03.02.2025, Deutsche Wildtier Stiftung
Deutsche Wildtier Stiftung rollt für Europas Naturvielfalt den grünen Teppich aus
Wer gewinnt das Rennen um die European Wildlife Film Awards 2025? Die Antwort gibt es am 15. Februar: Dann findet in der Botschaft der Wildtiere in der HafenCity die feierliche Preisverleihung des neuen Hamburger Naturfilmwettbewerbs statt. Auf dem grünen Teppich kommen geladene Gäste aus Medien, Naturschutz, Wissenschaft und Gesellschaft zusammen, um die besten europäischen Naturfilme des Jahres zu würdigen. Am Sonntag, den 16. Februar lädt die Botschaft der Wildtiere dann alle Naturfilmfans ein, die frisch prämierten Filme in Hamburgs einzigartigem Naturfilmkino zu genießen.
„Die European Wildlife Film Awards bringen das wilde Europa auf die große Leinwand und setzen ein Zeichen für Natur- und Artenschutz“, sagt Maike Juraschka, Leiterin des Filmwettbewerbs. Die Filme erzählen Geschichten über die Natur, unter anderem von einem Ornithologen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Geräusche aller 200 Vogelarten in Irland aufzuzeichnen. Von einem jungen Wolf, der auf der Suche nach einem neuen Zuhause alleine quer durch Europa zieht. Und von Seegras mit Superkräften, das dazu beiträgt, die globale Erwärmung zu verlangsamen. „Der Naturfilm macht Dinge sichtbar, die wir ohne ihn niemals sehen würden. Kein Mensch kann in die Niströhre einer Wildbiene kriechen oder sich unbemerkt unter ein Wolfsrudel mischen“, so Juraschka.
Für die unabhängigen Juroren Dominik Eulberg (Musiker, Autor, Biologe, Naturschützer), Arnd Greve (Geschäftsführer POPULAR GmbH), Dagny Lüdemann (Biologin und Chefreporterin Wissen, ZEIT ONLINE), Barbara Makowka (Geschäftsführerin Schutzgemeinschaft Deutscher Wald Landesverband Hamburg e. V.) und Prof. Dr. habil. Frank E. Zachos (Naturhistorisches Museum Wien) war es nicht leicht, aus den durchweg exzellenten Produktionen die besten auszuwählen. Verliehen werden Preise in den Kategorien Tierwelt, Biodiversität, Naturschutz, Storytelling und Kurzfilm.
Am Preisträger-Sonntag, den 16. Februar ab 10 Uhr können Besucher der Botschaft der Wildtiere die ausgezeichneten Filme sowie alle zwölf nominierten Kurzfilme in voller Länge im Kino der Wildtiere erleben. Die Filmschaffenden werden bei den Vorführungen anwesend sein und Einblicke in ihre Arbeit geben. Im Anschluss an die Vorführung stehen sie für ein kleines Filmgespräch und Publikumsfragen zur Verfügung. Der Eintritt zum Preisträger-Sonntag ist im Ticketpreis für den Ausstellungsbesuch in der Botschaft der Wildtiere enthalten.
04.02.2025, Max Planck Institute for Neurobiology of Behavior – caesar
Im Auge des Jägers – wie sakkadische Augenbewegungen Säugetieren die Jagd in komplexer Umgebung ermöglichen
Forschende haben rekonstruiert, was Raubsäugetiere sehen, während sie auf der Jagd sind. Sie haben entdeckt, dass sakkadische Augenbewegungen nicht dazu dienen, das Ziel auf der Netzhaut auszurichten, sondern die Bewegung der Umgebung. Dies führt dazu, dass die Umgebung während der Verfolgung des sich unberechenbar verhaltenden Beutetiers für kurze Momente nicht verschwommen erscheint.
Wenn wir uns selbst nicht bewegen, können wir Objekte durch schnelle Augenbewegungen im Blick behalten. Aber welche Rolle spielen diese sogenannten Sakkaden, wenn Raubsäugetiere ihre Beute durch unübersichtliches Terrain verfolgen? Um das herauszufinden, haben Forschende rekonstruiert, was Frettchen während der Jagd sehen. Sie entdeckten, dass Sakkaden nicht das eigentliche Zielobjekt auf der Netzhaut des Auges ausrichten, sondern die Bewegung der Umgebung. Die Sakkaden gleichen Kopfbewegungen aus und richten die Zone des schärfsten Sehens der Netzhaut genau in die Richtung aus, die das Tier einschlagen will. Hierdurch wird die Bewegungsunschärfe des Bildes minimiert, was besonders während der typischen Richtungswechsel bei Verfolgungsjagden von Vorteil ist. Das Forschungsteam konnte diese Augenbewegungen bei sich frei bewegenden Frettchen, Ratten, Mäusen und Spitzhörnchen nachweisen. Das lässt vermuten, dass es sich hier um einen generalisierten Mechanismus handelt, der Säugetieren ermöglicht, ihre Beute in unübersichtlichem Terrain zu jagen.
