Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

01.04.2019, Universität Wien
Die Evolution der Paradiesvögel
Paradiesvögel sind eine Teilgruppe der Singvögel, deren Männchen für ihr farbenprächtiges Gefieder und ihr auffälliges, vielfältiges sexuelles Balzverhalten bekannt sind. Ein internationales Forschungsteam um Qi Zhou vom Department für molekulare Evolution und Entwicklung der Universität Wien und KollegInnen der Zhejiang University of China sowie des Schwedischen Naturkundemuseums hat nun die Genome von insgesamt 11 Singvogelarten, darunter auch fünf Paradiesvogelarten, analysiert. Mittels der Ergebnisse dieser umfangreichen Studie rekonstruierten sie die Evolution der Geschlechtschromosomen der Singvögel.
Vögel haben einen anderen Typ von Geschlechtschromosom als Säugetiere. Das heißt, weibliche Vögel besitzen ein Z-Chromosom und ein frauenspezifisches W-Chromosom, während Männchen zwei Z-Chromosomen haben. Das W-Chromosom ist viel kleiner und genarm, ähnlich dem Y-Chromosom des Mannes bei Menschen. Durch Sequenzierung der weiblichen Singvogel-Genome enthüllten die ForscherInnen nun Details, wie Z- und W-Chromosomen in ihrer evolutionären Entwicklung getrennt wurden und welche Faktoren die Schicksale der Gene auf dem W-Chromosom bestimmen.
Junk-DNA erleichterte die Trennung von Geschlechtschromosomen
Geschlechtschromosomen sollten in den meisten Regionen keinen genetischen Austausch untereinander haben – das heißt, sie entwickeln sich entlang separater Entwicklungspfade, damit sich geschlechtsbestimmende Gene nicht von einem Geschlechtschromosom zum anderen rekombinieren und dadurch versehentlich im anderen Geschlecht auftauchen. Die ForscherInnen zeigten, dass eine solche Unterdrückung der Rekombination zu vier Zeitpunkten zwischen den Singvogel-Sex-Chromosomen stattgefunden hat. Dies hat vier aufeinanderfolgende geschlechtsgebundene Regionen zu einem Gradienten des zeitlichen Divergenzmusters umgeformt, die als „Evolutionsschichten“ bezeichnet werden.
Trotz der dramatisch unterschiedlichen Phänotypen aller existierenden 5.000 Singvogelarten, scheinen alle diese Entwicklungsgeschichte dieser Rekombination-Unterdrückungsereignisse gemeinsam zu haben. Das besondere Augenmerk lag auf einer Familie repetitiver Elemente („CR1-Transposon“ genannt), vermutlich nicht-funktionelle DNA-Sequenzen, die sich an einem Mutations-Hotspot zwischen zwei benachbarten Evolutionsschichten massiv angesammelt haben. Dies brachte die Hypothese auf, dass Junk-DNA den Rekombinationsverlust zwischen den Geschlechtschromosomen ausgelöst haben könnten und so getrennte Evolutionspfade ermöglichten.
Auf dem W-Chromosom überlebten nur Dosis-sensitive Gene
Nachdem die Rekombination auf dem W-Chromosom verloren gegangen ist (Z-Chromosomen können nur noch bei Männern rekombinieren), sind dort die Gene dem Auftreten schädlicher Mutationen hilflos ausgesetzt, die normalerweise durch Rekombination effektiv entfernt werden könnten. Heutzutage sind nur eine Handvoll Gene auf den Singvogel-W-Chromosomen funktionsfähig geblieben. Die ForscherInnen stellten fest, dass die erhaltenen Gene tendenziell breiter oder stärker exprimiert sind als die verloren gegangenen Gene, verglichen mit Nicht-Vogelarten, wo beide Gengruppen noch vorhanden sind. Dies weist darauf hin, dass die erhaltenen Gene wichtigere Funktionen haben als andere, und ein Verlust dieser Gene zu gravierend wäre, selbst wenn das Z-verknüpfte Gen bei Weibchen noch vorhanden ist, als dass die Spezies eine reduzierte Dosis tragen könnte.
Publikation in Nature Ecology & Evolution
Dynamische Evolutionsgeschichte und Gengehalt von Geschlechtschromosomen über verschiedene Singvögel hinweg. Luohao Xu et al., Nature Ecology & Evolution
DOI: 10.1038 / s41559-019-0850-1

01.04.2019, Universität Zürich
Klimawandel bedroht Überleben der Delfine
Delfine in Westaustralien haben nach einer Hitzewelle im Meer deutlich weniger Junge zur Welt gebracht als in den Jahren zuvor. Wie Forscherinnen und Forscher der UZH zeigen, hat der Klimawandel einen weiteichenden Einfluss auf den Schutz maritimer Säugetiere.
Shark Bay in Westaustralien Anfang 2011: Eine Hitzewelle lässt die Wassertemperaturen um mehr als 4 Grad über den langjährigen Durchschnitt steigen. Als Folge der langanhaltenden Hitzeperiode sterben grosse Teile der Seegraswiesen und der Fischbestände in dem zum UNESCO-Weltkulturerbe zählenden Küstengebiet.
Forscherinnen und Forscher der UZH haben nun untersucht, wie sich diese Umweltschädigung auf das Überleben und den Fortpflanzungserfolg von Delfinen ausgewirkt hat. Sie nutzten dafür Lang-zeitdaten der Jahre 2007 bis 2017 von hunderten Tieren. Dabei stellte sich heraus: Die Überlebensra-te der Delfine sank nach der Hitzewelle 2011 um 12 Prozent. Zudem hatten die Delfinweibchen weni-ger Kälber — ein Phänomen, das bis 2017 anhält.
