Neues aus Wissenschaft und Naturschutz

16.01.2019, Humboldt-Universität zu Berlin
Vom Fossil zum Roboter und zurück
Interdisziplinäres Forscherteam mit Beteiligung der HU erforscht rund 300 Millionen Jahre altes Fossil.
Ein internationales Forschungsteam hat in Kooperation der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) mit der Ècole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) die Bewegung eines frühen Landwirbeltiers erforscht. Die innovative Erforschung von Unsicherheitsfaktoren in der Simulationsstudie sowie ein Roboter-Nachbau des Fossils setzen methodische Maßstäbe und erlauben neue Einblicke in die Biologie des uralten Fossils. Heute wurde die Studie im Fachblatt nature veröffentlicht.
Eine 3-D-Rekonstruktion des Wirbeltierfossils soll ab Ende 2019 auch in der Ausstellung der HU im Humboldt Forum zu sehen sein.
Erkenntnisse durch Rekonstruktion von Bewegung
John Nyakatura, Erstautor und Zoologe vom Exzellenzcluster „Bild Wissen Gestaltung. Ein interdisziplinäres Labor“ der HU untersuchte in enger Zusammenarbeit mit dem „Biorobotics Laboratory“ der EPFL die Fortbewegung des fast 300 Millionen Jahre alten Wirbeltierfossils Orobates pabsti. An der Studie waren darüber hinaus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Jena, Hamburg und London beteiligt. In einem entscheidenden Schritt der Studie wurde vom Schweizer Biorobotics Labor eine biomimetische Laufmaschine, OroBOT, gebaut, die viele Eigenschaften des Fossils berücksichtigt. Der Roboter demonstriert die simulierten Fortbewegungsmuster und ist in der Lage, die Fährten des Fossils Orobates zu erzeugen. Mit Hilfe des Roboters konnten verschiedene Bewegungsmuster systematisch getestet und hinsichtlich ihrer Plausibilität beurteilt werden. Sämtliche zu Grunde liegende Daten wurden zusammen mit den Ergebnissen veröffentlicht.
Orobates pabsti gilt als Schlüsselfossil für das Verständnis der Evolution der Landwirbeltiere. Er ist früher Vertreter einer erfolgreichen Linie von Amniontieren, die zu heutigen Säugetieren, Reptilien (inklusiver aller ausgestorbenen Flug- und Dinosaurier) und Vögeln geführt hat. Für die Studie konnte anhand der Bewegungsrekonstruktion erforscht werden, ob Orobates sich bereits effektiv an Land fortbewegen konnte, was bisher nur für spätere Amniontiere angenommen wurde. Dies wurde durch die neue Studie unterstützt, sodass der entscheidende Schritt der Unabhängigkeit vom Wasser nun einige Millionen Jahre früher angenommen werden muss.
Prof. Dr. John Nyakatura, Erstautor und Zoologe an der HU: „Mit Hilfe von High-Speed-Röntgenvideos und Kraftmessungen von unterschiedlichen Echsen und Salamandern konnten wir zunächst die Prinzipien der Bewegungsmechanik des Spreizganges untersuchen. Diejenigen mechanischen Eigenschaften, die von den heute lebenden Tieren geteilt wurden, konnten wir für die Rekonstruktion der Bewegung des Fossils zu Grunde legen“.
Erfolgreiche Forschungsergebnisse durch Kooperation der Universitäten
Die Untersuchung der lebenden Tiere wurde am Institut für Zoologie und Evolutionsbiologie der Universität Jena durchgeführt, die über eine der seltenen Hightech-Einrichtungen verfügt. Ein detailliertes 3-D Modell des fossilen Skeletts wurde hinsichtlich der zuvor erforschten Bewegungsprinzipien heutiger Tiere in Zusammenarbeit mit den Hamburger Wissenschaftsillustratoren Jonas Lauströer und Amir Andikfar animiert, sodass es in den fossil erhaltenen Fußspuren laufen konnte. „Diese Animation ist keine fertige Idee der Fortbewegung, sondern, ganz im Gegenteil, ein neuartiges Forschungswerkzeug, dass uns hilft verschiedene Variablen der Fortbewegung systematisch durchzuspielen und deren Plausibilität zu beurteilen“ erläutert Nyakatura. Die intensive Zusammenarbeit von Gestaltungsdisziplinen und Wissenschaften ist Programm des Berliner Exzellenzclusters sowie der Forschung von Prof. Nyakatura an der HU.
