13.01.2025, Julius Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen
Regenwürmer mögen Blühstreifen: Auch unterirdische Artenvielfalt profitiert deutlich von den mehrjährigen Strukturen
Forschende des Julius Kühn-Instituts (JKI) weisen im Vergleich mit angrenzenden Winterkulturen dreimal so viele Regenwürmer in mehrjährigen Blühstreifen nach. Untersucht wurden 46 Flächen in den Bundesländern Baden-Württemberg, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Ergebnisse der Feldstudie in „npj Sustainable Agriculture“ erschienen.
Dass mehrjährige Blühstreifen an Feldrändern sich vorteilhaft auf die oberirdische Artenvielfalt auswirken und somit auch die funktionelle Biodiversität fördern ist durch Studien gut belegt. So bieten Blühstreifen Nahrung und können als Winterquartier für nützliche Arthropoden fungieren, die wiederum helfen, Schädlinge in Schach zu halten. Forschende des Julius Kühn-Instituts (JKI) in Berlin konnten nun zeigen, dass Blühstreifen auch unterirdisch die Artenvielfalt fördern, als Lebensraum für Regenwürmer. Die Ergebnisse der umfangreichen Feldstudie sind jetzt im Journal „npj Sustainable Agriculture“ erschienen, das zum „Nature-Verlag“ gehört: https://doi.org/10.1038/s44264-024-00040-2
Dazu verglich das Forschungsteam um Dr. Lukas Beule die Regenwurmgemeinschaften im Wintergetreide und Winterraps mit denen in angrenzenden mehrjährigen Blühstreifen auf 46 Flächen in sechs deutschen Bundesländern. Für die Studie wurden insgesamt 7.526 Regenwürmer gesammelt. Die Regenwürmer wurden mit einer Senföl-Lösung aus dem Boden ausgetrieben, gezählt, gewogen und lebend auf Artniveau bestimmt. Nach der Bestimmung wurden die Würmer wieder freigelassen, damit sie weiterhin ihre nützlichen Funktionen im Boden erfüllen können.
„Bereits im Feld waren wir von der enormen Anzahl an Regenwürmern in den Blühstreifen positiv überrascht“, berichtet Dr. Anna Vaupel, die Erstautorin der Publikation. Dieser erste Eindruck bestätigte sich nach Auswertung der Felderhebungen, denn im Mittel fanden die Forschenden mehr als dreimal so viele Regenwürmer in den Blühstreifen als auf den angrenzenden Ackerflächen. Darüber hinaus beherbergten die Blühstreifen auch mehr Regenwurmarten.
„Da Regenwürmer im Boden eine Vielzahl wichtiger Ökosystemfunktionen erfüllen, ist dieses Ergebnis in mehr als einer Hinsicht relevant und zeigt welches Potenzial mehrjährige Blühstreifen für den Bodenschutz haben“, erklärt Dr. Lukas Beule, der Leiter der Studie. Durch ihr Röhrensystem erhöhen die Würmer die Wasserinfiltration des Bodens und beugen so Bodenerosion vor, was angesichts zunehmender Starkregenereignisse ein wichtiger Beitrag zum Bodenschutz ist. Zudem sind Regenwürmer entscheidend am Humusaufbau beteiligt und tragen so zur verbesserten Nährstoffversorgung der Pflanzen bei. Außerdem sind Regenwurmgemeinschaften ein wichtiger Indikator für den generellen Gesundheitszustand von Böden.
„Noch sind etliche Fragen offen, die wir jedoch beantworten müssen, um das Potenzial von mehrjährigen Blühstreifen für das Bodenleben künftig voll ausschöpfen zu können“, ergänzt Dr. Beule. Im nächsten Schritt will sein Team erforschen, wie weit die positiven Effekte aus den Blühstreifen in den Acker hineinreichen. Außerdem soll untersucht werden, wie sich Blühstreifen, beispielsweise durch angepasste Pflanzenmischungen, weiter optimieren lassen, um die bestmögliche Förderung des Bodenlebens auch auf unterschiedlichen Böden zu erreichen.