Negativer Einfluss der Hitzewelle beispiellos
«Das Ausmass des negativen Einflusses der Hitzewelle hat uns überrascht», so Sonja Wild, ehemalige Doktorandin an der Universität Leeds und Erstautorin der Studie. «Äusserst ungewöhnlich ist insbesondere, dass sich der Fortpflanzungserfolg der Weibchen selbst nach sechs Jahren noch nicht normalisiert hatte.» Für den geringeren Fortpflanzungserfolg gibt es mehrere mögliche Erklärungen, die die Forscher im Detail jedoch nicht untersucht haben. So könnten eine Vernachlässigung der Kälber, eine erhöhte Neugeborensterblichkeit oder eine Verzögerung der Geschlechtsreife den gerin-geren Fortpflanzungserfolg nach der Hitzewelle erklären.
Nicht alle Delfingruppen gleich betroffen
Interessanterweise wirkte sich die Hitzewelle nicht auf alle Delfingruppen gleich aus. So waren Del-fine, die Schwämme als Werkzeuge benutzen – eine Technik die kulturell erlernt ist und Delfinen hilft, Nahrung in tieferen Gewässern zu finden – nicht so stark betroffen wie Tiere, die diese Technik nicht beherrschen. «Wir gehen jedoch davon aus, dass diese plötzlichen Klimaereignisse auf lange Sicht sogar bei Tiergruppen, die sich neuen Umweltbedingungen normalerweise relativ gut anpassen, äusserst negative Auswirkungen haben können», sagt Sonja Wild.
Problematisch für das ganze Meeres-Ökosystem
Die Forschenden der UZH zeigen in ihrer Studie zum ersten Mal, dass marine Hitzewellen nicht nur niedrigstehende Tiere innerhalb von Nahrungsketten bedrohen, sondern auch erhebliche Langzeitkonsequenzen für Tiere an der Spitze haben. «Marine Hitzewellen werden aufgrund des Klimawandels in Zukunft gehäuft auftreten», so Studienleiter Michael Krützen, Professor am Anthropologischen Institut der UZH. «Dies ist nicht nur problematisch für die langfristige Perspektive von Delfinpopulation, sondern für die gesamten Ökosysteme des Meeres.»
Die Studie wurde mit Mitteln der Schweizerischen Nationalfonds, der National Geographic Society, der SeaWorld Research and Rescue Stiftung, der W.V. Scott Stiftung sowie der A.H. Schultz Stiftung unterstützt.
Originalpublikation:
Wild, Sonja, Krützen, Michael, Rankin, Robert, Hoppitt, William, Gerber, Livia, Allen, Simon J.. Long-term decline in survival and reproduction of dolphins following a marine heatwave. Current Biology. Doi: 10.1016/j.cub.2019.02.047

02.04.2019, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Flughunde forsten afrikanische Wälder auf
Mit den durch die Fledertiere verbreiteten Samen könnten jedes Jahr 800 Hektar neuer Wald entstehen
Intakte Ökosysteme erfreuen nicht nur Naturliebhaber, sie nutzen Menschen auch finanziell. Wie viel Geld sie jedoch tatsächlich einbringen, ist im Einzelfall schwer zu beziffern. Nun haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell zusammen mit Kollegen aus Schweden und Ghana erstmals den ökologischen und finanziellen Nutzen von Palmenflughunden in Afrika berechnet. Diese Fledermausart fliegt jede Nacht lange Strecken zu ihren Futterplätzen und verbreitet dabei die Samen der verzehrten Früchte. Den Forschern zufolge verbreitet eine Kolonie von 150.000 Tieren in einer einzigen Nacht über 300.000 Samen. Damit könnten pro Jahr allein in Ghana 800 Hektar Wald wieder aufgeforstet werden – und das von einer einzigen Kolonie. Von einem besseren Schutz der vor allem durch Jagd bedrohten Tiere würden also sowohl Wälder als auch Menschen profitieren.
Palmenflughunde (Eidolon helvum) besitzen eine Flügelspannweite von bis zu 80 Zentimetern und ernähren sich von Nektar und Früchten. Tagsüber hängen die Fledertiere kopfüber in den Kronen alter Bäume und schlafen. Bei Sonnenuntergang werden sie aktiv und begeben sich auf Futtersuche. Wenn die Tiere in Kolonien leben und die Konkurrenz um Futter groß ist, fliegen sie bis zu 88 Kilometer weit zu geeigneten Futterbäumen und kehren erst am nächsten Morgen wieder an ihre Schlafplätze zurück. Unterwegs verteilen sie die Samen der gefressenen Früchte über große Gebiete mit ihren Ausscheidungen.
Auf diese Weise tragen die Flughunde zur Artenvielfalt der Wälder und deren genetische Diversität bei, denn gesunde Wälder können nur gedeihen, wenn Früchte-fressende Tiere wie Flughunde die Samen der Bäume über größere Entfernungen hinweg verbreiten. Dank des weiträumigen Transports durch die Fledertiere können junge Bäume in einer Umgebung ohne direkte Konkurrenz durch Artgenossen und auf sie spezialisierte Pflanzenfresser keimen und aufwachsen. Dadurch können selbst in gerodeten Gebieten neue Wälder entstehen.
Flughunde sind Langstreckenflieger
Dina Dechmann vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell erforscht mit ihren Kollegen seit Jahren den in Afrika lebenden Palmenflughund. „Die meisten Früchte fressenden Tierarten verlassen die schützenden Baumkronen ihres Waldes nicht und verteilen deshalb Samen nur in einem kleinen Umkreis“, erzählt Dechmann. Der Palmenflughund dagegen überfliegt bei seiner nächtlichen Futtersuche Waldgrenzen, fliegt über offene Landschaften und kann die Samen der gefressenen Früchte bis zu 75 Kilometer weit verbreiten. Außerdem frisst er viele verschiedene Arten von Früchten und lebt in Kolonien von tausenden bis Millionen von Individuen.