Weitere Erkenntnisse zur Einschätzung der Plausibilität der Bewegungsrekonstruktion des Fossils wurden durch eine dynamische Simulation gewonnen. Wissenschaftler der Biorobotics Gruppe in Lausanne optimierten den Bewegungsablauf hinsichtlich von Kriterien, die auch bei heutigen Tieren beobachtet werden können.
Die erforschten Daten können auf einer mit der Studie am 16. Januar ab 19 Uhr freigeschalteten Webseite interaktiv manipuliert werden, wodurch Auswirkungen auf die Bewegung für interessierte Nutzer zugänglich gemacht werden.
Weitere Informationen:
Referenz zur Studie: Nyakatura, JA et al. 2019. Reverse-engineering the locomotion of a stem amniote. Nature 565, 351–355
Link zur interaktiven Webseite der Studie
Link zur Originalpublikation

16.01.2019, Universität Bern
Mehr Platz für Vögel und Schmetterlinge in der Landwirtschaft
Um den schwindenden Bestand von Vögeln und Schmetterlingen im Schweizer Kulturland wieder zu erhöhen, müssen Biodiversitätsförderflächen vergrössert und deren Qualität verbessert werden. In einer neuen Studie evaluierten Forschende der Universität Bern und der Berner Fachhochschule Massnahmen zur Förderung der Biodiversität in der Landwirtschaft.
Die Biodiversität im Kulturland hat in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen. Mit dem Ziel, diesen Rückgang zu stoppen und umzukehren, wurden in der Schweiz in den 1990er-Jahren die Biodiversitätsförderflächen (BFF, ehemals ökologische Ausgleichsflächen) eingeführt. Biodiversitätsförderflächen sind naturnahe Flächen wie Wiesen und Weiden, Wildblumenstreifen oder Hecken. Sie werden extensiv bewirtschaftet, Dünge- und Pflanzenschutzmittel dürfen also nur sehr begrenzt eingesetzt werden. Landwirtinnen und Landwirte müssen mindestens 7% ihrer Flächen als Biodiversitätsförderflächen bewirtschaften, um den ökologischen Leistungsnachweis zu erfüllen, der sie zum Bezug von Direktzahlungen qualifiziert.
Die Wirksamkeit der Biodiversitätsförderflächen wurde wiederholt in Frage gestellt, da auch nach ihrer Einführung der Rückgang der Biodiversität, einschliesslich charakteristischer Zielarten des Kulturlandes, nicht gestoppt werden konnte. Ein Team von Forschenden der Universität Bern und der Berner Fachhochschule hat nun unter der Leitung von Dr. Jean-Yves Humbert vom Institut für Ökologie und Evolution (IEE) der Universität Bern untersucht, welche Eigenschaften der Förderflächen die Biodiversität von Vögeln und Tagfaltern beeinflussen. Es ist eine der ersten Studien, welche die Effekte der Biodiversitätsförderflächen auf Landschaftsebene untersucht. Die Studie wurde im Journal Biological Conservation veröffentlicht.
Grossflächige Wirkung dank lokaler extensiver Bewirtschaftung
Die Forschenden haben im Schweizer Mittelland insgesamt 46 Untersuchungsflächen von je 1 km2 auf verschiedene Faktoren untersucht. Erhoben wurde der Anteil der Biodiversitätsförderflächen an der Gesamtfläche sowie die Qualität, die Grösse, die Distanz, die Vielfalt und die Konfiguration der Biodiversitätsförderflächen. Es zeigte sich, dass in Bezug auf die Tagfalter der Anteil Förderflächen im Kulturland der wichtigste der untersuchten Faktoren ist. Artenvielfalt und Dichte der Tagfalter nahmen um 22% bzw. 60% zu, wenn der Biodiversitätsförderflächen-Anteil im Kulturland von 5% auf 15% stieg. Dieser Trend zeigte sich auch bei den Brutvögeln, da die Biodiversitätsförderflächen in der sonst intensiv genutzten Agrarlandschaft Futter- und Nistmöglichkeiten bieten. «Frühere Studien haben gezeigt, dass die extensiv bewirtschafteten Biodiversitätsförderflächen die Biodiversität lokal, das heisst auf Ebene der Parzelle, fördern. Unsere Studie zeigt, dass Förderflächen auch grossflächig, auf Landschaftsebene, positive Auswirkungen auf die Populationen von Brutvögeln und Tagfaltern haben,» sagt Jean-Yves Humbert.