Hintergrund
Die 46 untersuchten Flächen mit Wintergetreide und Winterraps mit angrenzenden mehrjährigen Blühstreifen befanden sich in Baden-Württemberg, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.
Originalpublikation:
Anna Vaupel, Zita Bednar-Konski, Matías Olivera, Nadine Herwig, Bernd Hommel & Lukas Beule: „Perennial flower strips in agricultural landscapes strongly promote earthworm populations“, npj Sustainable Agriculture volume 2, Article number: 31 (2024) https://doi.org/10.1038/s44264-024-00040-2
14.01.2025, Deutsche Wildtier Stiftung
Gesucht: Der extrem seltene Alpenschneehase
Belohnung: Mehr Artenvielfalt für alle!
Braune Augen, breite Pfoten, weißes Fell – das sind charakteristische Merkmale des Alpenschneehasen, das Tier des Jahres 2025. Die Deutsche Wildtier Stiftung ruft dazu auf, Ausschau nach diesem seltenen Bewohner der Alpen zu halten. Bürgerinnen und Bürger, die bis Ende März im deutschen Alpenraum unterwegs sind, können mithelfen, wissenschaftliche Grundlagenforschung zu betreiben. Um die Suche nach dem Schneehasen zu befeuern, hat die Stiftung Fahndungsplakate mit dem Konterfei des Schneehasen erstellt. Sie können kostenlos heruntergeladen, ausgedruckt oder online geteilt werden: https://bit.ly/4fY8CkJ. Angesprochen sind Bergtouristen, aber auch Menschen, die auf dem Berg arbeiten, Gastronomen, Förster oder Jäger.
Doch die Zeit drängt: Nur im Winter stehen die Chancen für Laien gut, den Schneehasen zu entdecken. Der Grund? Sein charakteristisches weißes Fell, das ihn im Schnee perfekt tarnt, wechselt mit dem Frühling in ein unauffälliges Braun. Der Fellwechsel hängt von der Veränderung der Tageslänge ab, die Geschwindigkeit des Wechsels wiederum von der Außentemperatur. Ab dem Spätfrühling wird es schwieriger, ihn von seinen Verwandten, den Feldhasen, zu unterscheiden. Das braune Haarkleid schützt den Schneehasen in der schneelosen Berglandlandschaft vor Fressfeinden, dem Fuchs zum Beispiel.
Die Suche nach dem Alpenschneehasen ist nicht nur spannend, sondern auch wichtig: Sie liefert dringend benötigte Daten für die Grundlagenforschung. Denn über die Population des Schneehasen in Deutschland ist bislang kaum etwas bekannt, und seine scheue Lebensweise und sein alpiner Lebensraum erschweren die Forschung. „Um Schutzmaßnahmen für den Schneehasen zu entwickeln, die greifen könnten, müssen wir erst herausfinden, wo genau er sich aufhält“, sagt Lea-Carina Hinrichs, Artenschützerin bei der Deutschen Wildtier Stiftung. Bis Ende März 2025 bittet die Stiftung darum, Sichtungen von weißen Alpenschneehasen unter der E-Mail-Adresse Schneehase@DeutscheWildtierStiftung.de zu melden. Dabei sind möglichst genaue Angaben hilfreich: Standort (am besten in Form von Geodaten), Datum und Uhrzeit der Sichtung, die Anzahl der Tiere sowie, wenn möglich, ein Foto.
Und wo findet man den Schneehasen am besten? Sonnenauf- und Untergangsliebhaber haben die größten Chancen, einen zu entdecken. Ab einer Höhe von 1 300 Metern, an Rändern von Wäldern und in der Nähe von dichter Strauchvegetation hält er sich auf. Die Rinde von Weiden, aber auch Blätter von Brombeer- und Himbeersträuchern, ebenso die Rinde und Nadeln von Fichten gehören zu seinen Lieblingsspeisen. Wer beispielsweise bei Sonnenaufgang auf eine Bergtour geht, könnte mit etwas Glück einen Schneehasen beim Frühstück beobachten.