Die Forscher haben die Bewegungen der Palmenflughunde mit GPS-Sendern verfolgt und die nächtlichen Flugrouten aufgezeichnet. In Fütterungsexperimenten haben sie außerdem die Dauer gemessen, bis Samen nach der Verdauung verbreitet werden. Demnach scheiden die Tiere einen Teil der Samen erst relativ spät aus und begünstigen so deren Verbreitung über weite Strecken.
Hoher Nutzen für den Menschen
Mithilfe der Daten über Flugbewegung und Ausscheidungszeit der Samen konnten die Forscher das Potential einer ganzen Kolonie berechnen, Samen über lange Strecken zu verteilen und in gerodete Gebiete zu transportieren. Auf diese Weise haben sie herausgefunden, dass eine Kolonie von 150.000 Palmenflughunden in einer einzigen Nacht über 300.000 Samen verteilen kann.
„Die Palmenflughunde verbreiten unter anderem schnell wachsende Bäume, die als Pionierarten die richtige Umgebung für das Ansiedeln und Wachsen weiterer Baumarten schaffen“, erklärt Dechmann. Dadurch könnten pro Jahr allein in Ghana 800 Hektar Wald wieder aufgeforstet werden. Der Gewinn, der dabei für die Bevölkerung durch essbare Früchte, erhöhte Bodenfruchtbarkeit und Holz entsteht, liegt rechnerisch bei über 700.000 Euro. Da die Palmenflughunde durch ganz Afrika migrieren, profitieren viele Gemeinden von ihren Dienstleistungen.
Bedrohung durch Jagd und Verlust von Lebensraum
Die Zahl der in Afrika lebenden Palmenflughunde geht jedoch immer weiter zurück. Die Tiere werden in großer Zahl gejagt und auf Märkten zum Essen angeboten. Aber auch die Abholzung großer Bäume, die die Tiere als Schlafplätze brauchen, bedroht die Bestände. „Das ist ein unglaublicher Verlust, denn die Palmenflughunde helfen mit beim Erhalt der Wälder in Afrika. Die Bevölkerung muss deshalb dringend über die Bedeutung der Palmenflughunde informiert werden“, sagt Dechmann. Mit gutem Beispiel voran geht dabei ein lokaler König in Kibi, einer Stadt im Süden Ghanas: Die Kolonie Palmenflughunde, die in seinem Garten lebt, hat er unter seinen persönlichen Schutz gestellt.
Originalpublikation:
Mariëlle L. van Toor, M. Teague O’Mara, Michael Abedi-Lartey, Martin Wikelski, Jakob Fahr, Dina K.N. Dechmann
Linking colony size with quantitative estimates of ecosystem services of African fruit bats.
Current Biology; 1. April 2019

02.04.2019, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Verlust von Lebensräumen schadet der Artenvielfalt doppelt
Der Verlust und die Fragmentierung von Lebensräumen zählen zu den wichtigsten Ursachen, warum an vielen Orten weltweit der Artenreichtum zurückgeht. Jetzt hat ein Forscherteam unter Beteiligung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) nachgewiesen, dass sich die Zerstörung von Lebensräumen sogar doppelt auswirkt: Wenn Lebensräume verloren gehen, verschwinden nicht nur die dort lebenden Arten – auch in benachbarten Lebensräumen sinkt die Artenzahl. Ursache seien die zu großen räumlichen Abstände zwischen den noch verbliebenen Lebensräumen, schreiben die Forscher im Fachblatt Ecology Letters.
Wissenschaftler vom Forschungszentrum iDiv, der Uni Halle und dem Forschungszentrum WasserCluster Lunz in Österreich nutzten für ihre Studie Langzeitdaten zu sogenannten Salzlacken in der Region Seewinkel im Osten Österreichs. In diesen Lacken wurde das Vorkommen von wirbellosem Zooplankton wie kleinen Krebstierchen und Rädertierchen erfasst. Lacken sind sehr seichte, von Niederschlägen und Grundwasser gespeiste und immer wieder austrocknende Kleingewässer von meist weniger als einem Quadratkilometer Fläche, die im Seewinkel zum Teil einen sehr hohen Salzgehalt erreichen. In dem 270 Quadratkilometer großen Untersuchungsgebiet gab es in den 1950er Jahren noch mehr als 110 Lacken. Infolge der landwirtschaftlichen Intensivierung schwand deren Zahl bis auf etwa 30 im Jahr 2010 – ein Rückgang von rund 70 Prozent innerhalb von sechs Jahrzehnten. Entsprechend ging auch die Artenzahl zurück: Fanden die Ökologen 1957 noch 64 Arten, waren es 2010 noch 47 – ein Minus von 17 Arten.