Wie nutzen Räuber ihr Sehvermögen, während sie ihre Beute verfolgen, die um ihr Leben rennt und das auch noch in völlig unübersichtlichem Terrain? Die Jagd ist eine enorme Herausforderung und das nicht nur, weil das Beutetier ständig die Richtung wechselt. Durch die eigene Bewegung des Räubers verschwimmt zudem das Bild der Umgebung. In einer neuen Studie, veröffentlicht in der renommierten Fachzeitschrift Current Biology, haben Forschende rekonstruiert, was genau Frettchen sehen, wenn sie ein Objekt verfolgen. Sie konnten zeigen, das schnelle Augenbewegungen, sogenannte Sakkaden, welche im eigenen Ruhezustand normalerweise dazu dienen, Objekte zu fixieren, in einer Jagdsituation die Bewegung der Umgebung (den optischen Fluss) an der Netzhaut ausrichten und nicht das eigentliche Zielobjekt. Dies reduziert die Bewegungsunschärfe in der Zone des schärfsten Sehens, so dass der Räuber ein möglichst deutliches Bild der Umgebung erhält, durch die er seine Beute verfolgt.
Sakkaden fixieren nicht das Zielobjekt
Wenn wir stillsitzen, nutzt unser visuelles System schnelle, koordinierte Augenbewegungen, die Sakkaden, um interessante Objekte im Blick zu behalten – beispielsweise, wenn wir bewegte Objekte auf einem Bildschirm betrachten. Aber was passiert, wenn ein Tier mit Höchstgeschwindigkeit hinter seiner Beute herjagt, die wiederum mit unberechenbaren Richtungsänderungen um ihr Leben flieht? Mittels spezieller, kopfgetragener Kameras hat ein Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie des Verhaltens in Bonn (MPINB) und des Max Planck Florida Institute for Neuroscience in den USA Kopf- und Augenbewegungen von sich frei bewegenden Frettchen exakt vermessen. Sie konnten so die Gesichtsfelder beider Augen rekonstruieren und untersuchen, was die Tiere während der Verfolgungsjagd sehen. Befand sich die „Beute“, ein Ball, direkt vor dem Frettchen, so konnte das Frettchen ihr in gerader Linie hinterherjagen. Bei einer derartigen Jagd befindet sich das Bild der Beute in der Zone des schärfsten Sehens der Netzhaut des Auges – was nicht überraschend ist. Eine Überraschung erlebten die Forschenden aber, als sie mit dem Computer simulierten, was passiert, wenn entweder die Sakkaden oder aber die Kopfbewegungen digital entfernt werden: Die Position des Zielobjekts auf der Netzhaut lag immer noch in dieser Region des Auges und änderte sich nicht signifikant. Dies legt nahe, dass die Sakkaden nicht dazu da sind, das Objekt auf die Zone des schärfsten Sehens des Auges auszurichten, wie angenommen. Aber was ist dann die Funktion der Sakkaden?
Sakkaden richten die Bewegung der Umgebung an der Retina aus
Um diese Frage zu beantworten, hat das Forscherteam genau analysiert, wie das Bewegungsmuster der Umgebung, der sogenannte optische Fluss, auf der Netzhaut abgebildet wird. Die Daten zeigen, dass die Sakkaden dazu dienen, die Zone des schärfsten Sehens auf die Zielrichtung des Tieres auszurichten, also den Ort, wo es hinlaufen möchte, was gleichzeitig die Zone mit der geringsten Bewegungsunschärfe ist. Dieser Mechanismus ist unabhängig vom Zielobjekt, da die Sakkaden auch ohne den Ball vorhanden waren. „Ein Beutetier im Blick zu behalten, das um sein Leben flieht und unkontrollierbare Richtungswechsel macht, ist sehr schwierig, insbesondere dann, wenn der Räuber selber rennt. Die eigene Bewegung vorherzusehen und diese auszugleichen, um klare Sicht in die Laufrichtung zu haben, ist dagegen einfacher. Das visuelle System von Säugetieren scheint sich dies zunutze zu machen.“, erklärt Damian Wallace, Wissenschaftler am MPINB.