16.01.2025, Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz
Elternhaus Adieu: Wann ziehen junge Fische aus?
Schneckenbuntbarsche kümmern sich intensiv um ihren Nachwuchs, den sie in verlassenen Schneckenhäusern großziehen. Ein Team am MPI für biologische Intelligenz fand mit 3D-gedruckten Schneckenhäusern heraus, was im Inneren des Nests passiert. Die Jungtiere und die Mutter folgen jeweils eigenen, aber synchronisierten Zeitplänen: Sobald die Larven am neunten Tag ihre Lichtscheu ablegen, verlassen sie das Schneckenhaus. Mit einer strikten Brutpflege-Routine verhindert die Mutter ihrerseits, dass Jungtiere vor diesem Tag herausschwimmen. Die Studie identifiziert damit wichtige, angeborene Abläufe bei der Brutpflege und unterstreicht das komplexe Zusammenspiel unterschiedlicher Verhaltensweisen.
Der ideale Zeitpunkt das Elternhaus zu verlassen sollte gut überlegt sein: Zieht der Nachwuchs zu früh aus, kommt er eventuell nicht allein zurecht. Bleibt er hingegen Dauerbewohner im „Hotel Mama“, werden die Ressourcen der Eltern überbeansprucht. Vor allem im Tierreich kann dieser Balanceakt über das Schicksal von Eltern und Jungtieren entscheiden.
Brutpflege in verlassenen Schneckenhäusern
Doch wer oder was entscheidet darüber, wann die Zeit zum Auszug gekommen ist? Ein Team aus Herwig Baiers Forschungsabteilung am MPI für biologische Intelligenz hat dies nun an Buntbarschen untersucht. Diese Fische sind besonders interessant, denn im Gegensatz zu vielen anderen Fischarten sind sie sehr sozial und kümmern sich intensiv um ihren Nachwuchs.
Die untersuchte Fischart, Lamprologus ocellatus, zählt zu den Schneckenbuntbarschen, welche natürlicherweise nur im Tanganjika-See in Afrika vorkommen. Das Besondere: Sie bewohnen verlassene Schneckenhäuser und ziehen ihren Nachwuchs darin groß. Doch obwohl sich Schneckenbuntbarsche auch gut in Aquarien halten lassen war bisher unbekannt, was sich im Inneren des Nests abspielt.
Einblicke ins Innere des Schneckenhauses
Mit einer raffinierten Idee gelang es Ash Parker und dem Team Einblicke ins verborgene Innere des Buntbarschreichs zu erlangen: Sie druckten Schneckenhäuser mit einem 3D-Drucker. Mit ihrem ausgetüftelten Design bieten diese den Fischen das ideale Zuhause, sind aber an einer Seite offen. Platziert an der Aquariumsscheibe, konnten die Forscherinnen und Forscher so die Vorgänge im Inneren mit Video- und Fotoaufnahmen dokumentieren.
Die KI-unterstützte Auswertung des Bildmaterials brachte spannende Verhaltensweisen und einen genauen zeitlichen Ablauf ans Licht: Die Mutter legt die Eier in die obere Kammer des Schneckenhauses. Anschließend besamt der Vater das Gelege. Nach zwei bis drei Tagen schlüpfen die Larven, welche die Mutter mit dem Mund in die unterste Kammer des Schneckenhauses befördert. Nach sieben bis acht Tagen fressen die jungen Fische selbständig und beginnen mit ersten Schwimmversuchen.
Während der gesamten Zeit bewacht die Mutter das Schneckenhaus und kümmert sich um die Jungen. Zum Beispiel nimmt sie die Eier und Larven immer wieder in den Mund, um sie zu reinigen. Außerdem fächert sie ausgiebig mit ihren hinteren Flossen und sorgt so für einen ständigen Wasseraustausch im Schneckenhaus.