Was waren die Ursachen, dass in den Salzlacken so viele Planktonarten verschwanden? Lag es nur daran, dass deren Lebensraum verloren ging oder gab es noch einen anderen Effekt? Tatsächlich fanden die Forscher anhand von Modellierungen heraus, dass der Rückgang der Salzlacken von einst 110 auf 30 nur ein Aussterben von vier Zooplanktonarten zur Folge hätte haben dürfen: „Selbst wenn wir nicht die Anzahl der Lacken, sondern stattdessen die Flächen der Lacken berücksichtigen, hätten wir nur ein Rückgang von neun Arten erwartet“, sagt Prof. Jonathan Chase, Leiter der Forschungsgruppe Biodiversitätssynthese bei iDiv und Uni Halle und Letztautor der Studie. Stattdessen seien aber 17 Arten in der Region ausgestorben. Die Forscher konnten jedoch ausschließen, dass für dieses zusätzliche Minus Verschlechterungen in der Qualität der Lebensräume eine Rolle spielten – etwa die Veränderung des Salzgehalts, Schwankungen des Nährstoffgehalts, wechselnde Wasserstände oder Trübungen der Tümpel. „Es muss also noch einen anderen Effekt auf Landschaftsebene geben, der für das Aussterben der Arten in der Region verantwortlich ist“, sagt Erstautorin Dr. Zsófia Horváth. Sie hat die Studie am WasserCluster Lunz in Österreich sowie beim Forschungszentrum iDiv und der Uni Halle durchgeführt.
Räumliche Prozesse können den starken Rückgang der Artenzahl erklären: Wenn viele Salzlacken verschwinden, sind die Abstände zwischen den verbleibenden Lacken relativ groß. Für das Zooplankton wird es damit immer schwieriger, neue Lebensräume zu besiedeln – etwa durch die passive Ausbreitung der Eier über Wind oder als „blinder Passagier“ an Amphibien oder Vögeln. „Dass Arten lokal verschwinden, kommt immer wieder vor. Problematisch wird es, wenn diese Arten Lebensräume nicht mehr wiederbesiedeln können“, sagt Jonathan Chase. Gebe es weniger Salzlacken, in denen eine bestimmte Art von Zooplankton vorkommt, und seien die verbleibenden Lacken weit voneinander entfernt, sinke die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Art erneut ausbreiten kann. Dies bedeutet, das ein lokales Aussterben in einer Salzlacke nicht mehr durch eine Neubesiedelung von anderen Lacken in der Region aufgefangen werden kann.
In so genannten Meta-Gemeinschaften, also ökologischen Gemeinschaften von Lebewesen, die sich auf verschiedene Standorte verteilen und potenziell miteinander verbunden sind, gibt es also neben dem lokalen Aussterbe-Effekt einen zusätzlichen Effekt auf regionaler Ebene. Dies wurde schon länger vermutet, aber bislang selten nachgewiesen, weil es wenig Langzeitstudien gibt. Dank der Daten zu den Salzlacken in der Region Seewinkel konnte diese Wissenslücke nun geschlossen werden. „Das ist wichtig, weil dieser Effekt künftig in der Modellierung stärker berücksichtigt werden kann – zum Beispiel, wenn es darum geht, abzuschätzen, wie sich der Verlust von Lebensraum auf die Biodiversität auswirkt“, bilanziert Chase.
Originalpublikation:
Horváth, Zsófia; Ptacnik, Robert; Vad, Csaba; Chase, Jonathan (online erschienen am 1. April 2019): Habitat loss over six decades accelerates regional and local biodiversity loss via changing landscape connectance. Ecology Letters. https://doi.org/10.1111/ele.13260

02.04.2019, Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
Knallbunt: Neue Riesenstabschrecken in Madagaskar entdeckt
Wissenschaftler der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM) und der Universität Göttingen haben zwei neue Riesenstabschrecken entdeckt, die mit über 20 Zentimeter Körperlänge zu den größten Insekten Madagaskars gehören. Im Unterschied zu den meisten anderen Stabschrecken tarnen sich die erwachsenen Männchen dieser Phasmiden nicht als unscheinbare Äste und präsentieren sich in üppiger Farbenpracht. Warum sich die Männchen diese Extravaganz leisten können, bleibt vorerst ein spannendes Rätsel für die Evolutionsforschung. Die Arbeit wurde heute in der Fachzeitschrift Frontiers in Ecology and Evolution veröffentlicht.
Achrioptera manga ist ein echtes Juwel unter den Stabschrecken, riesengroß und mit knallbunten Männchen. Die wichtigste Überlebensregel für Stabschrecken ist eigentlich, sich für Fressfeinde unsichtbar zu machen, aber die farbenprächtigen Achrioptera-Männchen haben sich einfach darüber hinweggesetzt – und trotzdem überlebt. Wofür diese Extravaganz nützlich ist und warum die auffälligen Männchen nicht schnell von Vögeln und anderen Tieren gefressen werden, bleibt vorerst ein Rätsel.
„Möglicherweise nehmen sie mit ihrer Blätternahrung Pflanzengifte auf, die sie in ihrem Körper einlagern und signalisieren mit ihrer Farbenpracht, dass sie nicht genießbar sind“ sagt Frank Glaw, Kurator an der Zoologischen Staatssammlung München. Für die Weibchen könnte die Tarnung trotzdem vorteilhafter sein als die Abschreckung von Fressfeinden. „Wenn im Tierreich besonders bunte Männchen auftreten, dann liegt das oft daran, dass die Weibchen solche Männchen für die Paarung bevorzugen, aber ob diese Erklärung bei den hauptsächlich nachtaktiven Tieren zutrifft, wissen wir nicht.“ ergänzt sein Kollege und Heuschreckenexperte der ZSM Oliver Hawlitschek. Auffällig ist jedenfalls, dass die Männchen ihre Farbenpracht erst entwickeln, nachdem sie erwachsen geworden sind. Bis zu ihrer letzten Larvenhäutung sehen sie aus wie ein brauner Zweig und sind tagsüber fast unsichtbar. Erst danach erfolgt innerhalb weniger Tage die erstaunliche Umfärbung zum farbenprächtigen Insekt.
