits 2014 im niedersächsischen Wattenmeer bei Spiekeroog errichtet wurden. Hier können die Forscher auf lokaler Skala unter anderem untersuchen, welche Organismen wie schnell bestimmte Habitate besiedeln und wie sich etwa Sturmfluten auf die Lebensgemeinschaften auswirken.
Um allgemeinere Aussagen zur Entwicklung ökologischer Gemeinschaften treffen zu können, nutzen die Wissenschaftler außerdem mathematische Modelle und Datensätze, die Fachleute weltweit aus Studien von Inselökosystemen gewonnen haben. „Wir wollen umfassend verstehen, welche Rolle jeweils die Ausbreitung von Organismen und die Wechselbeziehungen dabei spielen, wenn sich Nahrungsnetzstrukturen und Biodiversität in dynamischen Landschaften etablieren“, fasst Hillebrand zusammen.
04.07.2018, Forschungsverbund Berlin e.V.
Durchbruch in der Rettung des Nördlichen Breitmaulnashorns
Allererstes Hybrid-Embryo außerhalb der Gebärmutter produziert
Nördliche Breitmaulnashörner sind funktionell ausgestorben, da nur noch zwei Weibchen dieser Art auf unserem Planeten existieren. Einem internationalen Wissenschaftsteam ist jetzt der Durchbruch gelungen: mithilfe von Techniken zur künstlichen Befruchtung sind Hybrid-Embryos aus Eizellen des Südlichen Breitmaulnashorns und Spermien des Nördlichen Breitmaulnashorns entstanden. Hiermit demonstriert das internationale Wissenschaftsteam, dass Zellforschungsansätze zur Herstellung von Embryos des Nördlichen Breitmaulnashorns geeignet sind. Dieser Forschungsansatz kann das Überleben des Nördlichen Breitmaulnashorns sichern.
Nördliche Breitmaulnashörner sind funktionell ausgestorben, da nur noch zwei Weibchen dieser Art auf unserem Planeten existieren. Einem internationalen Wissenschaftsteam ist jetzt der Durchbruch gelungen: mithilfe von Techniken zur künstlichen Befruchtung sind Hybrid-Embryos aus Eizellen des Südlichen Breitmaulnashorns und Spermien des Nördlichen Breitmaulnashorns entstanden. Hiermit demonstriert das internationale Wissenschaftsteam, dass Zellforschungsansätze zur Herstellung von Embryos des Nördlichen Breitmaulnashorns geeignet sind. Dieser Forschungsansatz kann das Überleben des Nördlichen Breitmaulnashorns sichern. Die ForscherInnen haben die erste Generation von Nashorn-Blastozysten (Prä-Implantationsembryos) im Reagenzglas erzeugt. Zusätzlich etablierte das Team Stammzelllinien von Blastozysten des Südlichen Breitmaulnashorns mit typischen Eigenschaften embryonaler Stammzellen. Diese bahnbrechenden Ergebnisse wurden heute in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht.
„Das sind die weltweit ersten im Reagenzglas – in vitro – produzierten Nashornembryos. Werden sie in eine Leihmutter implantiert, ist die Chance, dass sich eine Trächtigkeit entwickelt, sehr hoch“, sagt Prof. Thomas Hildebrandt, Leiter der Abteilung Reproduktionsmanagement am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) in Berlin. Dem internationalen Forschungsteam gelang es, Reproduktionstechniken – die normalerweise bei Pferden angewendet werden – so auf die speziellen Gegebenheiten der Nashörner anzupassen, dass sie die Möglichkeit eröffnen, das Nördliche Breitmaulnashorn vor dem Aussterben zu bewahren. Die jetzt veröffentlichten Forschungsergebnisse zeigen, dass der Einsatz eines zell-basiertes Verfahrens bei Südlichen Breitmaulnashörnern zur erfolgreichen Erzeugung von Embryos führt. Um das Nördliche Breitmaulnashorn tatsächlich zu retten, werden im nächsten Schritt den noch zwei verbleibenden Nashornkühen in einem speziellen Verfahren Eizellen entnommen. Weibliche Südliche Breitmaulnashörner könnten dann in Zukunft als Leihmütter für die heranwachsende Population Nördlicher Breitmaulnashörner dienen. Im Gegensatz zu den Nördlichen Breitmaulnashörnern existieren von der südlichen Art heute rund 21,000 Individuen in Südafrika.