Kaum Biodiversitätsförderflächen mit hoher Qualität im Mittelland
Die Forschenden konnten zudem zeigen, dass sich Biodiversitätsförderflächen mit hoher Qualität positiv auf die Population von charakteristischen und prioritären Brutvogelarten des Kulturlandes und der Roten Liste auswirken. Biodiversitätsförderflächen mit hoher Qualität, sogenannte BFF Q2, haben einen höheren ökologischen Wert und botanische Qualität und sind zudem besonders arten- oder strukturreich. «In unserem Studiengebiet hatten nur zwei von 46 Landschaften einen hohen Anteil an Biodiversitätsförderflächen mit hoher Qualität, was den verheerenden Mangel im Schweizer Mittelland verdeutlicht,» sagt Silvia Zingg von der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL der Berner Fachhochschule. Um die «Umweltziele Landwirtschaft» der Bundesämter für Umwelt und Landwirtschaft im Bereich Biodiversität zu erreichen, sollte daher gemäss den Forschungsergebnissen der Anteil Biodiversitätsförderflächen erhöht und die Qualität bestehender Flächen dringend aufgewertet werden. Um seltene oder spezialisierte Arten zu fördern genügten die klassischen Biodiversitätsförderflächen aber nicht: «Leider sind die Populationen vieler Arten, wie beispielsweise des Wiedehopfes oder des Braunkehlchens, im Mittelland bereits stark reduziert oder verschwunden. Zur Förderung solcher Arten müssen weitere gezielte, art-spezifische Massnahmen umgesetzt werden,» sagt Silvia Zingg.
Originalpublikation:
Zingg S., Ritschard, E., Arlettaz R., Humbert, J.-Y. (2019): Increasing the proportion and quality of land under agri-environment schemes promotes birds and butterflies at the landscape scale. Biological Conservation. 231 (2019) 39–48. https://doi.org/10.1016/j.biocon.2018.12.022

16.01.2019, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau
Eine App für wilde Besucher
Beobachtungen von Wildtieren in Städten und Dörfern direkt über das Smartphone melden
Füchse auf Terrassen, Rehe im Garten, Graureiher am Flussufer und Siebenschläfer unterm Dach: Über 470 Beobachtungen von Wildtieren meldeten Bürgerinnen und Bürger im vergangenen Jahr über das Web-Portal www.bw.wildenachbarn.de. Ab jetzt können Nutzerinnen und Nutzer solche Sichtungen in Städten und Dörfern auch direkt vor Ort über eine App eingetragen. Diese ermöglicht es, Bilder, Videos oder Tonaufnahmen sofort hochzuladen oder auch zu speichern, um sie später auf das Portal zu übertragen.
„Wilde Nachbarn“ ist Bestandteil des vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz geförderten Projekts „Wildtiere im Siedlungsraum Baden-Württembergs“ der Professur für Wildtierökologie und Wildtiermanagement der Universität Freiburg. Das Web-Portal wird in Zusammenarbeit mit dem Verein StadtNatur betreut.
Die Wildtiere-App wird von den Betriebssystemen iOS und Android unterstützt und steht im App Store von Apple und im Google Play für den kostenlosen Download bereit. Nutzer des Web-Portals können ihre Anmeldedaten auch für die App nutzen. Interessierte Bürger, die noch kein Benutzerkonto haben, können sich jederzeit auf dem Portal registrieren.
Die gewonnenen Daten von Sichtungen vermitteln den Forscherinnen und Forschern ein Bild von der Verteilung der einzelnen Tierarten über den Siedlungsraum. Die Forschenden können dadurch Rückschlüsse auf Orte ziehen, an denen es besonders häufig zu Begegnungen zwischen Mensch und Wildtier kommt. Dieses Wissen kann für das zukünftige Wildtiermanagement nützlich sein, um Konflikte vorzubeugen.

17.01.2019, Universität Wien
Insekten lernten das Fliegen erst an Land
Analyse genetischer Daten weist auf Bodenoberfläche als Lebensraum ursprünglicher Fluginsekten hin
Die Evolution der Flugfähigkeit von Insekten vor ca. 400 Millionen Jahren führte zu einer großen Artenvielfalt. Gemessen an ihrem Alter sind die geflügelten Insekten sogar die artenreichste Tiergruppe überhaupt. Innerhalb dieser Gruppe stellen die sogenannten Polyneoptera eine der wichtigsten Radiationen dar. Zu ihnen gehören heute weit verbreitete Ordnungen wie Schaben, Heuschrecken oder Gottesanbeterinnen. In einer Studie innerhalb des internationalen 1Kite Projekts haben WissenschafterInnen um den Biodiversitätsforscher Harald Letsch von der Universität Wien herausgefunden, dass die Insekten ihre Flügel an Land entwickelten – und nicht, wie zuvor angenommen, im Wasser. Die Ergebnisse erscheinen aktuell in PNAS.