Die Weibchen bleiben hingegen wie die meisten Stab- und Gespenstschrecken zeitlebens gut getarnt. „Mit dieser Strategie hat die Insektenordnung der Phasmiden seit Jahrmillionen überlebt, mehr als 3.000 Arten hervorgebracht und alle wärmeren Regionen der Erde besiedelt.“ erklärt Sven Bradler, Stabschreckenforscher an der Universität Göttingen. „Unsere Daten lassen vermuten, dass es noch viele weitere neue und äußerlich ähnliche Arten gibt, die sich erst mit Hilfe der Genetik zuverlässig identifizieren lassen,“ ergänzt seine Kollegin Julia Goldberg.
Bisher wurde A. manga der äußerlich sehr ähnlichen Art Achrioptera fallax zugeordnet, die schon vor fast 160 Jahren beschrieben wurde. Aber erst vor ein paar Jahren entdeckten Forscher der Zoologischen Staatssammlung München grüne Stabschrecken, die der Erstbeschreibung von A. fallax genau entsprechen. Zusammen mit Kollegen der Universität Göttingen verglichen sie nun die grüne und blaue Form und fanden unter anderem deutliche genetische Unterschiede, die ihre artliche Verschiedenheit belegen. Ähnlich verlief auch die Entdeckung der zweiten neuen Riesenstabschrecke Achrioptera maroloko, die bis zu 24 cm Körperlänge erreicht und bisher für A. spinosissima gehalten wurde. Beide Arten zeigen jedoch ebenfalls deutliche Unterschiede in der Männchenfär-bung (gelb versus blau) und der Genetik.
Originalpublikation:
Glaw, F., O. Hawlitschek, A. Dunz, J. Goldberg & S. Bradler (2019): When giant stick insects play with colors: Molecular phylogeny of the Achriopterini and description of two new splendid species (Phasmatodea: Achrioptera) from Madagascar. – Frontiers in Ecology and Evolution
doi: 10.3389/fevo.2019.00105

03.04.2019, Universität zu Köln
Zoologie: Wanzenforschung zeigt, dass flüssige Ernährung den Geschmackssinn schmälert
Ob Tierblut oder Pflanzenfasern: Einfluss von Fressverhalten auf die Enzymvielfalt verschiedener Wanzenarten nachgewiesen
Der Speiseplan eines Insekts hat einen beträchtlichen Einfluss auf dessen körperliche Eigenschaften wie Panzer- und Flügelfarbe, Geruchs- oder Geschmackssinn. Das ist das Ergebnis einer großen Vergleichsstudie von Dr. Kristen Panfilio, Biologin an der Universität zu Köln und an der University of Warwick, Großbritannien. Panfilios Beitrag „Molecular evolutionary trends and feeding ecology diversification in the Hemiptera, anchored by the milkweed bug genome“ ist in der Fachzeitschrift „Genome Biology“ erschienen.
Das Erbgut (Genom) der Seidenpflanzen-Wanze („milkweed bug“) ist eine wichtige Ressource, um Gene und Proteine mit anderen Insektenarten zu vergleichen. Unter der Leitung von Panfilio arbeitete ein internationales Team von 83 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in 27 Arbeitsgruppen in 10 verschiedenen Ländern an der Sequenzierung des Erbguts dieser Wanze. Die Seidenpflanzen-Wanze wird seit Jahrzehnten als biologischer Modellorganismus für Genetik, Ökologie, Entwicklungsbiologie und Physiologie benutzt. Im Gegensatz zur Fruchtfliege, die in der Forschung längst als Modellorganismus etabliert ist, haben Wanzen häufig ein fünfmal so großes Genom und sind deshalb komplexer zu erfassen.
Die Analysen zeigen, dass Wanzenarten, die eine sehr einseitige flüssige Ernährung haben, wie beispielsweise blutsaugende Bettwanzen oder saftsaugende Blattläuse, ihre Genanzahl dahingehend verändern, dass sie sensorische Fähigkeiten von Riechen bis Schmecken stark reduzieren. Die Seidenpflanzen-Wanze hat im Vergleich dazu ein breites Repertoire an Sensorik. Um solche Einflüsse des Fressverhaltens besser zu erforschen, wurde im Genom-Projekt eine große Bio-Datenbank erstellt, die alle Enzyme umfasst, die eine Rolle für den Stoffwechsel spielen – unter anderem Verdauungsenzyme.
Hauptsächlich ernährt sich die kräftige Wanze von der giftigen Seidenpflanze, weshalb sie das knallige Rot-Orange als Warnfarbe auf ihrem Panzer trägt. „Dies ist ein Signal an potenzielle Fressfeinde. Die Seidenpflanze ist giftig, daher wäre auch die Wanze eine giftige Beute“, erklärt Panfilio. „Die Wanzen können jedoch ganz bestimmte Enzyme ausbilden, um die giftigen Pflanzenfasern aufzubrechen und zu verdauen. Obwohl die Monarchfalter die gleiche Seidenpflanze fressen, hat uns überrascht, dass sie unterschiedliche Enzyme ausbilden als die Wanze.“
Eine weitere Beobachtung ist, dass die Wanze von bestimmten Bakterien Enzyme geklaut und in ihr eigenes Genom eingebaut hat. Wie dieser „Diebstahl“ erfolgte ist Gegenstand aktueller Forschung. „Diese Zusammenhänge zum Speiseplan auf molekulargenetischer Ebene zu verstehen ist auch wichtig, um neue, nachhaltige Strategien der Schädlingsbekämpfung zu entwickeln“, so Panfilio. Mitautor Robert Waterhouse von der Université de Lausanne, Schweiz, erklärt: „Darüber hinaus tragen Genomsequenzierungsprojekte dazu bei, unser Verständnis der zoologischen Biodiversität zu erweitern.“
Die Ergebnisse sind in Kooperation mit Forscherinnen und Forschern des Exzellenzclusters CECAD und des 2017 beendeten Sonderforschungsbereich 680 „Molekulare Grundlagen evolutionärer Innovationen“ an der Universität zu Köln entstanden.