Mithilfe eines kürzlich patentierten – fast zwei Meter langen technischen Geräts – konnten die Wissenschaftler wiederholt und auf sichere Weise Eizellen von Nashörnern entnehmen. Das ultraschallgeführte Gerät wird transrektal im Nashorn platziert. Sobald ein Follikel auf dem Bildschirm des Ultraschall-Laptops erscheint, kann eine spezielle Nadel aktiviert werden, die durch die Darmwand in den Eierstock sticht und die Eizelle aus dem Follikel entnimmt.
Ein Embryo im frühen Stadium – entwickelt außerhalb des Nashorns
Die Eizellen wurden von Südlichen Breitmaulnashörnern in Europäischen Zoos entnommen und dann zu AVANTEA nach Italien geschickt, einem weltweit führenden Unternehmen in Technologien zur künstlichen Befruchtung großer Tiere. „In unserem Labor haben wir Verfahren entwickelt, bei dem die Eizellen reifen, dann durch intrazytoplasmatische Spermieninjektion (intracytoplasmic sperm injection – ICSI) befruchtet und anschließend kultiviert werden. Zum ersten Mal haben wir Nashorn-Blastozysten – ein frühes Stadium eines Embryos – in vitro entwickelt – ähnlich wie wir es routinemäßig bereits für Rinder und Pferde machen“, berichtet Prof. Cesare Galli von AVANTEA in Cremona, Italien. Mehrere dieser Embryos lagern derzeit bei minus 196 Grad Celsius in der Kryokonservierung. Sie sollen in Zukunft in Leihmütter eingesetzt werden und so für Nachwuchs sorgen.
„Für die Befruchtung wurde kryokonserviertes Sperma von verstorbenen Nördlichen Breitmaulnashörnern eingesetzt. Die erfolgreiche Entwicklung eines Hybrid-Embryos ist ein bedeutender Schritt in Richtung Geburt des ersten Nördlichen Breitmaulnashorns durch künstliche Befruchtungstechnik. Mit unserem jetzigen Erfolg stammt die Hälfte der genetischen Informationen des Hybrid-Embryos vom Nördlichen Breitmaulnashorn“, kommentiert Jan Stejskal, Direktor des Internationalen Projekts am Safari Park Dvůr Králové in Tschechien. Die beiden letzten Nördlichen Breitmaulnashornweibchen wurden in Dvůr Králové geboren und leben zurzeit unter Schutz im Ol Pejeta Reservat in der Nähe des Mount Kenya Massivs in Ostafrika.
„Unsere Ergebnisse sind solide, reproduzierbar und sehr vielversprechend. Wir sind jetzt gut vorbereitet, um nach Kenia zu fliegen und dort den letzten beiden Weibchen Eizellen zu entnehmen, um dann Blastozysten heranzuzüchten, bei denen sowohl Eizellen als auch Sperma ausschließlich von Nördlichen Breitmaulnashörnern stammen“, kommentiert Hildebrandt. Die Wissenschaftler haben mehr als zwanzig Eizellenentnahmen an Südlichen Breitmaulnashörnern innerhalb Europas durchgeführt, dabei zahlreiche Embryos gewonnen und wissen, dass diese Technik funktioniert. Sie arbeiten derzeit an der Verbesserung der Technik des Embryotransfers.