Verlassen des Elternhauses am neunten Tag
Während sich die Larven anfangs in der unteren Kammer des Schneckenhauses aufhalten, schwimmen sie ab dem neunten Tag tagsüber vermehrt in die oberen Kammern und sogar aus dem Schneckenhaus heraus. Die Forschenden stellten fest, dass die Larven zu diesem Zeitpunkt ihre Vorliebe für Licht ändern und plötzlich hellere Bereiche bevorzugen. Der Zeitpunkt, „Hotel Mama“ zu verlassen, scheint daher automatisch mit einer Änderung der Lichtpräferenz gesteuert zu werden.
Um diesen Zeitplan einhalten zu können, sind die Larven nur indirekt auf ihre Mutter angewiesen: Entfernte Ash Parker das Muttertier, sank durch das Ausbleiben des Flossen-Fächerns vermutlich die Wasserqualität und die Larven verließen bereits vor dem neunten Tag das Schneckenhaus.
Zwei unabhängige Zeitpläne von Mutter und Larven
Auch die Fischmutter hat eine genaue Vorstellung, wann der Zeitpunkt erreicht ist, den Nachwuchs ziehen zu lassen: Wurden ihre Jungtiere mit einem zwei Tage älteren Gelege getauscht, beförderte sie die vermeintlich zu früh herausschwimmenden Larven zurück in das Schneckenhaus– ohne den fortgeschrittenen Entwicklungsstand der Jungtiere zu beachten.
Die Beobachtungen zeigen, dass sich Mutter und Jungtiere nach voneinander unabhängigen, angeborenen Zeitplänen richten. Diese sind allerdings perfekt synchronisiert: Die Jungtiere und die Mutter scheinen sich einig zu sein, dass die Jungen am neunten Tag zum ersten Mal die elterliche Obhut verlassen können. Damit deckt die Studie wichtige Abläufe während der Brutpflege von Schneckenbuntbarschen auf und legt die Basis, um die Evolution und die neuronalen Grundlagen dieses komplexen Verhaltens weiter zu erforschen.
Originalpublikation:
Intrinsic timing of brood care in shell-dwelling cichlids
Ash V. Parker, Manuel Stemmer, Swantje Grätsch, Alessandro Dorigo, Oriolson Rodriguez Ramirez, Abdelrahman Adel, Alex Jordan, Herwig Baier
Current Biology, online 15. Januar 2025
https://doi.org/10.1016/j.cub.2024.12.020
16.01.2025, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Meer Arten? Genetische Unterschiede bei Blauwal-Populationen entdeckt
Ein Forschungsteam des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums (SBiK-F), des vormaligen LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) und der Goethe-Universität Frankfurt hat faszinierende genetische Erkenntnisse zur Evolution des größten Tieres der Erde, des ikonischen Blauwals (Balaenoptera musculus), gewonnen. Ihre im Fachjournal „Molecular Ecology“ veröffentlichte Studie liefert Hinweise darauf, dass Blauwale aus dem Nordpazifik und Nordatlantik möglicherweise getrennte Unterarten bilden. Schutzmaßnahmen sollten gezielt auf die individuellen Populationen angepasst werden, so die Frankfurter Forscher.
Blauwale (Balaenoptera musculus) können eine Länge von bis zu 30 Metern und ein Gewicht von über 180 Tonnen erreichen und sind damit die größte bekannte Walart, die je auf der Erde existiert hat. Die majestätischen Meeressäuger sind in allen Weltmeeren anzutreffen, bevorzugen jedoch kalte, nahrungsreiche Gewässer, die sie in den Sommermonaten aufsuchen, bevor sie für den Winter in wärmere Regionen wandern. Im 20. Jahrhundert wurde der Blauwal durch den intensiven Walfang stark bedroht und obwohl der kommerzielle Walfang mittlerweile größtenteils verboten ist, erholen sich die Populationen nur langsam und die Art findet sich noch immer auf der Roten Liste.