Panfilio, K.A., et al. Molecular evolutionary trends and feeding ecology diversification in the Hemiptera, anchored by the milkweed bug genome, 2019, Genome Biology, DOI: https://doi.org/10.1186/s13059-019-1660-0

04.04.2019, NABU
NABU: Deutschland hat viel zu wenig Naturwälder
Gerade mal 2,8 Prozent der Wälder in Deutschland dürfen sich natürlich entwickeln. Das ist das ernüchternde Ergebnis einer Studie des Bundesamtes für Naturschutz, die am heutigen Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Damit wird die Bundesregierung voraussichtlich ihre selbst gesteckten Ziele verfehlen, bis 2020 fünf Prozent des Waldes forstwirtschaftlich nicht mehr zu nutzen.
„Es ist ein Armutszeugnis, dass Deutschland es nicht hinbekommt, dieses zentrale Naturschutzziel umzusetzen. Wir sind eines der reichsten Länder der Erde, erwarten von anderen Nationen, dass sie ihre Natur und Artenreichtum erhalten, schaffen es aber innerhalb von zwölf Jahren nicht, den Anteil von unbewirtschafteten Wäldern zum Schutz der Biodiversität nennenswert zu erhöhen“, so NABU-Präsident Olaf Tschimpke.
2007 hat sich die Bundesregierung in der nationalen Biodiversitätsstrategie, unterstützt durch die Waldstrategie 2020, das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 fünf Prozent der deutschen Waldfläche zu „Urwäldern von morgen“ zu erklären. Im Jahr 2013 wurden die ersten Ergebnisse präsentiert. Damals waren 1,9 Prozent der deutschen Waldfläche, mit einer damals schon schwachen Prognose für nach 2020 von drei Prozent, rechtlich gesichert. Statt mehr Tempo für den Schutz von Insekten, Vögeln und anderen Tierarten zu machen, ist viel zu wenig passiert.
„Wir erkennen an, dass in einigen Bundesländern wie Baden-Württemberg, Hessen oder Thüringen Bemühungen stattgefunden haben, um weitere Wälder unter Schutz zu stellen“, so Tschimpke weiter. „Allerdings ging es oft nicht darum, möglichst effizient große zusammenhängende Waldgebiete auszuweisen, vielmehr wurde häufig um Kleinstflächen gefeilscht. Die Ziele von Naturwäldern und Wildnis müssen aber verstärkt zusammengedacht werden. Größere Biotopverbände sind dabei bedeutend.“
Neben dem sogenannten Fünf-Prozent-Ziel „Wälder mit natürlicher Waldentwicklung“ gibt es in der Biodiversitätsstrategie auch das Ziel, zwei Prozent der Landesfläche als Wildnisgebiete auszuweisen. Die beiden Ziele unterscheiden sich vor allem in der Mindestflächengröße. Während die „Urwälder von morgen“ mindestens 0,3 Hektar groß sein müssen, um in die Bilanz aufgenommen zu werden, müssen Wildnisgebiete größer als 1000 Hektar sein. Große Waldgebiete tragen damit zu beiden Zielen bei, kleine dagegen nur zum Fünf-Prozent-Ziel.
„Aus Sicht des Waldnaturschutzes, aber auch für die Ziele der Bundesregierung ist es sinnvoll, dass die geschützten Waldflächen so groß wie möglich sind. Neben den Konzepten der Länder sind auch die waldbesitzenden Kommunen gefordert, mehr Naturwald und Wildnis zuzulassen“, so NABU-Waldexperte Stefan Adler. „Es müssen auch neue Finanzierungsformen für den Privatwald entwickelt werden, wenn dieser vorrangig für die Biodiversität, CO2-Speicherung sowie das Filtern von Luft und Wasser zur Verfügung gestellt wird. Diese Ökosystemleistungen sind gesellschaftlich unverzichtbar.“

04.04.2019, Forschungsverbund Berlin e.V.
Nächtliche Orientierung migrierender Fledermäuse hängt von Richtung des Sonnenuntergangs ab
Ob Wale, Huftiere oder Fledermäuse – Millionen Säugetiere wandern mehrere tausend Kilometer im Jahr. Wie sie während dieser jahreszeitlichen Migration navigieren, ist jedoch im Gegensatz zu Vögeln oder Schildkröten kaum erforscht. Mit einem innovativen Doppelexperiment hat ein Wissenschaftlerteam unter Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) nachgewiesen, dass eine Fledermausart die Richtung des Sonnenuntergangs zur Kalibrierung ihres inneren Kompasses nutzt.
Ein großer Spiegel simulierte für einen Teil der Tiere eine andere Richtung des Sonnenuntergangs und ein neuartiger Testablauf ermöglichte es, die Flugrichtungen der Tiere nach dem Start aufzuzeichnen. Das Experiment, welches in „Current Biology“ publiziert ist, zeigt zudem, dass diese Fähigkeiten nicht vererbt, sondern mutmaßlich erlernt werden.