Manche Vertreter der Polyneoptera sind an eine Lebensweise an der Bodenoberfläche und der Bodenstreu angepasst. Andere wiederum leben im Laubwerk und imitieren zum Teil sogar Äste und Blätter. Diese unterschiedlichen Lebensweisen bedingen auch ganz unterschiedliche Ernährungsweisen. Ohrwürmer und Schaben sind beispielsweise als Allesfresser bekannt, die Gespenst- sowie einige Heuschrecken sind ausschließlich Pflanzenfresser und Gottesanbeterinnen jagen ihre Beute. Weiterhin haben sie ein breites Spektrum an sozialem Verhalten entwickelt, was von einfacher Brutpflege bis hin zu dem komplexen Kastensystem der Termiten reicht.
Kenntnisse über die Evolution all dieser Merkmale und Lebensweisen tragen nicht nur zum Verständnis der Entstehungsgeschichte der Polyneoptera bei, sondern prägen auch zentrale Vorstellungen über die ursprüngliche Evolution aller geflügelten Insekten. Dazu gehört unter anderem die Frage über ihre Entstehung entweder in Wasser oder an Land. Da neben den polyneopteren Steinfliegen auch weitere Gruppen der geflügelten Insekten – Libellen und Eintagsfliegen – als Larven Wasser besiedeln, wurde in der Vergangenheit häufig eine frühe Evolution der geflügelten Insekten in einer aquatischen Umwelt vermutet.
„Zentral war ebenfalls die Frage, ob die adulte Lebensweise vieler Arten als Bodenbewohner den ursprünglichen Zustand darstellt oder ob sich diese wieder sekundär aus anderen Lebensweisen entwickelt hat“, erklärt Harald Letsch, Biodiversitätsforscher an der Universität Wien. Da die verwandtschaftlichen Beziehungen der verschiedenen Ordnungen mit bisherigen Methoden nicht hinreichend geklärt werden konnten, war bislang nicht viel über die Evolution dieser Merkmale bekannt.
Mit Hilfe eines umfassenden molekularen Datensatzes von 106 Insektenarten und 3014 Genen haben die WissenschafterInnen zeigen können, dass der letzte gemeinsame Vorfahre der Polyneoptera und aller geflügelten Insekten ausschließlich an terrestrische Lebensräume angepasst war. Dies impliziert, dass die Entstehung von Insektenflügeln nicht in Wasser stattfand. „Weiterhin ergaben die Auswertungen, dass der ursprüngliche Lebensraum der Polyneoptera die Bodenoberfläche war, worauf eine gerade Abflachung des Körpers, gut ausgebildete Extremitäten sowie verhärtete Vorderflügel hinweisen“, so Letsch. Die unterschiedlichen Formen sozialen Verhaltens sowie die Anpassung an alternative Lebensräume und die damit zusammenhängenden morphologischen Veränderungen erfolgten schließlich unabhängig in den einzelnen Gruppen.
„Ein Verständnis über die Entstehungsgeschichte der Polyneoptera bringt uns der Lösung der Geheimnisse der Insektenevolution näher. Nur mit einer zuverlässigen phylogenetischen Rekonstruktion können wir untersuchen, wie Insektenarten die Ökosysteme beeinflussen und unsere natürlichen Ressourcen erhalten oder gefährden. Dies wird umso wichtiger und dringender, wenn man die zunehmende Zahl der sogenannten „Schädlingsarten“, aber auch den dramatischen Rückgang anderer Insekten durch menschliche Einflüsse bedenkt „, so Letsch.
Die Publikation ist eine Gemeinschaftsstudie im Rahmen des internationalen 1KITE-Projekts (1.000 Insect Transcriptome Evolution) und wurde über PNAS in den neuesten Online-Artikeln veröffentlicht.