Ein generalisierter Mechanismus
Das Forscherteam konnte die dem hier beschriebenen Mechanismus zugrunde liegenden synchronisierten Augen- und Kopfbewegungen nicht nur in Frettchen, sondern auch in sich frei bewegenden Spitzhörnchen, Ratten und Mäusen zeigen. Dies legt nahe, dass sie hier einen generalisierten Mechanismus in Säugetieren entdeckt haben. Seine präzise zeitliche Synchronisierung erlaubt dem Tier, flexibel auf erratische Richtungsänderungen zu reagieren, beispielsweise wenn das Beutetier einen scharfen Haken schlägt.
Originalpublikation:
Wallace et al, Eye saccades align optic flow with retinal specializations during object pursuit in freely moving ferrets, Current Biology, 2025
https://doi.org/10.1016/j.cub.2024.12.032
04.02.2025, Institute of Science and Technology Austria
Reiselust liegt nicht in den Genen | Neue Details zur jährlichen Reise des Distelfalters
Distelfalter sind Weltenbummler. Jährlich schwirren die Schmetterlinge, die wir in Europa beobachten, von Afrika nach Schweden und wieder zurück, wo sie sich nördlich und südlich der Sahara niederlassen. Doch was bestimmt, warum manche Falter weite Strecken reisen, während andere nur kurze Distanzen zurücklegen? Die unterschiedlichen Reisestrategien hängen von den Umweltbedingungen ab und sind nicht wie gedacht in der DNA des Schmetterlings gespeichert. Das zeigt nun eine neue Studie von Forschenden mit Beteiligung des Institute of Science and Technology Austria (ISTA).
Es ist Juni. Die Sonne steht hoch über dem Himmel und knallt auf die Köpfe einer Gruppe von Forschenden, die durch die Berge Kataloniens ziehen. Mit großen Sonnenhüten und kleinen Netzen sind sie auf der Spur von Distelfaltern – leuchtend orange Schmetterlinge mit einem kunstvollen schwarz-weißen Muster. Die entschlossen fliegenden Falter zu erwischen, ist aber keine einfache Aufgabe – das musste auch Evolutionsbiologin Daria Shipilina feststellen.
Die Forscherin, die zuvor mit Pflanzen und Vögeln gearbeitet hat, versucht nun einen Schmetterling direkt aus der Luft zu fangen. Ihr Netz schwingt in alle Richtungen, aber nicht dorthin, wo es hingehört. Ein paar Falter machen endlich eine kurze Nektarpause. Die Chance für Shipilina. Ein schnelles „Rauschen“ später und schon hat sie einen im Netz. Ein toller Moment für die Biologin und ein weiterer Beweis dafür, wie widerstandsfähig und ausdauernd diese kleinen Schmetterlinge sind.
Jedes Jahr brechen die Distelfalter nämlich zu einer beeindruckenden Reise vom Nordwesten Afrikas bis nach Schweden – und zurück – auf, um die perfekten Umweltbedingungen zu finden, die ihr Überleben sowie ihre Fortpflanzung sichern.
Zusammen mit Citizen Science-Projekten versucht eine Gruppe von Wissenschafter:innen die Reiseroute der Schmetterlinge zu entschlüsseln. Eine neue interdisziplinäre Publikation bietet neue Erkenntnisse: Autor:innen sind neben Shipilina – früher an der Universität Uppsala und jetzt Postdoc in der Gruppe von Nicholas Barton am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) – auch Kolleg:innen von der University of Ottawa, dem CSIC-CMCNB in Barcelona, dem SOS Savane, der Polytechnic Higher School of Dakar und der Technischen Universität in Darmstadt. Die Ergebnisse wurden in PNAS Nexus publiziert.
Kein Weg zu weit, keine Last zu schwer
„Der Distelfalter ist eine wunderschöne und farbenprächtige Schmetterlingsart“, erklärt Shipilina. „Es ist ein wahres Spektakel, sie in großen Ansammlungen zu beobachten. Was sie aber ganz besonders macht, ist ihre unglaubliche Langstecken-Migration.“
Jährlich legen die Schmetterlinge 10.000 km zwischen Afrika und Europa zurück. Dabei suchen sie über mehrere Generationen hinweg nach den besten Brutbedingungen für ihre Nachkommen. „Jedes Individuum reist in einem Abschnitt des jährlichen Migrationszyklus, und dessen Nachkommen setzten dann die Reise fort“, so Shipilina weiter.