Kombination von Stammzellenforschung mit Techniken der künstlichen Befruchtung
Da aber nur noch zwei Weibchen existieren und das verfügbare Sperma von nur vier männlichen Tieren stammt, würden künstliche Befruchtung und in vitro-Befruchtungstechniken alleine nicht ausreichen, um eine sich selbst erhaltende Population von Nördlichen Breitmaulnashörnern mit der notwendigen genetischen Vielfalt zu etablieren. Deshalb arbeiten die Wissenschaftler an einem zweiten Ansatz. Der Plan ist es, Keimzellen durch die Nutzung von Stammzelltechnologie zu entwickeln. „Unser Ziel ist es, in Zukunft – in vitro – sogenannte primordiale Keimzellen aus iPS-Zellen (induzierte pluripotente Stammzellen) zu entwickeln. Diese iPS-Zellen werden aus Körperzellen gewonnen, die in der Vergangenheit von mehreren Nördlichen Breitmaulnashörnern entnommen und eingefroren wurden. In einem zweiten Schritt werden diese Keimzellen dann in Eizellen und Spermien umgewandelt“, erklären Dr. Sebastian Diecke, Stammzellenexperte am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz Gesellschaft (MDC) in Berlin, und Prof Katsuhiko Hayashi, Stammzellenexperte an der Kyushu Universtät in Japan. Diese Methode würde die anfänglich geringe genetische Vielfalt der zukünftigen Nördlichen Breitmaulnashornpopulation wesentlich erhöhen – sie wäre sogar größer als die vom Südlichen Breitmaulnashorn.
Die Kombination aus Stammzellenforschung und der jetzt entwickelten künstlichen Befruchtungstechnologie wird als Blaupause dienen, um auch andere hochgefährdete Tierarten zu retten, deren Population schon so weit geschrumpft sind, dass konventionelle Naturschutzbemühungen nicht mehr greifen.
„Pluripotente Stammzellen haben die Fähigkeit sich unbegrenzt selbst zu erneuern und können sich in jede beliebige Zelle eines lebenden Organismus weiterentwickeln. Wir haben bei AVANTEA schon erfolgreich embryonische Stammzellen von Südlichen Breitmaulnashörnern gezüchtet, die alle Eigenschaften von undifferenzierten Stammzellen besitzen und sich in verschiedene Zelllinien differenzieren können“, sagt Prof. Cesare Galli von AVANTEA. Die in dieser Studie gewonnenen embryonischen Stammzelllinien wurden nun an Dr. Dieckes Labor übergeben. Dort werden sie als Vorlage dienen, iPS-Zellen in Keimzellen und schließlich in Geschlechtszellen zu differenzieren.
Ein Rennen gegen die Zeit – und jede Spende hilft
Nördliche Breitmaulnashörner sind die am stärksten bedrohten Säugetiere der Welt. Alle Bemühungen, die Art zu erhalten, wurden durch menschliche Aktivitäten wie Wilderei, Bürgerkrieg und Lebensraumverlust zunichte gemacht. Das Resultat war ein drastischer Populationsrückgang. Von noch 2.000 Individuen in den 1960ern fiel die Zahl auf die zwei heute noch übriggeblieben Weibchen. Im März 2018 starb das letzte männliche Breitmaulnashorn – Sudan – an Altersschwäche.
“Diese Forschung ist bahnbrechend. Wir erleben gerade die Entwicklung einer Methode, die dabei helfen kann, dem negativen Einfluss der Menschen auf die Natur etwas entgegen zu setzen. Wir sind sehr dankbar für die Unterstützung, die wir bisher von Privatleuten für unser Rennen gegen die Zeit erhalten haben. Wir hoffen, dass der jetzige Durchbruch mehr Menschen, und möglicherweise auch die öffentliche Hand, davon überzeugen wird, dass dieser Ansatz machbar und unterstützenswert ist“, erklärt Steven Seet, Leiter der Stabsstelle Presse & Kommunikation am Leibniz-IZW.
Publikation:
Hildebrandt TB, Hermes R, Colleoni S, Diecke S, Holtze S, Renfree MB, Stejskal J, Hayashi K, Drukker M, Loi P, Göritz F, Lazzari, Galli C (2018): Embryos and embryonic stem cells from the white rhinoceros. NATURE COMMUNICATIONS. DOI: 10.1038/s41467-018-04959-2.