„Aus genetischer Sicht bedeutet so ein dramatischer Rückgang von Individuen, dass sich auch die genetische Vielfalt innerhalb der Blauwalpopulationen verringert. Dies verstärkt in der Folge die Effekte von Inzucht, da schädliche Mutationen sich nun stärker ausprägen als vorher“, erklärt Dr. Magnus Wolf, Erstautor der Studie vom SBiK-F und der Goethe-Universität Frankfurt.
Wolf hat gemeinsam mit seinen Kollegen Dr. Menno J. de Jong und Prof. Dr. Axel Janke die Genome von 33 weltweit verteilten Blauwal-Individuen analysiert. „Die Blauwal-Populationen im Nordatlantik und -pazifik werden derzeit als eine einzige Unterart betrachtet, obwohl sie durch kontinentale Landmassen getrennt sind und sich ihre Laute akustische klar unterscheiden lassen. Unsere Ergebnisse deuten aber darauf hin, dass diese Wale seit der letzten Eiszeit getrennte evolutionäre Wege eingeschlagen haben“, so Wolf und weiter: „Die Analyse der Genome zeigt signifikante genetische Unterschiede zwischen den beiden Populationen. Wir schlagen daher vor, der Nordpazifik-Population einen neue Unterartennamen zu geben: Balaenoptera musculus sulfureus.“ Blauwale wurden früher in manchen Gegenden aufgrund der gelblichen Algenschicht auf ihrer Unterseite, welche an die blassgelbe Farbe des chemischen Elements Schwefel (Latein: Sulfur) erinnert, auch „Sulfurbottom“ genannt. Der Name ehrt diesen historischen Spitznamen, heißt es in der Studie.
Die Forschungsarbeit wirft zudem einen Blick auf die allgemeine genetische Gesundheit von Blauwalen – und gibt dabei sowohl Anlass zur Hoffnung als auch zur Vorsicht. „Obwohl wir häufige Anzeichen von Inzucht und eine allgemeine Reduktion der genetischen Vielfalt gefunden haben, haben sich die untersuchten Blauwale eine hohe genetische Varianz erhalten, was eine gute Nachricht für das Überleben dieser Giganten ist“, erläutert Seniorautor Janke.
Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Genomik-Forschung im Naturschutz und heben die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit hervor. Wolf resümiert: „Unsere Arbeit kann als ‚Blaupause‘ für die Naturschutz-Genomik dienen. Sie demonstriert, wie der Status von schwer zu beobachtenden Arten wie dem Blauwal erfolgreich mit genomischen Analysen untersucht werden kann. Mit diesen Techniken können wir Schutzmaßnamen gezielt auf spezifische Populationen zuschneiden und reagieren, bevor Populationsrückgang und Inzucht zu Problemen werden.“
Originalpublikation:
Wolf, M., de Jong, M.J. and Janke, A. (2025), Ocean-Wide Conservation Genomics of Blue Whales Suggest New Northern Hemisphere Subspecies. Mol Ecol, 34: e17619. https://doi.org/10.1111/mec.17619
17.01.2025, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
Das Genom lesen und Evolution verstehen: Symbiosen und Gentransfer bei Blattkäfern
Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena und des Max-Planck-Instituts für Biologie in Tübingen hat den evolutionären Erfolg von Blattkäfern untersucht und herausgefunden, wie die Käfer mit Hilfe von Bakterien den Schlüssel zu einer immer effizienteren Pflanzenverdauung fanden.
Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena und des Max-Planck-Instituts für Biologie in Tübingen hat den evolutionären Erfolg von Blattkäfern, eine der artenreichsten Gruppen pflanzenfressender Tiere auf der Erde, untersucht. Die Forschenden zeigten, dass sich Symbiosen mit Bakterien in verschiedenen Unterfamilien der Blattkäfer wiederholt und unabhängig voneinander entwickelt haben und wesentlich zur effizienten Verdauung von pflanzlicher Nahrung beitragen. Diese symbiotischen Beziehungen geben zudem Aufschluss darüber, wie genetisches Material zwischen Bakterien und Käfern ausgetauscht wurde. Die Studie unterstreicht die Rolle des horizontalen Gentransfers, also der Aufnahme von fremdem, bakteriellem Erbgut in das Käfergenom, die vermutlich auf frühere Symbiosen zurückgeht. Insgesamt verdeutlicht die Studie die Bedeutung mikrobieller Partnerschaften und des genetischen Austauschs für die Anpassung der Blattkäfer an eine ansonsten nur schwer verdauliche Nahrung, die ihren evolutionären Erfolg begünstigt hat.
Mit mehr als 50.000 beschriebenen Arten ist die Familie der Blattkäfer weltweit verbreitet und macht etwa ein Viertel der Artenvielfalt aller Pflanzenfresser aus. Blattkäfer ernähren sich von fast allen Pflanzengruppen. Sie leben sowohl im Wurzelbereich als auch in der Baumkrone und sogar unter Wasser. Viele Blattkäfer, wie zum Beispiel der Kartoffelkäfer, sind berüchtigte Schädlinge. Ihr Artenreichtum und ihre weltweite Verbreitung verdeutlichen ihren evolutionären Erfolg, der umso erstaunlicher ist, wenn man bedenkt, dass Blätter eine schwer verdauliche Nahrungsquelle sind und unausgewogene Nährstoffe liefern.
Ein Forschungsteam der Abteilung Insektensymbiosen am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena und der Forschungsgruppe Mutualismen am Max-Planck-Institut für Biologie in Tübingen hat sich nun gefragt, wie Blattkäfer diese Ernährungsherausforderungen im Laufe der Evolution bewältigt haben. Verwenden verschiedene Blattkäferarten die gleiche Strategie oder haben sie unterschiedliche Wege gefunden, um ihr Ernährungsziel zu erreichen?
Die Rolle von fremdem Erbgut verstehen
Fast alle Blattkäfer haben fremdes Erbgut in ihr eigenes Genom eingebaut, das für die Produktion von Enzymen verantwortlich ist, die für die Verdauung von pflanzlichen Zellwandbestandteilen benötigt werden. Solche Enzyme sind zum Beispiel Pektinasen, also Enzyme, die Pektine spalten. Für den Menschen sind Pektine unverdauliche Ballaststoffe, während viele Bakterien Pektine in ihrem Stoffwechsel verwerten können. Etwa die Hälfte der Blattkäferarten lebt in enger Partnerschaft mit symbiotischen Bakterien. Diese Symbionten versorgen die Käfer mit wichtigen Verdauungsenzymen und helfen ihnen so beim Abbau von Nahrungsbestandteilen. Häufig liefern sie den Käfern auch Vitamine und essentielle Aminosäuren.
Aus eigenen Untersuchungen wussten die Forschenden bereits, dass die Käfer sowohl Pektinasen nutzen, die zum Käfergenom gehören, als auch solche, die von Symbionten kodiert werden. „Diese Verdauungsenzyme sind für Blattkäfer überlebenswichtig. Bisher wussten wir aber nur bruchstückhaft, welche Blattkäfer symbiotische Bakterien für die Verdauung benötigen und welche nicht, und woher die Pektinasen der Käfer stammen. Durch vergleichende Studien über alle Blattkäfergruppen hinweg wollten wir die evolutionären Szenarien rekonstruieren, die zum heutigen Verbreitungsmuster geführt haben“, erläutert Erstautor Roy Kirsch das Ziel der Studie.