Die farbenprächtigen Insekten beginnen ihre große Reise im Frühjahr und fliegen von Nordwestafrika aus über das Mittelmeer nach Europa. Nachfolgende Generationen machen sich anschließend auf den Weg nach Großbritannien und erreichen sogar die arktische Tundra in Schweden, um dort den Sommer zu verbringen.
Bis vor kurzem dachte man, dass die Schmetterlinge, sobald sie Schweden erreichen, aufgrund des kälteren Klimas, das dort am Ende des Sommers herrscht, verenden. Studien aus den letzten Jahren zeigten jedoch, dass die Distelfalter im Herbst in wärmere Regionen zurückkehren – sie folgen also einem zirkulären Migrationsmuster. Während einige von ihnen im Mittelmeerraum bleiben, reisen andere zurück nach Afrika und durchqueren sogar die Sahara. Aber wie kommt das? Haben sie verschiedene GPS-Systeme eingebaut?
Da bin i her, da g´hör´ i hin
Shipilina und ihre Kolleg:innen wollten genau dieses Phänomen verstehen. Auf Forschungsreisen in Regionen nördlich und südlich der Sahara – von Benin, Senegal und Marokko bis nach Spanien, Portugal und Malta – wurden Distelfalter gesammelt.
Mithilfe von Isotopen-Geolokalisierung konnte die geografische Herkunft der einzelnen Schmetterlinge bestimmt werden. „Das Schlüsselprinzip dieser Methode besteht darin, dass die Zusammensetzung der stabilen Isotope von den Flügeln eines erwachsenen Schmetterlings die Isotopensignatur der Pflanzen widerspiegelt, die er als Raupe gefressen hat“, erklärt Shipilina. Isotope sind verschiedene Formen desselben Elements mit identischen chemischen Eigenschaften, aber leicht unterschiedlichen Atommassen.
Diese Technik wurde über Jahre hinweg von der Co-Erstautorin Megan Reich und Clement Bataille von der University of Ottawa entwickelt. Dabei testeten sie verschiedenste Isotope, verfeinerten statistische Ansätze und setzten maschinelles Lernen zur Verbesserung der Genauigkeit und Auflösung ein.
Die Analyse bestätigte das unterschiedliche Reiseverhalten der Individuen: Einige Distelfalter unternahmen eine lange Reise von Skandinavien in den Süden und durchquerten die Sahara, während andere nach einer kurzen Strecke nördlich der Wüste im Mittelmeerraum blieben.
Liegt es in ihren Genen?
Anschließend wurden mit einer kompletten Genom-Sequenzierung DANN-Abschnitte der Individuen verglichen. Dabei entdeckten die Forschenden, dass es keinen genetischen Unterschied zwischen Kurz- und Langstrecken-Schmetterlingen gab.
„Dieses Ergebnis unterscheidet sich grundlegend von dem, was bei Zugvögeln beobachtet wird“, erklärt ISTA-Forscherin Shipilina. „Bei Weidenlaubsängern wurde beispielsweise festgestellt, dass eine große chromosomale Region mit unterschiedlichen Migrations-Richtungen verknüpft ist. Dies verdeutlicht, wie verschiedene Genom-Zusammensetzungen zu unterschiedlichen Phänotypen führen können.“ Außerdem konnten die Reisemuster auch nicht mit Faktoren wie dem Geschlecht, der Flügelgröße oder der Flügelform in Verbindung gebracht werden.
Distelfalter passen sich an die Umwelt an
Wenn es nicht an den Genen liegt, dann könnte laut den Forschenden die sogenannte phänotypische Plastizität eine mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Migrationsstile sein. „Die phänotypische Plastizität ist die Fähigkeit eines Organismus, seinen Phänotyp – in diesem Fall die Lang- oder Kurzstreckenreisen – als Reaktion auf Umweltbedingungen anzupassen, ohne sein genetische Make-up zu verändern“, erklärt Shipilina.