05.07.2018, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau
Die Wiege der Fische
Kalte Ozeane bringen doppelt so schnell neue Arten hervor wie tropische Meere
Die Freiburger Biologin Dr. Kristin Kaschner, der Evolutionsbiologe Dr. Daniel Rabosky von der University of Michigan/USA und die Biologin Cristina Garilao vom Geomar – Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel haben zusammen mit einem internationalen Forschungsteam in einer Studie die evolutionäre Beziehung von mehr als 30.000 Fischarten analysiert. Dabei kommen sie zu dem überraschenden Ergebnis, dass Kaltwasserfische, die beispielsweise im Nordpolarmeer leben, in den vergangenen Millionen Jahren doppelt so schnell neue Arten ausgebildet haben wie tropische Fische. Ihre Studie hat das Team in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht.
In den tropischen Meeren leben viele verschiedene Arten von Fischen, mehr als in den kalten Ozeanen höherer Breitengrade. Eine geläufige Erklärung hierfür war bisher, dass die warme Riffumgebung als ein evolutionärer „hot spot“ dient, an dem sich besonders viele Arten entwickeln können. In der Biologie wird das Phänomen, wonach die Biodiversität einer Region vom Breitengrad abhängig ist, als Latitudinaler Biodiversitätsgradient bezeichnet.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von insgesamt acht Institutionen haben für die Studie die Beziehung zwischen Breitengrad, Artenreichtum und der Rate neuer Artenbildung bei Meeresfischen untersucht. Hierzu wendeten sie eine Kombination aus genetischen Untersuchungsmethoden und Vorhersagemodellen für die geographische Verbreitung an. „Unsere Ergebnisse sind erstaunlich und unerwartet, da die Artenbildung in den Regionen, die über den niedrigsten Artenreichtum verfügen, am schnellsten ist“, sagt Kristin Kaschner. Eigentlich ist eine gängige Erwartung, dass eine hohe Rate bei der Entwicklung neuer Spezies auch zu einer gesteigerten Biodiversität führt. Allerdings hängt diese wiederum davon ab, wie viele Arten überleben und wie viele aussterben. Die Wissenschaftler konnten jedoch die Aussterberate mit der Methode der veröffentlichten Studie nicht erfassen. „In einem nächsten Schritt versuchen wir herauszufinden, wie sich die Artensterberaten in den polaren und den tropischen Regionen ausgewirkt haben“, sagt der Erstautor der Studie Rabosky.
Bei seiner Analyse hat das Team auf die Informationen von AquaMaps zurückgegriffen, einer Datenbank mit Karten zur globalen Verbreitung von Meerestieren, die inzwischen mehr als 25.000 Spezies erfasst: von Säugetieren, Fischen und Schildkröten bis hin zu Algen, Muscheln und Korallen. Kristin Kaschner aus der Abteilung für Biometrie und Umweltsystemanalyse der Universität Freiburg hat das Informationssystem zusammen mit Forschenden des Geomar – Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel entwickelt.
Originalpublikation:
Daniel L. Rabosky, Jonathan Chang, Pascal O. Title, Peter F. Cowman, Lauren Sallan, Matt Friedman, Kristin Kaschner, Cristina Garilao, Thomas J. Near, Marta Coll, Michael E. Alfaro: An inverse latitudinal gradient in speciation rate for marine fishes. In: Nature. https://www.nature.com/articles/s41586-018-0273-1
Die Datenbank AquaMaps
https://www.aquamaps.org
06.07.2018, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Nachtaktive Fische haben kleinere Gehirne
Ein internationales Forscherteam, darunter Wissenschaftler des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums, hat herausgefunden, dass nachtaktive Fische trotz ihrer größeren Augen kleinere Gehirnareale zur Verarbeitung visueller Reize haben als tagaktive Fische. Die Studie wirft ein neues Licht darauf, welchen Einfluss der Tag- und Nachtrhythmus auf die Evolution von Wirbeltiergehirnen hat und wurde kürzlich im „Journal of Evolutionary Biology“ veröffentlicht.