Das Experiment, dass Wissenschaftler Oliver Lindecke und Christian Voigt vom Leibniz-IZW gemeinsam mit KollegInnen aus Lettland und Großbritannien entworfen und durchgeführt haben, beruht auf zwei Teilschritten: Zunächst wurden mehrere Mückenfledermäuse (Pipistrellus pygmaeus) in zwei Gruppen eingeteilt. Zum Sonnenuntergang während ihrer Wanderperiode hat eine Gruppe den natürlichen Sonnenuntergang an der lettischen Ostseeküste erlebt, während die zweite Gruppe mit einem großen Spiegel einer um 180° umgekehrte Version dieses Schauspiels ausgesetzt war. Die Sicht auf den natürlichen Sonnenuntergang hingegen war blockiert. Später in der Nacht haben die WissenschaftlerInnen die Tiere auf eine Wiese einige Kilometer ins Landesinnere gebracht und mit Hilfe einer speziell entworfenen „release box“ freigelassen. Diese runde Box ermöglichte es den ForscherInnen, die Abflugrichtung genau aufzeichnen. Frühere Studien haben gezeigt, dass die Richtung des Starts eine sehr zuverlässige Näherung für die tatsächliche Flugrichtung der Tiere ist.
„Unser Versuchsaufbau, die runde ‚release box‘, war so gestaltet, dass sie die Startrichtung der Tiere nicht beeinflusst, sodass wir die Richtungen für beide Gruppen von Fledermäusen vergleichen konnten“, erklärt Lindecke. „Die Resultate haben uns zwei fundamentale Erkenntnisse gebracht: Erstens spielt die Richtung des Sonnenuntergangs tatsächlich eine zentrale Rolle bei der nächtlichen Orientierung der Mückenfledermäuse, weil die Gruppen signifikant unterschiedliche Flugrichtungen einschlugen. Und zweitens konnten wir feststellen, dass nur erwachsene Tiere diese Richtungspräferenzen zeigten“, fasst Lindecke zusammen. „Unerfahrene junge Tiere flogen in zufällige Richtungen, was stark darauf hindeutet, dass sie Fähigkeiten zur Navigation während der Migration von älteren Artgenossen erlernen müssen“, schlussfolgert Christian Voigt, Senior-Autor der Studie und Leiter der Leibniz-IZW-Abteilung für Evolutionäre Ökologie. Wie dieser Lernprozess funktioniert und welche sozialen Faktoren und Praktiken dabei eine Rolle spielen, ist jedoch noch nicht bekannt und erfordert weitere Forschung.
Forschungen zur Navigation und Orientierung von Säugetieren während der jahreszeitlichen Migrationen hinken dem Erkenntnisstand bei Vögeln oder Schildkröten um Jahrzehnte hinterher. Einer der Gründe dafür ist das Fehlen eines Versuchsaufbaus, der zuverlässige Rückschlüsse auf Wanderungsrichtungen erlaubt. Für große Säugetiere wie Gnus oder Wale ist dies eine fast unlösbare Aufgabe, doch Fledermäuse könnten diese Lücke füllen. Sie sind zu einer wichtigen Modellgruppe für Studien zur Ökologie und der Bewegung der Säugetiere geworden. Die Augen der Fledermäuse sind trotz Echoortung ein wichtiger Orientierungssinn für die Tiere, beispielsweise bei der Jagd von insektenfressenden Arten oder der Nahrungssuche von fruchtfressenden Arten. Echoortung und Pfadintegration sind auf Distanzen von mehr als einigen Dutzend Metern ineffizient und fehleranfällig. Die Ergebnisse dieser Studie stellen die ersten empirischen Nachweise für die Mechanismen und Signale dar, die wandernde Säugetiere zur Navigation nutzen.
Originalpublikation:
Lindecke O, Elksne A, Holland RA, Pētersons G, Voigt CC (2019) Experienced migratory bats integrate the sun’s position at dusk for navigation at night. Current Biology.

04.04.2019, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Sag mir, wo die Falter sind – Aurorafalter im April beobachten und gleich per App melden
Gemeinsame Pressemitteilung des Bundesamtes für Naturschutz mit dem Staatlichen Museum für Naturkunde Karlsruhe und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
• Aurorafalter im April beobachten und gleich per App melden
• 3,3 Millionen Datensätze zu bundesweiten Vorkommen von Schmetterlingen bereits zusammengetragen
• Wichtige Grundlage für die Erstellung der Roten Liste der Schmetterlinge Deutschlands
Mindestens 60 Schmetterlingsarten sind in Deutschland bereits ausgestorben, 494 weitere Arten sind vom Aussterben bedroht bzw. unterschiedlich stark gefährdet. Für einen effektiven Schutz sind ausreichend Daten über Artenzahlen, Auftreten und Gefährdungsursachen unerlässlich. Dank der neuen App „Schmetterlinge Deutschlands“ können jetzt alle Interessierten dabei mithelfen, Daten zu den Vorkommen einheimischer Schmetterlingsarten zu sammeln. Für Einsteiger*innen eignen sich hier beispielsweise die auffallend weiß und orange gefärbten Männchen des Aurorafalters. Die Tagfalter sind an sonnigen Apriltagen auf Wiesen und an Gehölzrändern gut zu beobachten und können per App oder über die Website www.lepidoptera.de gemeldet werden.
Die App wurde entwickelt über ein vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit unterstütztes Forschungs- und Entwicklungsprojekt des Staatlichen Museums für Naturkunde Karlsruhe und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und dem Museum für Tierkunde in Dresden. Es hat zum Ziel, bundesweit die Daten über das Vorkommen der einheimischen Schmetterlingsarten zusammenzutragen und die zukünftige Datenerfassung durch ehrenamtliche Artenkennerinnen und Artenkenner zu erleichtern. Spezialist*innen aus allen Bundesländern beteiligen sich an diesem Kooperationsprojekt mit dem Titel „Schmetterlinge Deutschlands“.