So könnten beispielsweise die Distelfalter in Schweden im Sommer durch die rasche Umstellung der Tageslänge oder andere saisonale Einflüsse dazu veranlasst werden, ihre lange Strecke über die Sahara in den Süden zu starten. Im Gegensatz dazu nehmen die Falter in Südfrankreich, wo die Tage länger sind, diese Reize nicht wahr und fliegen daher nur kurze Strecken und verbleiben im Mittelmeerraum.
Im Vergleich zu anderen Schmetterlingen, wie dem gut untersuchten Monarch, ist über die Migration des Distelfalters noch wenig bekannt. Gilt das hier beobachtete Muster auch für andere Distelfalter, die geographisch fast auf der ganzen Welt verbreitet sind? Ist dieses Phänomen einzigartig für Schmetterlinge, oder könnte es auch bei anderen Insekten beobachtet werden? Daria Shipilina vom ISTA und ihre Kolleg:innen wollen diese Wissenslücke unbedingt schließen – Schritt für Schritt.
Originalpublikation:
M. S. Reich, D. Shipilina, V. Talla, F. Bahleman, K. Kébé, J. L. Berger, N. Backström, G. Talavera, C. P. Bataille. 2025. Isotope geolocation and population genomics in Vanessa cardui: Short- and long-distance migrants are genetically undifferentiated. PNAS Nexus. DOI: https://academic.oup.com/pnasnexus/article-lookup/doi/10.1093/pnasnexus/pgae586
04.02.2025, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Untersuchung von Gewächshäusern in Berlin-Brandenburg offenbart eine bemerkenswerte, teils invasive Wirbellosenfauna
Beheizte Gewächshäuser in Botanischen Gärten bieten ideale Bedingungen für tropische und subtropische Insekten, Würmer und andere wirbellose Arten. Ein Senckenberg-Nachwuchsforscher hat während seines Freiwilligen Ökologischen Jahres den Nachweis für 32 nicht-heimische wirbellose Arten in 24 Gewächshäusern in Berlin und Brandenburg erbracht. Die Studie ist im Fachjournal „Contributions to Entomology“ erschienen. Darunter befinden sich acht Arten, die erstmals in der Region, in Deutschland oder in Europa dokumentiert wurden. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung weiterer Untersuchungen, insbesondere im Hinblick auf den Einfluss steigender Temperaturen und neuer Transportwege.
Tropisches Klima lässt sich in unseren Breitengraden gut in den beheizten Gewächshäusern Botanischer Gärten erleben. Für den Ausflug in eine andere Klimazone werden Erde und Pflanzenmaterial aus einer Vielzahl tropischer und subtropischer Länder importiert und Pflanzen zwischen den Gewächshäusern ausgetauscht. „Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Arten nicht nur eingeschleppt werden, sondern auch, dass sich diese bei den passenden klimatischen Bedingungen im Gewächshaus etablieren können. Hierdurch können völlig neue Ökosysteme entstehen“, erklärt Elias Freyhof, der gerade ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) am Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut in Müncheberg absolviert hat und fährt fort: „Diese Arten können zu Schädlingen werden, deren Bekämpfung schwierig und kostspielig sein kann. Ihre Ansiedlung birgt zudem das Risiko, dass sie oder ihre Krankheiten sich von den Gewächshäusern auf Lebensräume im Freien ausbreiten.“
24 beheizte Gewächshäuser hat Elias Freyhof gemeinsam mit Emil Jantke, einem weiteren jungen Freiwilligen, in Berlin und Potsdam auf ihre Wirbellosenfauna untersucht – mit dem Ziel, dort lebende, nicht heimische Arten zu dokumentieren. „Wir haben jedes der Gewächshäuser manuell nach wirbellosen Tieren abgesucht. Lose Gegenstände, wie Holz und Steine, wurden umgedreht und der Boden darunter geprüft. Auch das untere Blattwerk haben wir unter die Lupe genommen. Ein besonderes Augenmerk haben wir dabei auf Ameisen gelegt, die weltweit zu den erfolgreichsten und schädlichsten Invasoren zählen. Diese lockten wir zusätzlich mit einem Köder aus Zuckerwasser oder einer Mischung aus Fischöl, Rum und Honig an.“
Die Ergebnisse überraschten: Insgesamt 32 eingeführte Arten fanden die beiden Nachwuchswissenschaftler in den untersuchten Gewächshäusern. Insekten stellten mit 14 Arten die größte taxonomische Gruppe. Sieben Arten gehören zu den Spinnentieren. Außerdem wurden sechs Schnecken-, zwei Tausendfüßer-, eine Assel-, eine Flohkrebs-, eine Landplanarien- und eine Schnurwurmart gefunden. „Darunter waren einige bemerkenswerte Arten, wie ein Zwerggeißelskorpion, eine Gewächshausschrecke und eine Termitenart mit ‚Soldaten‘, die mit ihren Köpfen die Nesteingänge versperren können. Außerdem haben wir eine invasive fleischfressende Schnurwurmart und Ameisen, die weder Arbeiterinnen, Königinnen noch Männchen sind, gefunden“, fügt Freyhof hinzu.