Wenn es Nacht wird über dem Meer, begibt sich ein großer Teil der Fische zur Ruhe. Die Nachtschwärmer unter den Fischen hingegen werden dann munter. Ob sich diese gegensätzlichen Lebensstile auch in den Gehirnen der Fische niederschlagen, hat jetzt eine Gruppe von Forschern aus Japan, den USA und Deutschland untersucht.
Ihre Studie zeigt, dass die Gehirnareale, die visuelle Reize verarbeiten, bei nachtaktiven Fischen kleiner sind als bei tagaktiven Fischen. „Das ist überraschend, weil solche Fische gleichzeitig oft vergrößerte Augen haben, um die Lichtausbeute zu optimieren. Obwohl ihnen eine gute Sicht anscheinend wichtig ist, wenden sie weniger Grips dafür auf, die über die Augen gewonnenen Informationen zu verarbeiten. Sie verzichten also auf etwas”, so Dan Warren, Senior-Wissenschaftler am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum.
Um die Größe der Gehirnareale der Fische zu vermessen, fertigte die Forschergruppe dreidimensionale Scans der Gehirne tag- und nachtakiver Fische an, die das Team vor der Küste Hawaiis, Curaçaos und North Carolinas, USA, gefangen hatte. Die dabei zum Scannen eingesetzte Computertomographie ist die gleiche, die in der Medizin genutzt wird. Die Messdaten der Gehirnareale wurden anschließend mit Daten zur Evolution, Ökologie, Morphologie und Verhalten der Fische in Beziehung gesetzt.
Tagaktive Fische haben demnach insgesamt mehr Gehirngewebe, um visuelle Informationen zu verarbeiten, als nachtaktive Fische. Absoluter Spitzenreiter der tagaktiven Fische sind Plattfische, die nahe eines Riffs leben und ihre Färbung verändern, um sich den komplexen Farbmustern des Riffs anzupassen. Möglich wird dies, weil das Gehirn dieser Fische einem Hochleistungsrechner zur Verarbeitung visueller Informationen vergleichbar ist.
Wie die Studie zudem zeigt, besitzen nur nachtaktive Fische, die im uferfernen offenen Wasser auf Futtersuche gehen, ähnlich große Gehirnareale zur Verarbeitung visueller Reize wie tagaktive Fische. „Neben dem Tag- und Nachtrhythmus wird die Größe der entsprechenden/untersuchten Gehirnareale wohl auch dadurch beeinflusst, ob sich der Fisch vor Räubern in Acht nehmen muss. Deren frühzeitiges Aufspüren ist wie die Tarnung ein Beispiel für die große Bedeutung einer besseren Fähigkeit zur Verarbeitung visueller Reize“, erklärt Warren.
Nach Ansicht der Autoren sind die Studienergebnisse mit Blick auf die zunehmende Lichtverschmutzung im ufernahen Meer durch wachsende Küstenstädte besorgniserregend. Künstliches Licht beeinflußt erwiesenermaßen den Tag- und Nachtrhythmus von Tieren und verändert damit ihren Aktivitätsrhythmus. Doch genau auf den bauen die eingespielten Nahrungsnetze im Meer auf. „Viele Studien haben gezeigt, dass schnelle Veränderungen des Nahrungsnetzes häufig mit einem erheblichen Artenverlust in einem Ökosystem einhergehen. Außerdem wissen wir jetzt, dass der bisherige Tag- und Nachtrhythmus im Meer die Evolution der Fischgehirne prägte. Neben dem kurzfristigen Einfluss auf Nahrungsnetze könnte die Lichtverschmutzung daher langfristig neurologische Veränderungen bei Fischen verursachen deren Folgen nicht absehbar sind“, so Warren.
Publikation
Iglesias, T. L.et al. (2018): Eyes wide shut: The impact of dim-light vision on neural investment in marine teleosts. Journal of Evolutionary Biology, doi: 10.1111/jeb.13299