Publikation in „PNAS“:
Wipfler, Letsch, Frandsen et. al. (2019): Evolutionary history of Polyneoptera and its implications for our understanding of early winged insects. Proceedings of the Academy of Sciences (PNAS)
https://www.pnas.org/content/early/2019/01/08/1817794116

17.01.2019, Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde
Mieser Fraß? Wie Mesozooplankton auf Blaualgenblüten reagiert
Warnemünder MeeresforscherInnen ist es mithilfe der Analyse von stabilen Stickstoff-Isotopen in Aminosäuren gelungen, das rätselhafte Fressverhalten von Mesozooplankton in Gegenwart von Blaualgenblüten zu entschlüsseln. Sie entdeckten, dass sich Beobachtungen, nach denen sowohl die Dominanz von herbivorer als auch die von carnivorer Ernährung vorkamen, mit der Alterung einer Blüte erklären lassen: Das Stadium einer Blüte bestimmt, ob „Fleisch“ oder „Gemüse“ bevorzugt wird. Da für die Zukunft eine weltweite Zunahme von Cyanobakterienblüten angenommen wird, eröffnen diese Erkenntnisse neue Perspektiven auf potentielle Entwicklungen innerhalb einer Schlüsselgruppe des marinen Nahrungsnetzes.
Es bildet eine der wichtigsten Säulen des marinen Nahrungsnetzes weltweit: das so genannte Mesozooplankton umfasst im Wasser schwebende Tiere von einer Größe zwischen 0,2 und 20 mm. In ihrer Ernährungsweise sind sie vielfältig. Es kommen sowohl carnivore Tiere als auch „Vegetarier“ vor, die sich direkt am Phytoplankton bedienen. Von Algen und Bakterien bei der Primärproduktion gebildetes organisches Material wird von ihnen entweder direkt oder über mehrere Schritte für die weitere Nutzung im komplexen Nahrungsnetz der Meere aufbereitet. Ihre Ernährungsweise entscheidet, ob höheren trophischen Ebenen – wie Fischen – energiereiche Nahrung zur Verfügung steht oder eher schmale Kost, denn bei jeder Zwischenstufe auf dem Weg vom Phytoplankton zum Mesozooplankton geht Energie verloren, müssen größere Mengen verzehrt werden, um den gleichen Nährwert aufzunehmen. Damit kommt dem Mesozooplankton eine ökologische Schlüsselposition zu und die Frage, ob auf dieser Ebene carnivore oder herbivore Ernährung vorherrscht, kann für das ganze Nahrungsgefüge im Meer entscheidend sein.
Wie aber das Verhältnis von Fleischfressern zu Vegetariern im Mesozooplankton genau aussieht, ließ sich bislang nur in aufwendigen Experimenten unter Labor- oder Mesokosmenbedingungen erfassen. Natalie Loick-Wilde gelang nun zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen mit einem neuen Ansatz der Sprung in die realen Umweltbedingungen: mithilfe der Analyse stabiler Stickstoff-Isotope in Aminosäuren, konnte sie an Zooplankton-Proben von unterschiedlichen Standorten in der Ostsee das Verhältnis von carnivoren zu herbivoren Vertretern direkt bestimmen und diese Werte mit den vor Ort gemessenen Umweltbedingungen in Beziehung setzen.
Durch diesen Ansatz lassen sich nun unterschiedlichste Einflussmöglichkeiten auf die Ernährungsweise und damit die Komplexität des Nahrungsnetzes und den Energiegehalt des Mesozooplanktons direkt untersuchen. In einem kürzlich in der internationalen Fachzeitschrift „Global Change Biology“ erschienen Artikel schildert das interdisziplinäre Autorenteam aus Biologen, Chemikern und Physikern, wie sich diese Nahrungsbeziehungen im Mesozooplankton unter dem Einfluss von Cyanobakterienblüten, umgangssprachlich auch Blaualgenblüten genannt, entwickeln.
Große, filamentöse, Stickstoff-fixierende Cyanobakterien, wie Nodularia oder Trichodesmium, gelten als Profiteure der immer rascheren Erwärmung der Meere. Ihr Einfluss auf das Mesozooplankton wird also in Zukunft zunehmen. „Die Cyanobakterien, von denen wir hier sprechen, sind verhältnismäßig groß und produzieren dann oft auch noch Giftstoffe. Sie sind für Zooplankter als Nahrung eher unattraktiv“, erläutert Natalie Loick-Wilde, die am Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde (IOW) die Arbeitsgruppe „Aquatische Nahrungsnetze“ leitet. „Wie sich ein solches, eher mieses Nahrungsangebot auf das Fressverhalten im Mesozooplankton auswirkt, war bislang unklar. Verschiedene Studien führten zu widersprüchlichen Ergebnissen: mal wurde die Dominanz von carnivorer, mal von herbivorer Ernährung konstatiert.