Mit Unterstützung nationaler und internationaler Kolleginnen und Kollegen hat das Team Genom- und Transkriptomanalysen an 74 Blattkäferarten aus der ganzen Welt durchgeführt. Durch diese vergleichende Analyse über alle Unterfamilien der Blattkäfer hinweg konnten die Forschenden nachvollziehen, wie die heutige Verteilung von käfereigenen und Symbionten-kodierten Enzymen im Laufe der Evolution entstanden ist. „Wir konnten außerdem zeigen, dass das Phänomen des horizontalen Gentransfers, bei dem Fremdgene aus Bakterien in das Käfergenom aufgenommen werden, entgegen bisheriger Annahmen recht häufig auftritt. Sowohl Symbiose als auch Gentransfer haben die Evolution der Insekten stark beeinflusst“, fasst Roy Kirsch die Ergebnisse zusammen.
Dynamische Evolution von Pektinasen
Die Analysen ergaben auch, dass die überwiegende Mehrheit der Käferarten entweder ihre eigenen, durch horizontalen Gentransfer erworbenen Pektinasen oder die Pektinasen ihrer bakteriellen Symbionten nutzt. Käfer- und Symbionten-Pektinasen wurden dagegen bei keiner Käferart gemeinsam gefunden.
„Die binäre Verteilung der Käfer, die Pektinasen in ihrem Genom kodieren, im Vergleich zu denen, die sie symbiotisch erwerben, ist eines der auffälligsten Ergebnisse der Studie. Ein solches Muster wirft weitere Fragen darüber auf, wie horizontaler Gentransfer und Symbiose die Art und Weise geprägt haben, wie Käfer Blätter verzehren und verdauen, und welche Trade-offs mit dem „Outsourcen“ eines wichtigen Stoffwechselmerkmals, also der Übertragung dieser Aufgabe an einen Partner, verbunden sind“, erklärt Hassan Salem, Leiter der Max-Planck-Forschungsgruppe Mutualismen.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Evolution der Pektinasen dynamisch ist und sich durch einen Wechsel zwischen horizontalem Gentransfer und der Aufnahme von Symbionten auszeichnet. „Diesen Vorgang kann man sich folgendermaßen vorstellen: Bei der Etablierung einer Symbiose wird eine Käfer-Pektinase aus einem früheren horizontalen Gentransfer durch eine Symbionten-Pektinase ersetzt. Die Aufnahme eines Symbionten hat den Vorteil, dass dessen Pektinase neue Aktivitäten aufweisen oder effizienter sein kann und darüber hinaus zusätzlichen Nutzen mit sich bringt, zum Beispiel durch die Produktion weiterer Verdauungsenzyme oder essentieller Nährstoffe. Das käfereigene Pektinase-Gen wird nun nicht mehr benötigt und geht im Laufe der Evolution verloren. Im weiteren Verlauf der symbiotischen Interaktion könnte das Pektinase-Gen des Symbionten ins Käfer-Genom übertragen werden und der Symbiont könnte wieder verloren gehen, aber dieser Prozess muss noch genauer untersucht werden“, sagt Martin Kaltenpoth, Leiter der Abteilung Insektensymbiosen.
Ein Weg zum evolutionären Erfolg
Die Ergebnisse zeigen, wie wiederholter horizontaler Gentransfer und die Bildung von Symbiosen mit Bakterien Blattkäfern eine schnelle Anpassung an eine pflanzliche Ernährung ermöglichten und so zu ihrem erstaunlichen evolutionären Erfolg beitrugen.
Originalpublikation:
Kirsch, R., Okamura, Y., García-Lozano, M., Weiss, B., Keller, J., Vogel, H., Fukumori, K., Fukatsu, T., Konstantinov, A. S., Montagna, M., Moseyko, A. G., Riley, E. G., Slipinski, A., Vencl, V. C., Windsor, D. M., Salem, H., Kaltenpoth, M., Pauchet, Y. (2025). Symbiosis and horizontal gene transfer promote herbivory in the megadiverse leaf beetles. Current Biology. DOI: 10.1016/j.cub.2024.12.02
https://doi.org/10.1016/j.cub.2024.12.02