„Acht dieser Arten waren bislang in Berlin und Brandenburg, Deutschland oder sogar in Europa unbekannt“, ordnet Freyhof die Resultate ein. Erstmalig in Deutschland gemeldet ist nun die zwischen 3,5 und 4 Millimeter lange, ursprünglich aus Madagaskar stammende Ameisenart Technomyrmex difficilis, die „Diebesameise“ Solenopsis texana und eine unbestimmte Art der Landplanarien. Erstmalig in Berlin und Brandenburg entdeckt hat Freyhof mit seinen Untersuchungen die gelbfarbige Ameisenart Plagiolepis alluaudi, die sich aus Afrika ausgebreitet hat, sowie die ursprünglich südostasiatische Ameise Technomyrmex vitiensis. „Für die Schmetterlingsmücke Alepia cf. viatrix, die Termite Cryptotermes cavifrons und die Schnurwurmart Geonemertes pelaensis gab es vor unserer Studie sogar keinen bekannten Nachweis für Europa“, so der Müncheberger FÖJler.
Für die Bestimmung der Tiere setzten die beiden Freiwilligen auf eine mehrstufige Methodik: Die Identifizierung erfolgte zunächst mit Hilfe des Netzwerkes und Citizen-Science-Projektes iNaturalist. Mit künstlicher Intelligenz und dem gesammelten Know-How der Nutzer*innen konnten 31 von insgesamt 37 einheimischen und nicht einheimischen Arten erfolgreich bestimmt werden. Von den acht Neuzugängen hat iNaturalist fünf Arten erkannt. 20 der Arten wurden genetisch im Labor bestimmt. In 13 Fällen zog das Team für die morphologische Bestimmung zusätzlich Fachliteratur heran. 14 Arten wurden zusätzlich von weiteren Expert*innen identifiziert. Freyhof hierzu: „Das variable Zusammenspiel von KI, Community, Genetik, Morphologie und Expertenwissen ermöglichte es uns, die in den Gewächshäusern gefunden Arten zu bestimmen, die potenziell von überallher stammen könnten.“
In Deutschland sind aktuell 1.280 Arten, davon 199 Insektenarten, als gebietsfremd gelistet – alle wurden in freier Wildbahn gefunden. „Die nicht-heimischen Arten, die sich in anthropogenen Innenräumen etabliert haben, werden weitgehend ausgeblendet. Unsere vielen neuen Nachweise für Berlin, Brandenburg, Deutschland und sogar auf kontinentaler Ebene zeigen, wie wenig bislang über die Fauna von Gewächshäusern bekannt ist“, resümiert Freyhof und erklärt weiter: „Zwar ist es eher unwahrscheinlich, dass die meisten dieser tropischen Arten in Deutschland im Freien überleben. Sie könnten aber aus den Gewächshäusern in andere transportiert werden und auf diesem Weg geeignete klimatische Bedingungen erreichen. Zudem könnten steigende Temperaturen dazu führen, dass die Tiere zukünftig auch in Deutschland für sie günstigere Bedingungen vorfinden. Um Wissenslücken zu schließen, möchten wir Studierende, Bürgerwissenschaftler*innen und Expert*innen ermutigen, die Gewächshausfauna zu untersuchen und ihre Aufzeichnungen zu veröffentlichen. Als einen ersten Schritt haben wir hierfür das iNaturalist-Projekt ‚Greenhouse fauna of Europe‘ ins Leben gerufen.“
Originalpublikation:
Freyhof E, Jantke E (2024): Introduced greenhouse-invertebrates in Potsdam and Berlin with a focus on ants (Hymenoptera, Formicidae) with eight new records for Europe, Germany or the Berlin-Brandenburg region. Contributions to Entomology 74(2): 235-248. https://doi.org/10.3897/contrib.entomol.74.e136784