Mithilfe ihres neuen Ansatzes konnten Natalie Loick-Wilde und ihr interdisziplinäres Autorenteam nun zeigen, dass die Verschiebung hin zu einer Dominanz der „Fleischfresser“ parallel zu dem Alterungsprozess der Blüte verläuft. Die planktonische Gemeinschaft wurde diverser. Neben den so genannten autotrophen Primärproduzenten, die für ihre Vermehrung nur Licht und Nährstoffe brauchen, nahmen heterotrophe Mikroorganismen, die sich bereits von Algen und Bakterien ernähren, eine größere Rolle im Nahrungsspektrum des Mesozooplanktons ein, das dadurch carnivor statt herbivor wurde. Welche Konsequenzen dies für die biogeochemischen Funktionen des Mesozooplanktons und damit auch für die höheren trophischen Ebenen hat und ob der Mechanismus auch auf die großen, saisonalen Trichodesmium Blüten der tropischen und subtropischen Ozeane übertragbar ist, ist Gegenstand weiterer Forschung. Für Loick-Wilde sind es aber auch die biogeochemischen Modelle, die von ihrer Forschung profitieren können: „Während in den Modellen bislang das Fressverhalten des Mesozooplanktons immer nur entweder herbivor oder carnivor war, können wir jetzt auch die Veränderungen einbauen, die sich bei wechselnden Umweltbedingungen ergeben. Damit sind wir auf dem Ziel, die Dynamik des Nahrungsnetzes zu verstehen, einen großen Schritt weitergekommen.“
Originalpublikation:
Loick‐Wilde N, Fernández‐Urruzola I, Eglite E, Liskow I, Nausch M, Schulz‐Bull D, Wodarg D, Wasmund N, Mohrholz V. Stratification, nitrogen fixation, and cyanobacterial bloom stage regulate the planktonic food web structure. Glob Change Biol. 2019;00:1–17. https://doi.org/10.1111/gcb.14546

18.01.2019, BUND
Winterwetter setzt Wildkatzen und Wildkatzenforschern zu
In diesen Wochen geht der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) wieder intensiv auf die Suche nach der Europäischen Wildkatze. In neun Bundesländern – Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen – sollen in diesem Winter bislang noch unerforschte Waldgebiete auf Wildkatzenbestände untersucht werden. Der starke Wintereinbruch mit zum Teil hohen Schneedecken setzt aber sowohl den Wildkatzen als auch den Naturschützern zu.
„Erfahrungsgemäß gelingen uns in schneereichen Wintern spürbar weniger Wildkatzennachweise“, erläutert BUND-Wildkatzenexpertin Friederike Scholz. Einerseits überleben leider einige Wildkatzen einen starken Wintereinbruch mit viel Schnee nicht, andererseits wird die Forschungsarbeit durch den teilweise meterhohen Schnee an sich erschwert. „Eine dauerhaft geschlossene Schneedecke ist für Wildkatzen ein Problem: Sie fangen viel weniger Mäuse und hungern. Außerdem bewegen sie sich bei hohem Schnee weniger als sonst, sodass sie unsere Lockstöcke teilweise gar nicht erreichen.“ Die zur Zählung der Wildkatzenbestände eingesetzten Lockstöcke sind angeraute Holzlatten, die in einem regelmäßigen Muster in Wäldern aufgestellt und mit Baldrian besprüht werden. Gerade jetzt in der winterlichen Paarungszeit zieht der Geruch Wildkatzen an, die sich dann an den Stöcken reiben und so einzelne Haare hinterlassen. Diese Haare werden anschließend genetisch untersucht um Wildkatzenvorkommen in dem betreffenden Waldgebiet zu belegen.
Mit Blick auf die Arbeit der BUND-Wildkatzenforscher und erschwerte Bedingungen erklärt Scholz: „Jede Woche müssen die Lockstöcke auf Haarproben kontrolliert werden, auch bei Eis und Schnee. Die Lockstöcke befinden sich dabei auch in nur schwer zugänglichen Waldgebieten. Das bedeutet viel Leidenschaft für die Wildkatze und ihre Erforschung, die die zum Teil ehrenamtliche ‚Wildkatzenretter´ aufbringen. Wir können in diesen Tagen nicht oft genug danke sagen für diesen unermüdlichen und körperlich anstrengenden Einsatz.“

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