Im Rahmen eines Projekt-Workshops stehen die beteiligten Schmetterlingsexpert*innen Medienvertreter*innen am Samstag, 6. April ab 11 Uhr, im Senckenberg Biodiversität und Klima-Forschungszentrum, Georg-Voigt-Straße 14 in Frankfurt, für Interviews zur Verfügung. Um Anmeldung unter pressestelle@senckenberg.de wird gebeten.
Deutschlandweit können sich alle Interessierte an der Erfassung von Schmetterlingen beteiligen und ihre Beobachtungen auf dem Internetportal „Schmetterlinge Deutschlands“ unter www.lepidoptera.de melden. Jetzt können Beobachtungen bundesweit auch bequem per App an das Portal gemeldet werden. Ehrenamtliche Artenkennerinnen und Artenkenner, Forschende, Institutionen und Behörden steuern auf diese Weise Daten zu aktuell insgesamt 3.999 verschiedenen Schmetterlingsarten bei. Darunter sind neben den 3.682 in Deutschland vorkommenden Arten weitere 317 Arten aus Österreich und der Schweiz digital gesammelt. Die Arten werden nach verschiedenen Merkmalen wie Farbe, Muster und Vorderflügellänge erfasst. Anschließend werden die Daten von Expertinnen und Experten geprüft und online auf Verbreitungskarten zur Verfügung gestellt. Sie bilden die Grundlage für die Erstellung der Roten Liste der Schmetterlinge Deutschlands. Bislang sind bereits 3,3 Mio. Datensätze zusammengekommen. Online kann jeder die Verbreitung einzelner Arten auf einer Deutschland-Karte, aufgeschlüsselt nach Erfassungszeiträumen, nachvollziehen.
Die App „Schmetterlinge Deutschlands“ kann auf Android und iOS-betriebenen Smartphones kostenfrei heruntergeladen werden.

04.04.2019, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Jetzt startet die „Spurensuche Gartenschläfer“
BUND, Universität Gießen und Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung starten in die erste Forschungssaison zum rätselhaften Verschwinden der Schlafmaus in Deutschland
Pünktlich zum Aufwachen der Gartenschläfer aus dem Winterschlaf legen der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die Justus-Liebig-Universität Gießen und die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung mit der Erforschung des kleinen Nagers los. Die Schlafmaus mit der unverkennbaren „Zorro-Maske“ gibt Wissenschaft und Naturschutz große Rätsel auf. Aus vielen Regionen Europas und Deutschlands ist der Gartenschläfer spurlos verschwunden. In den vergangenen 30 Jahren ist sein Verbreitungsgebiet um mehr als die Hälfte geschrumpft. Warum, ist noch völlig unklar.
„Das Verschwinden der Gartenschläfer ist wirklich besorgniserregend“, erklärt der Biologe Sven Büchner, Gartenschläfer-Experte des BUND, der das Projekt von Seiten der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) begleiten wird. „Das Tempo und die räumliche Dimension seiner Bestandsrückgänge ist beispiellos in der Tierwelt in Deutschland. Deshalb starten wir jetzt eine breite Untersuchung, um endlich Antworten darauf zu finden.“ Gefördert wird die „Spurensuche Gartenschläfer“ im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesumweltministeriums. Der Bund fördert das Projekt, das von Oktober 2018 bis September 2024 läuft, mit insgesamt 3,6 Millionen Euro.
In die Gartenschläfer-Forschung werden alle denkbaren Einflussfaktoren einbezogen: Nahrungsgewohnheiten und -angebote, Lebensraumansprüche und Klima, genetische Strukturen, Krankheiten und Parasiten, Fressfeinde und Prädatoren und vieles mehr. Möglich wird eine derart intensive Untersuchung nur mit großer Unterstützung durch ehrenamtliche „Spurensuchende“. „Jede Meldung über unsere Online-Meldestelle auf www.gartenschlaefer.de hilft uns, dem Gartenschläfer ein Stück weiter auf die Spur zu kommen“, so Büchner. „Darüber hinaus können Ehrenamtliche aber auch tiefer in die Forschung einsteigen, zum Beispiel bei der Untersuchung von Spuren oder Nistkästen.“
Geforscht wird in einigen beispielhaften Regionen Deutschlands, in denen die Schlafmaus heimisch ist. „Wir untersuchen sowohl die Gartenschläfer in der Innenstadt Wiesbadens und am Stadtrand von Bonn als auch die Bestände in den Hochlagen der Mittelgebirge, etwa auf dem Brocken im Harz“, erläutert Büchner. „Wir hoffen, damit herauszufinden, warum die Populationen im Südwesten Deutschlands noch relativ stabil erscheinen, während der Gartenschläfer in Mittel- und Ostdeutschland sogar in Naturschutzgebieten massiv zurückgeht.“
Innerhalb von drei Jahren soll diese intensive Forschung Antworten liefern auf die Frage, warum der Gartenschläfer derart drastisch in seinen Beständen zurückgeht. Daraus werden konkrete Schutzmaßnahmen entwickelt, die in der zweiten Projekthälfte umgesetzt werden. „Unser Ziel ist, diese kleine Schlafmaus in großen Teilen ihres Verbreitungsgebiets in Deutschland zu erhalten“, betont Büchner. „Der Gartenschläfer ist eine sogenannte ‚Verantwortungsart‘. Ein großer Teil seines Verbreitungsgebietes liegt hier, so dass Deutschland für die Erhaltung dieser Art in hohem Maße verantwortlich ist. Die Erforschung des Verschwindens des Gartenschläfers ist damit Teil der nationalen Anstrengungen für den Schutz der biologischen Vielfalt in Deutschland.“

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